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ACHTES CAPITEL. AUF'S MEER HINAUS.

Nachhaltig und tief in's innerste Leben eingreifend ist die Wirkung der Natur auf jedes Gemüth, welches sich ihr liebevoll zuneigt, bewundernd und verehrend gewissermaßen in geistigen Verkehr mit ihr tritt. Solches empfand ich nie lebhafter, als in jenen sonnigen Tagen, welche ich in Gemeinschaft mit Vater und Schwester in der einsam gelegenen Blockhütte verbrachte. Nur wenige Tage, und doch umfaßten sie einen so großen Reichthum heiterer, heiliger Genüsse. Das Auge wie das Herz fanden ihre Befriedigung; selbst die Wehmuth, welche in Erinnerung vergangener Zeiten sich leise regte, sie nahte nicht feindlich, sondern wie eine liebgewonnene Freundin und begleitet von tröstlichen Hoffnungen.

Nur wenige Tage, und wie gelangte in ihnen das Gefühl zum Ausdruck, eine heimatliche Stätte zu besitzen! Als hätten wir daselbst das Ende des Lebens erwarten wollen, pflegten wir die in dem kleinen Vorgarten wuchernden Herbstblumen und befreiten wir die einzelnen Obstbäume von ihrer reifen Last!

Die schönen sonnigen Tage, wie flohen sie dahin im traulichen Geplauder mit der lieblichen Schwester, in ernsten Berathungen mit dem zu neuem Leben erwachenden Vater!

Wohl warnte der schwer Geprüfte vor dem Verkehr mit der Welt, hinweisend auf die Vorzüge einer friedlichen Abgeschiedenheit und auf die Enttäuschungen, welche den mit hochfahrenden Plänen kühn in's Leben Hinausstürmenden oft erwarteten; allein er hatte ein offenes Herz für meine Gegenvorstellungen und gewiß einen klareren Blick in mein Inneres, als ich selber, indem ich alle Bilder meiner Vergangenheit mit inniger Wärme vor ihm entrollte und mit jugendlichem Enthusiasmus die unauflöslichen Bande schilderte, welche mich an den heimatlichen Boden fesselten.

Ich erzählte ihm von dem biederen Hänge-Gensdarm, meinem ersten Lehrmeister, und von der treuen Winkelliese, der ich so fest an's Herz gewachsen, wie nur je ein Kind der eigenen Mutter. Ich erzählte von dem einsamen Grabhügelchen, welches die beiden theuren Alten an meiner Statt mit Blumen schmückten, und von dem schwarzen Kreuz, welches noch immer auf den vollen Namen der tief unter ihm schlummernden Dulderin harre. Ich schilderte ein lieblich umranktes Schweizerhäuschen, den Förster Wallmuth, sein Hannchen und endlich ein blühendes Haideröschen, und eine stille, von giftigem Athem angehauchte bleiche Lilie. Ich erzählte von dem Gespensterschloß und von meinen Erfahrungen in demselben, von dem schwarzen Candidaten, welcher als verkörperter Fluch in demselben wirkte, und von den Qualen, welche ich auf sein Anstiften in der Pension und in dem Convict erduldete. Dann wieder sprach ich von der armen Sophie, welche sich einst des elenden verwaisten Knabens erbarmte, und von Fröhlich, dem ramponirten Gelehrten, welcher das erste gesunde Saatkorn in meine Brust legte, nachdem ich so lange nur als ein geeignetes Treibbeet für gleißende, schnell aufschießende und eben so schnell wieder verrottende Giftpilze betrachtet worden war. –

Die Tage flohen dahin, während wir bedachtsam die Vorbereitungen zu unserem endlichen Aufbruch trafen. Es gab ja so viel zu erwägen und zu berathen für uns, die wir über nur sehr geringe Mittel verfügten, fast zu gering im Verhältniß zu dem Unternehmen, zu welchem wir uns rüsteten. Doch treu zur Seite standen uns als Bundesgenossen freundliche Hoffnungen; wir schöpften sie aus dem goldenen Sonnenschein, der auf dem bemoosten Dache unserer Hütte ruhte, aus dem Rauschen des Windes zwischen den sich entfärbenden Blättern, aus den Thauperlen in den Blüthenkelchen, aus dem hellen melodischen Lachen der ewig heiteren Will o' the Wisp, wenn sie den ernst hämmernden Specht durch lustiges Klopfen getäuscht hatte, oder bei Sternengefunkel und nächtlichem Grillengesang den Ruf des rastlosen Whip – poor – Will nachahmte.

James Tucker, welcher uns gelegentlich besuchte und allein unsern Verkehr mit der Außenwelt aufrecht erhielt, versah uns mit solchen Neuigkeiten, von welchen er meinte, daß sie unsere Theilnahme erregen würden. So erfuhren wir durch ihn die Beraubung O'Cullens. Am nächsten Tage erschien er aber schon wieder und zwar athemlos, um seinen Bericht zu vervollständigen.

Nachdem O'Cullen sich von dem Mißlingen seines Mordplans überzeugt hatte, war er sogleich aufgebrochen. Der Boden in der Nachbarschaft der Colonie mochte ihm zu unsicher geworden sein. Auf der Landungsstätte aber traf er gerade früh genug ein, um einen abwärts steuernden Dampfer hinter der nächsten Flußbiegung verschwinden zu sehen. Da nicht alle Dampfboote daselbst ankehrten, so konnte es Abend werden, bevor eine andere Gelegenheit sich ihm zur Heimreise bot.

Wild fluchend und alle Schiffscapitäne der Welt bis in den Abgrund der Hölle verwünschend, fügte er sich in's Unvermeidliche. Die Kunde von dem Mordanfall war bereits vor ihm dorthin gelangt; man besprach ihn zu seinem Schrecken eifrig; da er selbst aber die sicherste Auskunft zu ertheilen vermochte, er sogar lebhaft den entsetzlichen Hülferuf beschrieb, welcher ihn nach der Unglücksstätte lockte, ferner den hoffnungslosen Zustand, in welchem er seinen jungen Freund in der Colonie zur Pflege zurückgelassen hatte, so wäre seinen Zuhörern eher alles Andere eingefallen, als Verdacht gegen ihn zu schöpfen.

Die Ruhe, in welche er sich allmählich hineinwiegte, sollte indessen nicht lange dauern.

Es war kurz vor Abend und O'Cullen saß, in Erwartung einer Fahrgelegenheit, rauchend auf dem hohen Ufer bei seinem Gepäck, als zwei Wanderer in seiner Nähe vor dem kleinen Schänkhause auf einer Bank Platz nahmen, um bei einem Glase Grog ein Stündchen zu rasten. Sie kamen von unten herauf und erörterten lebhaft die Einfalt eines Irländers O'Cullen, der einen Gauner zum Wächter seines Eigenthums eingesetzt habe, und die Schurkerei eben dieses Wächters, welcher die günstige Gelegenheit benutzte, die Frau des abwesenden Eigenthümers zu ermorden und mit dessen Kasse davonzugehen.

Eine Weile blieb O'Cullen sitzen, als ob die entsetzliche Nachricht ihn nicht berührt habe. Dann trat er mit sorgloser Haltung vor die beiden Fremden hin.

»O'Cullen heißt der Mann, welcher bestohlen wurde?« fragte er, während aufsteigende Wuth ihn fast erstickte.

»O'Cullen,« lautete die gleichmüthige Antwort, »und das Wunderbarste ist, daß sein eigener beinloser Freund den nichtswürdigen Streich ausführte.«

»Hm, 'nen beinlosen Menschen erkennt man auf 'ne halbe Meile,« versetzte O'Cullen mit einem drohenden Blick in's Leere, »und wenn er 'ne Kasse stahl, muß er 'nen Gehülfen gehabt haben. Verdammt, ich wette 'ne Zehndollarnote gegen 'ne Pfeife Tabak, daß des Irländers treue Ehehälfte mit dem guten Freunde ihres Mannes davonging.«

»Mag der Gauner immerhin einen Gehülfen gehabt haben,« versetzte der eine Fremde lachend, »des Bestohlenen Frau aber hat keine Hand im Spiele. Im Gegentheil, sie muß Widerstand geleistet haben, der Thäter hätte sonst schwerlich zu dem Verbrechen des Raubes auch noch das eines Mordes auf sich geladen. Es soll wenigstens keine Hoffnung sein, daß die Frau es überlebt.«

»O'Cullen wird schwerlich ein so großer Esel gewesen sein, die Kasse offen hinzustellen. Wurde sie wirklich gestohlen, kann nur seine Frau den Verrath an ihm begangen haben.«

»Nun, wer auf's Stehlen ausgeht, ist gewöhnlich im Besitz einer feinen Spürnase,« hieß es zurück.

»Das Geld ist also wirklich zum Teufel?« fragte O'Cullen.

»Man sagt, bis auf den letzten Cent.«

»Und wann geschah's?«

»Vor zwei, drei Tagen. Wer kann's genau wissen? Bevor die Nachrichten bis hier herauf gelangen, vergeht eine Zeit. Einbruch, Raub und Mord sind in New-York etwas zu Alltägliches, als daß ein einzelner Fall großes Aufsehen erregte.«

O'Cullen kehrte sich ab und schritt langsam nach dem nahen Fährhause hinüber, vor welchem mehrere Boote am Ufer lagen. Leicht einigte er sich mit dem Besitzer über den Miethspreis für eines derselben auf eine oder zwei Wochen zur Fahrt nach New-York. Dann begab er sich rüstig an's Werk, sein Gepäck zum Wasser hinunter zu schaffen.

»Wer weiß,« bemerkte er eintönig, sogar mit einem unheimlichen Lachen, zu dem Eigenthümer des Bootes, welcher ihm die Sachen verpacken half, »'s mag sechs Stunden dauern, bevor eins dieser vom Teufel besessenen Dampfschiffe es für der Mühe werth befindet, hier zu landen, und halte ich die richtige Strömung, kann ich in sechs Stunden daheim sein.«

Jener pflichtete ihm bei. O'Cullen aber, indem er sich zum letzten Male nach dem hohen Ufer hinauf begab, murmelte zähneknirschend vor sich hin:

»In sechs Stunden bin ich daheim, und dann spiele ich Dir 'nen Tanz auf, Du goldene Milly, Du süße Milly, Du holder Schatz. Nicht 'nen Fetzen unzerrissener Haut sollst Du auf Deinem Körper behalten. In Streifen will ich das Fleisch von Deinen Knochen schälen. Nur noch sechs Stunden und ich bin bei Dir, und die heilige unbefleckte Jungfrau Maria wird über Dich wachen, wird Dich erhalten, wird Dir den Athem gönnen, bis ich Dich begrüßt habe, Du süße, goldene Milly, und müßte ich jede Stunde Deines Lebens mit einer armdicken Wachskerze erkaufen.«

Der Abend war bereits hereingebrochen, als er endlich in dem mäßig beladenen Fahrzeug Platz nahm, die beiden Ruder ergriff und vom Lande abstieß. Gleich darauf befand er sich in der Strömung, und dem durch Wirbel bezeichneten Hauptcanal folgend, steuerte er schräge nach dem jenseitigen Ufer hinüber.

In sicherem und festem Tacte klapperten die Ruder zwischen den Pflöcken. Weitaus holte O'Cullen mit seinen nervigen Armen, und weit zurück warf er sich mit der ganzen Schwere seines Oberkörpers. Auf dem Strome ruhte nächtliches Dunkel. Flecken, Gehöfte und einzelne Häuser auf den Ufern und den Abhängen der Höhen waren nur erkennbar an den erleuchteten Fensterreihen. O'Cullen achtete weder der Dunkelheit noch der blinzelnden Lichter. Er ruderte, als hätte es seinem Leben gegolten. Starr waren seine Blicke auf die sich matt auszeichnenden Wirbel gerichtet. Seine Zähne knirschten auf einander, und wie um die verschwiegenen Fluthen zu Zeugen seiner gährenden Leidenschaften zu machen, entwand es sich hin und wieder heiser der breiten Brust.

»Milly, Du goldene Milly, die ich zu meinem Unglück aus dem Staube auflas, wie sollst Du Dich unter meinen zärtlichen Griffen winden. Dem Wigham verdenk' ich's nicht, denn er war von jeher ein schlauer Bursche, allein er hätt's nie gefunden, wärst Du nicht so gut gewesen, ihm das Nest mit den goldenen Eiern zu zeigen.«

Die Ruder klapperten, das Wasser gurgelte vor dem scharfen Bug des schwanken Fahrzeuges. Hinter den östlichen Höhen wurde es helle, indem der aufgehende Mond sich deren oberem Rande näherte.

»Arme Milly,« nahm er nach einer Pause sein Selbstgespräch wieder auf, wie um sich zu reizen und die letzte Spur von Menschlichkeit in seiner Brust zu ersticken, »das schlaue Spinnrad hatte Dich vielleicht etwas zu fest geschnürt, um den alten John zu täuschen und Dich als 'ne Heilige hinzustellen. Aber wir kennen das, mein holder Schatz; vierundzwanzig Stunden, nachdem der Alte heimkehrte, ist man wieder so lustig, wie 'ne Lerche im Frühling. Nur 'n klein wenig zu fest geschnürt, meine goldene Milly. Aber ich versteh's noch besser. Ich will versuchen, ob Du nicht in das leere Nest hineingezwängt werden kannst, und das Drehpiano will ich dazu spielen, so lange es 'nen Ton von sich giebt und bis Dir die falschen Taubenaugen vor Wonne aus dem Kopfe treten.«

Der Mond war hinter den östlichen Höhen emporgetaucht und sandte sein mildes Licht über den breiten Strom hin. Um die erleuchteten Fenster auf den Ufern und den Bergabhängen bildeten sich hell schimmernde, geradlinige Figuren: Wände, Mauern und Dächer. Funkensprühend zog ein majestätischer Dampfer stromaufwärts. Man hätte meinen mögen, eins der auf den Ufern zerstreut liegenden Städtchen habe sich zu einer nächtlichen Wanderung auf den Weg begeben.

»Dem Wigham, dem Schurken, gönn' ich den Vortheil noch lieber, als dem milchbärtigen Deutschen,« stöhnte O'Cullen. Unwillkürlich zog er die Ruder ein; deren Klappern störte ihn. In seiner Phantasie war das Bild eines sterbenden jungen Mannes aufgetaucht, welcher die brechenden Augen vorwurfsvoll auf ihn richtete. Hätte er nur einen dritten und vierten Schlag nach ihm geführt, um ihm den Mund auf ewig zu stopfen, anstatt daß er jetzt vielleicht zum Ankläger gegen ihn wurde!

Tief neigte er das Haupt. Die klobigen Fäuste ruhten auf seinen Knieen. Das eine zwischen den Pflöcken hervorgehobene Ruder schleppte, das Steuer ersetzend, im Wasser. Eine lange Strecke hatte er bereits zurückgelegt. Der Hauptströmung folgend, war er ganz über den Fluß hinübergerudert. Dort aber, wo die Fluthen, durch die Krümmung des Flußbettes bedingt, von dem Ufer abprallten, hatte er, wiederum die Wirbel als Wegweiser wählend, die Richtung nach der anderen Seite hinüber eingeschlagen. Längere Zeit trieb er jetzt im Schatten der Uferwaldung. Der Mond stand noch nicht hoch genug, um ihn zu erreichen. Gleichsam scheuend die hell beleuchtete Wasserfläche, legte er selbst keine Hand an; er überließ es der Strömung, ihn allmählich wieder in's Freie hinauszuführen. Geräuschlos trieb das Boot einher. O'Cullen stierte vor sich nieder. Er achtete weder auf seine Umgebung, noch auf das Brausen und Sprudeln, mit welchem die Fluthen das Felsenufer bespülten. Hohe Weidenanpflanzungen und vereinzelte Bäume ragten stellenweise in den Fluß hinein. Doch die Strömung kannte ihren Weg; ohne anzustoßen trug sie das Boot an allen Hindernissen vorbei. Nur hin und wieder streifte ein überhängender Zweig den gekrümmten Rücken des finster brütenden Irländers.

Plötzlich richtete er sich bestürzt empor, und das schleppende Ruder tiefer in die Fluthen drückend, hemmte er den Lauf des Fahrzeuges; zugleich drängte er es dichter an die Ufervegetation heran. Eine bekannte Stimme war durch die stille Atmosphäre und über den Wasserspiegel hin zu ihm gedrungen. Sie kam offenbar aus dem Dickicht, welches da, wo der Strom sich dem jenseitigen Ufer wieder zuwendete, einen durch Sumpfboden und Felsengerölle unzugänglichen Ufereinschnitt verbarg.

»Ich will verdammt sein, wenn ich das Klappern von Riemen nicht deutlich hörte,« waren die ersten Worte seines Freundes Wigham, welche O'Cullen verstand, »lehre mich Einer solch' Geräusch kennen.«

»'s wird 'n Fährmann oder 'n Fischer gewesen sein,« antwortete der Fliegende Holländer ungeduldig, »was kümmert's uns? Ich habe lange genug in diesem Höllenwinkel den Mosquitos zur Nahrung gedient. Mach' los und gebrauche Deine Arme, wozu sie Dir in den Rumpf geschraubt wurden, auf daß wir in's Freie hinauskommen; immer quer durch die Strömung hindurch; 's stille Wasser liegt auf jener Seite.«

»Nicht eher, als bis ich weiß, welche Bewandtniß es mit dem Klappern hat,« versetzte das durch den Mangel seiner Beine unbeholfenere, aber auch vorsichtigere Spinnrad; »ich liebe es nun einmal nicht, Leuten zu begegnen, welche ich nicht kenne.«

»Und ich nicht, solchen, welche ich kenne,« lachte der Fliegende Holländer, »der Hudson aber ist breit genug, um der ganzen Hölle auszuweichen, und machen wir nicht schneller, als bisher, dauert's vier Wochen, bis wir englischen Boden unter den Füßen haben.«

»Langsam und sicher,« entschied das Spinnrad gedämpft; »dieser Winkel gefällt mir überhaupt, und wär's nicht von wegen der Lebensmittel, hielt ich's gern vier Wochen aus.«

Obwohl er die letzten Worte gedämpfter sprach, verstand O'Cullen jedes einzelne derselben, als hätte er sich seinem alten Freunde gerade gegenüber befunden. Bis auf ungefähr dreißig Schritte war er herangetrieben; dann aber hatte er einen Zweig ergriffen und, sich an demselben haltend, sein Boot zum Stehen gebracht. Der geschmeidige Weidenzweig knisterte wohl; allein das Geräusch verschmolz so sehr mit dem Brausen des vor dem Ufer und zwischen Felsblöcken abprallenden Wogendranges, daß es von den beiden Raubgenossen gänzlich überhört wurde. O'Cullen aber, von thierischer Wuth und einem unersättlichen Rachedurst erfüllt, gewann Zeit, sich zu sammeln und den richtigen Augenblick zum Handeln zu erspähen. Denn er begriff, daß er auf Erfolg nur dann rechnen durfte, wenn das feindliche Boot sein Versteck verlassen hatte und Zweige und Weidenschößlinge ihn nicht in seinen Bewegungen hinderten. Wie ein zum Sprunge niederkauernder Tieger saß er auf seiner Ruderbank, den Hals lang ausgereckt und das Stierhaupt nach vorn geneigt. Mit der linken Faust hielt er den Zweig, mit der rechten die wieder zwischen den Pflöcken ruhenden, jedoch aus dem Wasser gehobenen Riemen; es bedurfte nur seines Willens, und das Boot schwang den Bug herum, um gleich darauf im freien Wasser seinen Ruderschlägen zu gehorchen.

So verrannen mehrere Minuten. Mit einem Gefühl wilden Triumphes, welches er am liebsten in einem gellenden Geheul geäußert hätte, vernahm O'Cullen, wie man sich gegenseitig zutrank und sogar spöttisch seiner gedachte; in lautes Hohnlachen aber hätte er ausbrechen mögen, als man gleich darauf wieder die wunderlichsten Pläne für die Zukunft entwarf und über die Art der sicheren Anlage seines mühsam erworbenen Geldes berieth.

»Wenn nur die kanadische Grenze hinter uns läge,« meinte Wigham endlich zweifelnd, »besäße ich meine Kielhölzer noch, früge ich den Teufel danach.«

»Darum ist's am gerathensten, wir verlassen dieses Mosquito-Paradies so schnell als möglich,« fiel der Fliegende Holländer unwirsch ein.

»Wo ist die nächste Station?« fragte das Spinnrad.

»Sechs englische Meilen stromaufwärts; ein Bach ergießt sich daselbst in den Strom und bildet an seiner Mündung 'nen feinen Sumpf,« antwortete seine Genossin.

»Vorwärts denn,« commandirte Wigham.

»Alles klar?« fragte das Weib.

»Klipp und klar,« hieß es zurück.

Im Weidendickicht rauschte es, indem die beiden Raubgenossen, die sie umringenden Zweige als Halt benutzend, ihr Fahrzeug auf den freien Wasserspiegel hinausschoben, um die Ruder einzulegen.

Diese Arbeit nahm ihre Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß sie nicht bemerkten, wie aus dem Schatten der überhängenden Bäume ein schwarzer Gegenstand hervorglitt. Erst als O'Cullens Boot sich mit einem heftigen Stoß seitlängs des ihrigen legte, wurden sie inne, daß sie sich nicht allein befanden.

Wigham, welcher den Untergang der Welt weit eher für möglich gehalten hätte, als gerade hier mit dem bewährten Jugendfreunde zusammenzutreffen, begrüßte die vermeintliche Ungeschicklichkeit eines Fremden mit einem grimmigen Fluch. Die sich an diesen anschließende Drohung hatte seine Lippen aber noch nicht verlassen, als er O'Cullens Faust an seiner Kehle fühlte.

»Das nennt man 'ne Ueberraschung!« zischte es ihm in die Ohren und zugleich traf ein furchtbarer, offenbar für seinen Kopf bestimmter Schlag seine Schulter.

»Ist's so gemeint?« röchelte Wigham unter dem eisernen Griff der gewaltigen Kärrnerfaust, und eine Schlange hätte ihre Beute nicht schneller in tödtlichen Windungen umschlungen, als er mit beiden Armen O'Cullen umklammerte und dadurch ihn an einer Wiederholung des Schlages hinderte.

»Gieb ihm die Hölle!« rief er darauf seiner Genossin zu, »schlag' ihm mit dem Ruder den Schädel ein und hüte Dich, mich zu treffen!«

Doch der Fliegende Holländer wählte einen nach seiner Ansicht gefahrloseren Weg. Das in seinen Händen befindliche Ruder stützte er in O'Cullens Boot, und sich mit vollster Kraft gegen dasselbe lehnend, trennte er die beiden Fahrzeuge von einander.

»Ein kaltes Bad will ich ihm besorgen!« rief er aus, als O'Cullens Boot, indem die beiden Freunde nicht von einander lassen wollten, dem auf es ausgeübten Druck nachgebend, sich auf die Seite neigte und in seiner ganzen Länge Wasser schöpfte, »das wird seinen Muth kühlen,« höhnte er, während es mit einem eigenthümlichen, tief aufschluchzenden Brausen in der Tiefe verschwand; dann aber wurde er inne, daß er auch für sich selber ein unabweisbares Unheil heraufbeschworen hatte.

»Halt Dich nur 'ne Minute!« gellte das Weib entsetzt, als nunmehr auch das eigene Boot sich unter dem doppelten Gewicht der beiden Kämpfenden auf die Seite neigte.

»Ein Messer, ein Messer!« röchelte das Spinnrad auf dem Gipfel seiner Todesangst.

Der Fliegende Holländer stürzte mit dem Verlangten herbei, indem er aber das Gleichgewicht zu bewahren suchte, drückte er den Rand des bereits Wasser schöpfenden Fahrzeugs noch tiefer hinab, und in demselben Augenblick, in welchem er zur Befreiung des Genossen die Waffe benutzen wollte, folgte dieser, da ihm mit den Beinen die Mittel fehlten, sich zu halten, kopfüber dem innig mit ihm vereinigten Freunde in die Fluthen nach. Zugleich schlug durch die hastige Erschütterung das Boot um, auf diese Art sich seines Inhaltes entleerend und, anstatt ebenfalls unterzusinken, mit dem Kiel nach oben langsam mit der Strömung der Mitte des Flusses zutreibend. An seinem Bug aber angeklammert hing der Fliegende Holländer; es war ihm gelungen, sich vor einem jähen Tode zu bewahren, allein vergeblich bemühte er sich, seinen Körper ganz nach dem Fahrzeuge hinauf zu arbeiten; zu schwer war die Last, welche ihn niederwärts zog. –

Gräßlich hallten die Hülferufe der mit dem Tode Ringenden über den mondbeleuchteten breiten Wasserspiegel, gräßlich widerhallten sie an den Ufern und zwischen den felsigen Höhen. Hier und dort trennten sich Fahrzeuge von ihren Landungsstätten und kräftige Arme rührten sich, Rettung zu bringen. Ein Dampfboot, dasselbe, welches O'Cullen vergeblich erwartet hatte, kam Allen zuvor. Nicht ohne Mühe befreite man den Fliegenden Holländer aus seiner entsetzlichen Lage. Seine Hände hatten sich im Starrkrampf um die am Bug des Bootes auslaufende Kielplanke geschlossen; im Starrkrampf hielt des beinlosen Spinnrades Faust der Genossin Fußgelenk, während es mit dem anderen Arme noch immer den an seiner Kette hängenden Jugendfreund fest an sich drückte. Auf einem Kehrichthaufen hatten die beiden Genossen eine Freundschaft geschlossen, welche in den Wogen des Hudson ein klägliches Ende finden sollte. Selbst im Tode konnten sie nur mit Gewalt von einander getrennt werden. Von dem würdigen Kleeblatt war allein der Fliegende Holländer übrig geblieben, um über das grausige Ereigniß zu berichten und hinter festen Mauern und eiserner Vergitterung über die Wechselfälle des Lebens ernst nachzudenken.

 

Als ich einige Wochen später mit Vater und Schwester in New-York eintraf, gehörten alle die Firma O'Cullen betreffenden Gerüchte bereits zu den vergessenen Dingen. Die Firma selbst bestand freilich noch, indem ihres Gatten Hinterlassenschaft der armen Milly von Rechtswegen zugesprochen wurde und sie die Geschäfte, wenn auch nicht in so weitem Umfange dagegen in gewählteren Grenzen, weiter führte. Obwohl selbst hinlänglich mit dem Geschäftsgange vertraut, sah sie sich doch gezwungen, anderweitige Hülfe in Anspruch zu nehmen. Ihre Wahl fiel auf Bechler, der ihren Wünschen sogar entgegenkam und zum erstenmal in seinem Leben sich recht beweglich und anstellig zeigte. Bei unserem Wiedersehen, welches der professionirte Philanthrop enthusiastisch als eins der schönsten Ereignisse seines Lebens pries, kannte ich ihn kaum wieder, so auffallend hatte er sich in dem kurzen Zeitraum weniger Wochen verändert. Nicht nur daß er aus dem Magazin der von ihm vertretenen Firma gegen gewissenhafte Erlegung eines soliden Preises einen wohlkleidenden Anzug entnommen hatte, sondern der ganze Mensch war ein anderer geworden. So war zunächst die ewig kohlende Cigarre aus seinem Gesicht verschwunden, in Folge dessen dieses sich in seine natürlichen Formen zurückgewöhnte, und wenn er wirklich in den wenigen ihm gegönnten Mußestunden seine Zuflucht zu einer Cigarre nahm, so hielt er sie mit den Vorderzähnen, zwar etwas ungeschickt, jedoch mit unverkennbar gutem Willen. Nicht wenig trug zu seinem respectabelen Aeußeren bei, daß er, mit Ausnahme der Augenbrauen, alle Borstenbüschel aus seinem Gesicht entfernt hatte, ferner die unteren Ränder seiner Beinkleider, anstatt in ewigem Kampfe mit den Zugschleifen der Stiefelschäfte zu liegen, sich höchst sittsam in dem blank gewichsten Leder der Füßlinge spiegelten. Kurz, es durfte zuversichtlich behauptet werden, daß seine äußere Erscheinung am wenigsten dazu diente, Kunden aus dem Laden zu verscheuchen. Die arme Milly war durch das schreckliche Ende ihres Peinigers tief erschüttert worden. Ein Fall, welcher ihren Wittwenstand zur Folge haben könnte, hatte zu weit außerhalb ihrer Berechnung gelegen. Zu vertraut war sie im Laufe der Zeit mit dem Gedanken geworden, über kurz oder lang unter O'Cullens Händen ihren Geist auszuhauchen. Selbstverständlich kleidete sie sich in die Farbe der Trauer; eine gewisse Schwermuth verließ sie zwar nie ganz, allein sie war zu offen, zu redlich, als daß sie prahlerisch Gefühle hätte zur Schau tragen können, welche ihr fremd waren. Wie ein im Käfig halb verschmachteter Vogel nach wiedergewonnener Freiheit der vergessenen Lieder sich erinnert, so kehrte auch auf ihr abgehärmtes Antlitz die Farbe der Gesundheit zurück und in neuem Glanze strahlten ihre schüchternen freundlichen Augen.

Sie konnte dem Geschick nicht genug danken, daß es ihr in den schwersten Stunden ihres Lebens und in ihrer gänzlichen Verlassenheit in Bechler einen so treuen, zuverlässigen, theilnehmenden und uneigennützigen Freund und Beschützer zuführte. –

Die Mittel, welche uns nach Verwerthung von meines Vaters ganzer Habe, mit Ausnahme des von dem Rahmen getrennten und sorgfältig zusammengerollten Familienbildes, zu Gebote standen, waren zu gering, als daß wir in New-York anders, als mit den bescheidensten Ansprüchen hätten auftreten dürfen. Vor uns lag eine lange Reise, welche voraussichtlich den größten Theil der langjährigen Ersparnisse meines Vaters verschlang. Meine eigene Forderung an die Firma O'Cullen war kaum in Anschlag zu bringen, zumal meine Schwester einer neuen Ausstattung bedurfte, wollte sie nicht als dieselbe Will o' the Wisp, als welche sie so lange Alt und Jung in ihrer Nachbarschaft erfreute und ergötzte, auch in andere Kreise eingeführt werden. Wir bezogen daher Bechlers abgelegten Eisenbahnwagen, wogegen er selbst, zum Schutze des Hauses, sein Unterkommen in dem Laden der Firma O'Cullen suchte; die Tage aber, welche wir in der beschränkten Häuslichkeit verlebten, gehören gewiß nicht zu den am wenigsten angenehmen meines Wanderlebens. Wie Will o' the Wisp es verstanden hatte, die bemooste Blockhütte und deren Umgebung in ein reines Paradies zu verwandeln, so bewies sie auch hier im sinnigen Walten einen von unverwelklicher Heiterkeit getragenen, fast ans Märchenhafte grenzenden Geschmack. Im Umsehen war der alte Kasten gesäubert und von seinem ehrwürdigen Staube befreit, im Umsehen durch den noch ziemlich wohlerhaltenen Vorhang in zwei Hälften getheilt. Anstatt aber den Haifisch und die vier Indianerschädel zu verwerfen, gab sie Letzteren Ehrenplätze auf einer oberhalb des Einganges befestigten Console, wogegen der Haifisch, als eine Art Schild außerhalb aufgehangen wurde und eine gestopfte Pfeife, wie sie beim Aufräumen dutzendweise zum Vorschein kamen, zwischen seine Zähne erhielt. Es war eine Art Zigeunerleben, welches wir führten, und oft des Abends, wenn wir um den glühenden Kochofen sahen und dem behaglichen Singen des Theekessels lauschten, mußte ich einstimmen in Will o' the Wisp's lustige Wünsche, daß unserm Hause die abhanden gekommenen Räder möchten zurückerstattet, wir selbst aber von unsichtbaren Kräften durch die ganze Welt spazieren gefahren werden.

Von dieser wunderlichen Häuslichkeit aus trafen wir also unsere Vorbereitungen zu der großen Seereise. Nebenbei durchstreifte ich bald allein, bald in meines Vaters und Martha's Gesellschaft die Stadt, ihnen zeigend die Kirche und den Wohnsitz der Jesuitenväter und das Irrenhaus, in welchem ich ohne Tenuga's Hülfe vielleicht noch heute vergeblich gegen die finstern Dämonen des Wahnsinns kämpfte. Gern hätte ich dem armen Glasfuß einen Besuch abgestattet, allein eine unbesiegbare Scheu hielt mich ab, die Schwelle des unheimlichen Hauses zu überschreiten. Von den Jesuitenvätern sah ich keinen wieder. Wie ich, so wußten auch sie, daß durch die Vereinigung mit Vater und Schwester ich ihrer Gewalt entrückt war, in Europa aber nach unserem Eintreffen alle Gründe schwanden, welche einst zur völligen Umgarnung der nächsten Angehörigen meiner verstorbenen Mutter führten. Weder der Name noch die Beweise unserer Geburt konnten mir und der jungen Martha geraubt werden; ebenso waren die letzten Hoffnungen zerschellt, dereinst in meiner Person, einem wohlgeschulten Jesuiten, den letzten Repräsentanten einer aussterbenden Familie aufzustellen und demnächst meine Ansprüche an eine ungewöhnlich reiche Hinterlassenschaft zu Gunsten des Ordens geltend zu machen. Was mir bisher dunkel und räthselhaft geblieben, die Unterredungen mit meinem Vater klärten mich über Alles auf. Wenn aber ein friedlich stilles Loos unter einem bescheidenen Dache meinen Vater anlockte, die innigsten Wünsche für die Wohlfahrt seiner Kinder ihn nur mit heimlichem Bangen über die Grenzen eines anspruchslosen Wirkungskreises hinausdenken ließen, so befestigten weitere Rückblicke wieder seinen Entschluß, kein Opfer zu scheuen, an dem Andenken einer früh entschlafenen Dulderin Das zu sühnen, was in ihrem Leben vermessener Weise an ihr gesündigt und verbrochen wurde.

Die Wahl einer Reisegelegenheit führte mich mehrfach nach dem Werft des Hafens hinunter. Ich blieb dann wohl länger, als meine Zwecke es streng erheischten, mich ergötzend an dem regen Treiben eines nie rastenden Weltverkehrs. Vorzugsweise erweckten eintreffende Emigranten meine Theilnahme. Bei ihrem Anblick vergegenwärtigte ich mir jenen Tag, an welchem auch ich zum erstenmal schüchtern den amerikanischen Boden betrat. Bei einer solchen Gelegenheit war es, als ich plötzlich einen festen Handschlag auf der Schulter fühlte und fast ebenso schnell kräftige Arme mich umschlangen.

»Mein Freund – Indigo – mein treuer, verehrter und schmachvoll verkannter Freund!« tönte es mir so überschwänglich in die Ohren, daß ich entsetzt mich aus der unvorhergesehen Umarmung befreite und einen Schritt zurückprallte.

»Classische Idee! Solch' unverhofftes Wiedersehen!« schallte es mir von Neuem zudringlich entgegen, »aber sollte mein Freund Indigo mich vergessen haben? Mich, seinen heimlichen Verehrer Splint? Mich, der ich in dem Schandhause des filzigen Antiquars im Stillen stets zu seinen Gunsten wirkte? Indigo! Freund! Bruder! Es kann nicht sein, auf Ehre, der glücklichste Tag meines Lebens, er kann nicht durch eine Täuschung verbittert werden!«

Und es war in der That Carus Splint, der vor mir stand, derselbe Carus Splint, welcher mich einst am liebsten zertreten hätte, derselbe Carus Splint, welcher noch heute auf seiner Stirne die Narbe trug, die er meiner Hand verdankte. Das Erstaunen aber, mehr noch die tiefe Entrüstung über die in seinem zärtlichen Gruß sich offenbarenden niedrigen Gesinnungen wirkten in einer Weise auf mich ein, daß ich ihn sprachlos anstarrte und für meine Empfindungen keine Worte zu finden wußte.

»Wie kommen Sie hierher?« fragte ich endlich mit einer zurückweisenden Kälte, welche jeden Andern an seiner Stelle hätte ernüchtern müssen.

Doch Herr Carus Splint war eine zähe Natur; anstatt sich beleidigt zu fühlen, suchte er sich mir wieder zu nähern, und da er vergeblich nach meiner Hand griff, erzählte er im sorglosesten Tone:

»Wie ich hierher gekommen? Classische Frage! Per Schiff natürlich, um auf dem amerikanischen Continent mir ein dauerndes Glück zu begründen. Drüben in der christlich-frommen Familie war's nicht mehr zu ertragen; auf Schritt und Tritt verfolgte man mich, um meine goldene Freiheit für einen Stall voll abgelesener Bücher an eine liebesieche, altersschwache Tochter des Hauses zu verkaufen. Sie kennen die Person – empörend, auf Ehre, und meinem Schöpfer danke ich, diesem Harpyen-Nest glücklich entronnen zu sein.«

»Und Sophie?« fragte ich gleichsam unwillkürlich, denn meine Theilnahme für die unglückliche Freundin, und der Wunsch, von ihr zu hören, überwogen den Widerwillen, welchen die sommersprossige Vogelscheuche mir einflößte.

»Pah, Die?« tönte es mit einem Ausdruck zurück, daß ich, wie vor Zeiten, den nächsten in meinem Bereich befindlichen Gegenstand dem Schurken hätte an den Kopf werfen mögen. »Selbst der Prinzessin Aschenputtel wurde es in der christlich-frommen Familie zu heiß – classische Idee, auf Ehre – eines guten Tages war sie verschwunden, und man hörte nie wieder von ihr. Wird sich das Leben genommen haben; jedenfalls das Beste für einen unansehnlichen Krüppel.

»Der Pedell, des filzigen Sachs Busenfreund, hat sich ebenfalls aufgehangen; soll famose Betrügereien ausgeführt haben, namentlich im Weinkeller der ehrwürdigen Herren. Doch das sind Nebensachen, theurer Freund,« und abermals griff er vergeblich nach meiner Hand, »Europa ist mir zum Ekel geworden, und für Amerika bin ich wie geschaffen.

»Nebenbei bemerkt, ich komme nicht ohne Geldmittel; denke ein Geschäft in New-York zu eröffnen, und da wären Ihre Erfahrungen mir sehr willkommen. Was meinen Sie zu der Firma: Carus Splint und Indigo? Classisch, auf Ehre! Vorläufig quartiere ich mich bei Ihnen ein, und brauche ich daher nicht lange nach einem Hotel zu suchen. Ich mag sogar lieber mein Gepäck gleich mitnehmen – bitte, theurer Freund, warten Sie auf dieser Stelle eine Minute – nur mein Gepäck – das Weitere besprechen wir bei einem Glase Wein« – und davon stürzte die krötenhafte Erscheinung, mich in ernsten Zweifeln zurücklassend, was ich mehr bewundern sollte: Seine niedrige Denkungsart, oder die freche Zuversicht, mit welcher der Elende mich als einen Gesinnungsgenossen betrachtete.

Wenn er wirklich mit seinem Gepäck auf die bezeichnete Stelle zurückkehrte, so fand er mich nicht mehr; denn er hatte kaum den Rücken gewendet, als ich, von Abscheu erfüllt, davoneilte. Was auch immer er mir anvertraut haben mochte, selbst die Bemerkungen, welche den Schluß gestatteten, daß er seinen Brodherrn, anstatt von einer überheirathsfähigen Tochter, von allen ihm nur erreichbaren Geldmitteln erlöste, ließen mich kalt. Ich empfand weder Theilnahme noch Schadenfreude. Nur seine Mittheilungen über die arme Sophie hatten mich tief erschüttert. Das Schlimmste zu glauben, wagte ich nicht; meine ganze Seele sträubte sich dagegen. Wie ich die Aermste kannte, durfte eine solche That ihr nicht zugetraut werden. Und dennoch, wenn ich die häuslichen Verhältnisse des verrätherischen Antiquars mir in's Gedächtniß zurückrief, erschien es mir wohl begreiflich, daß man den Tod einem längeren Verweilen in derselben vorgezogen haben könne.

Gern hätte ich Näheres über Sophiens Flucht aus dem elterlichen Hause erfahren, um daraus auf die sie leitenden Absichten zu schließen, allein um keinen Preis hätte ich denjenigen wieder aufsuchen mögen, welcher mir als der Inbegriff alles Gemeinen und Verächtlichen erschien. Selbst bei einem neuen zufälligen Zusammentreffen hätte ich den Muth nicht besessen, eine auf die arme Sophie bezügliche Frage an ihn zu richten. Meine Abscheu ging so weit, daß ich während meiner Anwesenheit in New-York in den Straßen beständig argwöhnisch um mich spähte. In jedem Augenblick befürchtete ich, einen vertraulichen Schlag auf die Schulter zu erhalten und demnächst in den Armen des Herrn Carus Splint wieder zu mir selbst zu kommen. –

Ein frischer Wintermorgen war es, an welchem wir uns an Bord eines nach Europa bestimmten Seglers begaben. Streng gebotene Sparsamkeit hatte uns gehindert, eine schnellere Reisegelegenheit zu suchen. Die Feier des Sonntages gestattete es Milly und Bechler, uns das Geleite bis zum Werft hinunter zu geben. Auch James Tucker hatte sich uns angeschlossen. Nur durch dringende Vorstellungen war es meinem Vater gelungen, Letzteren von dem Entschlusse abzubringen, als Schiffsjunge Heuer zu nehmen und uns über den Ocean hinüber zu begleiten. Der Gedanke, die von ihm so aufrichtig verehrte Will o' the Wisp auf Nimmerwiederkehr scheiden zu sehen, war ihm unerträglich. Als wir uns nach ihm umschauten, um ihm ein letztes Lebewohl zu sagen, war er verschwunden. Erst nachdem wir uns in dem uns an Bord führenden Boote eine Strecke vom Werft entfernt hatten, entdeckte ich ihn wieder. Er saß auf der untersten Stufe einer Landungstreppe, die Arme auf die Kniee und das Haupt auf die Hände gestützt. Wir winkten mit Tüchern, er achtete nicht darauf, schien ausdruckslos in's Leere zu starren. Verstohlen beobachtete ich meine Schwester. Thränen perlten in ihren Augen und rannen über die von Kälte gerötheten Wangen. Es lag etwas Wehmüthiges in der Art, in welcher die beiden Gespielen von einander schieden.

Freier, sogar heiter war der Abschied von dem Allerwelts-Philanthropen. Milly hatte sich von dem Werft aus wieder nach Hause begeben; Bechler dagegen ließ es sich nicht nehmen, uns bis in die kleine Cajüte hinein zu begleiten. Er war so aufgeräumt, wie ich ihn noch nie gesehen hatte, und die neuen, hellgelben Glaceehandschuhe strich er mit demselben stolzen Behagen auf seinen Fingern glatt, mit welchem ein Urwilder an den zum ersten Mal in seinem Leben angelegten Vatermördern zupft. Kurz bevor er uns verließ, zog er mich in eine Ecke, und dann vertraute er mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, daß ihm blitzwenig daran gelegen sei, wieviele Knopflöcher bei der Nachricht von seinem Tode sich mit Florschleifen schmückten; daß er aber die begründetste Ursache habe, die Hoffnung hegen zu dürfen, daß nach seinem Hinscheiden das schwärzeste Kleid noch nicht schwarz genug für eine gewisse Milly sei. Gesprochen hatte er zwar noch nicht mit ihr, indem der äußere Anstand sein Recht verlangte, aber von der Sympathie der Seelen erzählte er mit einer Geläufigkeit, daß man ihn hätte für einen Ober-Tertianer halten können. Schließlich meinte er, daß er jetzt erst in sein richtiges Fahrwasser gekommen sei und kein Jahr mehr darüber hingehe, bis er eines Tages, zur Verherrlichung einer bestimmten Festlichkeit, Feuer an den abgedankten Eisenbahnwagen lege und in den lodernden Flammen den vier Häuptlingsschädeln ein ihrer würdiges Grab bereite.

Als er auf der zu dem Boot niederführenden Falltreppe stand, rief er meine Schwester noch einmal zu sich. Einen dicken, versiegelten Brief überreichte er ihr mit der ernsten Bedingung, bis Hundert zu zählen, bevor sie ihn mir einhändigte. Dann tauchte er in's Boot hinab, und nie beobachtete ich in seinem ehrlichen Antlitz einen sprechenderen Ausdruck von Schadenfreude, als in jener Minute, in welcher schnelle Ruderschläge den Zwischenraum zwischen ihm und dem Schiffe vergrößerten.

Will o' the Wisp zählte gewissenhaft bis hundert, bevor sie ihren Auftrag erfüllte. Der Brief war an mich adressirt, und als ich ihn öffnete, fiel mir ein Wechsel auf Bremen über zweitausendfünfhundert Thaler, zahlbar nach Sicht, entgegen. Den vierten Theil des Restes seines einstmals nicht unbedeutenden Vermögens hatte der alte Philanthrop mir zur Verfügung gestellt.

›Freiwilliges Darlehn auf unbestimmte Zeit und für den Nothfall‹, lautete die den Wechsel begleitende Erklärung.

Wie kurz zuvor meine Schwester beim Anblick des zerknirscht auf der Treppe kauernden Tucker, so drangen jetzt mir unaufhaltsam Thränen in die Augen, indem ich dem in der Ferne zwischen ankernden Schiffen verschwindenden Freunde nachschaute.

Von dem großmüthigen Anerbieten machte ich nie Gebrauch. Das Bewußtsein aber, für alle Fälle gerüstet zu sein, trug nicht wenig dazu bei, mein Selbstvertrauen zu erhöhen, so daß ich ruhiger der mir noch bevorstehenden Kämpfe gedachte.


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