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Der Winterabend bricht früh herein über das Dorf, und nur der Schnee leuchtet in den Gassen. Sobald das Aveläuten vom Kirchturm ertönt, setzt sich alles zu Tisch zum Abendbrot. Die Frau drängt schon, die Tochter ist bereits im Staat, die Großmutter hat ihre Brillen schon dreimal gepußt. Jede hat ihre Spinnreih', und keine will zu spät kommen. Die Männer haben Zeit, die werden vor zwei, drei Stunden nirgends erwartet. Und so essen die Weiberleut' nur schnell und gehen. Jede hat ihren Spinnrocken voll Hanf und ein paar leere Spulen in Bereitschaft. Die Rocken der Mädchen sind mit einem duftigen Band umwunden in hellen Farben. In der Spinnreih' wird aber nicht nur geklatscht, da wird auch um die Wette gesponnen.
Und alsbald schwanken hundert kleine Laternen durch die Dorfgassen, die sich die Schönen auf dem Hinweg noch selber tragen. Auf dem Heimweg ist das etwas anderes, da haben sie nebst dem Spinnrad auch die vollgesponnenen Spulen. Und wozu wären denn die Männer und Buben im Winter nutz, wenn sie nicht einmal die Laternen vorantragen wollten?
Die großen Buben haben noch das Vieh abzufüttern, ehe auch sie das Haus verlassen; die Männer bleiben noch bei einem Glase sitzen und rauchen die Pfeife, wenn sie nicht gar im Kalender oder im Wochenblatt lesen. Manchmal kommt auch ein Nachbar auf einen kleinen Plausch; man politisiert, bespricht Gemeindeangelegenheiten, schimpft auf die Regierung und die niedrigen Getreidepreise. Dann geht man gemeinsam zur Spinnreih', in den Kreis, zu dem man gehört. Jede Gasse hat ihre Reih'; ist sie lang, auch zwei und drei. Und alle Altersstufen sind streng geschieden. Die Großmütter, die Mütter, die jungen Frauen, die großen Mädchen und die kleinen, die der Schule entwachsen aber noch nicht mannbar sind; jede Schichte hat ihre eigene Spinnreih'. Und die Sitte verbietet es, daß ein verheirateter Mann zu den Ledigen, ein Lediger zu den Verheirateten kommt. Wer diese Ordnung durchbricht, kann die schönsten Prügel haben.
Bei der Haffnersbärbl war heute die Reih', und die Frauen bis hinauf zur Kirche hatten sich bei ihr versammelt. Ein Krug frischen Wassers mit zwei Gläsern stand auf dem Tisch, auch eine Schüssel mit Äpfeln, Nüssen und gedörrten Zwetschken. Sonst wurde nichts gereicht. Doch später, wenn die Männer kamen, gab es auch ein Glas Wein.
Die Bas' Bärbl redete wenig oder nichts, das war bekannt; um so mehr plauderten die Gäste. Sie wußten alles, was im Dorfe vorging, sie kannten jeden Heiratsplan, jeden Erbschafts- oder Ehestreit, jeden Zank zwischen Eltern und Kindern.
Wieviel gestärkte Unterröcke die Susi am Sonntag wohl getragen hat, weil sie gar so stattlich aussah auf dem Gang zur Kirche, wollte die Nachbarin durchaus wissen von der Bas' Bärbl. Doch diese lächelte nur. So ganz eigen lächelte sie.
Und die Nachbarin wußte, woran sie war; es zischelte sich weiter in der Runde.
»Jo, wie alt sein dann die Zwilling?«
»Annerthalb Jahr.«
»No, des tut sich. Des tut sich.«
Die Räder surrten um die Wette, und die Spulen füllten sich trotz des munteren Geplauders.
Als letzte kam die rote Klugsnantschi, die Frau des Dorfrichters.
»Häbt d'r 's schun g'heert,« fragte sie, als sie ihren Platz eingenommen hatte, »was dem Poschtmüller Postmeister Müller passiert is?«
»Naa, ka Wart!« rief es von allen Seiten.
»Ing'schperrt häwe s' 'n uf acht Täg.«
»Wege dem Lehrer? Wege dem Jantschi?« rief man.
»Jo, jo, wege dem Janitschari, oder wie des neu' Schimpwart haaßt. Un' die Poscht wolle se ehm wegnemma. Er hot sich verdefendiert wie a Fischkal, verzähle se, äwer ganutzt hot's ehm nix. Wie der garedt hot! Der Herr Halmosch is a Schwob, wie mer all' Schwobe sin, hot er de' Herre g'saat, er soll nit a so taun. Unser' Kinner soll er z'erscht die Mottersproch lerna, nit ehna die Köpp v'rdreha. D'rnoo werd 'n koi Mensch an Janitschari haaße.«
Die Klugsnantschi schnappte nach Luft, dann schloß sie: »Sau hot der Poschtmüller gared't. Un d'rnoo hot er sich inschperra lossa.«
»M'r soll halt die Leut' nit verspotta ‚« piepste die bucklige Bas' Margred, dem Bindersmichel seine Schwester. »Mei Bruder konn des aa nit lossa. Er hot sich gescht gestern wieder 's Maul verbrennt über da Herr Kaplan und die Liszka. Des werd aa schier 'was gäwa.«
»Bald werd's ganz Darf zu Garicht geihn,« sprach die Klugsnantschi. »Mei' Mann is schun recht verdrießlich.«
Die anderen aber wollten durchaus wissen, was der lustige Bindersmichel über den Kaplan und die Liszka gesagt habe.
»O naa, des trag' ich nit weiter,« rief die Bas' Margred. »Des wär' a Sünd'.«
Und sie war nicht zu bewegen, die Worte zu wiederholen.
Indessen wurde es in der hinteren Stube lebendig. Mit schweren Tritten stampften die Bauern im Gang draußen den Schnee von den Füßen, ehe sie eintraten, und die Frauen erkannten jeden einzelnen an der Stimme. Sie spannen und klatschten noch eine Weile weiter, dann stimmte die Bas' Evl, die das Singen über alles liebte, ein Lied nach dem andern an. Und die Frauen sangen »Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum«, »Zu Straßburg auf der Schanz«, »Es stand ein Baum wohl an dem Rhein« und das selten gehörte Lied:
»Da unten in dem tiefen Tal
Steht eine Lind', ist unten schmal,
das der Oberlehrer wieder eingeführt hatte.
Das lockte auch die Männer einzeln herbei; sie ließen das Polittsieren sein und kamen zu ihren Frauen und Nachbarinnen. Der stattliche Hausvater lehnte als erster am Türstock und lächelte seine stille Frau an, die leise mitsummte.
Er wußte‚ warum er lächelte. Wie wird sie sich freuen, wenn sie erfährt, was heute geschah, was heute endgültig beschlossen wurde! In der Tasche hatte er's, unterschrieben war es von zwei Dutzend Bauern, daß sie ein deutsches Konvikt gründen wollten in Szegedin, ein Familienheim, wie der Herr Trauttmann gesagt hatte. Die letzten setzten jetzt drüben ihre Unterschrift auf den Bogen. Das Geld war beisammen; jetzt fehlte nichts als ein tüchtiger Herbergsvater für sein Studentenheim, ein Mann mit einer braven Frau, die den Schwäbischen Knaben eine Mutter sein wollte. Ja, der Haffnerslippl lächelte. Und er wußte warum. Er hatte seine geheimen Pläne …
Und jetzt bestellte er sich sogar ein Lied. Das »Mädele ruck, ruck« wollte er wieder einmal hören. Aber sie weigerten sich. »Do mischt er in die Reih' der Mädscha geihn!« rief man ihm zu. »Des singe mer schun lang nit mei.«
»Mer därfe doch nit 'nei zu da Mädscha, sunscht kriege mer Wichs,« erwiderte belustigt der Haffnerslippl.
Und der Klugsbaltzer, der mitgekommen war, wollte es auch hören. »Na, Bas' Nantschi, legt nar mol laus,« rief der Hausherr und setzte sich mit dem Richter auf die Ofenbank. »Sunscht geihn m'r nüber zur Susi. Die hot heunt a die Reih'!«
Die rote Nantschi ließ sich nicht zweimal bitten. Und so sangen die Mütter:
»Mädele ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite,
I hab di gar so gern, i kann di leide!«
Sie lachten alle, als das Lied zu Ende war, und wunderten sich, daß es noch so gut gegangen.
Dann hub der Klatsch wieder an, und die Männer rauchten, daß das Fenster geöffnet werden mußte, während der Hausherr hin und her ging und Wein anbot.
Von drüben über dem Hof erscholl jetzt auch ein Lied; die Männer horchten, was es wohl wäre, aber ehe sie es erkannten, schloß die Bas' Margred das Fenster, neben dem sie ihren Platz hatte, denn es zog ihr zu stark.
Es war ein seltener Zufall, daß die Spinnreih' der beiden Hausfrauen zusammenfiel. Und bei der Susi ging es noch lebhafter zu als bei der Bas' Bärbl. Lauter junge Frauen, keine war länger als drei oder vier Jahre verheiratet, und in den Männern, die sich um den Jörgl versammelt hatten, lebte noch der ganze Übermut der großen Buben. Sie neckten die Frauen, rissen einer besonders fleißigen den Faden ab oder gossen ihr heimlich Wein in den kleinen Blechnapf, der zur Benetzung der Finger an jedem Spinnrad hing, und trieben allerlei Schabernack.
Dieser und jener jungen Mutter wurde ihr Säugling gebracht, damit sie ihn rasch stille, denn er schlafe sonst nicht ein. Es lag ein femininer Zauber über dieser Spinnstube der jungen Mütter.
Die Susi, aufgeblüht wie eine Rose im Juli, rot- und vollwangig wie eine Aprikose, bewegte sich schon ein wenig schwer, aber sie ließ es sich doch nicht nehmen, für ihre Gäste Kukurutz zu »platsche«. Schon brannte die Herdflamme in der Küche, und sie hatte alles vorbereitet. Schönen roten Kukurutz hatte sie eigens für diesen Zweck an der Sonnenseite des Hauses trocknen lassen im Herbst. Jetzt sollte er die Probe bestehen. Die losen Kerne wurden in ein Drahtsieb geschüttet, die Susi streckte ihre vollen, runden Arme aus, hielt es mit den Händen über die Herdflamme und rüttelte den Inhalt des Siebes unaufhörlich durcheinander. Die Kerne begannen zu braten und zu platzen, sie knatterten wie Kapselschüsse, und viele sprangen aus dem Sieb. Die Männer standen scherzend ringsum, fingen die Flüchtlinge mit ihren Pelzkappen auf und aßen sie mit großem Behagen. Wie kleine Röschen sahen sie aus und schmeckten süß wie gezuckert.
Die Susi glühte im Scheine der Herdflamme, aber sie sah ihren Eifer belohnt, denn die große Schüssel mit geplatschtem Kukurutz, die sie alsbald in die Stube brachte, war im Nu geleert, die Frauen rissen sich um den Schmaus. Und als die Säuglinge wieder fort waren und der Kukurutz verzehrt, da stimmten diese glücklichen, lebensfrohen jungen Frauen gar rührselige alte Lieder an von Scheiden und Meiden, von Trübsal und Tod.
»So viel Stern' am Himmel stehen,
An dem güldnen blauen Zelt;
So viel Schäflein, als da gehen
In dem grünen, grünen Feld;
So viel Vöglein, als da fliegen,
Als da hin und wider fliegen,
So viel mal sei du gegrüßt.
Soll ich dich denn nimmer sehen,
Nun ich ewig ferne muß?
Ach, das kann ich nicht verstehen,
O, du bitt'rer Scheidensschluß!
Wär' ich lieber schon gestorben,
Eh' ich mir ein Lieb erworben,
Wär' ich jetzo nicht betrübt.
Mit Geduld will ich es tragen,
Denk' ich immer nur zu dir;
Alle Morgen will ich sagen:
O, mein Lieb, wann kommst zu mir?
Alle Abend will ich sprechen,
Wenn mir meine Äuglein brechen:
O, mein Lieb, gedenk an mich!
Ja, ich will dich nicht vergesse,
Enden nie die Liebe mein.
Wenn ich sollte unterdessen
Auf dem Totenbette schlafen ein –
Auf dem Kirchhof will ich liegen
Wie das Kindlein in der Wiegen,
Das ein Lied tut wiegen ein.
In manchen Augen glitzerten Tränen nach diesem Liede, und die Männer verspotteten die Sängerinnen deshalb nicht wenig. Sie gaben wie zum Hohn ein paar derbe Strophen zum besten:
»Es hatt' ein Bauer ein junges Weib,
Die blieb so gerne zu Haus,«
stimmten sie übermütig an, und so sehr einige der Frauen auch abwehrten, zuhorchten sie doch. Die Männer wählten heute die mildeste Form des Textes, der in vielen Abarten und bis zu zehn Strophen im Volke lebt, und nach dessen flotter Weise überall ein Ländler getanzt wird. Sie fuhren fort:
»Sie bat oft ihren viellieben Mann,
Er sollte doch fahren hinaus
Er sollte doch fahren ins Heu,
Er sollte doch fahren ins ha, ha, ha, ha.
Heidildei! Juchheidildei!
Er sollte doch fahren ins Heu.
Der Mann der dachte in seinem Sinn,
Du redest zu schön und zu gut,
Ich schirre die Rappen, verstell' mich zum Schein,
Will sehen, was sie daheim tut.
Will sagen, ich fahre ins Heu,
Will sagen, ich fahre ins ha, ha, ha, ha,
Heidildei! Juchheidildei!
Will sagen, ich fahre ins Heu.
Da kommt geschlichen ein Reitersknecht
Zum jungen Weibe hinein,
Und sie umfanget gar freundlich ihn,
Gibt schnell sich und willig darein.
Mein Mann ist gefahren ins Heu!
Mein Mann ist gefahren ins ha, ha, ha,
Heidildei! Juchheidildei!
Mein Mann ist gefahren ins Heu.
Nun kam die große Wendung des Liedes zum Bedenklichen. Aber die Männer waren ja nicht unter sich im Wirtshaus; einzelne bogen laut in die milderen Geleise ein und rissen die anderen mit … Der Bauer lauscht, kommt mit dem Stecken, die Frau spielt Komödie, tut süß mit ihm und unschuldig, der Reitersknecht entwischt. Aber der Ehemann kommt doch zu dem Schluß: »Der Teufel mag fahren ins Heu,« wenn man daheim eine verliebte junge Frau hat.
* * *
Auch im Gässel war jede zweite Woche einmal Spinnreih', bei der Liszka. Viele Monate hatte sie es ertragen, ohne jeglichen Verkehr zu sein, wie eine Geächtete zu leben. Ihre Genossinnen huschten mit den Spinnrädern an ihren Fenstern vorüber; keine sah sie mehr an, und doch hatte so manche von ihnen sie lieb gehabt seit den Tagen der Kindheit. Das war vorbei. Jedes Freundschaftsband war durch ihre Schande zerrissen worden.
O, wie sie sich anfangs kränkte. Wie sie murrte gegen ihr Los. Aber trug sie es nicht freiwillig? War es nicht bei ihr gelegen, dem Schimpf zu entgehen? Sie hatte es in jener Frühsommernacht gelobt, keinem anderen gehören zu wollen, zu dulden und zu warten, bis die Erlösung komme. Als Magd wollte sie dem dienen, der sie damals nach Maria Schnee gesendet, und müßte sie auch noch viele Jahre warten, bis er eine Pfarre erhielt und sie zu sich nehmen durfte.
Sie war nicht wankend geworden in diesem Vorhaben, und der, dem ihre Zukunft gehörte, kam nur zu oft; er machte es ihr nur zu leicht, auszuharren. Fast fürchtete sie schon für ihn, denn die Leute waren gar neidisch und klatschsüchtig. Er kam so oft, weil sie so einsam war, weil sie ihm leid tat.
Das verdroß die Mutter, die nichts Gutes sah in dieser Freundschaft mit dem »Phaff«; und sie sagte zur Liszka eines Tages, warum sie denn so »'rumhocke d'rhaam«. Es gebe doch noch Gesellschaft für sie im Dorfe. Und das sei die schlechteste nicht, sagte bissig und vieldeutig die Alte.
Die Liszka wußte es wohl. Die Armen, denen es wie ihr ergangen, hatten sich längst zusammengetan zu einer Spinnreih'. Viele von denen, die noch erhobenen Hauptes durch das Dorf gingen, waren schlechter als sie.
Hihihi! Wenn die alte Wielandin hätte reden wollen. Aber sie durfte das nicht; sie war gar verschwiegen. Und ihr Ansehen war wieder gewachsen, seitdem ihre Liszka ins Malheur gekommen. Die dunklen Gerüchte über ihren Nebenerwerb waren völlig verstummt, seitdem sie die eigene Tochter preisgegeben hatte. Daß manchmal sogar hübsche Serbinnen aus fremden Dörfern zu ihr kamen und Hilfe suchten, fand man jetzt ganz in der Ordnung. Die Frau tut gewiß nichts Unrechtes, hieß es, sonst hätte die Liszka es nicht nötig, in die Spinnreih' der Gewissen zu gehen …
Und sie ging in diese Reih'. Der erste Schritt war recht schmerzlich gewesen; aber als sie sah, wie gut sie aufgenommen wurde, und wie wohl ihr die Ansprache tat, war ihr kein Weg mehr zu weit; denn das war ja nicht die Reih' von Nachbarstöchtern einer bestimmten Gasse; zu ihr gehörten elf ledige Mütter, die im ganzen Dorf zerstreut wohnten. Nur das starke Bedürfnis der Schwäbinnen nach Geselligkeit hielt diese Reih' zusammen.
Heute war sie drunten im Grund, bei der Reitersresi, einer Kleinhäuslerstochter, die auch der Sohn eines »Großkopfeten« hatte sitzen lassen. Da saßen sie im Kreise, rings um den runden Tisch, über dem die Petroleumlampe hing, und ihre Räder surrten so hurtig und so unermüdlich wie die der ehrbaren Frauen und Mädchen. Aber Gesang gab es bei ihnen nur selten. Das war ihnen verleidet. Seitdem sie in der Kirche nicht mehr mitsingen dürfen, ist manches in ihnen gestorben. Sie hatten sich vieles zu erzählen, wovon man in der Spinnreih' der Mädchen nicht redete und in der der Frauen nichts wußte. Bittere Worte fielen, und herber Tadel wurde geübt an so manchem, der nicht da war. Und man brauchte sich so gar keinen Zwang auferlegen, denn ein Mann war fast nie zu sehen. Nur der Geliebte einer einzigen bekannte sich zu seinem Mädchen; ein armer Knecht, der noch nicht heiraten konnte. Er und seine Anna hielten aber fest zusammen, und sie spann sich die Finger wund für ihren Seppl, der nach Amerika wollte, um sich ein kleines Heiratsgut zu verdienen. Aber es langte noch nicht für das Reisegeld.
In ganz dunklen Nächten, wenn kein Schnee lag und kein Mond schien, schlichen gar oft Männergestalten um das Haus, wo gerade die Spinnreih' der Namenlosen war; da gab es Begleiter für den Heimweg. Und es sollen nicht immer bloß Ledige sein, die da lauern; man sah schon manchen Tugendbold der Gemeinde auf diesen Wegen, wo es mehr Maulschellen als Küsse zu holen gab. Auch der Herr von Gergely hatte sich schon welche geholt … Daß ein gefallenes Mädchen auch ein schlechtes Mädchen sein müsse, das glauben ja so viele Philister. Und namentlich die Frauen glauben es. Ihnen war diese Spinnreih' ein Gräuel, und manch eine bat den Straubmichel, er möchte heimlich aufpassen, ob nicht ihr Mann sich dort zeige. Und wenn ihn gerade die Nachtwache traf, tat er es ja wohl auch. Seitdem die Liszka auch in diese Reih' ging, zog es ihn sogar ein wenig hin. Er konnte dem Mädel nicht gram sein; er hielt sie nur für religiös überspannt, und seine lutherische Mutter hatte ihn darin bestärkt. Die Heiratspläne seiner Mutter und Schwester wies er immer wieder ab. War er schon der älteste Bub im Dorfe, wollte er's auch bleiben. Es mußte nicht sein, daß man ein Weib nahm.
Heute war die Reih' im Grund, und der Michel stellte sich als Nachbar ein, wie schon oft. Die Reitersresi bot ihm gleich einen Stuhl an, und er mußte auf viele Fragen Rede stehen. Die Mädeln waren ihm so dankbar, daß er sich offen zu ihnen hereintraute; sie ahnten nicht, daß er auch Nebenabsichten damit verband. Eine und die andere wollte ihn sogar als Begleiter haben, weil ihr Weg weit war und sie manchmal behelligt wurden. Er schmunzelte zu solchen Anträgen. Da konnte er ja vielleicht dem Mädel gefällig sein und auch einer Bäuerin.
Nur die Liszka war nicht freundlich mit ihm. Und sie verlangte auch nie seine Begleitung. Sie stand immer rasch auf und ging als erste davon, wenn es aufbrechen hieß, und ihm war, als ob an der nächsten Ecke stets einer warte, der ihr die Laterne vorantrug. Er hatte eine Vermutung, die ihn belustigte, aber sicher war er seiner Sache durchaus nicht. Das böse Wort des Bindersmichel, daß der Klugsmatz einen himmlischen Stellvertreter bei der Liszka zurückgelassen hätt', war auch ihm zu Ohren gekommen, aber er glaubte es nicht. So dumm war doch das Mädel nicht, daß es sich auf so etwas einließ.
Die Reih' dauerte heut länger als sonst. Der Seppl war gekommen, seine Anna zu holen, und der Straubmichel redete schon von den nächstjährigen Seidenpreisen, die höher wären als je. »Do konnscht ehm uf aamol 's Raas'geld far Jamerika verdeena,« rief er scherzend der Anna zu. Und die griff den Gedanken sogleich auf. Das wollte sie tun.
Während nun alle wissen wollten, wieviel man sich eigentlich durch die Seidenzucht verdienen könne in einem Sommer und der Straubmichel als Muster auf die Liszka verwies, hatte diese schon mehrmals ihre kleine silberne Uhr hervorgezogen. Sie trug als erste eine solche im Dorfe, und sie sah wohl öfter nach ihr, als es gerade nötig war. Jetzt aber erschrak sie, es war schon später als sonst. Rasch versorgte sie ihre vollgesponnenen Spulen und strich den Hanfstaub von ihrer Schürze. Da klopfte ein leiser Finger am Fenster draußen, und alles Gerede verstummte. Man sah sich an. Die Reitersresi hatte einen schnellen Blick nach dem Fenster geworfen und dann recht spöttisch nach der Liszka gesehen. »Ja, ja, tummel dich nar,« sagte sie, »dei Motter wart' schun.«
Und diese ließ alle Fragen nach ihrer vorjährigen Seidenzucht unbeantwortet und lief davon. Man lächelte und zischelte.
Den Straubmichel packte es mächtig, er wollte ihr nach; aber das wäre doch zu auffällig gewesen. Er werde ihn schon erwischen, den Unbekannten, dachte er sich und schloß sich dann gemächlich dem allgemeinen Aufbruch an.
Als man auf die Gasse kam, war nichts mehr von der Liszka zu sehen. Nach allen Richtungen bewegten sich die letzten Laternen heimwärts. Der Michel aber ließ die Mädeln sämtlich allein gehen, er begleitete heute keine. Die schwarze Kathi, die den weitesten Weg hatte, versprach ihm sogar ein Bussl, wenn er mit ihr ginge, aber er deutete auf sein Nachtwächterhorn und ließ sich nicht versuchen. Er war heute im Dienst. Und er wollte auch nicht.
Alle Räder standen still, alle Lichter verlöschten im Dorfe, und das letzte Stimmengewirr der Heimwärtswandernden erstarb in der Ferne. Nur hinter manchem Haustor zischelte und schmatzte es noch; da und dort wollte der zärtliche Abschied kein Ende nehmen.
Der Straubmichel schritt mitten auf dem hartgefrorenen Straßendamm dahin, und der Schnee knirschte unter seinen festen Tritten. An der linken Seite hatte er sein Horn; über den Rücken hing ihm eine lange Flinte, und in der Rechten trug er einen Knüppel. Er machte seine Runde in dem schlafenden Dorfe, so wie jeder sie machte, den die Reihe der Nachtwache traf. Und halblaut summte er vor sich hin:
Liewe Nachbarn loßt euch sage,
Elfe hot die Glock' geschlage,
Alle Lichtle löschet aus,
Guck a jeder uf sei' Haus.
Er hatte viele Sprüche, auch selbstgemachte, im Kopfe und hat so manchen im Dorf schon damit gehänselt. Heute war er aber gar nicht lustig gestimmt und zu Schelmenstücken aufgelegt. Ihm wühlte etwas im Gehirn. Und als er auf seiner Runde wieder am Pfarrhaus vorbeikam, sang er:
Höret, was ich euch will sage,
Zwölfe wird die Glock' gleich schlage;
Gebt uf eure Weiber acht –
's geiht a Schwarzer um in mancher Nacht.