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XX.

Die Fenster des Pfarrhauses klirrten von den Böllerschüssen, die auf dem Platze hinter der Kirche gelöst wurden.

Ein Wagen, der offenbar schon Bereitschaft hatte, sauste vorbei. Gergely fuhr mit drei Männern die Hauptstraße hinaus, in der Richtung nach dem großen Donaudamm. Und es folgte Wagen um Wagen, immer zu je sechs Mann besetzt. In warme Pekesche gekleidet, die Pelzmützen auf dem Kopf, hohe, wasserdichte Röhrenstiefel an den Füßen, mit Schaufeln, Beilen und allen erdenklichen Werkzeugen und Geräten ausgerüstet, die Csutora mit einem guten Schluck Wein oder Raki an der Seite, so fuhren sie ernst und trotzig dahin, der Gefahr die Stirne zu bieten, die da möglicherweise drohte.

Der Kaplan zählte in einer Stunde zwanzig Wagen mit mehr als hundert Männern. Die wohlgenährten, ausgeruhten Pferde schnaubten die warme Stalluft aus den Nüstern und waren kaum zu zügeln. Wie ein Rennen um hohe Preise ging die Fahrt.

Und es war hoch an der Zeit.

Die Depesche, die gekommen war, hatte eine große Überraschung gebracht. Seit mehreren Tagen herrschte im Oberlauf der Donau warmes Tauwetter, und der Strom war von Passau bis Mohács in Bewegung, während er hier noch stand. Die Lage war höchst seltsam und nicht ungefährlich. Don Mohács bis hinter den Kasanpaß, auf einer Strecke von vierhundert Kilometern, war die Donau noch zu, und von oben kam jetzt der ungeheure Druck.

Die Mittagssonne schien warm und goldig auf die schon grau gewordene Schneefläche; in allen Gassen und auf allen Wegen rieselten kleine Bäche. Es konnte sich nur mehr um zwei Tage handeln, so wurde das Eis auch hier brüchig, und es ging von selbst ab. Schon guckten überall die grünen Spitzen der Herbstsaaten aus dem schwindenden Schnee.

Der Klugsbaltzer mit dem Vizerichter und seinen zwei Beisitzern waren unter den ersten, die dem Wagen des Stromingenieurs folgten. Schon um des guten Beispiels willen mußten sie voran.

Als sie das Dorf hinter sich hatten und auf der Komitatsstraße dahinjagten, hörten sie plötzlich ein fernes Knattern und Schießen. Es wurde immer ärger. Wie die Kanonade einer großen Schlacht mutete es sie an. Der Richter ließ den Wagen einen Augenblick anhalten, um besser horchen zu können.

Ja, das war der Strom. Seine Stimme erwachte wieder aus langer Gebundenheit, aber sie war heiser geworden und rauh in diesem Winter.

Horch! Horch!

Die Männer sahen einander erschrocken an, und die Pferde bäumten sich auf.

Das war ja furchtbar! Als ob ein feuerspeiender Berg geborsten wäre. Ein ungeheurer Knall erschütterte die Luft, und die Männer, die sich im Wagen aufgerichtet hatten und nach der Richtung des Dammes starrten, sahen, wie eine graue Masse sich hoch in die Luft erhob und wieder in sich zusammenbrach. Es knirschte und krachte, brüllte und brauste, als wäre der Weltuntergang im Anzug.

Mit verdoppelter Eile fuhren die Wagen, und nach einer halben Stunde waren sie hinter dem Damm. Der Lärm, das Geknatter und Getöse, unter dem sie alle herangekommen waren, hatte viele schreckensbleich gemacht; an mehreren Wagen waren die Pferde durchs gegangen. Und jetzt sahen sie keinen Damm vor sich, sondern einen kristallnen Gebirgszug von meilenlanger Ausdehnung. Die Eisdecke war geborsten unter dem gewaltigen Druck, der von der oberen Donau kam; sie war hinausgeschleudert worden aus dem Strombette über das Vorgelände, hinauf auf den Damm, der zu ächzen und zu Stöhnen begonnen unter der Last, die er plötzlich zu tragen hatte. So mochte es im nördlichen Eismeer aussehen, wenn dort der Sommer kommt und die Eisberge sich in Bewegung setzen. Die meilenlange Krone des Dammes war mit haushohen Eisschollen bedeckt und unzugänglich geworden für die herbeigeeilte Hilfsmannschaft.

Gergely Vilmos war kreidebleich. Er hatte so etwas noch nicht erlebt. Er war bereits zur Stelle, als die Kanonade anhub, und hatte den ganzen gewaltigen Eindruck des Elementarereignisses in den Gliedern. Ein wahres Entsetzen packte ihn und seine drei Begleiter, als die Eisdecke sich hob, barst und über den Wall herüberzukommen drohte. Er glaubte nicht anders, als der Damm sei zermalmt und zerrieben worden von dem Eise, und jetzt breche die Donau über sie herein. Aber es waren nur die alten Weidenbäume hinter dem Damm, die zersplitterten.

Jetzt hatte Gergely sich wieder gefaßt. Die eigentliche Katastrophe schien vorüber zu sein, denn der Strom rollte und donnerte gleichmäßig hinter den Eisbergen, die er als Hindernisse empfand und zur Seite warf, dahin.

Gergely gab die Weisung, Stufen in den Eiswall zu hacken, damit man eine Übersicht gewinnen könnte. Und das geschah an mehreren Stellen. Nach einer Viertelstunde war die erste Treppe bis zum Gipfel hergestellt, und Gergely stieg mit dem Richter hinauf.

Der Anblick, den sie da genossen, war grauenhaft schön. Der mehr als tausend Meter breite Strom war eine schiebende, grollende, donnernde, tobende Masse von Eisklumpen, die sich gegenseitig den Raum streitig machten, von denen einer den anderen untertauchte, und die jeder größere Klotz wieder auseinanderstieß, um für sich selbst die Bahn frei zu bekommen. Ein Kampf ums Dasein in krassester Form. Unabsehbar war das Gewoge und Geschiebe, und unheimlich, weil man kein Wasser sah.

Auch andere Treppen wurden in den Eiswall gehauen, und viele Männer stiegen hinauf, das Schauspiel zu sehen. Da entstand plötzlich ein großes Geschrei – eine dieser Treppen hatte nachgegeben, war eingesunken, und die Herabstürzenden meinten, der Damm unter ihnen sei gewichen.

Das allgemeine Entsetzen darüber erwies sich als grundlos. Jedenfalls merkte man nichts, und es kam kein Wasser.

Der Klugsmatz und Gergely waren von ihren Beobachtungsposten herabgestiegen und an die Stelle des Unfalls geeilt, wo es nur ein paar Hautabschürfungen und einen verstauchten Fuß abgesetzt hatte.

Der Richter erkannte sogleich, daß hier eine der alten Bruchstellen des Dammes war. Gergely bestritt es, mußte aber bald zugeben, daß der Richter im Rechte sei. Die Rutschung konnte also immerhin tiefere Gründe haben, es konnte im Dammkörper selbst eine Bewegung entstanden sein. Klug beantragte, den Eiswall an dieser Stelle zu beseitigen. Es sei überhaupt fraglich, ob der Damm diese Last werde tragen können.

Gergely widersetzte sich. Er sagte, dieser Eiswall sei jetzt einstweilen ein natürlicher Schutz des Dammes. Man müsse abwarten, wie hoch die Donau steige; erst dann, wenn Wasser sichtbar werde, lasse er den Damm räumen. Diese Eisberge müßten direkt ins Wasser geworfen werden, sie müßten fortschwimmen können, sonst würden sie eine Gefahr für den Damm. Besser, sie liegen einstweilen auf ihm, als sie werden an ihn gepreßt und gestoßen. »Wenn wir jetzt eine Lücke in diesen natürlichen Eiswall brechen, ist das nicht ohne Gefahr,« sagte er. Und er lehne jede Verantwortung ab, wenn das geschehe.

Der Richter gab sich zufrieden, obwohl er nicht völlig überzeugt war.

Als man in der Dämmerung wieder heimfuhr, blieben zwanzig Männer draußen für die Nachtwache. Wagen und Pferde standen für sie bereit. Beim Stromaufseher konnten immer einige schlafen und sich Stunde für Stunde ablösen.

Zwei Tage nach diesem Ereignis setzte sich auch der Eisstoß der Theiß in Bewegung. Die Theiß hat ein kleines Gefälle, sie schleicht träge in der lehmigen Ebene dahin, und ihre Stimme ist fast nie vernehmbar. Aber diesmal hörte man auch sie. Und wieder war die Bereitschaft des Dorfes, die Wasserwehr, hinausgeeilt an die gefährdeten Punkte. Im weiten Bogen umfuhr ein Teil der Wagen den grandiosen, von den Urgroßvätern ganz und gar den Sümpfen abgerungenen Besitz der Gemeinde, der sich über mehr als dreißigtausend Joch ausbreitete und von den zwei Flüssen begrenzt war; ein anderer Teil benützte den Zwischendamm als Fahrstraße, der direkt zu dem Spitz hinführte, an dem sich Donau und Theiß begegneten. Dort war der Zentralpunkt der Dammanlage, dort stießen die Dammsicherungen von Nord und Süd zusammen. Und wieder erlebte man ein so seltenes Schauspiel wie an der Donau drüben. Danubius schien nicht geneigt zu sein, auch die Eismengen der Theiß in sein Bett aufzunehmen; er schwang seinen Dreizack und stieß sie zurück, staute sie zu Bergen auf und warf sie ebenfalls über den Damm hinaus.

Dieser Kampf dauerte mehrere Tage, und erst als in der Donau das Wasser wieder sichtbar wurde, glitten auch die Eisberge an der Theißmündung allmählich in ihr Bett. An beiden Ufern der Theiß standen sich die Menschen gegenüber, jede Gruppe verteidigte ihr Eigentum, ihre Heimat. Drüben Madjaren, herüben Deutsche. Nur hatten diese zwei Fronten, jene bloß eine zu sichern. Und es schien den Karlsdorfern, als hätte das Gegenüber sich zu sehr auf ihre Kosten gesichert. Der jenseitige Damm war augenscheinlich höher geworden; dort mußte noch spät im Winter, als niemand mehr auf die Riedfelder hinauskam, gearbeitet worden sein.

Auch Gergely stutzte, als man ihn darauf aufmerksam machte. Aber er erklärte es für eine optische Täuschung, und es war jetzt auch keine Zeit, sich damit zu beschäftigen; der Eiswall auf dem Donaudamm mußte gesprengt und in den Strom geworfen werden, ehe seine Last und sein allmähliches Schmelzen den Damm in Gefahr brachte.

Diese Arbeit hatten die Bauern unter dem Kommando des Klugsbaltzer schon auf eigene Faust in Angriff genommen, so lange Gergely noch am Spitz tätig war. Sowie der Eisgang der Donau vorbei war und das Wasser stieg, schweißte der Damm an vielen Stellen. Gergely hatte behauptet, das sei nur Eiswasser; Klug aber vermutete, daß es Donauwasser wäre. Wollte man Gewißheit, mußten die schmelzenden Eisberge entfernt werden. Und die Riesenarbeit, an der sich alle Männer des Dorfes beteiligten, ging flott vonstatten; was der Richter selbständig begonnen hatte, führte der Stromingenieur jetzt zu Ende.

Dabei kam ihm der Himmel zu Hilfe, denn es gab immer nächtlichen Frost; die Auflösung der letzten Schneereste und des Eises vollzog sich nur langsam, wie nach einem weisen und gütigen Gesetz.

Aber dem Dorfrichter blieb die traurige Genugtuung, die schweren Beschädigungen des Donaudammes früher erkannt zu haben als der Stromingenieur, dem auch die eigenmächtige Erhöhung des jenseitigen Theisdammes entgangen war, da oft Wochen verstrichen, in denen er nicht auf seine Strecke hinauskam. Und so wie er waren seine Stromwächter.

* * *

Im Pfarrhause war die Entscheidung gefallen; Pater Istvan wurde abberufen von seinem Guardian, und schon stand der Nachfolger vor der Tür. Pfarrer Horvat hatte es eilig, er konnte die ungewohnte Last nicht länger allein tragen; seit zwanzig Jahren war er nicht so ganz ohne Beihilfe gewesen wie in den letzten Wochen.

Die Ablösung ging so furchtbar rasch vor sich. Derselbe Wagen, der den neuen Kaplan gebracht hatte, sollte den früheren mitnehmen zur Bahnstation.

Pater Istvan erschrak. Aber er fügte sich. Sein Nachfolger, ein schwarzer, düsterer, junger Weltpriester, namens Petrovics, der kein gerades Wort deutsch aussprechen konnte, stand neben ihm, als er eilig seine Siebensachen packte, tat hilfreich und liebreich, griff zu und lächelte doch so spöttisch dabei in sich hinein. Er forschte Istvan aus, wollte über die Verhältnisse im Pfarrhaus und in der Gemeinde rasch das Nötigste wissen von ihm. Dieser aber versagte die Auskunft. Er war auf diese überraschende Wendung nicht gefaßt, und sein Kopf brannte. Hundert unreife Entschlüsse wälzten sich in seiner Brust.

Was tun? Was tun?

Ohne Abschied sollte er gehen?

Er ging. Aber er zwang seinen Ingrimm nieder und hinkte über die Treppe hinauf zur Wohnung des Pfarrers. In wenigen Worten dankte er dem »Eliten« und bat ihn um Verzeihung für die Ungelegenheiten, die er ihm gemacht.

Horvat lächelte ein wenig, als er ihn sah. Und er bedauerte ihn.

»Sie können so nicht vor ihren Guardian treten, mein Lieber,« sprach der Pfarrer. »Gehen Sie ins Spital nach Temesvar und kurieren Sie sich aus. Sonst sind Sie ein Gespött für Lebenszeit in ihrem Orden.«

»Ich danke, Hochwürden, für diesen gütigen Rat. Ich werde ihn befolgen,« sprach Istvan erleichtert. Wie ein Segen von oben kam dieses Wort des Pfarrers; es schaffte ihm Zeit, es wies ihm einen Weg, es stimmte ihn versöhnlich.

»Vergessen wir, was geschehen ist ‚« sagte Horvat, »scheiden wir in Frieden. Sie sind ein Luftikus, Sie hätten niemals Geistlicher werden sollen. Sie haben hier viel Schaden angerichtet an unserem Ansehen. Aber ich vergebe Ihnen. Möge Ihre Strafe nicht zu hart sein.«

Der junge Priester war so gerührt von diesen väterlichen Worten, daß er die Hand des Pfarrers an seine Lippen führte und sie küßte.

Dann ging er rasch hinaus. Die Damen des Hauses wollte er nicht sehen, von ihnen wollte er schriftlich Abschied nehmen.

Und seinen trotzigen Entschluß, im Gässel vorzufahren und dort Abschied zu nehmen, den er heimlich gefaßt hatte, ließ er jetzt fallen. Es sollte kein weiteres Ärgernis gegeben werden durch ihn. Einmal im Leben wollte er sich selbst beweisen, daß er auch standhaft sein und ein Opfer bringen könne.

Ohne den Blick nach der Richtung zu wenden, wo sie vielleicht sehnsüchtig nach ihm auslugte, für die er das alles litt und erduldete, fuhr er zum Dorf hinaus. An der Kreuzung der letzten Quergasse des Ortes hörte er trommeln; der Straubmichel verkündete den Männern den Beginn der Dammarbeiten.

Der Kaplan sah rasch nach seiner Taschenuhr und bat den Vetter Hannes, nur recht schnell drauf loszufahren, sonst versäume er seinen Zug.

Der Vetter Hannes lächelte. Aber er hieb in die Gäule und fuhr an der Kreuzung vorbei, ehe der Straubmichel seinen Spruch beendigt hatte und auf sie zukam.

Alsbald nach dem Abgang des Paters Istvan erschien der neue Kaplan vor dem Pfarrer Horvat, um sich vorzustellen. Petrovics war kein Neuling in der Seelsorge, stand schon mehrere Jahre draußen im kirchlichen Dienst und konnte eine feste Stütze des Pfarrers werden. Dieser sprach sich aus mit ihm, und er fand ihn beinahe etwas zu streng für einen Weltpriester, der Pfarrer werden wollte. Er kam ihm etwas heuchlerisch vor, das offene Schwabengesicht des Pater Istvan war ihm lieber gewesen.

Der neue Mann wollte durchaus über solche Erscheinungen in der schwäbischen Gemeinde aufgeklärt werden, die zu bekämpfen wären. Und über Personen, von denen vielleicht unpatriotische Wirkungen ausgingen.

»Lieber Herr Kaplan,« sagte der Pfarrer, »ich zähle zur kossuthistischen Richtung des Landes. Und ich hoffe bestimmt, daß die zweitnächste Generation einen ungeheuren Fortschritt in der Madjarisierung aufweisen wird. Aber ich habe nie vergessen, daß ich in einer reindeutschen Gemeinde Pfarrer bin. Konflikte liebe ich nicht. Nützen auch nichts. Der ganze Staatsapparat ist in unseren Händen, das muß von selbst gehen. Aber Geduld müssen wir haben, vorsichtig müssen wir sein.«

»Vorsichtig, aber fest will ich sein,« sprach der neue Kaplan. »Ich habe allerlei gehört von der Gemeinde. Der einzige, verläßliche Gesinnungsgenosse soll der Lehrer Halmos sein.«

»Der einzige?« rief Horvat höhnisch, und es funkelte unter seinen buschigen Augenbrauen. »Na, dann halten Sie sich an den! Ich bin ein Madjare, aber mir graust vor diesen Überläufern. Uns kann nur förderlich sein, was allmählich in uns hineinwächst, was wir durch Erziehung und ruhige Entwicklung gewinnen. Ein Mensch, der im vorigen Jahr noch ein Deutscher war und jetzt ein madjarischer Chauvinist ist – der ist ein Lump.«

»Hochwürdigster!« rief der Kaplan. »Lassen Sie solche Worte niemanden hören! Es wäre unser Untergang, wenn das die Meinung aller ehelichen Madjaren würde.«

»Larifari. Wir wollen alle an ein und dasselbe Ziel. Aber weder ich noch Sie werden das gelobte Land sehen. So schnell geht das nicht. Und ich bitte mir aus, daß nichts geschieht ohne meine Zustinnnung. Friede! Friede!«

Damit entließ der Pfarrer seinen neuen Kaplan, und dieser ging, sich der Klarinéni und dem Fräulein Juliska vorzustellen, deren Bedeutung im Hause er wohl kannte.

Als er draußen war, ärgerte sich Horvat über seine eigene Heftigkeit. Es kam ihm vor, als wäre er ehedem nicht so duldsam gewesen gegen seine Gemeinde, als hätte er den Übereifer, der ihm jetzt so widerwärtig war, früher selbst ein wenig entwickelt.

Der wollte Übles von seiner Pfarre gehört haben? Das mußte ihn doch erbittern. Es gab nichts Übles in seiner Gemeinde. Daß die Schwaben wieder anfingen, ihre alten Lieder zu singen und ihre alten Tänze zu spielen, das konnte doch kein Staatsverbrechen sein. Und selbst der Fall des Haffnersfülöp erschien ihm heute anders als vor einem Jahr. Vielleicht ist diese Form, einer Mutter das Kind so plötzlich vom Herzen zu reißen, wirklich eine Torheit. Vielleicht könnte auch das langsamer und behutsamer geschehen.

Daß der Haffner ihn nicht mehr grüßte und seine Frau so krank geworden war, das ging ihm nahe. Er empfahl seitdem niemandem mehr das Szegediner Konvikt. Und so oft er in den letzten Wochen den Kaplan in der Schule vertrat und den kleinen Fülop sah, trug er ihm einen Gruß auf an seine Mutter. Der Bube, sagte er sich, wird ja doch ein Madjare, wenn er in die Mittelschule kommt. Wozu diesen Lärm, den der Halmos machte? Der Narr tut, als ob man der ungarischen Nation ein Junges gestohlen hätte. Und dieser Petrovics, der ja wohl auch kein Madjare war, paßte zu ihm. Die beiden werden viel Unfrieden stiften; das sah er kommen.

Während der Pfarrer so sinnend und mit sich selbst eifernd auf und nieder ging in seinem Zimmer, war die Juliska leise eingetreten. Fast fremd schien sie ihm geworden zu sein in den letzten Wochen; zum erstenmal in ihrem Leben hatte sie und auch ihre Mutter seinen nachhaltigen Groll erfahren. Aber sie war so starrköpfig wie er selbst und ging ihren Weg unerschütterlich fort.

Jetzt konnte sie ihm den Tag ihres Debüts schon nennen, und sie bat ihn inständig, zu kommen, zu sehen und dann zu entscheiden. Dieses letzte Wort ließ sie ihm scheinbar. Das Gefühl, daß sie ganz gegen seinen Willen schließlich doch nicht handeln würde, durfte sie ihm nicht nehmen. Sie war ja so sicher, ihn zu besiegen durch ihren Triumph auf der Bühne.

Er duldete ihre Liebkosungen und sagte ihr kein böses Wort mehr; aber die Zumutung, sich nach der Stadt zu begeben und Zeuge zu sein, wie sie in solch' einer Rolle vor das Publikum trat, wies er ab.

Sie möge tun, was sie nicht lassen kann, aber mit seiner Zustimmung wird es niemals geschehen.

Daran änderten auch ihre Tränen nichts.


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