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Domine Ter Breidelen, ward also ersucht, den folgenden Tag in dem Hause des Kaufmanns zu erscheinen, und der eifrige Dwanghuysen, welcher dieß sogleich von Meester Puistma erfuhr, fand sich, ungebeten, dazu ein.
Die Sitzung ward damit eröfnet, daß sich Ter Breidelen den ganzen Casum vortragen ließ, welches Meester Puistma, mit vieler Redseligkeit verrichtete. Darauf sagte der Domine viel triftige Dinge, von der Unnützlichkeit der heidnischen Weisheit, und sprach zugleich das Urtheil der ewigen Verdammniß über Sokrates und Antonin aus. Sebaldus wolte ihre Tugend und folglich ihre Seligkeit vertheidigen, aber dadurch machte er die Sache noch ärger, und ward selbst verdammt. Domine Dwanghuysen neigte sich darauf freundlichst gegen Domine Ter Breidelen, und zeigte in einer wohlgesetzten Rede, daß, so herzlich er sonst seine lutherischen Brüder liebe, so könne er doch eine so gefährliche Lehre, wie Sebaldus hege, auf keine Weise entschuldigen. Ter Breidelen rief: Sebaldus sey kein Lutheraner, sondern ein Synergist und Pelagianer; der die ächte lutherische Lehre, von der gänzlichen Verderbniß der menschlichen Natur verschmähe. Dwanghuysen erwiederte; fast sollte man denselben, der Holland so schädlichen Sekte der Arminianer beygethan halten, weil er zu behaupten schiene, die bekehrende Gnade, sey lenis suasio oder eine sanfte Ueberredung, welche Lehre in den Kanonen des Dordrechtschen Synods, Kap. IV,7. verdammt worden. Ter Breidelen rümpfte ein wenig die Nase, bey Erwähnung des Dordrechtschen Synods. Sebaldus erschrocken, daß er bey Behauptung der unschuldigsten Wahrheiten verdammt ward, und durch vorhergehende Verfolgung furchtsam gemacht, wolte sich entschuldigen, und sich dem angenommenen Lehrbegriffe gemäßer ausdrücken. Dieß verursachte einen weitläuftigen polemischen Wortwechsel, in welchem beide Domine sehr hart aneinander kamen. Denn ob sie gleich sehr einig waren, den Sebaldus zu verdammen, so wurden sie doch, durch seine Vertheidigung, über die Ursach der Verdammung wieder uneinig. Ter Breidelen besorgte nämlich, die Meinung des Sebaldus führe zu der schädlichen Lehre von der Prädestination, Dwanghuysen hingegen vermeinte, sie führe zu weit von dieser heilsamen Lehre ab. Dieß brachte sie in einen langen Disput über den Vorzug der Augspurgischen Confeßion und des Dordrechtischen Synods, wobey sie von Sebaldus Meinungen ganz weg geriethen, und nur endlich, da sie die Mittagsglocke ans Weggehen erinnerte, übereinkamen, daß Sebaldus nach keinem von beiden lehre. Er ward also abermahls unwiderruflich verdammt. Dwanghuysen ermahnte, als sie zur Thür hinausgiengen, seinen Kirchenvorsteher, und Ter Breidelen sein Kirchkind, einen so heillosen Menschen, der mit keinem einzigen Symbolum übereinstimmte, sogleich von sich zu lassen, und Dwanghuysen besonders, erwähnte nochmals beyläufig, des hirtenliebenden Jan Hagels.
Gutmüthige Layen, welche aufmerksam zuhören, wenn geistliche Herren, über die Orthodoxie und Heterodoxie eines andern streiten, befinden sich ohngefähr in der Lage, als wenn gewöhnliche Menschen, bey der Konsultation gelehrter Aerzte, über den ungewissen Zustand eines Kranken, zugegen sind. Sie trauen dem Patienten, nicht allein, bald alle die fremden Krankheiten zu, deren griechische Namen ihm von beiden Seiten zugeworfen werden, sondern, es fängt sie wohl selbst an, ein Schwindel, Kopfweh oder Gliederreissen anzuwandeln; wenn man die ganze Pathologie so vor ihnen die Musterung passiren läßt.
So gieng es dem Kaufmanne und seiner Frau, die den ganzen Streit voll Betäubung angehört hatten. Sie sahen bald den Sebaldus ganz furchtsam darüber an, daß er, wider alles Vermuthen, so gräßliche Lehren behaupte, bald wollten sie ihn, mit dem vielen Guten, das sie sonst an ihm bemerkt hatten, entschuldigen, bald fiengen sie an, für sich selbst zu fürchten, ob sie wohl in ihrem Christenthume so lau geworden, um die Irrlehren nicht zu fühlen, bald gereute es sie, daß die wohlangefangene Erziehung ihrer Kinder, wieder liegen bleiben sollte.
So herrschte beym Mittagsmahle ein todtes Stillschweigen, und einer sahe den andern ängstlich an, bis Meester Puistma, der, nach so wohlvollbrachter Verrichtung, sich Essen und Trinken sehr gut hatte schmecken lassen, noch zeitiger als sonst, zu seinem gewöhnlichen Mittagsschläfchen, vom Tische wegschlich.
Als er weg war, sagte Frau Elsabe, zum Sebaldus, mit niedergeschlagnen Augen: »Aber lieber Meister, warum habt ihr auch meinen Kindern heidnische Bücher vorgelegt?«
»Weil eure Kinder Griechisch lernen sollten und diese Bücher gut Griechisch geschrieben sind.«
»Aber warum habt ihr ihnen so böse gottlose Leute zur Nachahmung vorgestellt?«
»Urtheilt selbst, versetzte Sebaldus, ob sie böse und gottlos gewesen?« Hier erzählte er ausführlich die Geschichte des Sokrates, und schilderte den Charakter des Antonin. Er fragte, ob es nicht vielmehr gottlos sey, einen Fürsten zu verdammen, der nach seiner eignen Nachricht, von seinem Großvater gelernet: Leutselig zu seyn und sich nicht zu erzürnen; von seinem Vater: Bescheiden und männlich zu werden; von seiner Mutter: Gottesfurcht und Freigebigkeit, und nicht nur nichts Böses zu thun, sondern es auch nicht einmahl zu denkenS. Antonins Betrachtungen über sich selbst, 1stes Buch im Anfange. u. s. w.
Der Kaufmann und seine Frau hörten aufmerksam zu. Frau Elsabe gestand, wenn dieser Heide so gesinnet gewesen, könne es wohl nicht verdammlich seyn, ihn zum Beyspiele darzustellen. Ja sie möchte sich selbst nicht unterstehen, einen so guten Heiden zu verdammen.
Hiemit stimmte der Kaufmann überein. »Aber dieß ist nicht das schlimmste, sagte er zum Sebaldus; denn die Domine wissen ohnedem mit dem Verdammen geschwinder umzuspringen als unser einer. Das schlimmste ist, daß ich Euch wider Willen der Domine nicht im Hause behalten kann, weil sie allen Leuten sagen werden, daß ihr keine rechte gewisse Religion habt.«
»Eine rechte gewisse Religion? Mein Herr! die habe ich, Gott Lob! denn ich weiß, an wen ich glaube. Aber daß mein Glauben, mit dem, was verschiedene andere Leute glauben, oder andern Leuten, als Formulare zu glauben vorschreiben, zuweilen nicht übereinstimmt, ist nicht meine Schuld. Der Glauben ist eine Gewissenssache, welche nicht kann geboten werden. Ich laße gern einen jeden glauben, wovon er überzeugt zu seyn meinet, warum wollt ihr mir dieses nicht auch frey lassen?«
»Ich wohl, versetzte der Kaufmann, aber die Domine schwerlich. Die lassen sich nicht gern widersprechen. Wenn Ihr einmahl nicht vor rechtsinnig gehalten werdet, werden sie beständig gegen Euch was einzuwenden haben, und wenn ich Euch in meinem Hause behalte, auch gegen mich.«
»Und wenn ihr nicht recht lutherisch seyd, rief Frau Elsabe, wird's immer heissen, unsern Ehepakten sey kein Genüge geschehen, nach denen mein zweyter Sohn recht lutherisch erzogen werden muß.«
»Lutherisch! rief Sebaldus aus. Sind es denn etwann lutherische Glaubensartikel, worüber gestritten worden, oder wäre nur der geringste Streit gewesen wenn euer Meester Puistma nicht einen so unvernünftigen Lärmen gemacht hätte. Ich sondere mich ja von der lutherischen Kirche noch nicht ab. Und wenn ich es auch thäte. Sind denn die Menschen jeder Konfession, durchaus auch in eine eben so eingeschränkte bürgerliche Gesellschaft eingeschlossen. Muß der, der sich von dieser oder jener Lehrmeinung nicht überzeugen kann, deshalb auch aller bürgerlichen Gemeinschaft entsagen? Darf man, ohne den genauesten Glauben an theologische Formulare, nicht die alten Sprachen oder die Geographie lehren? Macht ein Verdacht des Pelagianismus, auch eine astronomische Rechnung unrichtig, oder eine Leibrentenberechnung unsicher? Wie weit wird endlich die Einschränkung durch Bekenntnißbücher gehen? Fragt man nicht fast schon, wenn man einen Bälgentreter, Pedell oder Einheizer braucht, ob er auch rechtsinnig sey. Endlich wird man nicht Luft schöpfen, oder einen Tritt ins Land thun dürfen, wenn man nicht erst die symbolischen Bücher unterschreibt!«
»Nein! versetzte der Kaufmann, da geht ihr zu weit, mein lieber Meister! Unsere hochmögenden und edelmögenden Herren, dulden in den sieben vereinigten Provinzen jedermann, weß Glaubens er auch sey. Nur freilich unsere ehrwürdigen Herren, examiniren diejenigen genauer, die sich in den Häusern der Rechtsinnigen aufhalten. Wenn Ihr nicht in meinem Hause wäret, könntet Ihr glauben, was Ihr wolltet – Aber, ich gestehe es Euch, da Euch die Domine anklagen, kann ich euch nicht bey mir behalten, und mit dem hirtenliebenden Jan Hagel mag ich auch nichts zu thun haben.«
»Wahr ists, sagte Frau Elsabe, mit einem Seufzer, Domine Ter Breidelen, würde es mir bey allen Hausbesuchen vorhalten.«
»Ja! fuhr der Kaufmann fort, und Domine Dwanghuysen, würde es mir in den kerkelyken Samenkomsten beständig zu hören geben, daß ich einen Arminianer herbergte.«
»Großer Gott! rief Sebaldus, die Hände gen Himmel hebend. – Gütigstes Wesen, voll allgemeiner Liebe, voll allmächtiges Wohlthuns! Wie ists möglich, daß die, die sich deine Diener nennen, selbst beinahe die Sonne, die du über Gerechte und Ungerechte scheinen lässest, denen entziehen wollen, die dir auch dienen, nur nicht nach ihrer Vorschrift, sondern nach eigenem Gewissen! wie ists möglich, daß sie sie aus der Welt stoßen möchten, wenns angienge! –« Er legte seine Stirn in seine linke Hand.
Frau Elsabe sagte, indem sie die Augen trocknete: »Nicht aus der Welt, lieber Meister! Es wird sich für euch ein anderer Aufenthalt finden.«
»Und ich will, setzte der Kaufmann hinzu, Euch dazu alle mögliche Anleitung geben. Wollt ihr nach Alkmaar zurück, oder sonst nach einer andern Stadt? –«
Sebaldus, ohne ihn zu hören, fuhr in seinem Selbstgespräche fort: »Was sollte Deine vernünftigen Geschöpfe, zu Verträglichkeit und Liebe mehr vereinigen, als dein Dienst, und was trennt sie mehr, zu bitterm Zanke und Feindschaft! –«
Der Kaufmann nahm ihn bey der Hand, und sagte: »Beruhigt Euch. Hört mich. Wollt Ihr zurück nach Alkmaar zu dem guten Pfarrer, oder wollt Ihr wieder nach Deutschland, oder denkt Ihr nach Ostindien zu fahren. Es sey wo es sey. Ich will Euch Rath, Empfehlung, Unterstützung geben.«
Sebaldus sahe ihn an, schlug die Augen wieder nieder, und sagte staunend: »Nach Alkmaar? – Ja das war ein guter lieber Mann, – so gut – wie Ihr, mein Herr! – – Aber wer steht mir dafür, daß ein anderer Eiferer, nicht Ihn, so wie Euch nöthiget, mir einen Platz unter seinem Dache zu versagen. – Nach Deutschland? Soll ich da schmerzliche Erinnerung, an das was mir lieb war, holen, und vielleicht noch eine neue Art von Verfolgern kennen lernen? – Nein! lieber nach Ostindien, so weit und so gefährlich der Weg auch ist. Vielleicht ist man dort noch vertragsam. Wo das Schulgezänk noch nicht Menschen gegeneinander aufgehetzt hat, wird wohl die Liebe nicht an Konfessionen gebunden seyn. Vielleicht fände sich da eine Gesellschafft, die, streitige Lehrmeinungen bey Seite setzend, nur gemeinsam erkannte Wahrheiten nutzen wollte, die, ohne nach Lehrformeln zu fragen, sich versammelte, um sich gemeinschaftlich zum Lobe Gottes zu ermuntern, sich gemeinschaftlich an gemeinnützige Pflichten zu erinnern. Welches Glück für mich, solche Gesellschafft zu finden! Welches Vergnügen, sie zu errichten! Oder ists nur ein schöner Traum? Mags doch! Dort ist wenigstens möglich, was in Europa durch Konfessionen und Synoden unmöglich gemacht wird.«
»Unmöglich? doch wohl nicht ganz; versetzte der Kaufmann. Wenn Ihr, lieber Freund, sonst keine Ursachen habt nach Ostindien zu gehen, als eine solche Gesellschaft zu suchen, so könnt Ihr sie viel näher, bey uns, finden. –«
»Wie? wo?« fiel ihm Sebaldus hastig ins Wort.
»In den vereinigten Provinzen, und selbst auch hier in Rotterdam. Sie heissen Kollegianten, oder Reinsburger, von einem Dorfe bey Leiden, wo sie jährlich zweymahl zusammen kommen, um das Abendmahl zu halten. Man findet sie besonders in Amsterdam, wo sie auch ein Waysenhaus haben. Ich habe daselbst ihren gottesdienstlichen Versammlungen, auf der Kaisersgracht, im Oranienapfel, oft mit inniger Erbauung beygewohnt.«
Der Kaufmann erzehlte nun dem Sebaldus auf Verlangen, kürzlich, die Geschichte und die Verfassung dieser bisher, in ihrer Art, einzigen Gesellschafft.
Sie entstand um 1619Wer von dieser vortreflichen Gesellschaft umständlichere Nachricht verlangt, kann sie finden, in S. F. Rues Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande der Mennoniten oder Taufgesinnten, wie auch der Kollegianten oder Reinsburger. Jena 1743. 8. S. 241. u. f., als politischer Ursachen willen, denen die Religion zum Vorwande dienen mußte, die Remonstranten so sehr verfolgt wurden, daß man ihnen auch nicht, Gottesdienst zu halten, verstatten wolte. Damals versammelten, um der unbilligen Härte der damaligen Gesetze zu entgehen, vier Brüder, Männer von unsträflichem Wandel, Kollegien oder Zusammenkünfte, wovon die Gesellschaft den Namen behalten hat. In der Folge geselleten sich zu ihnen, nicht wenig von den friedsamen Taufgesinnten, doch nicht sie allein; denn die Kollegianten, laßen zu ihren brüderlichen Versammlungen alle Christen, ohne auf besondere Lehrmeinungen oder Konfessionen, zu sehen; weil sie sagen: daß man in die Stadt Gottes durch verschiedene Thore eingehen könneS. Rues. S. 277.. Jeden unbescholtenen Mann, und der keine Meinungen vorträgt, die ausdrücklich der Bibel zuwider sind, lassen sie nicht allein zum gemeinschaftlichen Genusse des Abendmahls, sondern verstatten ihm auch, öffentlich über gemeinnützige Wahrheiten zu reden, wozu sie keine besonders bestellte Lehrer haben. Denn jeder, der Kraft in sich fühlt, nützliche Lehren zu geben, trägt sie, ohne Lehrton, wie ein Freund an Freunde vor, und pflegt, am Ende seiner Rede die Versammlung, bescheiden zu fragen: Ob jemand wider diesen Vortrag etwas einzuwenden habe, oder zur fernern Aufklärung der Wahrheit noch etwas beytragen wolle. Und hierauf fährt fort, wer will, mit gleicher Bescheidenheit seine Gedanken zu eröfnen.
Sebaldus war entzückt über diese Nachricht, und wünschte nichts, als bald ein Glied einer Versammlung zu seyn, die mit seinen Wünschen so vollkommen übereinstimmte. Da er in Rotterdam weder bleiben wollte noch konnte, so bekam er von dem Kaufmanne, nachdem er für seine Hofmeisterschaft anständig belohnet worden, Empfehlungsschreiben an einen ihm wohlbekannten Kollegianten in Amsterdam. Sebaldus suchte sogleich seine Sachen zusammen, die ein mäßiges Päckchen ausmachten, fuhr nach Gouda, setzte sich daselbst in die Nachtschuit, und ließ sich unter den frohesten Erwartungen fortziehen.