Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Fünfter Abschnitt.

Indessen hatte der Vorfall mit dem reformirten Taufzeugen in der Stadt kein geringes Aufsehen gemacht. Der Pastor Ehrn Lic. Wulkenkragenius predigte wider einen solchen grundstürzenden Irrthum, in den Vormittagspredigten, und der Archidiakon Ehrn Mackligius, ob er gleich sonst am Streiten keinen Gefallen hatte, war doch, da seinen Beichtkindern seine Reinigkeit in der Lehre verdächtig zu werden anfieng, genöthigt, sich in den Nachmittagspredigten zu vertheidigen. Die Erbitterung nahm täglich zu. Das ehrwürdige Ministerium theilte sich in zwey Parteyen, davon der größte Theil wider Mackligius war, und man faßte einen Ministerialschluß, vermittelst dessen sowohl der Archidiakon, als der Informator, wegen falscher Lehre, vor dem Konsistorium verklagt wurden.

Indessen dieses auf dem Tapete war, starb ein reicher Brauer, welcher mit der ganzen Schule, mit Wachslichtern und Schildern, und mit einer Leichenpredigt, begraben ward. Das ganze geistliche Ministerium gieng mit zur Leiche. Da war der Probst Ehrn D. Puddewustius, der Pastor Ehrn Buhkvedderius, der Pastor Ehrn Lic. Wulkenkragenius, der Archidiakonus Ehrn Weelsteertius, der Archidiakonus Ehrn Mackligius, der Diakonus Ehrn Mag. Slabörderius und der Diakonus Ehrn Pypsnövenius.

Ehrn Wulkenkragenius hielt eine Leichenpredigt von der Bewahrung der reinen Lehre. Er rühmte an dem seligverstorbenen, daß er vor den Kalvinischen Gräueln beständig den größten Abscheu gehabt habe, und daß die, mit Unrecht der Stadt aufgedrungene, Kalvinisten gewiß würden haben verdursten müssen, wenn alle andere Brauer, so wie er, den weltlichen Vortheil, dem Eifer für die Rechtgläubigkeit nachgesetzt hätten. Nach geendigter Leichenpredigt und verrichteter Beerdigung, kamen sie sämmtlich im Trauerhause zur Trauermahlzeit zusammen, wo diese Materie wieder vorgenommen, und die Indifferentisterey, daß man reformirte Taufzeugen zuließe, sehr bitter gerügt wurde. Ehrn Weelsteertius nahm sich des bedrängten Mackligius an. Der Streit ward sehr heftig; beide Theile schrien so stark, daß kein Theil den andern verstand; und weil die ministerialische Partey die heftigste und auch die stärkste war, so würde es vielleicht gar zu Thätlichkeiten gekommen seyn, wenn nicht die Minorität, die ihre Schwäche merkte, sich am Ende der Mahlzeit, nach der Hausthür gezogen hätte. Doch hatte das Gezänk auch auf der Gasse noch kein Ende. Der Pöbel lief zusammen, nahm an dem Streite der geistlichen Herren Antheil, und weil demselben, in seinem Eifer für die Rechtgläubigkeit, eben ein Kalvinischer Tuchmacher unglücklicher Weise in den Weg kam, so ward derselbe, zur Bestätigung der rechtgläubigen Lehre, mit Füßen getreten, und ihm ein Auge ausgeschlagen.

Dieser Vorgang, wobey sich die Regierungskanzley in Glückstadt, sehr unorthodoxer Weise, der Kalvinisten annahm, und dem geistlichen Ministerium mehrere Verträglichkeit und Behutsamkeit empfahl, machte des Mackligius Sache eben nicht besser. Lic. Wulkenkragenius, ein cholerischer Mann, der nicht verwinden konnte, daß ihm von der Obrigkeit, die doch nur aus Layen bestand, so ein trockner Verweis gegeben worden, arbeitete eifrig, daß der gute Mackligius ganz und gar vom Amte abgesetzt werden sollte. Hierinn stand ihm, unter der Hand, Diakon Pypsnövenius nicht wenig bey, als welcher, durch den mächtigen Beystand seines Gönners, des Kirchenprobstes D. Puddewustius, in die Archidiakonatsstelle zu rücken dachte. Aber Archidiakon Weelstertius und Diakon Slabörderius, welche von der Gegenpartey waren, und überdem von der Vakanz, die durch Mackligius Absetzung entstanden seyn würde, keinen Vortheil zu ziehen wußten, brauchten ihre Bekanntschaften in vornehmen Häusern, wo sie Hofmeister gewesen waren, dergestalt, daß nur bloß aus dem Konsistorium ein Befehl an Mackligius ergieng, seinen Informator nie wieder die Kanzel besteigen zu lassen, und sich, der Reinigkeit der Lehre wegen, mit einem neuen Eide zu verbinden. Diesen leistete er zwar ungesäumt, aber er verlor nichtsdestoweniger sein Filial. Denn der Edelmann, der sich für die Reinigkeit der Lehre hätte erstechen lassen, hatte von ihm, durch die heimlichen Einblasungen des Diakon Pypsnövenius, solch eine widrige Meinung bekommen, daß er ihn weiter auf seinem Erbgute nicht dulden wollte, sondern seine Pfarre dem Landprediger Ehrn Suursnutenius, einem ehrbaren konkordanzfesten Manne verlieh, zu nicht geringem Mißvergnügen des Diakon Ehrn Pypsnövenius, welcher, da ihm die Archidiakonatsstelle zu Wasser geworden, durch die kräftige Rekommendation des Kirchenprobsts, das Filial gewiß nicht zu verfehlen gedachte. Gleich wie man aber leider! mehrere Beyspiele hat, daß die Kirche der Küche weichen muß, so war auch hier die Rekommendation des Probstes nicht so kräftig, als die Rekommendation der Haushälterinn des Edelmanns, welcher Suursnutenius von ihrer Base war empfohlen worden, die da war eine Halbschwester eines Dingschreibers, dessen Mutter Gevatterinn war von einem Geschwisterkinde der Frau eines Kammerdieners, dessen gnädige Frau eine Kammerjungfer hatte, welche Beichtkind war eines Predigers in einer andern Stadt, dessen Kinder Ehrn Suursnutenius eine Zeitlang unentgeldlich unterrichtet hatte. Dieß verursachte zwischen Ehrn Suursnutenius und Ehrn Pypsnövenius einigen Wortwechsel, und nachher nicht geringe Kaltsinnigkeit, welche endlich Anlaß gab, daß die gewöhnliche Freytagsversammlung sich ganz und gar zerschlug. Der Himmel weiß, wie es seitdem mit der Kenntniß der neuen Litteraturgeschichte, und mit den Bärten der Landprediger, in diesem Theile Holsteins, beschaffen seyn mag.

Doch mit dem guten Sebaldus war es, auf alle Weise, noch viel schlechter beschaffen. Da Ehrn Mackligius ihn bloß des Filials wegen zu sich genommen hatte, so wußte er ihn nunmehr ferner gar nicht zu gebrauchen, sondern dankte ihn unverzüglich ab. In der Stadt wollte niemand einen Mann unter sein Dach nehmen, der die gottlose Irrlehre gepredigt hatte, daß man alle seine Nebenmenschen, wenn sie auch von anderer Religion wären, lieben müsse. Der Kammerjunker, ein Mann von feiner politischer Weisheit, hielt es seinem guten Vernehmen mit verschiedenen Männern, die im Lande ansehnliche Aemter bekleideten, nicht zuträglich, einen Heterodoxen zu beschützen. Sebaldus würde also unter freyem Himmel haben verschmachten müssen, wenn ihm nicht der Schiffer, dessen Kind mit einem Reformirten Taufzeugen getauft worden war, freywillig sein Haus angeboten hätte.

Kaum war dieses geschehen, so erhielt er von seinem Freunde Hieronymus, auf den an ihn geschriebenen Brief, eine Antwort, welche seine Betrübniß vollkommen machte. Hieronymus hatte sich bey dem Verwalter nach Marianen erkundigt, und weiter nichts zur Antwort erhalten, als daß Mariane, mit Zurücklassung aller ihrer Sachen, die er, für das vom Sebaldus mitgenommene Pferd, zurückbehalten habe, entlaufen sey, niemand wisse wohin.

Diese Nachricht brach dem Sebaldus gänzlich das Herz. Von seinem Sohne hatte er schon seit vielen Jahren keine Nachricht. Seine Tochter war nunmehr auch für ihn verloren, und ihre Aufführung schien seiner unwürdig zu seyn. Er selber hatte nur dem Mitleiden ein Obdach zu verdanken, und er sahe keine Aussicht, wie er sein mühseliges Leben auch nur kümmerlich fortschleppen könnte.

Der Schiffer, dem sein Zustand zu Herzen gieng, schlug ihm vor, daß er nach Ostindien, der allgemeinen Zuflucht der unglücklichen Europäer, gehen sollte, und erbot sich, ihn nach Amsterdam, wohin sein Schiff eben absegelte, umsonst mitzunehmen. Dieser Vorschlag ward von dem bekümmerten Sebaldus mit beiden Händen angenommen, der nun nichts mehr hatte, was ihn in diesem Welttheile zurückhalten konnte. Er nahm schriftlich vom Hieronymus, seinem einzigen Freunde, den letzten Abschied, und empfahl ihm, seinen Kommentar über die Apokalypse, bis er aus Ostindien von ihm Nachricht erhielte, in Verwahrung zu behalten. Darauf fuhr er mit dem Schiffer nach Brunsbüttel, wo dessen Schiff lag. Er stieg an Bord, und in wenig Tagen lichteten sie die Anker, erreichten Cuxhaven, und stachen mit gutem Winde in die See.

Ende des sechsten Buches.


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