Stanislaw Przybyszewski
Homo Sapiens
Stanislaw Przybyszewski

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XI.Die Kapitelzählung des Originals ist falsch; dort wird nach Kap. IX gleich mit XI fortgeführt.

Das Restaurant war trotz der vorgerückten Stunde nicht geschlossen; Flaum hatte noch Gäste, und so gingen sie hinein. Der Redakteur bestellte Wein.

– Ich freue mich sehr, sagte er, daß wir uns noch getroffen haben. Es war ja furchtbar interessant, wie Sie heute bei Landrats aufgetreten sind. Aber – verzeihen Sie mir – Sie urteilen doch wohl ein bißchen zu sehr in Bausch und Bogen.

– Ja freilich hab ich das getan. Das tue ich oft. Das ist selbstverständlich. Jedes Ding hat wirklich sehr viel verschiedene Seiten, die – verstehen Sie – nicht nebeneinander zur behaglichen Übersicht daliegen. Nein, mein Herr, im Gegenteil. Es gibt da die verschiedensten Beleuchtungen. Ein Ding ist wie ein Hektogon; nur eine Fläche bekommt da volles Licht. Und nun sehen Sie: das ganze menschliche Urteilen beruht darauf, daß nur diese eine Fläche berücksichtigt wird und vielleicht noch drei oder vier, die am nächsten liegen.

Falk trank das Glas aus.

Für seinen Verstand gebe es überhaupt kein Urteilen. Er könne von keinem Dinge sicheres aussagen. Wenn er überhaupt urteile, so geschehe es lediglich, weil er sich doch irgendwie verständigen müsse mit den Menschen, und dann urteile er ebenso wie alle andern Menschen, d. h. er gehe von gewissen Prämissen aus, von denen er wisse, daß sie als »gegeben« gelten, und ziehe dann die Konsequenzen.

Für ihn selbst aber gebe es keine Prämissen und daher auch nichts »Gegebenes«; er bitte also den Herrn Redakteur, seine Meinungen nicht als absolute hinzunehmen.

Der Redakteur schien das nicht zu verstehen und trank aus Mangel einer Antwort Falk zu.

Der junge Arzt horchte wißbegierig und trank sehr eifrig. Plötzlich bekam er Lust den Redakteur zu ärgern: Falk ulkte so ausgezeichnet.

– Was meinen Sie wohl, aber in allem Ernste, von einem sozialen Zukunftsstaate?

Der Redakteur zwinkerte mit den Augen; er merkte die boshafte Absicht.

– Was ich dazu meine? sagte Falk. Ja, ich habe doch schon beim Landrat meine Meinung, die auf »gegebenen« Wertschätzungen beruht, entwickelt.

Mich interessiert übrigens dieser ganze Staat nur in so fern, als er – freilich wieder nur, wenn die Prämissen richtig sind, Herr Doktor – ja, nur in so fern, als er auf dem Gebiete, auf dem ich tätig bin, gewisse Reformen mit sich bringen kann.

Sehen Sie, dann wird z. B. der Staat auch für die Künstler die sozialen Lebensbedingungen schaffen, und dann können Sie überzeugt sein, daß viele Menschen, die jetzt à faute de mieux Künstler geworden sind, weil es heutzutage das bequemste Brot ist, dann lieber Aufsichtsbeamte in irgend einem Magazine werden oder sich sonst bei vier- bis sechsstündiger Arbeitszeit und gesellschaftlicher Gleichheit irgendwie nützlich machen. Künstler werden nur diejenigen sein, die es müssen.

Der Redakteur, der nun hinter jedem Worte Falks Ulk witterte, warf gereizt ein:

– Sie scheinen von den Künstlern auch nicht viel zu halten?

– Nein, wirklich nicht, und zwar, weil es fast keine Künstler gibt, oder wenn es welche gibt, so verpfuschen sie sich augenblicklich, sobald sie ihre Ware auf den Markt tragen müssen.

Für mich ist nur der ein Künstler, der nicht anders im Stande ist zu schaffen als unter dem unerhörten Zwange einer sozusagen vulkanischen Eruption der Seele; nur der, bei dem sich alles, was im Gehirne entsteht, schon vorher in den warmen Tiefen des Unbewußten – wollen wir es nennen – glühend vorbereitet und lange, lange gesammelt hat, der nicht ein Wort, nicht eine Silbe schreibt, die nicht wie ein zuckendes, aus der Seele herausgerissenes Organ ist, mit Blut gefüllt, zum Ganzen strömend, heiß, tief und unheimlich, wie das Leben selbst.

– Nun, solche Künstler habe er doch wohl nie getroffen?

– Oh, doch, doch! aber nur unter den Verachteten, den Unbekannten, den Gehaßten und Verlachten, die der Haufen für Idioten erklärt.

Falk trank hastig.

Ja, freilich; und einen von den Größten sah ich verkommen und zu Grunde gehn. Da war einer, mein Schulkamerad; er war der schönste Mensch, der mir begegnet ist. Er war brutal und zart, fein und hart, er war Granit und Ebenholz, und immer schön. Ja, er hatte die große, grausame Liebe und die große Verachtung.

Falk sann nach.

Ja, er war sehr merkwürdig. Wissen Sie, das charakterisiert ihn: wir bekamen einmal das Aufsatzthema: wie Helden nach dem Tode geehrt werden.

Wissen Sie, was er schrieb? was wohl die größte Ehre für einen Helden wäre?

– Nun?

– Ja, er schrieb: die schönste Ehre, die er sich für einen Helden denken könne, würde sein, wenn ein Schäfer die Gebeine des betreffenden Helden zufällig ausscharrte, dann aus den hohlen Knochen eine Flöte machte und auf ihr sein Lob bliese.

Ein ander Mal schrieb er über das Thema, welchen Nutzen die Kriege bringen, daß die Kriege eine große Wohltat für die Landwirte seien, daß sie nämlich mit den Leichen der gefallenen Krieger ganz ausgezeichnet den Boden düngten; Leichendünger sei viel besser als Superphosphat.

Ja, erlauben Sie, das ist brutal; aber brutal wie die Natur selbst. Das ist Hohn; aber der furchtbare Hohn, mit dem die Natur mit uns spielt. Ja, mein Herr: das ist der erhabene höhnende Ernst der Natur selbst.

Der Redakteur schwieg beleidigt.

– Wolle Herr Falk mit ihm Ulk treiben? das sei doch wirklich nicht schön.

– Nein, das wolle er gar nicht, er habe überhaupt noch nie mit einem Menschen geulkt, am wenigsten mit dem Herrn Redakteur.

– Ja, dann sind es doch nur persönliche Ansichten, die auch nur für einen Menschen gelten können.

Falk empfand eine merkwürdige Gereiztheit, die er nicht begreifen konnte; aber er beherrschte sich.

– Ja freilich; meine Ansichten gelten nur für mich. Ich bin Ich und somit meine eigne Welt.

– Nun, Herr Falk scheine merkwürdig hohe Ansichten von sich zu haben.

– Ja, die habe ich, und die sollte jeder Mensch haben. Wissen Sie, da ist in Dresden ein Mensch, der sich Heinrich Pudor nennt. Man hält ihn im allgemeinen für einen Charlatan und er macht ja allerdings durch sonderbare Schrullen von sich reden. So z. B. hat er neulich von den Staatsanwälten verlangt, daß sie das Spielen Chopinscher Musik verbieten sollen, weil sie aufreizend und sinnlich sei. Aber trotz all der Schrullen steckt in ihm doch eine merkwürdige Kraft.

Kürzlich hat er in München eine Ausstellung eigener Bilder veranstaltet. Die Bilder sollen lächerlich und kindisch sein; ich weiß es nicht, ich habe sie nicht gesehen. Aber zu der Ausstellung hat er einen Katalog geschrieben, in dem es heißt: Ich bin Heinrich Pudor! Ich bin Ich! ich bin weder ein Künstler, noch ein Nichtkünstler! ich habe keine andren Attribute, als nur die, daß Ich Ich bin!

Sehen Sie, das ist gut gesagt.

Nein, Sie irren, Herr Doktor: das ist keine übermäßig anspruchsvolle Bedeutung. Denn sobald ich Mensch bin, bin ich eben ein bedeutendes, unheimlich bedeutendes Stück Natur. Wenn ich nun sage: Hier sind meine Bilder! mögen sie noch so lächerlich sein, aber sie sind ein Stück von mir! und voraus gesetzt, daß sie wirklich aus innerstem Drang erzeugt sind: so charakterisieren sie mich besser, als alle Tugendtaten, die ich vollbracht habe und noch vollbringen werde.

Hier ist ein Stück meiner Individualität; wen es interessiert, der mag zusehen. Ich bin Ich, und nichts ist in mir, dessen ich mich zu schämen brauchte.

– Aber das ist absoluter Größenwahnsinn, warf der Arzt ein.

– Durchaus nicht absoluter und durchaus nicht relativer! Sie als Arzt sollten doch wissen, daß die sogenannte Megalomanie mit dem Schwund der Individualität Hand in Hand geht. Erst wenn das Bewußtsein meiner Eigenheit verloren gegangen ist, halte ich mich für Napoleon, Caesar u. s. w. Aber ein noch so starkes Bewußtsein meines eignen Ichs und seiner Bedeutung hat nichts Maniakalisches.

Nein, im Gegenteil: es erzieht die Menschheit, es erzeugt die großen Individuen, an denen es in unserer Zeit so furchtbar mangelt, es gibt Kraft und Macht und den heiligen Verbrechermut, der bis jetzt noch alles Gewaltige geschaffen hat.

Ja, das hat er sicher, Herr Redakteur! Nur das »größenwahnsinnige« Bewußtsein hat die große Energie und Grausamkeit, den Mut zur Zerstörung, ohne den nichts neues und herrliches zu Stande kommt. Übrigens, hm, ist es gleichgültig, ob man es hat; die Hauptsache, daß man es haben muß! ja, muß ...

Wieder stieg in Falk die Unruhe und die Angst hoch.

– Nein, es ist doch furchtbar blödsinnig, uns die Zeit mit dummen Gesprächen zu vertreiben; dies leere Strohdreschen. Nein, zum Teufel, lustig, trinken wir! Die Lebensrätsel ... hei! Herr Wirt! noch eine Flasche!

Und es wurde getrunken. Falk war sehr nervös. Seine Stimmung teilte sich den andern mit. Man trank sehr hastig.

Bald hatte der Redakteur über das Maß getrunken.

– Ja, er liebe Falk über alles; er werde sich glücklich schätzen, ihn zum Mitarbeiter zu haben.

Falk hatte ihm bestimmt versprochen, von Paris aus regelmäßige Berichte an sein Kreisblatt zu schicken.

Der Arzt kicherte.

– Elbsfelder Wochenblatt: zwei Spalten Annoncen, regelmäßige Berichte aus Paris! Ha-ha-hah, wo liegt das Dorf Paris?

Der Redakteur fühlte sich tödlich beleidigt.

Falk horchte in sich hinein.

Eine unendliche Sehnsucht nach seiner Frau löste sich in ihm. Ja! ihre körperliche Wärme, ihre Hände und Arme!

Merkwürdig, wie ihn Marit ganz verlassen hatte; keine Spur von Verlangen. Er brach auf.

Als er nach Hause kam, war es schon Tag. Er kühlte sich die Augen im Waschbecken und öffnete das Fenster. Dann schrieb er folgenden Brief:

Mein teures, über alles geliebtes Weib!

Ich bin betrunken von meiner Liebe. Ich bin krank und elend vor Sehnsucht nach dir. Nichts kümmert mich auf dieser Welt, außer dir, dir, dir!

Du liebst mich; sag mir, wie du mich liebst, du Mein, mein alles!

Und wenn ich bei dir bin, wie werde ich dich finden, wie wirst du zu mir sein? Bin ich dir noch immer dein großer, schöner Mann? Warum ist dein letzter Brief so traurig?

Wie alles in mir nach dir stöhnt! Wie ich nach dir verlange! Sag mal! bin ich das für dich, was du für mich?! – Das Licht, das Leben, die Luft: alles, alles, worin allein ich leben kann? Denn siehst du: jetzt, jetzt weiß ich sicher: nie hab ich etwas sicherer gewußt: ich kann nicht ohne dich leben! nein, wirklich nicht.

Nur lieb mich! Lieb mich über dein Können hinaus; nein, so viel du kannst. Du kannst sehr, sehr viel! Nur lieb mich, lieb mich.

Eine ganze Literatur werd ich für dich schreiben, bloß damit du was zu lesen hast. Dein Clown werd ich sein, damit du was zu lachen hast. Unter deine Füße werd ich kriechen, wie ein Sklave werd ich dich bedienen, die ganze Welt werd ich vor dir auf die Knie zwingen: nur lieb mich, wie du mich geliebt hast, wie du mich vielleicht noch immer liebst. Ich werde mit absolutester Sicherheit in zwei Tagen von hier wegfahren ... Dein Mann ...

Als Falk aber ausgeschlafen hatte, machte er aus den zwei Tagen fünf – worauf er den Brief zur Post trug.


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