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25. Fortsetzung

Es war nicht viel über die Mittagszeit, als wir die Estanzia del Yerbatero erreichten. Dort sprangen wir von den Pferden, übergaben dieselben den Peons und gingen in das Haus. Droben im Empfangszimmer fanden wir einen Herrn, welcher uns fragend entgegenblickte. Seine Züge waren denjenigen des Yerbatero so ähnlich, daß ich in ihm sogleich Sennor Monteso den Haziendero erkannte.

»Willkommen, Sennores!« sagte er, indem er uns musternd betrachtete. »Aus Ihrer ledernen Kleidung, von welcher man mir gesagt hat, muß ich vermuten, daß Sie der deutsche Herr sind, mit welchem mein Bruder fortgeritten ist?«

»Der bin ich,« antwortete ich. »Und dieser Herr ist Frater Hilario. Wo ist denn Ihr Bruder?«

»Er ist doch bei Ihnen,« entgegnete er erstaunt. »Ich kam gestern am Nachmittage von meiner Reise zurück und fand meine Frau in Besorgnis um Sie. Und diese Besorgnis hat sich natürlich bis jetzt gesteigert.«

»Aber er ist doch bereits gestern gegen Abend von dem Rancho nach hier aufgebrochen!«

»Er ist nicht angekommen,« sagte er. »Sollte ihm gar ein Unglück widerfahren sein?«

»Wenn er nicht zurückgekehrt ist, so muß man allerdings auf einen Unfall schließen,« meinte ich betroffen. »Vielleicht haben die Bolamänner ihm wieder aufgelauert und ihn abermals gefangen genommen!«

»Bolamänner? Ah! Da Sie beide gar bis zum gestrigen Abende nicht da waren und man auch von dem Offiziere und seinen Kavalleristen nichts hörte, so zog ich natürlich Erkundigungen ein. Einige meiner Gauchos sagten mir, daß sich eine beträchtliche Reiterschar habe sehen lassen. Über den Zweck der Anwesenheit dieser Leute konnte ich aber nichts erfahren. Sie sind ebenso schnell verschwunden, wie sie gekommen waren.«

»Sie kamen, um mir und Ihrem Bruder aufzulauern. Man nahm uns schon einmal gefangen.«

»Dios! Ist das möglich?«

»Man sollte es freilich für unmöglich halten. Man bemächtigte sich unser so schnell, daß an einen Widerstand gar nicht zu denken war. Übrigens zählten sie über fünfzig Reiter, waren uns also weit überlegen.«

»Sennor, Sie sehen mich im höchsten Grad erstaunt, ja sogar erschrocken. Sie scheinen sich in großer Gefahr befunden zu haben, welche meinen Bruder auch jetzt noch umfängt. Kommen Sie schnell zu meiner Frau! Sie müssen erzählen, was geschehen ist. Die Damen haben so viel und gut von Ihnen gesprochen. Es sollte mir leid tun, wenn mein Haus Ihnen Unheil gebracht hätte.«

»Darüber kann ich Sie beruhigen, Sennor. Ihr Haus und dessen Bewohner tragen nicht Schuld an dem, was geschehen ist. Es ist wohl nur auf meine Person abgesehen gewesen, und Ihr Bruder hat mit leiden müssen, weil er sich bei mir befunden hat.«

»So kommen Sie schnell, damit wir erfahren, was sich ereignet hat!«

Er führte uns zu den Damen, welche natürlich eben solche Besorgnis zeigten, als sie hörten, daß der Yerbatero sich eigentlich längst hier befinden müsse.

Ich erzählte, was geschehen war, und man folgte meinem Berichte mit dem allergrößten Interesse. Man konnte nur zweierlei vermuten. Entweder war er von den Bolamännern wieder ergriffen worden, oder es lag ein anderweitiger Unfall vor. Ich neigte mich der ersteren Ansicht zu, während der Frater die letztere verteidigte.

»Die Kavalleristen sind über den Fluß hinüber, wie wir uns überzeugt haben. Das hätten sie nicht getan, wenn sie noch einen Streich beabsichtigt hätten,« sagte er.

»Sie haben uns nur täuschen wollen,« entgegnete ich. »Wären sie am diesseitigen Ufer geblieben, so hätten wir erraten, daß es uns gelte, und der Yerbatero wäre vorsichtiger gewesen. Als sie sahen, daß wir uns wirklich täuschen ließen, daß wir sie nicht weiter beobachteten, kehrten sie über den Fluß zurück und legten sich in den Hinterhalt.«

»Aber Sie geben doch zu, daß es eigentlich nur auf Sie abgesehen gewesen ist! Was haben sie also mit dem Yerbatero zu schaffen?«

»Sie glaubten natürlich, daß ich mich bei ihm befinden werde. Der Hinterhalt war einmal gelegt, und so mußten sie sich mit dem halben Erfolge zufrieden geben.«

»Wollen Sie wohl die Güte haben, mir diese Leute einmal zu beschreiben!« forderte mich der Estanziero auf. »Sie haben das bisher unterlassen.«

Ich folgte seiner Aufforderung.

»Von einem Major haben Sie erzählt,« fuhr er fort. »Konnten Sie den Namen desselben nicht erfahren?«

»Ja. Habe ich denselben noch nicht genannt? Dieser famose Offizier hieß Cadera.«

»Cadera! Da weiß ich nun freilich, woran ich bin. Dieser Cadera ist ein gefürchteter Parteigänger, welcher bereits einige Male über den Fluß herüber gekommen ist, um sich Pferde zu holen. Gestern erfuhr ich auf meiner Reise, daß er sich wieder diesseits der Grenze befinde und daß man nach ihm fahndet. Er ist es gewesen und kein anderer!«

»Das habe ich ihm in das Gesicht gesagt,« meinte der Bruder. »Er bestritt es aber.«

»Hätten Sie den Menschen nicht freigelassen!«

»So hätte auch Ihr Bruder gefangen bleiben müssen!«

»Sie haben ihn doch wieder ergriffen. Übrigens, solange sich Cadera in Ihrer Gewalt befand, konnten seine Leute meinem Bruder nichts Böses tun. Jetzt befindet er sich aber wieder in ihren Händen, ohne daß wir den Major als Geißel besitzen.«

»Welch ein Unglück!« klagte die Sennora. »Sie werden ihn töten.«

»Das befürchte ich nicht,« tröstete der Estanziero. »Entweder zwingen sie ihn, in ihren Reihen Soldat zu werden, nur aus reiner Bosheit, oder sie fordern ihm für seine Freiheit eine Summe Geldes ab.«

»Ich glaube das letztere,« stimmte der Frater bei. »Töten werden sie ihn nicht. Und ein widerwilliger Soldat bringt mehr Schaden als Nutzen. Das werden sie sich wohl sagen. Wie ich höre, ist der Yerbatero reich. Auch sie wissen das. Der Lieutenant hat es hier erfahren. Darum glaube ich, daß sie eine bedeutende Summe von ihm fordern werden.«

»Erpressung, Räuberei! Ich werde auf der Stelle nach Montevideo reisen, damit unsere Regierung sofort in Buenos Ayres vorstellig werde!«

»Meinen Sie nicht, daß dies ein für Ihren Bruder gefährlicher Schritt sein wird?« fragte ich ihn. »Ehe Sie nach Montevideo kommen, von dort aus die Reklamation nach Buenos Ayres geht und dann nach langen Nachforschungen die Schuldigen gefunden werden, haben die Bolamänner längst ihre Absichten erreicht. Bedenken Sie, was Ihr Bruder indessen zu leiden haben würde.«

»Das ist wahr. Sie meinen also, wir folgen den Bolaleuten nach?«

»Ja. Wir verfolgen sie so lange, bis sich uns die Gelegenheit bietet, ihn zu befreien. Ob durch Güte, List oder Gewalt, das werden die Umstände ergeben.«

»Ich kann Ihnen freilich nicht unrecht geben. Lassen Sie uns also sofort aufbrechen. Ich werde allen meinen Gauchos, welche abkommen können, Befehl erteilen, schleunigst sich zu rüsten!«

Er wollte fort.

»Halt, Sennor!« hielt ich ihn zurück. »Noch sind wir nicht soweit.«

»Aber wir dürfen doch keinen Augenblick verlieren!«

»Das ist richtig; aber zunächst ist das Überlegen weit notwendiger, als das Reiten. Wir müssen wissen, was wir wollen, und dürfen dabei weder zuviel, noch zuwenig tun. Beabsichtigen Sie etwa, selbst mitzureiten?«

»Welche Frage! Ganz natürlich!«

»Aber Ihre Anwesenheit ist hier wohl nötig? Sind Ihre Damen einverstanden?«

Beide erklärten, daß es seine Pflicht sei, den Bruder zu retten. Sie sagten sich zwar, daß mit diesem Unternehmen vielleicht Gefahren verbunden seien, und darum ließen sie ihn nur widerstrebend fort, aber die Pflicht stehe doch höher als die Rücksicht auf die gehegten Befürchtungen.

»Sie sehen, daß es nun gar nichts weiter zu überlegen gibt,« sagte der Estanziero. »Wir reiten eben, und zwar sofort.«

»Noch nicht. Wir müssen uns anders als zu einem gewöhnlichen Ritte ausrüsten. Wir dürfen uns nicht wegen der Nahrung aufzuhalten haben, müssen also einen Speisevorrat mitnehmen, welcher für mehrere Tage ausreicht und die besten Pferde.«

»Dafür wird schleunigst gesorgt werden.«

»Viel Geld, um Ihren Bruder loszukaufen, im Falle es nicht gelingt, ihn auf andere Weise zu befreien.«

»Ich werde mich mit demselben versehen. Nun aber sind wir fertig, und ich will den Gauchos sagen, daß – –«

»Bitte!« unterbrach ich ihn. »Haben Sie Gauchos, welche die Grenze kennen?«

»Nein.«

»So können wir sie nicht gebrauchen. Je mehr Leute wir mitnehmen, desto schwieriger wird unsere Aufgabe. Fünfzig bringen wir doch nicht zusammen, und so viele müßten wir doch haben, um den Bolamännern gleichzählig zu sein und sie offen anpacken zu können. Da dieses letztere nicht möglich ist, so sind wir auf List angewiesen. Sind wir zahlreich, so werden wir leicht bemerkt. Darum, je weniger Leute, desto besser.«

»Ich gebe Ihnen vollständig recht,« sagte der Frater. »Gewalt möchte ich vermeiden. Blut soll nicht fließen. Wenige, aber tüchtige Männer werden mehr erreichen, als eine große Schar, welche die Aufmerksamkeit auf uns lenkt.«

»Sie sagen: auf uns lenkt?« fragte ihn der Estanziero. »Sie drücken sich so aus, als ob Sie sich uns anschließen wollten?«

»Jawohl reite ich mit!«

»Aber, bedenken Sie! So ein anstrengender und sogar gefährlicher Ritt und Ihr Stand –«

»Hindert mich der, ein guter Reiter zu sein?«

»Nein, gewiß nicht. Aber vielleicht müssen wir kämpfen!«

»Nun gut, so kämpfen wir!«

Der Estanziero trat einen Schritt zurück und sah dem Bruder erstaunt in das Gesicht.

»Kämpfen? Sie selbst auch?« fragte er.

»Wer verbietet es mir? Soll ein Laienbruder, wenn er angegriffen wird, sein Leben nicht verteidigen dürfen? Soll er sich der Vergewaltigung und Überlistung anderer nicht kräftig wehren dürfen?«

»Auf diese Fragen verstehe ich nicht zu antworten, Sennor. So wie Sie, gerade so würde der berühmte Frater Jaguar sich aussprechen.«

»Kennen Sie diesen?«

»Gesehen habe ich ihn noch nicht, desto mehr aber von ihm gehört. Er gehört eigentlich zu den Mönchen von Tucuman, befindet sich aber stets auf Reisen. Er geht zu den Indianern des Urwaldes, der Pampa und der Cordillera. Er fürchtet keine Gefahr; er greift den Jaguar mit dem Messer an und flieht vor keinem Bravomanne. Man fürchtet ihn, obgleich er kein Blut vergießt, denn er steht jedem Bedrängten bei und besitzt eine ungeheure Körperkraft, die ihres Gleichen sucht. Haben Sie, der Sie sein Kollege sind, noch nichts von ihm gehört?«

Der Frater antwortete lächelnd:

»Nur von Leuten, welche ihn noch nicht gesehen haben. Diejenigen, welche ihn kennen, pflegen zu mir nicht von ihm zu sprechen.«

»Sennor, sollte ich vielleicht ahnen, daß Sie selbst der Bruder Jaguar sind?«

»Ich bin es allerdings, den man so zu nennen pflegt.«

»Dann sind Sie mir zehnfach willkommen und dann glaube ich auch gern, daß Sie sich uns anschließen wollen.«

»Ich reite nicht etwa mit aus purer Kampfes- oder Abenteuerlust, Sennor. Ihr Bruder will mit diesem Sennor und seinen Yerbateros nach dem Gran Chaco. Da ich dort auch zu tun habe, bat ich um die Genehmigung, mich anschließen zu dürfen. Sie wurde mir erteilt, und so habe ich mich als den Gefährten und Kameraden Ihres Bruders anzusehen und bin ihm zu Beistand verpflichtet. Töten werde ich keinen seiner Widersacher, denn Menschenblut, selbst das des ärgsten Feindes, darf meine Hände nicht beschmutzen; aber ich kenne den Grenzfluß genau und glaube also, Ihnen gute Dienste leisten zu können.«

»Ich danke Ihnen von Herzen. Übrigens müssen wir auch mit dem Umstande rechnen, daß mein Bruder sich gar nicht bei den Bolamännern befindet, sondern unterwegs einen Unfall erlitten hat. Er kann vom Pferde gestürzt sein und nun auf einem Rancho liegen.«

Er hatte dies kaum gesagt, als ein Peon meldete, daß ein Reiter unten im Hofe sei, welcher mit dem Sennor sprechen wolle.

»Wer ist er?« fragte Monteso.

»Einer von den Kavalleristen, welche mit dem Lieutenant hier waren, um Pferde zu kaufen.«

»Führe ihn hierher!«

Wir blickten einander erstaunt an. Dieser Major Cadera sandte uns einen Boten! Zu welchem Zwecke?

»Jetzt werden wir hören, was geschehen ist!« sagte der Estanziero. »Ich bin im höchsten Grade gespannt darauf.«

»Ich würde Ihnen sehr dankbar für die Erlaubnis sein, an Ihrer Stelle mit ihm verhandeln zu dürfen,« sagte ich.

»Warum? Glauben Sie, daß mir das Geschick dazu fehlen würde?«

»O nein. Sie kennen ja die hiesigen Verhältnisse weit besser als ich; aber Sie sind der Bruder des Yerbatero, um den es sich handelt, und darum denke ich, daß ein anderer die Angelegenheit weit mehr objektiv in die Hand nehmen würde.«

»Sie mögen recht haben. Sprechen Sie an meiner Stelle mit dem Manne!«

Der Kerl kam herein. Es war einer der beiden, welche ich vor der Laube im Garten belauscht hatte. Jedenfalls war er der Ansicht gewesen, nur den Estanziero zu treffen. Als er den Frater und mich erblickte, nahm sein Gesicht einen weniger selbstbewußten Ausdruck an.

»Was wollen Sie?« fragte ich ihn.

»Von Ihnen nichts,« antwortete er trotzig. »Ich habe allein mit Sennor Monteso zu sprechen.«

»Er hat mich beauftragt, Sie an seiner Stelle zu empfangen.«

»So geben Sie ihm diesen Brief!«

Er zog ein Couvert aus der Tasche und reichte es mir. Der Name des Estanziero war mit Tinte darauf geschrieben. Ich reichte es dem letzteren hin. Er sah die Schrift und sagte:

»Von meinem Bruder. Ich kenne seine Schrift.«

Er öffnete das Couvert, las es und erbleichte. Er zog einen Bleistift aus der Tasche, schrieb eine kurze Bemerkung dazu und gab dann den Brief mir und dem Frater zu lesen. Der Inhalt lautete:

»Mein Bruder! Ich bin abermals in die Hände derjenigen gefallen, denen wir entgangen waren. Unterwegs trafen wir dann zufälliger und unglücklicher Weise auf José, welcher Santa Fe eher verlassen hat, als wir dachten. Auch er ist ergriffen worden. Sende durch den Überbringer dieses Briefes sofort 10,000 Bolivianos, mit denen ich ein ausgezeichnetes Geschäft machen kann, wenn sie zeitig genug eintreffen. Kommen sie zu spät, so bringst du uns und dich in großen Kummer. Vertraue dem Boten und frage ihn nicht aus. Lege ihm auch nichts in den Weg, denn dadurch würdest du uns in eine sehr üble Lage bringen. Es ist ihm sehr streng verboten worden, euch ein Wort zu sagen. Dein Bruder Mauricio.«

Unter diese Zeilen hatte der Estanziero geschrieben:

»Das von Josés Gefangennahme dürfen meine Damen nicht erfahren; sie würden erschrecken.«

Das war sehr richtig. Damit die Sennora den Brief nicht in die Hand bekommen oder von ihrem Manne fordern könne, steckte ich ihn in meine Tasche.


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