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Man hatte auf dem Berggipfel Platz zu allen gegenseitigen Vorstellungen. Sämtliche historischen Bauhindernisse schienen nur dieser gegenwärtigen großen Begegnung Raum gegeben zu haben, und – kein Hohenstaufenpaar, welches zwei zu Kreuze kriechende Rebellen-Gesandte von Mailand vor sich ließ, konnte sie kühler und zu gleicher Zeit im Innersten frohlockender empfangen, als Miß Christabel Eddish und die Baronin Lucie den Baron und den Freund des Barons, Herrn Christoph Pechle an sich herankommen ließen.
Dafür aber auch konnten wahrlich zwei um gutes Wetter bittende Abgeordnete der Stadt Mediolanum nicht vorsichtiger auftreten, und beim leisesten Fächerwehen und Stirnrunzeln scheuer und diplomatisch-bänglicher zurücktreten, als der Baron und sein Freund – ja auch sein Freund jetzt! – auf der Stelle, wo vielleicht vordem die Thronsessel des grimmigen Salzsäers Barbarossa und seiner kaiserlichen Hausehre standen.
O, die Reichsfreifrau Lucie von Rippgen verstand es gleichfalls, Salz auf eine Stelle zu säen, die sie vorher durch jegliches Hausmittelchen und Regierungsmittel gründlichst verheert hatte, und Miß Christabel sah auch an diesem Orte nicht aus, als ob sie es für ihren irdischen Beruf halte, bei derartigen Gelegenheiten als begütigende Vermittlerin einzutreten.
Pechle, selbst Pechle fühlte sich immer mehr eingeschüchtert, je mehr er sich den Damen näherte und je länger er, mit dem Hute in der Hand, vor ihnen stand. Verstohlene Seitenblicke, die immer länger wurden, warf er auf die britische Jungfrau, – Miß Christabel machte unbedingt einen Eindruck auf ihn und zwar einen tiefen. Eben noch hatte er sie ein »sauberes Mädle« genannt; dieses zierliche Wort nahm er sofort zurück, nachdem er die Totalität ihrer Erscheinung vollkommen in sich aufgenommen hatte.
»Sauber? Die ließ ich mir um die Hälfte wüschter als Hausfreundin gern gefallen! Das ischt a Pallas Athene, und der Rippgen ischt a Esel! Ein wenig voller wäre besser; aber zu voll ist auch nicht hübsch, – bei Gott, das Mädle muß Geischt haben, – bei den unsterblichen Göttern, sie imponiert mir, und was mir imponiert, das laß ich gerne gelten!« sagte er, jedoch nicht laut.
Daß die Baronin ihm nicht imponierte, wissen wir bereits. Der beängstigende Eindruck, den sie augenblicklich in Gesellschaft der hohen Begleiterin auf ihn machte, war zwar momentan nicht wegzuscherzen, aber konnte doch nur ein vorübergehender sein und mochte bald durch die alte Frechheit und Unverschämtheit abgelöst werden. Die empfindungsvollen Saiten, die Miß Christabel in dem Busen des gemütlich-gefühlvollen Schwaben berührte, klangen länger nach, klangen weit über dieses erste Zusammentreffen im roten Abendsonnenschein auf dem Hohenstaufen hinaus und nach.
Da sie nun einmal auf so unvermutete und sonderbare Weise zusammengetroffen waren, so konnten sie nicht anders, sie mußten ihren Empfindungen Worte oder wenigstens etwas dem Ähnliches leihen. Ferdinand, als Gatte seiner Frau und als Hauptsünder, brachte es nur zu letzterem, das heißt zu einem einer Wortfolge ähnlichen, unverständlichen, in der Seele wie in der Kehle steckenbleibenden Gemurmel. Er hätte sich auch das ersparen können; denn die Gattin schnitt ihm selbst dieses ab und sprach ihn jetzt an, und zwar in schnellen, kurzen, keuchenden Sätzen.
»Siehst du, mein Lieber,« sagte sie, »da sind wir! wo du uns nicht erwartet hast . . . natürlich! Siehst du, o, wir benutzten die Freiheit, unser Leben einzurichten . . . die ihr uns so gern gönnt! . . . Du scheinst nicht recht wohl zu sein? . . . Kommt dir dieses Zusammentreffen . . . wirklich so überraschend?«
»O Teure, – Lucie, es ist freilich –«
»Was ist freilich? . . . So sprich doch! – der Herr Doktor, dein Freund, wird dich nicht genieren – was wünschtest du, wie wünschtest du, daß . . . dein Weib sich gegen dich stelle? . . . Nicht wahr, du wünschtest uns – meine arme Christabel und mich – als die Hüterinnen deines Hauses . . . deines Herdes ruhig daheim dich . . . erwartend zu finden? O sprich dich ruhig aus, geniere dich nicht vor Christabel! Ist es nicht so? war es nicht so? wird es so nicht sein?«
»Gewiß nicht, Liebe! . . . Ich habe gar nicht darüber –«
»Nachgedacht?! Natürlich! Siehst du, Christabel, mein armes Herz?! Gewiß, du hattest recht, und ich hatte recht, wir beide hatten recht, als wir es für das einzig Rechte, das einzig Menschenwürdige hielten, unsere eigenen Wege zu gehen! Du hast mich vor dem Wahnsinn gerettet, Christabel, und deinetwegen einzig und allein in der weiten Welt, danke ich dir, und nun wollen wir die Herren nicht weiter aufhalten.«
»Aber liebste Lucie?!« stammelte Ferdinand, der von seiner Menschenwürde jetzt für immer Abschied genommen haben würde, wenn nicht in diesem Augenblick der höchsten Not und jammervollsten Zerschmetterung, das Schicksal sich unseres Freundes Christoph Pechlin bedient hätte, ihn, den königlich sächsischen Assessor a. D., noch einmal zu retten.
Pechle mischte sich in die Unterhaltung. Er erlaubte es sich, sich in die Unterhaltung zu mischen! Mit einer Harmlosigkeit, die in der Bresche einer belagerten Festung, vor den Bajonetten der andringenden Sturmkolonne, von Wirkung hätte sein müssen, sagte er freundlich:
»Aber, gnädige Frau – lieber Freund, du hast bis jetzt mich noch nicht dem gnädigen Fräulein vorgestellt! Willst du nicht die Güte haben?«
Und der Baron griff mit beiden Händen zu; – er stellte vor – unter dem heftigsten Feuer der Breschbatterien stellte er Miß Christabel Eddish und Herrn Christoph Pechlin einander vor.
»Mein gnädiges Fräulein,« sagte der Exstiftler, »ich habe mich während des ganzen Marsches durch jene Berge auf ein demnächstiges Zusammentreffen mit Ihnen gefreut; aber daß mir das Glück heute schon und gerade auf diesem glorreichen Punkte zuteil werden würde, habe ich mir doch nicht träumen lassen. Ja, hier mein Freund Rippgen hat mir fast bei jedem Schritt von Ihnen gesprochen. O, Sie hätten ihn sprechen hören sollen, Miß Eddish! Gnädige Frau, wie befinden Sie sich denn? Das laß ich mir gefallen! Es war ein herrlicher Gedanke, uns müden Landstreichern bis hierher auf den Hohenstaufen entgegenzukommen.«
Die englische Maid war vor dem fröhlichen Wortfluß in stummer Hoheit zur Seite getreten; aber die beleidigte Gattin warf ihm sich natürlich entgegen. »Mein Herr,« rief sie, »ich bitte Sie, überzeugt zu sein, daß wir nicht hofften, Sie hier zu treffen!«
»Um so besser! Umso besser und erfreulicher! Mein Gott, und drunten im Lamm übernachten wir auch zusammen. Siehst du, Rippgen, daß unsere Dämonen über uns wachen und uns die richtigen Wege zu führen wissen! Ich hab' es dir immer gesagt, und du hast nur allzu oft an deinem Schutzengel gezweifelt. Ich an seiner Stelle würde es dir zuletzt übel genommen haben!«
Die gnädige Frau murmelte auch etwas von einem »Dämon« und das scharfe theologische Ohr faßte das Wort und die Bezüge desselben sofort in der richtigsten Weise auf.
»O, gnädige Frau,« rief Pechle mit beiden Händen ablehnend und abwehrend, »wie verkennen Sie mich, gnädige Frau!«
»Wie du aussiehst, Ferdinand?!« wandte sich die Baronin kurz um und an ihren Gatten. »Wie angegriffen! Wie heiß! Wie erschöpft!«
»Teure, liebe Lucie!«
»Findest du nicht auch, Christabel, daß er ganz und gar den zwischen uns ausgetauschten Schreckbildern entspricht? Herr Doktor Pechlin, ehe wir uns trennen, bitte ich Sie gehorsamst, mir zu sagen, was Sie mit meinem Mann während der letzten Tage angefangen haben.«
»Gnädige Frau, ich hab' ihn wie ein Lamm auf die Weide meines schönen Heimatlandes geführt. Stellen Sie sich ein seidenes, himmelblaues Band an seinem Halse vor –«
»Herr Doktor?!«
»Und erlauben Sie mir nunmehr, Ihnen hier das Ende wieder in die eigenen, treuen, sorgenden Hände zurückgeben zu dürfen.«
»Mein Herr?!«
»Frau Baronin, verlassen Sie sich ganz ruhig darauf, Ihrem Herrn Gemahl ist unter meiner Führung, wenn Sie das wirklich so nennen wollen, nichts zugestoßen, was Ihre Besorgnisse seines körperlichen Wohles wegen erregen könnte. Was aber sein geistig Teil betrifft, so bringt er Ihnen auch das unverringert und unvermindert zurück. Unter meiner Leitung hat er dies Kapital nicht angegriffen und wird also wohl immer noch von seinen Zinsen leben können. So rede doch, sprich doch, Ferdinandle, oder noch besser, küsse deiner guten Frau die Hand, und dann, meine Herrschaften, lassen Sie uns heiter und gehoben die Stelle und die Stunde genießen. Fräulein, wie g'fällt es Ihne denn bei uns in Schwabe?«
Die Miß, welche mit größter Aufmerksamkeit, so gut es ihr möglich war, den häkligen Verhandlungen zwischen Mann, Gattin und Hausfreund gefolgt war, trotzdem daß sie anscheinend zerstreut und mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt mit der Spitze ihres Sonnenschirmes imaginäre Figuren auf den Grasboden der romantischen Höhe gezeichnet hatte, sah auf und sagte:
»Oh indeed, nicht übel, Sir. Und wie gefällt es Ihnen selbst, Sir?«