Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

ZWEITES CAPITEL. DIE PROBE.

Grub hatte mich entweder erwartet, oder er war eben im Begriff, auszugehen; denn kein Anderer, als er selber, öffnete die Hausthür. Meine Erscheinung überraschte ihn, trotz der stattgefundenen Veränderung, offenbar nicht. Mich dagegen überraschte der Empfang, welcher mir zu Theil wurde; denn ich machte kaum Miene, den Hut zu ziehen, als Grub mir den Arm hielt und mit dem Ausdruck großer Wichtigkeit zuraunte:

»Herr Indigo,« und er bediente sich der deutschen Sprache, »das Entblößen des Hauptes ist hier zu Lande, namentlich unter Freunden, nicht Sitte. Sie, als Fremder, laufen Gefahr, durch übertriebene Höflichkeit ungünstige Vorurtheile zu erwecken. Ein freundliches Wort, ein herzlicher Händedruck und der Etiquette ist Genüge geschehen. Aber, bei Gott, theuerster Freund, schon an Bord des Schiffes glaubte ich zu entdecken, daß Sie nicht in das unscheinbare Reisecostüm hineingehörten. Meine Nichte fragte nach Ihnen und ist bereit, Sie zu empfangen – doch bevor wir uns dem Genusse behaglicher häuslicher Ruhe hingeben, möchte ich Ihnen vorschlagen – das heißt, nur der Form wegen – nebenan in der Kirche die Orgel zu prüfen, um mit Rücksicht auf Ihre Fertigkeit nach Hause berichten zu können. Sie mögen indessen selbst darüber entscheiden, denn die Sache hat keine Eile.«

»So entscheide ich mich für die sofortige Probe,« antwortete ich höflich, indem wir uns auf dem breiten Flurgange dem Inneren des Hauses zu bewegten, »denn ich sehne mich aus vollster Seele danach, zu erfahren, ob ich im Stande bin, den an mich gestellten Anforderungen zu genügen, oder ob ich mich für heute nur als Ihren dankbaren, mit den Beweisen größter Güte überhäuften Gast betrachten darf.«

»Nur eine Form erfüllen wir,« betheuerte Grub sorglos, »und Sie haben vollkommen recht: Je schneller wir über das zwischen uns bestehende Verhältniß klar werden, um so beruhigender für alle Betheiligten. Pumpkin,« wendete er sich an den neben uns hintretenden Mestizen, »tragt des Mr. Indigo Gepäck auf sein Zimmer – theure Andenken aus der Heimat, welche man nicht gern verliert –,« fügte er, vor dem Mestizen mich gleichsam entschuldigend, hinzu, »und sorgt, daß er Alles so finde, wie er's drüben in der alten Welt bisher gewohnt gewesen. Im Vorbeigehen grüßt meine Nichte von mir und sagt, wir befänden uns in der Kirche. Dasselbe bestellt an den Reverend Cringe.

»Ein feiner Musikkenner, dieser Mr. Cringe,« richtete er seine Worte wieder an mich, sobald Pumpkin in einem Seitengange verschwunden war, »außerdem weiß Niemand besser, als er, daß eine schlechte Predigt durch gute Musik eingeleitet werden und solche im Gefolge haben muß, um dennoch die Kirche bis auf den letzten Platz zu füllen.«

Wir waren in ein geräumiges, mit vornehmer Einfachheit ausgestattetes Eßzimmer getreten. Auf dem Tisch standen eine Anzahl Gläser und mehrere volle Krystallflaschen. Grub füllte zwei Gläser mit stark duftendem, bräunlichen, offenbar sehr schwerem Wein, und mir das eine zuschiebend, hieß er mich willkommen auf amerikanischem Boden. Die Gläser klangen, ein kräftiger Händedruck, und als ich wieder hinaustrat, da bewegte ich mich an der Seite meines fortgesetzt lebhaft erzählenden Begleiters einher, als hätte ich noch nie etwas Anderes, als weiche Teppiche unter meinen Füßen und vergoldete Stuccatur zu meinen Häupten kennen gelernt. Der stark gewürzte Wein rieselte mir wie flüssiges Feuer durch die Adern; ich meinte, die Zeit nicht erwarten zu können, in welcher ich in Stella's Augen freudiges Erstaunen über die in meinem Aeußeren stattgefundene Veränderung entdecken würde.

Aus dem Speisezimmer begaben wir uns in einen schmalen Gang, welcher vor einer kleinen festen Thür endigte. Grub zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete, und wir traten auf einen sehr sauber gepflasterten Hof hinaus. Derselbe, nach der Straße zu von einer sehr hohen Mauer begrenzt, schied das Haus, welches wir eben verlassen hatten, von der Kirche, deren Thurm ich bei meiner Ankunft bemerkte.

Holder Friede umlagerte das schöne Gebäude mit den hohen Bogenfenstern und der einfachen, edlen Architektur. Alles an demselben war vor nicht zu langer Zeit erst aus den Händen der entsprechenden Meister hervorgegangen. Ich gedachte der gewaltigen Jesuitenkirche, in welcher ich einen großen Theil meiner Knabenjahre verträumte. Wie viel freundlicher erschien mir dieses Kirchlein, mit seinen frischrothen Ziegelwänden im Vergleich mit jenem alten Gemäuer, dessen jeder Stein düster von vergangenen Jahrhunderten erzählte. Von der Straße drang dumpf herüber das Rollen der Wagen und Lastkarren. So nahe dem geräuschvollen Verkehr, und doch wie stille, wie einsam und träumerisch nahm sich das Kirchlein aus! Heiter grüne Rasenflächen wechselten anmuthig mit zierlichem Mosaikpflaster ab. Der Thurm schwamm in Sonnenschein. Welchem religiösen Bekenntniß die heilige Stätte geweiht war, ich suchte es nicht zu ergründen. Freundlich und friedlich, wie ihr Aeußeres, konnte nach meiner Ueberzeugung nur die Art der im Innern stattfindenden Gottesverehrung sein.

Als ich meine Aufmerksamkeit Grub wieder zukehrte, begegnete ich seinen, mich mit eigenthümlicher Schärfe beobachtenden Blicken. Dieselben wechselten indessen so schnell ihren Ausdruck, daß ich glaubte, mich getäuscht zu haben.

»Unsere Einrichtungen gefallen Ihnen!« rief er sorglos aus. »Was sollten wir auch mit düsteren, das Gemüth niederdrückenden Mauern und Räumen?« spann er zu meinem Erstaunen meine Gedanken weiter, und die auf dem grünen Rasen umherhüpfenden, mir fremdartigen kleinen Vögel hätten nicht leichtherziger dareinschauen können, als er; »Licht und freie Luft, oder vielmehr Freiheit, das ist es, was erfolgreicher zur Andacht stimmt, als die ewige Klingelei, Räucherei und sonstiger Humbug. Ich bin selbst ein guter Katholik, allein nie würde ich die Schwelle einer Kirche überschreiten, beeinträchtigte ich dadurch das mir inne wohnende Bewußtsein der Freiheit. Freiheit des Handelns, Freiheit des Glaubens, das ist es, was das Selbstvertrauen des Menschen hebt, seinen moralischen Muth stählt. Pah! Laßt doch die Leute in den Kirchen ungeschoren. Die Einen zeigen ihre prachtvollen Roben, die Anderen suchen ihren Genuß in köstlicher Musik, wieder Andere benutzen die Gelegenheit zu einem verstohlenen gesunden Schläfchen, ein großer Theil weiß seine Zeit eben nicht besser zu verwenden – denn die Schänken sind geschlossen –, noch Andere, und in den meisten Fällen die nichtswürdigsten Hypokriten beiderlei Geschlechtes, wollen mit Gewalt für gewissenhafte und fromme Christen gehalten werden, und nur sehr Wenige sind es, welche im Staube knieen und aus tiefster Seele und mit zerknirschtem Herzen zu ihrem Schöpfer stehen. Ja, laßt die Leute ungeschoren; ob Dieser ein Heuchler, Jener ein Atheist, Fatalist oder Pantheist, was kümmert das uns, wenn wir selbst jene Heiterkeit der Seele besitzen, welche uns befähigt, furchtlos, sogar mit freudiger Ruhe unseres letzten Stündleins zu gedenken. Doch wohin gerieth ich?« lachte Grub, als ich bei seinen letzten Worten, wie um mich vor einem Sturz zu bewahren, seine Hand ergriff, »anstatt Ihre Probe abzulegen, stehen Sie hier, um mein Glaubensbekenntniß anzuhören, und zwar in einer Weise, als ob ich darauf ausginge, meine Ansichten zu den Ihrigen zu machen. Hahaha! Ahne ich doch nicht einmal, zu welcher Religion Sie sich bekennen; übrigens entspricht es meinen Grundsätzen, ebenso wenig nach den religiösen Anschauungen Anderer, wie nach dem Inhalte einer nicht für mich bestimmten Flasche zu fragen – doch da kommt der Bälgetreter – Pumpkin hat Alles bedacht; ohne seine Fürsorge sollte es uns schwer geworden sein, der Orgel auch nur den flüsternden Ton einer Aeolsharfe zu entlocken.«

So sprechend kehrte er sich einem jungen Menschen zu, welcher von der andern Seite des Hofes her sich uns näherte und mit einem Bälgetreter, wie ich solche in der Heimat kennen lernte, gerade so viel Aehnlichkeit hatte, wie eine tänzelnde Bachstelze mit einer zerzausten mürrischen Krähe. Doch in den ersten Stunden meiner Anwesenheit auf dem amerikanischen Continente hatte ich schon so viel Wunderbares gehört und gesehen, daß mich kaum noch irgend etwas überraschte. Aber in einer Art von Paroxismus befand ich mich, als wären Grubs Worte eine Hefenmasse gewesen, welche, meinem Geiste beigesellt, diesen in Gährung versetzte, um die gleichartigen Elemente meiner Erfahrungen enger mit einander zu verbinden, andere, zu der sich neu bildenden Ordnung nicht passende auszuscheiden und abzustoßen.

Woher nahm der Mann, welchen ich anfänglich für einen leichtlebigen Geschäftsmann hielt, diese Beredtsamkeit?

Welche Zwecke leiteten ihn und aus welcher Quelle schöpfte er, als er, ohne eine Anregung von meiner Seite, seine Gedanken in Worte kleidete, welche in meinem Innern einen Nachhall erwecken mußten, und in wie weit waren sie der Ausdruck der unverfälschten Wahrheit? Die Leichtigkeit der Sprache flößte mir Mißtrauen ein; im Tone seiner Stimme wie in seinem Wesen vermißte ich jenen überzeugenden Enthusiasmus, durch welchen Fröhlich, der unscheinbare Gelehrte, mich bezauberte und berauschte. Vernünftig, wie seine Betrachtungen lauteten, wurde dennoch durch ein unbeschreibliches Etwas der Verdacht in mir angeregt, als ob er an entsprechender Stelle mit derselben Leichtigkeit gerade das Gegentheil von dem Gesagten behauptet hätte. Und war es denn nur Zufall, daß ich, seitdem der Anker des Emigrantenschiffes in die Tiefe rasselte, keine anderen Gedanken gehabt hatte, als solche, welche von fremden Menschen beeinflußt und gelenkt wurden? Ich wußte nicht, sollte ich dem mit solchen Zufällen spielenden Geschick fluchen oder sollte ich es preisen. Wie durch eine Zauberscheibe hindurch sah ich meinen großmüthigen Gönner und den jugendlichen Bälgetreter, wie sie mit kalter Geschäftsmiene einige kurze Bemerkungen wechselten, worauf Letzterer eine schmale Seitenpforte öffnete und durch dieselbe in der Kirche verschwand.

Eine muntere Melodie vor sich hinsummend, winkte Grub mich an seine Seite; dann folgten wir dem jungen Menschen nach. Aus alter Gewohnheit hatte ich beim Betreten der geweihten Stätte den Hut gezogen. Ich bedeckte mich indessen schnell wieder, sobald ich gewahrte, daß Grub sowohl, wie der vor uns einherschlendernde Bursche die Beobachtung dieser würdigen Form für überflüssig hielten. Ich wollte mich vor ihnen nicht auszeichnen.

»Ein behaglicher Aufenthaltsort,« nahm Grub alsbald das Gespräch wieder auf, wie um mir nicht Zeit zu gönnen, ein eigenes Urtheil zu bilden, »im Vergleich mit den Gotteshäusern drüben auf dem alten Erdtheil erscheint dieses mehr wie ein Empfangssalon; allein dessen Gründer wußten, was sie mit dieser reichen Einfachheit bezweckten. Was für Europa paßt, eignet sich nicht für die hiesigen Verhältnisse; das erwogen sie, indem sie den fortschreitenden Zeiten Rechnung trugen. Die gewaltigen, ich möchte sagen erhabenen Steinhaufen, die umfangreichen Räume mit ihrer düsteren, niederdrückenden Majestät sind mehr auf den Aberglauben vergangener Jahrhunderte berechnet, welcher allerdings noch immer die Kirchen füllt. Hier zu Lande und selbst drüben in gewissen Schichten der Gesellschaft zieht dergleichen indessen nicht mehr. Der Kirchenbesucher muß sich behaglich, heimisch auf seinem geschnitzten, weich gepolsterten und mit seinem vergoldeten Namen geschmückten Betstuhl fühlen, soll er nicht sonntäglich stille Häuslichkeit zum Zweck frommer Beschaulichkeit vorziehen.«

»Aber die Klasse der Menschen, deren Häuslichkeit eine dürftige?« frage ich, indem wir langsam der nach dem Orgelchor hinaufführenden Treppe zuschritten.

Grub lachte, daß es mißtönend in dem Kirchenschiff widerhallte.

»Zweck der Geistlichkeit ist es und muß es sein, sich vor allen Dingen ein gewähltes und reiches Publikum zu verschaffen,« erklärte er in seiner spöttischen Weise, »und das erreicht sie nur, indem sie die Gewohnheiten und Neigungen solcher Leute bemächtigt. Die geringeren und weniger einflußreichen Klassen folgen dann von selbst nach. Oder bezweifeln Sie, daß Menschen, deren Heimat eine elende Baracke, nicht mit Freuden die Gelegenheit willkommen heißen, sich gelegentlich in die Rolle wohlhabenderer Mitbürger hineinzudenken, sich zuweilen in einer Umgebung zu recken und zu dehnen, welche hinsichtlich der äußeren Ausstattung nichts zu wünschen übrig läßt?«

»Werden dadurch die heiligen Stätten nicht profanirt?« fragte ich wiederum, und angenehm berührt schweiften meine Blicke über die eleganten Beichtstühle und den mit dunklem Kattun verhangenen, offenbar sehr kostbar geschmückten Hochalter.

»Wenn es bei diesem nackten Thatbestande bliebe? Ja,« erwiderte Grub bedächtig, »allein wir müssen unseren Gesichtskreis erweitern. Wir Amerikaner sind selbst in kirchlichen Dingen praktisch. Zunächst gehen wir davon aus, die Gotteshäuser zu füllen, und dann erst suchen wir, unseren Zuhörern die geistige Speise mundgerecht zu machen. Ich lese Zweifel in Ihren Zügen und erinnere Sie daher an jenen Pfarrer, welcher, um die von den Meeren hereinkommenden Seeleute anzulocken, die geistlichen Lieder unter Orgelbegleitung nach den Melodien weit und breit bekannter Seemannsweisen absingen ließ. Dadurch füllte er die Bänke bis auf den letzten Platz, und nachdem die geweihten Räume ein Weilchen von dem dröhnenden Gesange der rauhen Kehlen gebebt hatten, fand er die schönste Gelegenheit, die ausgewetterten Theers nach Herzenslust abzukanzeln, so daß ihnen vor Rührung erbsengroße Thränen über die gebräunten Wangen rollten. Halten Sie nun ein solches Verfahren ebenfalls für Entweihung? Oder kennen Sie ein anderes Mittel, durch welches die Ohren der rauhen Gesellen dem Worte Gottes hätten geöffnet werden können?«

»Ihre Mittheilungen folgen zu schnell auf einander, als daß ich sogleich darauf zu antworten vermöchte,« entgegnete ich befangen, »meine Erfahrungen sind zu jung, meine in jüngster Zeit vielfach erschütterten Anschauungen noch nicht hinlänglich geläutert.«

»Vielleicht ein ander Mal mehr über diesen Gegenstand,« fiel Grub heiter ein, »ich vertheidigte überhaupt nur zufällig, daß des Lebens sorgenfreier Vollgenuß die Gemüther besser zur Aufnahme göttlicher Lehren und Uebung religiöser Pflichten vorbereitet, als Elend, Jammer und beständige Furcht vor ewigen Strafen. Doch das Zutreffende dieses Ausspruchs erprobten Sie gewiß oft genug – wenn auch unbewußt – an sich selbst. Oder sollten Sie mit einem von Kummer und Trübsal beschwerten Herzen – und wer bliebe von diesen hinterlistigen Feinden verschont – mit derselben Leichtigkeit und mit demselben Eindruck auf Andere die Tasten der Orgel angeschlagen haben, als wenn heiterer Frühlingssonnenschein Ihre jugendliche Brust erwärmte?«

»Auch darüber muß ich zuvor nachdenken,« antwortete ich zögernd, denn es erschien mir fast, als hätten die frivolen Erläuterungen nur dazu dienen sollen, die von dem alten Fröhlich ausgestreuten Saatkörner ihrer Keimkraft zu berauben und mich demnächst, auf der Flucht vor endlosen, den Geist folternden Zweifeln, meinen früheren Peinigern, dann aber als ein willenloses und daher brauchbares Werkzeug wieder in die Arme zu werfen. »Zuvor muß ich darüber nachdenken,« wiederholte ich besorgt, »legte ich indessen jemals die mich beseelenden Empfindungen unbewußt in mein Spiel, so konnten sie nur melancholisch und deshalb der Gelegenheit um so angemessener wirken.«

»Bedauernswerther!« rief Grub theilnahmvoll aus, »dann haben Sie nie mit leichtem Herzen die Tasten angeschlagen! Sie befanden sich unter dem doppelten Einfluß einer vielleicht wenig freundlichen Lage und der düster erhabenen, an Fegefeuer und Inquisition erinnernden Umgebung! Doch da sind wir,« fügte er hinzu, indem wir von der letzten Treppenstufe auf das Orgelchor traten, »und Sie werden sogleich zeigen, ob der Gedanke an die sich vor Ihnen lichtende Zukunft weniger wirkungsvoll in Ihr Spiel eingreift.«

Ich sah um mich. Wie unten im Schiffe des Gotteshauses herrschte auch hier geschmackvolle Einfachheit. Vor mir stand der Sessel; die Claviatur war geöffnet; durch den weiten Raum, duftend von niedergeschlagenem Weihrauch, lief das geheimnißvolle Aechzen und Stöhnen, mit welchem die sich regenden Bälge den Pfeifen den ersten belebenden Lufthauch zusandten.

Ohne Säumen nahm ich Platz; schnell waren die Register zu einer mir vorschwebenden Melodie geordnet; meine Hände senkten sich auf die Tasten und feierlich brauste der erste Accord durch die stille Kirche.

»Ich werde hinabgehen,« flüsterte Grub mir zu, als hätten die gewaltigen Töne ihn mit Ehrfurcht erfüllt; »hier oben befinde ich mich der Musik zu nahe. Ihre eigenen Phantasieen sollen mir am willkommensten sein – aber schon jetzt darf ich Ihnen Glück zu der ebenso angenehmen, wie einträglichen Stellung wünschen.«

»Also gebunden,« sprach es in meinem Innern, während Grub leise die Treppe hinabstieg, »fest angestellt und nicht mehr in der Lage, die Wohlthätigkeit, nicht einmal mehr die Gefälligkeit Anderer annehmen zu müssen!«

Wie Triumphgesang brauste die volle Musik, um sich bald darauf, wie Grub vorhergesagt hatte, getragen von dem Bewußtsein meiner Unabhängigkeit, gewissermaßen meiner Umgebung anzupassen. Einen Choral spielte ich im Donnerton der tiefsten Octaven; um denselben herum aber tändelten in zarten Noten die letzten Sonnenstrahlen, welche, durch die höchsten Spitzen zweier Bogenfenster hereinfallend, die gewölbte Decke zauberisch schmückten, tändelten die holden Gestalten, mit welchen meine erregte Phantasie die weich und üppig gepolsterten Betstühle belebte, tändelte ein ganzes Fee'nreich, in welches ich plötzlich mich versetzt meinte.

Unten ging eine Thür. Hinabspähend erblickte ich eine verschleierte Frauengestalt, welche mit Grub in einem Seitengange zusammentraf und nach kurzem Flüstern an seiner Seite auf einer im Bereich meiner Augen befindlichen Bank Platz nahm.

»Stella,« sprach es in meinem Herzen; und: »Stella, ich grüße Dich!« suchte ich in die den Choral lebensfrisch umgaukelnde Melodie zu legen; »ich grüße Dich, Du liebliche exotische Blüthe, mit dem süßen, sinnebetäubenden Duft! Ich grüße Deine unergründlichen Augen, Deine rosigen Lippen! In dem Meer der Töne, welche Deinem Ohr schmeicheln, sende ich Dir tausend, tausend Küsse zu!«

Woher ich die Melodien nahm und wie es mir gelang, die Töne in einer mir bisher unbekannten, mich selbst berauschenden Weise zu bemeistern, ich weiß es nicht. Fieberisch flogen meine Pulse; in meinen Adern glühte der feurige Wein, in meiner Seele wirkten die eben vernommenen, seltsam klingenden Erläuterungen. Wie der übersättigte Sardanapal in das Gluthmeer, dazu bestimmt, seinen Geist von allen irdischen Fesseln zu befreien, so blicke ich in die Zukunft. Ich spielte; aber nicht wie daheim mit stillen, kränkelnden Huldigungen, dargebracht todten Madonnenbildern. In Blüthen und Perlen verwandelten sich meine Gedanken unter den rastlos arbeitenden Händen, in Blüthen, Perlen und Edelgestein, um in sich stets erneuernder Fülle in das Schiff hinabgesendet zu werden.

Stella hatte das Haupt geneigt. Sie schien zu verstehen, was ich in den bald klagenden, bald jubelnden, sich leicht an einander schmiegenden Melodien zu ihr sprach; schien zu verstehen, was mich zauberisch durchströmte, was meine Sinne betäubte, wie wenn ich zur süßen Rast mich auf ein Lager gefährlich duftenden Jasmins geworfen hätte.

»Entrückt der Marterkammer des verstümmelnden Jesuitismus, hineinversetzt in ein Leben des Entzückens und des Genusses!« hätte ich jauchzen mögen; »aus dem irdischen Jammerthal hinauf, höher, immer höher hinauf im kühnen Fluge bis über die Wolken!«

Die Blicke folgten der Richtung der Gedanken. Dunkelroth leuchtete die Sonne durch die Bogenfenster; dunkelroth hafteten nur noch schmale Streifen ihres Lichtes an der goldgeschmückten Decke. Aehnlich sah ich das ewige Tagesgestirn früher scheiden: Von der dürftigen Warte im Hause des Antiquars und Hand in Hand mit der armen Sophie, und früher noch, wenn mir von jeder Seite ein liebliches, blondgelocktes Engelsköpfchen zulächelte. Der rothe Schein auf der gewölbten Decke erlosch; vor meiner Seele erstanden ein frisches Haideröschen und eine zarte Lilie.

Ein gewaltiger Mißton schlich sich jäh in den brausenden Choral ein. Nicht mehr Perlen und Edelgestein war es, was ich hinabsandte, sondern bittere, heiße Thränen, welche den mir vorschwebenden trauten Bildern galten, Klagen um theure Gestalten, deren ich wie Gestorbener gedachte, Klagen um meine eigene, unwiederbringlich verlorene Jugend.

Leises Geräusch in meiner Nähe störte mich. Ich sah hinüber und ein neuer Mißton folgte meinem Schrecken. Ein großer bleicher Mann mit schwarzem Haar stand vor mir, mich ernst und nachdenklich betrachtend. In seinen Augen ruhte ein seltsamer Ausdruck erhabener Unfehlbarkeit; um seine Lippen spielte ein halb wohlwollendes, halb berechnendes Lächeln. Ich vergegenwärtigte mir den Director des Convicts und den schwarzen Candidaten. Beide schienen sich zugleich in seiner Person verkörpert zu haben. Unwillkürlich ließ ich meine Blicke an ihm niedergleiten. Erleichtert athmete ich auf: Nicht die mir verhaßte Ordenstracht der Jesuiten umhüllte ihn, sondern der überaus feine Anzug eines vornehmen Beamten. Matt, nur noch mechanisch berührten meine Finger die Tasten.

Da trat der Fremde zu mir heran und sich mir zuneigend, sprach er mit wunderbar wohlklingender und doch strenger Stimme:

»Sie sind ein Meister und liefern den Beweis für meine Behauptung: Weltkindern muß die Ausführung der Kirchenmusik anvertraut werden, soll die freudige Hoffnung auf ewigen himmlischen Frieden in den Gemeinden wach gehalten werden.«

Ein durchdringender Blick aus seinen dunkeln Augen traf mich bis in die Seele hinein; dann schritt er geräuschlos der Treppe zu und gleich darauf sah ich ihn in ernstem Gespräch mit Grub.

Dieser Worte, obwohl kraß widersprechend Allem, was mir mit Rücksicht auf Kirchenmusik bisher gelehrt worden war, hatte es nur bedurft, um die mir vorschwebenden, Wehmuth erzeugenden Bilder zu vernichten, meine lavinenartig anwachsende Eitelkeit bis auf den höchsten Gipfel hinaufzuschwingen.

» O Sanctissima!« brauste und donnerte es, um den von dem fremden Geistlichen gestellten Ansprüchen zu genügen. Das Weltkind aber flocht dazwischen liebliche Waldhornsignale und Volksweisen, dazu geheimnißvollen Unkenruf und einzelne Noten des Gesanges der Nachtigall, ohne zu wissen oder darüber zu grübeln, wie die bisher ihm fremd gebliebenen Variationen unter seinen Händen entstanden. Was ich in Töne kleidete, waren meine Gedanken: Verworrene Melodien und doch treu widerspiegelnd meine Empfindungen. Ich kämpfte gewissermaßen gegen die Erinnerungen, welche aus allen Richtungen auf mich einstürmten; ich spielte, um mich zu betäuben, spielte, bis die abendlichen Schatten jenes, unstäten Phantasieen günstige, geheimnißvolle Zwielicht erzeugten und ich Stella kaum noch zu unterscheiden vermochte.

Da stockten einzelne Töne; andere heulten dumpf auf und erstarben mit einem schweren Seufzer. Der Bälgetreter hatte unaufgefordert die anstrengende Arbeit eingestellt. Augenblicklich zog ich meine Hände von den Tasten zurück.

Solche Laute waren mir nicht fremd; allein durch meine Brust zog es wie ein jäher Schrecken, als hätte ich einen höhnischen Aufschrei der vereinigten Hölle vernommen.

»Ich dächte, es wäre genug für heute!« rief der Bälgetreter von seinem noch höher liegenden Standpunkte nieder.

Häßlich widerhallte seine Stimme in dem umfangreichen Raume. Sie schien zu den letzten Mißtönen der verstummenden Orgel zu gehören, welche ich unabsichtlich erzeugte.

»Genug für heute,« bestätigte Grub von unten herauf.

Glühend vor Erregung begab ich mich in den Seitengang hinab, wo drei Hände sich mir zum Willkommen entgegenstreckten. Die Anerkennungen, welche mir von Grub und dem Reverend Cringe, demselben Herren, welcher mir auf dem Chor die Scheu einflößte, gezollt wurden, beachtete ich kaum. In meiner überschwänglichen Stimmung betrachtete ich sie sogar als einen mir gebührenden Tribut, obwohl bei ruhiger Ueberlegung ich mir hätte eingestehen müssen, daß mein ganzes regelloses Spiel durch die Beigaben einer fieberisch arbeitenden Phantasie kaum den Grad des Mittelmäßigen überschritt und mehr ein tolles Einherrasen auf einem mir fremden Boden genannt zu werden verdiente. Mit um so innigerem Entzücken lauschte ich dagegen Stella's Worten, als sie mir für den ihr gebotenen Genuß dankte und in mir ihren nachsichtigen Lehrer begrüßte.

In meiner Verwirrung vermochte ich nur unbeholfen Entschuldigungen zu stammeln. Aber auch diese wurden mit holdseligem Lächeln entgegengenommen, und immer näher und näher umschwärmte die Mücke die blendende Flamme, näher und näher ohne Berechnung, ohne Besorgniß, mit versengten Schwingen zu elendem, kriechendem Gewürm hinabgesendet zu werden.

Bald darauf reihten wir uns in einem üppig ausgestatteten Zimmer um eine luxuriös besetzte Tafel. Stella hatte an meiner Seite Platz genommen; Grub und Cringe schlossen die Runde. Ein Kronleuchter zu unsern Häupten verbreitete Tageshelle. Krystallflaschen, seltsam geformte Gläser in verschiedenen Farben und schweres Silberzeug blitzten. Speisen, welche ich nicht einmal dem Namen nach kannte, entsendeten einladende Düfte. Dazwischen winkten köstliche Südfrüchte und prächtige Blumen. Um uns herum bewegte sich geräuschlos auf den weichen Teppichen Pumpkin, bald hier bald dort sein braunes Gesicht über den Tisch neigend. Ha, dieser Mestize, wie ich ihn haßte und verachtete; ihn, welcher mich in meiner Dürftigkeit gesehen, sogar die Umwandlung meines Aufzuges aufmerksam geleitet hatte! Was dachte er, während er mich höflich bediente? Verstohlen spähte ich nach seinen Augen; ausdruckslos rollten sie in ihren Höhlen; er schien Alles vergessen zu haben, mich gar nicht zu kennen.

Die Krystallflaschen blitzten, die Gläser klangen; über den Tisch hin aber bewegte sich eine Unterhaltung, in welcher Verstandesschärfe und sprühender Geist die Würze bildeten. Der vornehme Geistliche mit seinen bezaubernden weltmännischen Formen, der lebhafte Weltmann mit seinen lockeren Begriffen von Religion und sie, die exotisch glühende Creolin, die Beiden Recht gab und zugleich die Ansichten Beider bekämpfte, wie flogen ihre heiteren Andeutungen und Wortspiele hinüber und herüber! Das Lachen, gleichviel, ob hell und melodisch, ob herzlich aus männlich voller Brust, ob gehalten in würdevollen Grenzen, wie klang es verlockend und anfeuernd! Wie beseitigte es schnell meine letzte Befangenheit, jenes lähmende Gefühl, als ob ich ein nur geduldetes Mitglied der kleinen Tafelrunde gewesen sei! Der Wein hatte meine Zunge gelöst; ich sprach viel; ob sich in meinen Worten jugendliche Unerfahrenheit offenbarte oder kindische Thorheiten zu Tage traten, woher hätte ich es wissen sollen bei der gütigen Nachsicht, mit welcher man mir begegnete; bei den vertraulichen Aufmunterungen, mit welchen man mir immer wieder den stark gewürzten Wein credenzte? Mir war als schwebte ich auf Wolken ewiger Glückseligkeit, um von dort aus geringschätzig auf eine niedrig geborene Welt hinabzuschauen, als hätte der mir von Stella dargereichte Trunk die Kraft besessen, meine Gedanken in goldene, göttliche Quellen, meine Worte und Bemerkungen in unübertreffliche Weisheitssprüche zu verwandeln.

Die Zeit enteilte im Fluge. Der mich beständig hindernde Mestize war längst verschwunden. Als aber auch Cringe aufbrach, Grub dagegen ihm das Geleite gab, mir anheimstellend, seine Nichte bis zu seiner Heimkehr zu unterhalten, da meinte ich laut aufjauchzen zu müssen vor nie geahntem Entzücken. Mit leidenschaftlichem Gruß stürzte ich ein neues Glas, wie flüssige Granaten funkelnden Weines hinab, dann eilte ich vor den offenen Flügel, um, wie in der Kirche, so auch hier, das in Melodieen zu kleiden, was auszusprechen ich nicht wagte.

Hinauf und hinunter eilten meine Finger über die Tasten des wunderbar klangvollen Instrumentes. Es war wieder ein sinnloses Rasen ohne Wahl, ohne Ausdruck, und dennoch meinte ich, daß ich auf kecke andere Art meine Gedanken hätte verständlicher offenbaren können. Und wilder und kühner wurden diese Gedanken, und geräuschvoller die sie begleitenden Accorde und Läufer unter den Zauberblicken der mich mit einem Gemisch von Wohlgefallen und süßer Trauer beobachtenden südlichen Schönheit. Ich pries ihrer Augen Pracht, die Schwärze ihres Haars und den Purpur ihrer Lippen. Ich verglich sie mit der Gazelle, welche, Anmuth in allen Bewegungen, auf dem heißen Wüstensande mit der neckischen Fata Morgana tändelt. Ich verglich sie mit dem Meteor, das am nächtlichen Himmel seine Feuerlinien zieht, mit dem Monde, welcher dem verirrten späten Wanderer auf dunkelen Pfaden leuchtet, mit der Sonne, welche ihn blendet, seine Adern ausdörrt und sein armes zuckendes Herz versengt und tödtet.

Alles, was ich in früheren Jahren heimlich lustigen Märchenbüchern und Schilderungen orientalischer Pracht entnahm, rief ich herbei, um mir zu helfen, die schöne exotische Blüthe würdig zu beschreiben. Im weiten Ocean, im Gewittersturm wie im stillen Wogen rastloser Fluthen suchte ich nach Eigenschaften, um sie nach besten Kräften in Töne zu kleiden und Stella zu Füßen zu legen. In's Waldesdunkel schlich ich, um den befiederten Sängern ihre lieblichsten Melodien abzulauschen; immer tiefer und tiefer in's Dickicht, wo die Baumwipfel am stolzesten, und der Schatten am kühlsten. Immer tiefer und tiefer – vor mir öffnete sich eine Lichtung; ein Schweizerhäuschen, anmuthig umrankt, schmückte dieselbe; aus dichtem Gebüsch, zwischen Farrnkraut, blühenden Rosen und Lilien hervor lugten blonde Engelsköpfe –

Meine Hände erlahmten, mein Herz stand still. Dann aber rauschte es um mich her, als wären die Schleusen vor einem Ocean fortgezogen worden. Berge von Silberschaum drohten, mich zu begraben. Funken durchkreuzten mein Gehirn, Funken kreuzten sich vor meinen Blicken.

»Stella, Erbarmen!« rief ich, indem ich auf die Kniee sank und die Arme flehentlich emporstreckte; »Stella, ich sterbe! Grausige Nacht umgiebt mich! Rette mich, daß ich nicht unterliege! Hinter mir undurchdringliche Finsterniß, vor mir ein leuchtender Stern! Stella! Erbarmen!«

Meine Stimme erstickte. Geblendet von der Nähe zweier in traurig ersterbendem Feuer glühender Meteore schloß ich die Augen. Warme Lippen legten sich auf die meinigen. In meinen Ohren brausten die Töne einer von den Händen eines Wahnsinnigen gespielten Orgel.

Die Sehkraft erlosch; ich glaubte, die Nähe des Todes zu fühlen, zu hören das Hohnlachen der Verdammten.

»Stella!« versuche ich noch einmal auszurufen, und schwarz legte es sich um meine Sinne.

Das war mein erster Tag auf dem amerikanischen Continente. Wie oft in nächster Zeit wünschte ich, daß es mein letzter gewesen sein möchte!


 << zurück weiter >>