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Ich ging zu der Türe, welche ich aufmachte, und meine Gefährten traten herein, voran der Frater. Er trat sofort auf Jordan zu und sagte:
»Sennor, ich vermute, daß Sie derjenige sind, welchen man hier als Generalissimo bezeichnet. Ich fordere Genugtuung für die schmachvolle Behandlung, welche wir erduldet haben. Ich kenne Ihre Pläne nicht; aber, wie können Sie vom Segen begleitet sein, wenn die Ihrigen als Diebe, Räuber und Mörder auftreten und nicht einmal den Stand achten, dem ich angehöre!«
Jordan betrachtete ihn ernst, beinahe unwillig und antwortete:
»Sie führen eine kühne Sprache, Bruder! Ich habe Ihren Namen gehört und weiß, daß Sie ein mutiger Mann sind; aber allzu viel dürfen Sie denn doch nicht wagen!«
»Ich wage nichts, als daß ich die Wahrheit sage, Sennor. Man hat uns wie Schurken behandelt und in Fesseln hierher geschleppt. Sollen solche Gewalttätigkeiten ungerochen bleiben?«
»Sie sind ja nicht gefesselt!«
»Wir waren es und würden es noch jetzt sein, wenn wir uns nicht selbst davon befreit hätten. Man hat sie uns nur aus Furcht vor den Revolvern dieses unsers Freundes nicht wieder angelegt.«
»Ich werde alles untersuchen, muß Sie aber bitten, Ihren Ton zu mäßigen. Ich achte den Mut, liebe es aber nicht, ihn gegen mich selbst erprobt zu sehen. Mögen Sie oder mag Major Cadera im Rechte sein, in beiden Fällen habe ich Szenen zu rügen, welche man für unmöglich halten sollte. Mitten in meinem Hauptquartiere, umgeben von festen Mauern und vielen hundert Soldaten, wagt es ein einzelner Mann, noch dazu ein Fremder, sich gegen uns aufzulehnen und die höchsten meiner Offiziere mit dem Tode zu bedrohen!«
»Er tat es notgedrungen, weil man ihn ohne alles Recht erschießen wollte!«
»Selbst dann, wenn das Recht auf seiner Seite war, müssen Sie zugeben, daß er eine geradezu verblüffende Verwegenheit entwickelt hat. Wäre es mir nicht von Zeugen erzählt worden, denen ich vollen Glauben schenken muß, so würde ich eine solche Tollkühnheit für unmöglich erklären. Der Mann nimmt am Rio Negro einen Offizier gefangen, welcher über fünfzig bewaffnete Begleiter bei sich hat, und nachdem er ihn entwaffnet und ihm den Säbel zerbrochen hat, holt er ihn am Uruguay abermals aus der Mitte der Soldaten heraus, und nicht nur ihn, sondern außerdem noch vier Gefangene, welche an Bäumen festgebunden waren! Er wird gefangen und gefesselt hierher geschafft, und anstatt von der Gewißheit seines Todes niedergeschmettert zu werden, schlägt er den Major nieder und schreibt, mit den Waffen in der Hand, dem Kommandierenden eine Kapitulation vor, welche geradezu ihres Gleichen sucht! Das ist eine Blamage, von welcher wir uns gar nicht reinigen können.«
»Sennor,« sagte ich, »wollen Sie William Hounters zürnen, daß er seinen für Sie so wichtigen Auftrag einem Manne erteilt hat, auf den er sich verlassen kann?«
»Nein; ich muß ihn vielmehr darum loben. Aber Sie geben doch wohl zu, daß Sie eine Karte gespielt haben, welche jeder andere liegen gelassen hätte?«
»Ich hob sie dennoch auf, da sie die einzige übrig gebliebene war und ich nicht Lust hatte, das Spiel ohne sie aufzugeben. Was wollen Sie, Sennor! Ein Ertrinkender erblickt ein Seil, an welchem er sich aus dem Wasser ziehen kann; es ist die letzte Gelegenheit zu seiner Rettung. Soll er das Seil nicht ergreifen, weil es vielleicht zerreißen kann? Er wäre der größte Dummkopf, den es gäbe! Ich habe es ergriffen, und es ist nicht gerissen.«
»Aber, wenn wir Sie nun wieder in das Wasser zurückstoßen?«
»Das werden Sie nicht tun!«
»Sie sagen das in einem so sichern, selbstbewußten Tone! Vielleicht irren Sie sich.«
»So würde mein Irrtum zum größten Schaden für Sie ausschlagen. Mit wem wollen Sie das betreffende Geschäft abschließen, wenn ich getötet worden bin?«
»Mit Ihnen, natürlich vorher.«
Er warf bei diesen Worten einen lauernden Blick auf mich. Er war neugierig, was ich ihm jetzt antworten werde, denn von dieser meiner Antwort hing alles ab. Zwar war er, als ich mich für den von ihm erwarteten Boten ausgegeben hatte, sofort eines andern Tones beflissen gewesen. Es hatte geklungen, als ob ich von diesem Augenblicke an nichts mehr zu befürchten habe. Aber es fiel mir gar nicht ein, ihm mein Vertrauen zu schenken. Es ging von ihm das Gerücht, daß sein Stiefvater auf seine Veranlassung ermordet worden sei. Ein Mann, welcher seinen eigenen Vater umbringen läßt, ist auch im Stande, sein Wort zu brechen und einen Fremden töten zu lassen, nachdem er denselben ausgenutzt hat. Ich mußte ihm die Überzeugung beibringen, daß dieser Plan, wenn er ihn hegen sollte, nicht auszuführen sei. Darum antwortete ich:
»Sennor, Sie täuschen sich ebenso in mir, wie ich vorher von Ihren Offizieren und Leuten falsch beurteilt worden bin. Es wird Ihnen ganz unmöglich sein, nach Abschluß des Geschäftes Ihre freundlichen Gesinnungen gegen mich fallen zu lassen, denn ich werde Ihnen nicht eher eine Mitteilung machen, als bis Sie sich mit Ihrem Ehrenworte für unsere Sicherheit verbürgt haben.«
»Aber, wenn ich dann mein Wort nicht halte?«
»So haben Sie sich das allgemeine Vertrauen für immer verscherzt, was keineswegs vorteilhaft für Ihre gegenwärtigen Intentionen sein kann. Übrigens bin ich nicht gekommen, um mich in eine Gefahr zu begeben, welcher ich nicht gewachsen bin.«
Er zog die Stirn in Falten, machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte:
»Sie glauben sich also uns und speziell mir gewachsen? Das hat mir noch niemand zu sagen gewagt!«
»Ich aber habe das schon vielen gesagt, und sie sind stets in die Lage gekommen, zu erfahren, daß ich recht hatte. Auch im jetzigen Falle sind meine Vorbereitungen so getroffen, daß ich nichts zu fürchten habe. Ob Sie Ihr Wort halten werden, kann mir sehr gleichgültig sein, denn ich bin in der Lage, Sie zwingen zu können, es zu halten. Dennoch erkläre ich Ihnen, daß ich nur dann über unser Geschäft sprechen werde, wenn Sie uns die Versicherung geben, daß Sie keine Hintergedanken gegen uns hegen.«
»Das kann ich tun,« sagte er unter einem verstecktem Lächeln. »Nehmen Sie also mein Ehrenwort, daß meine Absichten gegen Sie sehr offene sind.«
»Das ist zweideutig; es genügt mir aber. Ich könnte eine bestimmt formulierte Erklärung von Ihnen verlangen, weiß jedoch, daß sie mir auch keine größere Sicherheit bieten würde.«
»So sind wir also so weit, daß wir unser Geschäft vornehmen können.«
»Noch nicht. Ich habe vorher unsere Anklagen gegen den Major Cadera vorzubringen.«
»Das können wir ja für später lassen.«
»Nein; denn von der Art und Weise, wie Sie sein Verhalten beurteilen, hängt die Art und Weise ab, in welcher ich mich meiner Aufträge gegen Sie entledige.«
»Nun gut! Welchen Ausweis aber haben Sie darüber, daß Sie wirklich der Beauftragte der beiden bereits genannten Herren sind?«
»Bitte, mir zu sagen, welche Art von Legitimation Sie von mir verlangen.«
»Eine schriftliche Vollmacht natürlich.«
»Erlauben Sie, Sennor, mich über diese Forderung zu wundern. Ich würde Prügel verdienen, wenn ich eine solche Dummheit begangen hätte. Was würde aus mir und auch aus Ihren Plänen, wenn man ein solches Schriftstück bei mir fände!«
»Sie befinden sich also nicht im Besitze einer Legitimation?«
»O doch; nur ist dieselbe keine schriftliche, sondern eine mündliche. Da ich in die Angelegenheit eingeweiht bin und Ihnen die gewünschte Lieferung machen werde, muß ich der Bevollmächtigte Ihrer Korrespondenten sein. Sollte Ihnen das nicht genügen, so werde ich einen Boten nach Montevideo senden und Sie sind also gezwungen, den definitiven Abschluß des Geschäftes bis zur Rückkehr desselben aufzuschieben.«
»Dazu habe ich weder Lust noch Zeit. Ich bin also bereit, Sie als den Beauftragten anzuerkennen, und sehe der Mitteilung Ihrer Bedingungen entgegen.«
»Dieselben werden Ihnen nicht hier, sondern in Buenos Ayres gemacht werden.«
»Sind Sie des Teufels!« rief er erschrocken. »Gerade dort befinden sich ja meine Feinde! Die dortige Regierung ist es, gegen welche ich kämpfen will. Dort präsidiert Sarmiento, dessen Sturz wir beabsichtigen. Wie also können Sie von dieser Stadt sprechen!«
»Aus zwei Gründen, Sennor. Erstens liegt unsere Ladung, welche für Sie bestimmt ist, dort vor Anker, und zweitens –«
»Dort vor Anker?« unterbrach er mich. »Das soll ich glauben?«
»Warum nicht?«
»Weil es eine Tollkühnheit wäre!«
»Sie haben vorhin bereits von meiner Verwegenheit gesprochen. Warum sollte ich bezüglich des letzten Punktes weniger mutig sein, als sonst? Gerade weil man ein solches Wagnis für unmöglich hält, ist die Ladung dort sicherer, als anderswo. Die Fässer, Ballen und Kisten sind bezüglich ihres Inhaltes als Petroleum, Tabak und Spielwaren deklariert und verzollt worden.«
»Hat man die Kolli nicht untersucht?«
»Nur einige, welche wir den Beamten ganz unauffällig in die Hände spielten und die auch wirklich das enthielten, was wir angegeben hatten.«
»So können Sie von einem großen Glücke sprechen; aber es hieße, dieses Glück versuchen, wenn Sie das Schiff nur einen Augenblick länger, als unbedingt nötig ist, vor Buenos Ayres liegen ließen. Zu welcher Gattung von Schiffen gehört es?«
»Es ist die Barke ›The Wind‹, ein amerikanischer Schnellsegler.«
»Also ein Barkschiff, ohne Raaen am hinteren Maste. Dieses Fahrzeug kann doch im Parana bis wenigstens Rosario gehen?«
»Sogar bis Parana selbst, der Hauptstadt von Entre Rios.«
»So muß es sofort Buenos Ayres verlassen, dessen Hafen ja überhaupt so schlecht ist, daß jeder Pamperosturm den Schiffen mit dem Untergange droht. Ich gebe Ihnen einen am Parana gelegenen Ort an, wo es Anker werfen soll, und Sie senden an den Kapitän einen Boten, welcher ihn davon zu benachrichtigen hat.«
»Das geht nicht an, Sennor!«
»Warum nicht?«
»Weil Sie selbst es uns unmöglich machen, auf diesen Vorschlag einzugehen. Ihr ganzes Verhalten ist der Art, daß ich bei der Vorsicht bleiben muß, mit welcher ich bisher gehandelt habe. Es kann mir nicht einfallen, den ›Wind‹ nach einem Orte segeln oder schleppen zu lassen, welcher zur Provinz Entre Rios gehört, deren Herr Sie vielleicht schon in einigen Tagen sein werden. Wir würden uns damit vollständig in Ihre Hände geben.«
»Das heißt, Sie mißtrauen mir?« brauste er auf.
»Ja, ich mißtraue Ihnen. Sie selbst erwähnten ja die Möglichkeit, daß Sie uns Ihr Wort nicht halten würden. Ich muß also ein Arrangement treffen, durch welches mir die vollständige Sicherheit unserer Personen, unserer Freiheit gewährleistet wird.«
»Sennor, Sie wagen zu viel! Sie rechnen allzu sehr auf meine Nachsicht! Ihre Worte enthalten eine Beleidigung, welche ich nicht auf mir liegen lassen darf.«
»Sie enthalten nichts als die reine Wahrheit, welche sich auf Tatsachen stützt. Da diese Tatsachen von Ihnen ausgegangen sind, so sind Sie selbst es, der Sie beleidigt. Übrigens ist es unmöglich, dem Kapitän einen Boten zu senden, unmöglich und auch überflüssig. Der Kapitän kennt das Verlangen, welches Sie an mich richten, bereits ebenso genau wie ich.«
»Wie ist das möglich?«
»Er befindet sich bei Ihnen und hat Ihre Worte gehört. Da steht er, Kapitän Frick Turnerstick aus New York, welchem Master Hounters die Ladung anvertraut hat.«
Bei diesen Worten deutete ich auf den Genannten, welcher des Spanischen nicht so mächtig war, um meine Worte ganz verstehen zu können. Da er aber seinen Namen hörte und auch sah, daß ich auf ihn zeigte, erkannte er, daß von ihm die Rede sei. Er trat also einen Schritt vor und sagte:
»Yes, Sennoro! Ich bin Kapitäno Fricko Turnerosticko aus Newo Yorko. Meine Barko heißt ›The windo‹, und ich hoffe, das wird genügen!«
Jordan musterte ihn mit einem erstaunten Blicke und sagte dann zu mir:
»Was ist das für eine Sprache? Es scheint Englisch zu sein!«
»Ja, der Kapitän ist des Spanischen nicht mächtig, Sennor.«
»Und da vertraut man ihm eine solche Aufgabe an!«
»Gerade deshalb ist er der Mann dazu. Wenn er der Landessprache nicht mächtig ist, wird man ihm nicht zutrauen, ein Unternehmen zu beginnen, zu dessen Ausführung die Kenntnis der spanischen Sprache unbedingt erforderlich zu sein scheint. Übrigens hat er Leute auf dem Schiffe, deren er sich als Dolmetscher recht wohl bedienen kann, wie zum Beispiel hier den Steuermann, welcher ihn bis hierher begleitet hat.«
»Auch der Steuermann ist da! Zu welchem Zwecke denn?«
»Von einem Zwecke ist da keine Rede. Sie haben nicht zu Ihnen gewollt, sondern gemußt, Sennor.«
»Aber sie hatten Buenos Ayres und das Schiff verlassen. Weshalb?«
»Aus Geschäftsrücksichten. Ich wurde von Master Hounters dem Kapitän als Superkargo mit gegeben. Meine Sendung ging zunächst an Sennor Tupido in Montevideo. Dort stieg ich an das Land, um mich diesem Herrn vorzustellen. Der Kapitän aber segelte nach Buenos Ayres weiter, um dort meine Nachkunft zu erwarten. Bevor diese erfolgte, unternahm er mit dem Steuermanne eine Fahrt auf dem Uruguay, um zu erfahren, ob es da oben vielleicht Handelsgegenstände gebe, welche zur Fracht geeignet seien, nachdem er die jetzige an Sie abgeliefert haben würde. Auf der Rückfahrt, welche auf einem Floße geschah, wurde er von Major Cadera überfallen, und es war der reine Zufall, daß wir andern da mit ihm zusammentrafen.«
»Allerdings sonderbar, Sennor!« sagte er, indem er mich mit einem mißtrauischen Blicke musterte.
»Ja! Sie sehen, daß Ihr Major seine Feindseligkeiten nur gegen solche Personen gerichtet hat, welche gekommen waren, um in Ihrem Vorteile zu handeln, welches natürlich auch das seinige ist. Anstatt als Geschäftsfreunde zu Ihnen kommen zu können und als solche willkommen geheißen zu werden, sind wir als Gefangene hierher geschleppt worden. Ich erwähnte bereits, daß ich mich gezwungen sehe, Genugtuung dafür zu fordern.«
»Die soll Ihnen je nach den Umständen werden.«
»Das ist wiederum zweideutig, Sennor!«
»Weil Sie selbst mir im höchsten Grade zweideutig erscheinen. Was Sie mir sagen und erzählen, kommt mir sehr unwahrscheinlich vor, Sennor!«
»Wirklich? Sie glauben mir nicht? So wird es geraten sein, die jetzige Unterredung zu beenden. Wenn Sie mir ebenso wenig trauen, wie ich Ihnen, kann der Zweck meiner Reise unmöglich erreicht werden. Ich bitte also, uns zu entlassen.«
»Entlassen? Meinen Sie damit, daß ich Ihnen Ihre Freiheit zurückgeben soll? Davon kann auf keinen Fall die Rede sein!«
»Nun, so handeln Sie ganz nach Belieben. Ich bin mit Ihnen fertig!«