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Sebaldus brachte der Ermahnung des Magisters ungeachtet, die Nacht sehr unruhig zu, und beseufzete noch den folgenden Tag den unvollkommnen Zustand der deutschen Gelehrsamkeit und das Schicksal der deutschen Gelehrten. Nachmittag ging er zu seinem Freunde Hieronymus, um ihm sein gestriges Gespräch mit dem Magister zu erzählen, und ihn zu fragen, ob desselben Nachrichten zuverläßig wären.
»Ich finde, sagte Hieronymus, daß der Hr. Magister von allen diesen Dingen sehr wohl unterrichtet ist, aber warum beunruhigt Sie diese Erzählung, die freilich nur allzu wahr ist, so gar sehr.«
Seb. Es kränket mich, daß ich von der Hochachtung, die ich für die deutsche Gelehrsamkeit und für die deutsche Gelehrten hege, so viel ablassen muß. Ich habe beständig, einen Mann der ein Buch schreiben kann, mit Ehrfurcht angesehen, und den ganzen Haufen der Schriftsteller habe ich mir als eine Anzahl einsichtsvoller und menschenfreundlicher Leute vorgestellt, die beständig beschäftigt wären, alles was der menschliche Verstand edles schönes und wissenswürdiges hervorbringen kann, zu erforschen, und es zur Aufklärung des menschlichen Geschlechts in ihren Büchern öffentlich bekannt zu machen. Nun thut es mir weh, daß ich sie als einen Haufen geschäftiger Schmierer ansehen soll, die Wahrheit und Einsicht zu einem schimpflichen Gewerbe machen, das blos ihren eigenen Ruhm, Nutzen oder Nahrung zum Zwecke hat.
Hier. Und es thut ihnen um desto weher, weil sie selbst in die Zahl der Schriftsteller zu treten gedenken! – Nicht wahr? – Aber trösten sie sich, alle Schriftsteller und Uebersetzer sind nicht so beschaffen, wie sie Ihr Magister beschrieben hat. Er hat nur von neun Zehentheilen geredet. Es ist noch das zehnte Zehentheil übrig, würdige gelehrte Männer, die es wirklich mit dem Fortgange der Wissenschaften gut meinen, welche der Eitelkeit und den Vergnügungen der Jugend entsagen, um sich gründliche Kenntnisse zu erwerben, und welche Nächte durchmachen um ihre Nebenmenschen, klüger, weiser, erleuchteten und gesitteter zu machen. In deren Gesellschaft zu treten, dürfen Sie sich nicht schämen.
Seb. Und dieser wäre nur eine so geringe Anzahl? Wenn Sie die Anzahl der nützlichen Bücher so gering machen, wissen Sie wohl, daß Sie sich selbst erniedrigen.
Hier. Wie so?
Seb. Ich habe immer der Buchhandlung vor allen Arten der Handlung den Vorzug gegeben, weil ich glaube, daß durch ihre Vermittelung die gelehrten Kenntnisse unter die Menschen gebracht werden, weil sie nicht blühen kan, als wenn eine gründliche und nützliche Gelehrsamkeit blühet.
Hier. Da haben sie einen sehr falschen Begriff von der Buchhandlung. Sie sicher nur in rechtem Flore, wenn die Leute sehr dumm sind.
Seb. Wenn die Leute sehr dumm sind? Das kann ich nicht begreifen. Dumme Leute werden ja keine Bücher kaufen.
Hier. Weßwegen nicht? Sie kaufen dumme Bücher, und die sind in größerer Anzahl und machen größere Bände aus. Es ist auch viel leichter und bequemer für dumme Leute zu schreiben und zu verlegen, als für kluge. Sehen Sie nur meine Collegen die Buchhändler in den katholischen Provinzen an, die zum Theile reicher sind, als alle protestantische Buchhändler, die jetzt die Messe besuchen. Sie finden in ihren Verzeichnissen schöne Folianten über das Jus canonicum, herrliche Fasten- und Fronleichnamspredigten, derbe Controverspredigten wider alle Ketzer, tröstliche Legenden der Heiligen, Gebetbücher und Breviarien in Menge, aber oft kein einziges vernünftiges Buch, das ich, so einfältig auch meine liebe Vaterstadt ist, in meinen Buchladen legen, oder Sie, wenn Sie noch so reich wären, in ihre Bibliothek würden setzen wollen. Oder haben Sie wider Vermuthen (hier ergriff er ein auf seinem Pulte liegendes Bücherverzeichniß) Lust Z. B. folgende Bücher zu kaufen: Laurentii von Schnüffis mirantische Mayenpfeife, mit Kupf. P. Sennenzwickels ernstliche Kurzweil für die zenonische Gesellschaft der machiavellischen Staatsklügler, worin das edle Paar Gebrüdrichen Atheismus und Naturalismus, samt den hallerischen Gedichten dem Sileno als Riesenschröcker aufgeopfert werden. P. Dionysii von Lützenburg verbesserte Legend der Heiligen von P. Martin von Cochem. Der himmlische Gnadenbrunn St. Walburgä. Die geistliche Sonnenblum d. i. kurze tägliche Besuchungen des allerheil. Sacraments des Altars. P. Biners Mucken-Tanz der Herren Prädicanten zu Zürch um das Licht der katholischen Wahrheit. Alexii Riederers Geistliches Seelennetz oder 150 geistreiche Betrachtungen. Bulffers mit kurzen Waaren handelnder evangel. Kaufmann, oder kurze Sonn- und Feyertagspredigten. Der christkatholische goldne Schlüssel, mit welchem die Schatzkammer der zeitlich- und ewigen Güter kann aufgesperrt werden. Hausingers geistliches Frühstück, oder auserlesene Sittenlehren, wollen Sie diese und andere dergleichen schöne Sächelgen mehr, kaufen?
Seb. Nein! was sollte ich mit dem unsinnigen Zeuge machen!
Hier. Nicht? desto schlimmer für den Buchhändler, daß Sie so klug sind, er wird sich dumme Käufer schaffen müssen, oder sein ganzer Laden wird voll bleiben.
Seb. Aber der Buchhändler sollte der Gelehrsamkeit aufhelfen, und keine andere als gute Bücher drucken und verkaufen.
Hier. Das heißt von dem Buchhändler zu viel gefordert, der sich nie nach dem Geschmack der besten Gelehrten, ja selbst nicht nach seinem eigenen, sondern nach dem Geschmacke des großen Haufens richten kan, und dieser macht es ihm nur allzuleicht, die guten Schriftsteller beynahe ganz zu entbehren.
Seb. Dies thun die Buchhändler freilich, aber sie solten es nicht thun, sondern solten sich billig nach dem Geschmacke der grösten Gelehrten richten, und ich habe mich schon oft über Sie gewundert, da Sie wissen was große Gelehrten von Büchern urtheilen, und doch schlechte Bücher drucken und verkaufen.
Hier. Mein Freund! der Geschmack der großen Gelehrten ist der Geschmack sehr weniger Leute. Der Buchhändler aber braucht sehr viele Käufer, wenn er sein Geschäft treiben soll. Daher kommt es, daß so oft Autor und Verleger bey dem besten beiderseitigen willen, sich nicht vereinigen können. Jener will den innern Werth seines Buchs verkaufen, dieser will bloß eine Wahrscheinlichkeit des Absatzes kaufen. Jener schätzt seinen und seines Buches Werth nach dem Beifalle einiger wenigen Edlen. Dieser überlegt, ob es möglich oder wahrscheinlich sey, daß viele nach dem Buche lüstern seyn werden, ohne in Anschlag zu bringen, ob sie gelehrt oder ungelehrt, weise oder einfältig, nach Unterricht oder nach Zeitvertreib begierig sind. Sehen Sie den Tyroler der dort geschliffne optische Gläser zum Verkauffe herumträgt. Er hat kein Flintglaß und keine Dollondsche Tuben. Fragen sie ihn, warum er nicht vorzüglich sich erkundigt, was für Gläser die grösten Astronomen verlangen? Er wird antworten: Ich verkaufe meine Gläser, ich bekümmre mich nicht, ob man sie in Telescope setzt, um unbekannte Sterne zu observiren, oder in Perspective, um einen entfernten Feind zu entdecken, oder den Freund der uns besuchen will früher zu erblicken, oder in Microscope, um im Saamenthiergen zu unterscheiden, ob der erste Keim des Menschen ein Fisch oder eine Faser ist, oder in Brenngläser, um Flotten oder Tabackspfeifen anzuzünden, oder in Brillen um feine Schrift zu lesen. Soviel ist gewiß, irgendwozu muß die Waare brauchbar seyn, sonst führe ich sie nicht. Doch hat mich die Erfahrung so viel gelehret, daß Brillen stärker abgehen als TelescopienDaß diese Erfahrung des Tyrolers, auch schon im vorigen Jahrhunderte richtig befunden worden, zeigt die weise Frau Verlegerin eines höchst wichtigen türkisch geschriebenen Geschlechtregisters, mit dessen Uebersetzung und Commentirung Wilhelm Schickard Professor zu Tübingen im Jahre 1628. die orientalische Geschichte aufklären wolte. Schickard glaubte gewiß, sein Buch würde viel Käufer haben, weil es nicht zu den gemeinen alle Tage vorkommenden Büchern gehörte, sondern er darin den Gelehrten von einer neuen und fremden Materie, so viel neues und fremdes berichten konnte. Aber aus dieser Ursache befürchtete die Frau Verlegerin das Gegentheil. Sie versicherte, aus der Erfahrung zu wissen, daß die Bauerkalender viel häufiger verkauft würden, als die astronomischen Ephemeriden, aus denen sie gemacht sind. S. Leßings Beyträge zur Geschichte und Litteratur. Erster Beytrag S. 91., zumahl in meinem Lande, wo viele Leute ein blödes Gesicht haben, und sich kein Mensch auf die Astronomie legt.
Seb. Aber es ist dennoch unrichtig, daß die Buchhandlung durch dumme Bücher in Flor kommt, denn sie können doch nicht läugnen, daß seitdem die Lectur in Deutschland mehr Mode geworden, die Buchhandlung mehr florire.
Hier. Das läugne ich geradezu. Zur Zeit der schönen dicken Postillen, der centnerschweren Consultationen, der Arzneibücher in Folio, der Opera omnia, der classischen Autoren und Kirchenväter in vielen Folianten, der theologischen Bedenken, der Leichenpredigten in vielen Bänden, der Labirynthe der Zeit, der Schaubühnen der Welt, war die Buchhandlung im Flor. Was gibt man uns jetzt anstatt dieser wichtigen Werke? Kleine Büchelgen von wenig Bogen, die aus Hand in Hand gehen, viel gelesen und wenig gekauft werden, wodurch denn endlich die Leser so klug werden, daß ihnen die alten Kernbücher anstinken. Sehen Sie, das ist der Vortheil, den wir Buchhändler vom Lesen der Bücher haben.
Seb. Aber das ist doch zu arg. Wenn man die Bücher nicht lesen soll, was soll man denn damit thun?
Hier. Sie zerreißen oder Wände damit tapezieren.
Seb. Gott behüte, was sagen Sie da!
Hier. Was alle Tage geschiehet. Meine besten Kunden sind Schulknaben, Handwerksburschen, Bauern, gute Mütterchen, die beten und singen und die die Knäblein und Mägdlein oft mit sich in die Wochenpredigten nehmen, die denn aus langer Weile fleißig die Gebetbücher und Gesangbücher zerreißen. Die Gewürzkrämer machen auch eine wichtige Consumtion von Büchern, und in diesem Kriege sind viele Streitschriften wider die Ketzer, die mir zur Last lagen, in Patronen verschossen worden. Wände mit Büchern tapezieren, oder um gelehrter zu reden, große Bibliotheken errichten, war zu der Zeit Mode als die vorhergenannten großen Bücher noch verkauft wurden. Itzt hat die leidige Sucht, Gedichte und kleine Modebücher zu lesen, die großen Bibliotheken und die schwerfällige Art zu studiren wozu große Bibliotheken nöthig waren, ganz aus der Mode gebracht, und seitdem ist eine sehr ergiebige Quelle des Reichthums der Buchhändler verstopft. Wenn auch irgend eine tüchtige Feuersbrunst einem Buchhändler aufhelfen könte, so wird selten eine verbrannte Bibliothek wieder angeschaft.
Seb. So ist dies das Schicksal der Bücher, der Früchte des Fleißes so vieler verdienstvollen würdigen Gelehrten? Zerrissen, zu Düten verbraucht, oder vergessen, oder verbrannt zu werden? Darüber möchte man Blut weinen.
Hier. Geben Sie sich zufrieden. Wir reden von zwey ganz verschiedenen Dingen. Erinnern Sie sich nur aus ihrem Gespräche mit dem Hrn. Magister, auf welche Art die Bücher, die marktgängige Waare sind, verfertigt werden, so werden sie finden, daß sehr viele davon eigentlich noch ein schlechter Schicksal verdienten.
Seb. Wenn auch alles wahr wäre was Sie da sagen, so wünschte ich doch, daß es nicht wahr wäre.
Hier. Ich auch nicht.
Seb. Und doch sagen Sie selbst, daß es Ihr Vortheil erfodere, daß die Welt dumm bleibe.
Hier. Wenn ich als Kaufmann rede, so muß ich freilich wißen, was eigentlich mein Vortheil ist; aber ich liebe meinen Vortheil nicht so sehr, daß ich ihn mit dem Schaden der ganzen Welt erkaufen wolte. Ich liebe die Aufklärung des menschlichen Geschlechts, sie fängt auch an, sich bey uns zu zeigen; allein sie gehet noch mit sehr langsamen Schritten fort. Ich habe den Wirkungen derselben oft mit Vergnügen bis in die Winkel nachgespürt, wohin keine gelehrte Nachricht reicht. Ich merke seit einiger Zeit, daß in meiner Vaterstadt, verschiedene schlechte Bücher, die ich sonst oft verkauft habe, liegen bleiben, und freue mich darüber.
Seb. Ich frage Sie aufs Gewissen, mein lieber Freund , ist nicht ein wenig Selbstlob bey dieser Großmuth, deren Sie sich rühmen?
Hier. Mit nichten! denn es ist gar keine Großmuth. Ich habe Correspondenz nach dummeren Städten und Provinzen, wo diese schlechte Bücher begierig gekauft werden.
Seb. Aber wenn diese auch einmahl klug werden?
Hier. Sehr wohl. Alsdenn bin ich ganz gefast, den Buchhandel niederzulegen, und bloß beym Kornhandel zu bleiben. Seitdem die ökonomischen Principien aus Frankreich bey uns Mode worden sind, und alles ruft: fahrt nur viel Korn weg, so werdet ihr viel haben, ist in meinem Vaterlande und in den benachbarten Gegenden so oft Kornmangel, daß es sich der Mühe belohnt, ein Kornhändler zu seyn. Auf allen Fall werden in meinem Vaterlande noch keine Zeuge zu Schlafröcken, noch keine Mützen Hüte und Strümpfe gemacht; ich kann also noch Manufacturen anlegen. Aber wehe den Buchhändlern in dummen Ländern, wo schon viel Manufacturen sind und wo die Handlung überhäuft ist. Wenn ein solch Land einmahl erleuchtet wird, so ist für sie kein Mittel zur Nahrung weiter übrig.
Seb. Aber ich habe doch gehört, daß in England und in Frankreich sich die Buchhändler bey guten Büchern sehr wohl stehen sollen.
Hier. Das komt daher, weil in Frankreich und in England, die Classe der Schriftsteller der Classe der Leser entspricht; weil jene schreiben was diese zu lesen nöthig haben und lesen können.