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VIII.

Seit drei Wochen war der kleine Fülöp im Dorfe, und noch hatten wenige Leute mit ihm gesprochen, denn der Haffnerslippl schämte sich seiner. Er verbarg ihn, so gut es ging, und nahm ihn häufig mit aufs Feld hinaus; die Mutter aber brachte ihn jeden zweiten Morgen zum Oberlehrer Heckmüller und holte ihn nach Stunden wieder ab. Der alte Lehrer hatte jetzt Ferien, aber er gab sie gerne hin für die Aufgabe, die ihm da gestellt war. Und gar so schwer war sie auch nicht, wenn der Bengel nur wollte. Aber er trotzte, er höhnte und lachte. Deutsch lernte er ja, aber was darüber hinausging, was Heckmüller ihm von der Größe deutschen Wesens, von der schönen Muttersprache und von der deutschen und österreichischen Geschichte sagte, das verlachte er. »Én magyar vagyok« Ich bin ein Madjare!, war seine stete Redensart, und es gab nichts für ihn, was größer und erhabener gewesen wäre, als dieser Gedanke. Und er sang ein Lied, in dem es hieß: wenn es wahr sei, daß die Erde des Herrgotts Hut, dann sei Ungarn der Blumenstrauß auf diesem Hute. »isten, isten, isten kalapja« Gottes, Gottes, Gottes Hut, summte er, den Ton auf der zweiten Silbe, den ganzen Tag. Ein fanatischer Dünkel war diesem Kinde eingeimpft worden; der Knabe blähte sich auf in dem Bewußtsein, kein Schwabe mehr zu sein, sondern ein Madjare, und einem Volke anzugehören, dem einst die Welt untertan sein werde.

Es war aber trotz aller Heimlichkeit doch bekannt geworden im Dorfe, wie es um den kleinen Haffner stand. Dafür sorgten die anderen Studenten des Dorfes, die auf Ferien daheim waren, Mittelschüler aus Temesvar und Szegedin, Hochschüler aus Pest und Wien. Denn außer den Jungen, die irgendwo ein Gewerbe lernten, und die man ganz aus den Augen verlor, weil sie keine Ferien hatten, gab es immer eine Auslese, die höher hinaufstrebte; ein Dutzend Studenten hat jedes deutsche Dorf. Und es fiel auch auf, daß der Vater des Lippl stets nach der anderen Seite schaute, wenn er am Pfarrhause vorbeifuhr. Er grüßte den Pfarrer nicht mehr.

Daß auch in anderen Dörfern solche Sachen vorgekommen seien, erzählte man sich jetzt überall. Wie alte Zigeunermärchen über Kinderraub muteten die Geschichten an, die zum besten gegeben wurden. Von Deutschen, von Rumänen, Slowaken und Serben werden die Knaben in solche Anstalten gelockt und dort zu Madjaren gemacht. Später ändern sie alle ihre Namen, und niemand weiß mehr, wie sie früher geheißen, und woher sie kamen. Der Postmeister Müller hatte einmal in einem alten Büchel gelesen, daß die Türken es genau so gemacht haben. Sie erzogen die geraubten Christenknaben als Türken und steckten sie in die Janitscharentruppe, die immer zuerst losgelassen wurde, wenn es gegen die Christen ging. Sie waren am blutdürstigsten. Und der alte Postmeister sagte es jedem, der es hören wollte, daß das nichts anderes wäre, was man heute in Ungarn tue. Nein, es sei genau dasselbe. Fest war er neulich mit dem Lehrer Halmos im Wirtshaus zusammengeprallt über diesen Streitpunkt.

Er sei auch so ein ungarischer Janitschari, sagte ihm der Postmeister, und jetzt wollte der Lehrer ihn wegen Ehrenbeleidigung verklagen, denn das ganze Dorf nennt ihn seitdem nur noch bei diesem Spitznamen.

Indessen lernte der kleine Fülöp wieder Deutsch beim alten Heckmüller. Die Frau Rosa aber behielt die Bas' Bärbl oft bei sich, die langsam und vorsichtig wieder zu reden begonnen hatte. Sie, die Frau Oberlehrer, war wohl die einzige Person im Dorfe, die sogleich eine Ahnung davon hatte, was der armen Mutter in Szegedin begegnet sein mochte. Es erging ihr mit ihrem Jüngsten, dem Gyuri, einst ähnlich, wenn es auch nicht ganz so schlimm war. Sie hatte ihn nur für ein Schuljahr auf Tausch nach Kecskemét gegeben, damit er Ungarisch lerne, und er war ihr so furchtbar fremd geworden, als er wiederkam. Ja, sie hatte es nicht bloß geahnt, sie hatte gewußt, was der Frau Haffner begegnet sein mußte … Und diese war Frau Oberlehrer dankbar für die Teilnahme, die sie bei ihr fand; sie kam immer lieber mit ihrem Buben zu den Unterrichtsstunden. Und während sie sich an seinen Fortschritten erfreute, nahm Frau Rosa den größten Anteil daran, daß sie selbst, die Bas' Bärbl, durch diesen Verkehr wieder reden lernte und aus ihrem Trübsinn herausgeführt wurde.

Auch die vierte Ferienwoche war jetzt verstrichen, und Philipp Haffner machte keine Miene, seinen Knaben wieder nach Szegedin zu bringen. Mit keinem Wort sprach er davon, und selbst wenn er gewollt hätte, was durchaus nicht der Fall war, er würde nicht gewagt haben, das Kind neuerlich von der Mutter loszureißen, an die es sich allmählich wieder angeschlossen hatte. Sein Entschluß war langsam gereift und stand jetzt fest. Daheim sollte der Bube bleiben, in der noch immer deutschen Dorfschule sollte er die letzte Klasse machen, und dann wird man ja sehen, was weiter geschehen konnte. Vielleicht gab man ihn nach Graz, nach Wien oder Hermannstadt.

Es kam ein Brief vom Konvikt, und Philipp Haffner trug ihn nicht zum Notär; er warf ihn ins Feuer. Der Knabe selbst wurde unruhig, als es in die fünfte Woche ging, aber der Herr Oberlehrer sagte ihm, daß die Ferien um einen weiteren Monat verlängert worden seien. Er war im Einverständnis mit dem Vater und präparierte sich den Knaben so weit, daß er im Herbst dem Unterricht in seiner Klasse folgen konnte. Die Mutter aber war glücklich und lebte neu auf, weil niemand mehr von einer Trennung sprach und ihr Lippl nun doch anfing, mit ihr zu reden. Sie half ihm ja gern, so gut sie's vermochte. Aber es fehlten ihr so viele Worte. Ihr Wortschatz war der eines Kindes geworden … Seitdem der Herr Oberlehrer dem Jungen einmal erzählt hatte, warum seine Mutter so schwer krank gewesen, regte sich etwas in ihm, was früher ganz taub zu sein schien, sein Gemüt. Was ihm bei jener fürchterlichen Weihnachtsszene, als seine Mutter mit verzerrten Zügen vor ihm stand, keines Wortes mächtig, nur weinend und wimmernd, was ihm damals durchaus rätselhaft geblieben war, das ging jetzt allmählich auf in ihm wie der Same eines schmerzlichen Erlebnisses. Und ohne daß er es recht merkte, wurde er langsam Schritt für Schritt innerlich wieder gewonnen für das deutsche Vaterhaus. Aber der alte Heckmüller gab sich darüber keiner Täuschung hin, daß Jahre nötig waren, sollte der in dieser jungen Seele angerichtete Schaden wieder völlig gut gemacht werden. Und es bestand bei dem erprobten Menschenkenner und Erzieher auch darüber kein Zweifel, daß es gerade noch der letzte Termin gewesen war, einzugreifen. Wäre noch ein Jahr versäumt worden, würde es vielleicht für immer zu spät gewesen sein. Wie recht der belesene alte Postmeister doch hatte! Heckmüller beneidete ihn um dieses Wort von den ungarischen Janitscharen. Daß ihm das nicht selbst eingefallen war! Ja, sein junger Kollege, Halmos Árpád, mochte klagen so viel er wollte, er war doch solch' ein moderner Janitschar, und der kleine Haffner da war auf dem besten Wege, auch einer zu werden … Und wohin er blickte, im ganzen Lande standen sie in den vordersten Reihen, die Janitscharen. Sie saßen in allen Ämtern, lehrten in allen Volksschulen, sie waren die Träger des gesamten Hochschulwesens, sie schrieben die Zeitungen des Landes, sie repräsentierten die Wissenschaft, die Kunst, die Technik, sie waren die erfolgreichsten Dramatiker, Maler und Tondichter, sie trugen die geistliche Soutane und predigten mit falschen Zungen das Wort Gottes, sie schrien am lautesten im Abgeordnetenhause, und manchmal überließ man ihnen sogar die Zügel der Regierung. Überall schwang der Janitschar, der verlorene Sohn einer deutschen, rumänischen, slowakischen oder serbischen Mutter, den krummen Säbel für das Ungartum … Was hatte er doch da vor Wochen mit seiner Frau für ein Gespräch geführt über die verlorenen Söhne? O, wie recht hatte seine Rosa! Die uns nach außen verloren gehen, die wieder im großen deutschen Volk untertauchen, die sind geborgen. Aber die anderen, die vielen anderen … Und während Heckmüller dem seltsamen Problem nachhing, gliederte sich ihm dasselbe in drei Gruppen. Wir verlieren Zehntausende unserer Kinder, sagte er sich, an das Madjarentum durch Übertritte, durch Entnationalisierung. Wir verlieren Tausende, die ihrer Heimat nützlich sein und ihr zur Zierde gereichen könnten, an das Ausland, weil sie dem Vaterlande, das sie zur Verleugnung ihres Volkstums verleiten will, freiwillig oder gezwungen den Rücken kehren. Und wir verlieren ungezählte begabte Söhne, die künstlich in Unbildung und Niedrigkeit gehalten werden, weil man den zwei Millionen Deutschungarn auch nicht eine einzige deutsche Mittelschule gelassen hat, weil es im eigenen Volkstum keinen Weg mehr gibt zu höherer Bildung. Wie ein Moloch erschien dem friedlichen alten Seidenzüchter und Dorfschulmeister plötzlich dieser Staat, der seine anderssprachigen Söhne entweder zu Janitscharen oder zu Analphabeten macht. Wer sich über den Analphabeten erhebt, ohne ein Janitschar werden zu wollen, in dem sieht dieser Staat einen Feind, den stößt er ab.

Furchtbar war dem alten Mann diese Erkenntnis über sein Vaterland. In so scharfen Umrissen hatte er das Bild nie gesehen. Und er begriff jetzt auf einmal, warum die Kultur desselben soweit zurückstand: weil es freiwillig auf die Mitarbeit der größeren Hälfte seiner Söhne verzichtete.

* * *

Die Liszka war wieder die erste im Dorfe, die ihre Seidenernte in Neusatz abliefern konnte. In zwei schöne weiße Körbe hatte sie ihre Kokons gebettet, und der Pater Istvan war eigens gekommen, um zuzusehen, wie sie das mache. Er interessierte sich seit einiger Zeit so lebhaft für die Seidenzucht. Und wo hätte er dieses Interesse besser befriedigen können als bei der Liszka, seinem jüngsten Beichtkind? Und so saß er jetzt neben ihr und verfolgte alles, was sie tat, mit größter Aufmerksamkeit. Warum sie die vielen Zwischenlagen aus weichem Papier mache bei den Kokons, wollte er wissen. Damit nichts geschehen könne, wenn doch eine der eingepuppten Raupen vielleicht zerdrückt würde. Und woran sie erkenne, daß die Kokons reif seien für die Lieferung? Sie nahm ein Kokon in die Hand und beutelte es fest neben seinem Ohr. »Wenn's da drin scheppert,« sagte sie lächelnd, »dann ist's Zeit. Wer früher kommt, wird wieder heimgeschickt.«

»Es scheppert ‚« sagte er und fing ihre Hand ab. Fest hielt er sie in der seinen. »So zarte, weiche Hände bekommt man vom Umgang mit Seidenraupen?« sagte er und fuhr streichelnd über den Rücken ihrer Hand. »Enye, enye, wie fein, wie weiß.« Und am liebsten hätte er diese Hand wohl geküßt.

»Hochwürden – Sie habe ja allerlei frage wolle,« sagte die Liszka und entzog ihm ihre Hand. »Also tessék, fragen Sie.«

»Hm … ja … Wieviel Tage nach dem Einspinnen der Raupe soll man warten, ehe man liefert?«

»Nit länger als zwölf Täg! Wer länger wart't, muß immer fürchte, daß die Schmetterling' sich durchbeiße, und dann ist das ganze G'schpinst hin.«

»Was? Schon in zwölf Tagen?« rief er und sah sie mit seltsamen Augen an. »So schnell geht das bei den Schmetterlingen?«

Liszka begegnete seinem Blick und errötete. Sie konnte sich wohl denken, was ihn beschäftigte. Er wußte ja alles. Zum Pfarrer hatte sie sich nicht getraut, aber diesem in der Gemeinde noch fremden jungen Geistlichen hatte sie gebeichtet. Sie hatte ihm auch anvertraut, was sie zu tun gedächte, um der Schande zu entgehen. Und er billigte es, daß sie an die Ehe mit einem anderen denke, wenn der Matz durchaus nichts mehr von ihr wissen wolle. Nur sollte man ihn vorladen zum Pfarrer, den Matz. Vielleicht nütze es noch. Davon wollte sie selbst nichts wissen. Sie nahm jede Buße auf sich; nur still sollte alles abgehen, nur erfahren sollte niemand etwas. Und der schöne, junge Beichtvater, zu dem sie so großes Vertrauen hatte, legte ihr als Buße eine Wallfahrt auf nach Maria Schnee. Und an eine noch schwerere Bedingung knüpfte er seine Absolution: sie müsse dem, der sie wähle, vorher die volle Wahrheit sagen.

Sie nahm auch das auf sich.

Und sie hätte ihm heute schon manches gestehen können, aber sie wollte nicht. Sie war fromm, und was im Beichtstuhl gesprochen wurde, sollte nicht entweiht werden. Und so redete sie rasch weiter: »Ja freilich geht des schnell. Diese Engerln kriegen sehr g'schwind Flügel … Und wer gescheit ist, der tummelt sich. 's hätt' schon heut' sein können, aber es war mir zu trüb zum Liefern. Denn nur an einem sehr schönen, sonnhellen Tag soll man nach Neusatz gehen. Wenn's regnet, schauen die Kokons welk aus und klein. Aber wenn es heiß ist und schön, könnt' man sie für große wällische Nüss' halte, die vergold't worde sin. Gucke Se doch des an und des – und des. Die Franzose sage mir immer, daß sie auch in Südfrankreich kei schönere Kokons bekomme als von mir.«

So redete die Liszka sich ihre Befangenheit von der Brust, und Pater Istvan horchte ihr gerne zu. Auch er bewunderte den tiefen, weichen Goldglanz dieser schönen Seidengespinste. Aber noch mehr Gefallen fand er an Liszka selbst. Wie träumend saß er da, während sie hantierte und sich für die morgige Fahrt vorbereitete. Was ihn beschäftigte, wagte er sich kaum zu gestehen. Ja, wenn er Aussicht hätte, bald Pfarrer zu werden … Viel zu jung war er, um auch nur daran denken zu dürfen.

Man hörte Schritte im Vorhaus, und Pater Istvan schrak empor. Der Herr Oberlehrer trat ein. Er war noch einmal gekommen, die Ernte der Liszka anzusehen, ehe sie liefern ging. Daß er den Kaplan hier fand, wunderte ihn nicht mehr, denn das war ihm schon zweimal begegnet. Und der junge Geistliche schien ein ernstes Interesse für die Seidenzucht zu haben; er hatte Heckmüller von hier aus beide Male auch in andere Häuser begleitet. So grüßte der Alte in ihm vielleicht einen künftigen Apostel der Seidenzucht, einen Nachfolger in seinem Amte.

Heute hielt der Kaplan nicht stand; er dankte der Liszka für die Belehrung und wünschte ihr Glück zur Fahrt. Sie werde sicherlich die höchsten Preise erhalten, versicherte er und empfahl sich. Während der Oberlehrer alles besichtigte, begleitete Liszka ihren Gast bis auf den Gang hinaus. »Wann wallfahrten Sie nach Maria Schnee?« fragte der Pater hastig.

»Bald, Hochwürde. Vielleicht in der nächscht Woch'.«

»Das trifft sich gut. Ich muß auch hin … Ich gehe am Donnerstag …«

Er sah sie fragend, beinahe bittend an, und sie antwortete wie unter einem Zwang: »Am Donnerstag …«

Nachdenklich ging sie in die Stube zurück.

»Also morgen schon?« rief ihr der Oberlehrer entgegen, als sie wieder eintrat. »Sie haben recht, es ist alles reif. Ich muß noch ein paar Tage warten.« Und er überschüttete sie mit Lob. Er war entzückt, sie hatte wieder alle geschlagen, auch die Josefsfelder drüben, bei denen er gestern revidiert habe. Der Durchschnitt der Josefsfelder wäre besser als der der Karlsdorfer, aber eine einzelne Leistung wie die ihre gebe es auch dort nicht. »Das will ich meinen, daß du den höchsten Preis kriegst! Nicht hergeben unter fünfzig Frank! Nur fest auftreten! Wieviel Kilo hast du denn?«

Das wußte sie noch nicht genau, aber sieben oder acht würden es wohl sein. Und sie werde wohl dem Straubmichl auch einen Napoleon geben müssen, denn der habe den größten Anteil am Gelingen. Er habe ihr immer das schönste Laub von den weißen Maulbeerbäumen gebracht, nur von den weißen. Und darum wäre eben alles so schön ausgefallen.

Heckmüller sah sie pfiffig lächelnd an. »Ein' Napoleon willst ihm geben? mir scheint, dem wär' ein Bussl lieber.«

Die Liszka wurde feuerrot und lächelte ihn schalkhaft an, sagte aber nichts. Das hatte man also schon gemerkt, daß sie sich den Michel warmstellte für alle Fälle … Und war es denn nicht gescheiter, sie machte Ernst mit ihm? Der Matz war ein dummer Bub' gegen ihn, und der Hochmutsteufel ritt ihn auch. So wie er sie geritten hat, dieser Teufel; denn der Richterssohn war's ja, dem sie sich willfährig erwies und nicht der Matz Klug. Er selbst galt ihr nicht mehr als irgendeiner im Dorf. Wenn sie ehrlich war, haßte sie ihn sogar, seitdem er ihr das böse Wort gesagt von ihrer Mutter. Nach ihrer Schönheit hat er gelechzt wie ein liebestoller Hund, aber zur Bäuerin war ihm die Kleinhäuslerstochter nicht gut genug. Und wie das Malheur geschehen war, sollte die Kunst der Mutter helfen, die ja schon so vielen heimlich geholfen hatte im Dorf. Das sagte er ihr ins Gesicht. Und vielleicht war er dann, später, wieder geneigt, abends über den Zaun zu steigen, der Unverschämte. Jetzt zeigte er sich nicht mehr. Sie wartete wie oft vergebens auf ihn, um sich auszusprechen. Abend für Abend stand sie am Gartentor, zitternd, in Angst fast vergehend; aber er erschien nicht. Ein anderer kam. Sein schwerer Tritt hallte durch das Gäßl; er brachte ihr noch einen Korb Maulbeerblätter. Ganz leise und heimlich wollte er ihn vor ihre Tür stellen, den Korb, damit sie ihn am Morgen fände. Sie aber stand plötzlich vor ihm, wünschte ihm einen guten Abend, reichte ihm zum Dank die Hand und ließ sie lässig in der seinen. Sie plauderten leise, weil die Mutter schon schlief, und dem Straubmichl wurde ganz wunderlich zumute. Ihm war, als stünde da eine Pforte offen, bei der anzuklopfeu er sich nie getraut hätte. So lieb und anschmiegsam war das Teufelsmädel, die Liszka, schon seit einigen Tagen, so warm und wohlig wurde ihm in ihrer Nähe. Er mußte die Flucht ergreifen, wollte er sich nicht zu einer Dummheit verleiten lassen, die er morgen vielleicht bereute.

Die Liszka aber hielt ihn zurück. Ja, sie hielt ihn. Und sie zog ihn zu sich nieder auf die Steinstufen, die aus dem Hof zum Gang emporführten. Sie hatte einen Entschluß gefaßt, zu dem sie bei Tage nie den Mut gefunden hätte, und den wollte sie gleich ausführen. Daß dieser ehrliche, brave Biedermensch sie von Herzen gern habe, das wußte sie schon lange. Aber weder sie noch ihre Mutter hätte je an solch eine Partie gedacht … Namentlich die Mutter. Die begünstigte ja den heimlichen Verkehr mit dem Matz zu auffallend. Sie zog sich des Abends immer gleich zurück, wenn sie merkte, daß die Liszka warte, und es störte sie nie, daß das Geflüster und Geschmatze vor ihrem Fenster oft bis Mitternacht dauerte. Sie horchte wohl gar und freute sich des gefangenen Vogels. Auch heute war sie so früh gegangen. Wenn sie geahnt hätte, wer jetzt da mit ihrer Liszka wisperte, sie wäre nicht so duldsam gewesen. Nicht des Richters Sohn, sondern des Richters Diener! Aber freilich, was für ein Diener. Er besaß sein Häusl und ein kleines Anwesen, und er hatte hundert Geschäfte im Dorfe, zu denen so mancher andere zu dumm war. Der Gemeinde diente er und nicht dem Richter. Die Steuermahnungen stellte er sanft und vorsichtig zu, mit der Trommel ging er, besondere Ereignisse zu verkünden. Das war keine Schande; jedermann achtete den Michel, seine Ämter gaben ihm sogar ein Ansehen, und im übrigen war er unter den Kleinhäuslern so gut gestellt wie einer. Wenn da noch etwas dazu kam, wenn der Michel noch eine tüchtige Frau fand, konnte er alles im Dorfe werden.

Sie hatte sich entschlossen, diesem ehrlichen Menschen, diesem Kind von einem Manne, der kein unbeschaffenes Wort an sie gewagt haben würde, ihr Vertrauen zu schenken. Mochte er sie? Das wollte sie erproben. Und betrügen durfte sie ihn nicht, das hatte ihr der Kaplan verboten, und dazu war er ihr auch zu gut. Zu gut? Sie war ihrer Macht über ihn zu sicher. Es war nicht nötig ihn zu täuschen.

Und ob er sie mochte!

Aber als er alles erfahren hatte, ging er still von dannen. Seine Stimme zitterte, als er der Liszka eine gute Nacht wünschte, und seine Hand glühte, als er die ihre drückte. Worte hatte er keine; was er hätte sagen können, schien ihm alles so plump und so dumm. Er trug sein Erlebnis still mit sich fort, um es erst in sich zu verarbeiten. Und mit seiner alten Mutter, die ihm die Wirtschaft führte, wollte er doch auch drüber reden.

Aber schon in den nächsten Tage wußte die Liszka, wie es um ihn stand. Seine Bemühungen um sie verdoppelten sich, er half ihr, wo er konnte; Worte hatte er keine, doch in jedem Blicke und in jeder Gebärde lag Zärtlichkeit und Hingabe für sie.

Und das hatte der Herr Oberlehrer ganz richtig beobachtet er sah den großen Straubmichl in den Netzen der Liszka zappeln und durchschaute ihre Pläne. Billigen konnte er sie durchaus nicht, aber von ihm hatte sie nichts zu befürchten, er schwieg. Wie erstaunt war er jetzt, als das Mädel ihm fest in die Augen blickte und sagte: »Er hat mich gern. Viel lieber als der anner, der Lump … Und ich häb ehm alles g'saat, er weiß, wie's um mich steiht.«

»Das ist brav von dir, Liszka … Schau, schau … Hätt' ich dir nicht zugetraut … O, du bist gescheit!« rief Heckmüller lächelnd.

»Freilich bin ich gescheit. Lieber glei' in die Donau, als ei' Lebe voll Lug und Trug. Will er mich jetz' noch – tessék.«

»Soll ich ein bisserl nachhelfen, Liszka, hm?«

Da lächelte das Mädel. »Wird nit notwendig sein. Der Michl fahrt morge mit mir nach Neusatz, die Kokons abliefern.«

»So so … Na, ich will ihm aber doch etwas sagen … Ich weiß etwas vom Matz … Ja, ich weiß etwas,« entgegnete Heckmüller.

Liszka bezähmte ihre Neugierde, sie tat, als interessiere sie nichts mehr, was mit jenem Namen zusammenhing.

Da erschien plötzlich der Straubmichl in der Tür. Er kam, um mit Liszka noch die Stunde der morgigen Abfahrt nach Neusatz zu vereinbaren. Und das war rasch geschehen. Dann sagte er, zum Oberlehrer gewendet: »Wißt Ihr's schon, Herr Heckmüller? Des Rekuriere un' Bitte hot dem Richter nix genutzt …«

»Ja, ja, ich hab' gehört,« warf der Oberlehrer ein und deutete Liszka mit einem Blicke an, daß der dasselbe wisse, wie er selbst.

»Der Matz muß uf drei Jahr' ei'rücke, da nutzt nix … Glei' nach der Ernt' muß er fart uf Komorn,« vollendete Michl. Und ein triumphierender Blick traf Liszka, den diese vieldeutig erwiderte.

Heckmüller beobachtete die beiden und wußte, was in ihnen vorging. Sie sahen die Bahn frei … »Ja,« sprach er jetzt, »das ist unangenehm, wenn einer erst im dritten Jahr hängen bleibt und schon geglaubt hat, er wär' frei, wie der stolze Matz.«

Keines von beiden entgegnete etwas auf Heckmüllers Worte, und als er jetzt ging und der Straubmichl nur zögernd hinter ihm hertrabte, da hätte er darauf schwören mögen, daß es zur Kirweih eine Hochzeit im Dorfe geben werde. Die morgige Fahrt nach Neusatz zum Monsieur Bêrenger aus Chamaret wird sicher die Verlobung bringen. Na, das hätten sich die Seidenraupen auch nicht träumen lassen, daß sie heuer das Hochzeitskleid für die schöne Liszka spinnen würden.


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