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Der Pastor Sebaldus und die schöne Wilhelmine, brachten die ersten Monate nach ihrer Verheirathung, welche sonst andern neuverehlichten Paaren die Zeit einer girrenden Zärtlichkeit zu seyn pflegen, vielmehr in einer Art von Kälte und Verlegenheit zu. Sebaldus bemerkte einen Abstand zwischen seiner landmännischen Treuherzigkeit, und den feinen Hofmanieren seiner vornehmen jungen Frau. Er konnte sich noch nicht recht darum schicken, mit ihr als mit seines gleichen umzugehen. Wilhelmine, auf ihrer Seite, konnte den wohlgeputzten Hof, den sie verlassen hatte, nicht so geschwind vergessen. Das Andenken der Pracht der von der Fürstinn abgelegten Kleider, in der sie sich oft der gaffenden Menge der Zofen und Kammerdiener gezeigt hatte, verleidete ihr ihren ländlichen aber neugemachten Anzug. Es war ihr sogar verdrüßlich, daß sie ferner nicht Aufwartung machen, und sich vor höheren Personen tief verneigen sollte. Das Glück unabhängig zu seyn, schien ihr Erniedrigung. Die ungekünstelte Schönheit der Natur, die sie auf dem Lande vor sich hatte, konnte sie noch nicht wegen des Flitterstaats der Kunst, den sie nun nicht mehr erblickte, schadlos halten. Sie erinnerte sich mit Sehnsucht der glänzenden Scenen von Bällen, Concerten und Schlittenfahrten, die sie oft – angesehen hatte, noch mehr des gnädigen Kopfneigens der Fürstinn, durch das sie zuweilen unter der Menge gaffenden Hofgesindes war hervorgezogen worden. Sie that bey jeder Gelegenheit kleine Reisen in die Stadt, und unterließ nicht, ihre Aufwartung bey Hofe zu machen. Sie merkte aber gar bald, daß man sich am Hofe um die nicht bekümmert, die man nicht braucht, und daß ihre Stelle von andern eingenommen war. Dies kostete ihr zwar manche Thräne, war aber doch die erste Ursach, daß ihr ihr itziger Zustand erträglicher vorkam, und daß sie anfieng, die guten Gesinnungen ihres Sebaldus anzusehen, welche zu bemerken, sie bisher durch sein unmodisches Kleid und durch seine ungepuderte Peruke war verhindert worden. Sie erwiederte seine Liebkosungen mit freundlichen Blicken, er kam ihr mit Freundschaftsbezeugungen zuvor. Aus diesem Wechsel von Gefälligkeiten, entstanden bey beiden Empfindungen einer Glückseligkeit, die sie vorher noch gar nicht gefühlt hatten.
Von dieser Zeit an, vergaß die schöne Wilhelmine völlig den Hof, und ward ganz eine Landwirthin. Vorher hatte sie nur zu gehorchen gewust, nun begann sie zu regieren. Es kostete ihr einige kleine Liebkosungen, so fieng Sebaldus, der bisher als ein halber Wilder gelebt hatte, an, sich fleissiger den Bart zu putzen, und nicht so viel Federn auf seinem schwarzen Rocke zu leiden. Durch gleiche Freundlichkeit, erstreckte sie bald ihre Herrschaft auf ihre Nachbarinnen, die sie bisher durch ein gnädiges Hoflächeln weggescheuchet hatte. Nun erwarb sie bald derselben Vertraulichkeit, ertheilte den Wohlhabenden guten Rath, den Armen Allmosen, und ward in kurzer Zeit im Kirchspiele eben so beliebt, als ihr Mann schon vorher gewesen war.
Diese Liebe hatte sich Sebaldus durch die Sorgfalt, die er für seine Gemeine trug, erworben. Er war in den Häusern seiner Bauern als ein Vater und als ein Rathgeber willkommen. Nie ließ er es dem Bekümmerten an Trost, nie dem Hungrigen an Labsal fehlen. Er war von allen häuslichen Vorfällen unterrichtet, nicht, weil er in das Hausregiment der Layen einen Einfluß zu haben suchte, sondern weil er von ihnen bey allen ihren Verlegenheiten um Rath, bey allen ihren Zwistigkeiten um Vermittelung ersucht ward. Er war gewohnt, in seinen Predigten nicht auf die Laster zu schelten, aber wenn ein Laster in der Gemeine verübt wurde, pflegte er, ohne desselben zu gedenken, die entgegengesetzte Tugend einzuschärfen. Daher richtete er seine Predigten auch mehr nach den Bedürfnissen seiner Gemeinde als nach der Folge der Evangelien ein. Er hat wohl eher über das Evangelium vom Zinsgroschen: von den Vortheilen eines mässigen und nüchternen Lebens gepredigt, bloß weil sich kurz vorher ein paar Bauren in der Schenke betrunken hatten. Als er einst vergeblich versucht hatte, zween Bauern, die in offenbarer Feindseligkeit lebten, zu vergleichen, und von dem einen hart mit Worten war angelassen worden, predigte er am Tage St. Stephani des Märtyrers: von der ersten Pflicht wahrer Christen, ihren Nächsten zu lieben, und gedachte der empfangenen Scheltworte nicht, ob ihm gleich die Worte des Evangelium: Jerusalem, die du tödtest die Propheten und steinigest, die zu dir gesandt sind, die schönste Gelegenheit dazu gegeben hätten.
Zu beklagen war es freilich, daß dieser sonst gutherzige Mann, und der beym Antritte seines Amtes auf die symbolischen Bücher geschworen hatte, in seinem Herzen nichts weniger als orthodox war. Ueber das athanasische Glaubensbekenntniß hat er zwar sich niemals erklärt, nur weil er anstatt des Liedes: Wir gläuben all an einen Gott etc. welches sonst alle Sonntage in seiner Kirche war gesungen worden, oft ein geistliches Lied von Gellerten singen ließ, war er bey einigen vielleicht allzubrünstigorthodoxen Landpredigern in der Nähe, nicht in allzugutem Geruche. Ueber die Lehre von der Genugthuung aber äußerte er bey Gelegenheit viele Zweifel. Er verschwendete (ohne Exegese, von der er wenig hielt) viel philosophische Spitzfündigkeit, um dieser Lehre eine bessere Form zu geben; denn er war ein eifriger Anhänger der Crusiusschen Philosophie, welche unter allen andern Philosophien am geschicktesten scheinet, die Theologie philosophischer, und die Philosophie theologischer zu machen. Am meisten aber ging er in der Lehre vom tausendjährigen Reiche und von der Ewigkeit der Höllenstrafen von der Dogmatik ab. Er glaubte das erstere steif und fest, und von der letztern hatte er sich nie überzeugen können. Er glaubte, daß in dem himmlischen Jerusalem alle Gottlosen fromm werden würden. Diese tröstliche Hofnung hatte er aus einem fleissigen Studium der prophetischen Bücher der Schrift, besonders der Apocalypse geschöpft, welches Studium er schon seit langen Jahren mit unablässigem Eifer getrieben hatte. Er war auf eine sehr sonderbare Weise darauf gekommen, diese Bücher vorzüglich zu studieren. Er hatte sich schon in seinen jüngern Jahren, durch sorgfältiges Nachdenken überzeugt, daß der Willen Gottes, der unsre itzige und zukünftige Glückseligkeit bestimmt, wenn auch Gott für gut befunden habe ihn besonders zu offenbaren, dennoch auch nothwendig durch Vernunft müsse eingesehen werden können, und mit der Vernunft übereinstimmen müsse. Die einzige Offenbarung, die uns etwas ganz unbekanntes entdecken könnte, worauf die blosse Vernunft nie gefallen seyn würde, glaubte er, sey die prophetische Offenbarung von zukünftigen Dingen. Nachdem er also bey sich über den Werth aller dogmatischen und moralischen Wahrheiten einig war, indem er keine dogmatische Wahrheiten für nöthig und nützlich hielt, als die auf das Verhalten der Menschen einen Einfluß haben, und sich mehr angelegen seyn ließ, alle moralische Gesetze Gottes auszuüben, als sie zu zergliedern oder zu umschreiben; so hatte er sich ganz dem Studium der prophetischen Schriften gewidmet. Jeder Mensch hat sein Steckenpferd, und Sebaldus hatte die Apocalypse dazu erwählet, welches er auch, seine ganze Lebenszeit durch, vom Montage bis zum Freytage fleißig ritt. Nur der Sonnabend, wenn er sich zu seiner Predigt vorbereitete, und der Sonntag, wenn er sie hielt, war moralischen Betrachtungen gewidmet. Denn so sehr er auch die Prophezeyungen der Untersuchung eines scharfsinnigen Kopfes würdig hielt, so wenig glaubte er, würden seine Bauern davon verstehen oder nützen können, und es war sein unwiderruflicher Willen, seinen Bauern nichts zu predigen, als was ihnen sowohl verständlich, als nützlich wäre.
Er hatte mit vielen seiner wohlehrwürdigen Amtsbrüder, denen er sonst in so vielen Stücken unähnlich war, dennoch eine besondere Aehnlichkeit. Man solte kaum glauben, daß viele Landprediger, die den Sontag mit lauter Stimme das Gesetz predigen, und die Ungläubigen und Ketzer, mit starken Ausrufungen und Citationen aus dem Grundtexte, so fein zusammenzutreiben wissen, eben die Männer wären, die man die ganze Woche über, als dickstämmige Pächter, wilde Pferdebändiger, drolligte Trinkgesellschafter, und vorsichtige Wucherer gesehen hat. Eben also, wenn man, des Sontags den einfältigen, allen Bauern verständlichen Vortrag des Pastor Sebaldus hörte, so hätte man sich kaum vorstellen sollen, daß dis der grundgelehrte Mann sey, der alle Commentarien über die prophetischen Bücher durchstudirt hatte, der alle alte und neue Prophezeyungen nebst ihren Erfüllungen und Nichterfüllungen auf ein Haar wuste, der Vorbilder und Gegenbilder, wie Schachtel und Deckel zusammenpassen konnte, dem keine Meinung der Mystiker und Gnostiker entgangen war, der Buchstabenziffern und Jahrwochen, prophetische Zeitzirkel und abgekürzte Abendmorgen, bildliche Geschichte und weissagende Träume, nebst der ganzen Kabbala und dem Buche Raja Mehemna gänzlich inne hatte, und aus diesem reichen Stoffe mit Hülfe der Crusiusschen Philosophie, die feiner als die feinste Nadel zugespitzt, die einfachsten Begriffe zertheilen, und sogar die beiden Seiten einer Monade von einander spalten kan, eines der scharfsinnigsten Gewebe von Prophezeyungen aus der Apokalypse gezogen hatte, dem, Crusius unumstößliche Hypomnemata der prophetischen Theologie, Bengels unwidersprechliche Auflösung der apocalyptischen Weissagungen, Don Isaak Abarbanels Majeneh Jeschuah und Michaelis unwiderlegliche Erklärung der siebenzig Wochen, zwar vielleicht an Richtigkeit und Wahrheit, aber gewiß nicht an Neuheit, Scharfsinn und sinnreicher Aufklärung der dunkelsten Bilder zu vergleichen sind.
So wie die meisten großen Begebenheiten, aus sehr geringfügigen Ursachen zu entspringen pflegen, so ging es auch derjenigen Hypothese über die Apokalypse, auf die sich Sebaldus am meisten zu gute that. Wilhelmine war, als sie vom Hofe kam, sehr französisch gesinnet, sie sprach und laß gern französisch, sie ließ sich sogar merken, daß sie nichts eifriger wünschte, als einmahl in ihrem Leben Paris zu sehen, und warf es ihrem Mann mehr als einmahl vor, daß er gar nichts von französischer Artigkeit an sich hätte. Nun fügte es sich unglücklicher Weise, daß der ehrliche Sebaldus schon vorher an allem, was französisch war, einen überaus großen Misfallen hegte. Es war ihm von Jugend auf in der Schule ein herzlicher deutscher Haß gegen die Krone Frankreich eingeprägt worden, man hatte ihm oft wiederhohlt, daß sie nebst dem leidigen Türken der Erb- und Erzfeind von Deutschland sey, daß sie den Kaiser und Reich so oft bekrieget, und ganze Provinzen von dem deutschen Reiche abgezwackt habe. Da nun Frankreich ausser dem vielen und öftern Unheil, das es auf deutschem Boden angerichtet hatte, sich auch gar in des Sebaldus Hausangelegenheiten mengte, (denn er ließ sichs nicht ausreden, daß bloß die Liebe zur Französischen Sprache Ursach sey, daß ihn Wilhelmine nicht so herzlich liebte, als ers wünschte), so verdoppelte sich sein Haß gegen alles was französisch war. Weil er nun sonst kein Mittel sahe, seinen Unwillen auszuladen, so wandte er sich mit Ernst zu seiner allgemeinen Zuflucht, der Apocalypse, und forschte nach, ob denn in diesem Magazine von Weissagungen, nicht eine Weissagung wider die Franzosen enthalten seyn sollte.
Es hat einer von den zweihundert schwäbischen Theologen, die die Offenbarung Johannes erkläret haben, es als einen sichtbaren Beweis der wirklichen göttlichen Inspiration dieses Buchs angegeben, daß man alles darin finde, was man mit aufrichtigem Herzen darin suche. Dis erfuhr auch Sebaldus. Denn da er die Apocalypse mit einem Seitenblicke auf Frankreich las, so glaubte er gewisse bisher geheime Bilder in der unstreitigsten Klarheit zu sehen, und er überzeugte sich gänzlich, daß ein großer Theil der Offenbarung Johannes, nichts als ein Compendium der französischen Geschichte wäre, das vor dem Hainault und Mezeray nur den einzigen Vortheil habe, daß es etwas über tausend Jahre eher geschrieben worden, als die Begebenheiten sich zugetragen hätten. Er war fest versichert, daß die große Babylon im XVIIten Capitel, weder die Stadt Rom noch die Freymäurerey, sondern die Stadt Paris andeute. Die Bedeutung der beiden Thiere im XIIIten und XVIIten Kapitel, konte er aus dem P. Daniel erläutern, den er deshalb ausdrücklich, nach der nürnbergischen Uebersetzung, durchgelesen hatte. Die Entdeckung aber, worauf er sich am meisten einbildete, war, daß die Zahl des ersten Thieres 666 oder χξς, die Jesuiten bedeute, deren Verjagung aus Frankreich, er wirklich einige Jahre eher wuste, als der Herzog von Choiseul daran gedacht hatte. Nebenher war er auch versichert, daß das Büchlein im Xten Capitel, daß im Munde süß war wie Honig, und hernach im Bauche grimmete, offenbar auf viele schlüpfrige sittenverderbende französische Duodezbände gedeutet werden müsse, die wir Deutschen mit so vieler Begierde lesen. Alle diese und mehrere neue Entdeckungen über die Apocalypse, samlete er in einem großen Werke, an dem er unabläßig arbeitete.
Freilich hatten, diese gelehrte Bemühungen, nicht ganz den Beifall der schönen Wilhelmine. Sie warf sich zwar, nachdem sie den Hof gänzlich verlassen, in die Litteratur, so wie sich die vom Hofe verwiesenen französischen Damen in die Devotion werfen; aber diese Litteratur war von der, die Sebaldus trieb, himmelweit unterschieden. Wilhelmine war eine süsse Verehrerin der schönen Wissenschaften, wovon Sebaldus ganz und gar nichts verstand. Sie hatte alle gute deutsche und französische Dichter fleißig gelesen, und führte in der Conversation nicht selten Stellen daraus an. Im Urtheile über den Werth der Romanen, war sie das Orakel der ganzen Gegend. Sie war aber auch in der ganzen Gegend die einzige, die alle unsre besten neuern Dichter, ganz frisch von der Presse, und die Bremischen Beiträge, die Sammlung vermischter Schriften, und die Briefe die neueste Litteratur betreffend, stückweise kommen ließ. Von ihr erhielten sie die wenigen gnädigen Fräulein, die Landprediger und die Conrectoren in den benachbarten kleinen Städten, die noch in der dortigen Gegend unsere schönen Geister des Lesens würdigten.
In der Philosophie waren Sebaldus und seine Wilhelmine noch weit mehr von einander unterschieden. So sehr er ein eifriger Crusianer war, eben so sehr war sie aus allen Kräften der Wolfischen Philosophie ergeben. Sie hatte Wolfs sämtliche deutsche Schriften gelesen, besonders aber wuste sie desselben kleine Logik auswendig. Wenn eine von ihren Freundinnen sich den Geschmack bilden wollte, so pries sie derselben das zehnte Kapitel wie man von Schriften urtheilen soll, nebst dem eilften an, wie man Bücher recht mit Nutzen lesen soll. Der Crusiusschen Philosophie war sie von Herzen gramm, welches auch kein Wunder war, weil sie sich niemals hatte überwinden können, eine einzige von den Schriften des Hochwürdigen Mannes zu lesen. Sebaldus gab sich oft alle mögliche Mühe, sie dahin zu bringen, daß sie nur wenigstens Wüstemanns Compendium der Crusiusschen Philosophie durchlesen solte, welches er für eine nahrhafte Milch für unmündige Philosophen hielt. Umsonst! Sie legte es, nachdem sie sechs Seiten durchgelesen hatte, mit Verachtung aus der Hand, und war und blieb eine Wolfianerin.
Es ist leicht zu begreifen, wie die Philosophie der schönen Wilhelmine zuweilen eine kleine Unordnung im Hauswesen habe verursachen können, und wie möglich es gewesen, daß ein neuangekommenes Stück der Litteraturbriefe der zureichende Grund seyn können, daß der Reißbrey anbrennen muste. Solche kleine häusliche Widerwärtigkeiten störten aber keinesweges die beiderseitige Zufriedenheit. Da Sebaldus gemeiniglich zu eben der Zeit über ein Gesicht aus der Apocalypse geschwitzt hatte, so schmeckte er entweder den Fehler der Speise nicht, oder nahm ihn ganz gutherzig auf sich, weil er glaubte, er habe auf sich allzulange warten laßen. So gebiert das Bewustseyn eigener Schwachheiten Toleranz, und Toleranz gebiert Liebe.
Im Anfange freilich verursachten, die sich gerade entgegen gesetzten gelehrten Meinungen beider Eheleute, unter ihnen manchen heftigen Zwist, so bald aber nur die beiderseitige Zuneigung stärker geworden war, so konten die verschiedenen Meinungen nicht mehr den Wachsthum ihrer Liebe hindern. Auf die Philosophie, über die sie sich so oft ohne Erfolg gestritten hatten, liessen sie sich ferner gar nicht ein. Hingegen ließ sich Sebaldus zuweilen gefallen, von Wilhelminen ein Stück aus einem neuen deutschen Schriftsteller vorlesen zu hören, (denn wider die französischen Schriften hatte er sich allzudeutlich erkläret, als daß sie sich derselben zu erwähnen getrauet hätte,) Wilhelmine war auch zuweilen so gefällig, von ihrem Manne ein Stück seiner neuen Erklärung der Apocalypse mit Parallelstellen aus P. Daniels Geschichte bestärkt, sich vorlesen zu lassen. Sie rief wohl zuweilen aus: »sinnreich! wirklich sehr sinnreich!« Mit diesem Beifalle war er vergnügt wie ein König. Er ließ ihn auch nicht unbelohnt. Er setzte sich ans Clavier, und spielte ungebeten einige der Oden mit Melodien, von denen er wuste, daß sie seiner Frau am angenehmsten waren. Wilhelmine sang mit frohem Herzen dazu, und gewöhnlich war ein solcher Auftritt eine reiche Quelle guter Laune für diesen und einige folgende Tage.
Gegen das Ende der erstern neun Monate ihres Ehestandes, ward er mit einem Sohne gesegnet, dessen sich der Hofmarschall aus alter Bekanntschaft besonders annahm. Er ließ ihn oft zu sich in die Stadt holen, beschenkte ihn, und konnte lachen, daß ihm der Bauch schütterte, wenn der Junge, der von seiner ersten Jugend an versprach, einst ein durchtriebener Kopf zu werden, einen Umstehenden in die Waden zwickte, oder sonst jemand einen kleinen Schabernack anthat. Als der Knabe sechs Jahr alt war, so nahm er ihn ganz zu sich, so, daß er seitdem seine Aeltern nur selten zu sehen bekam. Im vierzehnten Jahre war der Knabe so weit gekommen, daß er die muthwilligen Neckereyen, die der Hofmarschall so oft in seiner ersten Kindheit an ihm bewundert hatte, auch an seinem Wohlthäter selbst auszuüben anfing. Dieser machte sich also nicht so viel daraus, einen Knaben ferner um sich zu haben, dessen Witze er zwar Beifall gab, wenn er andere hohnneckte, aber nicht, wenn er sich auch an ihn, den Hofmarschall selbst, wagte. Er besann sich, daß er einen guten Freund hatte, der Curator über eine etwa 25 Meilen entlegene Fürstenschule war, in derselben verschafte er dem jungen Nothanker eine Freystelle. Als der Knabe in derselben sechs Jahre verharrt hatte, und es nun Zeit schien, ihn auf Universitäten zu bringen, verschafte er demselben durch gleiche Protection zwey Stipendien auf einer berühmten Universität. Weil nun zwey Stipendien einträglicher waren, als eins, so konnte der junge Nothanker auch seine Studien mit viel glücklicherm Erfolge fortsetzen, als sonst ein armer einfacher Stipendiat hätte thun können. Er studierte also nicht allein in den Collegien, sondern auch in den Caffehäusern, bey den Jungemädgen, in den Dorfschenken, und überhaupt cavaliermässig in der großen Welt. Er machte auch Verse und Satiren, wodurch er denn bald ein Mitglied der deutschen Gesellschaft des Ortes ward. Von der Philosophie machte er Profession, und setzte sich schon in seinen Studentenjahren vor, in derselben einst große Veränderungen vorzunehmen, in der philosophischen Kritik aber war er so stark, daß er den Longin und Home, immer beym dritten Worte citirte. Diese Nachrichten erfreueten Wilhelminen ungemein, welche ihn als ihren würdigen Erben ansahe, obgleich Sebaldus ein wenig darüber den Kopf schüttelte, und die Hofnung, die er sich seit zehen Jahren gemacht hatte, ihn zum Adjunkt seiner Pfarre zu bekommen, beinahe aufzugeben anfing.
Etwa sechs Jahre nach der Geburt des Sohnes, eben als die Zuneigung zwischen Sebaldus und Wilhelminen zur wärmsten Zärtlichkeit gestiegen war, wurden sie mit einer Tochter erfreut, die den Namen Mariane bekam. Sie war von ihrer ersten Jugend an, der Gegenstand der väterlichen und mütterlichen Zärtlichkeit. Besonders wendete Wilhelmine ihre ganze Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Tochter. Sie unterwies sie in allen weiblichen Arbeiten und in der französischen Sprache, ihr Vater war ihr Lehrer in der Geschichte und Erdbeschreibung, und beide vergaßen nichts um den Geist und das Herz dieser geliebten Tochter zu bilden. Als Mariane sechszehn Jahre alt war, hatte sie die besten deutschen und französischen Schriftsteller gelesen. Wenn ihre häuslichen Geschäfte geendigt waren, so war ihr Amt, wechselsweise ihrer Mutter vorzulesen, oder auf dem Claviere zu spielen, worauf ihr Vater ihr erster Lehrmeister gewesen war, und ihr eigner Fleiß sie zu mehrerer Vollkommenheit gebracht hatte. Eine sanfte Seele, ein mitleidiges Herz, krönte ihre übrige gute Eigenschaften, und gab ihnen in den Augen ihrer Eltern noch einen viel größern Werth.
Als diese älteste Tochter schon erwachsen war, wurde das Haus mit noch einer kleinen Tochter vermehret, die auch die besten Hofnungen von sich gab, da sowohl Wilhelmine als die junge Mariane wetteiferten, der kleinen Charlotte die beste Erziehung zu geben.