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X.

Ein Fremder war im Dorf erschienen, ein hochgewachsener, blonder Herr mit einem Vollbart und blauen Augen. Im hellen Sommeranzug, in gelben Schuhen und mit einem gar feinen Strohhut auf dem Kopfe kam er und trug einen festen Stock in der Rechten. Sonst nichts. Die ihn beobachteten, wie er neugierig und doch so freundlich alles im Dorf beguckte, wie er herzlich für jeden Kindergruß dankte, fragten sich, wer der fremde Herr wohl sein mochte. Er war zu Fuß von der Bahnstation oder von Josefsfeld her gekommen. »Des tut kei' hiesiger Herr,« sagte der Postmeister, der ihm nachblickte, »'s muß a ganz fremder sin.«

Aber es war kein solcher. Der Fremde stellte sich im Gemeindehaus vor als Georg Trauttmann aus Rosenthal. Er war ein banater Schwab' aus Amerika, der zu Besuch in der Heimat weilte. Ein Wasserbauingenieur, der schon manches große Werk geschaffen. Was ihn nach Karlsdorf geführt? Nur das Interesse für die hiesigen Dammanlagen, von denen er schon als Knabe gehört habe in der Dorfschule. Wenn er sich nicht irre, mußte da Ende der sechziger Jahre, als er daheim auf der Schulbank saß, ein großes Unglück geschehen sein. Man erzählte den Schulkindern davon. Und dann kamen zur Erntezeit fremde Schnitter auch nach Rosenthal, Schwaben, die um Haus und Hof gekommen waren durch ein großes Wasser. Das wären die Karlsdorfer, hieß es. Auch in seinem Vaterhaus wurde ein Ehepaar aufgenommen … Ob seine Zeitangabe stimme? fragte der Gast.

Sie stimmte, der Klugsbaltzer mußte es bestätigen. Und er faßte sogleich Vertrauen zu dem Amerikaner, den solche Kindheitserinnerungen mit seiner Gemeinde verknüpften. Womit er ihm gefällig sein könne, was er schaffe, fragte der Richter.

Nichts wollte er als die Erlaubnis, die großen, alten Dämme an der Donau und der Theiß besichtigen zu dürfen. Und vielleicht einen Führer sollte man ihm mitgeben. Er wisse, daß er sehr ungelegen komme, denn die Ernte stehe vor der Tür; aber da er schon einmal hier wäre, wolle er doch nicht unverrichteter Dinge wieder heimkehren in sein Dorf.

Wie gerne wurde diese Erlaubnis gewährt! Wie willkommen war solch ein Gast!

Der Klugsbaltzer, dessen Pferde sämtlich in der Arbeit waren, ließ sogleich den Gevatter Haffner herüberbitten ins Gemeindehaus. Er sollte einspannen.

Indessen bewies Georg Trauttmann, daß er recht genau unterrichtet war über Karlsdorf; der Klugsbaltzer konnte ihm nichts Neues erzählen über die Anlage der Kolonie. Er wußte, daß die Urgroßväter der heutigen Ansiedler, im Verein mit dem deutschbanater Grenzregiment, die altberühmten Wasserwerke gebaut haben, die zu sehen und zu studieren er gekommen war.

Der Haffnerslippl kam und war sogleich bereit. Auch ihm gefiel der Fremde ungemein. Auch seine Eltern seien im Jahre 1868 in Rosenthal im Schnitt gewesen, sagte Haffner, weil ihnen daheim die Ernte ertrunken war. Vielleicht waren sie es, die in Trauttmanns Vaterhaus Aufnahme fanden. Jedenfalls bitte er sich die Ehre aus, diesen Herrn aus Rosenthal beherbergen zu dürfen, wenn er über Nacht da bleibe.

Ein herzlicher Händedruck Trauttmanns lohnte dem Haffnerslippl diese Worte. Dann aber gab er dem Wunsche Ausdruck, auch den Herrn Stromingenieur kennen zu lernen. Der sollte nicht meinen, daß ein Unberufener hinter seinem Rücken sich da wichtig machen wolle. Der Klugsbaltzer warf einen raschen Blick nach Haffner. Und dieser lachte auf. »Des trifft sich gut,« sagte er, »daß des Herrle nit d'rhaam is, sunscht hätt' ich nit ei'g'schpannt. Ich nit.« Und man erzählte Trauttmann das Notwendigste über Gergely und sein schiefes Verhältnis zum Dorfe. Beide Männer beklagten es bitter, daß der Herr Stromingenieur auch die Zeit vor der Ernte wieder nicht genützt habe zur Ausbesserung der Schäden, die das letzte Hochwasser zurückgelassen. Willige Arbeitskräfte in Hülle und Fülle seien da, man müsse nur immer die richtige Zeit wissen. Der Herr aber wäre auf Urlaub, führe, wie man höre, ein Luderleben am Plattensee, und an den Dämmen draußen sei alles so, wie es im April gewesen. Man wäre ohnehin willens, sich zu beschweren, erzählten sie. Da konnte ihnen niemand willkommener sein als solch ein Gast.

Und die drei Männer fuhren hinaus in die Riedfelder und nach den Dämmen. In goldiger Herrlichkeit lag die Ernte vor ihnen ausgebreitet. Noch drei Tage bis Peter und Paul, und dann begann der Schnitt; denn Peter und Paul machen die Kornwurzel faul, heißt ein altes Wort, das namentlich für den Süden gilt.

Der riesige Donaudamm, auf dessen Krone man dahinfuhr, zog sich drei Meilen fort. Sein kleines Vorland bildeten Auen, die als Überschwemmungsgebiet galten und die sich auch in sein Hinterland erstreckten. Quer- und Paralleldämme durchschnitten das weite Gebiet, zwischen ihnen immer die Tafeln von zweihundert und mehr Joch Getreidefelder. Fetter, unbezahlbarer Boden. Ein Paradies von Fruchtbarkeit.

Georg Trauttmann widmete diesem Damm, seinen Sicherungen und Hinterwerken einen Tag. Und einen zweiten dem besonders wichtigen Schutzdammsystem an der Theiß, die die nördliche Grenze des Karlsdorfer Besitzes bespülte und am äußersten Spitz, wo die Hauptdämme einander begegneten, in die Donau mündete. Zwei Nächte verbrachte Trauttmann als Gast im Hause des Haffnerslippl, dessen stille Frau und ihr Schicksal, das er sich bald zusammenreimen konnte, ihn mächtig ergriffen.

Mit seinem Urteil über den Zustand der Dämme hielt er lange zurück. Aber sein Gesicht wurde immer ernster. Und er war zuletzt ganz einsilbig geworden. Nur zu sehr fand er die Klagen der Männer berechtigt über den Beamten, dem das alles anvertraut war, in dessen Händen das Schicksal von Tausenden lag. Es widerstrebte ihm, den Abwesenden noch schwärzer zu malen, als er diesen Leuten schon erschien. Aber je einsilbiger er wurde, desto dringender forderten sie sein Urteil, seinen Rat.

Um zu lernen, war er gekommen. Er glaubte, hier ein Werk in seinem Vaterland gefunden zu haben, an dem er sich laben konnte. Er fand es verrottet und verwahrlost. Und anstatt zu lernen, sollte er belehren, warnen. Verdienten diese Braven nicht, daß man ihnen die Wahrheit sagte?

Am zweiten Abend hing der Straubmichel sich die Trommel um und ging durchs Dorf. So hart war das Urteil Trauttmanns, daß der Klugsbaltzer allein nicht die Verantwortung tragen wollte für die Zukunft. Er ließ die Männer, die Zeit hatten, ins Große Wirtshaus zusammenbitten, damit sie alle das hören, was dieser ehrliche, unbestochene Freund zu sagen wußte. »A berühmter Inscheneer is do, a Schwob aus Amerika, und der will a Redd' halta über unser Darf und die Wasserg'fahr. Der Richter loßt alle Männer ei'lade!«

So rief der Straubmichel seinen Auftrag bei den Kreuzungsstellen der Dorfgassen aus. Und die blasse Frau Gergely, die mit ihrer vollen Kinderstube daheimgeblieben war, steckte auch den Kopf zum Fenster hinaus und hörte es mit Staunen. Ging das gegen ihren Mann?

Die Bauern hatten jetzt anderes zu tun als Vorträge anzuhören. Aber die wichtigeren Männer kamen doch. Der Klugsbaltzer, der Haffnerslippl und sein Sohn Jörgl, die Gerichtsbeisitzer und Geschworenen, der Postmeister und der Oberlehrer Heckmüller, der alte Wichnersepp, viele Großbauern und sogar der lustige Bindersmichel, der Schweineschlächter des Dorfes, waren gekommen. Und sie horchten gespannt auf das, was der Landsmann aus Amerika ihnen zu sagen hatte. Seine schwäbelnde Art, seine Bescheidenheit und die Ruhe und Festigkeit, mit der er sprach, gewann sie alle. Ohne jede Absicht sei er hierher gekommen, nur um seine alte Heimat näher kennen zu lernen und hier vielleicht etwas zu lernen. Sein Lebensberuf sei der Wasserbau. Er könne ihnen nicht erzählen, was er alles schon gemacht habe; sie möchten ihm aber glauben, daß er drüben in Amerika in seinem Fach gesucht und geachtet wäre. Gelernt hätte er hier bei ihnen allerdings etwas in diesen zwei Tagen – er habe erkannt, wie langmütig und gütig der Himmel sei. Denn nur dieser Langmut und dieser Güte verdanken sie es, daß sie nicht jedes zweite oder dritte Jahr ein neues 1868 erleben. Die Dämme, die er gesehen, seine ein großes Werk früherer Zeiten, aber die heutige technische Wissenschaft müsse sie verwerfen. Daß sie in 150 Jahren nur viermal zerstört wurden und sonst stets nur kleinere Schäden erlitten, müsse er als ein Wunder erklären.

Und er entwickelte nun seine Ansichten ausführlich und bedauerte immer wieder, daß sein Kollege, der Herr Stromingenieur, nicht hier sei, denn gerade ihm könnte er ja alles am deutlichsten sagen. Die Bauern machten da lebhafte Zurufe, paßten aber gleich wieder auf, daß ihnen nichts entgehe von seinen Ausführungen. Vielen blieben freilich nur einzelne Schlagworte im Ohr haften, aber auch das war schon ein Gewinn. Und die wichtigsten Männer verstanden den Redner ganz gut. Die Karlsdorfer Dämme und Deiche seien französische Erddämme, sagte Trauttmann, die man heute nicht mehr baue. Man arbeite heute in der ganzen Welt nach englischem System. Aber auch vom Standpunkt des französischen Erddammes gesehen, seien ihre Dämme mangelhaft. Das sei namentlich bei den Nachbesserungen und an Bruchstellen kenntlich. Da habe Vorsicht und Einsicht gefehlt. Die Pflasterung des Dammkopfes, der als Straße diene, sei schlampig durchgeführt und überall schadhaft. Die Niederschläge sickern von oben ein; sie erweichen den Damm stellenweise, so daß er seine Widerstandskraft verliert. Das wasserseitige Flechtwerk sei alt und verfault. Es habe früher gewiß gute Dienste geleistet, denn Flechtwerk sei elastisch und biete immerhin Schutz. Man habe aber seit Jahrzehnten ganz andere Dammsicherungen erfunden. Eines dürften sie unbedingt fordern: daß ihre beiden Hauptdämme endlich den englischen Charakter erhalten, daß sie einen Tegelkern bekommen. Ohne einen solchen undurchlässigen festen Kern werden heute nirgends mehr so wichtige Dämme gebaut.

Fort mit allen Erddämmen! müßte die Losung der Gemeinde lauten. Und wenn man ihren Ruf nicht hören sollte, wäre zu überlegen, ob die Gemeinde nicht zur Selbsthilfe greifen sollte. Denn das, was er hier gesehen habe, sei eine ständige Herausforderung an die beiden Flüsse, wieder einmal zu zeigen, was sie könnten. Die Gemeinde möchte nur gleich eine Eingabe machen und um eine strenge Überprüfung ihrer Wasserwerke durch die Fachmänner des Komitats oder des Ministeriums ersuchen. Das war das eigentliche Ergebnis dieses unverhofften Besuches im Dorfe, der noch lange nachwirkte in den Gemütern.

Und seine Ratschläge wurden ausgeführt, denn Trauttmanns Worte machten den tiefsten Eindruck. Die Eingabe an das Komitat ging ab, während Gergely Vilmos am Plattensee weilte und seinen Urlaub weit überschritt. Wer sollte ihn zur Rechenschaft ziehen, den Neffen des Vizegespans? Der Notär hütete sich, eine Anzeige gegen ihn zu erstatten.

Seine Frau aber mußte indessen manchen Weg zur Klarinéni im Pfarrhause tun, um das Geld für seinen Badeaufenthalt zu beschaffen. Gegen einen guten Schuldschein und zwölf Prozent war dort immer wieder etwas zu haben. Man lieh im Pfarrhause freilich in der Regel nur an Behauste und Ansässige, nicht an Beamte ohne Ar und Halm; aber der Herr Stromingenieur hatte neuerdings einen so guten Bürgen, daß man ihm nichts abschlagen konnte. Mit Stolz berichtete es Frau Gergely der Klarinéni – der Onkel Vizegespan habe sich herabgelassen, für den Vilmos zu bürgen. Nun, der Herr von Tallianffy war ein gar mächtiger Mann. Er konnte gelegentlich das Domkapitel daran erinnern, daß in Karlsdorf ein sehr befähigter alter Pfarrer namens Jakob Horvat sitze, der schon lange auf seine Ernennung zum Domherrn warte. Und hat man nicht Beispiele, daß auch der Bischofsstuhl einem so außerordentlichen, einem so nationalen Pfarrer erreichbar ist? Die Klarinéni war nicht dumm. Sie dachte auch weiter. Und sie lieh dem Gergely immer wieder Geld, wenn die Frau mit der Unterschrift des Onkels kam.

Aber sie ließ ihm doch sagen, er möchte endlich heimkommen, wenn er nicht das ganze Dorf gegen sich aufbringen wolle. Der Ingenieur aus Amerika habe ihn beinahe unmöglich gemacht.


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