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5. Fortsetzung

»Auch den Brief will ich sofort haben!« schrie der Mann jetzt wütend auf.

»Der bezieht sich auf mich, und ich habe das Recht, ihn zu lesen. Erziehen Sie Ihre Kinder anders, daß sie nicht Couverts zerreißen, auf deren festen Verschluß Ihnen so viel anzukommen scheint!«

»Ich werde die Dienerschaft kommen lassen, welche Ihnen den Brief abnehmen und Sie dann hinauswerfen wird!«

»Ihre Leute werden keins von beiden tun, denn ich werde jeden, der mich berührt, sofort niederschlagen. Ich gehe selbst, denn bei so einem Menschen, wie Sie sind, ist meines Bleibens natürlich nicht. Sie haben die Wahl: Entweder Sie sorgen jetzt dafür, daß ich hier den Brief ohne Störung lesen kann, und in diesem Fall erhalten Sie ihn zurück, oder ich gehe sofort, nehme ihn aber mit und mache den Inhalt an den betreffenden Stellen bekannt.«

Ich hatte Grund, diese Bedingung zu stellen, denn es war jetzt die Türe geöffnet worden, und ich sah eine Dame und einen dienstbaren Geist unter derselben stehen. Beide sagten nichts, hielten aber die Augen erstaunt auf uns gerichtet, die wir einander in feindlicher Haltung gegenüber standen.

Tupido sah meine Entschlossenheit. Er winkte den beiden ab und sagte:

»So lesen Sie meinetwegen in drei Teufels Namen! Aber dann verlange ich den Brief zurück und mag nichts mehr mit Ihnen zu schaffen haben!«

Die beiden Zuschauer waren verschwunden. Ich setzte mich behaglich nieder und las:

»Sennor! Soeben wird mir die Zustimmung meines Kompagnons mitgeteilt. Ich sende Ihnen also schleunigst die Kontrakte zur Unterzeichnung, und Sie wollen mir dann beide durch einen sichern Boten zurückschicken, worauf ich Ihnen den einen mit der Ware zustellen werde.

Der Überbringer dieses Schreibens ist ein unwissender und dabei höchst aufgeblasener Deutscher, der keine Ahnung hat, welche wichtigen Papiere er Ihnen überbringt. Sie wissen, daß alle eingewanderten Deutschen gegen Ihre Partei sind, und, obgleich er der Meinung ist, daß dieser Brief ein Empfehlungsschreiben sei, erwarte ich selbstverständlich nicht, daß Sie ihn als Freund empfangen und behandeln.

Ich habe grad ihn als Boten gewählt, weil man bei einem Teutonen, welcher erst heute aus dem Schiffe gestiegen ist, so wichtige Dokumente nicht suchen wird. Hält man ihn dennoch an und findet sie, nun, so gibt man ihm eine Kugel; das ist alles; es fehlt jede Unterschrift; wir können leugnen und werden sagen, daß es sich nur um eine gegen uns geführte Intrige handelt. Es kann Ihnen nicht schwer werden, den Kerl, welcherdümmer ist als er aussieht, wieder los zu werden. Stecken Sie ihn unter Ihre Soldaten; er scheint ein guter Schütze zu sein, und es schadet gar nichts, wenn man ihm zum Besten des Vaterlandes ein wenig Blut abzapft – –«

So ungefähr lautete der Inhalt dieses liebenswürdigen Schreibens, so weit es sich auf mich bezog. Ich stand auf und warf den Brief auf den Tisch.

»Hier haben Sie Ihren Wisch zurück! Vielleicht legen Sie sich eine andere Meinung von mir bei, wenn ich Ihnen sage, daß ich bereits, bevor ich zu Ihnen kam, wußte, daß ich betrogen werden solle. So dumm, wie Sie meinen, sind die Deutschen denn doch nicht. Ich bin vielmehr der Überzeugung, daß sie trotz Ihrer weltbekannten Ehrlichkeit es an Scharfsinn mit jedem südamerikanischen Schuften aufnehmen. Ich kannte Sie, bevor ich Sie sah.«

Er hatte den Brief schnell an sich genommen und eingesteckt.

»Wen meinen Sie mit dem Worte Schuft?« fragte er jetzt, indem er einen Schritt näher trat und mich drohend ansah.

»Beantworten Sie sich diese Frage gefälligst selbst, Sennor!«

»Wissen Sie, was für eine Beleidigung das ist und womit sie beantwortet wird?«

»Unter Ehrenmännern, ja. Da Sie aber kein solcher sind, so habe ich mich um Ihre Antwort gar nicht zu kümmern.«

»Oho! Sie wird Ihnen werden und zwar so gewiß, wie ich jetzt vor Ihnen stehe.«

»Das kann sich nur auf irgend eine Hinterlist beziehen, gegen welche ich mich zu schützen wissen werde. Leute Ihres Schlages fürchtet man nicht. Ein guter, deutscher Fausthieb setzt einen bei jedem feigen Bravo in Respekt. Wagen Sie es, mir irgend welche Unbequemlichkeit oder gar Gefahr zu bereiten, so wende ich mich nicht etwa an die hiesige Polizei, weil mir das zu umständlich sein würde, sondern ich komme direkt zu Ihnen und ohrfeige Sie wie einen Buben, welcher die Tortilla hat verbrennen lassen. Merken Sie sich das! Und nun gute Nacht, hoffentlich für immer!«

Er zog mir eine wütende Grimasse, sagte aber nichts. Ich ließ mir von dem Diener den Gartenausgang öffnen. Bis das geschah, sagte der Mensch nichts. Dann aber, als die Türe offen stand, machte er mir eine tiefe, natürlich höhnische Verbeugung und fragte:

»Wollen Sie gefälligst hier hinausgehen? Sie haben doch nichts eingesteckt? In diesem Falle – –«

Was er in diesem Falle tun wolle, erfuhr ich nicht, denn er erhielt eine so gewaltige Ohrfeige, daß er um fünf oder sechs Schritte fortgeschleudert wurde und dort seine Gestalt, so lang und hager sie war, auf die Erde ausstreckte. Ich vermute, daß er seine in solcher Weise beantwortete Frage nicht so bald wieder an einen Deutschen gerichtet hat. Natürlich fiel es mir nicht ein, mich darum zu bekümmern, wie lange er liegen bleiben werde. Ich zog die Gittertüre hinter mir zu und ging fort, in der Richtung, aus welcher ich gekommen war. Dabei hielt ich mich abermals auf der Mitte der Straße, denn es war nicht unmöglich, daß der Bravo sich noch in dieser Gegend aufhielt, um einen zweiten Versuch gegen mich zu unternehmen.

Ich war noch gar nicht weit gekommen, so hörte ich vor mir eilige Schritte, welche sich mir zu nähern schienen. Es mußten zwei Menschen sein, welche da liefen, und zwar auf der rechten Seite. Ich ging also auf die linke hinüber, wo der Mondschein nicht durch die Wipfel der Bäume drang und es also Schatten gab. Allerdings mußte man, da ich auf der hellen Straße gegangen war, mich schon von weitem gesehen haben.

Jetzt sah ich die erste Person, ein Frauenzimmer, welches so schnell wie möglich lief. Und nun erblickte ich eine männliche Person, welche der ersteren nacheilte, sie jetzt erreichte und die beiden Arme um sie schlang.

»Hilfe, Hilfe!« rief die Überfallene, allerdings mit nicht allzu lauter Stimme. Vielleicht benahm der Schreck ihr das Vermögen, lauter zu rufen.

»Einen Kuß, einen Kuß will ich haben!« hörte ich die Stimme des Menschen. Die beiden rangen mit einander. Ich eilte selbstverständlich zu ihnen hin. Die Bedrängte sah mich kommen.

»Herr, Herr, beschützen Sie mich!« rief sie mir entgegen.

Der Mensch ließ sie augenblicklich los und entfloh in der Richtung nach der Stadt zu. Die also Gerettete ging sehr einfach nach französischer Mode gekleidet und trug anstatt des Hutes einen spanischen Schleier, welcher jetzt verschoben war, auf dem Kopfe. Sie stand gegen den Mond gerichtet, und ich sah ein ganz allerliebstes, junges Mädchengesicht. In der einen Hand hielt sie ein Fläschchen, wie es schien.

»O Sennor,« sagte sie tief aufatmend, »welch ein Glück, daß Sie sich in der Nähe befanden! Ich kann vor Schreck nicht mehr stehen.«

Sie wankte wirklich, und ich unterstützte sie dadurch, daß ich ihren Arm in den meinigen zog.

»Nehmen Sie meine weitere Hilfe an, Sennorita! Es soll Ihnen nichts ferner geschehen.«

Sie hing sich schwer an mich, als ob sie wirklich nicht ohne Unterstützung stehen könne, und seufzte:

»Welch ein Mensch! Er hat mich auf einer großen Strecke verfolgt, und dann konnte ich nicht mehr fliehen.«

»Kannten Sie ihn? Wer war er?«

»Ich sah ihn noch nie.«

»Es scheint für junge Damen gefährlich zu sein, zu dieser Stunde auf der Straße zu gehen. Wußten Sie das nicht?«

»Ich wußte es, aber dennoch mußte ich zur Apotheke, um die Medicina für meine Großmutter zu holen.«

»Und wo wohnen Sie?«

»Gar nicht allzu weit von hier. Aber dennoch fürchte ich mich außerordentlich. Wie leicht kann dieser Mensch wiederkommen!«

»Wenn Sie mir die Erlaubnis erteilen, werde ich Sie zu Ihrer Wohnung begleiten.«

»Wie gütig Sie sind! Ich nehme Ihr Anerbieten so gern an. Darf ich mich weiter auf Ihren Arm stützen?«

»Tun Sie es immerhin!«

Sie sah mir so ehrlich und unbefangen in das Gesicht, und dennoch war es mir, als ob ich der Sache nicht trauen dürfe. Wir waren bis jetzt stehen geblieben, gingen nun aber fort, meiner eigentlichen Richtung wieder entgegengesetzt. Sie blickte so vertrauensvoll zu mir auf und erzählte mir dabei, daß ihre Eltern gestorben seien und sie nun nur noch das gute Großmütterchen habe, welches gar nicht aus dem Lande stamme, sondern aus Deutschland herübergekommen sei.

Es fiel mir auf, daß sie das Wort Deutschland ganz besonders betonte und mich dabei erwartungsvoll anblickte. Ich sagte aber nichts und ließ sie erzählen.

So kamen wir an Tupidos Quinta vorüber, und weiter ging es, bis die Straße eine breite Lücke zeigte, wo es kein Haus und keinen Garten gab. Wir befanden uns auf einer Blöße, die nur mit einigen hohen, stattlichen Ombu-Bäumen bestanden war.

»Dort drüben liegt unser kleines Häuschen,« sagte das Mädchen, über die Lichtung hinüberdeutend.

Ich sah eine im Mondenschein weiß glänzende Hütte, welche vielleicht fünfhundert Schritte entfernt war.

»Darf ich noch weiter mit bis dorthin?« frage ich. »Oder fühlen Sie sich nun sicher?«

»Sicher werde ich mich erst dann fühlen, wenn ich daheim bin.«

»So kommen Sie!«

Wir bogen in die Blöße ein. Doch blieb ich schon nach wenigen Schritten stehen, denn aus dem dunklen Schatten der Ombu-Bäume lösten sich fünf oder sechs Gestalten, deren eine auf uns zukam, während die andern stehen blieben.

»Halt! Keinen Schritt weiter!« gebot ich. »Was treibt ihr hier?«

Auch das Mädchen war erschrocken. Es schmiegte sich fester an mich.

»Was wir hier treiben?« antwortete eine Stimme, welche mir bekannt vorkam. »Wir warten auf Sie, Sennor.«

Ich nahm das Mädchen in den linken Arm, um den rechten zur Verteidigung frei zu bekommen. Ich fühlte, daß mein Schützling zitterte.

»Ich bin – – kennen Sie mich denn wirklich nicht – Mauricio Monteso!«

Er war es wirklich, der Yerbatero; das sah ich, als er jetzt näher trat.

»Sie sind es?« fragte ich verwundert. »Das ist eine Überraschung! Aber ich wiederhole doch meine Frage: Was treiben Sie hier?«

»Das werden Sie sofort erfahren. Wenn Sie Vertrauen zu uns haben, so treten Sie da unter den Baum, wo man uns nicht sehen kann!«

»Warum?«

»Sie werden es dann erfahren. Jetzt gibt es keine Zeit zur Erklärung, denn er wird gleich kommen.«

»Wer?«

»Derjenige, der die Sennorita angefallen hat, nämlich ihr eigener Vater.«

»Ihr Va – – das ist doch nicht möglich!«

»O doch. Bitte, schweigen Sie jetzt, und halten Sie das Mädchen fest, damit sie nicht entfliehen und uns verraten kann!«

Er trat nahe an das Mädchen heran, hielt ihr sein Messer vor das Gesicht und drohte:

»Sennorita, wenn Sie jetzt einen einzigen Schritt tun oder ein einziges Wort sagen, so stoße ich Ihnen diese Klinge in Ihr liebes, kleines, falsches Herzchen. Verlassen Sie sich darauf, daß ich nicht scherze!«

Das Mädchen zuckte zusammen und drängte sich noch fester an mich als vorher. Ich ergriff ihr Handgelenk, daß sie nicht fortkonnte. Auch die andern Männer waren wieder in den Schatten zurückgetreten. Jetzt nahten schnelle Schritte aus der Gegend, aus welcher ich mit dem Mädchen gekommen war. Ein Mann erschien und blieb für eine Sekunde an der Mauerecke des letzten Gartens stehen. Ich erkannte sogleich den Menschen, welcher das Mädchen angefallen hatte.

»Kein Wort!« flüsterte der Yerbatero meiner Begleiterin zu.

Ich sah, daß er ihr das Messer auf die Brust setzte. Sie zitterte am ganzen Leibe und hütete sich, einen Laut von sich zu geben. Der Mann an der Mauerecke legte die Hand über die Augen und sah nach der Hütte hinüber, in welcher das kranke Großmütterchen wohnen sollte. Wir hörten, daß er einige Worte brummte, dann setzte er sich in schnelle Bewegung nach der Hütte zu. Er mußte dabei an den Bäumen vorüber. Kaum hatte er diese erreicht, so warfen sich die Männer auf ihn und rissen ihn zu Boden. Er wollte schreien; aber der Yerbatero kniete ihm auf die Brust und drohte:

»Schweig', sonst ersteche ich dich, Halunke! Deine Komödie gelingt dir dieses Mal nicht. Bindet ihm den Lasso um den Leib und die Arme, und schafft ihn nach der Hütte! Ihr wißt schon, wie.«

Der Mann mußte sich aufrichten, man schnürte ihm den Lasso um und schaffte ihn fort. Nun befand sich nur noch der Yerbatero bei uns beiden.

»Sennorita, haben Sie den Mann gekannt, welcher soeben mit meinen Kameraden verschwunden ist?«

»Ja,« hauchte das erschrockene Mädchen. »Es war mein Vater.«

»Es war auch derselbe, der Sie scheinbar überfiel, um Sie zu küssen?«

Sie schwieg.

»Antworten Sie, sonst fühlen Sie mein Messer! War er es?«

»Ja.«

»Auf wen war denn die Komödie abgesehen?«

Sie senkte den Kopf und sagte nichts.

»Ich will Sie darauf aufmerksam machen, Sennorita, daß ich alles weiß und daß ich Sie nur frage, damit dieser fremde Sennor alles aus Ihrem Munde erfahren möge. Antworten Sie freiwillig und der Wahrheit gemäß, so wird Ihnen nichts geschehen. Verweigern Sie aber die Antwort, so werden Sie mein Messer schmecken!«

»Warum sind Sie so streng mit mir, Sennor?« fragte sie jetzt. »Warum drohen Sie mir mit dem Messer und wohl gar mit dem Tode? Was ich getan habe, ist doch nicht so sehr schlimm!«

»Es ist sehr schlimm, schlimmer als Sie denken und wissen. Ich aber weiß mehr als Sie. Wer wohnt da drüben in der Hütte?«

»Ich, der Vater und die Großmutter.«

»Womit ernährt sich Ihr Vater? Er lebt vom Spiele. Nicht?«

»Ich kann es nicht leugnen.«

»Und eure Hütte ist der Ort, an welchen man die Vögel schleppt, welche man rupfen will. Sie aber sind das Lockvögelchen, welches die Beute in das Netz bringt. Habe ich recht?«

Erst nach einer Weile stieß sie hervor:

»Muß ich nicht dem Vater gehorchen?«

»Leider! Darum bin ich auch nachsichtig mit Ihnen, aber nur so lange, als Sie aufrichtig antworten. Heute sollten Sie den Sennor nach der Hütte bringen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Sie mußten sich in einiger Entfernung von der Quinta des Sennor Tupido aufstellen. Ihr Vater stand bei Ihnen. Es war verabredet worden, daß er Sie überfallen wolle, sobald der Alemano komme. Dieser letztere solle Sie befreien und nach Hause begleiten? Um den Fremden ganz sicher anzulocken, sollten Sie sagen, daß Ihre Großmutter eine Deutsche sei?«

»Ja.«

»Jedenfalls haben Sie das auch getan. Aber, wissen Sie denn, was geschehen sollte, wenn Sie diesen Sennor nach der Hütte gebracht hatten?«

»Man wollte ein Spielchen machen.«

»So sagte man Ihnen; aber man hatte etwas ganz anderes vor. Man wollte ihn ermorden.«

»Santa madonna de la cruz! Das ist nicht wahr!«

Die Entrüstung, mit welcher sie dies sagte, war eine ungeheuchelte; das hörte ich ihrem Tone an.

»Es ist sehr wahr. Man hätte Sie und die Großmutter schlafen geschickt und den Sennor getötet.«

»Mein Vater spielt gern, wie jedermann hier; aber ein Mörder ist er nicht!«


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