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Als Falk auf die Straße kam, wurde er sehr unruhig.
Er fing an schnell zu gehen. Vielleicht geht es nach einer physischen Ermattung vorüber.
Und es war, als peitsche ihn etwas immer schneller vorwärts, daß er fast zu laufen begann.
Es wurde aber noch schlimmer.
Er fühlte deutlich, wie sich eine Welle von Unruhe tiefer und tiefer in seinen Körper hineinringelte; er fühlte Etwas, das schneller und schneller in ihm kreiste und in jede Pore, jeden Nerv sich mit wachsender Wut drängte.
Was war das?
Er stutzte plötzlich.
Kam es wieder? Gefahr?!
Er blieb stehen.
Es mußte doch wohl ein tierischer Urinstinkt in ihm sein, die uralte Warnstimme einer fremden Seele.
Er bekam einen heftigen Ruck.
Fliehen, ja – fliehen, schrie es in ihm. Und er sah sich plötzlich als vierzehnjährigen Jungen hoch oben im vierten Stock. Zwei Fenster auf den Hof hinaus. Unten ein ewiges Klopfen der Böttchergesellen.
Er mußte ein großes Pensum auswendig lernen, sonst erwartete ihn eine strenge Strafe.
Und er saß und lernte, lernte, daß ihm die heißen Tränen wie Erbsen die Backen herunterrollten.
Aber sein Gehirn war dumpf. Kaum hatte er einen Vers auswendig gelernt, vergaß er den andern.
Und draußen, ja draußen vor den Festungsmauern spielten seine Kameraden, und Jahns war selbstverständlich dabei, Jahns, den er so liebte.
Und der Tag ging zu Ende. Er stürzte sich auf die Knie, eine namenlose Angst hatte ihn befallen, er flehte den heiligen Geist um die Gnade der Erleuchtung an.
Aber nichts, nichts konnte er behalten.
Ihm schwindelte vor Angst. Er mußte. Er mußte. Und er schlug mit den Fäusten auf seinen Kopf; er wiederholte jedes Wort hundertmal; aber es half nichts.
Und er wußte keinen Ausweg. Da plötzlich, ganz urplötzlich: nun wußte ers. Er mußte fliehen, weit, weit weg zu der Mutter ...
Er lief in die Nacht hinaus, lief, keuchte, fiel. Jedes Geräusch kroch lähmend durch seine Glieder, jedes Aufleuchten entzündete ein Meer von Licht in seinen Augen, dann raffte er sich auf und lief wieder, ununterbrochen, bis er dann atemlos im Walde zusammenbrach.
Und jetzt hörte er sie wieder, die starke gebieterische Stimme: Flieh! Flieh!
Er sann nach und lächelte.
Das Tier ist aufgewacht. Als ob ein bewußter Mensch keine andren Abwehrmittel hätte, als das feige Fliehen? Warum sollte er denn so urplötzlich fliehen?
Da kroch ein Verlangen in ihm hoch, wie eine Dampfwolke breitete es sich über sein Gehirn und erstickte alle seine Grübelei. Er fühlte ihre Hand auf seinen Lippen. Er fühlte ihre körperliche Wärme sich in sein Blut hineinsaugen, er fühlte den Ton ihrer Stimme seine Nerven entlangrieseln ...
Er reckte sich jäh empor.
Nein! schrie er laut.
Dieser wunderbare Mikita! Wie er sie lieben mußte ... Er sah Mikita, wie er bebend, lauernd sie beide ununterbrochen beobachtete.
War er ihrer Liebe nicht sicher?
Da plötzlich:
Sie?! Konnte sie eigentlich Mikita lieben? Nein, lächerlich! Ich meine nur, ob ein so organisiertes Wesen ... nein, nein ... nur, ob dies Weib Mikitas Bewegungen angenehm empfinden könnte ... Hm, Mikita war doch ein wenig komisch heute mit der hastenden Sprache und den zappligen ...
Nein! Nein! Falk schämte sich.
Selbstverständlich muß man Mikita lieben. Ja, außer Frage ... sie liebte ihn, sie mußte ihn lieben.
Vielleicht nur seine Kunst?
Wirklich? Oder kam es ihm nur so vor? Aber sah er nicht deutlich so etwas von leisem Unmut über ihr Gesicht gleiten, als Mikita über sein Liebesglück sprach? Und wollte sie es nicht wieder gut machen, als sie ihm dann so unmotiviert die Hand streichelte?
Mit einem Ruck wurde er wütend. Hatte er sich jetzt nicht darauf ertappt, daß ihm Mikitas Liebe unangenehm wurde? Fühlte er nicht deutlich den Wunsch, daß seine Bedenken zur Wahrheit würden? Nein, das war abscheulich, das war häßlich ...
Häßlich? Von wem war es häßlich? Ha, ha, ha; als ob er Etwas dagegen tun könnte, daß dumme tierische Instinkte in ihm wach wurden.
Er trat in eine Baumallee. Er war ganz verwundert. So herrliche Bäume hatte er noch nie gesehen. Er betrachtete sie aufmerksam. Er sah die mächtigen Äste wie knorrige Speichen um den Stamm herumsitzen, seltsam verzweigt, zu Netzen geformt ... Und er sah das Ästegeäder sich gegen den Himmel abzeichnen, ein riesiges Venengeflecht, das den Himmel umspannte, die heilige Gebärmutter des Lichtes und des Samen-Segens.
Wie schön das war! Und der Märzwind so lau ...
Er mußte sie vergessen. Ja, er mußte es.
Und wieder überschrie all sein Denken und Grübeln dies uralte: Flieh! Flieh! ...
Nein, er brauchte nicht zu fliehen. Wovor?
Aber die Unruhe stieg in ihm höher und höher. Er stemmte sich gegen die wachsende Qual, die sein Herz stocken machte.
Wer war dies Weib? Was war ihm?
Er hatte doch niemals etwas Ähnliches empfunden? Nein! Niemals!
Er prüfte sich und prüfte, aber nein! Niemals ...
War es Liebe?
Er fühlte Angst.
Wie kam es, daß in einer Stunde ein Weib zu ihm in Beziehung trat, in sein Gehirn übertrat als eine Art Fremdkörper, um den sich nun sein Denken, sein ganzes Fühlen sammelte, in den sich sein Blut goß ...
Nein! Er sollte, er durfte nicht mehr daran denken.
Du sollst nicht deines Nächsten Weib begehren! Nein! Das wollte er sicherlich nicht. Sie war ja Mikitas ganzes Glück. Gott, wie der Mensch strahlte, als er von seiner Liebe sprach ...
Es war doch herrlich, daß Mikita dies große Glück finden sollte! Wie das seine künstlerische Potenz steigern würde, für und durch dies Weib schaffen zu können.
Aber wieder fühlte er ihre schmale, heiße Hand an seinen Lippen. Sie wehrte es ihm nicht. Er sah ihr verschleiertes Lächeln und das aufquellende Glühen und Leuchten um ihre Augen ... Und er fühlte mit unendlichem Behagen eine zitternde Wärme in seinem Innern; seine Augen brannten. Es wurde ihm so heiß und so beklommen.
Einen Menschen möchte er jetzt um sich haben, zu dem er sehr, sehr zärtlich sein könnte.
Janina!
Wie ein Blitz schoß ihm der Gedanke durch sein Gehirn.
Sie war doch so gut zu ihm. Sie liebte ihn so. Es ist doch, weiß Gott, herrlich, so geliebt zu werden.
Er hatte sie doch auch sehr gerne. Mehr als er sich eigentlich eingestehen wollte.
Er sah sie deutlich. Ja, vor Jahren, als noch »Brand« in seinem Kopfe herumspukte. Er hatte sie geküßt und sie wurde so glücklich. Er ging weg, beobachtete sie aber heimlich. Er sah sie heiß und begehrlich suchen. Dann sah er, wie sie ein kleines Mädchen von dem Nachbarn in ihre Arme nahm und heiß an sich drückte.
Ihre Liebe kam ihm plötzlich so schön, so geheimnisvoll schön vor. Sie gab ihm Alles, sie dachte Nichts, sie hatte keine Rücksichten, sie war ganz, ganz sein ...
Merkwürdig, daß er ganz in ihrer Nähe war. Was hatte ihn hierher geführt?
Ja, nur noch eine Straße ...
Der Nachtwächter machte ihm das Tor auf. Er flog die Treppen hinauf und klopfte leise an ihre Tür.
– Erik, Du?!
Sie zitterte heftig und stammelte vor Freude.
– Leise ... ja, ich ... ich hatte Sehnsucht nach Dir ... er tastete sich in ihr Zimmer hinein.
Sie hängte sich leidenschaftlich an seinen Hals.
Wie lieb ihm jetzt diese Leidenschaft war.
– Ja, ich hatte Sehnsucht nach Dir.
Und er küßte sie und streichelte und sprach zu ihr, daß sie wirr wurde vor Glück.
– Dies Glück, dies Glück ... stammelte sie unaufhörlich.
Er preßte sie enger und enger an sich und horchte in sich hinein und schrie in sein Gewissen: Mikita! Mikita!
Ja, jetzt vergessen – Alles vergessen um Mikitas Willen ...
– Ja, Janina, ich bin bei Dir; ich bleibe Dir ...