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DRITTES CAPITEL. DIE WERKSTATT.

Mit Erlangung der Fenstervorhänge schien O'Cullen den Haupttheil seiner Hausirgeschäfte beendigt zu haben. Er verbreitete wenigstens noch selbigen Tages die Kunde, daß er, um schnell zu räumen, und nach New-York zurückzukehren, keine Ausflüge mehr zu unternehmen, sondern des Restes seiner Waaren an Ort und Stelle sich zu jedem nur annehmbaren Gebote zu entäußern gedenke. Der Schuppen füllte sich in Folge dessen sehr bald mit solchen näher lebenden Kunden, welche, schlau berechnend, diese Maßnahmen vorhergesehen hatten. O'Cullen selbst wurde dadurch in steter Bewegung gehalten; ich dagegen, fest entschlossen, ihn nicht nach New-York zurückzubegleiten, sondern Alles aufzubieten, um in näheren Verkehr mit Will o' the Wisp und deren Vater zu treten, erklärte ihm, trotz seiner Gegenvorstellungen, den Nachmittag zu einem Spaziergange in die Umgegend benutzen zu wollen.

In weitem Bogen in den Wald eindringend, erreichte ich nach kurzer Frist den Pfad, auf welchem ich in der letzten Nacht O'Cullen nachgeschlichen war. Dann aber beeilte ich meine Schritte, und bald darauf lag die kleine Lichtung vor mir, auf welcher der schurkische Irländer mit der armen Will o' the Wisp um den Besitz der sechsmonatlichen Arbeit ihres Vaters ruchlos feilschte.

Vergeblich nach den Spuren eines kleinen Mokassins spähend, schritt ich über die Lichtung hinüber. Leicht entdeckte ich auch dort die Mündung eines schmalen Pfades, und ohne Säumen in denselben einbiegend, folgte ich rüstig dessen zahlreichen, durch die Höhe eines schroffen Höhenzuges bedingten Windungen nach. Vor einem sumpfigen Bruch schien der Pfad sein Ende zu erreichen; erst nach längerem sorgfältigem Forschen erkannte ich an Steinen und Holzblöcken eine Art Uebergangspunkt, über welchen hinwegschreitend ich auf eine umfangreiche, inselartig aus dem Bruch aufsteigende Bodenerhebung gelangte. Noch eine kurze Wanderung auf kaum bemerkbarem Pfade und im Schatten stolz emporragender Baumwipfel, und vor mir lag eine kleine, mich gleichsam märchenhaft anlächelnde Heimstätte. Dieselbe bestand aus einer grauen Blockhütte, vor welcher sich ein sorgfältig gepflegtes Gärtchen ausdehnte. Es war eine jener flüchtig errichteten Baulichkeiten, wie man sie vorzugsweise auf den Grenzen der Civilisation findet. Eine lange, lange Reihe von Jahren schien über sie hingerauscht zu sein. Wer auch immer sie einst gründete, die abgeschiedene Lage in der Nachbarschaft reich bevölkerter Gaue hatte den Besitzer offenbar nicht lange befriedigt. Er war fortgezogen ohne eine größere Lichtung geschaffen zu haben, den mühsam errichteten Herd dem Verfallen oder der Besitznahme durch jeden beliebigen Fremden preisgebend. Viele Jahre hindurch mochte die Hütte dann leer und vergessen dagestanden haben, bis endlich wieder sich Jemand fand, dessen Neigungen die stille Waldeinsamkeit entsprach.

Träumerisch lag die kleine Heimstätte jetzt da. Moos und Rankengewächse hatten sie so dicht überwuchert, daß sie kaum noch vor dem verschlungenen Laubwerk des Hintergrundes sich auszeichnete. Die Hausthür, welche zugleich als Fenster diente, war geschlossen. Eine zweite Oeffnung bemerkte ich auf dem einen Giebel. Dieselbe, in einer Höhe von vier Fuß beginnend, stand hinsichtlich ihres bedeutenden Umfanges in keinem Verhältniß zu der Hütte und war offenbar erst in späterer Zeit ausgesägt worden, um durch alte, nicht genau zu einander passende Fensterflügel wieder ausgefüllt zu werden. Durch die wunderliche Zusammenstellung wurde der äußere Charakter der Baufälligkeit noch erhöht; dagegen war keine einzige Scheibe gesprungen, und die auf der Innenseite niederhängenden Zeugstreifen bestätigten gewissermaßen die Vermuthung, daß hier mit den bescheidensten Mitteln die Werkstatt eines Malers eingerichtet worden.

Ein Weilchen lauschte ich gespannt. In jedem Augenblick hoffte ich, Will o' the Wisp's freundlich ermuthigende Stimme zu vernehmen, indem sie mich willkommen hieß oder ihrem Befremden über mein unerwartetes Erscheinen Ausdruck verlieh.

Doch Alles blieb still. Zierliche Blauvögel hüpften auf dem bemoosten Schindeldach umher; zwei funkelnde Colibris umschwärmten die vor der Thür blühenden Herbstblumen, neben dem verhangenen Fenster hämmerte sogar ein großer Buntspecht auf die reich von Insecten angebohrten Balken; kurz es rief Alles den Eindruck hervor, als ob seit langer Zeit ein menschlicher Fuß die Schwelle der Hütte nicht mehr überschritten habe, oder Jemand sie bewohne, welcher mit der kleinen Thierwelt eine Art Freundschaftsbündniß geschlossen.

Zögernd näherte ich mich dem Eingange. Das Herz klopfte mir stürmisch, mein Athem stockte. Empfindungen, als hätte ich vor meiner eigenen Heimat, vor der Thür meines Vaters gestanden, beschlichen mich wohl, allein um schnell wieder in Bangigkeit überzugehen. Welcher Empfang stand mir bevor? Mir, der ich außer mündlichen Berichten kein Mittel besaß, meine Behauptungen zu beweisen? Welcher Art waren die Räthsel, die vielleicht in den nächsten Minuten gelöst wurden? Und vor allen Dingen das holde Räthsel der lieblichen Will o' the Wisp, welche ihn, auf den ich meine ganze Hoffnung, gebaut hatte, Vater nannte?

Ausdruckslos, wie ein leichter Schlag auf einen massiven Holzblock, ertönte mein Klopfen. Niemand antwortete. Auch mein zweites und drittes Klopfen blieb unbeachtet; nur der Specht auf der Giebelwand schien es, mich gleichsam verhöhnend, zu wiederholen.

Ein einfacher hölzerner Fallriegel hielt die Thür in ihren Fugen. Wie unbewußt prüfend, ob sie von innen befestigt sei, hob ich ihn empor und knarrend sank, in Folge des ungleichmäßig vertheilten Gewichtes, das morsche Brettergestell mir entgegen. Ich glaubte, daß Jemand es aufgestoßen habe, und wich einen Schritt zurück. Dann aber, da auch jetzt aus keiner Richtung ein Lebenszeichen folgte, ermannte ich mich und zögernd trat ich auf die Schwelle.

Ein niedriger Raum lag vor mir. Derselbe umfaßte den ganzen Flächeninhalt der Hütte, welcher nach oben durch dicht neben einander geschichtete Balken begrenzt wurde. Eine Art Vorhang schied ihn in zwei Hälften. Nach kurzem Ueberlegen kehrte ich mich dahin, wo durch die umfangreiche Fensteröffnung gedämpftes Licht hereindrang. Außer einer schmalen Lagerstätte, deren einzige Bestandtheile duftendes Heu und mehrere wollene Decken, erblickte ich Dinge, wie sie gewöhnlich das Atelier eines Malers charakterisiren; nur daß sie hier, des mangelnden Raumes halber, mehr über einander geschichtet, theils auf alten Kisten, theils auf dem mit einem Teppich bedeckten Lehmfußboden lagen. An den Wänden lehnten große Bretterrahmen. Einer derselben war noch mit weißem, firnißgetränktem Stoff überzogen, auf welchem die mittelst Holzkohle aufgetragenen Umrisse einer Landschaft sichtbar. Es waltete kein Zweifel, ich befand mich an meinem Ziele, in der Werkstatt des Verfertigers der Vorhänge, des Urhebers des geheimnißvollen Monogramms.

Wie einst in der Jesuitenkirche, wenn kein anderes lebendes Wesen das krankhafte Wirken meines Geistes störte, erfüllte mich hier eine ähnliche, von Wehmuth getragene Andacht. Die schwer auf einander ruhenden, nur stellenweise behauenen Baumstämme erhielten vor meinen sinnenden Blicken einen gewissen träumerischen Ausdruck.

Sie schienen zu erzählen von den langen, langen Jahren, in welchen ein von dem Geschick grausam verfolgter Mann in dem von ihnen geschützten Raume einsam schaffte und arbeitete. Wie viele schmerzliche Seufzer mochten zwischen den grauen Wänden verhallt sein! Wie oft hatte wohl die fleißige Hand gebebt, wenn sie, die Kunst zu einem Frohndienst herabwürdigend, den transparenten Calicot mit grellfarbigen Landschaften schmückte! Wie eine Mahnung an frühere, glücklichere Zeiten, waren hin und wieder Studienskizzen auf die Wände genagelt worden. Auf einzelnen meinte ich die zierlichen Hände und Füße Will o' the Wisp's, auf andern wieder die anmuthige Haltung ihrer ganzen Figur zu erkennen.

»Wer ist Will o' the Wisp, wer ist derjenige, welchen sie Vater nennt, und in welcher Beziehung steht sie zu ihm?«

So fragte ich, von neuen Zweifeln befangen, indem ich bis in die Nähe des Fensters vorschritt, wo eine von rohen Latten und Baumästen sinnig zusammengefügte Staffelei meine Aufmerksamkeit fesselte. Ein großes Bild stand auf derselben, gegen Staub geschützt durch einen darüber hinfallenden Calicotstreifen. Zögernd und mit heimlichem Beben, als hätte ich mir einen tadelnswerthen Eingriff in fremdes Eigenthum erlaubt, hob ich den Vorhang empor, ihn oberhalb des Bildes an die Staffelei befestigend. Dann trat ich zurück, um einen vollen Anblick des in düsterer Abgeschlossenheit entstandenen Werkes zu gewinnen. Kaum aber hatte ich den durch ungewöhnliche Meisterschaft erhöhten Eindruck des Dargestellten in mich aufgenommen, als ich erschüttert beide Hände an meine Schläfen preßte und auf das Bänkchen sank, welches der Künstler bei seinen Arbeiten zu benutzen pflegte. So saß ich da lange Minuten. Während aber meine Blicke starr auf das Gemälde gerichtet blieben, flammte es in meinem Gehirn, raste das Blut mir durch die Adern, wie wenn ich von einem heftigen Fieberparoxismus ergriffen worden wäre, sich wechselweise jagende Phantasieen mich zugleich gemartert und mit wildem Entzücken erfüllt hätten. Denn wer hätte wohl ein klareres Verständniß für die in die Farben der Wirklichkeit gekleideten Scenen gewinnen können, als ich, der ich in fast nur bekannte Physiognomien schaute? In ein Antlitz, welches sich so oft in mein Träumen segnend über mich hinneigte. Dann wieder in Züge, die mir als ein verkörperter Fluch erschienen, dazu bestimmt, dienend den schmachvollsten Zwecken, sich an die Fersen Unschuldiger zu heften?

Nur allmählich ebneten sich meine hochwallenden Leidenschaften, bis ich endlich die Bedeutung der ganzen Composition zu enträthseln vermochte.

›Die letzte Vision einer Sterbenden‹ hätte ich das Bild nennen mögen.

Im Vordergrunde, in einer Art Erdhöhle und wunderbar beleuchtet durch die Flammen einer Reisiganhäufung lag eine bleiche Frau von überirdischer Schönheit, ihre Augen waren geschlossen; auf ihren Zügen thronte, neben dem Ausdruck eines unsäglichen Seelenleidens, welcher selbst durch den erstarrenden Hauch des Todes nicht hatte verwischt werden können, himmlischer Friede. Die rechte Hand ruhte auf ihrem Herzen, der seitwärts ausgestreckte linke Arm bildete das Kopfkissen eines schlummernden Knaben von drei bis vier Jahren.

»Meine Mutter,« flüsterte ich mit trockenen Lippen, als ich die von dem getreuen Hänge mir vielfach geschilderte Scene plötzlich so ergreifend vor mich hingezaubert sah. »Meine arme, arme Mutter,« wiederholte ich, während Thränen meine Sehkraft schmälerten; denn trotzdem es das Bild einer in Kummer und Gram Gestorbenen, war dessen Aehnlichkeit mit dem in dem verlorenen Skizzenbuch befindlichen Portrait unverkennbar. Dann lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf eine andere Gestalt, von welcher der gute Hänge-Gensdarm mir freilich nichts hatte erzählen können.

»Wenigstens nicht einsam und verlassen von aller Welt gestorben,« seufzte ich schmerzlich bewegt beim Anblick eines schönen Mannes mit schwarzem Vollbart und einem Gesicht so bleich, wie das der todten jungen Frau. Auf dem linken Arm trug er ein kleines Kind, während er den rechten, wie zum Schwur erhob, zu einem Schwur, welcher am wenigsten eine freundliche Bedeutung hatte. Ein Schwur der Rache und des Hasses konnte es nur sein, das bekundete die bleiche, todte Frau, bekundete der Ausdruck wilder Verzweiflung auf dem abgehärmten Antlitz des Mannes, bekundete endlich, das den oberen Theil des Gemäldes ausfüllende Traumgebilde.

Die Bedachung der schwarzen Erdhöhle schien sich in bläulichen Nebelduft aufgelöst zu haben. Ein düsterer Ton, erinnernd an Grabesnacht, lichtete sich von den Rändern des Bildes aus nach der Mitte zu, wo unbestimmt, wie durch einen Florschleier verhangen, jedoch deutlich erkennbar, eine zweite Gruppe vertrauter Gestalten und Physiognomien meine Sinne fesselte.

Ein älterer Herr saß im Hintergrunde an einem Tisch. Das Haupt hatte er schwer auf die eine Hand gestützt, die Augen wie zum Schlaf geschlossen. Trotz der größeren Rüstigkeit und des scharf ausgeprägten Zuges starren Hochmuthes, erkannte ich in ihm Denjenigen wieder, welcher einst mit liebreichen Worten und doch so scheuem Wesen mich einlud, an seiner Seite die stillen Räume des Gespensterschlosses zu durchwandern. Sein anderer Arm hing schlaff nieder; unter dem vorgestreckten Fuß ragte ein zerrissener Brief hervor. Weiter nach vorne und durch eine zarte bläuliche Nebelschicht von ihm getrennt, stand seine Tochter, stand in unheimlich strahlender Schönheit das Burgfräulein. Das Haupt hatte sie etwas geneigt, wie unbemerkt beobachtend den schlummernden Vater. Das war dieselbe ruhige Haltung, mit welcher sie einst mir eine unüberwindliche Scheu einflößte, war derselbe kalte Blick, mit welchem sie den armen Waisenknaben gleichsam versteinerte. Neben ihr, scharf bewachend ihr Antlitz und zugleich ehrerbietig ihrer Befehle harrend, um sie demnächst desto sicherer in sclavischer Unterwürfigkeit sich vor seinem Willen beugen zu sehen, stand der heuchlerische Candidat, der verkappte Jesuit, welchen ein feindliches Geschick – nein, eine Beute witternde, gegen alle milden Herzensregungen undurchdringlich gepanzerte Brüderschaft entsendet hatte, um Verderben, Wahnsinn und Tod in einer einst beneidenswerth glücklichen Familie zu verbreiten. Die Aehnlichkeit dieses Scheusals war sprechend; sie zeugte von dem Hasse, welchen der Verfertiger des Bildes ihm unwandelbar nachtrug. Denn nur eine bis in's Innerste hinein verletzte Seele konnte die schaffende Hand gelenkt haben, daß unter ihr auf der todten Leinwand die verbrecherischsten Leidenschaften gleichsam Leben erhielten, sich in einem einzigen Blick, einem vielsagenden Lächeln verkörperten.

Doch wenn die Hand des Künstlers von unauslöschlichem Hasse geführt wurde, glühender konnte er ihn nicht hassen, schrecklicher ihm nicht fluchen, als ich, der ich in dem Bilde noch einmal Alles zusammengefaßt sah, was jenes elende Werkzeug in den Händen ferner allmächtigen Gebieter an denen verbrach, welche von der Natur dazu bestimmt gewesen, in treuer Liebe an einander zu hängen und nicht von einander zu lassen.

Thränen der Wuth verschleierten meine Blicke, meine Hände ballten sich, als hätten sie krampfhaft eine gefährliche Waffe umschlossen, und jetzt erst, das fühlte ich, war die letzte Furcht vor meinen Verfolgern von mir gewichen, war ich bereit, zur geeigneten Stunde, wo und wann es auch immer sein mochte, ihnen trotzig, jedoch nicht unbesonnen zu begegnen, ihnen die Larve abzureißen und sie vor Gott und den Menschen offen für ihre schmachvollen, verbrecherischen Handlungen anzuklagen.

Wie lange ich vor dem Bild saß, ich weiß es nicht. Regungslos sah ich auf dasselbe hin, bis nicht nur alle auf demselben befindlichen Gestalten Leben gewannen, sondern in dem zarten, schleierartig auf die Leinwand gezauberten Duft andere zarten Gestalten auftauchten und mit dem Ausdrucke der Angst und des Entsetzens mir die Arme entgegenstreckten. Ich sah den biederen Hänge und die theure, theure Winkelliese; ich sah die von der Natur traurig vernachlässigte und doch so warmherzige Sophie, den Förster und sein Hannchen, und vor Allem eine mit überirdischen Reizen geschmückte bleiche Lilie und ein holdselig erblühendes Haideröschen.

Dumpfe Stimmen drangen zu mir herein. Ich erschrak. Vor den noch immer starr auf das Bild gerichteten Blicken versanken die theuren Gestalten. An deren Stelle traten eine marmorne Jägerin und ein ziegenfüßiger Flötenbläser, Beide mich verhöhnend und verlachend.

Wiederum die Stimmen. Es war keine Sinnestäuschung.

Hastig sprang ich empor, aber im Begriff, die nur halb offene Thür ganz aufzustoßen und hinauszutreten, vernahm ich von dem nahen Rande der kleinen Lichtung her ein Organ, welches mich veranlaßte, eine neben dem Eingange an der Wand hängende Holzaxt zu ergreifen.

»Eine ziemlich sichere Gegend muß es sein, in welcher man nicht für geboten hält, das Haus zu verschließen,« sprach Grub zweifelnd, »wären Eure Angaben nicht überzeugend genau, möchte ich glauben, daß Beide, anstatt dort oben sich zu ergehen, wohlgemuth in diesem Fuchsbau säßen.«

»Ich sah sie so deutlich, wie ich Euch hier neben mir sehe,« erwiderte der schnitzende Spion von dem Dampfboot, welcher offenbar weit besser, als ich, verstanden hatte, sich Kunde über den geheimnißvollen Bewohner der Hütte zu verschaffen, »gehen wir daher unbesorgt hinein – Pumpkin steht hoch genug, um uns durch sein Pfeifen rechtzeitig zu warnen.«

Sie befanden sich vor der Thüre, zauderten aber noch, einzutreten. Ich dagegen, nachdem ich flüchtig durch die zwischen den Thürangeln sich erstreckende Spalte in's Freie hinausgespäht und die beiden Genossen erkannt hatte, war geräuschlos in den durch den Vorhang abgegrenzten Nebenraum geschlichen, wo der von der Rückwand des Hauses, dem Vorhange und einem Tisch gebildete Winkel mir eine erträglich sichere Zufluchtsstätte bot. Ein breites Kamin nahm hier den größten Theil der Giebelwand ein. Küchengeräthe und kleine Kisten mit Lebensmitteln standen zu beiden Seiten desselben. Eine mit gegerbten zottigen Bisonhäuten und wollenen Decken versehene Bettstelle, mehrere Bänkchen und Zeug tragende Pflöcke an den Wänden bildeten die übrige Möbeleinrichtung. Auf dem Tisch standen wohlgeordnet etwa zwanzig bis dreißig ziemlich abgenutzte Bücher; vor diesen aber lagen beschriebene und unbeschriebene weiße Papierbogen, beschwert durch ein einfaches Schreibzeug.

Nach einem flüchtigen Blick durch den wenig umfangreichen Raum, welcher augenscheinlich Will o' the Wisp als Wohnung diente, war ich kaum in mein Versteck geschlüpft, als ich die Schritte der Eintretenden unterschied. Die Bewegung des Vorhanges belehrte mich, daß sie vom Eingange aus zunächst einen Blick in Will o' the Wisp's Asyl warfen. Da sie Niemand in dem leicht übersehbaren Gemach entdeckten, wendeten sie sich nach der anderen Seite hinüber und gleich darauf hörte ich ihre Stimmen in der Nähe der Staffelei.

»Hier also wohnt unser Mann,« bemerkte Grub verwundert, »auf alle Fälle kein geeigneter Ort für einen Künstler seines Ranges.«

Er hatte den Vorhang, welchen ich kurz zuvor niederließ, wieder zurückgeschlagen, denn ein Ausruf des Erstaunens schnitt ab, was er weiter sagen wollte, worauf Beide sich in Ausdrücken der Bewunderung des Kunstwerkes und in Muthmaßungen über dessen Bedeutung ergingen.

»In der Stadt hätte er ohne Zweifel große Erfolge erzielt,« meinte der Holzschnitzer bedächtig, »statt dessen sitzt er hier in einem abgeschiedenen Winkel und vermag sich kaum der dringendsten Noth zu erwehren.«

»Sehr große Erfolge,« gab Grub ernst zu, »aber schwerlich wäre es O'Cullen dann so leicht geworden, ihn auszubeuten. Vergebens hüllte der irländische Schurke die Quelle seiner Transparentbilder nicht in solch' tiefes Geheimniß.«

»Ihr glaubt, den richtigen Mann gefunden zu habend fragte der Holzschnitzer wie beiläufig, offenbar bemüht, von Grub mehr zu erfahren, als dieser ihm mitzutheilen für rathsam hielt.

»Unstreitig,« hieß es entschieden zurück – »in der That ein prachtvolles Gemälde – hier die todte Frau, dort der in seinen Schmerz versunkene Mann, da oben die traumartige Composition, vor allen Dingen aber das jeden Zweifel ausschließende Monogramm. Der Irländer scheint nichts von diesem Schatz zu wissen, oder er stände längst nicht mehr hier.«

»Engere Beziehungen sollen zwischen dem Künstler und dem Burschen, dem Indigo walten?« forschte der Holzschnitzer weiter.

»Die näheren Umstände kenne ich nicht,« wich Grub vorsichtig aus, »vorläufig gilt es nur, Beide fern von einander zu halten. – Sah't Ihr des alten Mannes Tochter in der Nähe?«

»Will o' the Wisp? Sicher sah ich sie, und wenn je ein Irrwisch geeignet war, vernünftige Menschen bis über die Ohren in einen Sumpf zu locken, so ist sie es.«

»Er wird sie nicht gutwillig aufgeben, allein das Mögliche muß gethan werden. Fehlt ihm das Kind, so zwingt man ihn durch die vorgespiegelte Wiedervereinigung zum Geständniß. Außerdem eine wirklich schöne –«

Ein lauter Pfiff tönte von den nahen Felsabhängen herüber und störte die Unterhaltung.

»Pumpkin!« fuhr Grub heftig auf, »da – er wiederholt das Signal und wir haben keine Zeit zu verlieren. Rührt nichts an, wodurch unser Besuch verrathen werden könnte,« und dann im Hinausgehen: »stellt die Thür genau so, wie wir sie fanden – so – nicht zu weit offen.« –

Das Weitere verstand ich nicht, so schnell vergrößerten sie den zwischen uns bestehenden Zwischenraum. Ich selbst aber schlüpfte aus meinem Winkel und traf früh genug bei der Thüre ein, um, hinauslugend, zu gewahren, wie Pumpkin auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung mit hastigen Bewegungen aus dem Dickicht trat, zu den beiden Genossen hineilte, einige Worte an sie richtete und dann mit ihnen schleunigst in den nach der Colonie führenden Pfad einbog.

Der Anblick des teuflisch grinsenden Mestizen überraschte mich nicht. Dagegen diente das Bewußtsein seiner Nähe, zusammen mit den wenigen erlauschten Worten dazu, meine Besorgniß um die Bewohner der Blockhütte zu erhöhen. Eine unheimliche Drohung lag in dem Eifer, mit welchem man, ohne Rücksicht auf Mühe und Kosten, nunmehr auch Denjenigen nachstellte, welche man als in irgend einer Beziehung zu mir stehend vermuthete. Doch andere Empfindungen gewannen sogleich wieder die Oberhand. In einer gewaltigen, mir den Athem verkürzenden Spannung machte es sich geltend, daß ich in den nächsten Minuten meinem lange gesuchten Vater gegenübertreten und aus seinen ersten Blicken lesen sollte, ob noch immer die Gründe walteten, welche ihn dazu bewegten, den eigenen Sohn, nachdem er ihn fremden Händen anvertraute, gänzlich aus seinem Gedächtniß zu streichen.

Ohne eine bestimmte Absicht, gleichsam willenlos, begab ich mich nach der Pfadöffnung hinüber, wo ich auf einen umgebrochenen, modernden Baumstamm niedersank. Von dort aus vermochte ich die Lichtung zu übersehen. Ein Weilchen dauerte es indessen noch, bevor ich eine ruhige Stimme unterschied und gleich darauf Will o' the Wisp in Begleitung des weißgelockten Mannes auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Gebüsch in's Freie trat.

Letzterer trug ein aufgeschlagenes Buch und schien eindringlich zu seiner lieblichen Gefährtin zu sprechen und ihr etwas zu erklären. Sie bemerkten mich nicht. Der Gedanke an die Nähe eines Menschen lag ihnen wohl zu fern, außerdem saß ich so tief, daß ihre sorglos umherschweifenden Blicke über mich hinwegglitten. Ich selbst war unfähig, mich zu erheben. Die Aehnlichkeit des alten Herrn mit der jugendlicheren Gestalt des trauernden Mannes auf dem Bilde war unverkennbar, und dennoch empfand ich heimliche Scheu, ihm zu nahen, sein ernstes, bleiches Antlitz zweifelnd, wohl gar argwöhnisch auf mich gerichtet zu sehen. Indem aber meine Aufmerksamkeit sich Will o' the Wisp wieder zukehrte, die so gespannt den Worten ihres Begleiters lauschte und über deren Beziehungen zu mir das Bild mich ebenfalls aufklärte, zog es wie ein unendliches Gefühl süßer Wehmuth in meine Brust ein. An welche traumhafte Erscheinungen meine nach freundlichem Trost spähende Phantasie sich angeklammert haben mochte, welche zarte Gestalten in der Erinnerung aufgetaucht waren, um sich zärtlich an mein Herz anzuschmiegen: Alles versank hinter mir, Alles versank um mich her vor dem einzigen, durch den Anblick der Wirklichkeit erzeugten Gedanken: Meine Schwester, meine von der Natur mir unter den heiligsten Bedingungen zuerkannte Gefährtin! Die Tochter jener armen, in Kummer und Elend gestorbenen jungen Mutter unter dem Erdhügelchen auf dem Friedhofe des heimatlichen Dorfes, welchen ich einst mit kindlich unstäten Händen bekränzte, die stille Schläferin mir vergegenwärtigend, wie die gute Winkelliese sie mir beschrieb: Als einen holdselig lächelnden Engel mit langen, blonden Locken und in himmelblauen seidenen Gewändern.

Unwillkürlich hielt ich den Athem an. Mir war, als hätte ein stärkerer Hauch meine Anwesenheit verrathen, das liebliche Bild vor mir vernichten müssen.

Ich konnte nicht fassen, daß ich fortan nicht mehr allein sein sollte. Die Ueberzeugung aber, die liebliche, irrlichtartige Waldelfe als meine Schwester betrachten und als solche zutraulich anreden zu dürfen, wirkte andererseits wieder so überwältigend auf mich ein, daß ich emporsprang und festen Schrittes den sich langsam Nähernden entgegeneilte.

Das Geräusch meiner Bewegungen veranlaßte sie, stehen zu bleiben. Will o' the Wisp erkannte mich, denn sie richtete einige Worte an ihren Begleiter, worauf dieser, mit eigenthümlich forschendem Ausdruck mich betrachtend, die unterbrochene Bewegung wieder aufnahm.

Gleich darauf stand ich vor ihm. Ich hatte den Hut gezogen; als ich aber in die ernsten Augen des hoch gewachsenen, weniger durch die Last der Jahre, als durch Seelenleiden ergrauten Mannes schaute, mangelten mir vor den, mit gewaltiger Wucht auf mich eindringenden Empfindungen, wieder die Worte.

»Aus weiter Ferne komme ich,« hob ich stotternd an, »ich suchte Sie auf – auch ich heiße Zäuner – und dahin war meine Fassung, und erhöht wurde meine Verwirrung durch das Bewußtsein, durch die knabenhafte, meinem Seelenzustande so wenig entsprechende Anrede den Eindruck eines Thoren, wohl gar eines zudringlichen Betrügers hervorgerufen zu haben.

»Selten findet man diesen Namen,« versetzte jener scheu, und sein von Gram durchfurchtes Antlitz röthete sich leicht, während seine Blicke in meinem Innern zu lesen suchten, »am wenigsten hätte ich erwartet, ihn hier in meiner Einsamkeit genannt zu hören. Meine Tochter erzählte mir von einem Deutschen – Sie sind es selber?« und an mir vorbeigehend, machte er Miene, sich zu entfernen, als ich, meinen ganzen Muth zusammenraffend, ihn wieder aufhielt.

»Hören Sie mich zu Ende!« rief ich von plötzlicher Angst ergriffen und vergeblich nach angemessenen Worten ringend aus, »bisher hieß ich Indigo, allein nur aus Unkenntniß des mir rechtlich gebührenden Namens nannte man mich so. Heute dagegen weiß ich, wer den hülflosen Knaben in den Arm seiner todten Mutter legte, wer den menschenfreundlichen Gensdarm zu dessen Rettung aufforderte. Jener Knabe aber bin ich selber, und nur Sie – Sie allein sind im Stande, Auskunft zu ertheilen –«

Weiter gelangte ich nicht. Der Ausdruck, mit welchem Zäuner mich betrachtete, nachdem kurz zuvor es wunderbar in seinen Augen aufleuchtete, erhielt allmählich einen so sprechenden Charakter des Argwohns, des Hasses und der Feindseligkeit, daß meine Zunge erlahmte, ich die Kraft nicht besaß, aus dem Antlitz Will o' the Wisp's, welche sich ängstlich an ihn anschmiegte, neuen Muth zu schöpfen.

»Diejenigen, welche Sie an mich abschickten, sind kluge Leute,« bemerkte er mit einem unsäglich bitteren Lächeln, »gewiß aber suchten sie lange, bevor sie Jemand fanden, welcher sich durch seine Aehnlichkeit mit Verstorbenen zu einem neuen Verrathe an mir eignete. Sie besitzen in der That Augen, aus welchen die Bezeichnung Indigo abgeleitet werden könnte. Recht bedauerlich übrigens, sich in jungen Jahren zu verwerflichen Zwecken mißbrauchen zu lassen - Ihre Augen erinnern mich wirklich an« – und wiederum gehässig lachend, suchte er sich an mir vorbeizudrängen, und wiederum vertrat ich ihm den Weg.

»Herr Zäuner!« rief ich angstvoll aus, denn dieses Zurückstoßen, wo ich auf offene Arme gerechnet hatte, traf mich schwerer und schmerzlicher, als alles bisher Erlebte, »ich bin, gleich Ihnen, ein Opfer der schändlichsten Intriguen gewesen. Wie Sie, so verfolgt man auch mich, und ich errathe die Zwecke dieser Nachstellungen. Hören Sie mich daher; ich beschwöre Sie! Sogar die Beweismittel, welche ich vor Ihnen niederzulegen hoffte, wurden mir hinterlistig geraubt. Nur mein Wort habe ich, das Wort eines ehrlichen Mannes, und auf dieses betheure ich: Nicht geleitet von Andern, sondern nur dem eigenen Herzensdrange folgend, kam ich über den Ocean –«

»Ich bemitleide Sie,« fiel Zäuner geringschätzig lächelnd mir in die Rede, »aufrichtig bemitleide ich Sie, denn ich halte Sie für einen noch unverdorbenen jungen Mann, der ahnungslos, in künstlich hervorgerufener Ueberzeugung sich der ihm mit sträflicher Berechnung anvertrauten Aufträge entledigen möchte. Sie geben sich für meinen Sohn aus,« und schmerzlich zuckte es um seine Lippen, »gut – doch warum verschwende ich Worte? Kommen Sie; tief, wie ich es bedauere – denn Sie mögen unschuldig sein – – ich kann es Ihnen nicht ersparen, Sie über sich selbst und Ihre mächtigen Gönner aufzuklären. Ich errathe: Drüben haben sich Augen geschlossen, und man braucht Jemand, um zweifelhafte Rechte geltend zu machen; und da geeignetere Mittel fehlen, sucht man ein hintergangenes Vaterherz durch neuen Betrug und zu neuem Betruge sich dienstbar zu machen. Ha, sehr geschickt ersonnen und würdig Derjenigen, welche mich sogar in diesem abgeschiedenen Winkel aufzufinden wußten, doch kommen Sie, kommen Sie.«

So sprechend trat er an mir vorbei, und augenscheinlich voraussetzend, daß ich ihm auf dem Fuße nachfolgen würde, schritt er mit beinahe jugendlicher Hast auf die umrankte Hütte zu.

Ich stand da, als wäre ich an den Erdboden festgebannt gewesen. Der unerwartete Schlag hatte mich zu vernichtend getroffen, um mich sogleich wieder emporraffen zu können. Kein Wort vermochte ich zu erwidern. Alle Gründe, welche ich bisher für unbestreitbar, für entscheidend hielt, zerflossen in nichts. Ich wurde an mir selbst irre, staunte und schämte mich zugleich, daß ich mich zu Hoffnungen hatte hinreißen lassen, zu welchen in der peinlichen Lage ich plötzlich mich unberechtigt glaubte. Rathlos, verzweifelnd blickte ich um mich. Will o' the Wisp war bei mir zurückgeblieben, um mich zu ihrem Vater zu führen. Das holde, ungeschulte Naturkind, obwohl durch mein Auftreten befremdet, ahnte meine Empfindungen, fühlte mit dem unfehlbaren Instinkt einer reinen Seele, daß meinem Benehmen weder Falschheit noch Verrath zu Grunde lagen; denn als meine Blicke den ihrigen begegneten, da lächelte sie schüchtern und zugleich ermuthigend, daß es mich wie neues Leben durchströmte.

»Er ist unendlich gut,« entschuldigte sie gleichsam den wenig freundlichen Empfang, »aber seit vielen Jahren in ununterbrochener Zurückgezogenheit lebend, wirkt der Anblick eines Fremden störend auf seine Gemüthsruhe ein. Doch folgen Sie ihm; ich werde auf Sie warten und Sie eine Strecke zurückbegleiten.«

Mit kindlich zutraulichem Wesen reichte sie mir die Hand. Zu antworten vermochte ich nicht; ich war zu tief bewegt. Nur einen langen Blick senkte ich in ihre großen blauen Augen, einen Blick, in welchem sich vielleicht verrieth, wie schmerzlich es mir war, den erhofften verwandtschaftlichen Beziehungen entsagen zu sollen, dann schritt ich langsam der Blockhütte zu.


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