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Das grosse Fest

Das Werk der Schöpfung, bestimmt für eine Dauer von sieben Monaten, wurde aus dem Sand des Marsfeldes gestampft. Die Pariser Weltausstellung von 1867, das Weltwunder des neuen Glücks, stand auf dem Platz des Kriegsgotts; aber man dachte nur vorher und nachher daran, man sah nämlich nichts mehr vom Marsfeld, man sah und hörte nichts mehr von dem Groll der Zeit, so kräftig war der Zauber. Er war auch methodisch und ordentlich, er stand ja im Bunde mit der Technik und teilte das Siebenmonatsparadies in die Schau und in die Lust. Hier gab es indes keinen Schnitt, kein Rechts und Links, die Böcke wurden nicht von den Schafen getrennt, man glitt von der Schau in die Lust, von der Lust in die Schau, es war ein magisches Kreisen des schönen Lebens, des schaffenden und des geniessenden, – und so auch, in mythisch-sinnlichen Kreisen, geschah die Konstruktion des Wunders, ein grossartiger Umschwung des Dargebotenen, ein Zauberkarussell von solchen Ausmassen, dass es stehen bleiben konnte und die Schau-Lustigen dennoch rundum jagte, bis zum äussersten Kreis des Paradieses: dem Rausch des Lebens.

In der Mitte stand die Schauburg, der Schauzirkus, ein riesiger Rundbau aus Eisen, Ziegelstein und Glas, mächtig und beinahe brutal hingesetzt zwischen Jenabrücke und Militärschule, schmucklos und nüchtern, ein Hohn, sollte man meinen, auf die bizarre und tausendfältige Lust, die es umkreiste, in Wahrheit aber ihr Kern und ihr Erreger; denn im Innern des grobschlächtigen Gehäuses mit seinen fünfzehn Pforten zog ja der Zeitreichtum seine zugleich blendenden und wunderbar klaren Kreise. Hier im Innern der grossen Schau wurde magische Mathematik getrieben. Das gewaltige Rund bestand aus sieben konzentrischen Ringen: der äusserste und grösste gehörte den Maschinen, der zweite den Rohstoffen, der dritte der Bekleidungsindustrie, der vierte der Möbelindustrie, der fünfte dem Kunstgewerbe, der sechste den Schönen Künsten, der siebente und kleinste der Arbeitsgeschichte. Vom Zentrum, einem offenen Garten mit Springbrunnen, Statuen und dem Münz-, Gewichte- und Mass-Pavillon, gingen vier Hauptwege aus, die rechtwinklig die sieben Ringe durchschnitten, und zwischen diesen Kreissektoren lagen wiederum strahlenförmig die Strassen der ausstellenden Nationen. So konnte nun der Schaulustige die einzelnen Industrie- und Kunstringe abgehen, durch alle Länder hindurch, oder die einzelnen Nationalstrassen des Strahlenbündels durch alle Produktionsringe hindurch. Das war die Magie der Schau.

Rund um das Karussell der Schau aber kreiste der Lustpark, Siebenmonatswunder von Baum und Blume, Boskett und Blütenhügel, Wiese und grünschattigem Irrgarten auf ganz vergessenem Exerziersand. Hier herrschte die Magie der Fülle, des Durcheinanders, der Verwirrung und der Verführung. Hier war die grösste Kirmes der Zeit, und die Welt wurde zum Spielzeug. Hier in der kunstgrünen Runde wirbelten, grellfarbig und dünnwandig, Pavillons und Kioske mit, Leuchttürmchen, Theaterchen, griechische Säulenhallen, ägyptische Tempel, Karawansereien, Pagoden, Moscheen, Bazars, Aztekengräber, russische Poststationen, Cafes von Paris bis Mekka und die Restaurants aller Länder, und es bedienten die Mädchen aller Länder, aller Farben, aller Trachten, sie verabreichten Speise, Trank und Liebe, in manchen Ländern bedienten sie halbnackt, in anderen Ländern mussten sie tanzen, singen, reiten und auf dem Trapez durch die Luft sausen, und mit der Nacht kam dann der Zustrom der städtischen Professionistinnen über die Jenabrücke ins Paradies, und in den unechten Parkalleen, die gehorsam nach Blumen dufteten, zwischen falschen Dörnchen, Kuppeln, Minaretts und Hochöfen, vorbei an Sphinxen, Tiroler Dörfern, holländischen Fischerhäusern, dem Hause Gustav Wasas und dem Palast der Inkas blühte das Gewerbe.

 

Doch der Beginn der friedensseligen Phantasmagorie auf dem Marsfeld war so trübe oder gar so ominös, dass es für den symbolhungrigen Chronisten ein Fressen war. Denn vom Aprilhimmel ging nicht allein der eisige Regen eines tückisch langen Winters nieder: es standen da noch andere Wolken, Kriegswolken, wieder einmal, in der deutschen Presse donnerte es böse zur Paradieseröffnung, und im neuen Reichstag, ebenfalls einem Geschenk von Sadowa, blitzte es scharf. Dies alles also war wegen Luxemburg, und den Chronisten kam das böse Lachen an, das Gelächter über den Kaiser von Europa. Welch eine Glücks- und Machtpolitik des grossmächtigen Cäsars! Zuerst kam die wohlwollende Neutralität, auch die aufmerksame genannt, und selbst das Land weiss nun zur Genüge, was alles an Wohlwollen und Aufmerksamkeit sie eingebracht hat. Dann kam die Kompensationspolitik: und das ist eine Komödie, die zu schreiben leider nicht erlaubt ist, das ist die Farce schlechthin. Da gab es zuerst die ganze Rheingrenze und dann die halbe mit Mainz und dann die Rheinpfalz, und dann winkte man dem Strom ein Lebewohl und nannte Belgien und schliesslich Luxemburg: und immer sagte dieser grossartige Bismarck vorher ein halbes Ja und hinterher ein ganzes Nein, ein Nein mit Kriegswolke, Donner und Blitz, – und Cäsar zog ab und glitt in den nächstkleineren Kompensationskreis über, so wie der Schaulustige im konzentrischen Schauzirkus. Was aber ist kleiner als Luxemburg? Luxemburg-Stadt und ihre preussische Garnison, die nach der Auflösung des alten deutschen Bundes keine Daseinsberechtigung mehr habe. Das war keine Kompensation mehr, das war der Ehrenpunkt. Und siehe, der Punkt wurde gewonnen. Da war der neue Aussenminister, ein kluger und kaltblütiger Mann. Er gewann den Punkt, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt durch eine Konferenz der Signatarmächte zu London. Das Grossherzogtum, der holländischen Krone zugehörig, wurde unter die neutralen Staaten aufgenommen, die Hauptstadt als offene Stadt erklärt, und die preussische Garnison zog ab. Auch ein Punkt ist ein Gewinn, und die Regierungspresse ist dazu da, aus dem Floh den Elefanten zu machen. Man ist noch Kaiser von Europa und ein uneigennütziger dazu. Man kann jetzt die Wolke über dem Werk der Schöpfung, dem sehr wichtigen und höchstpersönlichen, mit dem kaiserlichen Finger verschieben. Und die Maisonne kam und die grosse Maienlust. Das Marsfeld ist begraben. Präsident des triumphierenden Paradieses ist Loulou, jetzt elfjährig.

Der Chronist war enttäuscht, nicht allein, weil mit dem Verschwinden der finsteren Wolken und auch des finsteren Fundamentes ein dankbares Thema für seine moralischen Betrachtungen abhanden kam. Hatte er denn den Krieg herbeigewünscht? Nein, er hasste Krieg auf seine radikale Art, er war Antimilitarist, wie er antiklerikal war, antibürgerlich, antikaiserlich. Aber, nicht wahr, zwischen dieser Frage und dieser Antwort steckt ein winziger Vorbehalt, eine ganz kleine Unredlichkeit, die eigentlich nur den direkten Artikel unterschlägt und die Hassgrade verschweigt. Er schämt sich dessen vor sich selber; denn er schämt sich vor einem sehr seltenen, sehr fernen Gedanken, der nicht nur entsetzlich ist, sondern auch die Vergeblichkeit seines Lebens bedeutete: sein Leben soll doch der Hass sein, der zerstört und brandstiftet. Immer dann, wenn dieser Gedanke auftaucht und die Scham über ihn, wird er böser noch, aber auch besorgter.

War dies alles denn noch Farce, lachhaft und gelächterreif, wenn schon durch die cäsarische Komödie ganz shakespearisch grauenhaft und tragisch die neue Ophelia aus Mexiko im Schloss von Laeken lebensnächtig geistert? Wie erträgt denn der Verantwortliche die Dramatisierung seiner Spekulationen und die Verfinsterung seines dreisten Glücks, wenn er schon nicht am Bruch von Eid und Wort zerbrechen kann, – hat er nicht angeblich ein halbwegs gutes Herz und mit aller Gewissheit einen kranken Körper? Nun, er verträgt es nicht schlecht, es geht ihm augenscheinlich viel besser als im vorigen Jahr, im Sadowa-Jahr, er ist oft zu sehn, er eröffnet, weiht ein, hält Reden, baut am grossen Blendwerk, schiebt Wolken fort und lässt die Sonne auf das riesige Glücksrad des verzauberten Marsfeldes scheinen. Er ist kein leichter Gegner; denn er versteht sich auf die Illusion und zugleich doch auch auf die Füllung der Mägen, er ist ein Magier des Materialismus, also ganz und gar nicht zeitdumm und zeitfremd, er ist der Zirkusdirektor der grössten Zahl, und jedes Kind kennt den Zahlentaumel seiner Ausstellungsmanege, der noch nie dagewesenen, ja, er gibt dem Volk viele Spiele, aber noch viel mehr Brot, und das kaiserliche Brot ist Hülle und Fülle, ist Fleisch, Frucht, Wein, Bier, Schnaps und Lust: es ist das gute Leben. Soll euch der Chronist das Schauermärchen von Mexiko erzählen? Aber man verträgt es ja gut, auch ihr, und dass die Moral von der Geschichte – oder die halbe Moral; denn die Geschichte ist ja noch nicht ganz zu Ende – auf himmelschreiende Art zu Fleisch und Bein und krankem Geist geworden ist: wer hört jetzt noch den Schrei im johlenden Marsfeld-Paradies? Dort habt ihr ja auch Mexiko: Kunstreiter, Pistolenschützen, Jongleure mit Lassos und Sombrerohüten, und auf der Plattform des Aztekengrabes aus übergipsten Brettern, zwischen Beduinenlager und tunesischen Musikanten, hocken echte Indios und trommeln.

Das Trommeln klang dunkel und böse, ein fremdes, unfassliches Signal, Bluttakt und Wutruf. Doch wer hörte darauf, im Lärm der Kirmes, wer legte einen finsteren Sinn in die Lustschau und wer mochte jetzt dem Chronisten folgen, dem politischen Troll, der noch aus dem Panoptikum eine Oppositionsparabel macht? Alles zu seiner Zeit, und jetzt ist die Zeit der unliterarischen Possenreisser. Jetzt konnte es nicht glücken, von der trommelnden Mexiko-Schau auf das Schauermärchen zu kommen, auf den zertrommelten Kopf Charlottens und auf den gottverlassenen Maximilian, den nun die Indio-Trommeln bei Queretaro umstellten. Jetzt sang der Chor, dessen Ton Verstärker der Chronist war, das Halleluja des schönen Augenblicks.

Rochefort hasste Krieg und verbot sich, an ihn zu denken, an den stärkeren Zerstörer und Brandstifter, – auch jetzt, da das Volk verzückt ins grosse Blendwerk starrte und er am Rande stand, böse und besorgt, auch jetzt verbot er sich, an den Krieg zu denken, an die nächste Wolke, die kommen wird; denn der Kriegswind, der von Osten kommt, wird nicht einschlafen. Wie aber war es mit dem Kaiser, dem hartnäckigen Rekonvaleszenten und stumpfnervigen Dompteur des Mexiko-Gewissens? Ja, der Kaiser war kühn, von einer sonderbar zwischenbodigen Dreistigkeit, von fast lästerlichem Weltausstellungsdünkel. Er hatte – zum dritten, zum vierten Mal nach Sadowa – die Kriegswolke verjagt und die Kriegsübungsfläche vertuscht: aber er nahm den Krieg ins Paradies auf wie Mexiko, den Krieg als Schau – dreister noch: er liess die Kriegsschau im äussersten und grössten Zirkusring kreisen, in der Industrie, metallurgische Abteilung, und hier wurde die magische Mathematik des Zirkels zur stählernen Hoffart, blank und blind wie das Material. Denn der Preussenkreisschnitt zeigte das Haupt- und Prunkstück des Mordsektors: Monstre-Kanone von Krupp-Essen, Gewicht fünfzigtausend Kilo, – und die Schaulustigen bewunderten sie über die Massen, ungefähr mit den gleichen Ausrufen wie draussen im China-Pavillon den grössten Mann der Welt, Tschang-Wu-Po, das beliebte und vielfach verwandte Gleichnis des Chronisten; und zum Krupp-Stand zuerst wanderte dann auch im jubilierenden Juni der sensationellste Ausstellungsgast, Graf Bismarck. – Gewiss, die einheimische Kanonenschau zeigte keine Monstrositäten, dafür aber den innigen Kontakt von Schneider-Creusot mit der Krone; denn ihr wisst, der Kaiser ist von Hause aus Artillerist, so wie der Kriegsgott, das moderne Geschützwesen des Reichs ist sein Werk, und hier sind nicht nur ein gezogenes Geschütz und eine Haubitze zu sehn, die er persönlich erfunden hat, sondern auch die modernsten Hinterladerstücke, die er eingeführt hat. Und ein wenig weiter im Kreise, in der Handwaffenschau, gebührt Ehre und Bewunderung dem anderen Kaiserwerk, dem neuen Infanteriegewehr, Modell Chassepot, das nun fertig ist, erprobt und eingeführt, und seinerseits das Ausland in den Schatten stellt, selbst das preussische Zündnadelgewehr mit seinem frischen Ruhm von Sadowa und die anderen blitzblanken und hübschen Schaustücke der Länderstrahlen, Remington, Winchester, Lindner, Snider. Die Schaulustigen waren voller Lob; aber dann trieb es sie schon weiter, vorbei an den allerneusten Ambulanzwagen, Tragbahren, Fahrstühlen und Prothesen, in den zweiten Ring zum allerneusten Leichtmetall, blank wie Silber und vielversprechend: Aluminium.

Der Chronist aber, störrisch bestrebt, den in die Lustschau geschmuggelten und heiter bestaunten Krieg wieder hinaus ins Grauen zu zerren, schrieb eine kleine Untersuchung über die Beziehungen der Kriegstechnik zum Heldentod, ausgehend von einer moralphilosophischen Betrachtung über die mechanische Abwertung der Tapferkeit. Denn besitzt zum Beispiel die feigste Indio-Seele einen von diesen prächtig ausgestellten und gebührend bewunderten neuen Hinterladern, der blondbärtigste Held aber nur einen alten Vorderlader, so kommt es eben nicht mehr auf Feigheit oder Tapferkeit an, sondern allein darauf, dass das eine Gewehr sechs Schuss in der Minute abgeben kann, das andere aber nur einen. Dies zur Moral. Technik hat ja auch nichts mit Moral zu tun, sondern mit Fortschritt, wie es die Weltausstellung beweist. So könnte also auch diese kleine Untersuchung betitelt werden: Die Kriegstechnik oder der Fortschritt des Heldentodes. Denn der Fortschritt ist enorm. Man bedenke nur, welche Mühe es machte, mit Spiess, Streitaxt, Morgenstern, Zweihänder und Hakenbüchse zu morden, – nicht hinsichtlich der Qualität, sondern der Quantität. Gewiss, man mordete nicht übel, und tot ist tot; aber es war eine Mordarbeit im ehrlichsten Sinn des Wortes, auf eine einigermassen respektable Zahl zu kommen, auf Zahlen, auf Zahlen, auf das Mordglück der grössten Zahl! Jetzt aber ist es anders, jetzt wird von hinten geladen, bei Haubitze, Kanone, Flinte und Pistole, jetzt sieht man munitionspralle und automatisch ladende Magazine, jetzt geht alles sechsmal so schnell, womit nicht gesagt sei, dass sich der Mord nur versechsfache; denn da sind Potenzrechnungen, die ihr nicht ahnt, und Bomben und Granaten, die tausend glühende Mordsplitter abgeben, ehe ihr bis Drei zählt, – und alles dies, ihr Schaulustigen, ist ja nur ein Beginn; denn die Mordtechnik ist eine Lawine und der Abgrund der Zukunft unermesslich. Es kann also abschliessend gesagt werden, dass keine Statistik so grossartig in die Höhe schnellen wird wie die der Verlustlisten, und dass die grösste Zahl die des Kriegsleids sein wird und des Massentodes. –

»Muss das sein«, stöhnte der Chefredakteur, »just wo die Welt noch niemals einen so schönen und lustigen Juni erlebt hat – ich kenne mich doch aus, ich bin annähernd neunzehnhundert Jahre alt –, just am Tage vor der Weltausstellungs-Truppenschau mit Kaiser, Zar, Wilhelm und dem lieben Bismarck: muss das wirklich sein, Sie böser Mann?«

»Ja«, sagte Rochefort, »eben darum.«

»Und wenn ich mich ausnahmsweise, weltausstellungshalber, weigere, Herr Graf?«

»Dann«, sagte Rochefort, nahm das Manuskript und stand auf, »sage ich Ihnen Adieu, Herr de Villemessant.«

»Du lieber Gott«, stöhnte der Chefredakteur, »bleiben Sie sitzen und geben Sie es in die Setzerei. Man wird es ja doch nicht lesen; denn man liest zur Zeit nicht.« –

Es gab zur Zeit auch kein Marsfeld, die militärische Feerie wurde auf dem Rennplatz von Longchamps aufgeführt, und der selige Morny, Schöpfer des Grand Prix, hätte sein Hippodrom so wenig wiedererkannt wie das Marsfeld, denn das weite Feld verschwand unter der riesigen Farbenwoge der Uniformen. Die Schauarmee kommandierte der Repräsentative des Offizierkorps, Canrobert, ein Mann, der aussah wie ein Paladin des Sonnenkönigs, wie ein überaus geschmeicheltes, verjüngtes und verschöntes Paradebild des Turenne, ein berühmter Krimmarschall auch er, Sieger von Alma, ein so glänzender Paradeführer, dass er den russischen Gast durch seine bereits historischen Verdienste nicht mehr kränken sollte. (Er, Canrobert, dachte der unausstehliche Chronist, kränkt ja auch nicht mehr die verzückte Zuschauermasse von Paris, obgleich er doch auch seine historischen Verdienste an der Staatsstreichkanonade vom 4. Dezember hatte.) Der Zar zwar, ein schwergebauter, gut aussehender, aber nicht eben freundlich dreinblickender Herr, wurde bei seinem feierlichen Einzug nicht gerade über den glücksneuen Boulevard Sébastopol geleitet; aber man konnte es nicht verhindern, dass ihn nicht immer die richtigen Vivats empfingen, zuweilen leider auch die falschen, nämlich die auf Polen, – es gibt ja, dachte der Chronist ermutigt, noch das andere Paris, das nicht weltausstellungsnärrische. Man konnte es füglich auch nicht verhindern, dass fast zusammen mit ihm, aus viel grösserer Ferne noch, eine Nachricht eintraf, dank des technischen Fortschritts mittels des neuen Transatlantik-Kabels über den Ozean springend, und dass sich diese Nachricht gerade verbreitete, als zu des Zaren Ehren ein märchenhaftes Fest im Schloss gegeben wurde, Sommernachtstraum des Zweiten Kaiserreichs mit sechshundert Halbgöttern, -Göttinnen und Elfen zwischen den lebenden Spiegeln der Cent-Gardes-Silberbrünnen –, und wenn sie vom Garten aus die in allen pyrotechnischen Künsten leuchtende Palastfassade betrachteten, so hätten sie meinen können, die Tuilerien brennten. Aber da die Feste sich drängten, auch die Illuminationen, die österreichische Botschaft bei ihrem Ball ein riesiges Andreaskreuz aus Leuchtfeuern im Garten ausstellte und dann auch das Stadthaus mit grossartiger Wirkung zum Junisternenhimmel loderte, kamen die mageren Kabelworte aus USA, dass Queretaro genommen und Maximilian gefangen sei, nicht recht auf. Jetzt, in Longchamps, wurden sie vom Parademarsch der Galauniformen zertreten.

Hier gab es, dachte der böse Chronist, aber auch der gute Doktor Gonneau und die andern wachsam besorgten Leibärzte, vielleicht sogar auch die Märchenkaiserin auf der Tribüne, – hier bei der grossen, bunten und glitzernden Ausstellung kriegerischer Tugenden, gab es zum mindesten Einen, der zu leiden hatte und es nicht zeigen durfte, weil er unter der Kontrolle der Zuschauer und der Schausteller stand, zum mindesten Einen, für den das prächtige Spiel des Kriegs mit dem Ernst des Schmerzes verbunden war. Das war der Kaiser: denn er musste reiten. Er musste galoppieren. Die Batterie auf dem Mont-Valérien schoss den Kaisersalut. Drei Herrscher Europas galoppierten heran, eskortiert von Spahis, gefolgt von der Glanzwolke der Granden dreier Grossmächte – welch ein Bild der vereinten Kraft und der Freundschaft Europas! Aber nur Der in der Mitte auf dem wundervollen Rappen lächelte, der Kaiser; es war ein eingeklemmtes Lächeln, auch die Lippen, unter dem Imperial versteckt, waren eingeklemmt, und selbst durch die weichen Backen stiess sich der Krampf der zusammengebissenen Zähne als sichtbarer Wulst. – Der heldischste Ritt, dachte der Böse, den je die Piste von Longchamps erlebt hat und erleben wird; und er dachte auch daran, dass der Kaiser nicht das Jedermannskäppi trug wie damals, als ihm die Bastillestürmer die Pferde ausspannten, sondern den Paradehut, einen Zweispitz wie jenen, den ein Splitter der Orsinibomben traf. – In der Suite aber ritt die Gastsensation der Weltausstellung, leicht erkennbar am Schnauzbart und am Kürassierhelm. »Vive la Bismarck!«

Die Kavalkade ritt vor die Tribüne und grüsste zur Kaiserin hinauf, Eugenie erhob sich und grüsste hinunter, – und dieser Gruss war von so vollkommener Anmut, Schönheit und Würde, dass der Chronist plötzlich begriff, warum der Inselgott Victor Hugo niemals doch diese holde Frau mit dem Dreizack seines Zorns berührte. Neben ihr stand in weissem Uniförmchen der holde Sohn, Präsident der Weltausstellung; aber auch er war ein Leidender und konnte es nicht einmal verbergen, er litt an Abszessen und wurde jüngst geschnitten, er hinkte noch und war sehr schmal und blass, doch selbst sein Hinken war von sonderbarem, traurigmachendem Liebreiz. L'Enfant d'Espérance. Rochefort liebte Kinder und wandte sich ab.

Die Farbenwoge rollte heran und vorbei, Bärenmützen, Tschakos, Käppis, Garde, Grenadiere, Linie, gelbbetresste Voltigeurs, Gendarmes mit rotem Koller, Tambourmajors in Gold, grüne Jäger, – ein Gardeschützenbataillon in stolzer Isolierung mit den blitzneuen Chassepots, unter Jubel, – Zuaven, Turkos, Artillerie: rote Hosen, weisse Gamaschen, rascher Massenschritt im Takt der Schmettermärsche. Und dann bebte die Erde, – zehntausend Reiter brausten heran und schleppten in den Facetten ihres metallischen Glanzes die Junisonne mit wie Feuerwerk: die weissen Lanciers der Kaiserin, rote Husaren, grüne Dragoner mit weissem Koller, Karabiniers mit der Goldsonne auf dem Harnisch und dann das Wunderregiment der Guides mit bepuscheltem Tschako, pelzverbrämten Dolmans und einem solchen Aufwand an Verschnürungen, Borten und Bändern, dass sie wie goldgehämmert schienen, – sie stürmten in voller Karriere auf die Herrschergruppe zu, die Zuschauer schrien vor Entzücken und Angst, die Reitermasse stand plötzlich wie eine Mauer, einen Zwischenraum von fünf Schritten zwischen sich und den höchsten Herren, präsentierte die Säbel und rief: »Vive l'Empereur!« Wilhelm und der Zar wandten ihr Pferd dem Gast- und Schaugeber zu und salutierten. Der Kaiser dankte ernst; denn da der Rappe stand und den armen Leib in Ruhe liess, brauchte er nicht mehr zu lächeln. Die riesige Menge rund um den Rennplatz und ringsum auf dem Amphitheater der Waldhänge war des Lobes voll: es war ein schönes Spiel gewesen. Der Held des Tages war der kaiserliche Schmerzensreiter, der, umgeben von den Gastgaranten der europäischen Freundschaft, die Liebesattacke seiner zehntausend koketten Glücksritter abfing, als Schlussapotheose im Gold der Sonne und der Uniformen, – er war es im leisen und im lauten Sinn; und der nachdenklich im Haufen der Zufriedenen heimfahrende Chronist gab sich über den zugleich brillanten und eindringlichen Sieg der grossen Operette keiner Täuschung hin, auch darüber nicht, dass die Zeit immer noch lieber auf den vielen Brücken zwischen Liebe und Spott spazierte als auf den spärlichen Stegen zwischen Spott und Hass. Im heissen, überfüllten, fröhlichen Omnibus, der durch das juniselige Bois der Glücksstadt zuschwankte, sprach man von Bismarck wie etwa vom Riesen Tschang-Wu-Po, nicht aber von Queretaro. Ja, Rochefort fühlte sich als der Verlierer des Tages: das machte ihn böser noch und besorgter.

Dennoch irrte er sich ein wenig auf dieser Heimfahrt, sowohl hinsichtlich der Operette als auch der Zeit und dieses Tages Sieger und Besiegten, ein recht menschliches Irren, zumal die Bestimmung des Glücks, also des Schicksals, ein eifersüchtig gewährtes Vorrecht der Götter ist; überdies nur ein kleiner Irrtum, kein grosser. Denn dieser Tag gab sich mit der grossen Operette oder dem schönen Spiel nicht ganz zufrieden, die Zeit sprang plötzlich doch auf Rocheforts spärlichen Steg über, für einen Augenblick, der Chronist war kein glatter Verlierer, der Kaiser kein glatter Gewinner. Der Held des Tages nämlich war nicht er, sondern ein namenloser, kleiner Hofkavalier, und dieser nette Stallmeister in koketter Uniform und strammen, weissen Wildlederhosen und hohen Lackstiefeln wusste es immer noch nicht und ahnte keinesfalls, dass bald, sehr bald, sein Name blitzenden Tagesruhm und gesicherte Karriere und sein hübscher, aber leerer Rock füllige Dekorationen des Kaiserreichs und der beiden anderen anwesenden Europamächte erwerben würde, im Nu, und dass er, als Held des Kriegsschautages, sogar Blut verspritzen müsse, nicht seines: das seines schönen Pferdes. Dies alles entschied sich ebenfalls erst auf der Heimfahrt. Da erst gab der Tag, der so viel schiessen hörte und solches Aufgebot von Feuerwaffen sah, das Gardejägerbataillon mit modernsten Chassepots, – da erst gab der Tag den scharfen Schuss ab; und da die Zeit auf den Steg sprang zwischen Spott und Hass, war es ein Schuss aus uralter Vorderladerpistole, der junge Mensch drückte sie mit beiden Händen ab, vorher aber, barhaupt, im Gesicht weiss wie der Tod und mit seinem in Papier gewickelten Museumsstück fuchtelnd, fiel er schon dem jungen Stallmeister auf, der neben dem offenen Galawagen des Kaisers und des Zaren ritt, er riss sein Pferd nach rechts, gegen den Schiessenden, der das gastunfreundliche Polenvivat schrie, damit man wisse, wenn es gelte, – und so wurde nur das schöne Pferd getroffen. Das Besondere war, dass alle wichtigen Personen dieses ernsten Nachspiels den Mut zeigten, der zu dem Kriegsschautag gehörte: der junge polnische Attentäter, der noch unter den Stockhieben der Umstehenden und den Würgegriffen der Polizisten sein Polenvivat wimmerte, der Held des Tages namens Firmin Raimbeaux, der Kaiser, dem solche Szenen als Vor- und Nachspiel nicht neu waren und der den Wert der guten Haltung aus Erfahrung kannte, zurecht besehen aus der Erfahrung sogar dieses anstrengenden Tages, – ihm fiel es möglicherweise leichter, jetzt ruhig und sogar ungewöhnlich gerade im offenen Prunkwagen zu stehen und alle mit Pferdeblut Bespritzten nach ihrem Befinden zu fragen, als vorhin die furchtbaren Paradegaloppstösse in den Unterleib und alle Gelenke mit dem Lächeln abzuriegeln, – und schliesslich der, dem es galt und der ebenfalls solcherlei nicht zum ersten Mal und höchstwahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal erlebte: der Zar erhob sich nicht einmal vom Sitz und schaute unfreundlich und von fern her auf die blutbefleckten Handschuhe des ihm gegenüber sitzenden Zarewitsch, das backenbärtige Gesicht unter dem Helmbusch gekränkt verziehend. Er blieb auch gekränkt, selbst als der Kaiser während der Weiterfahrt etwas von neuer Blutsbrüderschaft murmelte, mit sehr müden Augen. – Nur Pferdeblut, wollte der Gekränkte antworten; aber dann sprach er doch einen kleinen Satz von Gottes Hand, in der man stehe. Das war die Andeutung, dass man folglich die Kaiserhand mit Bluts- und Waffenbrüderschaft nicht zu ergreifen gedenke. Das war also die Ablehnung.

 

Die grosse Kirmes jedoch, für deren technische Lust das Transatlantik-Kabel wichtiger war als seine Queretaro-Nachricht, machte nicht viel Aufhebens von dem kleinen Betriebsunfall nach der grossen Parade, sondern nur von dem wackeren Firmin Raimbeaux, und die Feuilletonisten, die sich auf ihn stürzten, entdeckten zu allem anderen, dass sein Glück garnicht etatmässig gewesen sei, sondern in Vertretung, dass er nämlich für einen viel feudaleren Hofkavalier eingesprungen sei, einen Prinzen Poniatowski, dessen Reitstiefel zu neu und zu eng gewesen waren, und dass es also für die humanitäre Entwicklung Europas garnicht auszudenken gewesen wäre, wenn ein Poniatowski dem Zaren das Leben gerettet hätte. So war man schon wieder auf der bequemen Brücke zwischen Liebe und Spott, wie es sich gehörte, im Umschwung des grossen Festes trieb es die Menschen leicht und lustig von hüben nach drüben, die Bewunderer der goldverschnürten und -verschnörkelten Parade genossen nichts mehr als die Militärkarikaturen, ohne die kein Witzblattzeichner hätte sein Einkommen haben können, – da gediehen Bärenmützen, Tschakos, Tschapkas zu gewaltigen Gebilden, den Kürassieren wuchs der Rossschweif vom griechischen Götterhelm bis auf den Boden, nicht unähnlich den Reklamebildern der Haarwuchsmittel auf der Weltausstellung, und die Guides gar, Regiment aus lauter Märchenprinzen, wurden mit so überquellenden Brustpolstern, überdeutlichen Korsetten und Wespentaillen ausgestattet, dass sie, überaus bärtig zwar, dennoch als Corps de ballet auftraten. Dies ungefähr waren ja auch die Figurinen von Offenbachs Weltausstellungs-Operette, dem Welterfolg, der Khedive tat klug daran, sich schon bei der Abfahrt aus Kairo telegraphisch eine Loge zu sichern, hier lachte selbst der gekränkte Zar und natürlicherweise der lachfreudige Bismarck.

So viel Glaube, Scham und Angst sind nun schon unter dem Zeitgelächter zusammengestürzt – was bleibt euch noch? Die Gloire? Eure spöttische Liebe für die immer buntere und kostbarere, für die immer sinnlosere Uniform? So lacht über die Gloire der Grossherzogin von Gerolstein und über die Uniform des Generals Bumm, der noch mehr Orden hat als Canrobert, lacht recht aus vollem Halse über die Prachtmontur der Operettenarmee! Aber Hortense Schneider ist Grossherzogin, Schöne Helena und Kaiserin in einer Person, sie gefällt und wird umjubelt, sie ist die Kaiserin, jetzt wagt sie die vollkommene Kopie und die graziöseste Parodie, das gefällt, da ist nur Spott dabei, kein Hass, keine Beleidigung; denn wie kann es kränken, wenn die schönste Diva es der schönsten Kaiserin gleichtut? Wäre Hortense hässlich, dann hätte die Zensur den zureichenden Grund gehabt, einzuschreiten, so wie sie aus dem Textbuch die Apostrophierung des »Sieger von Sadowa« herausstrich, mit dem allerdings nicht General Bumm und seine Kriegsnarren gemeint waren. Hortense, als Grossherzogin die Kaiserin spielend, liebt den Grenadier Fritz, macht ihn im Nu zum General, ihn Bummscher Neidverschwörung, aber auch der lachhaftesten Gloire ausliefernd, und degradiert ihn dann heftig wieder zum Gemeinen, weil der Fritz die kleine Wanda liebt, nicht aber die Kaiserin. War das eine Beleidigung der keuschen Kaiserin? O nein, es war eine schmeichelhafte Okulation der fremden, kalten und nur noch politischen Schönheit mit der sinnlichen; denn die Schaulustigen lieben nur Liebende, und so stürmisch kreiste die allgemeine Bewunderung um die Kaiserin Hortense und ihre berühmte Garderobe, die »passage des princes«, dass Offenbach aus der Diva der Zeit eine Operette wird machen müssen. – Jetzt aber liebt sie allabendlich das Militär und den Fritz, und sie überreicht ihm das Legendenschwert der Väter, der Refrain donnert kriegsnärrisch, des Bass hinkt nach wie Bumm, die goldverschnürten Uniformen werfen die Tanzbeine in mächtig bespornten Kavallerie-Lackstiefeln, die ganze Glücksstadt singt schon das Degen-Kouplet – was bleibt euch noch?

 

19. Juni. Der Hinrichtungsplatz war auf dem Cerro de las Campanes, einem Hügel bei Queretaro, dort, wo der Exkaiser gefangen genommen wurde. Er liess den Platz in der Mitte dem General Miramon, als Ehrung, links stand General Mejia. Das Exekutions-Peleton des Juarez-Regiments Nueva Leon bestand aus sieben Mann und einem winzigen Offizier mit verstörtem Kindergesicht. Die mexikanische Infanterieuniform glich im Schnitt der französischen, auch das Käppi. Die Morgensonne blitzte auf die weissen Häuserklötze der Stadt, die noch in Maximilians Blick war. Es war schon sehr heiss.

 

Erst am 1. Juli gelang es dem Propheten, zum Kaiser vorzustossen und ihn allein zu sprechen, so dicht war um ihn der Wall von Festen und fürstlichen Gästen, so gering schien auch sein Bedürfnis, sich wahrsagen zu lassen. Auch dieser 1. Juli war voll besetzt, ein grosser Tag, der Tag der Preisverteilung an die würdigsten der Aussteller, Tag der Goldmedaillen und Ehrendiplome; nun war auch die rauhe Schale des Schauzirkus unter Girlanden, Blumen und Fahnen verschwunden, wie erstürmt vom heiteren Kunstpark des Aussenkreises, – und wenn auch Zar, Wilhelm und Bismarck schon weggefahren waren, so war doch der Sultan da und der pariserische Prinz von Wales und Kronprinz Humbert von Italien. Der Herzog Persigny konnte auf diesen wichtigen Tag nicht rechnen, und dennoch wurde er gerufen, wenn auch zu ungewöhnlich früher Vormittagsstunde. Der Kaiser hockte im Sessel, in grosser Uniform, sehr schläfrig, und sah nicht aus, als ob er Eile hätte. Sein Gesicht übrigens war wenig zu sehn, da er es zumeist mit der Hand bedeckte.

»Wie geht es Eurer Majestät?«

Der Kaiser lachte ein wenig durch die Nase, das war die Antwort. Die Stimmung schien schlecht; doch das hatte den Propheten noch nie gestört. Er sagte ohne weitere Einleitung: »Also Bismarck machte mir einen Besuch.«

»Er hatte ja schon immer eine Schwäche für Sie«, liess der Kaiser hören.

»Möglich«, meinte Persigny; »was er sagte, war interessant. Er hatte wieder einmal einen Anfall von Freimut, es war geradezu ein Exzess. Man möchte beinahe sagen, er krakeelte über die Fehler unserer Aussenpolitik.«

»Wollen Sie das auch?«, fragte der Kaiser. »Sie ahnen nicht, welchen glücklichen Zeitpunkt Sie dafür gewählt hätten …«, und er lachte wieder durch die Nase.

»Zuerst«, sagte der Unerbittliche, »sprach er von Luxemburg, das gleiche übrigens wie vorher bei Rouher, so brauche ich es wohl kaum zu wiederholen …«

»Nein, nein«, unterbrach der Kaiser, »das weiss ich schon, das ist die Geschichte vom falsch aufgezäumten Pferd: zuerst hätte ich die Preussengarnison entfernen und dann das Land still einstecken sollen, ich weiss schon.«

»Gut«, sagte Persigny, »dann fragte er und fasste sich an den Kopf, warum der Kaiser der Franzosen nicht vor Sadowa die Allianz mit Preussen geschlossen habe, – dann hätte er doch jeden Preis bestimmen können!«

»Es wird sehr schwer halten«, meinte der Kaiser, »festzustellen, wer von uns beiden der Teufel und wer der Beelzebub ist.«

»Und dann«, fuhr Persigny fort und hob die Stimme, »als er von der noch unbegreiflicheren Haltung der französischen Politik nach Sadowa sprach, dann kam der Exzess. Er sagte mir, was er getan hätte, wenn er der Kaiser gewesen wäre …«

»Wenn ich Bismarck gewesen wäre«, unterbrach der Kaiser, »dann hätte Wilhelm kein Glück gehabt, – er würde sich bedanken …«

Der Prophet blieb einen Augenblick still. – Warum tut er nicht die Hand vom Gesicht, dachte er. Dann sagte er: »Wenn er der Kaiser gewesen wäre, dann hätte er die kleinen deutschen Staaten nicht so leicht geopfert und dafür gesorgt, dass eine dauernde Trübung zwischen ihnen und Preussen bestehen bliebe. Das ist das Eine und das ist schon recht interessant, Sire.« Der Kaiser schwieg. »Dies aber ist das Andere, Majestät. Wenn er der Kaiser gewesen wäre, dann hätte er statt eines blassen Integritäts-Plädoyers für Österreich den Keim ewigen Zerwürfnisses zwischen Berlin und Wien gelegt, und es wäre doch so einfach gewesen! Wilhelm wollte Österreichisch-Schlesien behalten, Bismarck als Kaiser der Franzosen hätte es ihn nehmen lassen: das wäre die Verewigung der Zwietracht gewesen. So aber, durch die französisch inspirierte Mässigung, kann der flache Graben bei der nächsten Gelegenheit ganz leicht zugeschüttet und zum Verbindungsdamm werden. Das ist die Quintessenz, Majestät, die Drohung, das kommt von Bismarck als Bismarck.«

»Vom Kaiser der Franzosen aber kommen tiefe Gräber«, sprach der Kaiser leise, und dies nun war rätselhaft.

Er ist wieder einmal todessüchtig, dachte der Prophet, das Dauerfest scheint ihm noch schlechter zu bekommen als der Paradegalopp, er nimmt sich von der eigenen Zauberei aus, man muss ihn ganz grob in die Politik zurückstossen, die hat ihn bisher noch immer lebendig gemacht. – »Es sollte nicht verkannt werden, Sire, und es brauchte nicht bismarckischer Emanationen für die Erkenntnis, dass wir isoliert sind. Sie stehen recht allein, Majestät, trotz der Weltausstellung von Potentaten. Lassen Sie mich im Innern unter den Schreiern und Zersetzern aufräumen und nach aussen lehnen Sie sich um Gotteswillen an den andern Isolierten, bevor Bismarck den Graben zuschüttet. In der Fürstenausstellung fehlt bisher das wichtigste, das Haus Habsburg, – laden Sie es doch um Gotteswillen ein!«

»Warum um Gotteswillen sagen Sie Haus Habsburg und nicht Franz Joseph!«, rief der Kaiser und liess die Hand vom Gesicht fallen. Die Äuglein waren geschwollen und rot. Der Prophet lief das lange, gemeinsame Leben mit diesen Nebeläuglein zurück; aber er fand in der Schnelligkeit keinen Augenblick, wo er sie verweint gesehen hatte. Wo so vieles war, das beweinenswert gewesen wäre: warum weint er jetzt und ganz für sich um die arme kleine Charlotte? Es liegen ja bekanntlich auch noch sechstausend tote französische Soldaten und sechshundert tote französische Millionen in Mexiko. Und wer war es, der schon vor sechs Jahren sagte, dass Mexiko ein Abgrund sei? Diese Frage sprach der Prophet dennoch nicht aus, mit Rücksicht auf die verweinten Augen, den erstaunlichen Anblick. Er wollte etwa dies sagen: der Graf von Flandern sei schliesslich auch hier, also sogar ihr Bruder, und für das isolierte Erzhaus, in das sie ja nur hineingeheiratet hatte, läge Mexiko politisch hinter dem Mond. Aber er kam nicht dazu.

»Maximilian …«, sprach der Kaiser leise und stach mit dem Finger zweimal in die Luft, »dann stimmt etwas nicht in der Depesche, die Wien aus Washington, der Quai d'Orsay aus Wien und ich vor drei Stunden vom diensttuenden Dechiffrierer des Aussenministeriums erhielt. Das Hilfszeitwort ist verstümmelt, es kann ›aurait été‹ heissen. Jeder klammert sich an den Strohhalm in der Not, ich an die verstümmelte Chiffre, – ach ja, daran hängt auch die Preisverteilung. Wien hat schon gestern abend nach Washington rücktelegraphiert, wir heute nacht. Es kann ›aurait été‹, es kann …« Der Kaiser deckte wieder die Augen zu. »Das Schlusswort heisst: füsiliert.«

»Nein nein …«, flüsterte Persigny und verzog die Schultern, »das ist ja nicht möglich! Selbst Washington glaubte keinen Augenblick daran …«

»Aurait été«, sagte der Kaiser.

»Und – und die Kaiserin?«

»Sie betet in Saint-Roch, vor dem Muttergottesaltar.«

»Dass es ›aurait été‹ sein möge?«

»Dass es nie gewesen wäre. Aber sie trägt schon ein schwarzes Kleid.« –

Der Prophet dachte daran, dass er es war, der sich gegen diese Ehe gestemmt hatte und gegen das Regentschaftspatent und gegen ihre Aufnahme in den Ministerrat; aber er sagte es jetzt nicht, es handelte sich ja nicht um Eugenie. »Diktatur«, sagte er, »es bleibt Ihnen jetzt garnichts anderes übrig, Sire, meinethalben Militärdiktatur, bis man nicht mehr davon spricht. Und zu allererst, Majestät, fahren Sie zu Franz Joseph, so bald wie möglich …«

»Saint-Roch«, unterbrach der Kaiser, »das wissen Sie doch am besten, Persigny, da kartätschte der Bonaparte gegen Saint-Roch, im Thermidor, nicht wahr?, um der Revolution den Garaus zu machen. Die Muttergottes von Saint-Roch liebt uns nicht, fürchte ich …«

Der Prophet zuckte mit den Achseln. Dann musste er gehn, weil es ein sehr besetzter Tag war. –

Die Kaiser-Estrade war im Zentrum des Schauzirkus errichtet. Die Kaiserin verteilte Diplome und Medaillen mit schönem Lächeln, doch im schwarzen Kleid. Der Kaiser führte für jeden der Ausgezeichneten die Hand an den Zweispitz und hin und wieder vergab er auch ein freundliches Wort. Es war eine gute Sache zu loben und zu lohnen, im Zirkus kreisten Stolz und Freude, man hatte schon die meisten Kategorien erledigt, vielleicht hielt der Strohhalm bis zum Schluss der Preisverteilung.

Ein Adjutant kam. Da er seine Instruktionen hatte, übergab er die Depesche unauffällig. Eugenie verteilte Diplome und Medaillen. Der Kaiser erbrach die Depesche, ein wenig zur anderen Seite gewendet. Ein Mensch, der gewohnt ist, Mittelpunkt zu sein, weiss sich zu beherrschen, er kann ja auch, galoppreitend, den ihn anspringenden Schmerz mit einem Lächeln verriegeln, wenn ihm hunderttausend Augen zuschauen. Der Kaiser riss einen Fetzen von der Depesche ab und schrieb darauf, der Kaiserin halb den Rücken drehend: »a été«. Der Adjutant ging zum österreichischen Botschafter. Ein paar Minuten später waren alle österreichischen und ungarischen Tribünengäste verschwunden, man hatte sie garnicht weggehen sehn: so diskret taten sie es. Doch Eugenie, mit zwei ganz schnellen Rucken des Kopfes, bemerkte jetzt die Lücken, sie sah den Kaiser an, totenblass. »Haltung!«, sagte er, so wie sie es ihm gesagt hatte, als nach dem Höllendunkel des Orsini-Attentats das Leben wieder mit Fackeln und Laternen auftauchte. Eugenie verteilte Diplome und Medaillen und lächelte mit bebendem Kinn. Der Kaiser führte die Hand an den Zweispitz, stumm.

Es kam der reizende und feierliche Abschluss der Preisverteilung; denn unter den Preisgekrönten war der Kaiser selber, nicht für das gezogene Geschütz und die Haubitze, im Schaukreis Maschinenindustrie, sondern für die Modelle der von ihm gestifteten Arbeiterhäuser und Musterhöfe. Denn er war ein guter Kaiser und schrieb schon als Gefangener von Harn das Buch von der Ausrottung der Armut. Loulou, Präsident der Ausstellung, hatte den Grand Prix seinem Vater zu übergeben. Er tat es verschämt und anmutig. Über der schwarzen Samtjacke trug er den eigens für sein schlankes Körperschen angefertigten Grosskordon der Ehrenlegion. Er hinkte noch; aber selbst sein Hinken war liebreizend. Der Kaiserin liefen die Tränen über das ganz starre Gesicht. Die wenigen der Schaulustigen, die es bemerkten, sagten zu einander: »Aber sie ist eine gute Mutter, die Fremde.«

 

Der Schatten des füsilierten Maximilian, über das grosse Fest fallend, hielt sich nicht, die Zentrifuge der Lebensfreude war viel zu stark. Der Schatten wurde sehr rasch aus dem Paradies geschleudert und mochte über den Tuilerien hängen bleiben, wo er hingehörte und wo ja auch schon irgendwo ein schwarzer Fetzen von der Lebensnacht der Charlotte hing. Der Hof trug Trauer, und alle offiziellen Feste, Bälle, Bankette wurden abgesagt. Das war nur recht und billig, das gehörte sich so und störte nicht den allgemeinen Glücksumschwung. Im äusseren Paradiesring dirigierte Johann Strauss Wiener Walzer, in den Variétés liebte die Grossherzogin von Gerolstein das Militär, aus aller Welt strömten die Fremden herbei und mit ihnen das Gold, Paris war Weltausstellung, Paris ist die schönste und heiterste Stadt der Welt und stellt sich aus, Paris hat die elegantesten Frauen der Welt und stellt sie aus. So seht und staunt: die Frauen haben die grosse Zeitschlacht geschlagen und gewonnen, sie haben die Krinoline besiegt: und nun sind sie aus ihrem ambulanten Käfig ausgebrochen, nun sind sie frei und ganz nah, und sie schwingen im schönsten Gang der Welt die keckste aller Siegestrophäen: den Cul de Paris. Sie tragen die winzigsten Sonnenschirmchen, und der Stiel darf nicht länger sein als fünfzehn Zentimeter, sie tragen Kaschmirschals, die Hütchen sitzen auf der Stirn und lassen den Kunstbau der Locken frei, und die langen Haarbänder wallen hinter ihnen her: suivez-moi, jeune homme. Und sie haben nur einen Despoten, der heisst Worth, stammt aus England, residiert in der Rue de la Paix und leidet an Migräne: dann fürchtet ihn selbst die Kaiserin. Sie haben keinen Feind und kein Sadowa, sie bedürfen der politischen Nomenklatur nur für ihre Stoffe und genehmigen die Sensation um einen Ausstellungsgast, indem sie zwei besonders hübsche Gewebe nach ihm nennen: einen »satin Bismarck« und einen »tulle Bismarck«.

Der Chronist, der dies alles sah und manches auch beschrieb, beobachtete böse und auch besorgt den pausenlos arbeitenden Krater des Vergnügens und erkannte, dass noch der Schaukelstuhl, der besondere Ausstellungserfolg von USA, sinnfälliger war und von stärkerer Wirkung als der Rabenflug des Tragischen rings um die grosse Kirmes dieses Reiches. – Wo geriet er denn hin, dass er gegen die Lebensfreude kämpfen zu müssen glaubte, – was war er für ein verirrter Volksfreund? – Nahm man ihn so? Sein Kampf ging doch gegen Magie und Demagogie, die die Freude des Lebens allein aus der Kaiserreichsquelle strömen liessen, – gegen den Schaukelstuhl als Erfindung und Patent dieses faulen Staates! Wer sich des Lebens freut: dem sind die Raben gleichgültig? Nach uns die Sintflut! – ist das die Zeitdevise? Und jene, die nicht im Karussell sitzen, sondern in der Verantwortung gegen das Volk, und die die Raben hören und die tragischen Schatten sehen: was tun sie oder was können sie tun? Thiers hält die grosse Mexiko-Grabrede, im Schatten des Füsilierten, und es lief der Versammlung kalt über den Rücken. Was ist des klugen Mannes Fazit aus der finsteren Erfahrung? Aktive parlamentarische Kontrolle, »Fortschritt in den Institutionen«. So umwunden sagt er, was nun kommen wird: das liberale, das noch liberalere Kaiserreich. Morny feiert Auferstehung, und sein Oberst ohne Regiment, von dem es heisst, dass er in dem neuen Präsidentenstuhlinhaber einen neuen Förderer gefunden habe, gar den Beförderer in die Salons der Tuilerien, wittert das Regiment. Kommt also die grosse Korruption des Dauerreichs über die Seelen, die es zufrieden sind?

So lest die gemässe Chronik zu Lob und Preis der gemordeten Rechtschaffenheit, auch Anti-Lincoln genannt. Denn es hatte dieser Abraham Lincoln, Bauerssohn aus Kentucky, sechzehnter Präsident der Nordamerikanischen Union, Sieger des Sezessionskrieges und Sklavenbefreier, ein Mann mit einem Gesicht von solcher Grossartigkeit des Schlichten, von solchem Leuchten des anständigen Herzens, dass schon seine Einzigartigkeit traurig macht, – es hatte Abraham Lincoln gewagt, ein rechtschaffener Mann zu bleiben, gleich als sei es die natürlichste Sache von der Welt. Hatte dieser Mann wahrhaftig geglaubt, solche Kühnheit würde ungestraft bleiben, lebte er im Wahn, dass ihn der liebe Gott, dem nichts entgeht, Brauch und Übereinkommen und Überlieferung des angenehmen Lebens vernichten liesse? Die Verwegenheit schrie nach exemplarischer Züchtigung: sein Ende war traurig, aber verdient. Es ist die Warnung, mehr: es ist die Sperre vor ähnlichem Weg. Keiner von euch wird ihn je gehen, meine Freunde; denn ihr kennt sowohl das böse Beispiel als auch das gute Leben. Lincoln wurde ermordet, und ihr habt die Weltausstellung, ihr habt das bessere Teil erwählt, ihr seid die Sieger. Fahren wir also fort, meine Freunde, Schulden zu machen, Politik zu machen, Staatsstreiche zu machen, Spekulationskriege zu machen, falsche Grafen zu echten Herzögen zu machen, ein paar Fürsten und sehr viele Gemeine unglücklich zu machen, unsere Eide zu brechen und unser Wort so wenig wie möglich zu halten, – dergestalt, dass das Glück der Menschheit uns wenig kostet, aber viel einbringt.

 

Rochefort sass trübe in der Redaktion. Es war November, das Paradies war im Abbruch, sein letzter Sensationsgast war Franz Joseph gewesen, der gefeiertste, sein letzter Zauber war die Bündnis-Illusion mit Österreich, Sprung über den Schatten des Füsilierten, buntes Gerümpel lag auf der Seine-Böschung. Es war November, eben noch erscholl Garibaldis neuer Schrei nach Rom, jetzt ist er schon bei Mentana von den nagelneuen Chassepots des französischen Hilfskorps zerlöchert, der Schrei, und wieder hat Rom die Schutzbesatzung. Er lässt ihn nicht nach Rom. Er ist der Magier des Jahres. Was ist Rochefort?

Der Chefredakteur erschien, er war vorgeladen gewesen, im Polizeipräsidium oder sogar im Innenministerium, man wusste es in der Redaktion nicht genau, wahrscheinlich wegen des Anti-Lincoln. – Eine schlechte Arbeit, dachte Rochefort, eine sinnlose Arbeit, so geht es nicht weiter.

Figaro legte weder Mantel noch Hut ab, er stellte nur den tropfenden Regenschirm in die Ecke, er beugte sich über den Tisch des Chronisten. »Hier sehen Sie den unglücklichsten Chefredakteur von Paris«, sagte er dröhnend und glückstrahlend.

Rochefort sah böse auf und sagte: »Das ist mir vollkommen gleichgültig.«

Der Chefredakteur lachte dröhnend. »Unglaubhaft!«, rief er, »es kann Ihnen nicht gleichgültig sein! Man hat mich doch vor eine schaurige Wahl gestellt!«

»Aha«, sagte Rochefort; aber er wurde doch blass. »Bude zu oder Rochefort zahm, ja?«

»Aber das ist doch nicht schaurig, Herr Graf; dann wäre eben der Rochefort ein bisschen zahm, das wäre er ja nach Mentana sowieso. Nein, teurer Freund, man war viel höflicher, und darin eben liegt das Schaurige. Man hat mir die Konzession für den »Figaro« als politisches Tageblatt gegeben, unter der Bedingung, dass gerade mein wertvollster und bekanntester Mitarbeiter nicht dem Redaktionsstab angehören darf. Ich bin sehr unglücklich, alter Freund.«

Rochefort stand auf. »Sie haben natürlich angenommen, Villemessant.«

»Natürlich.«

»Ich gratuliere«, sagte Rochefort, »und Adieu.«

»Nicht so rasch, Rochefort, wohin wollen Sie denn gehen?«

»Zum ›Soleil‹, zum ›Temps‹, zum ›Constitutionel‹, zum ›Siècle‹, wohin es mir beliebt, Sie brauchen sich um mich keine Sorge zu machen, Villemessant.«

Der Chefredakteur zog Hut und Mantel aus und rieb sich die Hände. »O ja, Rochefort, Sie sind berühmt und berüchtigt, Sie sind sogar zu berühmt und zu berüchtigt, um von irgend einer Zeitung auf die Dauer ertragen werden zu können. Und dann, Rochefort, das hat doch alles keinen Sinn mehr für Sie.«

»Nein«, sagte Rochefort.

»Unser hochseliger Gönner, der Herr Vicekaiser, hat Ihnen bisher geholfen, unser guter Herr Kaiser mit dem neuen Pressegesetz, das doch einmal kommt und zwar sehr bald, wie ich Ihnen zuflüstern kann, wird Ihnen weiterhelfen.«

Rochefort sagte: »Ich werde es ihm danken«, und sah aus wie ein Menschenfresser.

»Sie sind doch gar kein Chronist, Rochefort.«

»Ich weiss, ich bin nur ein Spassmacher.«

»Der böseste, den wir haben. Der Pamphletist.«

»Noch nicht.«

»Die Zeit ist so weit, Rochefort, weder durch eigenes noch durch Ihr besonderes Verdienst, sondern dank des guten Kaisers. Das finde ich bemerkenswert witzig, Herr Graf. Also die Zeit ist bald so weit, dass Sie ihr heimleuchten können. So lange ich Sie kenne, sprechen Sie von Ihrer Laterne.«

»Aber mir fehlen die Mittel.«

Der Chefredakteur lachte: »Welche Mittel? Mut? Geist? Hass?« »Geld!«, schrie Rochefort ausser sich.

»Das können Sie haben. Aber bleiben Sie so witzig wie die Zeit, ob Sie heimleuchten oder aufhängen, mein Laternenmann. Man muss lachen, das ist die Hauptsache und meine Hauptbedingung, die Zeit muss sich zu Tode lachen, Rochefort!«

 

Der Kaiser las den Anti-Lincoln, den ihm der Prophet zugesandt hatte, mit erbittertem Kommentar. Dann warf er den Zeitungsausschnitt in den Papierkorb, auch den Begleitbrief. Er war durch Mentana in guter Stimmung und dachte an Pio Nono.

Wer ist Rochefort?


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