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15. Fortsetzung

Als ich da aufstand und nach dem Waschen die Stube verlassen und also den Riegel zurückschieben wollte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß derselbe bereits zurückgeschoben war.

Ich wußte ganz genau, daß ich ihn am Abende vorgeschoben hatte. Ebenso genau wußte ich, daß ich ihn dann, als ich aus dem Traume erwachte und eine Gestalt zu erblicken meinte, nicht geöffnet hatte. Wie kam es, daß er jetzt offen war?

Ich durchsuchte das Zimmer, fand aber keine Spur, welche angedeutet hätte, daß sich jemand bei mir befunden habe. Von meinen Kleidern und Sachen, von dem Inhalte meiner Taschen war nichts abhanden gekommen. Auch die Waffen befanden sich im besten Zustande. Auf der Diele sah ich einen roten, seidenen Faden liegen. Er war ganz kurz abgerissen und vierfach genommen, als hätte er sich in einer Nähnadel mit starkem Öhr befunden und sei nach dem Nähen abgerissen worden.

Hatte dieses Fadenende schon gestern hier gelegen? Wahrscheinlich! Gewiß kam doch kein Dieb in meine Stube, um mir einen Faden herzulegen. Ich hatte wohl dennoch in der Nacht den Riegel zurückgeschoben, um die Türe zu öffnen und hinauszusehen. In der Schlaftrunkenheit hatte ich dann vergessen, wieder zu schließen. Auf diese Weise war die Erklärung sehr einfach.

Mochte dem sein, wie ihm wolle, ich beruhigte mich, da mir gar nichts abhanden gekommen war, und begab mich in das Speisezimmer, wo die Familie bereits bei der Schokolade saß.

Nach Beendigung des Frühstückes entfernte sich die Dame, und die beiden Herren ergriffen die Gelegenheit, das gestrige Thema wieder zur Sprache zu bringen. Sie schienen überzeugt zu sein, daß ich mich nun eines Bessern besonnen habe, mußten aber von mir das Gegenteil erfahren. Sie ergingen sich in allen möglichen Vorstellungen und Zureden, welche aber keinen Eindruck auf mich machten. Es war mir sehr gleichgültig, wer heute oder morgen oder übers Jahr Präsident der Banda Oriental sein werde, und es fiel mir gar nicht ein, mich aus Rücksichten für fremde politische Meinungen in Gefahr zu begeben.

Die Enttäuschung der beiden war groß. Ihre Gesichter verfinsterten sich, und ihr Benehmen wurde gemessener.

»Nun, da Sie partout nicht wollen, zwingen können wir Sie nicht,« sagte Rixio endlich fast zornig. »Hoffentlich aber werden Sie wenigstens Ihr Wort halten und den Inhalt unsers Gesprächs bis auf weiteres keinem unserer Gegner mitteilen?«

»Ich werde überhaupt zu keinem Menschen davon sprechen.«

»Wie lange gedenken Sie hier im Lande zu verweilen?«

»Ich reite quer durch dasselbe, und zwar voraussichtlich ohne jeden Aufenthalt. Sie kennen die Entfernungen besser als ich und werden also wissen, daß ich in wenigen Tagen die Grenze hinter mir haben werde.«

»Das ist gut für Sie. Ihre Ähnlichkeit kann Ihnen sehr leicht große Fatalitäten bereiten, nachdem Sie die Vorteile, welche wir Ihnen boten, zurückgewiesen haben. Darum rate ich Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, sich nirgends zu verweilen.«

»Diesem freundlichen Rat werde ich so eilig nachkommen, daß ich denselben schon auf meinen hiesigen Aufenthalt in Anwendung bringe. Ich werde sofort aufbrechen.«

Er hatte zuletzt in fast gehässigem Tone gesprochen. Das verdroß mich natürlich. Darum wendete ich mich kurz ab nach der Türe.

»Bitte, Sennor,« rief er mir nach. »So war es nicht gemeint. Mein Haus steht Ihnen zur Verfügung, so lange Sie es wünschen. Übrigens war es doch bestimmt, daß mein Sohn mit Ihnen reiten werde.«

»So sehr ich mich auf die Gesellschaft des Herrn Rittmeisters freue, muß ich denselben bitten, sich mit dem Aufbruche zu beeilen. In einer halben Stunde liegt San José hinter mir.«

»So schnell kann ich nicht,« erklärte der Offizier. »Es hat sich herausgestellt, daß ich erst am Nachmittage fort kann.«

Das war nur ein Vorwand. Ich sagte, daß ich so lange nicht warten könne, und begab mich in den Stall, um mein Pferd selbst zu satteln. Dann verabschiedete ich mich von der Familie, von welcher der so herzlich aufgenommene Fremde sehr kalt entlassen wurde. Wie es gewöhnlich zu sein pflegt, war die Höhe der Trinkgelder, welche ich zu geben hatte, größer als der Wert des Genossenen.

Im Posthause fand ich die Yerbateros meiner wartend. Monteso benachrichtigte mich gleich bei meinem Eintritte:

»Sennor, Sie haben recht gehabt: Der Polizeikommissar ist nicht nach Montevideo geritten. Gestern abend lungerte er draußen auf dem Hofe herum; als er mich sah, machte er sich schleunigst von dannen. Er führt irgend etwas im Schilde.«

»Wir müssen vorsichtig sein. Wie weit reiten wir heute?«

»Nach Perdido, einer Station für die Diligence, aber mit allen möglichen Bequemlichkeiten ausgestattet.«

»Sie haben dem angeblichen Polizisten natürlich unsere Reiseroute mitgeteilt?«

»Ja.«

»Das ist nun leider nicht zu ändern.«

»O doch ist es zu ändern. Wir bleiben an einem andern Orte.«

»Hm! Dieser Vorschlag ist nicht übel, doch läßt sich auch einiges gegen denselben einwenden. Sie sagen, Perdido sei nur Station, also ein einzelnes, freistehendes Gebäude?«

»Es liegt in einer weiten Ebene. Man hat von da einen bedeutenden Fernblick.«

»So ist es besser, dort zu bleiben. Wir wissen, daß dieser Mensch kommen werde, und können also unsere Maßregeln treffen. Wir sehen ihn wohl sogar kommen. Nehmen wir aber anderswo Quartier, so haben wir keine solche Sicherheit.«

»Ich stimme Ihnen bei. Wann brechen wir auf, Sennor?«

»So bald wie möglich, am allerliebsten gleich.«

»Das kann geschehen. Wir sind fertig und haben hier gar nichts mehr zu suchen.«

Sogar die Pferde der Yerbateros standen schon gesattelt. Fünf Minuten später hatten wir die Stadt hinter uns, in welcher ich der ersten südamerikanischen Tertullia beigewohnt hatte.

Über die Gegend, durch welche wir kamen, läßt sich nur das bereits Gesagte wiederholen. Sie bleibt sich durch ganz Uruguay gleich: sanfte Bodenwellen mit Vertiefungen dazwischen, schmale, tief eingeschnittene Bäche oder kleine Flüsse, welche dem Rio Negro zustreben, Camposgras und wieder Camposgras – es ist die Einförmigkeit im vollsten Sinne des Wortes.

Kurz nach Mittag sahen wir ein ziemlich großes Gebäude vor uns liegen, ein Posthaus mit Schenke und Kramladen, das an einem Flüßchen lag. Weit über dieser Station draußen sahen wir einen Reiter, welcher im Galoppe nach Westen ritt und also von dem Hause kam, bei welchem wir anhalten wollten.

Dort angekommen, erkundigte ich mich nach dem Reiter. Er hatte mehrere Stunden lang vor dem Hause gesessen und war dann, als er uns kommen sah, in den Sattel gestiegen und davongeritten. Die Beschreibung, welcher der Wirt lieferte, stimmte ganz genau. Es war Mateo, der frühere Kaufmannslehrling. Eine Stunde hinter dieser Station kamen wir an die Cuchilla grande, den bereits erwähnten Gebirgszug. Aber von Bergen war auch hier keine Rede. Auf unbedeutenden Bodenerhebungen standen einzelne Felsen, welche den Überresten einer zerfallenen Mauer glichen. Das war das Gebirge.

Als wir es durchkreuzt hatten, gab es wieder die vorige wellenförmige Ebene, deren Grasfläche zuweilen von einem ausgedehnten Distelfelde unterbrochen wurde. Die Disteln hatten mehr als Manneshöhe. Sie verbreiten sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit und nehmen den Bewohnern des Landes nach und nach die besten Weideflächen weg. Zwischen ihnen verbirgt sich allerlei Getier. Ich hörte, daß es sogar Hirschen und Straußen zum Aufenthaltsorte diene, konnte aber keins dieser Tiere erblicken. So ging es fort bis gegen Abend. Die Pferde der Yerbateros begannen zu ermüden. Sie mußten durch Peitsche und Sporen angetrieben werden. Mein Brauner aber hielt vortrefflich aus.

Als die Sonne im Westen verschwinden wollte, erreichten wir unser heutiges Ziel. Es lag am Rio Perdido und führte denselben Namen. Das Gebäude bestand aus Wänden von festgerammter Erde und war mit Schilf gedeckt. Eine alte Magd und zwei Peons waren zur Stelle. Wir erfuhren, daß der Besitzer in Mercedes abwesend sei und erst morgen wiederkomme.

Die Station liegt in sehr einsamer Gegend, dennoch wurden uns gute Betten und ein ebenso gutes und auch billiges Abendessen geboten.

Die Einsamkeit pflegt den Menschen wortkarg zu machen. Den beiden Peons hätte man jede Silbe abkaufen mögen. Die Magd war gesprächiger. Ich erkundigte mich, ob im Laufe des Nachmittags ein Reiter hier eingekehrt sei. Als die Peons diese Frage hörten, verließen sie die Stube. Ich sah ihren Gesichtern an, daß sie diese Frage erwartet hatten, aber von der Beantwortung derselben nichts wissen wollten. Die Magd hielt mir stand, aber mit sichtlichem Widerwillen. Sie verneinte meine Frage, doch sah ich ihr an, daß sie mich belog.

»Sennorita, wollen Sie einem Caballero, der sich so offen an Sie wendet, eine Unwahrheit sagen?« fragte ich. »Sie haben so ein gutes, ehrliches Gesicht. Ich denke nicht, daß Sie es über das Herz bringen werden, mich zu täuschen.«

Ich hatte sie trotz ihres Alters Sennorita, also Fräulein genannt. Dazu kam der zutrauliche Ton, in welchem ich sprach. Sie konnte nicht widerstehen.

»Ja, Sennor, Sie haben das Aussehen eines Caballero,« sagte sie; »aber ich bin gewarnt worden.«

»Von wem?«

»Von eben dem Reiter, nach welchem Sie sich erkundigen.«

»Was hat er gesagt?«

»Das darf ich nicht verraten.«

»So tut es mir leid, daß Sie zu einem Bösewichte mehr Vertrauen haben als zu einem ehrlichen Menschen.«

Ihr Gesicht wurde immer verlegener.

»Mein Gott!« stieß sie hervor. »Dieser Reiter hat auch gesagt, daß er ein ehrlicher Mann sei, Sie aber ein böser Mensch.«

»Das ist Lüge.«

»Er vertraute uns sogar an, daß er ein Kriminalbeamter aus der Stadt Montevideo sei.«

»Weshalb reiste er?«

»Er wollte Ihnen voraus nach Mercedes, damit Sie dort sogleich bei Ihrer Ankunft arretiert werden können.«

»Hat er Ihnen gesagt, was ich begangen haben soll?«

»Ja. Sie sind ein Aufrührer und Verschwörer, der das Land in Unglück bringen will«

»Sie haben ihm das natürlich geglaubt. Glauben Sie es denn auch jetzt noch, nachdem Sie mich gesehen haben, Sennorita?«

»O, Sennor, Sie haben gar nicht das Aussehen eines Mannes, welcher so nach Blut trachtet.«

»Nicht wahr? Ich bin ein ganz und gar friedfertig gesinnter Mensch. Ich bin gar nicht hier im Lande geboren, und ich bekümmere mich auch nicht um die Verhältnisse desselben. Ich trachte nach nichts, als nach einem guten Bette, in welchem ich diese Nacht ruhig zu schlafen vermag.«

»Aber das will er nicht. Ich soll Sie nicht im Hause aufnehmen, und sobald die Polizei befiehlt, muß ich gehorchen.«

»Nun, Sennorita, so sehr streng gehorsam sind Sie doch nicht gewesen. Sie haben mir die Betten gezeigt und uns in Ihrer Freundlichkeit ein gutes Abendessen versprochen?«

»Ja,« lachte sie gezwungen, »konnte ich denn anders. Sie fragten gar so höflich. Sie nannten mich Sennorita, was hier niemand tut, und Sie haben so ein – ein – ein – Wesen wie ein echter Caballero. Es war mir ganz unmöglich, Sie abzuweisen und draußen im Freien schlafen zu lassen.«

»Also hatte Ihnen dieser Mann befohlen, es so einzurichten, daß wir unter dem freien Himmel schlafen müßten.«

»Ja, das befahl er mir.«

»Er ist ein großer Lügner, Sennorita. Er ist gar nicht ein Kriminalkommissar, sondern ein Spitzbube, welchen wir arretieren lassen könnten, anstatt er uns. Wollen Sie etwa die Verbündete eines solchen Menschen machen?«

»Das fällt mir gar nicht ein. Wenn es so ist, wie Sie sagen, Sennor, so soll er sich ja nicht wieder bei uns sehen lassen. Es würde ihm schlecht ergehen, denn wir verstehen keinen Spaß. Ich glaube Ihren Worten, und gerade weil dieser Kerl uns vor Ihnen gewarnt hat, sollen Sie auf das allerbeste bedient werden. Ich verlasse Sie jetzt, um das Abendmahl zu bereiten, mit welchem Sie hoffentlich zufrieden sein werden.«

Mateo hatte gewünscht, wir sollten im Freien schlafen; das mußte einen Grund haben. Es war ein milder, wunderschöner Abend. Kein Lüftchen regte sich. Die Yerbateros erklärten, daß es ihnen bei solchem Wetter nicht einfallen könne, im Hause zu schlafen. Ich warnte sie, doch vergeblich. Als wir gegessen hatten, und zwar verhältnismäßig sehr gut, wickelten sie sich in ihre Decken und legten sich unter ein Strohdach nieder, welches zu irgend einem Zwecke auf vier Pfählen neben dem Hause errichtet war. Ihre Pferde ließen sie frei weiden.

Da ich Mateo nicht traute, so brachte ich meinen Braunen in den Korral, welcher mit einer hohen, dichten und stacheligen Kaktushecke umgeben war. Die Magd bewies mir eine ganz besondere Aufmerksamkeit dadurch, daß sie einen Hund zu dem Pferde in den Korral sperrte. Sie versicherte, derselbe werde einen Heidenskandal machen, falls ein Fremder es wagen sollte, sich zu dem Pferde zu schleichen.

Das Haus hatte ein ziemlich plattes Schilfdach. Ein Teil desselben war so fest gestützt, daß man darauf stehen konnte. Zu dieser Stelle führte neben meiner Zimmertüre eine schmale Stiege empor. Man hatte diese Vorrichtung angebracht, um von da oben aus möglichst weit nach Reisenden und wohl auch nach den Herden ausblicken zu können.

Der heutige Ritt hatte mich nicht ermüdet; ich hatte dem Abendessen sehr fleißig zugesprochen und fühlte in Folge dessen noch keine Lust, zu schlafen. Darum wanderte ich draußen ein Stück am Ufer des Flusses hin. Glühende Leuchtkäfer irrten um das Gesträuch; große Nachtfalter huschten mir am Gesicht vorüber; unsichtbare Blumen dufteten; die Luft war so balsamisch, so erquickend, und über mir gab es die Sterne des Südens. Ich kam nach und nach in jene Stimmung, welche der Dichter Träumerei nennt, der Laie als Duselei bezeichnet. So spazierte ich weiter und weiter. Endlich kehrte ich doch um, und als ich das Haus erreichte, mochte ich wohl an die zwei Stunden abwesend gewesen sein.

Ich ging leise nach dem Strohdache, unter welchem die Gefährten schliefen. Wenn sie noch wach waren, mußten sie mich kommen sehen. Der Mond stand auf der andern Seite, und der Schatten des Hauses fiel auf das Schutzdach. Es war also verhältnismäßig dunkel. Dennoch glaubte ich, als ich näher trat, eine Gestalt zu sehen, welche bei meiner Annäherung unter dem Dache hervorhuschte und hinter dem Hause verschwand. Ich eilte derselben schnell nach.

Als ich um die Ecke gebogen war, stand ich im vollen Mondesscheine. Eine freie, hell beleuchtete Fläche lag, wohl hundert Schritte breit, zwischen dem Hause und einem dichten Distelcamp, welcher von dort aus nach Osten lag. Von dem Augenblicke, an welchem ich die Gestalt zu erblicken meinte, bis jetzt konnte kein Mensch diese Strecke durchschritten haben. Vielleicht war der Mann schnell am Hause entlang und um die nächste Ecke geflohen. Ich folgte ihm dorthin, sah aber auch da nichts. Ich eilte zweimal um das Gebäude, ohne die Spur eines Menschen zu sehen. Dann ging ich unter das Dach.

Die Yerbateros schliefen fest. Monteso lag ein wenig abseits von den andern und blies den Atem in lauten Stößen von sich. Sollte ich sie wecken? Nein. Ich hatte mich wohl getäuscht. Ihre Gewehre lagen neben ihnen. Ein Dieb hätte wohl zuerst nach denselben gegriffen. Daß sie noch da waren, galt mir als Beweis, daß niemand hier gewesen sei. Ich ging also leise wieder fort, in das Haus, dessen bisher unverriegelte Türe ich hinter mir verschloß.

Schon wollte ich, in meiner Stube angekommen, die Kleider ablegen, da kam mir der Gedanke, doch lieber erst einmal auf das Dach zu steigen und Umschau zu halten. Bei der Schärfe meiner Augen war es doch wohl möglich, daß ich mich nicht geirrt hatte. Ich nahm mein Fernrohr mit. Es konnte mir nützlich sein, da der Mond alles erleuchtete.

Oben angekommen, hütete ich mich wohl, mich aufrecht auf das Dach zu stellen. Ich hätte von unten gesehen werden müssen. Ich legte mich vielmehr nieder und hielt nach allen Richtungen Ausguck. Nichts, gar nichts Verdächtiges war zu sehen.

Nun nahm ich das Rohr an das Auge und suchte die Umgebung ab. Das Bild, welches die Gläser mir lieferten, war nicht scharf. Dennoch kam es mir vor, als ob an der linken Seite des erwähnten Distelcamps sich eine Gestalt befände, welche zuweilen eine Bewegung machte. Ich zog das Glas weiter aus, und richtig, dort stand ein Pferd. Wo ein Pferd steht, muß auch ein Reiter sein. Die Tiere, welche zu dem Hause gehörten, standen im Korral. Die Pferde der Yerbateros weideten auf der andern Seite des Hauses. Das Pferd, welches ich sah, gehörte also einem Fremden.

Ich stieg hinab und verließ das Haus, um das Pferd aufzusuchen. Ich erreichte es, ohne einen Menschen gesehen zu haben, und erkannte es sogleich als Mateos Gaul. Um ihm das Entkommen unmöglich zu machen, stieg ich auf und ritt in einem kleinen Bogen nach dem Flusse, wo ich wieder aus dem Sattel sprang und die Zügel an einen Busch befestigte.

Er hatte gewünscht, wir sollten im Freien schlafen; er war von mir vorhin bei den Yerbateros gestört worden. Jedenfalls befand er sich wieder dort. Darum schlich ich mich zum Hause zurück, doch so, daß ich von dort aus nicht gesehen werden konnte. An der Seite angelangt, lugte ich um die Ecke. Ja, dort bei Monteso kniete einer, der sich eben jetzt erhob, um den Ort zu verlassen. Ich sprang vor und auf ihn zu. Er sah mich und rannte fort.

»Ein Dieb, ein Dieb! Steht auf, wacht auf!« rief ich und schoß hinter dem Kerl her.

Er rannte auf den Distelcamp zu und um die Ecke desselben. Dort blieb er erschrocken halten, da er sein Pferd nicht sah, nur einige Augenblicke lang, aber das war für mich genug, ihn zu erreichen und beim Kragen zu fassen. Er riß sein Messer aus dem Gürtel, um nach mir zu stechen; ich schlug ihn auf den Arm, daß er es fallen ließ und schleuderte ihn zu Boden. Hinter uns ertönten die Stimmen der Yerbateros.

»Hierher!« rief ich ihnen zu, indem ich auf dem Kerl kniete und ihm beide Hände hielt, damit er nicht nach Schießwaffen greifen könne. Sie kamen herbeigerannt.

»Was ist's? Was gibt's? Ein Dieb? Wer ist's?« so frugen sie durch einander.

»Der Kriminal-Kommissar ist's,« antwortete ich. »Er war bei Ihnen unter dem Dache und muß Monteso bestohlen haben.«

»Mich?« meinte der Yerbatero. »Das soll ihm schlecht bekommen. Ist er es denn wirklich?«

Er bückte sich nieder, um ihm in das Gesicht zu sehen.

»Ja, wirklich, er ist es. Da liegt sein Messer. Nehmt ihm die Feuerwaffen ab! Dann führen wir ihn in das Haus.«

Die Bewohner des letzteren hatten unsere Rufe gehört. Sie wunderten sich nicht wenig, als wir den Polizeibeamten brachten. Dieser hatte bis jetzt noch keinen Laut von sich gegeben, machte ein sehr trotziges Gesicht und ließ ein höhnisches Lächeln sehen. Er hörte ruhig zu, als ich erzählte, wie ich ihn schon einmal bemerkt und mich dann seines Pferdes und auch seiner selbst bemächtigt habe.

»Also ein Dieb!« sagte Monteso. »Das wird ihm so einhundert Lassohiebe einbringen. Kerl, was fällt dir ein, mich zu bestehlen?«

»Schweigen Sie!« gebot jetzt Mateo. »Wie kann es jemanden einfallen, mich für einen Dieb zu halten!«

»Brausen Sie nicht auf!« antwortete ich ihm. »Ich habe Sie gleich im ersten Augenblicke durchschaut. Sie sind ein Schwindler, aber kein Polizeibeamter. Warum folgen Sie uns? Was haben Sie bei diesem Sennor zu suchen, während er schläft? Auf eine Dieberei ist es abgesehen.«

»Ich und ein Dieb! Beweisen Sie es doch!«

»Der Beweis wird wohl nicht schwer zu führen sein. Die Sennors mögen einmal nachsuchen, was ihnen fehlt.«

»Ja, sie mögen suchen. Und wenn ich sie bestohlen habe, so dürfen Sie mich getrost und sofort aufknüpfen!«

Die Yerbateros leerten alle ihre Taschen. Es fehlte ihnen nichts, nicht der geringste Gegenstand. Sie gingen hinaus, um auch die Satteltaschen zu untersuchen. Als sie zurückkehrten, meldeten sie, daß alles noch vorhanden sei.

»Nun, bin ich ein Dieb?« fragte Mateo triumphierend.

»Jedenfalls habe ich Sie gestört, bevor Sie die Sachen nehmen konnten, auf welche es abgesehen war,« antwortete ich.

»Dummheit! Was kann man einem Yerbatero stehlen! Der Dieb, welcher sich an solche Leute machte, müßte ein Dummkopf sein!«

»Nun, was haben Sie denn sonst bei ihnen zu suchen?«

»Das möchten Sie wohl gern wissen! Sie sind doch sonst so klug und weise! Warum fehlt es Ihnen denn jetzt an dem nötigen Verstande zur Beantwortung dieser Frage?«

»Sennor, keine Beleidigung! Sobald Sie es nochmals an der Höflichkeit, welche ich gewöhnt bin, mangeln lassen, schlage ich Ihnen die Hand in das Gesicht, daß Ihnen alle Sterne vor den Augen flimmern! Sie haben irgendeine Absicht mit uns, und diese Absicht wollen wir jetzt kennen lernen.«

Er setzte sich auf den Stuhl, welcher in seiner Nähe stand, musterte mich hohnlächelnd vom Kopfe bis zu den Füßen herab und sagte dann:

»Nun wohl, ich will es Ihnen sagen. Aber jeder andere an Ihrer Stelle würde das für ganz unnötig halten. Was ich bin, das wissen Sie. Ich bin Kriminal-Kommissar.«

»Das glaube ich nicht!«

»Ob Sie es glauben oder nicht, das bleibt sich sehr gleich.«

»Beweisen Sie es!«

»Ich werde es beweisen, sobald ich das für nötig halte. Sie aber sind der Mann nicht, welcher diesen Beweis von mir fordern darf. Ich habe mich nur vor der Behörde zu legitimieren, nicht aber vor Ihnen.«

»So lassen Sie uns ungeschoren.«

»Das geht nicht!« lachte er. »Weil Sie uns verdächtig sind.«

»Ah! Jedenfalls kommen Sie mir bedeutend verdächtiger vor, als ich Ihnen.«

»Mag sein! Es wird sich ja zeigen, auf wessen Seite das Recht ist. Also Sie haben den Verdacht der Behörde auf sich geladen, und ich erhielt die Weisung, mich Ihnen anzuschließen, um Sie zu beobachten.«

»Pah! Sie beobachten mich, um mich eines Vergehens, wohl gar eines Verbrechens zu überführen, und geben sich dabei für einen Kriminalbeamten aus! Das würde eine ganz unbegreifliche Dummheit von Ihnen sein!«

»Nun, man begeht zuweilen in ganz überlegter Weise sogenannte Dummheiten, welche von ausgezeichnetem Erfolge sind!«

»An Ihrem jetzigen Erfolge zweifle ich sehr. Sie verfolgen uns oder vielmehr mich. Das ist mir unbequem. Ich muß Sie jetzt zwar laufen lassen, aber sobald Sie meinen Weg nochmals kreuzen, übergebe ich Sie der Polizei.«

»Die wird sehr glücklich sein, in mir einen ihrer Oberbeamten kennen zu lernen. Sie haben mich von sich gewiesen; ich kann also nicht mehr mit Ihnen reiten; darum bin ich Ihnen heimlich gefolgt und habe mich, als ich vorhin Leute draußen liegen sah, überzeugt, ob es diejenigen Personen sind, auf welche ich es abgesehen habe. Ich schlich mich also hin, um in das Gesicht der Leute zu sehen. Wollen Sie mich aus diesem Grunde zur Anzeige bringen, so habe ich nichts dagegen. Jetzt aber bitte ich mir mein Pferd aus. Ich muß weiter!«

Ich wies ihm alles an und sagte: »Machen Sie sich schleunigst aus dem Staube! Später könnte ich auf die Idee kommen, Sie nicht so leichten Kaufes loszugeben.«

»Nun, wenn ich Sie einmal in den Händen habe, so werden Sie überhaupt gar nicht wieder loskommen. Das schwöre ich Ihnen zu!«

»Hinaus! Fort!« fuhr ich ihn an.

Er riß den Gürtel samt dessen Inhalt vom Tische fort und eilte hinaus. Wir gingen ihm nach. Wir sahen, daß er sein Messer holte und dann nach dem Flusse ging. Einige Augenblicke später sahen wir ihn davonreiten.


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