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Mehrere Tage hatten wir damit verbracht, daß wir in der Frühe unsere Rücken mit Hausirballen beschwerten, handelnd von Farm zu Farm, von Haus zu Haus streiften und regelmäßig mit Sonnenuntergang wieder in unser Hauptquartier zurückkehrten. Ich selbst vertrat nur die Stelle eines Lastträgers, allein so viel Erfahrung hatte ich bereits gesammelt, daß ich klar durchschaute, wie O'Cullen mit seltenem Scharfsinn die geringfügigsten Umstände, ein einziges unbedachtsam ausgesprochenes Wort zu seinen Gunsten auszunutzen verstand und seine alten Kunden durchgängig auf die unverantwortlichste Weise übervortheilte und hinterging. Mit diesen gelegentlichen Ausflügen verband er überhaupt nur den Zweck, die in seinem Laden zurückgesetzten, meist schadhaften Waaren zu einem erhöhten Preise zu verwerthen. Seine Bundesgenossen waren bei solchem Verfahren die augenblicklichen Bedürfnisse der Leute und die Entfernung der Quellen, aus welchen man das von ihm so bequem Gebotene hätte beziehen können. Vergeblich hoffte ich indessen, daß eine dieser Wanderungen uns auch vor Will o' the Wisp's Thür oder gar in die Werkstatt des Urhebers des Monogramms führen würde. Von der lieblichen Waldelfe entdeckte ich ebenso wenig eine Spur, wie von dem geheimnißvollen Künstler. Nur einmal meinte ich in der Dämmerung Will o' the Wisp's anmuthige Gestalt um das Farmhaus herumschlüpfen zu sehen; als ich ihr aber nacheilte, trat mir O'Cullen entgegen, unter Anrufung aller Heiligen und der unbefleckten Jungfrau auf meine Frage betheuernd, weder ein junges Mädchen, noch sonst irgend ein lebendiges Wesen bemerkt zu haben.
Auf des Irländers Betheuerungen legte ich keinen Werth; dagegen benutzte ich die erste Gelegenheit, mich von ihm zu trennen und die Einsamkeit des Schuppens aufzusuchen.
Zwei Stunden und länger mochte ich zwischen meinen Decken zugebracht haben, lauschend dem allmählich verstummenden Geräusch in dem Wohnhause und dem geheimnißvollen Treiben der kleineren Thierwelt im nahen Hain; zwei Stunden und Mitternacht war vorüber, als plötzlich O'Cullen zu mir in den Schuppen schlich. Wie er aus dem Hause in's Freie gelangte, hatte ich nicht bemerkt, noch weniger war das Geräusch des Oeffnens und Schließens einer Thüre zu mir gedrungen.
Seine Absicht, unbeachtet zu bleiben, war unzweifelhaft; um so mehr überraschte es mich daher, als er mich anrief, jedoch in gedämpftem Tone, wie um die Festigkeit meines Schlafes zu prüfen.
Beständig auf der Hut vor seinen versteckten Absichten, antwortete ich nicht.
Er rief mich zum zweiten und dritten Male mit demselben Erfolge.
»Schlafe Du und der lebendige Teufel,« knurrte er schadenfroh, »wär's überhaupt nicht sicher hier, möchte ich Dir nicht 'ne Pfeife Tabak zum Bewachen anvertrauen.«
Ein Weilchen störte er im Hintergrunde zwischen den bereits sehr zusammengeschmolzenen Waaren; dann unterschied ich, wie er eine Last emporhob, und gleich darauf schritt er an mir vorbei in's Freie hinaus. Auf der rechten Schulter trug er einen länglichen Ballen, in der linken Hand an einem Riemen das fest verschlossene Kistchen, welches er vom landenden Dampfboot aus der über uns schwebenden Will o' the Wisp zeigte.
Mir klopfte bei dieser Entdeckung das Herz, als ob ich nunmehr wirklich vor den Pforten eines tief in mein Leben eingreifenden Geheimnisses gestanden, von mir allein es abgehangen hätte, einen klaren Einblick in dasselbe zu gewinnen. Wie schon so vielfach die durch ewiges Mißtrauen bedingte, mir frühzeitig in dem Jesuitenconvict künstlich eingeimpfte Gewohnheit des heimlichen Spähens und Belauschens die fast einzige Waffe in meiner Ohnmacht bildete, so entschloß ich auch jetzt mich schnell, die günstige Gelegenheit mir nicht entschlüpfen zu lassen. Einen kurzen Vorsprung ließ ich O'Cullen, dann aber kroch ich zwischen meinen Decken hervor, und ihm behutsam folgend, gelangte ich bald nach ihm in den Waldessaum, wo seine Gestalt zwar meinen Blicken entschwand, das Geräusch seiner schweren Schritte dagegen mich ebenso sicher leitete.
So wanderten wir wohl eine halbe Stunde auf dem gewundenen Pfade im schwarzen Schatten des dichten Laubdaches einher, ohne daß der mit Riesenkräften ausgestattete breitschulterige Irländer nur einmal für nöthig befunden hätte, seine Last niederlegen und zu rasten. Ebensowenig kümmerte er sich um das durch sein Vordringen erzeugte Geräusch. Er wähnte sich unbeobachtet und vollkommen sicher; indem er selbst aber mit seinen breiten Füßen fest auftrat, gab er mir Gelegenheit, ihm so nahe zu rücken, daß ich sogar den sich keuchend seinen Lungen entwindenden Athem zu unterscheiden vermochte.
Endlich öffnete sich die Waldung. Es war indessen nur eine kleine natürliche Lichtung, welche, ringsum von hohen Bäumen eingeschlossen, ein Fleckchen Mondschein zeigte, kaum viermal so groß, wie unser Laden in New-York.
Sorglos trat O'Cullen auf die Lichtung hinaus. Ich dagegen blieb im Schatten zurück, um, nachdem er auf der andern Seite wieder in den Wald eingedrungen, vorsichtig um die verrätherische Mondschein-Buche herumzuschleichen. Er hatte jedoch deren Mitte kaum erreicht, als er mit einem tiefen Seufzer den Ballen zur Erde warf, das Kistchen behutsamer daneben stellte und mit einer seiner gewöhnlichen wüsten Beschwörungen den Schweiß von seiner Stirn entfernte.
»Nur 'n Kobold, wie die kleine Wisp, hat mich wieder einmal dazu bewegen können,« sprach er laut, wie um in weiterem Umkreise verstanden zu werden, »bei der ewigen Versöhnung, nur solch' Kobold, meine Zeit und Mühe zu opfern, und obenein aus reiner Menschenliebe mein Geld für Waare hinzugeben, welche, bei Licht besehen, nicht die Hälfte des gezahlten Preises werth ist.
»Aber ich thu's gern, beim heiligen Patrik, ich thu's gern,« fügte er noch lauter hinzu, als auf der anderen Seite der Lichtung zwei Menschen aus dem Schatten des Dickichts traten und sich ihm näherten, »ich thu's gern, und wär's auch nur um der Liebe der Dreieinigkeit und aller Heiligen willen.«
Kaum dreißig Schritte weit befand ich mich von O'Cullen. Der Mond schien hell auf ihn nieder; nicht nur die Stellung seines nach innen gekrümmten Knies, sondern sogar den widerwärtigen Ausdruck seines breiten Gesichtes vermochte ich nothdürftig zu unterscheiden. Mich selbst aber verdeckte neben dem nächtlichen Schatten Gesträuch, über welches ich hinwegsah, außerdem ein Baumstamm, hinter welchen ich vom Pfade aus mit wenigen behutsamen Schritten gelangte.
Die beiden Gestalten waren unterdessen in den Bereich der Mondbeleuchtung getreten, und jetzt erst gewahrte ich, daß auch sie Packete trugen, welche, obwohl von ähnlicher Form und Größe, jedoch lockerer, bei weitem nicht das Gewicht des von dem Irländer herbeigeschleppten Ballens zu haben schienen.
In der einen Gestalt erkannte ich auf der Stelle Will o' the Wisp, die liebliche Waldelfe, welche, trotz der ihre Arme beschwerenden Last, sich so leicht und anmuthig einherbewegte, als habe sie selbst nur aus einigen über den bethauten Rasen hingleitenden verkörperten Mondesstrahlen bestanden. Ihr zur Seite ging ein hochgewachsener Mann in einer Blouse und auf dem Kopfe – so viel ich unterschied – einen abgetragenen, formlosen Filzhut. Weißes Haar, im Mondlicht wie Schnee glänzend, floß in dichter Fülle beinah bis auf seine Schultern nieder. Ein Vollbart von derselben Farbe reichte ihm bis tief auf die Brust hinab.
Bei dem Irländer eingetroffen, legten sie ihre Last behutsam nieder. Eine kurze, von Seiten O'Cullens sehr freundschaftliche, von dem weißlockigen Fremden dagegen mit einer gewissen Zurückhaltung erwiderte Begrüßung fand statt, worauf sich zwischen allen Dreien ein Gespräch entspann, dessen einzelne Worte mit wenigen Ausnahmen bis in mein Versteck hineindrangen.
»Nun sagt mir, Herr, ob Ihr in Euerm Leben einen pünktlicheren und gewissenhafteren Handelsmann kennen lerntet?« rief O'Cullen mit brutaler Heiterkeit aus, welche dadurch noch unheimlicher für mich wurde, daß er sich bemühte, eine gewisse Treuherzigkeit zu erheucheln. »Hier in der Kiste werdet Ihr Alles nach Wunsch finden. Beim heiligen Patrik! hat's doch 'n richtiger Kenner für mich ausgesucht, vom schönsten Himmelblau bis zum rußigsten Schwarz, der Pinsel nicht zu gedenken, und gefeilscht und gehandelt habe ich d'rum, als hätte ich mit dem Teufel selber um 'n halbes Dutzend Jahre im Fegefeuer geknickert.«
»Ich danke Euch,« ertönte eine ruhige, unbeschreiblich schwermüthige Männerstimme zu mir herüber, »auch gegen die Einkaufspreise habe ich nichts einzuwenden, wenn ich in Anrechnung bringe, wie viel Mühe es Euch kostet, ohne meine strenge Abgeschiedenheit zu stören, mich mit dem Nothwendigen zu versehen. Wenn Ihr nur – natürlich ohne Euch selbst zu benachtheiligen – einen etwas höheren Preis für meine Arbeit einräumen wolltet. Es ist gar zu wenig, was ich zu erübrigen vermag, und ehe ich eine bestimmte Summe beisammen habe, ist es mir unmöglich, diesen verborgenen Erdenwinkel zu verlassen.«
»Warum von hier fortziehen, Herr?« fragte O'Cullen erstaunt, »meint Ihr etwa, Ihr kämet in der Stadt weiter? Bei der allersüßesten Jungfrau Maria, Herr, mit Dem, was Ihr hier verbraucht, vermögt Ihr in New-York kaum einen Kanarienvogel durchzufüttern, und nun gar noch die angemesseneren Kleidungsstücke! Ich schwör's Euch zu bei der ewigen Erlösung, schlecht, wie Eure Arbeit bezahlt wird, bräche nach den ersten sechs Wochen der Concurs bei Euch aus.«
Ein tiefer, schmerzlicher Seufzer wurde mir von der sanften Luftströmung zugetragen; ich bemerkte, daß der weißgelockte Mann Will o' the Wisp's Arm unter den seinigen zog, und auf's Neue ertönte seine mich wunderbar ergreifende schwermüthige Stimme:
»Ihr seht das Kind hier, guter Freund, wenn ich nicht an mich selber denke, muß ich doch für meine kleine Wisp sorgen. Sie muß dahin geführt werden, wohin sie gehört, und dazu bedarf es einer erheblichen Summe Geldes. Ich aber, wie soll ich es erschwingen? Jahr auf Jahr geht dahin und ich komme nur langsam von der Stelle; Jahr auf Jahr, und auch die Stunde bleibt nicht aus, in welcher ich von ihr scheide, um –«
»Nicht doch Vater,« nahm Will o' the Wisp mit rührender Innigkeit das Wort, »die Stunde der Trennung liegt noch in unabsehbarer Ferne; außerdem möchte ich um keinen Preis diesen stillen Erdenwinkel verlassen. Beruhige Dich daher; sehnst Du Dich aber nicht fort von hier, so denke ich noch weit weniger daran. Uns fehlt es an nichts, und fährt Mr.
O'Cullen nur fort, uns treu zur Seite zu stehen, dann sind wir bis ans Ende unserer Tage gegen Noth und Sorge geschützt.«
»So recht, kleine Wisp,« bekräftigte O'Cullen, und ich hätte hineilen und ihn zu Boden schlagen mögen für den schmachvollen Betrug, welchen er an den armen, seiner Rechtlichkeit vertrauenden Menschen beging, »so recht; Ihr lebt hier, wie in Abrahams Schooß; Niemand hindert Euch in Eurer Einsamkeit. Den Zweiten aber möchte ich sehen, der gute Lust hätte, aus heiliger Freundschaft für Euch bei dem ganzen Handel nicht nur nichts zu verdienen, sondern sogar noch sein gutes Geld d'ran zu geben. Und was Euer Ende betrifft, alter Gentleman, beim heiligen Patrik, Ihr überlebt uns Alle, trotz Eures weißen Haars, und stürbet Ihr vor der Zeit, so wäre ich der Mann dazu, väterlich für die kleine Wisp zu sorgen. Wäre sogar jetzt schon gern bereit, sie mit nach New-York zu nehmen und ihr 'ne gute Unterkunft bei meinen Freunden – hochangesehenen Leuten, sogar frommen, vielvermögenden geistlichen Herren – zu verschaffen.«
»Lassen wir das,« versetzte der weißlockige Herr mit kalter Ruhe, »meine Angelegenheiten entziehen sich fremder Beurtheilung. Wollt Ihr hingegen Eurer Freundschaft für uns Ausdruck verleihen, so thut's, indem Ihr dafür Sorge tragt, daß ich nur ein Wenig mehr für meine Arbeit erhalte. Macht sich meine Zeit doch zu gering bezahlt; kaum nennenswerth ist es, was ich erübrige, und ich muß – muß doch einmal fort von hier.«
»Den höchsten nur denkbaren Preis will ich Euch zuwenden, die allerunbefleckteste Jungfrau Maria und ihr allersüßestes Jesulein sind meine Zeugen,« versetzte das Scheusal, indem es sich dröhnend mit der Faust auf die Brust schlug, »und wenn Ihr ein einziges Mal nach New-York hinunterfahren und dort Ihre Waare selber ausbieten wolltet, wär's mir schon lieber.«
»Nein, nein,« betheiligte Will o' the Wisp sich wieder an dem Gespräch, »wozu die kostspielige Reise, so lange Ihr freundlich für uns sorgt? Möge Alles beim Alten bleiben, und tragen die schönen Arbeiten nicht so viel ein, wie sie verdienen und werth sind, dann müssen wir mit weniger zufrieden sein. Doch die Zeit eilt, Mr. O'Cullen; nehmt in Empfang, was fertig ist, und sagt, was Ihr zu den Materialien zugabt, oder besser noch, sagt es nicht; denn Ihr seid unser einziger Freund, und an wen sollten wir uns wenden, würdet Ihr unserer müde oder hieltet Ihr es nicht mehr für der Mühe werth, unsere Arbeiten auf den Markt zu bringen?«
»Das ist's richtige Wort, Will o' the Wisp,« versetzte O'Cullen so gleißnerisch, daß ich vor Jammer hätte laut aufschreien mögen, »Du hast 'ne Einsicht von der Sache, und nicht um 'nen Cent sollt Ihr zu kurz kommen. Was ich früher zahlte –«
Wiederum drang ein schmerzlicher Seufzer zu mir herüber; ich meinte, den alten Herrn verzweiflungsvoll die Hände ringen zu sehen.
»Mache, wie Du willst,« sprach er laut und mit einem mir durch die Seele schneidenden Ausdruck im reinsten Deutsch, »denn ich ertrage es nicht, nein, ich ertrage es nicht, mich so tief unter die entwürdigenden Verhältnisse zu beugen.«
»Armer, lieber Vater,« tönte es schmeichelnd von den Lippen des holdseligen Kindes, »auch die heutige Nacht überstehen wir, und dann liegen wieder sechs Monate ungestörter friedlicher Einsamkeit vor uns.«
Der so Angeredete ließ seine Hände ein Weilchen auf dem unschuldigen Haupte der theuren Tochter ruhen; dann kehrte er sich ab, und die Arme über der Brust verschränkt und das Haupt tief geneigt entfernte er sich in der Richtung, aus welcher er gekommen war.
»Es ist besser so,« entschuldigte sich Will o' the Wisp vor dem Irländer, »zu weh thut es ihm, die Erzeugnisse seines Fleißes als Fabrikarbeit – wie er es nennt – betrachtet zu sehen –«
»Beim heiligen Patrik, kleine Wisp,« fiel der Irländer hastig ein, »Fabrikarbeit ist sogar noch vorzuziehen; sie thut dieselben Dienste und ist zum Verschenken billig. Bin eigentlich ein alter Narr, mich in anderer Leute Angelegenheit zu mischen, aber was sollte aus Euch werden, kümmerte sich Niemand um Euch? Darum thue ich auch, was in meinen Kräften steht, und sogar noch mehr. Doch nun an's Geschäft, kleine Wisp; vor'm ersten Hahnenschrei möchte ich in meiner Herberge sein, damit Niemand meine Abwesenheit merkt; denn 'n rechtes Unglück wär's, käm's unter die Leute und lauschte man dem Alten das Geheimniß ab, mit Oel, Terpentin und Bleizucker Calicot transparent zu machen, 's würden sich bald genug Concurrenten finden, und dann wär's vorbei. Also 'raus mit der Sprache, kleine Wisp, wie viel Dinger sind's dieses Mal?«
»In jedem Packet fünfunddreißig,« antwortete Will o' the Wisp mit dem rührenden Ausdruck eines Kindes, welches befürchtet, einen seiner liebsten und langgehegten Wünsche nicht erfüllt zu sehen, »soll ich sie vorzählen, Mr. O'Cullen, oder traut Ihr mir zu, daß ich mich nicht verrechnete?«
»Nachzählen, kleine Wisp, jedesmal nachzählen, so will's das Geschäft,« erklärte der Schurke, in dessen Fleisch und Blut die Neigung zum Betruge so vollständig übergegangen war, daß es für ihn überhaupt keine Redlichkeit mehr unter der Sonne gab, »mag die Arbeit selber so gediegen sein, wie sie wolle, Irrthümer im Zählen werden dadurch nicht ausgeschlossen.«
Will o' the Wisp lachte.
»Ich müßte ja unfehlbar sein, wie die Windfahne auf dem Thurm der Kirche, in welcher der fromme Presbyterianer mich einsegnete,« rief das liebe Kind heiter aus, »oder wohl gar wie die Magnetnadel in meines Vaters Compaß, wollte ich die Möglichkeit eines Irrthums bestreiten. Ich zählte sie zwar dreimal – o, noch weit öfter, allein ich wäre untröstlich, erhielt ich Kunde, daß Ihr, unser einziger Geschäftsfreund, durch meine Nachlässigkeit benachtheiligt worden, und darum: Eins!« und nachdem sie während des Sprechens das eine Packet geöffnet hatte, begann sie von demselben breite, hellschimmernde Stücke abzurollen, welche von O'Cullen jedesmal ebenso schnell eins über das andere wieder zusammengerollt wurden.
»Eins,« wiederholte der Irländer.
»Zwei,« zählte Will o' the Wisp.
»Zwei,« schnitt O'Cullens Stimme mir durch die Seele.
»Drei,« und immer weiter und weiter in langsamen Pausen ging es bei dem eigenthümlichen Rauschen gesteifter Leinwand; immer weiter und weiter, bald in süßem Glockenton und mit rührender Geschäftsmäßigkeit, bald rauh und widerwärtig modulirend, wie wenn beim Schwanken eines Gehenkten das ihn tragende, lose gefügte Balkenwerk höhnisch geknarrt hätte.
Ich aber war, Angesichts der keinen Zweifel mehr gestattenden Entdeckung, von meinen Empfindungen überwältigt, auf die Kniee gesunken, mit beiden Händen mich auf die Erde stützend und die heiße Stirn gegen den kalten Baumstamm gepreßt.
Also hierher war derjenige verschlagen worden, von welchem ich glaubte, daß ich ihn Vater nennen dürfe, bis hierher der geheimnißvolle Verfertiger jener Vorhänge, welche in ihrer Ausführung von demselben künstlerischen Talent zeugten, wie die Zeichnungen in dem mir geraubten Skizzenbuche? Jetzt, da eine Täuschung kaum noch möglich erschien, konnte ich es nicht glauben, meinte ich wiederum, mich unter der Wirkung jener finsteren Einflüsse zu befinden, welche schon mehrmals mein Gehirn in Flammen setzten, Ereignisse und Umgebung in traumartige Gebilde verwandelten.
»Sechs,« ertönte es silberhell.
»Sechs,« wiederholten die schlecht gefugten Balken auf dem Hochgericht.
Dort heilige Unschuld und felsenfestes Vertrauen in die Rechtlichkeit aller Menschen, hier grausamer Verrath und die niedrigsten, schmachvollsten Leidenschaften zu einem selbst das Auge verletzenden Ganzen verkörpert.
O, wie ich den Elenden haßte und verabscheute, der es so gut verstand, das Unglück Anderer für sich auszubeuten, ihnen das Blut und letzte Lebensmark auszusaugen!
Ein Schatten schwebte flüchtig an mir vorbei.
»Will – o' th' – Wisp!« klagte es über mir. Ich erschrak.
»In – di – go!« rief weiter abwärts der Nacht liebende Vogel melancholisch.
»Zwölf!« zählte die liebliche Waldelfe. »Zwölf!« knarrte und ächzte das Galgenholz, mich gleichsam aus dem Reich der Träume wieder in die Gegenwart versetzend.
Wer war jenes holde Kind, welches irrlichtartig Wald und Flur in weitem Umkreise durchschweifte, den weißlockigen Mann Vater nannte und mit treuer Hingebung und Liebe hegte und pflegte? Neue Zweifel stiegen in mir auf. Das Monogramm auf den Vorhängen konnte dennoch von einer andern Hand herrühren, als das in dem Skizzenbuch, der Zufall sein neckisches Spiel getrieben haben. Wo lag der Schlüssel zu diesem Geheimniß?
»Dreißig!« schien eine erwachende Spottdrossel in die zauberische Mondscheinnacht hinauszusingen.
»Dreißig!« krächzte der Beute witternde Rabe.
Unter zwei treuen lieben Händchen wie unter den schwieligen, durch manche Missethat besudelten Fäusten knisterte mit demselben Ausdruck die gesteifte Leinwand.
»In – di – go!« rief es geisterhaft aus der Ferne.
Ha! Indigo war ich so lange genannt worden. Befand ich mich jetzt auf der Grenze, auf deren anderer Seite ein anderer Name meiner harrte? Fester drückte ich meine glühende Stirn gegen das kalte Holz und krampfhaft durchwühlten meine Finger das am Fuße des Stammes wuchernde feuchte Moos.
»Fünfzig!« vereinigte es sich melodisch mit dem in mein Versteck dringenden Mondlichtstreifen.
»Fünfzig!« schienen die den alternden Baumstamm durchwühlenden Larven mit ihren scharfen giftigen Zangen dem geduldigen Holz zu erpressen.
Auch an der Seele des weißlockigen Mannes, welchen Will o' the Wisp Vater nannte, hatte giftiges Gewürm genagt; wie wäre er sonst zu dem Entschluß gekommen, sich in einen schwer zugänglichen Waldwinkel zu vergraben und scheu jeden Verkehr mit andern Menschen zu meiden? Und war er verbittert und raubte ein feindliches Geschick ihm den Glauben an die Menschheit, welcher Empfang harrte meiner, wenn ich vor ihn hintrat und laut zu ihm sagte: »Siehe mich an; ich bin derselbe Knabe, welchen man vor sechszehn Jahren am düsteren Ort im erstarrten Arme seiner todten Mutter fand?« Stand nicht zu befürchten, daß er mich verlachte, mich höhnisch zu denjenigen zählte, welche ihn einst um sein Lebensglück betrogen und dafür einen unauslöschlichen Haß in seiner Brust wachriefen? Und Will o' the Wisp, seine Tochter – den Namen Schwester – ich wagte ihn kaum zu denken; süßes Entzücken durchströmte mich –«
»Sechzig!« hallte es wie freundlicher Geistergruß über die kleine Lichtung.
»Sechzig!« knurrte es bedächtig, als wäre es aus einer sich plötzlich öffnenden Erdspalte hervorgestoßen worden.
»In – di – go! In – di – go!« rief der Ziegenmelker, indem er, wie um mich zu verrathen, über mich hinsauste.
Bis in's Mark hinein erbebte ich. Was zauderte ich noch, offen vorzutreten und diejenigen Fragen an den fremden, weißlockigen Herren zu richten, zu welchen ich durch meine Vergangenheit berechtigt war? Und wenn ich in meinen Muthmaßungen mich nicht täuschte, warum trieb es mich nicht unwiderstehlich zu ihm hin, machte im stürmischen Aufjubeln die ahnungsvolle Stimme des Herzens sich über alle Hindernisse fort nicht geltend? Aber dieses Mißtrauen, dieses Schwanken, dieses Haschen nach Beweismitteln, um selbst zu glauben und Andere zu überzeugen, es waren noch immer die Früchte jener Lehrweise, durch welche man einst meine Jugend vergiftete, um im reiferen Alter mich desto leichter in eine unselbstständige, nur nach dem Willen Anderer arbeitende Maschine verwandeln zu können.
»Siebenzig!« rief Will o' the Wisp triumphirend aus, indem sie O'Cullen das letzte Transparentbild darreichte.
»Siebenzig, bei der ewigen Versöhnung, kleine Wisp,« schmunzelte der Irländer, das letzte Rouleau dem unter seinen kräftigen Fäusten zu einer einzigen schweren Rolle angewachsenen Vorrathe beifügend; »siebenzig, keins mehr, keins weniger und das Geschäft ist abgeschlossen.«
Dann begann er eilfertig den von ihm herbeigeschleppten Ballen der ihn zusammenhaltenden Stricke und groben Leinwandhülle zu entledigen. Will o' the Wisp half ihm dabei getreulich. Ebenso, als er die fertigen Vorhänge in dieselbe Packleinwand wickelte und den dadurch entstandenen Ballen in einer Weise mit Stricken umschnürte, daß – wie ich am folgenden Tage mich leicht überzeugte – die Verwechselung seines Inhaltes bei einem oberflächlichen Blick nicht bemerkbar.
»Nun die Bezahlung, kleine Wisp,« hob er nach Beendigung dieser Arbeit an; »und 'ne schwere Summe Geldes ist's obenein, welche der alte Gentleman eigentlich spielend verdiente.«
»Ihr täuscht Euch, Mr. O'Cullen, gewiß, Ihr täuscht Euch,« versetzte Will o' the Wisp lebhaft, »kostet es ihn doch manchen bitteren Seufzer, den Calicot zu einer seiner Fähigkeiten kaum würdigen Bearbeitung in den Holzrahmen zu spannen.«
»Glaub's gern,« tröstete O'Cullen gleißnerisch, »allein nenne mir 'nen Menschen, welcher im Stande wäre, sein Brod ganz ohne Mühe zu verdienen. Beim heiligen Patrik, mir wird's wenigstens nicht so leicht, wie dem alten Gentleman. Und dann bedenke diesen Haufen Silber,« und so sprechend, zog er einen klirrenden Beutel aus der Tasche; »denn außerdem daß ich Farben, Oel und Stoff liefere, zahle ich für jedes einzelne Bild fünfundsiebzig Cent Arbeitslohn.«
»Erhielten wir früher nicht achtzig?« fiel Will o' the Wisp bestürzt ein.
»Richtig, Kind, ganz richtig,« bestätigte der hinterlistige Gauner, »seitdem ist aber die Baumwolle, und mithin auch der Calicot theurer geworden –«
»Geben wir nicht denselben Calicot zurück?« versetzte das arme betrogene Kind ängstlich.
»Ohne Zweifel,« erklärte O'Cullen, und der Seufzer des Bedauerns, welchen er ausstieß, schien ihm von der Hölle selber eingegeben zu sein, und da ich den Preis für die Vorhänge nicht erhöhen darf, will ich überhaupt noch welche absetzen, so fällt der kleine Abzug der Arbeit zur Last. Aber bei der allersüßesten unbeflecktesten Gnadenmutter, kleine Wisp, erscheint Dir der Preis zu gering, so hindert Dich nichts, eine anderweitige Verwerthung Deiner Waare zu versuchen.«
»Nein, nein,« flehte Will o' the Wisp, »gebt mir, was Ihr für recht und billig haltet, denn Euern Schaden können wir nicht verlangen – hart, sehr hart ist es freilich; aber Ihr erweist mir gewiß den Gefallen, ihn, ich meine den Vater, die Wahrheit nicht ahnen zu lassen. Es ist nicht wegen des Geldverlustes, daß ich ihm den mißlichen Umstand zu verheimlichen wünsche, sondern weil diese neue Herabsetzung ihn noch tiefer beugen würde.«
»Nicht 'ne Silbe soll er erfahren,« versetzte O'Cullen mit teuflischem Wohlwollen, als sei dieses Zugeständniß eine Begünstigung von unschätzbarem Werthe gewesen, »nein, nicht 'nen gesegneten Buchstaben. Aber auch Du sei vorsichtig, und wenn je ein Pedlar seinen Weg zu Euch finden sollte, so laß Dich nicht mit ihm ein. 's giebt leider nicht viele rechtlich denkende Christen. Die meisten leben von Betrug und falschen Vorspiegelungen und versprechen 'nen besseren Preis, um schließlich sammt Geld und Waare zum Teufel zu gehen. Doch nun zur Sache, oder beim heiligen Patrik, die Sonne scheint in mein leeres Bett hinein. Also siebenzig mal fünf und siebenzig Cent beträgt genau zwei und fünfzig und einen halben Dollar. Auf Abschlag erhalten sieben Dollars, bleibt Rest fünf und vierzig Dollars fünfzig Cent,« und fast eben so schnell, wie er rechnete, zählte er den Betrag theils in Gold, theils in Silber der armen betrogenen Wisp in die Hand. »Möge Dir und dem alten Gentleman das viele Geld zum Segen gereichen,« fügte er mit einem schweren Seufzer hinzu, »und hier ist der neue Calicot; gern trüge ich ihn Dir nach Hause –«
»Nein, nein, bemüht Euch nicht,« bat Will o' the Wisp mit zitternder Stimme, als ob der Abzug der ihr gewiß unerschwinglich erscheinenden Summe ihr heimlichen Kummer bereitet hätte: »ist das Ganze zu schwer für uns, so theilen wir es in mehrere Packete und gehen öfter.«
»Nach Belieben, kleine lustige Wisp,« versetzte O'Cullen mit dem Ausdruck großer Zufriedenheit.
Mehr vernahm ich nicht, denn er schwang den Ballen der gemalten Vorhänge auf seine Schulter, für mich das Zeichen, mich unverzüglich auf den Weg zu begeben, um von dem Heimkehrenden im Schuppen zwischen meinen Decken gefunden zu werden.
Als ich hinter dem Baumstamme hervor leise in den Weg zurückschlich, gewahrte ich auf der andern Seite des Pfades und hart am Rande der Lichtung hinter einem Baumstamme die theilweisen Umrisse eines Mannes. Derselbe hatte offenbar O'Cullen belauscht, vielleicht auch mir nachgespäht, denn indem ich eine andere Stellung zu ihm gewann, glitt er, augenscheinlich um sich meinen Blicken zu entziehen, etwas weiter um den Baum herum. Bei dieser Bewegung durchschnitt er einen schmalen Mondlichtstreifen. Flüchtig wie dies geschah, es genügte, mir das Antlitz des einfältig darein schauenden Holzschnitzers vom Dampfboot zu zeigen.
Ich war wie vom Donner gerührt. Walteten doch keine Zweifel über die Personen, welche ihn abgeschickt hatten, dem Irländer nachzuspähen und den geheimnißvollen Urheber des Monogramms auszukundschaften. Neue Drohgespenster stiegen vor meiner Seele auf; zugleich aber verschärften sich wieder meine Sinne.
Nur wenige Secunden blieb ich, wie gelähmt, stehen, nur bis ich des Irländers Stimme vernahm, indem er sich von Will o' the Wisp verabschiedete. Eine kurze Strecke schlich ich mit erhöhter Vorsicht einher, dann aber beschleunigte ich meine Eile, und O'Cullen konnte kaum aus dem Mondlicht in den Schatten des Waldes getreten sein, da befand ich mich so weit abwärts, daß ich meinen Bewegungen keinen Zwang mehr aufzuerlegen brauchte.
Nach Ablauf einer Viertelstunde erreichte ich die Colonie. Hier bellte ein Hund, dort einer; der sie gleichmüthig betrachtende Mond erschien ihnen wichtiger, als Jemand, welchen sie bereits als einen harmlosen Fremden kennen gelernt hatten. Durch die Wipfel der Bäume strich flüsternd ein kühler Lufthauch. Die Hähne, wohl unterrichtet von der Nähe des Morgens, krähten.
Unentdeckt gelangte ich auf mein Lager. Meine Pulse flogen fieberisch. Was ich erlauscht und erfahren hatte, ich meinte es nicht fassen zu können.
In meinen wirren Betrachtungen wurde ich gestört durch O'Cullen. Behutsam, um mich nicht zu wecken, trat er in den Schuppen ein und ebenso geräuschlos legte er seine Beute nieder; dann begab er sich nach dem Wohnhause hinüber. Wieder im Freien schien er keinen Werth darauf zu legen, unentdeckt zu bleiben.
»Ho, ho, Wittwe Mac Ree,«
sang er vor sich hin, indem er sich entfernte. Ein ungewöhnlich vortheilhaftes Geschäft mußte es sein, was ihn trieb, seinen Empfindungen auf solche Art Ausdruck zu verleihen.