Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Zweyter Abschnitt.

Die häusliche Zufriedenheit hatte auf solche Art in dieser Familie viele Jahre ununterbrochen fortgedauret. Sebaldus verrichtete seine Amtsgeschäfte in der Kirche mit frohem Gemüthe eben so wie Wilhelmine in der Küche und in der Milchkammer. Die willige Unterstützung ihrer nothleidenden und bekümmerten Nachbaren war ihnen beiden ein gemeinschaftliches Geschäft. Wenn diese Geschäfte vorbey waren, so kehrten sie mit Vergnügen zu ihrer eigenen Gesellschaft, und zur Gesellschaft ihrer herzlichgeliebten Kinder zurück. Ein vergnügtes Herz war die Würze jeder ländlichen Mahlzeit, und verschönerte ihre ruhigen Abendspaziergänge. Das Einförmige in ihrer Lebensart und in ihrem Vergnügen gewann mehrere Veränderung, so wie ihre Kinder an Alter zunahmen. Eine richtige Anmerkung, oder ein witziger Einfall, den Mariane hören ließ, ein neues musikalisches Stück das sie zum ersten mahl spielte, war der elterlichen Zärtlichkeit ein Fest, woran ihr Vergnügen Tage lang Nahrung hatte. Der Tag, da Charlottchen zuerst das süsse Wort Mutter lallte, der, da sie zuerst auf ihren kleinen Füssen drittehalb Schritte von dem Schooße der Mutter zum Vater allein forttaumelte, der, da sie ihm das erste von ihr genähte Säumchen vorzeigen konnte, oder der, da sie, durch ihre zärtliche Schwester gelehrt, beide Eltern durch Hersagung der Gellertschen Fabel vom Zeisig überraschte, waren in dieser kleinen Familie Galatage, deren Anmuth, wider die Art der höfischen, auch noch nachdem sie vorbey waren genossen ward.

So vollkommen das Glück dieser Familie war, so drohete es doch ein kleiner Vorfall zu unterbrechen. Es erschien in den letzten Jahren des vergangenen Krieges eine Schrift: Vom Tode für das Vaterland, betittelt. Diese kleine Schrift würde in das ruhige Fürstenthum, so leicht nicht eingedrungen seyn, welches von neuen Schriften, sonderlich von solchen, die sich mit dem Tande der weltlichen Weisheit, und mit dem Spielwerke der schönen Wissenschaften beschäftigten, gar nicht beunruhigt wurde. Man hatte darin gewöhnlicherweise ausser dem fürstl. privilegirten Gesangbuche, welches jährlich in grobem und feinem Drucke aufgelegt ward, und einigen auswärtigen Calendern, als dem hinkenden Staatsboten, dem Nürnbergischen Land- und Haus-Calender, Lachneaulici allgemeinen Haus- und Wirthschaftsregeln u. s. w. nichts, als des Herrn von Bogazky tägliches Hausbuch, den kleinen Görgel in Lebensgröße, Schabalie wandelnde Seele, Försters expediten Prediger in sechs Quartbänden, die Grundrisse von Predigten der Hamburgischen Herren Pastoren, nebst der Insel Felsenburg, dem im Irrgarten der Liebe taumelnden Cavalier, Eulenspiegel dem jüngern, und einigen Romanen des Dreßdner Thürmers, z. B. das Leben Peter Roberts, das wunderbare Schicksal Antoni, das Leben des Maler Michaels, und dergleichen Sachen mehr.

Wilhelmine aber, die auf alle neue Bücher neugierig war, die in die schönen Wissenschaften, in die Sittenlehre, Geschichte u. s. w. einschlugen, hatte, wie wir schon erwähnt haben, für sich selbst eine kleine auserlesene Bibliothek solcher Bücher, dergleichen in dem ganzen Fürstenthume nicht anzutreffen war. Sie hatte dem Buchhändler in der fürstlichen Residenzstadt, ihrem Gevatter, den Auftrag gegeben, ihr alles was von solcher Art Büchern wichtiges erschien, in eben dem Pakete zuzusenden, worum Sebaldus alle neue Schriften, die über die Apocalypse herauskamen, empfing. So nährte der ehrliche Hieronymus den Geist beider Eheleute, den einen mit Witz, und den andern mit Prophezeiungen.

Dieser Buchhändler hatte in seiner Jugend einige Schulstudien gehabt, und hatte dadurch vor verschiedenen seiner Handlungsgenossen den kleinen Vorzug erlanget, die Titel der Bücher, die er verkaufte, ganz zu verstehen. Er hatte in verschiedenen ansehnlichen Buchhandlungen in Holland, Frankreich und Italien, als Handlungsdiener gestanden. Er hatte dabei nicht allein sein eigenes Gewerbe in einem weit größern Umfange eingesehen, sondern er hatte auch Städte und Sitten der Menschen kennen lernen, und daher kam es, daß er zuweilen, vielleicht ohne es selbst zu wissen, ein vernünftigeres Urtheil von verschiedenen Sachen fällete, als sein Nachbar der Superintendent, oder sein anderer Nachbar der Rath in dem fürstlichen Expeditionscollegium, die beide, ausser ihren auf einer benachbarten Universität verbrachten Universitätsjahren, niemals ihre Vaterstadt verlaßen hatten.

Hieronymus pflegte aber die Einsichten die er besaß, eben nicht unabläßig geltend zu machen, daher hatten sie ihm auch nicht Feinde zugezogen. Er war in der kleinen Residenzstadt, in der er sich gesetzt hatte, in Ansehen, ohne von jemand beneidet zu werden, denn er war gegen jedermann dienstfertig, und hatte eine natürliche Abneigung jemand ins Gesicht zu widersprechen, oder erlangte Vortheile von irgend einer Art zur Schau zu tragen. Bey diesen Grundsätzen und einer so glücklichen Temperamentstugend war er in seinem Städtchen wohlhabend geworden, ohne daß es bey seinen Nebenbürgern eben sonderliches Aufsehen verursacht hätte.

Gleichwol hatte er durch seinen Fleiß, ganz unvermerkt, in dem Ländchen wo er sich befand, zween ganz neue Handlungszweige eröfnet, an die vorher noch niemand daselbst gedacht hatte. Es hatte das kleine Fürstenthum einen fruchtbaren Boden, und nicht wenig Viehzucht, es brachte alles hervor was die Einwohner nähren konte. Sie nährten sich auch, und zehrten richtig dasjenige auf, was ihnen zuwuchs. Weil sie aber ausser ihrem mäßig bestellten Ackerbaue, gar keine einzige Art von Kunstfleiß hatten, so war freilich unter ihnen wenig Geld. Es reichte kaum zu, die Röcke und die Strümpfe zu bezahlen, die die Handwerker eines benachbarten Herzogthums, aus der Wolle die in diesem kleinen Fürstenthum sehr wohlfeil verkauft ward, webten, und alsdenn in dasselbe wieder einführten. Es war also kein Wunder, daß bisher noch kein Buchhändler in diesem Ländchen hatte Bücher verkaufen können. Hieronymus, war der erste, der sich unterstand Bücher darin einzuführen. Er sahe aber auch nicht so genau darauf, ob er eben baar Geld erhielt. Er verkaufte mehrmals Z. B das Juristische Oraculum in sechzehn Foliobänden für einen fetten Ochsen, Leopolds Landwirthschaftsbuch für sechs Scheffel Roggen, und Riegers Herzpostill, oder Cardilucii Kunst-Arzney-Natur- und Nahrungspostill für ein paar Schock Eyer, ja er gab noch wohl Mürdelii süsse Geisteserquickungen, oder Meletaons Tugendschul in den Kauf.

Hierdurch machte er sich besonders bey den Predigern in Städten Flecken und Dörfern sehr beliebt, die gern etwas von ihren Zehenden oder von ihrem Naturaldeputat daran wagten, um sich Krausens evangelischen und epistolischen Predigerschatz, Kleiners Hirtenstimme, Schlichthabers fünffache Dispositionen aller Evangelien, oder Weihenmayrs epistolische Spruch- und Kernpostill anzuschaffen, und sich dadurch die schwere Last des Predigtamts, die sie so sehr drückte, zu erleichtern. Die Bürger folgten bald dem Exempel ihrer Seelenhirten, und schaften sich von einem Theile des Ertrags ihrer Erndte, und ihrer Kälber- und Hammelzucht einige erbauliche und nützliche Bücher an, z. B. Hollatzens Gnadenordnung und Pilgerstraße, Staricii Heldenschatz, die reine Wasserquelle, den vom Engel Raphael begleiteten Wandersmann, Goezens Betrachtungen über die Dinge die nach dem jüngsten Gerichte vorgehen werden, Hocuspocus oder die neuvermehrten Taschenspielerkünste, die neueröfnete Kunstpforte, Schnurrs Kunst- und Wunderbuch, der getreuen Bellamira wohlbelohnte Liebesproben, Heußens biblische Seelenweide, Widders Krankenpostill u. d. gl. Die fürstlichen Räthe und Secretarien aber kauften Bolzens Amts- und Gerichts-Actuarium, dessen Anweisung zum Ambthierungswerke, Salanders alias Sieckels allezeitfertigen Notarium, Heumanns rechtlichen Catechismum, besonders aber des deutlichen Schwesers oder Philoparchi wohlunterrichteten Beamten etc.

Hieronymus erhielt also, als ein Laye, einen Vortheil der sonst nur der Geistlichkeit eigen war, nemlich er speisete den Geist seiner Mitbürger, und eignete sich dafür ihre Glücksgüter zu. Er ließ die eingetauschten Ochsen Hämmel und Schweine in seine Ställe treiben, und das eingetauschte Getraide auf seine Böden schütten, und verkaufte alles auf den Märkten des obengedachten Herzogthums für baares Geld, weil daselbst die blühenden Manufacturen, und die dadurch verursachte Bevölkerung einen etwas höhern Preiß der Nahrungsmittel verursacht hatten. Man kennete ihn daselbst nicht unter dem Namen des Buchhändlers Hieronymus, aber der Namen des Korn- oder Viehhändlers Hieronymus, war bey den Müllern, Bäckern und Schlächtern daselbst, um desto bekannter.

Seine Nachbarn hatten selbst Aecker und Wiesen, aber zufrieden sich selbst zu nähren, baueten sie nicht mehr, als sie brauchten, noch weniger dachten sie daran, den Ueberfluß ihren Nachbarn weiter, als etwa bis in die nächste kleine Landstadt, zuzuführen. Es währete Jahre lang, bis durch die beladenen Wagen und durch die Heerden Vieh, die sie so oft aus Hieronymus Hause, wegfahren und wegtreiben sahen, ihre Neugier rege gemacht ward.

Sie versuchten bald eben diesen Weg, und da ihnen ihr Unternehmen gelang, fingen sie an ihre Viehzucht zu vermehren, und ihre Aecker fleissiger zu bauen. Sie nahmen dadurch selbst an gutem Wohlstande zu, und das ganze Ländchen kam in wenig Jahren in so gutes Aufnehmen, daß die Staatsklugen zu erörtern anfingen, warum das Land sich so schnell verbessert habe.

Eigentlich war freilich der Fleiß des Hieronymus und das Beyspiel, das er seinen Mitbürgern gegeben hatte, die Ursach davon. Es ist aber allen denen, die politische und Finanzvorfälle untersuchen, schon längst zur Regel geworden, nicht die kleinen Umstände anzuführen, welche gemeiniglich die wahren Ursachen der Begebenheiten zu seyn pflegen, sondern große Umstände, welche gemeiniglich nicht die wahren Ursachen sind. Daher ward in einer in das fürstliche Intelligenzblatt eingerückten Abhandlung, die schnelle Zunahme des Wohlstandes des Landes, der landesväterlichen Vorsorge des Fürsten zugeschrieben, (der auf seinem Lustschlosse, seine Zeit zwischen der Jagd und seiner Mätresse theilte) und nach derselben den klugen Anstalten seines ersten Geheimenraths, (der in der fürstlichen Residenzstadt im Cabinet unermüdet arbeitete, alle Stellen im Lande mit seinen Verwandten und Creaturen zu besetzen.) Der Superintendent D. Stauzius hingegen, ein scharfer Gesetzprediger, nahm diese Abhandlung in der Einweihungspredigt der neugebauten St. Bartels Kapelle ziemlich durch, und versicherte, der zugenommene Wohlstand des Landes sey ein sichtbarer Segen des Höchsten, wegen der frommen Aufführung der Einwohner.

Man muß nemlich wissen, daß in der fürstlichen Residenzstadt ein paar Jahre vorher, fünf Strassen nebst einer kleinen verfallenen Kapelle abgebrannt waren. Die Einwohner trugen, auf die nachdrückliche Ermahnung des Superintendenten, zum Bau der Kapelle, welche viel vergrößert und verschönert aufgebauet werden sollte, so reichlich bey, daß sie freilich kein Geld übrig behielten, zu einer Hauscollecte etwas beizutragen, die der Bürgermeister veranlasset hatte, um von deren Ertrage einige gemeine Feuerspritzen anzuschaffen, weil bloß aus Mangel derselben, das Feuer soweit um sich gegriffen hatte. Noch weniger kehrten sie sich an die leichtsinnigen Reden des Bürgermeisters, der öffentlich sagte, daß man vor allen Dingen den abgebrannten Einwohnern beispringen müsse, und daß es überhaupt unnöthig sey die Kapelle wieder zu bauen, da andere Kirchen genug in der Stadt wären, noch weniger sie zu vergrößern, so lange die Häuser der Einwohner zu deren Gebrauch die Kapelle dienen sollte, noch in der Asche lägen. Diese musten sich freilich, da sie nirgend unterkommen konten, und gar keine Hofnung sahen, sich wieder aufzuhelfen, in wenig Wochen zu Colonisten nach Rußland anwerben lassen. Sie bekamen also die für Sie neuerbaute Kapelle nicht zu sehen. Hingegen hatten sie doch den Trost, daß sie an dem Ufer der Wolga die gedruckte Einweihungspredigt des D. Stauzius nebst den beygefügten Carminibus des Stadtministerii und aller Primaner des fürstlichen Lycei mit vieler Erbauung verlesen hörten.

Sebaldus erhielt diese gedruckte Einweihungspredigt in eben dem Pakete, worin Wilhelmine die Schrift vom Tode fürs Vaterland erhielt. Sie machte ihm aber nicht sonderliches Vergnügen. D. Stauzius hatte in derselben mehr als einmal, denen die Kirchen und Kapellen verachten, und den Bau oder Verschönerung derselben hindern, mit der ewigen Verdammniß gedrohet. Sebaldus aber konnte diese Lehre niemals behauptet sehen, ohne in eine Art von Bekümmerniß zu gerathen, die dem Mißvergnügen nahe war. Der Tod fürs Vaterland hingegen hatte auf Wilhelminen eine ganz entgegengesetzte Wirkung. Er setzte ihren ohnedis zum romantischen geneigten Geist in ein neues Feuer. Sie fühlte Entzückung über die Gedanken, daß auch der Unterthan einer Monarchie nicht eine blosse Maschine sey, sondern seinen eigenthümlichen Werth als Mensch habe, daß die Liebe fürs Vaterland einer Nation eine große und neue Denkungsart gebe, daß sie eine Nation als ein Muster für andere darstelle. Von diesen Ideen erhitzt, sann sie nach, wie sie in dem allgemeinen Kriege der damahls Deutschland verheerte, ein Beyspiel ihrer Liebe fürs Vaterland geben könne. Mitten unter diesen Gedanken fiel ihr gleich auf der ersten Seite folgende Stelle aufs Herz: »Sollte wohl ein Diener der Religion sich entweihen, sollte er wohl dadurch sein Amt vernachlässigen, wenn er, nachdem er tausendmal gesagt hat: Thut Busse; auch einmal rieffe: Sterbet freudig fürs Vaterland?« Sie beschloß, daß niemand ihrem Manne das Verdienst rauben sollte, dieser Aufforderung zuerst ein Genüge gethan, noch ihr das Verdienst, ihn dazu aufgemuntert zu haben. Von diesem Vorsatze voll, trat sie, welches sie sonst selten zu thun pflegte, in Sebaldus Studierstube. Sie las ihm aus der Schrift, die ihr so sehr gefiel, die stärksten Stellen vor. Sie beschloß mit der eben angeführten an die Prediger gerichteten Stelle, und setzte alle Gründe, die sie sammlen konnte zusammen, um ihn zu bewegen, daß er den nächsten Sonntag seiner Gemeine predigen sollte: Sterbet freudig für das Vaterland.

Sie fand bey Ihrem Manne einen stärkern Widerstand, als sie sich vorgestellet hatte. Sebaldus, dessen Geist, ohne Prophezeiung nicht so leicht in Enthusiasmus gerieth, und der durch D. Stauzius Einweihungspredigt noch weniger erwärmt worden war, hatte ihrer feurigen Deklamation hundert kalte Gründe entgegen zu setzen, auf die sie sich nicht gefaßt gemacht hatte. Er sagte ihr unter andern, daß ein Geistlicher, wenn er glaubte, oft genug gerufen zu haben: Thut Busse, noch eine Menge Wahrheiten zu predigen habe, die ihn alle noch nützlicher dünkten, als der Tod für das Vaterland. »Und, setzte er hinzu, wo ist in unserm unter Krieg und Verheerung seufzenden Deutschlande, jezt wohl das Vaterland zu finden? Deutsche fechten gegen Deutsche. Das Contingent unsers Fürsten ist bey dem einen Heere, und in unserm Ländchen wirbt man für das andere. Zu welchem sollen wir uns schlagen? Wen sollen wir angreifen? Wen sollen wir vertheidigen? Für wen sollen wir sterben?«

Wilhelmine, die einmal beschlossen hatte, daß vom Tode fürs Vaterland gepredigt werden sollte, sahe wohl ein, daß allgemeine Gründe ihren Mann nicht bewegen würden, sie nahm also zu solchen ihre Zuflucht, die ihn näher angiengen. Sie versetzte: »Wird denn nicht in diesem Kriege wider die Franzosen gestritten? Ich glaube immer, die Deutschen sind ächte Deutsche, die auf Türken und Franzosen losgehen. Sie haben mir, mein Lieber! oft von Weissagungen vom nahen Untergange Frankreichs vorgesagt; sollte in der Apocalypse keine Weissagung seyn, die den itzigen Krieg angehet? Schlagen Sie doch nach. Wer weiß, ob in diesem Kriege nicht Deutsche das stolze Frankreich erobern sollen? Wie? Wenn es ihnen nun vorbehalten wäre, durch Ihre Predigt zu diesem großen Werke den ersten Anlaß zu geben? Welcher Ruhm für Sie, wenn auch auf Sie und auf Ihre Predigt mitgeweissagt wäre! Können Sie der Kraft so vieler Gründe wohl widerstehen? Ich dächte, Sie müsten dadurch determinirt werden!«

Der arme Sebaldus war nun bey allen seinen Schwächen angegriffen, denn Wilhelmine pflegte sehr selten die Apocalypse anzuführen, noch weniger pflegte sie der Franzosen mit einem wiedrigen Seitenblicke zu gedenken, und über den zureichenden und determinirenden Grund, waren ihre Gedanken ihres Mannes Gedanken so schnurstracks zuwider, daß weder Sebaldus das Wort zureichend, noch Wilhelmine das Wort determinirend jemals in den Mund zu nehmen pflegte. Es geschahe also hier, was immer zu geschehen pflegt, daß die gefällige Freundlichkeit eines Frauenzimmers die besten Gründe einer Mannsperson unkräftig machte.

Sebaldus wählte einen schicklichen Text für den nächsten Sonntag aus der Apocalypse, und da dieses das erste mahl war, daß er über einen Text aus diesem von ihm so geliebten Buche predigte, so hielt er seine Predigt, vom Tode fürs Vaterland, in einem enthusiastischen Feuer, das seine Gemeine sonst an ihm nicht gewohnt war. Als er aus der Kirche nach Hause gieng, bemerkte er sogleich die Frucht seines Eifers. Er sahe auf dem Kirchhofe einen ziemlichen Auflauf, und hörte jemand sehr laut reden. Als er näher hinzu kam, hörte er, daß ein im Dorfe liegender Unterofficier, der mit in der Kirche gewesen, zu seiner Predigt einen epanorthotischen Usum hinzu that, und nicht ohne Frucht, denn zehn junge, rasche Bauerkerl, nahmen auf der Stelle Dienste.

Dem Sebaldus klopfte hiebey ein wenig das Herz, aber Wilhelmine jubilirte über den glücklichen Erfolg ihres Vorschlags. Sie wendete auf dem Wege aus der Kirche nach Hause alles an, um ihrem Mann eben so freudige Gesinnungen mitzutheilen. Es würde ihr vielleicht gelungen seyn, wenn nicht zween Briefe, die sie bey ihrer Ankunft zu Hause fanden, ihre Freude etwas niedergeschlagen hätten. Der eine war von einem Professor der Universität wo ihr ältester Sohn studierte. Er meldete ihnen ohne Umschweife, daß ihr Sohn, mit Hinterlaßung vieler Schulden davon gelaufen sey, und daß niemand wisse, wohin. Beide Aeltern fuhren bei dieser unvermutheten Nachricht zusammen, und zitterten vor dem zweyten Brief. Als sie auf der Aufschrift ihres Sohnes Hand erblickten, so riß ihn Wilhelmine aus Sebaldus Händen, und laß ihn. Der Sohn meldete darum, ohne von seinen Schulden etwas zu erwehnen, »daß er es für einen guten Bürger für schimpflich halte, stille zu sitzen wenn das Vaterland in Noth sey; daß die Römer und Griechen in ihrer Jugend Kriegsdienste gethan hätten, daß er diesem glorreichen Exempel folgen wolte, und daher auch zur Armee gegangen sey. Er meldete zu gleicher Zeit seinen Eltern, daß er vor der Hand einen fremden Namen angenommen habe, und so lange führen wolle, bis er seinem wahren Nahmen Ehre bringen könnte.« Sebaldus ward bei dieser Nachricht ganz blaß, und Wilhelmine fiel mit einem lauten Geschrey rücklings aufs Canape. Sie besann sich aber bald, daß itzt die beste Gelegenheit sey, spartanische Gesinnungen zu zeigen, ermannete sich, stand auf, und sagte mit thränenden Augen: »Ich habe ihn dazu gebohren!« Sie suchte auf alle Weise ihre heldenmüthige Gesinnungen bey sich wieder hervor zu ziehen. Bald stellte sie sich die großen Thaten vor, die ihr Sohn verrichten würde; bald bedauerte sie nur, daß er seinen Nahmen verändert hatte, weil sie auf diese Art von ihr unbemerkt geschehen könnten. Bald hofte sie wieder, daß er, wenn er etwas großes verrichtet hätte, gewiß seinen Namen kund thun werde. Inzwischen konnten alle diese heroische Gesinnungen, mit denen sie sich tröstete, und die dem Sebaldus gar keinen Trost gaben, weder ihre mütterliche Zärtlichkeit noch des Sebaldus weise Betrachtungen unterdrücken, die sich beständig dazwischen mischten. Nachdem sie damit den Nachmittag zugebracht hatten, legten sie sich beiderseits in einer solchen Gemüthsverfassung schlafen, daß, wenn sie vier und zwanzig Stunden vorher darin gewesen wären, Sebaldus schwerlich würde gepredigt haben: Sterbet freudig für das Vaterland, noch Wilhelmine ihn dazu würde haben ermuntern wollen.


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