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XIV.

Beim Haffnersphilipp war heute Metzlsupp'. Er hatte schon Ende Oktober ein Schwein geschlachtet, um für den Hausbedarf vorzusorgen; aber daraus wurde kein Wesen gemacht. Heute war der große Tag, an dem die vier schweren Mastschweine drankamen, die den Bedarf an Schmalz und Rauchfleisch für das ganze Jahr decken mußten. Es war kalt; der Winter kam mit aller Macht ins Land, und die Obstbäume bogen sich unter dem Rauhreif, der ihre Äste in ein dichtes Kristallkleid eingehüllt hatte. Die Sonne stand als ein blutroter, kleiner Ball am Himmel, und kein Strahl drang durch die dicke, graue Luft. Die Flüsse waren zugefroren. Man fuhr mit dem Wagen über die Donau nach Slavonien auf die Märkte und auch über die Theiß zu den Madjaren im Alföld. Schon wurden da und dort Wölfe gesehen, die sich den Dörfern näherten; denn es lag weit und breit viel Schnee, und der Hunger trieb die Tiere in die Fremde. Sie kamen von Siebenbürgen und aus den Karpathen bis hierher. Und drüben, hinter Peterwardein, in den Tälern und Schluchten der Fruschka-Gora sollen sie in ganzen Rudeln aufgetaucht sein, so hieß es. Die Volksphantasie machte in solchen Tagen aus jedem Schäferhund einen Wolf, und die ältesten Anekdoten und Sagen von Überfällen auf Reisende und Fuhrwerke wurden wieder erzählt.

Das war die richtige Zeit für das Schweineschlachten. Da konnte man ruhig hantieren mit dem Fleisch, dem Wurstzeug und allen erdenklichen Abfällen und Nebenprodukten; es verdarb einem nichts, und man brauchte sich nicht überstürzen mit der Arbeit. Daß die ganze Familie an solchen Tagen zusammenhalf, die ganze Freundschaft, das war selbstverständlich. Neben der Hausfrau, der Bas' Bärbl, betätigte sich die Susi; es kam die ausgeheiratete Tochter Liesl mit ihrem Mann und eine Schwester des Bauern, die Bas' Evl. Den Schlächter aber machte der Bindersmichel, der lustigste Mann des Dorf es. Er war eine grundgütige Seele, voller Schnurren und Schnaken, behaglich und rund; niemand hätte in ihm den großen Schweineschlächter vermutet. Aber er war der beliebteste von allen; ihn wollte jeder haben. Von Beruf Faßbinder, hatte er im Winter fast gar nichts zu tun, und aus reinem Tätigkeitstrieb schlachtete er seinen Freunden die Schweine. Und da er so geschickt und appetitlich dabei umging, so gute Würste machte und das eingelegte Fleisch nie versalzte, stieg sein Ruhm immer höher. Er hatte Monate hindurch Abend für Abend seine Metzlsupp', sein Festessen; meistens wurde auch die Frau eingeladen, und diese empfing wohl Geschenke in Naturalien; er aber nahm nichts für seine Tätigkeit. Sein Gewinn war das winterliche Wohlleben, und daß er selbst keine Schweine zu mästen brauchte. Mehr als er und seine Frau in drei Jahren an geräuchertem Fleisch, an Wurstzeug und Schmalz verbrauchen konnten, wurde ihnen jeden Winter ins Haus getragen. Und die Frau verkaufte im Sommer manches Stück Fleisch an jene, die es ihr im Winter geschenkt hatten. Bei ihr ging das G'selchte nie aus.

Ein Festtag! Der Fülöp durfte sogar von der Schule daheim bleiben; der Oberlehrer erlaubte es gerne, denn er war ein braver und guter Schüler geworden, galt als die Leuchte und das Muster, namentlich in jenen Stunden, in denen die ungarische Sprache gelehrt wurde. Heimlich wurde er von den Bauernbuben freilich verspottet; sie sahen einen durchgefallenen Studenten in ihm, einen entgleisten Herrischen, der langsam wieder der Verbauerung anheimfiel. Aber der Fülöp machte sich nichts mehr daraus; der Zauber des Dorfes, die Heimat und das Vaterhaus hatten ihn wieder erobert. Und an die Zukunft mochten Vater und Mutter denken, er nicht.

Und so wie ihr Lippl aus einem Madjarember wieder ein Schwabe wurde, so hatte auch die Bas' Bärbl allmählich wieder die Herrschaft über ihre Zunge gewonnen. Aber sie machte wenig Gebrauch davon; sie traute sich nicht recht. Sie hatte sich gewöhnt an die seelische Einsamkeit, in die sie so unvermutet gestürzt worden war, und wollte nie mehr ganz aus ihr heraus. Es war so seltsam und wunderlich mit ihr. Der Dorfarzt, ein rundlicher Weißbart, der immer Handschuhe trug, wenn er seine ärztlichen Besuche machte, und sich das Ansehen eines Gelehrten gab vor den Bauern, wußte sich gar keinen Rat ihr gegenüber. Sobald die Ursachen ihrer Gemütskrankheit sich milderten und minderten, gewann die Frau wieder Macht über ihre Zunge. Aber ihr Wortschatz war kleiner geworden; er war und blieb der eines Kindes. Und heute hätte es so viel zu sagen und anzuordnen gegeben. Sie hielt sich aber fern, überließ der Susi das Kommando.

Und es ging alles flott; die Riesenarbeit vollzog sich in spielerischen, geselligen Formen; es lag Kirchweihstimmung über dem Hause.

Schon zum Gabelfrühstück aß man die gesottenen Nieren der geschlachteten Tiere und trank jungen Raki dazu. Mittags gab es Gebratenes, und abends war das große Festmahl: die »Metzlsupp« mit frischen Würsten und Schweinernem in allen Formen. Da kamen die geladenen Gäste. Es gab sogar Krapfen, und vom Wein, der in Strömen während des ganzen Tages floß, kam jetzt der beste und feinste. Zuletzt traten wohl auch ein paar Musikanten an, und es wurde getanzt. Eine Geige, eine Klarinette und eine Ziehharmonika genügten für den Sautanz.

So lustig wie heute war der Bindersmichel schon lange nicht; er unterhielt das ganze Haus, und flink und hurtig ging die gewaltige Arbeit vonstatten. Schon um drei Uhr nachmittags begann das taktmäßige Gehäcksel des Wurstfleisches im Hause, und ehe die achte Abendstunde da war, lagen die Schinken und Speckseiten der vier Schweine eingesalzen in großen Zubern, füllten ihre vier Zentner Fett alle Blechdosen und irdenen Gefäße, die dafür aufzutreiben waren, lagen die ersten Bratwürste, die erst nach drei Tagen in den Rauchfang kamen, auf den Schüsseln. Und die Metzlsuppe wurde pünktlich aufgetragen. Das war des Bindermichels Stolz, zur rechten Zeit, wenn die Gäste kamen, mit dabei zu sein, im geselligen Kreise, so als ob er ein Geladener gewesen wäre und nicht der Schlächter. Und es war auch der Stolz der Hausfrau, daß man dem Festmahl den Schweiß nicht anmerkte, den es gekostet.

Der Klugsmatz war gekommen, der Herr Oberlehrer und die Frau Rosa, der Postmeister Müller, lauter Würdenträger des Dorfes. Vom Pfarrhaus war niemand geladen, auch nicht der Kaplan, der überall gerne dabei war und keinen Spaß verdarb. »Nur kei' Janitschare nit!« hatte der Postmeister gebeten. Er mochte nun einmal keinen leiden, »der sein' Rock hot wenda lossa«.

Jeder, der kam, wünschte Glück ins Haus; denn jeder wußte, was das bedeutet, vier Schweine auf diese Höhe gebracht, das heißt »gut geschlachtet« zu haben. Es war der Ruhm der Hausfrau. Die Bas' Bärbl lehnte ihn aber ab; sie schob ihn für dieses Jahr der Susi zu. Und der Bindersmichel rühmte die Säue als wahre Wunderwerke einer guten Fütterung. »Vier Finger hoch war ihr Speck,« erzählte er, als man bei der Suppe saß. Und nicht um ein Pfund hatte er sich geirrt bei der Schätzung. Der Herr Oberlehrer wollte wissen, wie er das immer treffe bei so einer Schätzung.

»Des isch kinnerleicht kinderleicht,« sagte der Bindersmichel pfiffig und schaute die Susi an, »ich guck' mer bloß 's Weib aun, des se g'füttert hot. Vergunnt sie sich was, vergunnt sie's a' dem Schwein; wiegt sie an Zentner, wiegt die Sau zwa …«

Die runde vollbusige Susi war ganz rot geworden über das große Gelächter, das diesen Worten folgte. Sie nannte den Vetter Michel einen »B'suff« und eilte mit der Suppenschüssel hinaus.

»Hoscht recht ‚« sagte der Bindersmichel, der den ‚B'suff' überhörte, gelassen, »trag den Sauschwoas 'naus und bring ebbes zum Beiße. Wann all' die Gäschta su an Hunger häwe wie ich, dernoo bleibt euch heunt nix far die nächscht Kindstaaf über.«

Der Jörgl wehrte lachend ab. »Des hot Zeit bis mer widder schlachta,« rief er. Aber es glaubte ihm niemand …

Der Bindersmichel hatte heute etwas früh einen roten Kopf bekommen, und die Männer trauten seiner Zunge, die er so gerne in anderer Leut' Gärten spazieren gehen ließ, nicht recht. Sie wollten ein anderes Gespräch. Aber die Bas' Evl, als die Älteste, wußte was sich gehörte, und sie verlangte vom Bindersmichel jetzt das »Metzlsuppalied«.

Der Oberlehrer horchte auf. Wie, der Binder wußte ein besonderes Lied über sein Nebengewerbe? Und das hatte er ihm nicht mitgeteilt, als er Volkslieder sammelte? Der Michel kraute sich hinter dem rechten Ohr. Das hatte man schon lange nicht von ihm verlangt; das wäre ja gar nicht mehr in der Modi, meinte er.

»Modi hin, Modi her, mer wolle dei Metzlsuppalied,« entgegnete die Bas' Evl.

»Wo ist das Lied her?« fragte Heckmüller.

»Mei Großvater hot ei' alt's Blättle g'han, des hot g'haße: ‚Der Vetter aus Schwaben', und do war's drin g'schtanne. 's isch jahralong g'sunge worde bei jed'r Metzlsupp'. 's muß hunnert Jahr alt sei'.«

Jetzt kam die dampfende Fleischschüssel mit Speckkraut, und der Hausherr und der Jörgl schänkten um die Wette alle Gläser voll. Der Bindersmichel aber erhob sich und sang sein Lied. Er hielt die Hände wie segnend über die Schüssel und sprach in einem Gemisch von Hochdeutsch und Schwäbisch:

Die Sau, das Schwein,
Klingt rauh und fein:
In der Pfütze, im Morascht
Bischt du wohl ein wüschter Gascht;
Uf dem Teller, an der Gabel
Wirscht du Luscht für unsern Schnabel.

Die Sau, das Schwein,
Klingt rauh und fein:
Unrat, Abfall, deine Koscht,
Heller Trunk, wie zäher Moscht,
Schmer und Fleisch mit dickem Specke
Kimmt von Pflege, nicht vom Drecke.

Die Sau, das Schwein,
Klingt rauh und fein:
Liebscht auch Pfütze und Morascht,
Bleibscht du uns ein lieber Gascht.
Welche Luscht, wann uns die Schinken,
Braten, Würscht und Preßköpp winken.

O Sau, o Schwein,
Bleib' rauh und fein!
Lieg' du immer in dem Dreck,
Wälz' dich in der Pfütze keck!
Wenn wir deine Gaben schpeisen
Bleibt's doch Pflicht, dich hoch zu preisen.

Einmütiger Beifall und Gelächter lohnte den Sänger, der mit heiserer Stimme, aber mit feierlichem Ernst seinen Vortrag beendet hatte und erst jetzt duldete, daß ausgeteilt wurde. Sein Glas aber leerte er dreimal nach dieser Leistung; die Kehle war ihm ganz trocken geworden.

Die Frau Oberlehrer fand das Lied etwas derb, aber wunderschön. Ihr Mann meinte, es dürfte aber nicht so alt sein, wie der Vetter Michel glaube. Immerhin sollte man es nicht untergehen lassen; denn in so einem alten Lied lebe noch der schwäbische Heimatsduft aus dem Schwarzwald, den die Vorfahren einst mitgebracht haben. Das Lied ist wohl von dem schwäbischen Volksdichter I. Nefflen, der 1836 seinen »Vetter aus Schwaben« herausgab. Ins Banat könnte es durch heimatliche Soldaten gekommen sein, die bis 1866 oft in deutschen Bundesgarnisonen lagen..

Die Leute verstanden das nicht so ganz, aber das Lied hatte auch ihnen gefallen, und die Melodie war wie ein alter Tanz, wie ein Langaus. Nur Heckmüller hörte auch in diesem Liede die Glocken der alten Heimat läuten.

Ernstere Gespräche wollten nun Platz greifen. Der Richter lies durchblicken, warum er gekommen. Die große Kommission, die man dem Ingenieur Gergely im Sommer auf den Hals schicken wollte, sei für die nächsten Tage angemeldet. Mitten im Winter, in Schnee und Eis, wolle man die Dämme besichtigen. Dem Jörgl stieg die Galle. Er konnte die Gefängnishaft nicht verwinden, die ihm der Zank mit dem Ingenieur eingetragen hatte. Und er dachte dort im Komitatskerker über vieles nach in seiner Einsamkeit. Er war geladen mit Plänen und Entwürfen, die er einmal zur Sprache bringen wollte, wenn er eine Stimme hatte in der Gemeinde. Man sperrte ihn mit allen Nationalitäten zusammen in dem stinkigen, alten Gefängnis, mit Slowaken, Serben und Rumänen. Aber das mache nichts; er danke Gott für diese Strafe; sie habe ihm den Kopf hell gemacht.

Die Männer wollten wissen, was er meine.

»Mit Wallache und Ratze Serben war ich ing'sperrt, und von dene häb' ich galernt, wau's uns fehlt,« sagte er. »An deutsche Pharra müsse mer verlange, wann der Horvat 'mol geiht; an deutsche Notari, an deutsche Ablegate müsse mer uns wähle, und an deutsche Strominscheneer brauche mer z'allererscht. Und aa unsere Schule därfe m'r nit hergäwe an den Staat. Sie müssa Gemeindeschule bleiwa, sunscht sin mar nitmei die Herre im eigene Haus … Des all's muß m'r vun da Wallache lerna. Die lossa nit nooch, die häwe des alles.«

»Des isch wohr,« sagte der Klugbaltzer bedächtig, »äwer wann ich sau 'was sag', is gloi d'r Fene Die ordinärste madjarische Form für den Teufel, den Satanas. Das Wort wird auch für Aussatz und Pest gebraucht. drin. Guck halt, daß d' bald dei Wahlrecht kriegscht und in Ausschuß kimmscht.«

Der Haffnerslippl rief dazwischen: »Na, noch zwa Jahr soll er halt warta, bis mei Hannes wieder do is vum Militari. Er hot noch Zeit!«

Dem Bindersmichel waren solche Metzlsuppengespräche höchst zuwider. Aber er trank dem Jörgl doch zu. »Sollscht lewa, Jörgl! Du bischt unser Mann künftich. Raam nar uff mit de Janitschari. 's zwiderscht Vieh im Darf is a herrische Kuh, die vergessa hot, daß sie a schwabisches Kalb gwe'n is.«

Alles lachte herzlich, und man kam wieder in ein anderes Fahrwasser. Eine Speise folgte der anderen, und zuletzt brachte die Susi, glühend rot, die Schüssel mit den Kücheln Krapfen. Der Wein schmeckte immer besser, und endlich traten auch die Musikanten an.

Und jetzt kam es ans Licht, warum der Abend gar so festlich war. Morgen war Barbara; die Bas' Bärbl hatte ihren Namenstag. Ihre allmähliche Wiedergenesung wurde gefeiert, und der Oberlehrer hielt eine Rede auf sie.

Die Frau Rosa aber ging auf die stille Hausfrau zu, die ihren wiedergefundenen Fülöp in den Armen hielt, und küßte sie.


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