Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Dritter Abschnitt.

Es hatten damals die Herren Landprediger, zwey Meilen in die Runde um dieses Städtchen, ein sehr nützliches Institut angefangen, das wir allen Landpredigern, innerhalb und außerhalb Holstein, zur Nachahmung höchlich anrathen wollen. Es ist ein sehr gemeiner, und sehr oft nicht ungegründeter Vorwurf, den man den Landpredigern macht, daß sie auf dem Lande selbst zu Bauern und Kossäthen werden, und gänzlich vergessen, daß sie Gelehrten sind. Die Hauptursach davon ist wohl, daß sie, außer etwan auf Synodalversammlungen oder auf Wittwenkassenberechnungen, selten zusammenkommen. Sie erfahren daher nichts von dem, was in der gelehrten Welt vorgehet, und verlieren also alle Lust, sich um gelehrte Sachen zu bekümmern, die ganz außer ihrem Gesichtskreise liegen.

Diesem Uebel vorzubeugen, war, auf Veranlassung des jüngsten Diakonus in der Stadt, Ehrn Pypsnövenius, unter den sämmtlichen Landpredigern dieser Diöces die Verabredung genommen worden, daß sie, besonders im Sommer, alle Freytage Nachmittags zur Stadt kamen. Sie ließen sich zuvörderst sämmtlich balbieren, auch sollen sie wohl, unter der Hand, Dispositionen von vorjährigen Predigten gegeneinander ausgewechselt haben, die dadurch auf dieses Jahr wieder brauchbar wurden. Alsdann begaben sie sich zu Ehrn Pypsnövenius, wo sie die neuen Stücke der Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit allemal auf dem Tische fanden. Wenn diese gelesen, und darüber diskurirt worden war, so wurden wohl, wenn es die Zeit erlaubte, noch andere neue oder nützliche Bücher vorgelesen: z. B. des Hrn. D. Heins patriotischer Medikus, die in Bützow herauskommende Sammlung vermischter Schriften des tiefsinnigen Hrn. Reinhard, verschiedene Deutsche Schriften des Hrn. D. Crusius, als, der Gnomon, oder Zeiger zum richtigen Verstande des Propheten Jesaias, der Plan der Offenbarung Johannis, die Prophetische Theologie u. a. m. desgleichen einige aus Rudolstadt eingeschickte Einladungsschriften des Hrn. Direktor Ulrich, oder Leichenpredigten des Hrn. Inspektor Biel, die neuesten Lateinischen Verse der Hamburgischen Gymnasiasten, auch wohl einige ungedruckte neue exegetische Entdeckungen des Hrn. Erichson in Storkow, oder neue dogmatische Erinnerungen von Hrn. Paulsen in Wedel, oder neue politische Remarken und Epigrammen von Hrn. Westphal in Tönning.

Wenn dieses vorbey war, wurde um sechs Uhr, damit die fremden Gäste beizeiten nach ihrer Heimath zurückreisen konnten, gegen eine gesetzte Zeche von sechs Lübschillingen, eine Abendmahlzeit von Holsteinischem Rauchfleische und Schlackwürsten, nebst gutem altem Eutiner Biere aufgetragen. Dabey erzeigte sich die Gesellschaft fröhlich, und jeder der Gäste erzählte dann, was an seinem Orte merkwürdiges vorgefallen war. Jubelhochzeiten, Zwillinge, oder Drillinge, Kälber mit sechs Füßen, oder Hunde mit zwey Köpfen, Mordgeschichten und Hagelschaden, wurden nicht leicht übergangen. Eine Neuerung in der Lehre oder in der Kirchenzucht aber durfte kaum irgendwo aufducken, so ward sie unfehlbar in dieser Versammlung angezeigt, die auswärtigen herzlich beseufzet, die innländischen aber, (die freylich sehr selten vorfielen,) zur Ahndung empfohlen. Durch diese Anstalt ward die Reinigkeit der Lehre in diesem ganzen Kirchsprengel nicht wenig befördert; denn Ehrn Pypsnövenius trug das, was in der Versammlung berichtet worden war, jederzeit den folgenden Sonntag, nach geendigter Vesper, dem Kirchenprobste Ehrn D. Puddewustius zu, der denn, nach Beschaffenheit der Umstände, die weisesten Maßregeln nehmen konnte.

Einst berichtete auch, in dieser Versammlung, einer der Landprediger, Ehrn Suursnutenius, daß sein Schulmeister, ein Leinweber, und feiner wachsamer Mann, der die symbolischen Bücher ad unguem auswendig wisse, am vergangnen Sonntage in dem Filiale Ehrn Mackligii, von dessen Informator eine Predigt gehört habe, worinn behauptet worden, »daß man die Christen von andern Religionsparteyen als seine Brüder lieben müsse.« Ehrn Suursnutenius setzte für sich hinzu, hieraus würde folgen, daß man auch die Kalvinisten als seine Brüder lieben müsse, welcher Satz, bey itzigen Umständen, um so viel bedenklicher sey, da ja bekanntlich, aller Vorstellungen Rev. Ministerii ungeachtet, verschiedene Kalvinische Tuchmacher in der Stadt das Bürgerrecht erhalten hätten, zum großen Schaden und Aergerniß der alt-evangelischen Einwohner, die noch wohl würden in Hütten und Keller weichen, oder gar den Wanderstab ergreifen müssen, wenns so fortgienge. Noch wolle der Schulmeister erzählen, der Informator habe auch gepredigt, »Gott sehe aufs Herz, und nicht auf die Lehre; man müsse daher auch tugendhafte Juden und Heiden nicht geradezu verdammen.« Er Suursnutenius aber, wolle, weils gar zu arg seyn würde, der Christlichen Liebe gemäß glauben, der Schulmeister könne auch hierinn wohl falsch gehört haben.

Die Gesellschaft gieng auseinander. Aber diese Nachricht wurde, wie gewöhnlich, den folgenden Sonntag von Ehrn Pypsnövenius dem Kirchenprobste D. Puddewustius, wieder erzählt. D. Puddewustius schüttelte ziemlich den Kopf, fragte nochmals nach den Umständen, und schüttelte wieder. Er stieß manches Hum und Hem aus, legte zwey oder dreymal den linken Zeigefinger an die Nase, und, nach reifer Ueberlegung, entschloß er sich, bey dem Archidiakonus Ehrn Mackligius nähere Anfrage zu thun.

Um bey der nähern Untersuchung dieser wichtigen Angelegenheit destoweniger Aufsehen zu machen, besuchte der Probst und der Diakon den Archidiakon den Montag nach Tische, als ob es nur von ungefähr im Vorbeygehen geschehe. Sie fanden ihn im Garten, im Kamisole, eine alte Nachtmütze auf dem Kopfe, und eine Schürze vorgebunden, die Spate in der Hand, beschäfftigt, den vorher auf ein Salatfeld ausgebreiteten Dünger, unterzugraben.

Bey der unvermutheten Ankunft des Probstes war zwar der Archidiakon ziemlich betroffen, er holte aber gar bald aus dem naheliegenden Gartenhause eine genähte baumwollne Perücke, nebst einer alten Summarie, die ihm im Hause statt eines Schlafrocks diente, so daß es, weil der Kirchenprobst sehr langsam einhergieng, und der Archidiakon sich sehr geschwind umzog, nicht lange währte, bis letzterer im Stande war, seinen geistlichen Obern zu empfangen.

Nach den ersten Bewillkommungskomplimenten, nachdem die Materie vom schönen Wetter abgehandelt, und die Nachfrage nach dem Flusse in der Schulter und den Rückenschmerzen, denen Se. Hochwürden zuweilen unterworfen waren, geendigt war, kamen die Klagen über die schlechten verderbten Zeiten, bey welchen die in der Stadt angesetzten Kalvinischen Tuchmacher erwähnt wurden; und hievon kam D. Puddewustius ganz natürlich auf die Predigt, die Sebaldus von der Liebe gegen Mitglieder anderer Religionsparteyen sollte gehalten haben. Ehrn Mackligius war über den Innhalt derselben nicht wenig bestürzt. Er versicherte, daß er an keinem seiner Hausgenossen solche irrige Lehre leiden würde. Er wolle sogleich den Informator rufen lassen, daß er sich selbst in Gegenwart Sr. Hochwürden verantworte. Der Probst aber wollte dieß nicht gestatten, damit es nicht etwan in der Stadt ein Aufsehen geben möchte. Er ermahnte nur Ehrn Mackligium, seinen Informator insgeheim zu vernehmen, ob er wohl wirklich so gelehrt habe, und ihn für fernerer Neuerung in der Lehre ernstlich zu warnen, in weiterm Uebertretungsfall aber ihn ganz abzuschaffen. Er versicherte, aus der Erfahrung zu haben, daß die Hornviehseuche durchs Todschlagen der kranken Häupter, und die Heterodoxie durch Absetzen und Wegschaffen der irrigen Lehrer am sichersten vertilgt würden, und daß, in beiden Fällen, alle anderen Mittel zu weitläufig und überdieß zu unkräftig wären. Hiemit nahmen die beiden Gäste Abschied.


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