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»Bitte, Herr Steinbach, bleiben Sie mal hier stehen. Ich habe erst noch ein Wort mit einem Tungusen zu sprechen; dann führe ich Sie weiter.«
Er ließ Steinbach zurück und ging, aber nicht zu einem Tungusen, sondern nach dem Zelte des Fürsten. Dort saßen Alle wieder beisammen. Sie erwarteten seine Rückkehr.
»Ist es gut abgelaufen?« fragte Karparla.
»Ja,« antwortete er. »Zugleich bringe ich eine Neuigkeit mit.«
»So sage sie.«
»Sie ist blos ganz allein für Gökala.«
Die Genannte stand auf, trat auf ihn zu und sagte:
»Für mich? Ist es etwas Schlimmes?«
»O nein, sondern im Gegentheile etwas sehr Gutes.«
»Theile es mir mit!«
»Hier nicht.«
»Wo denn?«
»Im Zelte, in welchem Sie wohnen.«
»Warum das?«
»Weil wir da ganz, ganz allein sein müssen.«
»Das sind wir auch, wenn wir uns hinaus vor dieses Zelt begeben.«
»Nein. Es muß unbedingt in dem Zelte sein, welches ich bezeichnet habe.«
»Sam,« lächelte sie, »wenn ich nicht ein so großes Vertrauen zu Dir hätte, würde ich Dir jetzt mißtrauen.«
»Damit würdest Du die allergrößte Sünde Deines Lebens begehen.«
»Nun, ich weiß, daß Du niemals Etwas ohne triftigen Grund thust. Ich will Dir also Deinen Wunsch erfüllen.«
»Schön! Ist Licht dort?«
»Ja. Es brennt eine Lampe.«
Sie gingen nach dem kleinen Frauenzelt, welches neben dem großen Zelte des Fürsten lag, und traten dort ein. Es war aus Rennthierfell und inwendig mit schneeweißem Zeuge gefüttert. Ueber einander gelegte Teppiche bildeten zwei Ruhestätten. Von der Spitze hing an einer messingenen Kette eine brennende Oellampe herab.
Als Beide eingetreten waren, sagte Sam:
»Es will nämlich eine Tungusin heimlich mit Ihnen sprechen; darum führte ich Sie hierher. Darf ich sie holen?«
Er nannte Gökala Sie, wenn er deutsch und Du, wenn er russisch mit ihr sprach, je nach der Sitte des betreffenden Landes.
»Ist diese Unterredung denn so nothwendig?« fragte sie.
»Ja.«
»So bringen Sie sie mir.«
Er trat hinaus und eilte zu Steinbach.
»Kommen Sie!« sagte er.
»Du warst recht lange.«
»Ich traf den Kerl nicht gleich an.«
Er führte Steinbach bis an das große Zelt, trat dort allein ein sagte zu Jim und Tim:
»Steinbach ist nämlich da. Ich führe ihn zu Gökala. Beide haben keine Ahnung, daß sie sich jetzt sehen werden.«
Und zu Karparla sagte er:
»Hat Dir Gökala gesagt, daß sie ihr Herz einem Manne geschenkt hat?«
»Ja.«
»Dieser Mann steht jetzt draußen. Gökala wird ihn sehen.«
Alle eilten an den Eingang des Zeltes. Sam aber war schnell hinaus und sagte zu Steinbach:
»Der Fürst will sie allein empfangen. Er ist hier in diesem kleinen Zelte. Bitte, treten Sie also ein!«
Steinbach's hohe, majestätische Gestalt wurde von dem brennenden Feuer hell beleuchtet. Auch sein Gesicht war ganz deutlich zu erkennen. Karparla legte die Hände erstaunt zusammen und ließ einen halb unterdrückten Laut der Bewunderung hören. Sie sagte zu Sam, als Steinbach dann in das Frauenzelt getreten war:
»Welch ein schöner, imposanter Mann. Hat er Gökala lieb?«
»Ja, von ganzem Herzen.«
»Aber sie war doch so unglücklich! Warum hat er sich nicht bestrebt, sie glücklich zu machen?«
»Sie wurde ihm entrissen, und er hat sie lange, lange Zeit vergeblich gesucht. Nun aber findet er sie und wird keinen Augenblick mehr von ihr weichen.«
Das war so seine persönliche Ansicht, und er hatte damit auch wirklich das Richtige getroffen.
Steinbach hatte sich bücken müssen, um in das Innere des Zeltes zu gelangen. Er erwartete natürlich, den Fürsten der Tungusen zu sehen. Darum war er einigermaßen verwundert, als er bemerkte, daß sich nur eine weibliche Person in dem Zelte befand.
Gökala hatte sich niedergelassen. Bei seinem Eintritte erhob sie sich. Sie erkannte ihn auf der Stelle. Sie wollte sprechen; sie wollte ihrem freudigen Schrecke einen Ausdruck geben, aber sie vermochte nicht, auch nur einen einzigen Laut hervorzubringen. Wie eine Bildsäule stand sie da. Nichts bewegte sich an ihr, selbst die Augen nicht, deren Blick starr auf ihn gerichtet war.
Und er? Auch er erkannte sie sofort. Er griff mit beiden Händen nach seinem Herzen. Es war ihm, als ob dasselbe stille stehen wolle, gelähmt von der unendlichen Größe des Entzückens, welches ihn durchbebte.
»Gö–ka–la!« hauchte er.
Er konnte nicht laut sprechen. Er hatte den lieben, süßen Namen laut hinaus schreien wollen vor Freude; aber die Stimme versagte ihm. Nur leise und abgerissen kamen die drei kleinen Sylben über seine Lippen. Er trat einen Schritt – zwei Schritte auf sie zu, erhob die Arme und fragte, kurz und hörbar athmend:
»Ists möglich! Du – Du – Du – –!«
Da wich der Bann von ihr. Sie bewegte sich. Sie erhob ebenso die Arme wie er. Sie that einen Schritt auf ihn zu, mit vorgebeugtem Oberkörper, als ob sie sich in seine Arme werfen wolle, aber doch hielt der freudige Schreck ihren Fuß gefangen.
»Os–Os–Os–!«
Sie wollte seinen Namen Oscar rufen, doch brachte sie nur die erste Sylbe desselben hervor.
So standen sie einander gegenüber mit strahlenden Augen und leuchtenden Angesichtern. Endlich riß Steinbach sich von der Stelle los, an welcher sein Fuß wie festgebannt gewesen war und preßte die Heißgeliebte, längst Gesuchte an sein Herz.
»Gökala, mein Leben, meine Seligkeit!« jauchzte er auf. »Ists denn wahr, ists wahr, ists überhaupt möglich?«
Sie wollte antworten, konnte aber nicht. Sie brach in ein lautes, krampfhaftes Schluchzen aus, untermischt mit Lauten und einzelnen Sylben, welche nicht zu verstehen waren.
»Sei still, sei still, meine Gökala!« bat er. »Sprich nicht, sondern weine nur, weine Dich recht aus!«
So standen sie nun eng umschlungen, Brust an Brust, ohne ein Wort zu wechseln, eine lange, lange Zeit. Gökala schluchzte zum Erbarmen. Ihre ganze Gestalt erbebte. Und auch Steinbach weinte still, so daß ihm die Thränen immer über die Wangen rannen und sich mit den ihrigen vereinten.
All das Herzeleid, welches das schöne Mädchen bisher im Stillen ertragen, aller Kummer und Gram, den sie tief in ihre Seele verschlossen hatte, das ganze Elend, welches sie, ohne es zu zeigen, gefühlt und erduldet hatte, es stieg jetzt, in diesem Augenblicke empor um sich in den rinnenden Thränen den endlichen Ausweg zu suchen.
Nach und nach aber milderte sich der Ausbruch dieser Empfindungen. Das Schluchzen wurde leiser und leiser; das convulsivische Athmen beruhigte sich, und dann hing sie still und bewegungslos in seinen starken Armen, als ob mit den heißen Thränen nicht nur ihr Schmerz, sondern auch ihr Leben entflohen sei.
Aber das Leben war nicht dahin, denn er fühlte die magische Wärme, welche von ihrem schönen Körper zu ihm überfluthete, und das langsame, tiefe Wogen ihres herrlichen Busens, der sich an ihn schmiegte.
»Gökala, meine einzige Gökala, bist Du nun ruhiger geworden?« fragte er in einem unbeschreiblich liebevollen Tone.
»Ja,« antwortete sie leise.
»So wollen wir uns niedersetzen und uns mittheilen, was unsere Herzen einander zu sagen haben. Komm!«
Er entließ sie aus seiner Umarmung. Sie setzte sich, aber ohne dabei seine Hand los zu lassen, und er nahm neben ihr Platz.
»Es ist mir, als befände ich mich in einem tiefen, beglückenden Traume,« sagte er »Das Herz treibt mir das Blut empor, ich sehe Dich wie durch einen Nebel, und Deine Stimme klingt an mein Ohr wie aus seiner weiten Ferne. Meine ganze Seele ist so voller Seligkeit und mein Empfinden ist ein ganz überirdisches. Fast möchte ich glauben, daß ich mich gar nicht mehr auf der Erde befinde.«
Sie legte ihren Kopf an seine Brust, legte ihre beiden Arme um ihn und antwortete:
»Auch mir ist es so; ich fühle ganz dasselbe. Ich möchte fragen, ob ich der Erde entrückt und zum Himmel emporgetragen worden sei. Es ist mir, wie es mir noch nie im ganzen Leben gewesen ist. Ich möchte nachforschen, ob ich Flügel erhalten habe und aus all dem Jammer emporsteige in Regionen, in denen nur das Glück und die höchste Wonne ihre Wogen schlagen.«
»Ja, so ist es,« stimmte er bei. »Ich bin der Welt entrückt und befinde mich in ganz anderen Sphären. Es liegt Alles, Alles hinter mir. Nur Eins habe ich, Eins, und das bist Du!«
Er preßte sie an sich. Ihre Lippen fanden sich, und ihre Seelen verschmolzen in einem langen, langen Kusse. Dann nahm er ihr Köpfchen zwischen beide Hände, hielt es von sich ab und sagte, glücklich lächelnd:
»Gökala, bist Du es denn auch? Bist Du es wirklich? Irre ich mich nicht?«
»Es ist kein Irrthum. Ich bin es,« nickte sie, selig lächelnd.
»Fast kann ich es nicht glauben.«
»Ich auch kaum.«
»Dieser böse, böse, wunderliche Sam!«
»Sam? Was ists mit ihm?«
»Er hat mich ganz entsetzlich betrogen,« lachte er.
»Betrogen? Er? Das sollte man ihm gar nicht zutrauen.«
»Warum?«
»Er hat ein so aufrichtiges Gesicht, ein so treues, ehrliches Auge.«
»Ja, das hat er. Und doch ist er ein ganz gewaltiger Betrüger und Filou.«
»Inwiefern?«
»Er hat mir verschwiegen, wen ich hier finden werde.«
»Mir freilich auch.«
»Er sagte, daß der Fürst der Tungusen mich hier sprechen wolle.«
»Mich hat er durch eine ebensolche Unwahrheit hierher gelockt.«
»Und nun zürnest Du ihm wohl dafür?«
»Zürnen? O nein! Wie sollte ich! Er hat ja nur beabsichtigt, uns Beiden eine so große, glückliche Ueberraschung zu bereiten.«
»Ja, das war seine Absicht, und sie ist ihm vortrefflich gelungen. Nicht, meine Gökala?«
»Vielleicht besser, als er es erwartet hatte. Ist er ein Diener von Dir?«
»Nein, sondern ein Freund.«
»Wer ist er denn eigentlich?«
»Er ist nur ein einfacher Mann, ein geborener Deutscher, welcher später in Amerika Prairiejäger wurde. Er hat mit mir gekämpft, mich durch manches gefährliche Abenteuer begleitet, und ich verdanke ihm mein Leben mehr als nur ein einziges Mal.«
»Und mir ist er erschienen wie ein sehr bedeutender Charakter –«
»Der ist er auch.«
»Ich meine, wie ein hoch gestellter Mann, welcher incognito nach hier gekommen ist.«
»Hm! Eigentlich ist er auch wirklich im Incognito hier, ebenso wie ich.«
»Sein ganzes Auftreten hier zeugte von einer Sicherheit, wie sie nur Leuten eigen ist, welche sich in einer hervorragenden Stellung befinden und gewohnt sind, Befehle zu ertheilen, denen man unbedingt zu gehorchen hat.«
Steinbach lachte fröhlich auf.
»Ist er in dieser Weise aufgetreten? Ja, das traue ich ihm zu. Das hat er gelernt. Er ist in einer vortrefflichen Schule gewesen.«
»Wohl in der Deinigen?«
»Nun, eigentlich ist das Leben ihm zur Schule geworden. Es hat ihn selbstständig gemacht und ihm ein großes, unerschütterliches Selbstvertrauen gegeben. Den letzten Unterricht allerdings hat er von mir erhalten.«
»Wo?«
»In Amerika.«
»So warst Du da drüben, mein Geliebter?«
»Ja, lange Monate.«
»Wann?«
»Gleich nachdem ich von meinem Ritte in die Wüste zurückkehrte und Deine Zeilen erhielt, welche mich so unglücklich machten.«
»Haben sie Dich wirklich so unglücklich gemacht, mein Freund?«
»Sehr!«
»Ich war gezwungen, sie zu schreiben.«
»Wer zwang Dich dazu? Der Graf?«
»Nein. Der Zwang war ein anderer. Er ging von meinem Innern aus. Er war ganz derselbe, welcher mir in Constantinopel die Bitte an Dich dictirte, mich als eine Vergessene zu betrachten.«
»Und diese Bitte konnte ich Dir nicht erfüllen. Es war und ist mir ja eine Unmöglichkeit, Dich zu vergessen.«
»Und doch wirst Du dazu gezwungen sein!«
»O nein!«
»O gewiß. Wir sind uns hier so ganz unerwartet begegnet und ich fühle mich unendlich selig darüber; aber es darf dies doch nur vorübergehend sein.«
»Du meinst, daß ich Dich wieder verlassen soll?«
»Ja.«
»Das thue ich nicht!«
»So werde ich gezwungen sein. Dir wieder grad so zu entschlüpfen, wie damals in Stambul.«
»Das wolltest Du wirklich, Du Böse?«
Er blickte ihr ernst und forschend in das schöne Angesicht.
»Ich muß,« antwortete sie traurig.
»Wer zwingt Dich dazu?«
»Der Graf!«
»Wodurch?«
»Durch – durch – mein Gott, das ist es ja, was ich Dir nicht sagen durfte und auch jetzt nicht sagen darf!«
Ein Lächeln glitt jetzt über sein Angesicht. Er fragte in zuversichtlichem Tone:
»Aber einst wirst Du es mir doch wohl mittheilen?«
»Nie. Ich darf nicht.«
»O, mein süßes Herz, ich bin ganz überzeugt, daß Du mir sogar noch heut, schon jetzt, hier an diesem Orte dieses traurige Geheimniß enthüllen wirst.«
»Du irrst.«
»Gewiß nicht. Und wen Du es nicht enthüllen willst, so bin ich es, der es entdecken wird.«
»Du vermagst es nicht!«
»O doch! Es ist mir ja bereits seit langer Zeit bekannt.«
»Wirklich?« fragte sie beinahe erschrocken.
»Ja. Entsinnst Du Dich noch unseres Gespräches welches wir führten, als wir an jenem Abende in Constantinopel so selig vereint unter dem Baume am Wasser saßen?«
»Ich weiß noch Alles. Ich habe nur jedes Wort gemerkt. Jener Abend hat sich meinem Gedächtnisse so tief und unauslöschlich eingeprägt, und die Erinnerung an ihn war der erblickende Brunnen, aus welchem ich Trost und Beruhigung trank, wenn mein Herz unter der auf mir liegenden Last schier zusammenbrechen wollte.«
»Trost und Beruhigung nur? Nicht auch Hoffnung?«
»Nein.«
»So erwartetest Du nicht, mich jemals wiederzusehen?«
»Ich fürchtete ein solches Wiedersehen, obgleich mein Herz, mein ganzes Denken und Fühlen sich nach demselben sehnte.«
»Mein liebes, liebes Herz! Was mußt Du gelitten haben unter dem Zwiespalte, welcher zwischen Deiner Pflicht und Deiner Liebe erweckt worden war.«
»Ich bin tief, tief unglücklich gewesen bis zum heutigen Tage. Meine Seele gehörte Dir; sie sollte sterben, weil Du ihr Leben warst und ich Dir doch entsagen mußte. Meine Pflicht gebot mir, meine Liebe zu tödten. Derselbe Grund, welcher mich als Sclavin an den Grafen kettete, war mir ein trauriges Gesetz, jedes Zusammentreffen mit Dir fernerhin zu vermeiden. Unser damaliger Abschied sollte ein Abschied für das ganze Leben, für immer und ewig sein.«
»Und ists doch nicht gewesen!«
»Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen oder es tief beklagen soll.«
»Freuen, freuen sollst Du Dich darüber!« rief er aus, sie an sich ziehend.
»Oscar, ich freue mich nicht nur, sondern ich bin entzückt, hier an Deinem Herzen liegen zu dürfen; aber Du bringst dadurch nicht nur mich, sondern auch meine Lebensaufgabe in die größte Gefahr.«
»Du irrst. Hättest Du damals in Constantinopel aufrichtig mit mir sein können, hättest Du mir mittheilen dürfen, welcher Zweck, welche Absicht, welcher Zwang Dich an den Grafen kettete, so wären diese Ketten längst zerrissen.«
»O nein!«
»Ganz gewiß!«
»Es mußte Geheimniß bleiben!«
»Du sagtest dies schon damals; ich aber antwortete Dir, daß ich nicht eher ruhen würde, als bis es mir gelungen sei, dieses Räthsel zu lösen.«
»Das erschien mir als unmöglich.«
»Und doch ists gelungen.«
»Solltest Du wirklich –?«
»Ja. Jetzt kenne ich Dich.«
»Oscar!«
»Erschrickst Du darüber?«
»Sehr, denn ein theures Leben steht in großer Gefahr.«
»Dasjenige Deines Vaters?«
»Wie – Du weißt –?«
Sie blickte ihm forschend und erschrocken in das Gesicht.
»Ich weiß Alles,« nickte er.
»Mein Gott, so muß er sterben!«
»Nein, er wird leben.«
»Der Graf wird ihn tödten, sobald er erfährt, daß noch ein Anderer als er und ich um das Geheimniß weiß!«
»Beruhige Dich! Der Graf wird ihn nicht tödten. Ich bin vielmehr überzeugt, daß des Grafen letzte Stunde geschlagen hat.«
»Oscar!«
»Ja. Ich bin gekommen, um mit ihm abzurechnen.«
»Du wußtest, daß er sich hier befindet?«
»Ja.«
»Und ich mich mit ihm?«
»Nein, das wußte ich nicht; das dachte ich Mir auch nicht. Ich konnte nicht glauben, daß er Dich den Anstrengungen einer solchen Reise unterwerfen werde.«
»Er konnte mich nicht von sich lassen.«
»Ich glaubte, er würde Dich an einen sicheren Ort unter aufmerksamer Controle zurücklassen.«
»Dazu ist er viel zu mißtrauisch und zu vorsichtig. Du kennst ihn ja von Constantinopel und Egypten aus.«
»Er ist nicht nur das, sondern er ist auch listig und verschlagen wie ein Fuchs, heimtückisch wie eine Hyäne und gewissenlos wie ein Teufel. Und trotzdem wäre er mir nicht entgangen, wenn ich damals nicht jenen Hieb erhalten hätte.«
»Einen Hieb?«
»Ja. Als ich von Dir getrennt worden war und heimwärts fuhr, wurde ich von meinem eigenen Fährmanne, welcher jedenfalls von dem Grafen dazu gedungen worden war, mit dem Ruder von hinten niedergeschlagen. Ich stürzte ins Wasser und wäre, da ich besinnungslos war, ganz sicher ertrunken, wenn nicht ein Freund grad an diesem Augenblick mit seiner Jacht gekommen wäre und mich aufgefischt hätte.
»Herrgott! Du Aermster!«
»Das war auch der Grund, daß der Graf Zeit gewann, zu entfliehen. Ich folgte seiner Fährte. Ich traf mit ihm zusammen. Unglückliche Verhältnisse ermöglichten ihm abermals die Flucht. Als ich dann nach Kairo kam, war Deine Spur entdeckt worden. Du selbst aber warst abermals verschwunden.«
»Jener eigenthümliche Engländer hatte mich entdeckt.«
»Ja, es war derselbe, welcher mich auf seine Jacht gerettet hatte.«
»Dann suchtest Du nach mir?«
»Ja. Dann aber trat eine andere Aufgabe an mich heran, welche mich nach Amerika führte. Dort traf ich in Südkalifornien mit einem Manne zusammen, der mir vollständiges Licht in das Geheimniß brachte, welches mir Nena, Euer einstiger Diener, bereits halb enträthselt hatte.
»Nena! Ah, Sam sprach bereits von ihm.«
»Hat er Dir gesagt, daß ich diesen Nena in der Wüste getroffen habe?«
»Ja. Nena war ein Verräther.«
»Des Grafen Gold hatte ihn geblendet.«
»Er brauchte sich nicht verblenden zu lassen. Er litt keine Noth.«
»Dein Vater hatte ihn aus dem Dienste gejagt.«
»Weil er sich vergangen hatte.«
»Zum Glanze des Geldes trat nun die Rache. Er ist ein Verbrecher und hat eine schwere Strafe verdient. Als Mensch aber hat er ein Anrecht auf Verzeihung, wenn seine That auch nicht entschuldigt werden kann.«
»Oskar, wenn Du wüßtest, welches Elend er über uns gebracht hat!«
»Ich weiß es. Aber er hat es bereut und auch fürchterlich gebüßt. Der Graf hat ihn nicht belohnt, sondern ihn ganz entsetzlich betrogen. Er hat ihn an halb wilde Araber als Sclave verkauft. Ich traf und rettete ihn. Er hat mir den ersten, deutlichen Fingerzeig gegeben und es auf diese Weise mir ermöglicht, an Eurer Befreiung arbeiten. Ich werde Dir ihn vorstellen und Dich bitten, ihm zu verzeihen.«
»Wenn Du es willst, so wird er Gnade finden.«
»Sein Zeugniß ist von hohem Werthe für Dich und Deinen Vater.«
»So weißt Du, wer und wo mein Vater ist?«
»Ja.«
»Er konnte es mir nur andeuten, weil er selbst nicht Alles wußte. Aber jener Mann, welchen ich in Californien traf, hatte Deinen Vater getroffen.«
»Wo? Wo?«
»In Sibirien. Er war ein entflohener Verbannter und erzählte mir, daß Banda, der einstige Maharadscha von Nubrida sich unschuldig als Verbannter in Sibirien befinde. Von diesem Augenblicke an stand es bei mir fest, daß ich nach Sibirien gehen würde, um Deinen Vater zu befreien.«
»Du weißt also, wo er ist?«
»Ja. Das heißt, bis vor wenigen Minuten wußte ich es nicht genau: ich wollte es erfahren. Sam sagte es mir vorhin; er hatte es ausgekundschaftet.«
»Ah, nun erkläre ich mir die Reden Deines wunderlichen Freundes.«
»Der Graf kennt aber den Aufenthaltsort Deines Vaters auch.«
»Ich weiß es.«
»Er ist hin zu ihm.«
»Auch das weiß ich.«
»Wirklich? Weißt Du auch, was er dort bei ihm will?«
»Ja. Er will ihn befreien.«
»Hat er das gesagt?«
»Ja.«
»Hm! Mir klingt das nicht wahrscheinlich.«
»Es ist dennoch wahr.«
»Fast möchte ich daran zweifeln.«
»Er hat es mir versprochen.«
»So! Wenn er Deinen Vater befreien will, muß er sich selbst anklagen, denn er war es ja, welcher durch falsches Zeugniß und andere Verbrechen ihn zum Verbannten machte.
»Vielleicht weiß er einen Weg zur Befreiung des Vaters, ohne daß er sich selbst dabei schadet.«
»Das wäre nur dadurch möglich, daß er seine Schuld auf Andere wälzt und ich traue es ihm zu.«
»Ich auch.«
»Aber, Geliebte, wie kommt es, daß er jetzt Den befreien will, den er erst in das Verderben führte?«
»Er hat seine Absicht dabei.«
»Kennst Du diese Absicht?«
»Ja.«
»Darf ich sie erfahren?«
Sie schüttelte leise und langsam den Kopf.
»Gökala!« bat er.
Sie erröthete, antwortete aber nicht. Er zog sie an sich und fragte:
»Fällt es Dir gar so schwer?«
»So hast Du kein vertrauen zu mir?«
»Mein Vertrauen zu Dir ist grenzenlos.«
»Und dies, die Hauptsache, willst Du mir verschweigen!«
»Ich muß, weil ich das Leben meines Vaters sonst gefährden würde.«
»Das ist abermals eine Täuschung, in welcher Du Dich befindest.«
»Seine Drohungen waren so schrecklich!«
»Natürlich! Aber grad durch eine offene Mittheilung würdest Du es mir ermöglichen, seine Drohungen zu schanden zu machen.«
»Meinst Du?«
»Gewiß. Ich ahne, daß Dein Zartgefühl sich sträubt, mir Alles zu sagen.«
Da ergriff sie seine beiden Hände, blickte ihm groß und aufrichtig in Gesicht und antwortete:
»Oskar, ich würde Dich nicht lieben, wenn Deine Vermuthung wahr wäre. Dir und nur Dir allein könnte ich mein ganzes Herz offenbaren, daß es vor Dir läge wie ein aufgeschlagenes Buch. Es ist nur allein die Angst um das Leben meines Vaters, welche mich zum Schweigen gezwungen hat und auch noch heute zwingt.«
Er lächelte.
»Und ich bin überzeugt, daß Du Dich gar sehr täuschest.«
»Gewiß nicht!«
»Und vielleicht doch. Mir ahnt vielmehr, daß Du Deinen Vater dadurch, daß Du schweigst und mir es unmöglich machst, ihn zu retten, in das Verderben bringst.«
»Mein Gott! Wenn das wäre!«
»Ich befürchte es!«
»Wirklich, wirklich?«
Aus ihren Augen sprach jetzt eine große Angst.
»Wirklich!« antwortete Steinbach. »Ich bin überzeugt, daß der Graf Dich ebenso betrügen will, wie er Andere betrogen hat.«
»Das wäre schrecklich!«
»Darum bitte ich Dich, sei aufrichtig!«
»Gott, was soll ich thun!«
»Folge dem Vertrauen zu mir!«
»Das möchte ich so gern.«
»Du wirst es nicht bereuen.«
»Weißt Du überhaupt, warum der Graf meinen Vater in das Verderben führte?«
»Ja. Er wollte Dich besitzen.«
»Mein Vater mußte verschwinden, damit ich in seine Hände fiele.«
»Ja. Du warst damals trotz Deiner Jugend bereits eine Schönheit, nach deren Besitz er lechzte. Die Sonne Indiens hatte Dich zeitig gereift. Er lockte Deinen Vater aus seinem Lande, ließ beschwören, daß er ein russischer Verbrecher sei, und so wurde Dein Vater nach Sibirien verbannt.«
»Und mich nahm der Graf mit sich fort.«
»Du solltest sein Weib werden.«
Sie senkte die Augen, während eine tiefe Gluth ihr Angesicht bedeckte.
»Sein Weib?« sagte sie leise. »Nein, sondern seine – – –«
Sie sprach das Wort nicht aus.
»Ah, das also!« fuhr Steinbach auf.
»Ja. Aber er hatte sich in mir verrechnet. Er hatte geglaubt, ich sei viel zu jung, als daß ich ihm Widerstand entgegensetzen werde.«
»Dieser Mensch! Ist er gewaltthätig gegen Dich gewesen?« fuhr Steinbach zornig auf.
»Ja.«
»Ah! Das soll er mir entgelten! Ich zermalme ihn langsam, so daß jedes einzelne seiner Glieder vor Schmerz laut aufbrüllen soll.«
Sie legte ihm die Hand begütigend auf den Arm und sagte:
»Oskar, sei ruhig! Auch da hatte er sich verrechnet. Er hat mich nicht anrühren dürfen.«
»Aber Du sprachst doch von Gewaltthätigkeit!«
»Diese bestand nicht in directen Angriffen gegen mich.«
»Worin denn?«
»Er sperrte mich ein; er entzog mir die Nahrung. Ich mußte hungern und dürsten. Er schleppte mich von Ort zu Ort, von Land zu Land und that Alles, mich so elend zu machen, daß es mir als eine Rettung erscheinen mußte, von ihm geliebt zu werden und seine Liebe zu erwidern.«
»Ah! Das erlöst ihn vom Tode. Aber büßen soll er dennoch schrecklich.«
»Es gelang ihm nicht, seine Absicht zu erreichen. Er liebte mich wirklich, mit unbesiegbarer, heißer Leidenschaft, und diese seine Liebe war meine Retterin.«
»Wieso?«
»Mein Tod wäre ihm die größte Strafe gewesen. Darum drohte ich ihm, so oft er Gewalt gegen mich anwenden wollte, mich sofort zu tödten.«
»Hättest Du es gethan?«
»Ja. Sicher, ganz sicher. Ich hätte mit dem Gedanken, von ihm nur berührt worden zu sein, nicht einen Augenblick zu leben vermocht.«
»Armes, armes Kind! Gelang es Dir denn niemals, Dich ihm zu entziehen?«
»Nein; ich konnte das nicht wagen. Er hatte mir gedroht, sobald ich ihn verließe, würde mein Vater sterben.«
»Der Hallunke! Du glaubtest es?«
»Mußte ich nicht?«
»Ja freilich. Bei seiner Gewissenslosigkeit war ihm Alles zuzutrauen.«
»So blieb ich also bei ihm, nur um den Vater am Leben zu erhalten. Was für elende Jahre das gewesen sind, das vermag ich nicht in Worte zu fassen.«
»Wußtest Du denn, wo Dein Vater sich befand?«
»Nein. Das sagte er mir nie.«
»Der Schurke! Er war schlau. Er handelte mit Berechnung. Wenn er Dir den Aufenthalt, das Schicksal Deines Vaters mittheilte, hättest Du doch vielleicht einen heimlichen Schritt zu dessen Rettung zu thun vermocht.«
»Ich hätte diesen Schritt gethan. Der Graf hatte mir nur gesagt, daß mein Vater in Gefangenschaft lebe und daß es nur auf ihn ankomme, ob er sterben müsse oder nicht. So verging eine lange, lange Zeit. Er mochte gehofft haben, daß das Elend mich gefügig machen werde; aber da hatte er sich verrechnet. Jetzt nun schleppte er mich nach Sibirien, und erst hier wurde er in seinen Mittheilungen aufrichtiger.«
»Was sagte er?«
»Das mein Vater verbannt sei.«
»Weshalb?«
»Weil er gegen Rußland conspirirt habe.«
»Glaubtest Du das?«
»Nein. Mein Vater war indischer Fürst. Eine politische Gegnerschaft gegen Rußland konnte ihn nicht in Strafe bringen. Darum lachte ich über seine Lüge.«
»Blieb er bei derselben?«
»Nein. Er sagte mir nun die Wahrheit, daß Nena meinen Vater verrathen habe, daß dieser Letztere nun als ein Verbrecher Namens Saltikoff gelte und zu lebenslänglicher Gefangenschaft in den Urwäldern Sibiriens verurtheilt sei.«
»Das ist nun freilich die Wahrheit.«
»Er schilderte mir die Qualen und Entbehrungen, welche mein Vater zu erdulden habe – –«
»Natürlich um Dich weich zu stimmen.«
»Und versprach mir die Rettung des Vaters – – –«
»Gegen welchen Preis?«
»Der Preis bin ich.«
Sie senkte das Haupt.
»Bist Du darauf eingegangen?«
»Ja.«
Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann zu schluchzen. Steinbach blickte finster vor sich nieder. Es überkam ihn eine Regung des Unmuthes gegen die Geliebte, doch schon nach wenigen Augenblicken siegte sein besseres Gefühl. Er zog Gökala an sich und sagte:
»Das habe ich erwartet.«
Sofort ließ sie die Hände vom Gesicht fallen, blickte ihn unter Thränen an und fragte:
»Oskar, ist das wahr?«
»Ja.«
»Du hast es erwartet? Du zürnest mir nicht ob dieses Entschlusses?«
»Wie sollte ich! Du konntest ja gar nicht anders.«
»Das meinst Du wirklich, wirklich?«
»Ja. Um Deinen Vater zu retten, wolltest Du Dich hingeben.«
Sie schüttelte den Kopf wieder, ganz wie vorhin, und sagte:
»Hingeben? O nein. Von einer Hingebung könnte keine Rede sein. Ich wär sein Weib geworden, aber berühren hätte er mich nicht dürfen.«
»Mein tapferes, tapferes Mädchen!«
»Du darfst nicht denken, daß ich meine Einwilligung ohne Kampf gegeben habe.«
»Ich bin es überzeugt.«
»Nur als er mir erklärte, daß dies die letzte Bedingung sei, welche er mache, daß mein Vater unbedingt sterben müsse, falls ich nicht auf diesen Vorschlag eingehe, da erklärte ich mich endlich bereit.«
»Du hast ganz so gehandelt, wie es die Schuldigkeit der Tochter war, meine Gökala.«
»Du tadelst mich also nicht?«
»Wollte ich Dich tadeln, so wäre ich ein Unmensch.«
»Ich danke Dir! Ich danke Dir von ganzem, ganzem Herzen, mein Geliebter. Ich hatte eine entsetzliche Angst, daß Du mir zürnen würdest.«
»O nein. Ich begreife das Gefühl, nach welchem Du handeln mußtest. Und ebenso kann ich mir denken, welche Qualen es Dir bereitet haben muß, zu diesem für Dich fürchterlichen Entschlusse zu gelangen.«
Sie schmiegte sich zärtlich an ihn und flüsterte ihm zu:
»Gott sei Dank! Da Du so sprichst, ist die Angst vorüber und mein Herz ist vom Vorwurfe frei.«
»Ja, mein Engel, einen Vorwurf kann ich Dir nicht machen, ich muß vielmehr das Opfer bewundernd anstaunen, welches Du bereit warst, Deinem Vater zu bringen. Doch laß mich klar sehen! Was Du mit dem Grafen besprochen hast, ist nur mündlich geschehen?«
»Ja.«
»Eine Verlobung, wie er sie zu seiner Sicherheit ja leicht hätte fordern können, hat nicht vor dem Popen stattgefunden?«
»Nein.«
»Wann sollte die Hochzeit vorgenommen werden?«
»Sofort nachdem ich meinen Vater gesehen haben würde.«
»Ah! Also hier in Sibirien?«
»Ja.«
»Noch bevor Dein Vater frei war?«
»Ja. Er sagte mir, daß er mir nicht traue. Er glaubte, ich würde ihm nicht Wort halten, wenn er meinen Vater vor der Hochzeit befreie.«
»Hm!« brummte Steinbach nachdenklich.
»Vielleicht hat er diese Bedingung auch aus Angst gestellt,« meinte Gökala.
»Wieso?«
»Aus Angst vor der Rache meines Vaters. Es ist doch anzunehmen, daß dieser sich an ihm dann, wenn er sein Schwiegersohn wäre, nicht rächen werde.«
»Ja, und dennoch glaube ich nicht an diese Angst. Ich befürchte vielmehr, daß er irgend welche Hintergedanken hat. Hat er nicht noch andere Bedingungen gestellt?«
»Ich solle ein Document unterschreiben, in welchem ich ihm alle Rechte abtrete, welche mir, als dem einzigen Kinde des Maharadscha von Nubrida, zustehen.«
»Donnerwetter! Verzeihe mir dieses kräftige Wort, Gökala! Aber ich beginne, seine Absicht zu durchschauen.«
»Eine böse?«
»Ja. Sollte Dein Vater Zeuge Deiner Vermählung mit dem Grafen sein?«
»Nein.«
»Ach so! Hm!«
»Ich sollte überhaupt mit ihm gar nicht sprechen, bevor ich nicht Gräfin von Polikeff sei. Nur ihn einmal von Weitem zu sehen, das sollte mir erlaubt sein.«
»Ganz richtig, ganz richtig! Gökala, ich hatte Recht, als ich vorhin sagte, Dein Vater befinde sich in größter Gefahr, wenn Du zögertest, Dich mir mitzutheilen.«
»Herrgott! Wie meinst Du das?«
»Der Graf will ihn tödten.«
»Himmel! Doch nur, wenn ich mich weigere, seine Frau zu werden?«
»Unmöglich!«
»Ganz gewiß!«
»Das wäre doch teuflisch!«
»Er ist ja ein Teufel; das hast Du tausendmal erfahren. Er kann Deinen Vater nicht befreien, denn er könnte das nur dadurch, daß er seine eigenen Missethaten gestände, und dies zu thun, wird er sich hüten. Nein. Er will Dir Deinen Vater zeigen; das ist wahr. Durch den Anblick des alten, unglücklichen Mannes wird Dein Herz in Wehmuth zerfließen, und Du wirst bereit sein, dem Grafen Deine Hand zu geben. Ist das geschehen, so stirbt Dein Vater – – –«
»Glaubst Du das wirklich?«
»Ich bin es überzeugt. Wenn Dein Vater stirbt, natürlich in Folge seiner Anstrengungen und Entbehrungen, braucht der Graf ihn nicht zu befreien. Er ist seines Versprechens ledig, und Du bist doch sein Weib.«
»Das wolle Gott verhüten!«
»Er wird es verhüten, und zwar durch mich. Du hättest dann alle Rechte abgetreten. Weißt Du, was das heißt?«
»Nein.«
»Du bist das einzige Kind des Maharadscha, also seine Thronfolgerin.«
»Ah, ich ahne!«
»Nicht wahr? Du hättest das Recht der Thronfolge an den Grafen abgetreten, folglich gehörte ihm die Regierung.«
»Mein Vater würde einen Nachfolger gefunden haben.«
»Der aber weichen muß, wenn Jemand kommt, der ein größeres Recht besitzt.«
»Und wenn die Unterthanen sich weigern, den Grafen anzuerkennen?«
»So kommen die Russen und zwingen sie.«
Gökala machte eine Miene des Erstaunens, holte seufzend tief Athem und sagte:
»Jetzt, jetzt begreife ich Alles, Alles!«
»Nicht wahr. Der Graf handelt nicht nur aus wahnsinniger Liebe zu Dir, sondern auch aus Eigennutz und Politik. Du wirst die Bedeutung Deines Vaterlandes Nubrida gar nicht kennen?«
»O doch.«
»Nun?« fragte er, sie erwartungsvoll und lächelnd anblickend.
»Es liegt zwischen Rußland und England,« antwortete sie.
»Ah, Du triffst das Richtige!«
»Ja,« nickte sie in scherzendem Stolze. »Ich bin eine ganz bedeutende Politikerin.«
»Das höre ich allerdings.«
»Ich habe es dem Grafen zu verdanken.«
»Wieso? War er Dein Lehrer?«
»Ja.«
»Ah! Fast ahnte ich es.«
»Er bediente sich meiner Person zuweilen, um – – ah, erlaß mir das.«
»Ich verstehe. Du warst schön. Er fesselte durch Dich Herren an sich, welche er diplomatisch ausbeuten wollte.«
Sie gestand das, obgleich tief erröthend, zu.
»Du warst damals,« fuhr er fort, »auch nicht ohne Absicht in die Nähe der türkischen Prinzessin gebracht worden?«
»Du hast es errathen. Damals aber kamst Du und machtest die Absichten des Grafen zu schanden.«
»Das heißt, die Absichten Rußlands, denen Du dienen mußtest.«
»Ich sollte ihnen dienen, hätte es aber nicht gethan. Ich hatte die Prinzessin lieb gewonnen und hätte zu nichts, was gegen ihr Glück gewesen wäre, die Hand geboten.«
»Das freut mich von Dir. Ich habe allerdings damals einen Schachzug vermitteln müssen, durch welchen Rußland einen hohen Einsatz verlor. Ich liebe Rußland nicht, ebensowenig wie England. Keinen von Beiden kann ich eine besondere Theilnahme widmen. Sie stehen sich in ihren asiatischen Besitzungen gegenüber, jeden Augenblick bereit, gegen einander loszuschlagen. Zwischen diesen Besitzungen liegt Nubrida, das Land Deines Vaters. Zu wem der Herrscher desselben sich hinneigt, ob zu Rußland, ob zu England, das ist von allerhöchster Wichtigkeit. Dein Vater war ein Freund Englands. Daher verschwand er in Sibirien – – –«
»Gott! So ist das!« rief Gökola aus.
»Ja. Denke Dir nur, einen russischen Grafen als Beherrscher von Nubrida. Ist das nicht ein Triumph für Rußland?«
»Ja, ja! Also wäre ich das Opfer einer diplomatischen Berechnung geworden?«
»Nein, so weit will ich denn doch nicht gehen. Aber nachdem die Leidenschaft, welche der Graf für Dich fühlte, Euer Verderben geworden war, stand der russischen Diplomatie nichts im Wege, sich dieser Thatsachen zu ihrem Vortheile zu bemächtigen. Jetzt kennst Du Alles. Dein Vater ist dem Tode geweiht.«
Da ergriff sie seine Hand und sprach:
»Oscar, rette ihn, rette ihn!«
»Habe keine Sorge! Ich werde ihn retten.«
»Aber hast Du auch die Macht dazu?«
Er lächelte ihr beinahe ironisch zu und antwortete:
»Das wollen wir einmal versuchen. Bis jetzt habe ich noch nicht daran gezweifelt.
»Aber schnell muß es geschehen.«
»Natürlich.«
»Der Graf ist fort zu meinem Vater. Man muß ihm schleunigst folgen, damit er ihm nichts Böses thun kann.«
»In dieser Beziehung braucht Dir nicht bange zu sein. Er hat Dir ja versprochen, Dir Deinen Vater zu zeigen. Also kann er ihm nichts thun, wenigstens jetzt nicht.«
»Was bist Du entschlossen zu thun?«
»Das ist noch unentschieden. Ich habe nur erst wenige Worte mit meinem braven Sam wechseln können. Wie es scheint, hat er ganz bedeutende Entdeckungen gemacht. Ich muß erst ausführlicher mit ihm reden; dann wird es mir klar sein, welchen Weg ich einzuschlagen habe, um zum Ziele zu gelangen.«
»So sprich gleich mit ihm, sogleich!« drängte sie.
»Willst Du mich fortschicken?« lächelte er.
»Nein, nein, o nein!« antwortete sie, ihn schnell wieder umschlingend.
»Ueberhaupt,« fuhr er fort, seinen Blick mit innigem Glanze auf ihr Auge richtend, muß ich außer mit Sam auch noch mit Dir sprechen, bevor ich einen festen Entschluß fassen kann.«
»Mit mir? Wieso?«
»Ich habe Dich so unendlich lieb und darf also gegen den, welcher Dein Gemahl sein wird, nichts unternehmen.«
»Du meinst den Grafen?«
»Ja.«
»Oscar, ich denke nicht mehr an das Versprechen, welches ich ihm habe geben müssen. Es war ein erzwungenes.«
»Du willst also das Bündniß mit ihm aufgeben?«
»Und nun mir Vertrauen schenken?«
»Wie gern, o wie so gern!«
»Glaubst Du denn nun, daß ich im Stande sein werde, die Absichten des Grafen zu Schanden zu machen?«
»Ich hoffe es nicht nur, sondern ich glaube es auch. Er kommt mir gar nicht mehr so gefährlich vor wie bisher.«
»Aber ich will aufrichtig sein,« sagte er mit einem feinen Lächeln, welches zu verbergen er sich Mühe gab. »Er ist ein Graf, also gehört er zu dem hohen Adel. Er begleitet außerdem am Hofe des Czaaren einen bedeutenden Rang. Vielleicht hat er Ermächtigungen und Vollmachten in der Tasche, gegen welche mein zwar guter aber schwacher Wille nicht aufkommen kann; mit einem Worte, er ist mir überlegen. Willst Du mich Dir dennoch anvertrauen?«
»Ja, von ganzem Herzen!«
»So werde ich alle Kraft aufbieten, ihn zu besiegen. Aber dann –«
»Dann –?« fragte sie.
»Dann, ja, was wird dann sein?«
»Das fragst Du, Oscar?«
»Muß ich nicht?«
»So kannst Du es Dir nicht denken?«
»O doch. Es ist so sehr einfach und selbstverständlich. Dann, wenn Dein Vater befreit ist und seine Heimath wieder aufsuchen kann, dann gehst Du mit ihm als Prinzessin Deines Landes und ich – – ich kehre nach Deutschland zurück, um als armer Assessor mich wieder unter die Akten zu vergraben.«
Sie blickte ihn forschend an und fragte:
»Assessor bist Du?«
»Ja.«
Da ließ sie ein glockenhelles, fröhliches Lachen hören und sagte:
»Nicht ein Assessor sondern ein Spaßvogel bist Du!«
»Ach! Wieso?«
»Seit wann werden deutsche Gerichtsassessoren nach Konstantinopel gesandt, um gegen das mächtige Rußland eine so schwierige Schachparthie zu gewinnen?«
»Seit wann? Seit gar nicht.«
»Nun also war es ein Scherz. Du bist kein Assessor.«
»Ein Gerichtsassessor allerdings nicht, sondern ein Assessor beim auswärtigen Amte.«
Da wurde ihr Gesicht ernster.
»Die giebt es freilich,« sagte sie.
»Du siehst also, daß ich Dich nicht täuschen wollte.«
»Aber Du hast gar nicht das Aussehen eines solchen Beamten.«
»Meinst Du?«
»Ja. Du siehst viel, viel vornehmer aus.«
»Mein liebes Kind, das sagst Du, weil Du zwar die deutsche Sprache sprichst, aber nicht unsere Verhältnisse kennst. Ein Subalternbeamter meines Vaterlandes braucht sich gar nicht zu scheuen, sich mit einem Oberbeamten Rußlands vergleichen zu lassen.«
»Aber Dein Auftreten!«
»Was meinst Du?«
»Du scheinst reich zu sein.«
»Liebes Kind, ein jeder Monarch sorgt dafür, daß diejenigen, denen er eine Aufgabe giebt, so auftreten können, wie es zur Lösung dieser Aufgabe nöthig ist. Von meinem damaligen Erscheinen darfst Du nicht auf Anderes schließen. Ich beziehe zum Beispiel als Assessor des auswärtigen Amtes ein Gehalt von viertausend Mark. Das sind achtzig Mark pro Woche.«
»Ists wahr?« fragte sie.
Dabei war sie so ernst, daß er fast laut aufgelacht hätte.
»Ja,« antwortete er ebenso ernst.
»Höre, dann könnte ich Deutschland beinahe hassen!« sagte sie.
»Warum?«
»Weil es Männer wie Dich so gar sehr schlecht besoldet. Wie willst Du leben, wenn Du nicht selbst Privatvermögen besitzest!«
»Das habe ich freilich nicht.«
»So ists traurig. Und nach diesem Lande willst Du zurückkehren?«
»Natürlich.«
»Nein, nein. Das dulde ich nicht, das darf nicht sein.«
»Es muß sein. Ich muß doch meine Pflicht erfüllen.«
»Das ist richtig. Deine Pflicht mußt Du erfüllen. Aber weißt Du denn auch, welches Deine größte Pflicht ist?«
»Nun, welche?«
Da legte sie die vollen, warmen Arme um ihn, schmiegte sich voller Zärtlichkeit an ihn und antwortete:
»Deine Gökala glücklich machen.«
Er küßte sie leise und innig auf das prächtige Haar und fragte:
»Denkst Du, daß ich das nicht will?«
»Ja, das denke ich.«
»So beurtheilst Du mich falsch.«
»O nein.«
»Ich befreie Dich und Deinen Vater von diesem Grafen. Ihr könnt Beide nach Rubrida zurückkehren. Euch erwartet der Glanz des Thrones, die Liebe Eurer Unterthanen. Werdet Ihr da nicht glücklich sein.«
»Ich nicht,« antwortete sie.
»Warum nicht?«
»Weil Du mir fehlen würdest. Ohne Dich giebts kein Glück, keinen Himmel, keinen Stern für mich. Soll ich glücklich sein, so mußt Du an meiner Seite weilen. Du mußt mit nach Nubrida. Nicht ich trachte nach der Herrschaft meines Vaters; ich bin ein Weib; ich will Dein Weib sein, und Du sollst als mein Gebieter und als der Gebieter meines Volkes auf dem Throne meiner Väter sitzen.«
»Ich?« fragte er, indem er auffuhr.
»Ja, Du!« antwortete sie.
»Ich, Dein Gemahl!«
»Ja. Liebst Du mich nicht?«
»Mehr als mein Leben! Ich bin ja Deinetwegen – – ah, Du weißt ja gar nicht, was ich um Deinetwillen Alles gethan habe.«
»Also liebst Du mich und willst mich dennoch nicht besitzen?«
»Gökala, Dich zu besitzen wäre die höchste Seligkeit der Erde. Aber es kann und darf nicht sein.«
»Warum denn nicht, warum?«
»Du, die Tochter eines Maharadscha, nach deutschem Vergleich eines Großherzoges, und ich ein armer, kleiner Assessor am Amte des Auswärtigen! Ist es nicht gradezu Wahnsinn, an die Vereinigung zweier so verschieden gestellter Personen zu denken?«
»Personen? Wer spricht von Personen? Hier ist nur allein von Herzen die Rede. Und das Herz fragt nicht nach Stand und Rang.«
»O doch, es muß!«
»Nein, nein. Hat Dein Herz darnach gefragt, als Du der Vertreter einer mächtigen Nation warst und ich eine gefangene Sclavin eines niederträchtigen, heimtückischen Russen? Hast Du nach diesem Unterschiede gefragt, als es galt, einen Verbannten Sibiriens, also einen überwiesenen Verbrecher zu befreien? Du wirst unser Retter sein und glaubst, dann tiefer zu stehen als die von Dir Geretteten. Ist nicht der Dank, welchen wir Dir dann schulden, ein Opfer, welches nach aufwärts steigt? Steht nicht der Retter also hoch über uns? Und wenn Dir das noch nicht genügt, so denke an das, was Dein Gott und Herr Dir für herrliche Geschenke und Vorzüge ertheilte. Wer kann sich mit Dir messen, wer sich mit Dir vergleichen? Mußt Du nicht Sieger sein im Kampfe mit Jedem, mag dieser Kampf nun auf geistiger oder auf physischer Arena ausgefochten werden? Wer wollte die Behauptung wagen, daß Du ihm nicht ebenbürtig seist? Und denke an mich, was ich gewesen bin! Denke an das, was ich erlitten habe! Denkst Du, daß ich, wenn ich endlich, endlich einmal das lang ersehnte Glück finden darf, darnach fragen werde, ob dasselbe mir von einem Fürsten oder von einem deutschen Assessor des auswärtigen Amtes geboten wird? Nein, ich liebe Dich. Du bist der Erste und Einzige, der sich meiner angenommen hat. Ohne Dich giebt es für mich kein Glück, keinen Segen, kein Heil. Dein will ich sein. Nur von Dir will ich die Seligkeit empfangen, nach welcher ich mich sehne, und auch nur Du sollst es sein, dessen Glück mein einziger Wunsch, mein ganzes Streben und Trachten sein soll in diesem Leben. Und willst Du nicht mit mir gehen, so gehen wir mit Dir. Ich bin Dein und Du bist mein; ich weiche niemals wieder von Deiner Seite.«
Sie stand hoch und stolz vor ihm, mit der Röthe der Begeisterung auf den Wangen. Es war nicht der Stolz des Standesvorrechts, des Reichthums sondern der Stolz der Liebe, der Stolz eines edlen, reinen Frauenherzens, welches tausend Mal lieber ein Opfer bringt als eins fordert.
»Gökala, meine Gökala!« sagte er. »Du, Du wolltest das Weib eines armen, niedrigen Beamten werden?«
»Arm? Du wirst vorher mit nach Nubrida gehen, und wenn Du nicht dort bleiben willst, so wirst Du das Land mit uns verlassen, überhäuft mit Schätzen, welche ich nicht achte, weil ich weiß, daß sie nicht glücklich machen, mit denen Du aber in Deinem Heimathslande Dir Verdienste erwerben kannst, welche zum Glücke vieler Anderer führen. Arm also wirst Du auf keinen Fall sein, mein Geliebter.«
Steinbachs Gesicht strahlte im Ausdrucke eines unendlichen Glückes, und doch ging es zugleich wie eine tiefe, tiefe Rührung über seine Züge.
»Aber weißt Du auch, was Du sagst, was Du versprichst?« fragte er.
»Ja,« antwortete sie in festem Tone.
»Du bestimmst über Deine und meine Zukunft, ja über all Dein Eigenthum, welches Du Dir jedenfalls erst zurückerkämpfen müßtest, und hast doch mit Deinem Vater noch kein Wort darüber sprechen können.«
»Mein Vater wird grad so denken wie ich.«
»Das bezweifle ich. Du hast ihn seit langen, langen Jahren nicht gesehen. Du weißt nicht, was und wie er denkt.«
»Ich weiß, daß all sein Denken und Sinnen darauf gerichtet sein wird, die Freiheit wieder zu erlangen.«
»Und wenn er sie erlangt, so wird er alle Kräfte aufbieten, die Herrschaft wieder zu erhalten, welcher zu entsagen er so gewaltsam gezwungen wurde!«
»Er wird dies nur in dem Falle thun, daß ich bereit bin, wieder mit nach Nubrida zu gehen. Das thu ich aber nur dann, wenn Du mich begleiten willst.«
»Selbst wenn ich dazu Ja sagen wollte, wird der jetzige Herrscher dem Throne nicht freiwillig entsagen.«
»Er muß!«
»Willst Du ihn zwingen?«
»Ja.«
»Womit?«
»Mit Hilfe unserer Unterthanen, welche über die Rückkehr ihres alten, rechtmäßigen und geliebten Herrschers beglückt sein werden.«
»Sie lieben den jetzigen ebenso.«
»Weißt Du das?«
»Ja.«
»So kennst Du den jetzigen Maharadscha?«
»Sehr genau. Ich habe mich natürlich nach allen Verhältnissen des Landes und der Regierung auf das Genaueste erkundigt. Es regiert der Stiefbruder meines Vaters; er hat zwei Söhne. Er wird nicht auf die Herrschaft und die Söhne nicht auf die Thronfolge verzichten wollen. Er regiert streng aber gerecht. Er hat sich die Liebe und das volle Vertrauen seiner Unterthanen errungen. Die Völker sind wankelmüthig. Die Bewohner von Nubrida werden sich hüten, einen Kampf hereinbrechen zu lassen. Ein friedlicher Vergleich ist das Höchste, wonach Dein Vater streben kann. Du mußt auch berücksichtigen, daß der jetzige Maharadscha ein Freund Rußlands ist. Im Falle eines Conflictes würde der Czaar sofort diese höchst willkommene Gelegenheit ergreifen, den Schiedsrichter zu machen und sich dabei des Landes zu bemächtigen suchen. Wird Dein Vater dasselbe unglücklich und von Rußland abhängig machen wollen?«
»Niemals.«
»So bleibt Euch nur der Verzicht.«
»Gut, so verzichten wir. Aber das Privateigenthum, auf welches wir unveräußerliche Rechte haben, werden wir auf keinen Fall aufgeben.«
»Ich hoffe allerdings, daß Euch dasselbe ausgeliefert werden muß.«
»Nun, das sind viele Millionen. Wir werden dann das Land verlassen!«
»Und – – –?«
»Und – – –? Mit Dir gehen, natürlich.«
»Gökala, wenn Du die Reichthümer vor Dir liegen hast, dann wirst Du ganz anders denken.«
»Nie, niemals! Mein einziger Reichthum bist nur Du. Alles Andere achte ich nicht. Du hast bereits in Constantinopel gehört, daß ich die Dichter Deines Vaterlandes kenne. Euer Schiller sagt so treffend:
»Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar.«
Eine solche Hütte wünsche ich mir und Dich als den Herrn derselben und auch als meinen Herrn. Dann bin ich zufrieden. Ist Dein Amt auch klein und bringt es uns auch wenig ein, so werden wir doch keine Noth leiden. Vater wird nicht mehr ein Verbannter sondern ein freier Mann sein und nichts weiter wünschen, als sich an dem Glücke seines Kindes freuen zu können. Meinst Du nicht auch, daß eine solche Zukunft wohl werth sei, sich auf sie zu freuen?«
Sie legte ihren Arm um ihn, preßte ihr Köpfchen liebevoll an seine Brust und blickte fragend zu ihm auf. Er küßte sie auf die reine, weiße Stirn und antwortete:
»Ja, meine Geliebte. Sie ist es werth, daß man mit allen Kräften nach ihr ringe.«
»Nun, so wollen wir es thun!«
»Du hast Recht. Thun wir es! Es ist ein so großes Opfer, welches Du Deiner Liebe zu mir bringen willst. Ich will es annehmen, falls auch Dein Vater einwilligt, und ich hoffe, daß Du nie bereuen wirst, es mir gebracht zu haben.«
»Bereuen? Ich werde Dich noch in meiner Todesstunde dafür segnen, daß Du mir erlaubt hast, mein Schicksal an das Deinige zu binden. Nie werde ich es glauben können, daß ich Dir ein Opfer gebracht habe. Ist es denn ein Opfer, ein so unendlich Glück am Herzen des Geliebten zu empfinden?«
»Gökala!« rief er aus, von seiner Liebe übermannt.
»Oskar, mein Oskar! Willst Du mich nicht einmal bei meinem richtigen Namen nennen?«
»Semawa, meine herrliche Semawa!«
Er preßte sie an sich, so daß es ihr fast Schmerzen verursachte. Sie blickte strahlenden Auges zu ihm auf und flüsterte:
»Ich danke Dir. So hat meine Mutter mich genannt, und so sollst auch Du mich fortan nennen. Es wird mir so klingen, als ob ihr Geist aus Deinem lieben Munde zu mir spräche, als ob jedesmal, wenn Du mich so nennest, dieser Name ein Segenswort sei, welches sie mir aus der Wohnung der Seligen sendet. Sag den Namen noch einmal, noch einmal!«
Er näherte seinen Mund ihren Lippen und antwortete:
»Meine heißgeliebte Semawa, ich bin namenlos glücklich, unaussprechlich glücklich. Es giebt auf Gottes weiter Erde keinen Menschen, mit dem ich tauschen möchte.«
»Für mich giebt es auch keinen. Oskar, wir werden eine Seligkeit erleben, wie sie nur wenig Sterblichen beschieden ist.«
Da wurde an den äußeren Zeltpfahl geklopft, und die Stimme des dicken Sam ließ sich vernehmen:
»Meine Herrschaften, ist die Conferenz noch nicht bald beendet? Es leben außer Ihnen auch noch andere Menschen in Sibirien und in Platowa.«
»Komm herein!« antwortete Steinbach.
Jetzt wurde das Thürtuch zurückgeschlagen und der Dicke trat herein. Er betrachtete die Beiden, welche eng verschlungen vor ihm standen, lachenden Angesichts und fragte:
»Nun, mein gnädigster Herr Steinbach, wie hat Ihnen denn dieser alte, dicke Fürst der Tungusen gefallen?«
»Ausgezeichnet!« lachte Steinbach. »Ich habe nie geglaubt, daß ein Tunguse so schön und so liebenswürdig sein kann.«
Sam kratzte sich unwirrsch hinter den Ohren und meinte:
»Ich hätte es freilich auch nicht geglaubt. Aber es ist doch eine verfluchte Geschichte, so etwas Vorzügliches entdeckt zu haben, ohne daß man irgend welchen Nutzen davon hat.«
»Nun, so ganz leer wirst Du doch wohl auch nicht dabei ausgehen.«
»Nicht? O doch! Oder soll ich sie etwa heirathen?«
»Nein; das würde ich mir freilich verbitten müssen.«
»Ja, da hat mans!«
»Du hast doch Deine Auguste!«
»Sapperment! Das ist wahr. Und weil ich kein Sultan bin, dem der Standesbeamte erlaubt, sich sechstausend Weiber zu nehmen, so werde ich hier wohl verzichten müssen.«
»Das rathe ich Dir. Mein Dank aber gehört Dir Zeit meines ganzen Lebens, mein lieber, wackerer Kamerad.«
Er reichte ihm die Hand. Sam schlug ein und meinten:
»Was einen so anhaltenden Dank betrifft, so habe ich ihn gar nicht verdient. Die Dame ist ja von mir nicht entdeckt worden sondern mir grad so über den Weg gelaufen, daß ich sie gar nicht habe übersehen können.«
»Das dictirt Dir Deine Bescheidenheit, mein guter Sam. Du hast bereits so viel für mich gethan, daß ich es Dir niemals recht vergelten kann.«
Indem Semawa diese Worte sprach, streckte sie ihm auch die Hand entgegen. Er ergriff dieselbe, zog sie ritterlich und tief gerührt an seine Lippen und antwortete, indem sein ehrliches Auge feucht zu glänzen begann:
»Mein guter Sam! Wenn man aus einem solchen Munde so genannt wird, so ists einem zu Muthe wie einem Bären, der aus Versehen in ein Honigfaß gefallen ist: Man möchte sich den ganzen Körper ablecken, und Haut und Haar dazu. Erst jetzt sehe ich ein, was für ein bedeutender Kerl ich bin. Hätte ich das früher gewußt, so wäre ich sicher nicht mit einer einfachen Herlasgrüner Auguste zufrieden gewesen, sondern ich hätte mich auch nach einer indischen oder chinesischen Prinzessin umgesehen. Aber nichts für ungut, daß mir da mein dummes Naturell wieder einmal mit der Höflichkeit davon läuft. Ich freue mich von ganzem Herzen, daß der liebe Herrgott Sie endlich einmal zusammengeführt hat. Kein Teufel soll sie wieder trennen, so lange ich noch einen Arm und eine Waffe besitze. Aber verträumen dürfen wir die Zeit doch nicht. Es giebt noch gar viel zu thun und zu besprechen. Drüben im großen Zelte sitzen die Anderen und platzen fast vor Verlangen, Herrn Steinbach zu sehen. Darum bin ich abgeschickt worden. Wenn ich als Gesandter dieser Leute Ihnen ungelegen komme, so bitte ich um Verzeihung und verspreche, es nicht wieder zu thun.«
Er sprach so herzlich und dabei auch so drollig, daß Beide ihm abermals die Hände boten.
»Nein,« sagte Steinbach, »ungelegen kommst Du uns nicht, mein guter Sam. Du hast vielmehr sehr Recht, wenn Du sagtest, daß wir nicht allein oder nur für uns in der Welt sind. Die Verhältnisse liegen so, daß wir handeln müssen und nicht träumen dürfen, und so ist es also ganz recht, wenn Du uns an unsere Pflicht erinnerst. Wir werden Dir sogleich folgen.«
Die drei verließen das Zelt und gingen nach demjenigen, in welchem sich der Fürst mit den Seinigen und seinen Gästen befand. Die guten Tungusen staunten nicht wenig, als sie die hohe, edle Gestalt des Deutschen erblickten. Jene sibirischen Stämme zeichnen sich durch Kleinheit der Gestalt aus. Karparla war bedeutend höher als ihre Eltern, eine große Ausnahme von der Regel. Das heldenhafte, imponirende Aeußere Steinbachs mußte also einen ganz ungewöhnlichen Eindruck auf sie machen.
Der Fürst und die Fürstin erhoben sich unwillkürlich respectvoll von ihren Sitzen, als ihr Auge auf sie fiel. Ganz verwundert aber waren sie, als er sie höchst freundlich begrüßte, und zwar, was sie von so einem Fremden gar nicht hatten erwarten können, in der Sprache ihres Landes und Volkes. Sie reichten ihm die Hände und hießen ihn willkommen. Der Fürst ließ ihm seinen eigenen Platz über.
»Rathe einmal, wer das ist, meine liebe Karparla,« sagte Semawa, indem ihr Angesicht vor Glück und Freude strahlte.
»Ich weiß es,« antwortete sie, indem sie ihr herzlich die Hand drückte.
»Wie könntest Du das wissen?«
»Von Sam.«
»Der Verräther! Hat er geschwatzt?«
»Bei Leibe nicht!« rief der Dicke. »Es ist mir gar nicht eingefallen, wer unser Herr Steinbach eigentlich ist. Ich weiß es ja selbst nicht.«
»Was er ist, meinst Du!« verbesserte Semawa.
»Ach so! Richtig!« gab Sam zu, obgleich er es so gemeint hatte, wie er gesagt hatte, denn er wußte weder was noch wer eigentlich Steinbach war.
»So will ich es Dir sagen,« meinte Semawa. »Er ist Assessor.«
Der Dicke machte ein höchst erstauntes Gesicht. Er guckte sie und Steinbach an und fragte:
»Assessor? Hm! Sonderbar! Wohl bei einem Gerichtsamte oder gar bei einem Bezirks- oder Landgerichte?«
»Nein, sondern bei dem auswärtigen Amte in Berlin.«
»Donnerw– – Verzeihung! In Gesellschaft schöner Damen soll man nicht fluchen. Aber Assessor! Beim auswärtigen Amte! In Berlin! Jim, was meinst Du dazu?«
»Hm!« brummte der lange Amerikaner, indem er verwundert den Kopf schüttelte.
»Und Du, Tim?«
»Ganz dasselbe, was mein Bruder gesagt hat, nämlich auch: Hm!« antwortete der andere Yankee.
»Du traust es ihm wohl nicht zu?«
»O, ich hätte ihm viel mehr zugetraut.«
»Ich auch,« bestätigte Jim. »So ein Gentleman, welcher in dieser Weise mit Wilden und Zahmen umspringt, sollte meines Erachtens etwas viel Besseres sein, als nur ein Assessor.«
»Nun, was denn zum Beispiel?«
»Ein Offizier.«
»Ja das habe ich mir auch gedacht. Aber da er eben nur Assessor ist, müssen wir es uns auch gefallen lassen.«
»Well,« brummte Jim.
»Well,« nickte auch Tim.
»Schau,« wendete Semawa sich an Steinbach, »diesen guten Herren ist es ganz so ergangen wie mir: Sie haben Dich viel höher taxirt, als Du in Wirklichkeit bist.«
*