Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Vierter Abschnitt.

Ein Mann, der sich so wie Säugling auf die Verdienste des schönen Geschlechts verstand, mußte Marianen unter dem übrigen im Hause vorhandenen Frauenzimmer, sehr bald vortheilhaft unterscheiden, zumahl da sie, gleich ihrer Mutter Wilhelmine, bey schwarzen Haaren, die schönsten hellblauen Augen hatte. Es konnte ein solcher Kenner, keine von den übrigen Frauenzimmern mit ihr nur in Vergleichung stellen; denn die Frau von Hohenauf hatte große graue Augen mit langhaarigten Augenbramen, das Kammermädchen besaß ein paar flachgeschlitzte Augen, aus deren Winkeln beständig ein paar matte rothgelbe Augäpfel liebäugelten, die kleinen Fräulein waren noch allzu jung, und die übrigen weiblichen Geschöpfe waren unter der Notiz eines feinen Mannes wie Säugling. Hiezu kam, daß bey der ersten Unterredung Mariane untrügliche Kennzeichen ihres guten Geschmacks merken ließ, wodurch Säugling Herz bekam, ihr ein Gedicht vorzulesen, welches Mariane mit so großem Beyfalle anhörte, und dessen Schönheiten so fein hervorzusuchen wußte, daß das kleine Männchen vor Entzücken ausser sich war.

Dies veranlaßte eine nähere Bekanntschaft, in der Säugling bald Marianens, vor der Frau von Hohenauf bisher so geheim gehaltene, Bibliothek von guten deutschen Büchern entdeckte. Er erstaunte nicht wenig, eine Französinn so aufmerksam auf die deutsche Litteratur zu finden. Da er gewohnt war, alles was er sahe auf seine kleine Person zurück zu führen, so fiel er schnell darauf, wie möglich es sey, (wenn er, wie er zuverläßig hoffte, unter den guten Dichtern Deutschlands einen Platz verdienen würde,) daß sein Ruhm auch ausser Deutschland sich ausbreiten, daß seine Gedichte ins französische übersetzt, und von den Damen an allen Höfen Europens gelesen werden könnten. Er wußte es Marianen Dank, daß sie zuerst eine so schmeichelhafte Hofnung in seiner Seele erreget hatte, und dies zog das Band der angefangenen Bekanntschaft noch fester zusammen.

Mariane, auf ihrer Seite sahe ihn auch gern; denn er war ein feiner und bescheidener junger Mensch, der sie mit den schönen Wissenschaften, zu denen ihr die Neigung mit der Muttermilch war eingeflößt worden, angenehm unterhielt; ausserdem war er die erste Mannsperson, die ihr gesagt hatte daß sie schön sey, und daß ihre blauen Augen mit sanfter herzrührender Kraft wirkten, und auch das sittsamste und philosophischste Frauenzimmer pflegt eine solche Nachricht, aufs höchste mit einem kleinen Verweise zu bestrafen.

Die Kenner wollen bemerkt haben, daß die Vereinigung zwischen zwey jungen Personen zweyerley Geschlechts selten ganz stille stehen bleibe, und nicht allein beständig unvermerkt fortzurücken pflege, sondern auch zuweilen, durch einen ganz kleinen Umstand, mit einem so starken Sprunge fortschreite, daß diejenigen, denen das verborgene Ding, das menschliche Herz, nicht genau bekannt ist, glauben, es geschehe durch eine Art von Zauberey. Dies war der Fall mit Säuglingen und Marianen, die bey einer unvermutheten, und dem Anscheine nach, ganz geringen Veranlassung, von einer bloßen Bekanntschaft und wechselseitigen Hochachtung zur Freundschaft übergiengen.

Es fiel in den Wintermonaten der Geburtstag der Frau von Hohenauf ein. Mariane hatte im Sinne, eine gewisse Absicht durchzusetzen, womit einige Schwierigkeiten verknüpft waren; dies brachte sie, zum erstenmahl in ihrem Leben, auf den Gedanken, ihren Zweck durch einen Umweg zu erreichen, und in dieser Absicht sann sie ein kleines Fest aus, mit dem dieser Geburtstag solte gefeyert werden. Sie theilte ihre Gedanken Säuglingen als einem Poeten mit, der ganz entzückt darüber war, einen Anlaß zu haben, seine Talente im Dramatischen zu zeigen, da er bisher nichts als kleine Liederchen gemacht hatte. Er machte einen Plan zu einem mythologisch-historischen Schäferspiele von dreyen Personen, der Marianens Beyfall erhielt. Hierauf waren alle insgeheim sehr geschäftig, Säugling, sein Spiel in Verse zu bringen, die Kinder, sie zu lernen, und Mariane, für Fräulein Adelheid die Tracht einer Nymphe, und für die jüngste Fräulein und den kleinen Sohn des Predigers im Dorfe, Schäferkleider zu verfertigen.

Als der Tag erschien, und die zu diesem Geburtsfeste aus der ganzen umliegenden Gegend zusammengebetenen Standespersonen von der Mittagstafel aufgestanden waren, wurden sie unter einem andern Vorwande in das Orangeriehaus geführet. Hier wurden sie durch eine Symphonie überrascht, und der Schauplatz öfnete sich. Er stellte entweder die elisäischen Felder oder die hesperischen Gärten vor, und bestand aus acht großen blühenden und Früchtetragenden Pomeranzenbäumen, die Hinterwand aber war von dem Gärtner mit Wintergrün und Blumenkränzen zusammengesetzt. Die Kinder traten auf, an deren Putze Mariane ihren ganzen Geschmack, und an deren Köpfen Picard seine ganze Kunst erschöpft hatte. Dies machte, daß das Spiel den Beyfall der Frau von Hohenauf erhielt, wozu auch nicht wenig beitragen mochte, daß sie darin als eine Göttin, und ihr Geburtstag als ein Götterfest vorgestellt war.

Die ganze Gesellschaft ertheilte einen lauten Beyfall, und da die Kinder nach Endigung des Spiels in ihrem Anzuge vom Theater herabstiegen, wurden sie von jedermann mit Liebkosungen überhäuft. Die Frau von Hohenauf that desgleichen. So wie sie alle Dinge aus ihrem eigenen Gesichtspunkte betrachtete, so konnte sie nicht genug bewundern, wie natürlich der Schäferhabit dem kleinen Pastorsohne stände, aber sie fand, daß eben diese Art von Kleidung ihr jüngstes Fräulein verstellte, ob sie gleich, mit einem gnädigen Kopfneigen gegen Marianen, bemerkte, daß die Arbeit daran sehr artig wäre. Fräulein Adelheid hingegen in ihrer von Zindel und Flittern glänzenden Nymphentracht hatte ihren ganzen Beyfall. Sie umarmte sie, und spielte mit ihren langgezogenen über den Busen gelegten falschen Locken, die ihr prinzessinnenmäßig vorkamen.

»Dieser majestätische Anzug schickt sich besser für ein Fräulein deines Standes, sagte sie, als das Schäferkleid deiner Schwester.

Die kleine Adelheid, die ihrer Schwester den leichten fliegenden Anzug und die in halb geflochtenen Zöpfen hinterwerts herabfallende Locken beneidet hatte, schlug die Augen nieder, und durfte nicht widersprechen.

»Nicht wahr, mein Kind, fuhr die Mutter fort, nicht wahr, ein Schmuck von Juwelen, würde dir besser stehen, als dieser schlechte Blumenkranz?«

»Ach nein gnädige Mama, er würde doch nicht so schön riechen als die Blumen.«

»Einfältiges Kind! was ist Geruch gegen Glanz? Du hast gespielt wie ein Engel, ich muß dich dafür belohnen; – eine Zitternadel. –«

Hier erinnerte sich die kleine Adelheid einer Rolle, die ihr, ausser der von Säuglingen aufgeschriebenen, von Marianen mündlich aufgetragen war.

Es hatte ein armer Pachter eines Bauerguts auf des gnädigen Herrn Wildbahn geschossen. Der Jäger hatte ihm das Gewehr weggenommen. Seit sechs Wochen lag er im Gefängnisse, und man machte ihm den Proceß, um ihn an die Karre schmieden zu lassen. Indessen da der Wirth und Versorger des Hauses fehlte, schmachteten seine Frau und fünf Kinder im Elende. Die gutherzige Mariane hatte ihnen so gut sie konnte beigestanden. Sie hätte auch gern für den armen Gefangenen eine Vorbitte eingelegt, aber sie empfand, mit wie weniger Hofnung des Erfolgs sie dieses wagen dürfte. Sie hatte daher zuerst darauf gedacht, dieses Fest anzustellen, um dabey Gelegenheit zu haben, durch Fräulein Adelheid, die der Liebling ihrer Mutter war, die Loslassung des Gefangenen zu bewirken. Sie hatte ihr die Worte in den Mund gelegt, die sie sagen sollte, wenn ihre Aeltern, durch das Vergnügen des Festes in gute Laune gebracht, das Herz dem Mitleid zu öfnen geneigter seyn möchten.

Fräulein Adelheid hatte also kaum gehört, daß sie für ihr Spielen belohnt werden solte, so ergriff sie diese Gelegenheit begierig, fiel ihrer Mutter zu Füßen und rief aus:

»Ach gnädige Mame! wenn sie mich belohnen wollen, so lassen Sie mich selbst die Belohnung wählen; Geruhen Sie, mir eine einzige Bitte zu gewähren; schlagen Sie mir nicht ab, was ich Sie bitten will.«

»Was verlangst du, mein Kind? Ich kan dir nichts abschlagen.«

»O meine gnädige Mama! so erbarmen Sie sich einer armen Frau und fünf Kinder, alle noch viel kleiner, viel unerzogener als ich, und die die Hülfe ihres Vaters so nöthig haben. Bitten Sie den gnädigen Papa, daß er den armen Jacob loslasse, der im Gefängnisse liegt; geben Sie das Geld für die Zitternadel die Sie mir zugedacht haben, seiner armen Frau und Kindern.«

»Fräulein, sagte die Frau von Hohenauf, mit einem Angesicht voll kalter Würde, – was geht mich und dich das Diebsgesindel an?«

»Ach gnädige Mama! wenn Sie sehen sollten, wie elend die Leute sind; wie sie an allem Mangel leiden was wir im Ueberflusse haben, wie sie frieren, wie sie hungern, wie drey von den Kindern auf elendem Strohe krank liegen.«

»Mädchen, woher kanst du dies wissen?«

»Ach, ich habe es gesehen, liebste beste Mama, ich habe es selbst gesehen.«

»Gesehen? Ich erstaune ganz; wie kommst du mit dem Lumpenpacke zusammen, gleich gestehe es mir, ich will es wissen.«

Fräulein Adelheid stamlete, und blickte Marianen an, die die Augen niederschlug; die Frau von Hohenauf wiederhohlte ihren Befehl, und das Fräulein beichtete:

»Ach meine Mamsell hat mich hingeführt. Sie glauben nicht, gnädige Mama, wie gut sie ist; sie hat die armen Leute schon seit sechs Wochen erhalten, daß sie nicht vor Hunger und Frost umgekommen sind. Ach ich habe auch gern mein ganzes Spargeld hingegeben, mehr konnte ich nicht, aber Sie gnädige Mama, können mehr; Sie können die Kinder glücklich machen, wenn Sie den Vater loslassen.«

»So, Mademoiselle! sagte die Frau von Hohenauf, indem sie Marianen mit unbeschreiblicher Würde über die linke Achsel ansahe, sie führt meine Fräulein in schöne Gesellschaft, um Lebensart und Monde zu lernen.«

»Ach gnädige Mama –«

»Schweig still, das verstehst du nicht. Dies sind Diebe, die deines Vaters Forsten bestohlen haben, sie müssen hart gestraft werden, damit sich das andere Gesindel daran spiegele.«

»Ach der arme Jacob verspricht Besserung, er will künftig lieber hungern, als Wild schießen. Aber gnädige Mama, die Kinder, die armen kleinen Kinder hatten nichts zu essen.«

»Schweig! um solch Lumpengesindel must du dich nicht bekümmern.«

»Ach liebste Mama! rief Fräulein Adelheid schluchzend, es sind Gottes Geschöpfe, Menschen wie wir, – und unglücklich! –«

»Fi Fräulein! Ist das auch eine von den schönen Lehren, die dir deine Mamsell giebt? Menschen wie du? Du bist von Stande, die Bauern sind weit unter dir; sage mir nicht ein Wort mehr hievon.«

»Ach gnädige Mama! Sie bauen ja das Getraide, das wir essen. – Mein Großpapa ist ja auch ein Pachter gewesen, erbarmen Sie sich – Großpapa ist ja auch wohl arm gewesen, ehe er reich ward.« – –

Eine derbe Ohrfeige von der Hand der in äußerste Wuth gesetzten Mutter, unterbrach das gute Kind. Die Frau von Hohenauf kannte sich beynahe selbst nicht vor Zorn. Sie hatte bisher dies wichtige genealogische Geheimniß jedermann so viel wie immer möglich verborgen, und hier ward es öffentlich, in einer grossen Gesellschaft von thurnier- und stiftsfähigem Adel beiderlei Geschlechts, ausgeplaudert. Dis war freilich ein niederschlagender Vorfall, zumahl da in dem Gesichte mancher Umstehenden, denen das Bewustseyn von sechszehn reinen Quartieren ein gutes Gewissen gab, einige Mienen zu spüren waren, die ein wenig Schadenfreude über diese Demüthigung einer mesalliirten Familie zu erkennen gaben.

Die Frau von Hohenauf wollte noch eine Minute Contenance halten, und fragte das Fräulein mit zorniger Miene, »wer ihr solch dummes Zeug in den Kopf gesetzt hätte?« Das Kind konnte auf wiederholtes Befragen nicht läugnen, daß ihr ihre Mamsell diese Nachricht gegeben. Dies brachte die Frau von Hohenauf aufs neue in Wuth. Sie befahl Marianen, ihr den Augenblick aus den Augen zu gehen, stieß das Fräulein von sich, und würde ihr vielleicht nochmahls übel begegnet haben, wenn sie nicht die umstehende Damen in Schutz genommen, und der Frau von Hohenauf durch allerhand Gründe zugeredet hätten, dem Kinde ein unbedachtsames Wort zu vergeben, und einem so vergnügten Tage zu gefallen, vielmehr ihre Bitte zu gewähren. Aber die Frau von Hohenauf ward durch diese Vorstellungen sehr wenig besänftigt, ob sie gleich sich zwingen und mit verbißnen Lippen höfliche Antworten geben mußte.

Endlich wendete sich die Gräfinn von *** die unter den Vorbitterinnen sich am geschäftigsten erwiesen hatte, an den Herrn von Hohenauf, der bey der ganzen Scene noch nicht ein Wort zu äußern sich getrauet hatte: Sie bat ihn, dem Geburtsfeste seiner Gemahlinn zu Ehren, den Gefangenen loszulassen.

Der Herr von Hohenauf, mit eiskaltem Schweiße vor der Stirne, konte mehr nicht, als ein gestammeltes »In der That – meine gnädige Gräfinn« – – hervor bringen. Es war ihm wirklich gleich unmöglich, einer Dame von solchem Stande eine so kleine Bitte abzuschlagen, als wider den so ausdrücklich erklärten Willen seiner Gemahlin etwas zu thun.

Die Gräfin, die ihren Mann sogleich übersahe, wendete sich abermahl an die Frau von Hohenauf, nahm sie bey der Hand, und sagte mit liebreizender Miene: »Die Göttinnen können nicht Rache halten, sondern lieben die Vergebung. Kein Götterfest kan ohne Wohlthun vollbracht werden. ich fodere den Gefangenen von Ihnen als ein Desert bey der Abendtafel, wollen Sie uns ohne Desert lassen nach Hause fahren?«

Die Frau von Hohenauf hatte unter diesen Reden Zeit gehabt, sich zu besinnen, was der Anstand erfoderte. Sie sagte also mit einer etwas gezwungenen verbindlichen Miene: »Sie verlangen von mir eine Sache, wider die ich gar nichts einzuwenden habe, sondern die bloß von dem Herrn von Hohenauf abhängt. Der ist Erb- Lehns- und Gerichts-Herr« –

»Nun mein gnädiger Herr von Hohenauf – sagte die Gräfinn, indem sie sich zu ihm wendete, habe ich eine Fehlbitte gethan?«

Dieser, der mit einemmahl wieder tief frische Luft schöpfte, welches er in einer halben Viertelstunde nicht gethan hatte, machte einen sehr tiefen Reverenz, und murmelte einige Worte her, die ob sie gleich unverständlich waren, doch nichts anders als seine Einwilligung bedeuten konnten.

Sobald die Gräfinn davon gewiß war, so riß sie Säuglingen, der über den großen Lärmen voll Todesangst da gestanden hatte, den Hut aus den Händen, warf einige Carolinen hinein, und gab ihn ihm zurück. Dieser, erfreut über den Wink ahmte ihr nach, und ging mit dem Hute in der Hand zu allen anwesenden Gästen, in der ehrenvollen Beschäftigung für bedürftige Unglückliche eine Beysteuer zu sammlen, schämte sich auch nicht, aus Freuden über den glücklichen Ausgang einer Sache, über die ihm von Anfang an das Herz geklopft hatte, manche Thräne fließen zu lassen, worin ihm die Gräfinn und noch mehrere schöne Augen Gesellschaft leisteten. Indem dieses geschahe, führte die Gräfinn die zitternde Fräulein Adelheid zur völligen Versöhnung in ihrer Mutter Umarmung, und erhielt auch mit einiger Mühe, für Marianen die Erlaubniß, daß sie wieder erscheinen, und durch Küssung des Rocks die Frau von Hohenauf um Vergebung bitten durfte, daß sie menschlich gedacht hatte.

Die Gesellschaft gieng darauf in den großen Saal, um sich zum Spiele zu setzen. Säugling aber, der sich ein viel süßeres Vergnügen vorbehalten hatte, schlich nach dem Hinterhofe, ließ einen Wagen anspannen, erlösete den ganz betäubten Jacob aus dem Gefängnisse, führte ihn selbst wieder zu seiner bisher verlassenen Familie, und schüttete die ansehnliche Summe, die er für sie gesammlet hatte, in den Schooß der Hausmutter aus, die bey so vielem Glücke das auf so viel Unglück so schnell folgte, vor Freuden stumm war. Er genoß das Glück, das Haus des Elends und des Klagens, in ein Haus der Freude verwandelt zu sehen, genoß den stammlenden Dank des Hausvaters und der Hausmutter, empfand den Druck der kleinen Hände der beiden Kinder, die sich an seine beiden Seiten hiengen und seine Hände mit ihren Thränen netzten, und neigte sich liebreich zu den lallenden kleinen Kranken, die von ihren Aeltern ermuntert, von ihrem Strohlager ihre matten Hände empor zu heben suchten, um ihrem Wohlthäter zu danken.

Er hätte sehr gern Marianen mitgenommen, um sie diese süße Scene, die Frucht ihrer menschenfreundlichen Anlage mitgeniessen zu laßen, wenn er nicht die Denkungsart seiner Tante zu genau gekannt hätte. Er hatte ein für schöne Handlungen empfindliches Herz, und obgleich seine kleine Eigenliebe nicht ermangelte, ihm darüber ein Compliment zu machen, daß durch sein Drama dieser Endzweck erreichet worden: so war er doch durch Marianens großmüthige Gesinnungen, deren ganzes Verdienst um die unglückliche Familie er itzt erst in seinem ganzen Umfange erfahren hatte, mit so großer Hochachtung gegen sie erfüllet; daß er bey seiner Zurückkunft sogleich in ihr Zimmer stieg, und ihr, nachdem er ihr von seiner kurzen Fahrt Bericht erstattet hatte, alle Lobsprüche sagte die die warme Empfindung einer guten That eingeben kann, daß er sie als die schönste Seele pries, als die Ehre ihres Geschlechts, die ihrer Tugend wegen das glücklichste Schicksal verdiente.

Mariane, von allem Eigendünkel weit entfernt, aber voll von dem heitern Vergnügen, welches ein edelgesinntes Gemüth beym Wohlthun empfindet, sagte: »Loben Sie mich einer Kleinigkeit wegen nicht allzusehr. Ich habe nur eine sehr gemeine Pflicht beobachtet. oder glauben Sie, daß eine weibliche Seele nicht so leicht solcher Empfindungen fähig sey, die billig ein jeder Mensch haben sollte.«

Indem sie dieses sagte, warf sie, ohne es selbst zu wissen, auf Säuglingen einen Blick, der seine ganze Seele traf. Diejenigen, auf die jemals ein solcher Blick geworfen worden, versichern, daß er tief empfunden werde, aber daß sich seine Wirkung nicht beschreiben lasse. Der sel. Professor Stiebritz würde ihn vielleicht folgendermaßen definirt haben: »Es sey ein Blick gewesen, durch welchen auf einmahl Säuglings symbolische Kenntniß von Marianens Vollkommenheiten, anschauend geworden sey.« So viel ist gewiß, daß von diesem Augenblicke an, mit seiner Hochachtung für Marianen, eine wahre Freundschaft verknüpft ward. Wann nun, wie man sagt, die Freundschaft zwischen Personen zweyerley Geschlechts, sehr bald einen viel zärtlichem Namen zu verdienen pflegt, so ging in diesem Augenblicke in Säuglings Herzen eine Veränderung vor, deren ganze Wichtigkeit er erst in der Folge spürte.


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