Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Achter Abschnitt.

Nach einer kurzen Pause, sagte Sebaldus: »Hätte ich doch nimmermehr gedacht, daß man auf diese Art in Berlin von den symbolischen Büchern reden würde. Ein unbetrüglicher Wegweiser! Ich dächte, kein vernünftiger Mensch würde blindlings einem Wegweiser folgen, der vor mehr als zweyhundert Jahren gesetzt worden, er würde bedenken, durch wie viele Vorfälle der Wegweiser seit zweyhundert Jahren könne verrückt, oder der Weg seyn geändert worden. Wenn man diese Trüglichkeit überlegt, so muß man sich sehr wundern, daß die Menschen so großes Verlangen bezeigen, sich nach Lehrformeln, Synodalschlüssen und symbolischen Büchern zu richten.«

»Die Menschen ein Verlangen? rief Herr F. aus. – Dieß glaube ich eben so wenig, als daß die Menschen ein Verlangen haben, sich bey der Nase herumführen zu lassen. Aber diejenigen, welche die Menschen beherrschen wollen, brauchen Nasen, daran sie dieselben herumführen können, und dazu sind die wächsernen Nasen am besten. Glauben Sie denn, daß der Mann, der eben itzt so viel von symbolischen Büchern redete, ihnen eben so strenge anhängt, als er verlangt, daß ihnen andere anhängen sollen?«

»Dieß muß ich dahin gestellt seyn lassen, weil ich den Mann nicht genau genug kenne.«

»Ich lasse es auch dahin gestellt seyn. Ich kenne aber nicht wenig Geistliche von hohem Sinne, die vielleicht sehr leicht Heterodoxen geworden wären, wenn dadurch Ruhm oder ansehnliche Aemter zu erlangen gewesen wären. Wenn sie aber sehen, daß andere schon mit besserm Erfolge durch Heterodoxien Ruhm erworben haben, wenn sie fühlen, daß sie schwerlich Geschicklichkeit und Muth genug haben möchten, noch wichtigere Neuerungen zu wagen, so ekelt ihnen davor, Heterodoxen vom zweyten oder dritten Range zu seyn, und sie ergreifen die viel bequemere und sichrere Partey, sie stellen sich an die Spitze der Orthodoxen ihrer Stadt oder ihrer Provinz, und wenden eben die Lebhaftigkeit des Geistes, mit der sie Ketzereyen hätten anstiften können, an, um sich Ketzereyen zu widersetzen. Sich auf die ältern Theologen und auf die symbolischen Bücher, bloß als auf unwidersprechliche Grundgesetze, zu berufen, ist schon eine so alte politische Maxime solcher Leute, daß sie bereits abgenutzt ist, und daß die Klügern unter ihnen schon auf ganz andere Mittel denken, um den Ruhm, den sie durch neue Heterodoxien nicht zu erhalten wußten, durch eine neue Orthodoxie von ihrer eignen Schöpfung zu erlangen. Denn wenn diese Herren auch vorgeben, daß sie noch so altorthodox wären, so ist doch gemeiniglich die Art, wie sie orthodox seyn wollen, sehr neu.«

»Dieß kann wohl nicht anders seyn, erwiederte Sebaldus, denn je mehr ich den Gang, den der menschliche Verstand in seiner Entwicklung von je her genommen hat, bedenke, desto unmöglicher scheint es mir, daß alles so bleiben sollte, wie es vor zweyhundert Jahren gewesen ist, und desto ungereimter scheint es mir, daß man, durch Vorschriften von irgend einer Art, die Veränderungen der Meinungen und ihren Fortgang hindern will. Die symbolischen Bücher sind für die Zeit und unter den Umständen, unter denen sie gemacht worden sind, sehr gut. Aber wenn wir denselben beständig anhangen wollten, so befürchte ich, da sich seitdem Regierungsform, Wissenschaften und Sitten gänzlich geändert haben, wir würden endlich eine Theologie bekommen, die sich für die Zeit, in der wir leben, auf keine Weise schicken würde.«

»Sie haben ganz recht. Wenn unsere Theologen die symbolischen Bücher des sechszehnten Jahrhunderts zur unveränderlichen Form des Glaubens annehmen, so handeln sie gerade eben so klug, als wenn unsere Schneider die steifen Kragen, kurzen Mäntel, und weiten mit Pelz bebrämten Röcke eben dieses Jahrhunderts zur unveränderlichen Form der Kleidertracht hätten festsetzen wollen. Die Erfahrung lehret uns, daß die Meinungen sich nicht minder verändern, als die Kleidertrachten. Es geht daher auch den symbolischen Büchern eben so, wie der Kleidung der Geistlichen. Als die symbolischen Bücher gemacht wurden, enthielten sie bloß die allgemein angenommenen Meinungen aller Glieder der Lutherischen Kirche, so wie die Kleidung der Geistlichen, dem Schnitte nach, die Kleidung aller gelehrten Leute, und die schwarze Farbe, die Farbe eines Biedermanns war, wenn er feyerlich erschien. Als die Kleidermoden sich änderten, so blieben die Geistlichen in derselben immer wohl vierzig oder funfzig Jahre zurück, so wie es ihnen noch oft in der Litteratur und Philosophie geht. Endlich änderte sich die Welt so sehr, daß der Schnitt des Glaubens und der Kleidung, der zu Luthers Zeiten allen guten Leuten gemein war, endlich das Symbolum eines besondern Standes blieb. Und dennoch befürchte ich, es gehe, noch in einer andern Absicht, der Konformität mit den symbolischen Büchern, wie den Aermeln und den Mänteln der Geistlichen. Obgleich jene immer Orthodoxie heißt, und diese immer schwarz bleiben, so haben sie beide doch, sonderlich seit funfzig Jahren, so viel kleine, aber wesentliche Veränderungen erlitten, daß im Grunde, ein guter alter orthodoxer Dorfpastor, der, seit Buddeus Zeiten, an keine Veränderungen weder in der Gelehrsamkeit noch in Rockschößen und Perücken gedacht hat, von einem jungen orthodoxen Diakon itziger Zeit, der vier Jahre lang in adelichen Häusern Hofmeister gewesen ist, aller Konformität unerachtet, eben so stark in der Kleidertracht, als in der Glaubenslehre verschieden ist.«

Sebaldus sagte lächelnd, »es dünckt mich doch fast, die Dogmatik habe seit meiner Jugend mehrere Veränderungen erlitten, als die Kleidertracht. Ich dächte die Geistlichen giengen noch eben so, wie vor vierzig Jahren, in Röcken, und in Kragen und Mänteln.«

»Ich dächte nicht. Sie haben nur auf jene Veränderung mehr acht gegeben, als auf diese. Sie ist eben so merklich. Ja sogar, oft ist sie aus Begierde, sich von andern Glaubensgenossen zu unterscheiden, entstanden, und dann ward sie ein Stück der Kirchengeschichte.«

»Sie scherzen. Wie kann die Glaubenslehre auf die Kleidertracht einen Einfluß haben! Außerdem sieht ja, in der ganzen protestantischen Kirche, eine Priesterkleidung der andern ähnlich.«

»Keinesweges! Der steife Wolkenkragen in Hamburg, Braunschweig, Breßlau, Leipzig, und das feine Ueberschlägelchen anderer Länder, die enge Summarie in Mecklenburg und Holstein, der weite Priesterrock in Sachsen und Anhalt, der Mantel in Brandenburg, das sammtne Kalottchen, das der Danziger Prediger auf seine Perücke näher, sind alles wesentliche Unterschiede, die, so wie alle Dinge in der Welt, ihren zureichenden Grund, (determinirenden Grund, dachte Sebaldus heimlich bey sich) und vielleicht oft zunächst in der Lehre haben. Hier habe ich eben eine ungedruckte Handschrift: Historische Versuche über Berlin betitelt, in der Tasche, die mir ein Freund mitgetheilt hat. Ich will Ihnen daraus etwas weniges von der Geschichte der Hüte und Mäntel der Berlinischen Geistlichkeit vorlesen. Vielleicht merken Sie daraus, daß die Eingeweihten aller Orden Zeichen haben, die den Augen der Profanen entgehen.«

Sie setzten sich abermals auf eine Bank, und Herr F. las, wie folget:

»Philipp Jakob Spener, ein gutmüthiger redlicher Mann, der, in einem Zeitalter voll theologisches Stolzes, und theologischer Zänkerey, bescheiden und friedliebend war, der, vorzüglich vor allen dogmatischen Spitzfündigkeiten, die er gern vermieden hätte, und nach dem Genius seines Zeitalters nicht vermeiden konnte, die Rechtschaffenheit und die Lauterkeit des Herzens einschärfte, befliß sich nicht in seiner Kleidung etwas sonderliches zu haben. Sein ehrwürdiges Haupt, um das seine silberweißen Haare in natürlichen Locken hinabhiengen, wärmte ein kleines Kalottchen, und sein weitgefalteter Mantel (die damals gewöhnliche Tracht der Gelehrten, die noch bis in das erste Viertheil dieses Jahrhunderts alle Schüler in Berlin trugen,) hieng, als eine brauchbare Bedeckung, ungekünstelt über die Schultern und Arme herab. Bald nach seiner Zeit, ward ein Theil der Berlinischen Geistlichkeit nach dem modischen Putze der Spanischen Perücken lüstern, die sie so oft auf den Häuptern der Geheimenräthe und der Edelknaben, an dem prunkvollen Hofe unsers guten Königs Friedrichs I. gesehen hatten. Selbst die Pietistischen Prediger mochten diese so oft abgekanzelte, und, nebst den Fontangen der Frauenzimmer, vom Einblasen des leidigen Teufels hergeleitete Kopfzierde, so bald sie die Weltleute mit dem Regierungsantritte König Friedrich Wilhelms ablegten, ferner nicht verschmähen. Vermuthlich ihrer Gravität wegen; denn sie fiengen nunmehr, gleich den Leuten, die ihre Denkzettel breit und die Säume an ihren Kleidern groß machten,Matth. XXIII. 5. an, in ihrer Kleidung sich geflissentlich von andern Menschen zu unterscheiden. Sie machten an ihren Kragen einen breiten Saum. Ein breiter nur zweymal aufgestutzter Schiffhut beschattete vorn und hinten ihr Haupt, und in den Mantel wickelten sie den Unterleib dermaßen ein, daß, bey dem wenigen Raume, den die Füße übrig behielten, derjenige unter ihnen, der von Natur nicht bedächtig war, einen bedächtigen Gang annehmen mußte. Da unsere ganze Lutherische Geistlichkeit um diese Zeit anfieng, sich von der Hamburgischen Orthodoxie der polternden Mayer und Neumeister, ab, und zum sanftern Pietismus zu neigen, so ward dieser eben beschriebene Anzug sehr bald das Merkzeichen eines jeden Lutherischen Pfarrers. Denn die Reformirten, dem Hofe näher, wollten sich nicht so sehr von der gewöhnlichen Kleidung abwenden. Sie behielten den gewöhnlichen dreymal aufgestutzten Hut bey, und den Mantel, dessen viele pedantische Falten sie unmerklich vermindert hatten, schlugen sie von den Schultern zurück, und hoben ihn im Gehen mit der linken Hand zierlich auf, so daß sie mit mehrerm Anstande fortschreiten konnten. Nach einiger Zeit fiengen sie an, den Mantel, den sie mit der linken Hand empor gehalten hatten, zu mehrerer Bequemlichkeit ganz auf den linken Arm zu legen. Unter den Lutheranern, welche schon längst den schmalern Mantel, und die freyern Füße der Reformirten mit heimlichem Neide mochten angesehen haben, wagte es zuerst ein Mann, in großen Dingen klein, und in kleinen Dingen groß, den Mantel um den Leib zu schlagen, und mit freyen Füßen einher zu treten, worinn er bald viele Nachahmer bekam. Es wäre zu weitläuftig zu erzählen, welche Widersprüche jede von diesen Veränderungen habe leiden müssen, wie oft man aus der veränderten Art den Mantel zu tragen, auf eine Neuerung in der Lehre geschlossen habe, und wie oft eine Neuerung in der Lehre unbemerkt durchgegangen sey, weil der Neuerling den Mantel noch nach der alten Art trug. Genug, die alte symbolische Reinigkeit des Manteltragens bekam noch einen grössern Fleck, da einige Kryptokalvinisten anfiengen, den Mantel, nach Art der Reformirten, auf den Arm zu legen, ob sie ihn gleich, weil sie sich denselben nicht ganz gleich stellen durften, auf dem rechten Arme trugen. In kurzem wurde dieser so kleine Unterschied der Konfessionen auch nicht mehr beobachtet. Die Mäntel wurden rechts oder links getragen, ohne einzige Regel, wie es jedem einfiel. Und nun konnte man einen Lutherischen Prediger von einen reformirten destoweniger auf der Straße unterscheiden, da eben zu der Zeit einige Lutherische Geistlichen sich unterfiengen, den ehrbaren Schiffhut, der bisher immer noch das Schiboleth eines Berlinischen Lutherischen Geistlichen gewesen war, mit dem dreyeckigten Hute zu vertauschen, den alle Einwohner Berlins, und unter ihnen auch die reformirten Geistlichen, trugen. So vielem Widerspruche auch dieses Unternehmen anfangs ausgesetzt war,Unter andern fanden in einer gewissen Kirche, in welcher wechselsweise Lutherisch und reformirt gepredigt ward, beide Gemeinen Ursach, sich über diese Neuerung zu beklagen. Es war bisher die Gewohnheit gewesen daß der Prediger, ehe er in die Sakristey trat, außen, neben der Thür derselben, seinen Hut anhieng, woraus die Zuhörer gleich abnehmen konnten, an welcher Konfession die Reihe sey. Nachdem aber der Hut seine symbolische Kraft verloren hatte, so konnten die irregemachten Kirchkinder nunmehr weiter an keinem Kennzeichen unterscheiden, ob die Predigt, die sie hörten, Lutherisch oder reformirt sey. so gieng es doch ohne weitere Ahndung durch. Denn nunmehr war die Zeit gekommen, da die Unordnung und Lauigkeit in der Lehre, die sich schon lange in die Herzen eingeschlichen hatte, auch an den Kleidern sichtbar werden sollte. Vor Zeiten hatten sich die Lutherischen und Reformirten, so viel wie möglich, von einander abgesondert, auch wohl, eine Folge des Eifers für eines jeden Symbolum, weidlich mit einander gehadert, nicht weniger, eine Folge des Haders, einander herzlich gehasset; nunmehr aber, da sich ihre Geistlichen auch nicht einmal mehr der Kleidung nach von einander unterschieden, war fast gar die Frage nicht mehr, ob jemand Lutherisch oder reformirt sey. Diese Indifferentisterey hatte aber auch andere schädliche Folgen. Denn die geistliche Kleidung verlohr einen großen Theil ihrer symbolischen Deutung, und zugleich einen großen Theil ihrer Gravität. In der allgemeinen Sorglosigkeit gegen alle bestimmten äußerlichen Zeichen, wurden die Mäntel immer schmäler, leichter und kürzer, und hiengen als eine zwecklose Verzierung den Rücken herunter; die Perücken, die sonst in gravitätischer Zierde den Rücken herab wallten, oder auf den Schultern in sanften Seitenlocken ruheten, gewannen täglich ein weltlicheres Ansehen, hoben sich in Taubenflügeln und gesteckten Locken in die Höhe, und endlich trugen Prediger kein Bedenken, ohne alle Amtskleidung, in blauen, grauen und braunen Röcken auf der Straße und in Gesellschaften zu erscheinen, und sich keiner gleichgültigen Handlung zu entziehen, die ein jeder anderer unbescholtener Bürger auch verrichten darf.«

Und nun fragte Herr F. lächelnd: »Was sagen Sie zu diesen Veränderungen der Kleidertracht, die doch offenbar mit gewissen Veränderungen in den Glaubensgesinnungen Schritt gehalten haben?«

»Ich sage, antwortete Sebaldus sehr ernsthaft, daß sie nur merkwürdig werden, wenn sie merkwürdige Folgen haben, und die haben sie nur, wenn man sie für merkwürdig hält. Macht man ein unwichtiges Ding wichtig, es mag nun ein Rockärmel, oder ein symbolisches Buch seyn, so kann über dessen Veränderung Zank und Bitterkeit, ja wohl gar Aufruhr und bürgerlicher Krieg entstehen. Eben deshalb sollte man, meines Erachtens, in Dingen, die von der Meinung der Menschen abhangen, nicht allzuviel bestimmen und durch Zeichen festsetzen wollen, weil dadurch Nebendingen mehr Werth beygelegt wird, als sie eigenthümlich haben. Das Bezeichnete ist wesentlich, das Zeichen willkührlich. Hat ein ietziger Geistlicher Speners edelmüthige Gesinnungen, so wird er einem weisen Manne eben so werth seyn, er mag sich schwarz oder grün kleiden, und jeder ehrliche Mann, der rechtschaffen handelt, und so viel er kann, tugendhafte Thaten thut, verdient verehrt zu werden, er mag seine Gedanken vor sich selbst weglaufen lassen, oder sie an irgend ein Symbolum heften wollen. Wenn mich nicht alles, was ich als Kennzeichen der Wahrheit erkenne, trügt, so muß ich glauben, Gott selbst werde uns nach unsern Gesinnungen, und nicht nach unsern Spekulationen richten; er werde jedem gnädig seyn, der so viel gutes thut, als er in der Lage, in der er sich befindet, thun kann, und werde keinen verdammen, weil er symbolische Bücher, die irgend eine Partey, die einmal auf einem Winkel der Erde eine Zeitlang mächtig war, zur Richtschnur festgesetzt hat, entweder nicht verstehen oder nicht billigen konnte.«


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