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Eine Wandlung war mit Heckmüller vorgegangen in den letzten Wochen und Monaten. Wie eine Verklärung lag es über seinem inneren Menschen; eine stille, freudige Heiterkeit leuchtete ihm aus den Augen. Wieder, hatte er eine Aufgabe gefunden, aber welch eine edle große. Und sie ließ sich so harmlos, so ganz nebenher fördern und erfüllen. Niemand merkte, daß er darin die Krönung seines Lebens sah, daß er ihr noch den Rest seiner Jahre ganz und gar widmen wollte. Es klang und sang in ihm, und immer läuteten in weiter Ferne die festlichen Glocken.
Er belebte seinen Kirchengesangverein wieder, der ein gemischter Chor war, in dem Männlein und Weiblein mittaten. Und gerade das bot eine so feste Grundlage für den Volksgesang. Und der Same ging rasch auf. Die großen Buben des Dorfes kamen bald selbst zu ihrem Oberlehrer und verlangten nach seinen neuen Liedern. Andere lechzten danach, die alten, die sie noch ab und zu in der Spinnreih' mit den Mädchen sangen, einmal ordentlich zu lernen. Es ging oft ganz durcheinander, sagten sie, weil keins mehr ganz sicher war.
Nichts Lieberes konnten sie ihm erweisen, als solch' eine Bitte tun. Sie befruchteten ihn damit aufs neue. Er begann aus heimatlichen Quellen zu schöpfen; er richtete an das ganze Dorf die Aufforderung, man möchte ihm alle alten Lieder, die noch vorhanden wären, zur Einsicht geben; jeder sollte aufschreiben, was er davon wußte. O, wie reich sprudelte diese Quelle, und wie rein und lauter war sie noch. Es kam da urdeutsches Volksgut zutage; die Lieder aus des Knaben Wunderhorn, die in den Gebetbüchern der Großmütter geschlummert hatten, begannen wieder zu läuten und zu klingen. Manches von ihnen, das jetzt verschollen war, hörte Heckmüller in seinen Kindertagen noch singen. In der Spinnreih' der eigenen Mutter sang man sie, im ganzen Dorfe klangen sie wieder; die dörfliche Musikbande aber spielte die Ländler und Polkas mit Liedertexten, und man sang sie beim Tanzen mit.
Das alles war noch nicht tot, es schlummerte nur unter einer ganz leisen Decke, und er nahm sich vor, es wieder zu erwecken. Von der Schule aus konnte viel geschehen. Und noch mehr in der sonntäglichen Wiederholungsschule der erwachsenen Jugend. Selbst in der landwirtschaftlichen Winterschule, wo er neben dem madjarischen Wanderlehrer, den niemand verstand, auch allwöchentlich drei Stunden hatte, stimmte er jetzt manchmal ein Lied an. Er fand den Dank aller, nur den seiner Kollegen von der Schule nicht. Die belächelten ihn, die spöttelten. Und einer von ihnen erkannte sogar die Gefährlichkeit dieses Eifers, die deutschen Volkslieder wieder zu beleben – der Janitschar Halmos Árpád.
Er war dagegen; er rief den Pfarrer als Präses des Schulstuhles zu Hilfe, und auch an den königlichen Schulinspektor dachte er, dem er kürzlich seine Aufwartung in der Stadt gemacht hatte. Bei jener Gelegenheit trug er ihm ohnehin den Fall des kleinen Haffnersfülöp vor … Lange schon dünkte dem Halmos sein sogenannter Direktor, der Oberlehrer Heckmüller Miklos, reif für eine Maßregelung; jetzt aber näherte sich dieser offenbar dem Punkte, wo man ihn endlich packen konnte. Was nützte es, daß er, Halmos, und die jüngeren Kollegen in den unteren Klassen die Dorfkinder ungarische Lieder lehrten, wenn der Herr Oberlehrer in den höheren Klassen jetzt auf einmal wieder damit anfing, die Jugend deutsche Volkslieder singen zu lassen? Damit kam die ganze patriotische Vorarbeit der anderen Lehrer in Gefahr. Und dem mußte vorgebeugt werden … Halmos hatte ohnehin öfter in der Stadt zu tun wegen seiner Klage gegen den Postmeister. Dem alten Spötter wollte er zeigen, ob er ihn einen Janitscharen nennen, ob er ihm ungestraft einen Spitznamen im Dorf aufbringen darf. Und bei dieser Gelegenheit kann man ja auch beim Herrn Schulinspektor wieder seine Aufwartung machen …
Arglos betätigte sich Heckmüller als Wiedererwecker des deutschen Volksgesanges; daß ein Streber hinter ihm lauerte, merkte er nicht. Er hatte seine Freude an den Fortschritten des gemischten Chors, den er ins Leben gerufen, und die Schulung der Stimmen kam auch dem Kirchengesang merklich zustatten … Darum war der Pfarrer den Einflüsterungen des Halmos nicht zugänglich. Es widerstrebte ihm, den alten Arbeitsgenossen zu verwarnen. Auch war ihm dessen Stellung im Dorfe zu fest begründete. Mochte er doch die wenigen Jahre, die ihm noch im Amt vergönnt waren, seine Liebhabereien weiter betreiben; die Zukunft gehörte ja einem neuen Geschlecht.
Der Pfarrer hatte wahrhaftig andere Sorgen. Sie machten ihn beinahe unempfindlich für die Vorgänge im Dorfe.
Seine Juliska fuhr ihm zu oft nach Temesvar. Ein böser Dämon beherrschte das Mädel; es interessierte sich leidenschaftlich für das dortige Theater. Und da man das Kind doch nicht allein fahren lassen konnte, mußte die Klara mit. So war seine wohlgefestigte Hausordnung oft gestört; die Frauen blieben viele Nächte aus, es war immer etwas los. Und da er jetzt so häufig allein war, merkte er erst, wie oft auch der Kaplan des abends fehlte. Immer war er irgendwo eingeladen im Dorfe. Bei jeder bäuerlichen Metzlsuppe mußte er sein, bei jedem Kindtaufschmaus trank er mit. Kein Mulatság Abendunterhaltung ohne den Kaplan. Daß er öffentlich im großen Wirtshaus tanzte, wurde auch erzählt. Das konnte doch nicht geduldet werden. So gab es fast täglich Zank und Streit im Pfarrhofe, bald mit den Frauen, bald mit dem jungen Lebemann in der Soutane; denn der alte Herr hielt noch auf Zucht und Ordnung.
Und die Juliska? Das schmerzte. Das Kind war ihm sehr ans Herz gewachsen; er besaß nichts, was ihm näher stand. Als trauernde junge Witwe kam die Klara einst in sein Haus, die Tochter seiner ersten Wirtschafterin war sie. An einen kleinen Gemeindeschreiber in Groß-Becskerek war sie verheiratet gewesen. Und jetzt blieb sie da und rückte allmählich in das Amt der Mutter vor. Nur einmal war sie fort in den zwanzig Jahren – monatelang fort. Und als sie wiederkam, brachte sie ein Kindlein mit. Sie hatte es angenommen von einer Schwester, die im Wochenbett gestorben war … So wußte es alle Welt. Wer hätte daran zweifeln sollen? Einige Bäuerinnen dachten sich wohl ihren Teil, aber die meisten nahmen sich diese Mühe nicht. Und das Kindlein hieß Juliska von Kerpely, so wie die Adoptivmutter. Alter ungarischer Kleinadel, der am Schreibtisch einer Gemeindekanzlei im Mannesstamm erlosch. Wem tat es Abbruch, daß da ein verspätetes Reis aufgeblüht war, daß eine Wittib noch auf den versunkenen Namen des Gatten hin sündigte.
Das Kind wuchs heran und mußte eine standesgemäße Erziehung erhalten. Dafür fühlte sich der Pfarrer Horvat verantwortlich. Und seine Mittel erlaubten ihm das. Eine fettere Pfründe gab es nicht bald im Lande. Und die Klara hatte gespart in den zwanzig Jahren, die sie im Hause war, und ihr Pfund redlich verwaltet. Sie half heimlich allen Geldbedürftigen in der Gemeinde und war Teilhaberin an Sparkassen und Volksbanken. Ihr Mädel wird einmal eine Mitgift bekommen wie eine Gutsbesitzerstochter.
Mußte das Mädel dem Bácsi jetzt solche Sorgen machen? Sie vornehm zu verheiraten, wird ja nicht schwer sein, wenn sie im Geleise blieb. Aber sie war ein so seltsames Geschöpf klösterlicher Erziehung.
Was suchte sie immer und immer in Temesvar? Verheimlichte man ihm etwas? Kam sie dort mit einem Mann zusammen? Vielleicht mit dem Grafen von Josefsfeld? Warum stellte sich der Herr Rittmeister nie vor bei ihm? Oder war es etwas anderes? Lange wollte er nicht mehr zusehen. Er hatte dieses Versteckenspiel und dieses Alleinsein satt.
* * *
Der Straubmichel lebte mit seiner Mutter wieder im Frieden. Die luthrische Gertreid Gertrud, wie sie im Dorfe genannt wurde, hatte ihren widerspenstigen Sohn doch »Koram« gelehrt. So meinte sie. Denn als sie einige Tage nach jenem Streit im Juni die Prünellschuhe wieder einmal abgelegt und gegen Lederschuhe vertauscht hatte und festen Schrittes nach Josefsfeld auswandern wollte, da gestand er ihr, daß er seine Heiratspläne aufgegeben habe.
Die alte Straubin erschrak über den Ton, in dem der Michel das sagte. Es hatte so traurig geklungen, so tiefschmerzlich. War ihm so viel an dem Weibsbild gelegen? fragte sie sich. Ging ihm das so nahe? Am Ende hätte sie doch nicht so dickköpfig sein sollen. Nie hatte er heiraten mögen. Er war der älteste Bub geworden im Dorfe, und wer weiß, ob ihn noch eine mochte. Und jetzt hatte er sich dazu entschlossen gehabt, und die Mutter verdarb es ihm. Aber nein, sie durfte nicht bereuen, was sie getan, denn es war nicht die Rechte. Er wäre ja doch nur ins Malheur gekommen mit dieser halbherrischen Putzgredl, die eine Betschwester auch noch war und sonst noch 'was dazu.
Sie wollte mehr vom Michel wissen. Aber da kam sie übel an. Er war sackgrob, wie nie in seinem Leben. Man möge ihn in Ruhe lassen und nie mehr davon reden. Es sei aus und weiter gebe es nichts zu sagen.
Da ging die alte Straubin doch nach Josefsfeld hinüber. Die Lederschuhe hatte sie einmal an den Füßen, fertig war sie, und die Kathl würde sich gewiß freuen über die große Neuigkeit. Und vielleicht könnte man bei der Gelegenheit auch ernstlich Umschau halten, ob drüben keine Braut für ihn zu finden war. Im tiefsten Innern nagte ihr schon lange ein Gewissenswurm. Sie hatte sich nie auch nur die geringste Mühe gegeben, ihren Sohn zu verheiraten, ja, der Gedanke, ihn mit einer Frau zu teilen, war ihr zuwider. Vielleicht trug nur sie die Schuld, daß er ein so einsamer alter Spatz geworden. Er hat es ihr sogar einmal gesagt, als sie die Liszka herabsetzte. Jetzt wollte sie ihm beweisen, daß das nicht wahr sei; sie wollte sich mit Hilfe der Kathi alle Mühe geben, in ihrem Heimatsdorf eine evangelische Braut für ihn zu finden.
Und während sie ging, saß der Michel daheim in einer dämmernden Ecke der Hinterstube und brütete nach über das, was ihm widerfahren war. Es wurde ihm so heiß, wenn er daran dachte. Er mußte dreimal in den Keller gehen, um sich einen frischen Trunk heraufzuholen, denn auf die Gasse, wo der Schwengelbrunnen war, traute er sich seit gestern nicht. Er schämte sich.
Noch am späten Abend jenes Wallfahrtstages hatte er auf die Liszka gewartet, aber sie kam nicht. Und ihre Mutter meinte schon, sie würde wohl irgendwo übernachtet haben. Aber als er das Haus der Wielandin verließ und noch immer wartend im Gässel auf und nieder ging, kam die Liszka doch endlich die Gasse von der Kirche herab. Er begrüßte sie, wollte mit ihr umkehren bis zum Haustor und noch mit ihr plaudern. Sie aber schaute ihn so fremd an, als ob sie ihn nie gesehen hätte. Völlig verändert kam sie ihm vor und gab keinerlei Antwort. Da fragte er sie, ob er morgen früh kommen dürfe, und sie sagte ja.
Todmüde war sie gewiß, dachte er. Aber warum so fremd, so scheu und stumm? Er ging in schweren Gedanken heim. Sein Haus lag im »Grund«, einer tief gelegenen Gasse hinter der Hauptstraße, in der auch nur Keinhäusler und Gewerbetreibende wohnten. Er mußte am Pfarrhaus vorüber, und beim Kaplan brannte noch Licht. Das ganze Dorf schlief seit Stunden, nur der war noch wach. Und vielleicht auch die Liszka …? Hatte sie diesen Gang tun müssen? Ihm ahnte, daß das Pfarrhaus nicht ganz unbeteiligt sein mochte an dem Schritt.
Als er am nächsten Morgen ins Gässel kam, empfing ihn die Wielandin mit verweinten Augen. »Ist die Liszka krank?« war seine erste Frage. Nein, sie war nicht krank, nur müde. Und wie behext sei sie von dem Gedanken, daß sie nicht heiraten dürfe. Sie habe eine Eingebung gehabt auf diesem Wallfahrtsgang, und es sei ihr verboten worden zu heiraten. Sie müsse alles so tragen, wie es komme, aber heiraten dürfte sie nicht. Ihr Kind habe sie Gott verlobt, das müsse geistlich werden, ob es ein Bub oder ein Mädel werde; und sie selbst wolle abwarten, was Gott über sie beschließe.
Der Straub war wie betäubt von diesem Wortschwall.
Die Wielandin meinte allen Ernstes, ihr Mädel wäre verrückt geworden. Schon der Umstand, daß sie sich ihr, der weisesten Mutter des Dorfes, in den ersten Monaten nicht anvertraute, war ihr ein Zeichen von Verrücktheit. Wie leicht wäre da zu helfen gewesen. Jetzt war es zu spät. Zu viele Menschen wußten darum, und es war auch kaum mehr zu verbergen. Die Bas' Anmerich nahm ihre Tasche und lief davon. Sie ließ den Straubmichel allein mit der Liszka, aber sie hatte ja keine Hoffnung, daß es diesem Tolpatsch von einem Liebhaber gelingen könnte, ihr Mädel umzustimmen. So kam also die Schande über ihr Haus! Von so manchem anderen Hause hatte sie sie abgewendet, bei sich selbst war sie machtlos.
Blaß, mit dunkel umränderten Augen trat die Liszka dem Straub entgegen. Sie vermied seinen Blick, schaute an ihm vorüber. Er möge ihr nicht böse sein. Aber was zwischen ihnen besprochen wurde, sei unmöglich geworden. Sie hätte gestern ein Erlebnis gehabt, das alles verändert habe. Sie müsse die Schande tragen, und sie wolle sie auch tragen. Gott würde sie dafür einst belohnen. Seit gestern lebe etwas in ihr. Das sei gewiß ein Zeichen. Gerade an dem Tag sei es lebendig geworden. Warum nicht vorgestern? Warum nicht heute? Nein, gestern vor dem Altar der Gottesmutter. Das sei ein Zeichen des Himmels. Sie müsse abwarten, was aus ihr noch werde. Hinter einen Mann verkriechen wolle sie sich nicht. Sie gebe ihm sein Wort zurück.
Der Straubmichel war wie auf den Mund geschlagen von dem allen. Er wußte nichts zu sagen, was sie hätte umstimmen können. Und betrübt ging er fort von ihr. Ohne Groll, nur tieftraurig.
Und seitdem lebt er wieder in Frieden mit seiner Mutter. Ihre und seiner Schwester Versuche, ihm eine andere Braut zuzuführen, wies er schroff zurück. Das sei für immer vorbei.
Die Monate vergingen. Liszka war geächtet von aller Welt. Niemand kannte sie mehr; keine Kameradin wagte es, ein Wort mit ihr zu reden. Sie mußte ihr schmuckes Blondhaar verbergen, ein Kopftuch tragen wie die Frauen, mußte jeden Menschen im Dorfe zuerst grüßen, und da sie die Kirche nicht meiden wollte und nicht konnte, so blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu denen zu stellen, die vor ihr diesen Weg des Leidens gegangen waren. Hinten, in dem Halbdunkel unter dem Chor, wo immer ein halbes Dutzend gefallener Mädchen stand, war auch ihr Platz. Einst hatte sie gemeint, sie ginge lieber in die Donau, und jetzt hatte sie sich doch überwunden.
Ein Freund war ihr erstanden auf jenem Heimweg von Maria Schnee, ihm hatte sie sich völlig anvertraut, und er führte sie diesen Weg. Und an seiner Seite ging sie ihn leicht, denn es winkte ein fernes Licht … Er allein kam noch zu ihr. Das ganze Dorf wußte, daß sie fromm war und wunderte sich nicht. Und er nahm sich ihrer auch sonst an und ging zum Klugsbaltzer, dem Dorfrichter. Was er zu tun gedenke, fragte er ihn, um der Gemeinde kein Ärgernis zu geben. Der Richter hatte schon Wind bekommen von der Sache. Sein Sohn war fort, für drei Jahre Soldat. Was konnte er tun? Will das Mädel auf ihn warten, und will der Matz sie heiraten? Er glaube nicht, daß sie zusammenpassen, denn der Matz brauche eine Bäuerin zur Frau. Und erzwingen lasse sich so etwas nicht.
Das wollte der Kaplan auch gar nicht. Hatte er die Liszka dem Straub entrissen, um sie dem Klugsmatz zu bringen? Er gedachte durch diesen Schritt nur ein für allemal festzustellen, wer der Vater sei, und er meinte, daß etwas für das Kind geschehen müßte.
Davon wollte der Bauer nichts hören; sein Sohn koste ihn Geld genug. Da der Kaplan ihn aber bei seiner öffentlichen Würde faßte, als ersten Mann des Dorfes, und ihm verriet, welcher Lebensweg dem Kinde vorgezeichnet wäre, da entschloß der Richter sich, ein kleines Kapital für dasselbe anzulegen.
Mehr wollte Pater Istvan Michlbach nicht. Damit war die Lage geklärt, und er konnte sich dem Pfarrer Horvat gegenüber mit Genugtuung auf diese Tat berufen. Seine Anteilnahme an dem Schicksal der schönen Liszka, die schon bedenklich befunden wurde und zu manchem Gerede Anlaß gab, erschien nunmehr in das schönste Licht gerückt.
Und es kam der Tag, an dem die Liszka eine Patin brauchte, eine Godl, denn es war ein Mädchen gekommen. Die alte Wielandin war in allen ähnlichen Fällen eingesprungen, aber was sollte diesmal geschehen? Großmutter und Godl zugleich konnte sie dem Kinde nicht sein. Aber man wagte es nicht, irgendwen im Dorfe mit dem Antrag dieser Gevatterschaft zu beleidigen. Vielleicht wäre die Frau Oberlehrer Heckmüller mutig genug gewesen, es zu tun. Vielleicht! Der Kaplan besprach diese Not der Liszka bei Tisch im Pfarrhaus. Und die junge Mutter tat dem Herrn Pfarrer furchtbar leid. Sie war unter seinen Augen herangewachsen, hatte fast täglich die Messe besucht, war stets brav, betätigte sich auch als Kirchensängerin – man sollte sie doch nicht ganz verlassen. Er warf einen Blick auf die Klarinéni, doch sie zögerte. Schon wollte der Kaplan sie bitten, sie bestürmen, da sagte Juliska:
»Wenn es dir recht ist, Bácsi, möchte ich die Godl sein.«
Sie war über und über rot geworden, aber ihre Augen blitzten, und man merkte, daß ihr Vorhaben sie reizte, daß sie sich interessant damit vorkam.
Der Kaplan rief »Bravo! Bravo!«, indes Pfarrer Horvat ernst blieb und schwieg.
»Du hast sie doch nie schmecken können!« sprach die Klarinéni. »Was fällt dir ein?«
»Ich möchte die Godl von einer künftigen Nonne sein,« antwortete Juliska. »Das würde mir einen Riesenspaß machen.«
Da sagte der Pfarrer: »Mir ist es recht. Es wird ein gutes Beispiel sein in der Gemeinde.«
Während Juliska sich nur noch mit der Toilettenfrage beschäftigte, eilte der Kaplan, der alten Wielandin die Botschaft zu bringen. Sie war sprachlos. Und die Liszka weinte, als sie es hörte. Das hätte sie der Pfarrersjuliska niemals zugetraut.
Daß das Kind gleich am nächsten Tag in die Kirche getragen wurde zur Taufe, gebot die Sitte. Die alte Wielandin fragte nur schüchtern: Ob abends? Oder ob vielleicht in diesem Falle, der Godl zuliebe, eine Ausnahme gemacht würde?
Der Pfarrer, der gefragt wurde, lehnte es ab, den alten Brauch zu verletzen. Was in die Dämmerung gehöre, soll man nicht ans Licht ziehen.
Aber als die Juliska dies erfuhr, machte ihr das Ganze gar keinen Spaß mehr. Sie sagte ab. Und da der Bácsi nun zürnte, bat und schmeichelte sie so lange, bis er seine Zustimmung gab zu der Vormittagstaufe. Aber der Kaplan sollte sie vollziehen; die Jugend sollte diesen Umsturz einleiten. Ihm selbst würde man es übelnehmen.
Und so geschah das Unerhörte. Das Kind einer ledigen Mutter hatte nicht nur eine Godl gefunden im Dorfe, wie noch kein anderes, es wurde auch am hellen Vormittag zur Taufe getragen.
Der erste dünne Schnee lag auf der leichtgefrorenen Straße, als die Juliska in ihrem eleganten neuen Winterkostüm, in Pelzjacke und Kalpakhut, auf dem eine stolze Reiherfeder wehte, aus dem Pfarrhause trat. Sie wurde sogleich bemerkt. Die Kunden der Kaufleute an den beiden Eckhäusern zur Seite der Kirche traten heraus und blickten ihr nach. Sie ging ins Gässel zur Wielandin. Und nach zehn Minuten schon kam sie wieder und hielt das Kind auf ihren Armen. In zartes helles Polsterwerk eingemummelt, mit einem wehenden, weißen Schleier überdeckt, lag das Kleine in den schützenden Armen der noblen Godl und schlummerte. Ganz hoffärtig war das Taufkissen, gar nicht bäurisch, meinten die Nachbarinnen.
Neben der Juliska ging die alte Wielandin – als weise Frau. Niemand folgte den beiden; kein Vater, keine Großeltern, wie das üblich war. Und es wurde nicht geschossen in den Höfen wie sonst, wenn eine stolze Bauerngodl oder ein Pätter Pate seinen Täufling zur Kirche trug. Niemand bekannte sich zu diesem Kinde, niemand betonte seine verwandtschaftliche Zugehörigkeit zu dem neuen Bürger der Gemeinde. Auch der Klugsbaltzer zeigte sich nicht an den Fenstern des Gemeindehauses. Er war nicht neugierig auf sein Enkelkind.
Alle anderen Leute aber reckten die Hälse hinter den Fensterscheiben ihrer Häuser und traten wohl gar auf die Gasse hinaus. Vor der Kirche standen Leute, die den seltsamen neuen Brauch beredeten; ein paar alte Frauen gaben laut ihrer Unzufriedenheit Ausdruck und ihrem Ärger. Auf andere aber wirkte die mutige Tat der Pfarrersjuliska und der Bruch mit der altüberlieferten Verfehmung schuldloser Kinder wie eine Erlösung. Die ganze herrische Welt des Dorfes war vor den Kaufläden und vor dem Schulhause versammelt, um die Juliska in ihrer Godlrolle zu sehen, und die Frau Oberlehrer Heckmüller hatte sich nicht einen Augenblick bedacht und die schüchterne Einladung der alten Wielandin zum Kindtaufschmaus angenommen. Auch die Klarinéni folgte dieser Einladung, und der Herr Kaplan durfte nicht fehlen.
Auf den Namen der Godl wurde die Kleine getauft, und so gab es jetzt eine Juliska mehr im Dorfe.
Der Straubmichel war gerade aus dem Gemeindehause auf die Gasse hinaus getreten, als der Auflauf vor der Kirche und den umliegenden Häusern seinen Höhepunkt erreichte, als die Godl mit ihrem Täufling den Rückweg antrat und die geladenen Gäste, die sich in der Kirche eingefunden, ihr folgten.
An einem breiten Riemen, der über die rechte Achsel nach der linken Seite hinablief, baumelte die Trommel. Der Michel hatte eine neue Steuer auszurufen im Dorfe, und er begann sein Werk immer zuerst in dem Mittelpunkte vor der Kirche und dem Pfarrhaus. Er trommelte und wirbelte, daß sich alle Aufmerksamkeit ihm zuwendete; dann sagte er seinen Text auf und schritt melancholisch mit vorgeneigtem Kopf die Hauptstraße hinab.
Der Kaplan sah ihm nach und lächelte.