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»Wenn man nur wüßte, wie es zugegangen ist!«
»Auch ich kann es mir nicht erklären.«
»Ich weiß nur, daß ich beim Halse gepackt wurde und einen Hieb bekam. Als ich aus der Ohnmacht erwachte, war ich angebunden, hatte einen Knebel im Munde und die Nase voller Theergestank.«
»Gerad so war es auch bei mir.«
»Wer ists gewesen?«
»Ja, wenn ich das wüßte! Ich wollte den Kerl todtknuten!«
»Jedenfalls der Kosak!«
»Nummer Zehn? Ich kann es nicht begreifen! Er war ja angebunden!«
»So hat er sich losgemacht.«
»Aber er allein kann doch mit uns Beiden nicht fertig werden.«
»Das ist gewiß. Es müssen unbedingt Mehrere gewesen sein.«
»Vielleicht einer von diesen verteufelten Fremden.«
»Wenn ich das wüßte!«
»Wir müssen es erfahren.«
»Haben sie ja die Hand im Spiele, so sollen sie sehen was geschieht!«
»Vor allen Dingen nehmen wir die beiden Wachen vor!«
»Die tragen die Hauptschuld. Schatzheben zu wollen! Sie sollen einen Schatz bekommen, an den sie Zeitlebens denken werden! Na, vor allen Dingen habe ich jetzt das Werg herab. Nun den Theer wegwaschen.«
»Dort steht das Petroleum. Aber nimm Dich in Acht, daß kein Unglück geschieht, da wir Licht hier haben.«
Sie hatten sich vollständig ausgezogen und gossen aus einem großen Thongefäß Petroleum in ein hölzernes kleineres Gefäß. Sie rieben sich mit dem Oele ein. Einander helfend, befreiten sie sich von dem schwarzen Theer, doch indem sie sich von dem Geruchs desselben befreiten, sorgten sie dafür, daß sie nun desto mehr nach Petroleum stanken.
Da kam die Frau wieder herab. Sie brachte einige Handtücher und meldete zugleich;
»Es steht eine ungeheure Menge Volks vor dem Hause. Sagt mir nur um Gotteswillen, was ich machen soll!«
»Laß sie stehen!«
»Aber dieser Lärm!«
»Sie werden schon aufhalten.«
»Alles schreit, daß der Teufel bei uns sei!«
»Laß uns nur erst hier fertig sein, so will ich ihnen das Schreien schon verbieten.«
»Und an die Thür klopft dieser Graf Polikeff. Er will herein.«
»So mach ihm auf. Aber nur er allein darf herein, kein Anderer.«
»Er hat eine Dame mit.«
»Jetzt? Ich habe keine gesehen.«
»Er ließ sie bei mir, ehe er fort ging. Er will bei uns wohnen.«
»Das fehlt nun grad noch. Was für ein Frauenzimmer ist es denn?«
»Sie ist jung und außerordentlich schön.«
»Blond etwa?«
»Ja, herrlich blond mit himmelblauen Augen.«
»Ah! Kenne sie!«
»Wer ist sie? Seine Frau?«
»Ob sie es schon ist, das weiß ich nicht; aber sie wird es jedenfalls werden. Aber geh jetzt hinauf und laß ihn herein. Nur zu uns herab darf er nicht! Auf keinen Fall!«
Sie stieg wieder nach oben und ging zur Hausthür, um diese zu öffnen. Der Graf trat ein. Mit ihm wollten sich Andere hereindrängen, er aber schob sie zurück und verschloß nun selbst die Thür.
»Wo ist Ihr Mann?« fragte er.
»Ich weiß es noch nicht,« antwortete sie.
»Und Ihr Sohn?«
»Auch das kann ich nicht sagen.«
Er lächelte sie überlegen an.
»Meinen Sie, daß ich ebenso dumm bin wie Ihre Jakuten und Ostjacken? Sagen Sie nur wenigstens, wo die beiden Teufels sind!«
Sie bemühte sich, eine erstaunte Miene zu zeigen.
»Die beiden Teufels?«
»Na freilich.«
»Welche denn?«
»Die hier hereingesprungen sind.«
»Ich weiß von keinem Teufel Etwas.«
Da nahm er eine strenge Miene an und warnte:
»Hören Sie, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich keinen Spaß verstehe. Wenn Sie mir nicht augenblicklich die Wahrheit sagen, so öffne ich die Thür und laß das Volk herein. Dann wird man die beiden Gespenster wohl sehr bald finden!«
Diese Drohung brachte sie in große Verlegenheit, zumal er sich der Thür wieder näherte und so that, als ob er sie öffnen wolle.
»Um Gotteswillen! Lassen Sie zu!« bat sie.
»So antworten Sie! Wer sind die beiden Gestalten, welche hier herein kamen?«
»Mein – Mann und mein Sohn,« antwortete sie zögernd.
»Wo befinden Sie sich?«
»Hier im Hause.«
»Natürlich! Das weiß ich. In welchem Raume?«
»Oben.«
»Schön! Führen Sie mich zu ihnen!«
»Das ist leider unmöglich.«
»So? Warum?«
»Sie befinden sich in einem Zustande, in welchem – –«
»Pah! Grad in diesem Zustande will ich sie sehen.«
»Erlaucht! Das geht doch nicht!«
»Und ich sage Ihnen, daß es geht! Also bitte, führen Sie mich!«
Er schritt vorwärts, und sie folgte ihm in größter Verlegenheit. Als er an der Kellerthür vorüber kam, blieb er stehen und sog die Luft durch die Nase.
»Ah! Das riecht ja prächtig nach Theer und nach Petroleum! Wo befinden sich die beiden Herren?«
»Oben in ihren Zimmern.«
»So? Hm!«
Er blickte sie scharf an. Sie schlug die Augen nieder. Da drehte er schnell den Schlüssel der Kellerthür auf. Er gewahrte den Lichtschein unten und hörte auch sprechende Stimmen.
»Ah – –! Hm – –! Wer ist da unten?« fragte er flüsternd.
»Es ist – es ist – –«
»Es sind die Teufels! Nicht?«
»Ja,« antwortete sie, da es ihr nun unmöglich war, ihn zu täuschen.
»Lügnerin!«
»Es war mir verboten!«
»So! Sie können gehen. Ich aber steige hinab.«
»Um Gotteswillen, Herr Graf!«
»Pst! Still! Sie schweigen. Gehen Sie jetzt! Daß uns kein Mensch da unten stören kann, dafür will ich sorgen.«
Er zog den Schlüssel ab und steckte ihn ein. Dann schob er die Frau zurück, trat auf die Kellertreppe, machte die Thür von innen zu und schlich sich so leise wie möglich die Stufen hinab. Er hörte, was die Beiden sprachen. Sie hatten keine Ahnung, daß er sie belauschte.
»Allemal, wenn er kommt, passirt uns ein Unglück,« sagte soeben der Kreishauptmann. »Jetzt ist er da, und wir werden eingetheert.«
»Wäre er doch an unserer Stelle gewesen!« zürnte der Rittmeister.
»Was mag er heut wieder wollen?«
»Das wirst Du schon erfahren. Er wird kein Geheimniß daraus machen. Wir sind von seiner Gnade und Barmherzigkeit abhängig. Wenn ich ein gutes Mittel wüßte, ihn für immer los zu werden, es käme mir nicht auf – –«
»Nun, auf was käme es Dir nicht an?«
»Auf eine Dosis Gift oder einen guten Schuß Pulver.«.
»Das wäre das Allerbeste. Freilich ist er ein zu großer Schlaukopf, als daß wir ihm Etwas anhaben könnten. Und daß er uns jetzt erkannt hat, das ist sicher. Dadurch gewinnt er wieder eine Macht über uns. Ich möchte wissen, ob er wirklich so angesehen beim Zaaren ist.«
»Ich bezweifle es nicht; sein Auftreten ist ganz darnach. Aber trotz seiner Schlauheit ist er doch ein großer Esel. Er schleppt diese Gökala überall mit sich herum. Ich an seiner Stelle hätte sie längst gezwungen, meine Frau oder meine – Maitresse zu werden. Wenn ich – – na, ich werde ja erfahren, was er will. Verlangt er zu viel, so bekommt er Fliegenschwamm.«
»Die Völkerschaften Sibiriens genießen nämlich den Fliegenschwamm in verschiedenen Gestalten als Reiz- und Betäubungsmittel. Ebenso wissen sie ein langsam aber sicher tödtendes Mittel aus demselben zu bereiten. Auf dieses Mittel spielte der jetzige Sprecher an. Er erschrak freilich fürchterlich, als jetzt von der Treppe her die Frage ertönte:
»Wird er denn auch so albern sein, Euern Fliegenschwamm zu fressen?«
Die Beiden schrieen laut auf. Er trat von der letzten Stufe herab und auf sie zu.
»Der Graf!« meinte der Kreishauptmann.
»Ja, ich bin es. Leider höre ich, daß ich Euch nicht willkommen bin.«
»O – o – oh! Sogar außerordentlich!«
»Wirklich?«
»Bei allen Heiligen!«
»Schwöre nicht, Kerl! Ich habe ja gehört, was Ihr jetzt gesprochen habt!«
»Es war ja gar nichts Unrechtes?«
»Was? Daß Ihr mir Fliegenschwamm geben wollt, das ist nichts Unrechtes?«
»Erlaucht, Sie waren nicht gemeint.«
»Schweig! Es hat kein anderer Mensch eine Gökala bei sich. Ihr seid zwei Schufte, wie sie größer gar nicht geboren werden können, und doch auch wieder so große, so gewaltige Dummköpfe, daß man vor lauter Mitleid die bittersten Thränen vergießen möchte.«
Durch diese höchst aufrichtigen Worte fühlte sich der Kreishauptmann auf das Tiefste beleidigt. Darum antwortete er in zornigem Tone:
»Ueber uns zu weinen, das haben Sie nun doch wohl nicht nöthig!«
»Doch, denn ich habe ein menschlich fühlendes Herz,« spottete der Graf. »Seht Euch nur an! Wer da keine Thräne des Mitleides für Euch vergießt, der ist gar kein Mensch. Was habt Ihr denn nur gemacht, Ihr albernen Kerls!«
Die Beiden hatten in diesem Augenblicke nämlich nichts als nur die Hemden an. So weit und nicht weiter waren sie in ihrer Toilette gediehen. Desto köstlicher sah sich der Zorn an, mit welchem der Kreishauptmann, einen Schritt auf den Grafen zutretend, diesem antwortete:
»Herr, wer giebt Ihnen das Recht, uns in solcher Weise zu beleidigen?«
»Ich! Ich selbst gebe mir es.«
»Das muß ich mir verbitten!«
»Ich lasse mir nicht verbieten, die Wahrheit zu sagen!«
»Alberne Kerls sind wir nicht!«
»So! Was denn?«
»Wir sind – –«
Er stockte und kam nicht weiter. Er wußte wirklich nicht, was er sagen wollte.
»So rede doch!« sagte sein Sohn. Und sich zu dem Grafen wendend, fuhr er fort: »Ich bin Offizier, kaiserlich russischer Offizier, Herr, und mein Vater ist Kreishauptmann!«
»Ah, so! Und wer hat Euch zu dem gemacht, was Ihr seid?«
»Der Kaiser!«
»Pah, dem Grafen Polikeff, nämlich mir habt Ihr es zu verdanken! Doch streiten wir uns nicht. Wir kennen einander doch zu gut, um nicht zu wissen, woran wir mit einander sind. Machen wir es uns lieber gemüthlich. Wir haben mit einander zu sprechen.«
Er setzte sich auf eins der Fässer, nachdem er vorher sein Taschentuch untergelegt hatte, um sich nicht schmutzig zu machen.
»Das können wir oben auch thun,« bemerkte der Kreishauptmann.
»So gut nicht wie hier.«
»Sie sehen, daß ich nicht in der Fassung bin, eine Conferenz zu halten.«
»Warum nicht?« lachte der Graf. »Ziehen Sie sich nur an!«
»Das pflegt man nicht in Gegenwart Anderer zu thun.«
»O, genirt Euch nicht. Wir sind ja Männer. Ich möchte hier bleiben, denn erstens können wir hier weniger beobachtet werden als oben, und zweitens gefällt mir die hiesige Atmosphäre. Ich liebe den Petroleumgeruch. Ich beneide Euch sogar um das Glück, Euch mit dieser angenehmen Essenz gewaschen zu haben. Ich wollte, mir könnte dieser Genuß auch einmal zu Theil werden. Ist schon der Geruch belebend und erfrischend, wie wonnig muß es erst sein, wenn es Einem erlaubt ist, den ganzen Körper in einem solchen Aether zu baden.«
»Gnädiger Herr, wir sind wirklich nicht hier, um Ihnen als Zielscheibe schlechter Witze zu dienen.«
»Das glaube ich ganz gern. Ihr seid, wie ich ja ganz deutlich rieche, zu andern Zwecken hier; aber um gute Witze wäre es jammerschade; Ihr würdet sie nicht verstehen, und so muß ich eben schlechte machen.«
»Machen Sie lieber gar keine! Wir sind zwar in diesem Augenblicke nicht grad salonfähig; aber wir können es in einer Viertelstunde sein, wenn es uns beliebt. Einem Jeden seine Ehre. Sie sind Graf, und so nenne ich Sie. Ich bin Kreishauptmann, und mein Sohn ist Rittmeister. Wir müssen dieses Sie auch für uns in Anspruch nehmen. Was Sie bezwecken, indem Sie uns Ihr und im Einzelnen gar Du nennen, das kann ich mir wirklich nicht denken.«
»Nicht?« lachte der Graf. »Es geschieht, weil wir alte Bekannte sind.«
»Nun wohl, ich bin gern einverstanden. Die Bekanntschaft ist eine gegenseitige, und so mag das Du und Euch auch gegenseitig sein.«
»Das müßte ich mir verbitten!« sagte der Graf, indem er die Stirn runzelte.
»So verbitten wir uns das Dutzen ebenfalls.«
»Vergeßt nicht, wer und was Ihr seid!«
Bei diesen Worten sprang er von seinem Fasse auf und stand in drohender Haltung vor dem Kreishauptmanne. Dieser ließ sich keineswegs erschrecken; er fuhr gemächlich mit dem Beine in die Hosen und antwortete:
»Wir wissen das sehr genau.«
»Nun, wer?«
»Ich habe es Ihnen bereits gesagt: Bezirkshauptmann und Rittmeister.«
»Aber was seid Ihr eigentlich?«
»Hm! Nun, was denn?«
»Spitzbuben!«
»Oho!«
»Ja. Oder habt Ihr das vergessen?«
»Ich weiß wirklich nichts davon.«
Er lachte bei diesen Worten dem Grafen höhnisch in das Gesicht. Dieser fühlte sich dadurch auf's Höchste geärgert und sagte:
»Haben Sie nicht vielleicht einen gewissen Saltikoff gekannt?«
»Nein.«
»Ah, nicht? Schön! Dieser Saltikoff war ein Verbrecher.«
»Geht mich nichts an.«
»Zu lebenslänglicher Verbannung nach Sibirien verurtheilt.«
»Das ist seine Sache.«
»Er fand einen Freund oder vielmehr einen Gönner, der ihn errettete.«
»Das wird ihn gefreut haben.«
»Dieser Freund besorgte ihm Legitimationspapiere, welche auf einen ganz andern Namen lauteten, nämlich auf den Namen Rapnin.«
»So heiße ich ja auch.«
»Ganz natürlich! Dieser Saltikoff entging nicht nur mit Hilfe dieser Papiere der lebenslänglichen Verbannung, sondern er machte auch eine gute Carrière, so daß er jetzt Kreishauptmann ist.«
»Grad wie ich!«
»Allerdings. Sie selbst sind ja dieser Mann.«
»Wirklich? Freut mich sehr! Es ist so selten, daß aus einem Verbannten ein Kreishauptmann wird.«
»Sagen Sie lieber, es ist niemals vorgekommen; es ist ganz unmöglich, weil es gegen die Gesetze ist.«
»Desto stolzer kann ich auf meine Stellung sein.«
»Aber diese Stellung ist eine sehr precäre. Es kostet mich ein Wort, so werden Sie ja abgesetzt. Sie befinden sich in meiner Hand.«
»Und Sie sich in der meinigen!«
Der Graf hatte drohend gesprochen und der Kreishauptmann ihm in ruhiger Ironie geantwortet.
»Was? Das wagen Sie mir zu sagen?« rief der Erstere.
»Ja, denn es ist die Wahrheit.«
»Das denken Sie ja nicht. Sie sind ein – ein Wurm gegen mich. Ich kann Sie zertreten!«
»Pah! Treten Sie doch einmal zu!«
»Ich brauche ja nur zu sagen, wer Sie sind!«
»Sie können das, was Sie sagen, nie beweisen.«
»Wirklich? Ah, jetzt verstehe ich Sie! Ich habe gewisse Papiere von Ihnen in den Händen!«
»Das glaube ich nicht.«
»Sie wollen sagen, Sie meinen, daß ich mich nicht im Besitze derselben befinde?«
»Ja.«
»Da irren Sie sich freilich sehr. So oft ich nach Sibirien komme, trage ich alle Papiere bei mir, von denen sich vermuthen läßt, daß ich sie brauche.«
»Ich weiß wirklich von keinen Papieren.«
»Sie sagen das, weil sie wirklich fest glauben, daß ich sie nicht mehr besitze. Aber ich trage sie sogar in dieser Tasche bei mir.«
Er klopfte an die linke Seite der Brust, wo sich die Tasche befand. Der Kreishauptmann richtete sein Auge funkelnden Blickes auf diese Stelle und meinte:
»Das können Sie zwar behaupten aber nicht beweisen.«
Der Graf lachte höhnisch auf.
»Ich verstehe Sie wirklich sehr gut. Sie wollen mich so weit bringen, die Papiere heraus zu nehmen. Dann fallen Sie über mich her, um sie mir zu entreißen. Sie sind ja Ihrer Zwei, während ich allein bin, und so steht zu erwarten, daß ich unterliegen würde.«
»Fällt mir nicht ein!«
»O, ich habe Ihren gierigen Blick wohl gesehen. Aber ich fürchte mich doch nicht vor Ihnen. Ich werde Ihnen das beweisen.«
»Das werden Sie bleiben lassen!«
»Oho! Ich bin keine Memme, und ich bin vorsichtig. Ich werde Ihnen beweisen, daß ich die Papiere bei mir habe, aber ich werde doch zugleich dafür sorgen, daß dieselben nicht in Ihre Hände gerathen können.«
»Thun Sie das, Graf!«
Der Graf zog ein elegantes Doppelterzerol aus der Tasche, spannte beide Hähne und sagte:
»Sie kennen mich! Sie wissen, daß ich in solchen Dingen Wort halte. Ich werde Ihnen die Papiere von Weitem zeigen. Aber sobald Sie nur die geringste Bewegung machen, sie mir zu entreißen, schieße ich Sie nieder.«
»Vater!« sagte der Rittmeister in warnendem Tone.
»Was willst Du?« fragte der Kreishauptmann.
»Keine Gewaltthat!«
»Pah! Unsinn!«
»Er schießt wirklich!«
»Das weiß ich. Es ist ihm zuzutrauen. Es fällt mir auch gar nicht ein, ihm eins der Papiere abzunehmen. Er mag sie behalten. Sie können mir nichts schaden.«
»Nicht?« lachte der Graf höhnisch.
»Nun, so sehen Sie einmal!«
Er zog eine Anzahl Papiere aus der Brusttasche und trat mit denselben an das brennende Licht. Er nahm jedes einzelne und sagte, welches der Inhalt sei, hielt aber dabei das Terzerol schußbereit.
»Hier zum Beispiel ist Ihr Geburts- und auch Ihr Taufschein!«
»Der meinige? Pah!«
»Ich meine den Geburts- und Taufschein Saltikoff's.«
»Das geht mich nichts an.«
»Hier die Legitimationen Ihrer Frau, einer geborenen Karanin, der Trauschein dabei.«
»Ist nicht meine Frau.«
»Hier der Geburts- und Taufschein von Iwan Saltikoff, Ihrem Sohne.«
»Ist ja gar nicht mein Sohn! Ich heiße eben Rapnin.«
»Diese Behauptung werden Sie nicht lange aufrecht erhalten. Hier ist ein Document, in welchem Sie amtlich bescheinigen, daß Sie eigentlich Saltikoff heißen.«
»Das wäre wunderbar!«
»So hören Sie doch!«
Er faltete das Papier auseinander und las:
»Bekenntniß.
Auf Verlangen des Herrn Grafen Alexei von Polikeff bescheinige und gestehe ich der Wahrheit gemäß, daß ich eigentlich jener Wassilai Saltikoff bin, welcher zur lebenslänglichen Deportation und Zobeljagd verurtheilt worden ist. Meine auf den Namen Rapnin lautenden Legitimationen sind gefälscht.
Parankow, den 11. October 1879.
Wassilai Rapnin.
Kreishauptmann.«
Er faltete das Papier wieder zusammen und steckte es mit den übrigen in die Brusttasche zurück. Dann fragte er in triumphirendem Tone:
»Sind Sie nun zufrieden gestellt?«
»Ja,« lachte der Kreishauptmann.
»Sie geben also zu, daß Sie sich ganz und gar in meiner Hand befinden?«
»Das fällt mir nicht im Traume ein.«
»Ich brauche nur diese Papiere bei der Behörde zu deponiren!«
»Sie würden sofort erfahren, wie ungeheuer Sie sich irren.«
»O bitte, denken Sie das ja nicht!«
»Ich denke es nicht, sondern ich bin überzeugt davon. Sie freilich treten ganz so auf, als ob mein Leben und meine Seligkeit von Ihrer Gnade abhingen. Sie haben meiner Frau gedroht. Dies kann meine Frau erschrecken aber mich nicht. Sie befinden sich noch mehr in meiner Hand als ich mich in der Ihrigen.«
»Das kann nur ein Wahnwitziger behaupten.«
»Oder nur ein Wahnwitziger kann es bezweifeln.«
»Wollen Sie etwa leugnen, daß die Papiere die Ihrigen sind und daß das Bekenntniß von Ihnen niedergeschrieben wurde?«
»Vor Gericht würde ich es freilich leugnen; hier aber unter sechs Augen gebe ich es Ihnen offen zu. Aber mit diesen Schreibereien haben Sie nicht die geringste Macht über mich erhalten.«
»Das ist lächerlich.«
»Ich kann es Ihnen beweisen.«
»Beweisen Sie es!«
»Schön! Wer hat das Bekenntniß, welches Sie soeben vorgelesen haben, geschrieben und auch untersiegelt?«
»Sie selbst.«
»Wer hat es entworfen, ich meine, dem Wortlaute nach?«
»Sie.«
»Ja. Sie hätten auch eine große Dummheit begangen, wenn Sie das entworfen hätten. Aber ebenso dumm waren Sie, daß Sie sich mit diesem Wortlaute einverstanden erklärten.«
»Schneiden Sie nicht auf!«
»Das thue ich nicht.«
»O doch! Ich möchte doch wissen, worinnen die Dummheit zu suchen sei.«
»In den Anfangsworten. Sie lauten ja doch ›Auf Verlangen des Herrn Grafen Alexei von Polikoff.‹ Ist's nicht so?«
»Ja.«
»Nun, diesen Anfang habe ich sehr mit Berechnung niedergeschrieben. Wenn ich auf Ihr Verlangen meine Sünde bekenne, so müssen Sie doch von derselben gewußt haben und auch heut noch wissen. Sie sind also der Mitschuldige von mir.«
Der Graf machte ein etwas undefinirbares Gesicht.
»Donnerwetter!« fluchte er.
»Ja,« lachte der Andere. »Sie sind überlistet. Sehen Sie das ein?«
»Den Teufel sehe ich ein!«
»Uebrigens habe ich meine Handschrift verstellt.«
»Das schadet nichts. Ich beschwöre, daß Sie es geschrieben haben.«
»Damit beschwören Sie Ihre Mitschuld. Und nun komme ich, nachdem Sie vorhin mit so viel Selbstbewußtsein mir meine Armseligkeit vorgeworfen haben. Ich kann Ihnen alle Ihre Trümpfe überstechen.«
»Das bilden Sie sich wirklich ein?«
»Ja.«
»Lassen Sie das bleiben!«
»Nicht doch! Ich bilde es mir übrigens nicht ein, sondern es ist eine unumstößliche Gewißheit. Warum haben Sie mir die auf Rapnin lautenden Papiere verschafft?«
»Aus Mitleid, um Sie zu retten.«
»Ja, Sie sind so eine grundgütige, mitleidige Seele! Ihre Barmherzigkeit ist gradezu unendlich. Ist Ihnen nicht vielleicht ein kleines indisches Ländchen Namens Nubrida bekannt?«
»Das geht Sie nichts an!«
»Vielleicht doch. Der Fürst dieses Landes hieß Banda. Er wurde von Ihnen über die Grenze gelockt und für mich ausgegeben, für Wassilai Saltikoff. Sie wollten seine Tochter haben, und darum mußte der Alte an meiner Stelle in die Wälder, um den Zobel zu jagen. Wenn er aber Saltikoff sein sollte, so mußte Saltikoff einen andern Namen erhalten. Darum brachten Sie mir die auf Rapnin lautenden Papiere. Sie haben nur Ihre Pläne verfolgt, aber keineswegs aus Mitleid gehandelt.«
»Und doch. Ich hätte den Maharadscha für einen jeden andern Verbrecher ausgeben können. Ich wählte grad Sie, weil ich mich für Sie interessirte.«
»Nun, so wünsche ich, daß Sie sich nicht mehr für mich interessiren. Es würde mir lieb sein, wenn Sie mich vergäßen, ganz vergäßen, mich niemals wieder aufsuchten.«
Der Graf war kleinlaut geworden. Er blickte vor sich nieder und meinte:
»Ich habe Sie auch keineswegs gesucht.«
»Aber Sie sind doch zu mir gekommen.«
»Zufall!«
»Das glaube ich nicht.«
»Fragen Sie Ihre Frau!«
»Wie kann die das wissen?«
»Sie hat erkennen müssen, daß ich nur gekommen bin, mir bei dem hiesigen Kreishauptmanne Gastfreundschaft zu erbitten. Das Sie es sind, habe ich nicht gewußt. Erst als Ihre Frau den Namen Rapnin nannte, erfuhr ich es. Ich habe stets geglaubt, daß Sie sich noch immer in Parankow befinden. Ihre Versetzung hierher war mir völlig unbekannt.«
»Wenn das wahr ist, warum treten Sie dann so feindselig gegen mich auf?«
»Habe ich nicht gute Gründe?«
»Keineswegs!«
»Sogar zwei!«
»Lassen Sie hören!«
»Erstens verhielt Ihre Frau sich feindselig und abweisend gegen mich.«
»Sie werden ihr Ursache dazu gegeben haben. Ich kenne ja die Art und Weise, in welcher Sie Andre behandeln. Und nun den zweiten Grund?«
»Sagten Sie nicht vorhin, daß Sie Lust hätten, mich mit Fliegenschwamm zu vergiften?«
»Nun ja. Ich will es nicht leugnen. Ich habe es gesagt.«
»Und da soll ich etwa herzlich zu Ihnen sein?«
»Herzlich? Das verlangt kein Mensch, der Sie kennt, ich aber am Allerwenigsten. So oft Sie sich bei uns sehen ließen, hat es stets ein Unheil gegeben. Wir sind also sehr wohl berechtigt, Ihren Besuchen mit Mißtrauen entgegen zu blicken. Es würde jedenfalls für beide Theile von Vortheil sein, wenn sie so thäten, als hätten sie einander niemals gekannt.«
»Ich würde darauf eingehen, wenn es mir möglich wäre.«
»Warum sollte es nicht möglich sein?«
»Weil ich Sie vielleicht noch brauchen kann.«
»Als Werkzeug Ihrer Pläne? Denken Sie nicht daran! Ich thu nicht wieder mit. Der Gebrannte scheut das Feuer. Was für einen Plan verfolgen Sie denn gegenwärtig?«
Die beiden Rapnin hatten ihre Anzüge nun angelegt. Sie rochen schrecklich nach Petroleum, sonst aber war ihnen keine Folge des nächtlichen Abenteuers mehr anzumerken. Der Graf schien ein ganz Anderer geworden zu sein. Er sah ein, daß er von Rapnin überlistet worden war. Er befand sich im Nachtheile gegen den Bezirkshauptmann, den er bisher für seine Kreatur gehalten hatte. Das machte ihn nachdenklich. Er durfte seinen Gegner ja nicht noch mehr herausfordern.
Still saß er wieder auf seinem Fasse, die Arme über die Brust verschränkt. Er überlegte. Dann nach einer kleinen Weile antwortete er:
»Nun wohl, ich will aufrichtig mit Ihnen sein. Wir können in Frieden auseinander kommen.«
»Das wäre ganz nach meinem Wunsche. Sie brauchen mir nur die Papiere herauszugeben, welche Sie vorhin vorzeigten.«
»Warum das? Ich denke, Sie fürchten diese Papiere nicht?«
»Ich fürchte sie auch nicht; aber unbequem können sie mir doch werden. Erst wenn sie vernichtet sind, kann ich ruhig und sicher sein.«
»Das glaube ich wohl. Aber meinen Sie, daß man solche Papiere aus der Hand giebt, ohne irgend welche Gegenleistungen dafür zu erhalten?«
»Ah! Sie spekuliren?«
»Natürlich!«
»Nun, so bedenken Sie, daß mein Bekenntniß Ihnen selbst gefährlich wird, falls Sie einen mir feindseligen Gebrauch davon machen wollen.«
»Hierin irren Sie sich höchst wahrscheinlich.«
»Ich glaube nicht.«
»O doch! Sie vergessen dabei Zweierlei. Erstens bin ich kein Kind, auch kein unvorsichtiger Mensch, welcher sich nicht reiflich überlegt, was er thut. Und zweitens giebt mein Rang mir volle Sicherheit, mich auf das Leichteste derjenigen Unannehmlichkeiten, an welche Sie wohl denken mögen, zu erwehren.«
»Wenn wir gegen einander aufrichtig sein wollen, so kann ich Ihnen einigermaßen, wenn auch nicht ganz Recht geben. Es ist immer am Allerbesten, wenn wir uns friedlich zu einander stellen.«
»Daran thun Sie sehr wohl. Ich bin unter Umständen bereit, Ihnen die Papiere auszuhändigen.«
»Welche Umstände sind dies?«
»Zunächst die Mittheilung, daß ich Gökala bei mir habe – –«
»Ich weiß es.«
»Von meiner Frau.«
»Die darf und soll aber doch Gökala gar nicht kennen!«
»Sie kennt sie auch nicht. Sie sagte mir, daß sich eine Dame in Ihrer Begleitung befinde. Ich ließ mir dieselbe beschreiben und erkannte aus dem Signalement natürlich sofort, wer sie ist.«
»Das stellt mich zufrieden. Also nun die weitere Mittheilung, daß ich den Maharadscha, ihren Vater, suche.«
Es glitt ein sehr befriedigtes Lächeln über das Gesicht des Kreishauptmannes, doch zeigte er dann sofort ein bedenkliches Kopfschütteln und meinte:
»Ein sehr schwieriges Beginnen.«
»Ich weiß das auch.«
»Wie wollen Sie ihn finden? Selbst Beamte wie ich, haben keine Kenntniß der Namen vieler ihrer Aufsicht unterstehenden Verbannten.«
»So muß man sich sofort an den obersten Beamten direct wenden.«
»An den Gouverneur? Er darf keine Mittheilung machen.«
»Ich hoffe, daß er gegen mich nicht zurückhaltend sein werde.«
»Möglich, aber nicht wahrscheinlich.«
»Mein Rang – – –«
»Bitte, bitte! Ihr Rang kann wohl einem Unterbeamten imponiren, nicht aber dem Gouverneur, welcher bei der Entfernung, die den Czaren und Petersburg von uns trennt, fast als ein unbeschränkter Herrscher bezeichnet werden kann.«
»So greift man zur List.«
»Der Gouverneur wird sich schwerlich überlisten lassen.«
»Ich meine natürlich die Bestechung. Irgend ein Unterbeamter wird die betreffenden Bücher zu führen haben. Einige Hundert oder meinetwegen auch Tausende von Rubeln reichen sicherlich aus, einen solchen Mann zu veranlassen, einmal nachzuschlagen.«
»Zugestanden. Aber bestenfalls erfahren Sie da, in welcher Gegend der Maharadscha aufzusuchen ist, und welche Nummer er führt. Sie erfahren das Jrkutsk und wissen dann, daß der Gesuchte droben in Kamtschatka sein Jagdgebiet hat. Dorthin können Sie nur, wenn die Sümpfe zugefroren sind, also im Winter. Sie müssen bis dahin warten. Dann unternehmen Sie die monatelange, gefährliche Reise. Bei Ihrer Ankunft dort erfahren Sie, daß er auf die Jagd ausgezogen ist. Wohin, das weiß Niemand. Nun können Sie ihn in den dichten Urwäldern und endlosen Mooren suchen.«
»Das Alles habe ich mir auch bereits gesagt; aber es muß eben unternommen werden. Ich muß ihn haben, falls er noch lebt.«
»Sie müssen? Warum?«
»Hm! Das zu beantworten, hieße wohl, meine Aufrichtigkeit zu weit treiben.«
»Nein, es hieße nur, klug gehandelt zu haben. Vielleicht bin ich im Stande, Ihnen irgend welche Auskunft zu ertheilen.«
»Wirklich?« fragte der Graf schnell.
»Ich habe nur gesagt, vielleicht,« antwortete der Kreishauptmann zurückhaltend.«
»Ich sehe es Ihnen aber an, daß Sie Etwas wissen!«
»Hm! Wenn es Ihnen an Aufrichtigkeit mangelt, habe ich auch keine Verpflichtung mittheilsam zu sein.«
»Wollen Sie mich etwa ausquetschen wie eine Citrone?«
»O nein; aber ich selbst soll, wie es scheint, ausgequetscht werden.«
»So sagen Sie mir vorher, ob ich in Wirklichkeit eine Mittheilung von Ihnen erwarten darf!«
»Nun, ich bin vielleicht im Stande, Ihnen eine Auskunft zu ertheilen, mit deren Hilfe Sie den Gesuchten bald zu finden vermögen.«
»So will ich reden. Ich befinde mich auf dem Wege nach Irkutsk. Gökala ist starr wie Eis. Ich habe mir bisher vergebliche Mühe gegeben, sie nachgiebig zu stimmen.«
»So ist sie noch immer nicht Ihre Frau?«
»Nein.«
»Donnerwetter! Nach so langer Zeit!«
»Sie ist wie Eisen.«
»Aber Sie haben sie doch in Ihrer Gewalt! Wenn Sie keine Liebe erhalten, so können Sie sich doch die erwünschten Zärtlichkeiten erzwingen.«
»Dasselbe habe ich mir auch gedacht. Aber ich habe mich ebenso in ihr geirrt, wie Sie sie falsch beurtheilen. Sie umhüllte sich mit solchen Vorsichtsmaßregeln, daß an einen Zwang gar nicht zu denken ist.«
»Pah! Ein Mann bezwingt ein Mädchen stets.«
»Dieses Mädchen nicht.«
»Sie sind ja tausendmal mit ihr allein!«
»Nein. Sie ist keinen Augenblick ohne Dienerschaft.«
»So jagen Sie diese dienstbaren Geister zum Teufel!«
»Das kann ich nicht. Sie ist bewaffnet. Sie würde sich wehren und dann unter keinem Umstände eine Minute länger bei mir bleiben.«
»Sie haben sie aber doch bisher gezwungen, bei Ihnen zu sein!«
»Nur dadurch, daß ich ihr zugeschworen habe, daß ihr Vater sterben muß, sobald sie mich verlassen sollte. Aus Liebe zu ihm, um ihm am Leben zu erhalten, bleibt sie bei mir. Aus keinem andern Grunde.«
»Nun, wenn sie ihm ein so schweres Opfer bringt, so sagen Sie ihr doch, daß er sterben muß, wenn sie sich länger weigert, die Ihre zu werden.«
»Das habe ich bereits oft versucht, aber vergeblich. Ihr Haß gegen mich ist doch noch stärker als ihre Kindesliebe.«
»Welche Dummheit!« lachte der Kreishauptmann. »Die Liebe eines Mannes von Ihren Qualitäten von sich zu weisen!«
»Spotten Sie nicht! Uebrigens würde ich es dennoch mit dem Zwang versuchen. Es ist ja gar nicht so unmöglich, sie zu isoliren und dann zu bezwingen; aber ich habe noch andere Rücksichten zu hegen als Diejenigen, welche mir die Liebe zu ihr gebietet.«
»Darf man erfahren, welche Rücksichten das sind?«
»Eigentlich nicht. Aber wir sind ja in diesem Falle Verbündete. Also hören Sie: Ich will Maharadscha von Banda werden.«
Der Kreishauptmann fuhr um einige Schritte zurück.
»Donnerwetter! Das wäre kühn!« rief er aus.
»Ja, kühn, aber doch zu erreichen.«
»Ein Maharadscha ist ja so viel wie ein Großherzog, ein souverainer Herrscher!«
»Meinen Sie etwa, ich hätte nicht das Zeug dazu?«
»Ganz von dieser Frage abgesehen. Wie aber wollen Sie das anfangen?«
»Dadurch, daß ich Gökala zwinge, freiwillig meine Frau zu werden.«
»Zwingen und freiwillig! Hahahaha!«
»In diesem Falle ist dies kein Widerspruch. Werde ich kirchlich mit ihr verbunden, mit ihr, der einzigen Erbin ihres Vaters, so muß ihr, also auch mir, die Herrschaft zufallen.«
»Er ist nicht daheim. Wie kann er da herrschen!«
»Ich erlöse ihn aus der Verbannung.«
»Ach so! Aber das Land hat ja bereits einen andern Herrscher!«
»Es ist ein entfernter Verwandter, ein Schwachkopf. Er behandelt seine Unterthanen mit solcher Härte und Grausamkeit, daß sie die Rückkehr des verschollenen Herrschers mit Jubel begrüßen würden.«
»Es scheint, daß Sie sich genau unterrichtet haben. Was aber hat dieser diplomatische Plan mit Ihrer jetzigen Anwesenheit hier zu thun?«
»Sehr viel. Ich will den Maharadscha aufsuchen, um mit ihm zu sprechen. Ich verheiße ihm Freiheit und Rettung, falls er einwilligt, mir seine Tochter zur Frau zu geben.«
»Sie denken, daß er Ja sagen wird?«
»Unbedingt! Er muß ja die Freiheit, in welcher er Herrscher ist und sein Kind bei sich hat, der Verbannung vorziehen.«
»Hm! Man kann einen Menschen sehr falsch beurtheilen und sich grad dann in ihm irren, wenn man seine Rechnung auf das Sicherste gestellt hat.«
»Auch daran habe ich gedacht. In diesem Falle appellire ich an Gökala's Kindesliebe.«
»An die Sie sich bereits vergebens gewendet haben, um die ersehnten Zärtlichkeiten zu erlangen!«
»Weil sie nicht genau weiß, wo sich ihr Vater befindet. Erfährt sie, daß er als verbannter Pelzjäger auf den eisumstarrten Ebenen Sibiriens friert und hungert, so wird sie wohl gern meine Frau werden, um ihn zu retten.«
»Sehr schön gedacht. Aber wenn sie sich dennoch weigert?«
»Nun, so greife ich zum letzten Mittel: Er muß sterben, und sie wird mein durch Gewalt. Haben muß ich sie, und wäre es nur für die kurze Zeit eines Tages.«
»Sie sind ja ganz und gar desperat verliebt in dieses Frauenzimmer!«
»Diese Liebe ist die einzige Schwäche, welche ich besitze, freilich eine geradezu ungeheure und verhängnißvolle Schwäche. Ich bin der Herr, der Peiniger Gökala's, und dennoch bin ich ihr Sclave. Es ist der Satan selbst, der mich dieses herrliche Wesen erblicken läßt. Ich trage, seit ich sie zum ersten Male sah, eine Hölle in mir herum.«
Er ballte die Fäuste und knirrschte mit den Zähnen. Der Kreishauptmann lachte!
»Wenden Sie sich an unsern Popen. Der wird Sie von dieser Hölle befreien. Sie haben ja heut erfahren, welch ein gewaltiger Teufelsbanner er ist.«
»Lassen Sie solchen Scherz! Mir ist sehr ernst zu Muthe. Ich erkenne, daß ich selbst mein größter Feind bin, und doch kann ich gegen diesen Feind nichts machen.«
»So rufen Sie doch um Hilfe! Vielleicht finden Sie Einen, der Sie von diesem Feinde befreit.«
»Wer sollte das sein?«
»Nun, ich zum Beispiel.«
»Sie? Sie wären der Kerl!«
»Ja, Sie halten mich für einen Schwachkopf. Na, ich habe nichts dagegen; wenigstens will ich darüber nicht mit Ihnen streiten. Aber wenn der kleine David den riesigen Goliath erlegte, so kann es vielleicht auch einmal einem notorischen Schwachkopf gelingen, Ihnen die erwartete Hilfe zu bringen.«
»Worin soll diese Hilfe bestehen?«
»Darin, daß ich Ihnen den Weg zum Maharadscha zeige.«
»Alle Wetter! Wissen Sie, wo er ist?«
»Ja.«
»Aber Sie haben doch keine Liste!«
»Ist auch nicht nothwendig.«
»Doch, doch! Wie können Sie seine Nummer und den Ort kennen, an welchem er lebt?«
»Die Nummer brauche ich nicht zu kennen, da ich ihn selbst kenne, wie Sie ja wissen.«
»Oh! Sie haben ihn gesehen?«
»Ja.«
»Wann? Wo? Schnell, schnell!«
»Nur Geduld! So augenblicklich, wie Sie meinen, ist die Angelegenheit doch nicht zu erledigen.«
»Warum nicht? Sie brauchen mir doch nur seine Nummer zu nennen und seinen Aufenthaltsort zu sagen!«
»Da muß ich Ihnen ganz so antworten wie Sie vorhin mir: Glauben Sie, daß man eine solche Mittheilung ohne eine entsprechende Gegenleistung macht?«
»Und ich antworte Ihnen ebenfalls so, wie Sie vorhin mir: Sie wollen speculiren?«
»Natürlich!«
»Er lebt und ist gesund.«
»Befindet er sich weit von hier?«
»Ich habe keinen Grund, diese Frage zu beantworten.«
»Kreuzmillionendonnerwetter! Reden Sie doch!«
Er befand sich in einer bedeutenden Aufregung. Er hatte den Kreishauptmann am Arme gepackt und schüttelte denselben.
»Lassen Sie mich los!« lachte der Beamte. »Sie befinden sich doch ganz in Exstase!«
»Ist das ein Wunder? Also reden Sie schnell, damit ich ruhiger werde.«
»Werde mich hüten! Was habe ich davon?«
»Was verlangen Sie?«
»Die Papiere.«
»Gut. Sie sollen sie haben.«
»Wann?«
»Sobald ich den Gesuchten gefunden habe.«
»Danke sehr! Auf diese Weise werden Sie ihn niemals finden.«
»Wieso?«
»Weil ich mich hüten werde, Ihnen zu sagen, wo er ist. Ich mißtraue Ihnen.«
»Zum Teufel! Das sagen Sie mir so grad in das Gesicht!«
»Ich habe Ursache dazu.«
»Ich halte mein Wort!«
»Das sagen Sie jetzt. Aber Ihr Versprechen bietet mir keine Garantie.«
»Herrrrrr!« brauste der Graf auf. »Ich bin Edelmann!«
»Meinetwegen! Es haben tausende von Edelmännern ihr Wort gebrochen.«
»Aber ich noch nicht!«
»Darüber habe ich kein Urtheil. Ich gehe sicher.«
»Was verlangen Sie denn?«
»Ich muß gewärtig sein, Sie suchen und finden den Maharadscha und gehen fort, ohne mir die Papiere auszuhändigen. Darum – – –«
»Ich halte mein Wort!« unterbrach ihn der Graf.
»Vielleicht haben Sie wirklich jetzt den besten Willen dazu. Aber wenn Sie den Gesuchten zum Beispiele im fernen Urwalde finden, wie erhalte ich dann die versprochenen Papiere?«
»Ich bringe sie Ihnen.«
»Aus solcher Ferne her? Pah!«
»Ist mirs zu weit, so sende ich sie Ihnen.«
»Danke sehr! Da können sie geöffnet werden, und ich sitze in der Tinte. Nein, das ist mir zu gefährlich. Wir machen einen ehrlichen Tauschhandel, bei welchem der Grundsatz gilt, Waare gegen Waare.«
»Schön! Aber welche Waaren sollen umgetauscht werden?«
»Die Papiere gegen meine Mittheilung, wo der Maharadscha zu finden ist.«
»Das ist für mich ein sehr schlechter Tausch.«
»O nein, denn Sie erhalten die Papiere, also etwas Reales, etwas Greifbares; ich aber empfange eine blose Mittheilung und habe nicht die mindeste Garantie, daß sie sich bewähren werde.«
»Ich sage die Wahrheit!«
»Welche Bürgschaft haben Sie? Ich spreche jetzt so wie vorhin Sie. Ich traue Ihnen nicht.«
»Nun, so haben Sie mich doch immer in Ihrer Hand. Selbst wenn Sie die Papiere nicht mehr besitzen, können Sie anzeigen, daß ich nicht Rapnin, sondern Saltikoff heiße und eigentlich ein Verbannter bin.«
»Recht haben Sie da freilich. Sie können dann abgesetzt und bestraft werden.«
»Gewiß! Wenn es auch längere Zeit dauern wird, bis man mir beweisen kann, daß Sie die Wahrheit gesagt haben. Sie riskiren also gar nichts.«
»Hm! Verdammte Geschichte! Sagen Sie mir nur das Eine vorher: Habe ich mich weit von hier zu entfernen?«
»Werden wir jetzt gleich einig, so können Sie ihn in zwei Tagen einholen. Entschließen Sie sich aber nicht rasch, so schweige ich auch später. Dann können Sie ihn unten am Eismeere suchen.«
»War er etwa hier?«
»Ja.«
»So mache ich den Handel mit! Sagen Sie mir, was ich wissen muß. Hier sind die Papiere dafür zurück.«
Er zog sie aus der Tasche und hielt sie ihm hin, mußte sich aber nicht wenig wundern, daß der Kreishauptmann nicht schnell zugriff, sondern abwehrend sagte:
»Gemach, gemach! Noch sind wir nicht fertig.«
»Was denn noch?«
»Ich würde sofort zugreifen; aber eine Bemerkung, welche Sie machten, hindert mich daran. Ich muß vorher mit meinem Gewissen zu Rathe gehen.«
»Der Teufel hole Ihr Gewissen!«
»O nein. Vielleicht wüßte er gar nicht, was er damit anfangen sollte.«
»Das glaube ich wohl, denn es ist so durchlöchert wie ein Sieb.«
»Sie scheinen mein Inneres sehr eingehend betrachtet zu haben, dennoch aber bin ich zu gewissenhaft, als daß ich einen Mord auf meine Seele nehmen möchte.«
»Wer spricht denn von einem Morde?«
»Sie doch!«
»Oho!«
»Vorhin. Oder sagten Sie nicht, daß Sie im letzten Falle den Maharadscha tödten würden?«
»Aber nur im letzten Falle!«
»Nun, dieser Fall kann ja doch eintreten, und dann hätte ich Antheil an diesem Morde.«
»Das wird Sie wenig geniren. Seit wann sind Sie denn gar so zartfühlend geworden?«
»Seit ich mich in Verhältnissen befinde, welche nicht die zartesten sind.«
Der Graf blickte ihn forschend an und fragte sodann:
»Aha! Geldnoth?«
»Leider.«
»Aus welcher ich Ihnen helfen soll?«
»Hoffentlich!«
»So verlangen Sie nicht nur die Papiere, sondern auch noch Geld?«
»Versteht sich!«
»Das ist unverschämt!«
»So brauchen Sie sich ja gar nicht mit mir zu unterhalten. Als unverschämt zu gelten, dazu habe ich keine Lust. Komm, Iwan!«
Er nahm seinen Sohn bei der Hand. Der Graf trat ihnen schnell in den Weg und sagte:
»Macht keine Dummheiten! Wir brauchen unsere Ausdrücke doch wahrlich nicht auf die Goldwage zu legen. Ich bin bereit, eine Summe zu bezahlen.«
»Schön! Das giebt der Sache eine andere, eine bessere Wendung.«
»Wie viel verlangen Sie?«
»Wie viel geben Sie?«
»Ich zahle – sagen wir fünfhundert Rubel.«
»Fünftausend Ru – – –«
»Hundert, nicht tausend!« fiel der Graf schnell ein.
Der Kreishauptmann aber fuhr unbeirrt fort:
»Fünftausend Rubel? Hm, bei so einem Angebote läßt sich die Sache wenigstens überlegen. Ich denke jedoch, daß – – –«
»Hole Sie der Teufel!« unterbrach ihn der Graf. »Wer hat denn von fünftausend Rubeln gesprochen?«
»Sie doch!«
»Ist mir nicht eingefallen. Ich habe fünfhundert geboten, keine Kopeke mehr.«
»Fünfhundert? Schämen Sie sich, Graf! So bezahlt man einen Bettler, nicht aber mich. Lassen wir da lieber unser Thema fallen und gehen wir endlich hinauf nach der Wohnung. Die Luft behagt mir hier nicht mehr.«
Er wollte gehen. Der Graf aber hielt ihn zurück.
»Mann! Bedenken Sie doch! Fünftausend Rubel!«
»Eine Kleinigkeit für Sie.«
»Sie sind ein Gurgelabschneider!«
»Es steht ja ganz in Ihrem Belieben, mit mir zu verkehren oder nicht.«
»Sapperment! Seien Sie doch verständig.«
»Das bin ich ja.«
»Reden Sie ernsthaft. Wie viel wollen Sie haben?«
»Ich habe es bereits gesagt: Bei fünftausend Rubel läßt sich die Sache überlegen.«
»Auch noch blos überlegen?«
»Ich verlange eine feste Forderung. Auf das Ueberlegen kann ich mich nicht einlassen. Ich habe keine Zeit dazu.«
»Nun gut. Ich will auch nicht unbillig sein und also nur fünftausend verlangen.«
»Hole Sie der Teufel!«
»Das haben Sie mir heut schon einige Male angewünscht. Er scheint aber Ihre Befehle nur ungern zu vollziehen.«
»Ich will Ihnen sagen, daß wir die Sache kurz machen wollen. Sind Sie mit dreitausend zufrieden? Ja oder nein?«
»Nein!«
»So sind wir mit einander fertig.«
»Schön! Gehen wir. Das Licht wird sogleich heruntergebrannt sein.«
Er wendete sich zum dritten Male nach der Treppe. Der Graf befand sich in äußerster Verlegenheit.
»Noch einen Augenblick!« sagte er.
»Was noch?«
»Sie gehen nicht herab?«
»Nein, keine Kopeke.«
»Spitzbube!«
»Bitte, keine Komplimente! Sie sind bei mir nicht angebracht.«
»Sie wissen, daß ich nothwendig erfahren muß, was ich wissen möchte. Darauf pochen Sie und stellen nun einen so horrenden Preis.«
»Ein Jeder sucht das Seine.«
»Sie handeln Unrecht an mir.«
»Pah! Streiten doch wir Beide uns ja nicht darüber, was Recht oder Unrecht ist. Wir sind Beide gleich hart gesotten. Also machen Sie mit oder nicht.«
»Ich bin ja gezwungen.«
»Gut, so sind wir einig.«
»Unter einer Bedingung.«
»Auch noch Bedingungen. Welche?«
»Wissen Sie wirklich genau, daß ich den Maharadscha binnen zwei Tagen haben werde?«
»Ganz gewiß.«
»Ich muß aber schleunigst aufbrechen?«
»Natürlich, denn er hat Eile, und je weiter er sich entfernt, desto später holen Sie ihn ein, vielleicht auch gar nicht.«
»Das giebt also einen Parforceritt.«
»Allerdings.«
»Da kann ich Gökala unmöglich mitnehmen.«
»Das ist wahr. Lassen Sie sie hier. Sie können sie ja abholen.«
»Ist sie mir aber auch bei Ihnen sicher?«
»Vielleicht sicherer als bei Ihnen.«
»Sie lassen sie natürlich nicht aus dem Hause.«
»Ganz nach Ihrem Wunsche.«
»Und kein Mensch darf zu ihr, ausgenommen Sie, Ihre Frau und Ihr Sohn.«
»Einverstanden.«
»So breche ich gleich auf und gebe Ihnen die Papiere. Nach meiner Rückkehr erhalten Sie das Geld.«
»Warum erst dann?«
»Auch ich will einige Sicherheit haben. Sie sind doppelt gedeckt und geschützt. Sie haben die Papiere und auch Gökala.«
»Hm! Ich will nicht unbillig sein und gehe auf Ihren Vorschlag ein. Aber zweitausend zahlen Sie jetzt, die andern dreitausend nach Ihrer Rückkehr.«
»Sind Sie denn gar so geldhungrig.«
»Nein, aber geldbedürftig.«
»Wenn das ist, so sollen Sie Ihren Willen haben. Sie sehen, wie anständig ich bin. Ich hoffe, Sie werden sich ebenso gegen mich verhalten.«
»Natürlich. Also bitte, zahlen Sie!«
»Nur nicht gleich. Erst will ich Ihre Mittheilung hören.«
»Gut! Der Maharadscha hat die Nummer Fünf. Er war bis gestern zum Jahrmarkt hier und hat sich einer Jagdgesellschaft angeschlossen, welche von einem Kaufmanne gegründet wurde, der aus Orenburg ist und Peter Lomonow heißt. Nummer Fünf ist als der beste Zobeljäger bekannt und wird in Folge dessen als Anführer der Gesellschaft fungiren.«
»Auf diese Mittheilung kann ich mich wirklich verlassen?«
»Ich beeide sie, wenn Sie wollen.«
»Gut! Wohin hat sich die Gesellschaft gewendet?«
»Sie hat die Richtung nach dem Mäckenflusse eingeschlagen. Er ist von hier aus in zwei Tagen zu erreichen.«
»Werden sich die Leute dort verweilen?«
»Sie müssen auf alle Fälle einen Tag dort Rast halten.«
»So reite ich sofort ab. Können Sie mir frische Pferde besorgen?«
»Wenn Sie gut zahlen, ja.«
»Ich geize nicht. Eine Bedeckung muß ich aber auch haben.«
»Ich gebe Ihnen zehn Kosaken mit, die Sie allerdings zu bezahlen und auch zu unterhalten haben.«
»Einverstanden! Hoffentlich kennen diese Leute die Gegend, durch welche wir kommen?«
»Ich gebe Ihnen Einen mit, auf dessen Ortskenntniß Sie sich verlassen können.«
»Wann kann ich da aufbrechen?«
»Bereits in einer Stunde, wenn es Ihnen so angenehm ist.«
»Ich bin mit dieser Schnelligkeit einverstanden.«
»So besprechen wir das Uebrige oben. Jetzt aber bitte ich um die Papiere und die Zweitausend Rubel.«
»Taugenichts! Damit könnten Sie doch auch warten, bis wir oben sind. Aber sie sollen es auch hier haben. Da, nehmen Sie!«
Er gab ihm die vielfach erwähnten Papiere und dann aus einer wohlgefüllten Brieftasche zwei Tausendrubelscheine. Der Kreishauptmann prüfte Alles genau, steckte dann das Empfangene in die Außentasche seines Rockes und sagte:
»Abgemacht! Jetzt sind wir Beide unsere Sorge los und können hoffentlich in Zukunft in Freundschaft an einander denken.«
»Wenigstens mich haben Sie nicht zu fürchten. Es ist das letzte Mal, daß ich in Sibirien bin. Ich mag keine Fliegenpilze essen.«
»Pah! Reden mir nicht mehr davon, denn – – Sapperment! Da ist das Licht verlöscht, grad im letzten Augenblicke.«
»Na, wir brauchen es glücklicher Weise nicht mehr. Wir sind ja fertig.«
Kein Umstand konnte dem verborgenen Lauscher so willkommen sein, wie das Auslöschen des Lichtes. Er zitterte fast vor Begierde, die betreffenden Papiere an sich zu bringen. Er war mit sich zu Rathe gegangen, auf welche Weise dies am Besten zu erreichen sei, hatte aber keinen ausführbaren Gedanken finden können.
Von seinem Verstecke aus hatte er ganz deutlich gesehen, wohin die Papiere von dem Kreishauptmanne gesteckt worden waren. Jetzt nun, da das Licht verlöschte, kam ihm mit einem Male die richtige Idee.
Er huschte hinter der Flaschenstellage vor und stellte sich auf die Lauer.
»Ja, fertig sind wir,« stimmte der Kreishauptmann bei. »Gehen wir also!«
»Vorher aber die Bemerkung, daß kein Mensch erfahren darf, was hier vorgegangen und verhandelt worden ist!«
»Diese Bemerkung ist sehr überflüssig.«
»Ich machte sie wegen Gökala. Diese darf am Wenigsten eine Ahnung haben.«
»Verlassen Sie sich auf uns! Wir sind verschwiegen wie geräucherte Sardinen. Nun aber fort von hier. Werden Sie den Weg finden?«
»Ganz leicht.«
»Iwan mag vorangehen, Sie in der Mitte und ich hinterher.«
Die Drei setzten sich in Bewegung. Sie hatten sich jenseits der Treppe, Sam aber sich diesseits derselben befunden. Jetzt huschte er hin und streckte die Hand aus, aber nur so weit, wie die Mauer reichte, so daß die Röcke der sich Entfernenden seine Finger streifen mußten.
Auf diese Weise fühlte er erst den Rittmeister, dann den Grafen und endlich auch den Kreishauptmann. Hinter dem Letzteren stieg er leise mit empor. Man konnte ihn nicht hören, da die Drei stark auftraten.
Er langte nach der Tasche, vorsichtig, außerordentlich vorsichtig. Es glückte prächtig. Bereits auf der vierten Stufe hatte er den Inhalt der Tasche in seiner Hand. Nun fiel es ihm natürlich nicht ein, ihnen zu folgen, sondern er huschte zurück, wieder in den Keller hinab. Dort unten an der Treppe blieb er lauschend stehen.
Die Drei öffneten oben die Thür und blieben dort ebenfalls stehen. Sam hörte den Kreishauptmann sagen:
»Das Volk da draußen habe ich ganz vergessen. Mach einmal die Thür ein Wenig auf, Iwan, und schau nach, ob die Leute noch draußen sind.«
Der Sohn folgte dieser Aufforderung und gab eine Antwort, welche Sam nicht verstand.
»Habe es mir gedacht,« meinte der Kreishauptmann. »Die gehen nicht eher fort, als bis sie Prügel bekommen. Was thun wir da?«
»Was hat es denn eigentlich gegeben?« fragte der Graf. »Wie sind sie in die fatale Lage gekommen?«
»Durch einen Schurkenstreich, den wir uns jetzt noch nicht zu erklären vermögen. Wir werden aber die Sache untersuchen, und wehe dann dem Schuldigen!«
»In Werg mit Theer eingewickelt zu werden! Das ist doch ungeheuerlich. Wie ist das eigentlich möglich gewesen?«
»Das wissen wir, wie gesagt, jetzt noch nicht.«
Er erzählte in kurzen Worten das Vorkommniß. Als er geendet hatte, sagte der Graf:
»Das ist freilich ungeheuer geheimnißvoll. Der Kosak ist also fort?«
»Natürlich. Er ist entkommen.«
»So haben ihm einige Kameraden geholfen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Die wagen das nicht.«
»Oho! Unter den Kosaken herrscht ein ganz besonderer Corpsgeist.«
»Er ist ja gar kein Kosak.«
»Was denn?«
»Ein Verbannter, dem erlaubt war, Soldat zu werden. Das müssen Sie ja bereits aus seiner Nummer ersehen.«
»Welcher Nationalität?«
»Russe. Wenigstens ist sein Name russisch.«
»Ich denke, den wissen Sie gar nicht, sondern nur die Nummer.«
»Sobald ein Verbannter in das Militär treten darf, kommt sein Name, obgleich er nur bei der Nummer genannt wird, mit in die Liste.«
»Wie hieß er?«
»Orzeltschasta.«
Der Graf mochte nur gefragt haben, ohne eine besondere Absicht dabei zu hegen. Er interessirte sich für den jungen Mann, dem die Flucht auf eine so eigenartige Weise gelungen war. Als er aber diesen Namen hörte, ergriff er den Arm des Kreishauptmannes, zog ihn wieder auf die Kellertreppe zurück und sagte:
»Orzeltschasta! Wissen Sie das gewiß?«
»Sie irren sich wirklich nicht?«
»Nein. Sein Name ist ein so seltener, daß man ihn sich leicht einprägt. Nicht wahr, Iwan, er heißt so?«
»Ja,« antwortete der Rittmeister, welcher von der Hausthür wieder herbeigekommen und zu ihnen getreten war.
»Alle Teufel! Orzeltschasta! Das ist doch wohl eigentlich gar kein russischer Name.«
»Wieso?«
»Haben Sie ihn schon einmal gehört?«
»Nein, nie.«
»Ich auch nicht. Vielleicht ist es eine Uebersetzung aus einer anderen Sprache. Kennen Sie seinen Vornamen?«
»Ich nicht. Iwan, kennst Du ihn?«
»Sehr genau. Der Kerl hat sich stets in der Weise gegen mich verhalten, daß ich mich mehr um ihn kümmerte, als um jeden Anderen. Er heißt Jurji.«
»Donnerwetter! Sollte das möglich sein. Welch ein Zufall wäre das!«
»Was?«
»Ich kenne eine deutsche Familie, eine ganz verdammte Sippe, der ich Tod und Rache geschworen habe. Ihr Name ist Adlerhorst. Das heißt auf russisch Orzeltschasta. Ein Sohn dieser Familie heisst Georg, also Jurji Orzeltschasta. Sollte das dieser Kerl sein.«
»Hm!« brummte der Rittmeister. »Was war dieser Georg?«
»Offizier.«
»Das stimmt, das stimmt!«
»Wieso?«
»Als ich gestern mit ihm zusammengerieth, rühmte er sich, Offizier und Edelmann zu sein.«
»Verflucht! Die Sache wird immer wahrscheinlicher. Wissen Sie nicht, ob er Deutsch versteht?«
»Er hüllte sich in dieser Beziehung in das tiefste Geheimniß, aber ich habe doch entdeckt, daß er Französisch, Englisch und Deutsch verstand.«
»So ist er es, so ist er es! Seine Spur führte damals nach Rußland. Weshalb wurde er mit der Verbannung bestraft?«
»In der Liste steht, wegen Aufwiegelung.«
»Das hat nichts zu sagen. Er wird sich bei einem seiner Oberen mißliebig gemacht haben. Da sind die Herren gleich mit der Verbannung da. Also wenn ist er desertirt?«
»Heut Nacht.«
»Ah, wäre ich doch gestern schon gekommen! Ich hätte ihn erkannt.
»Kennen Sie ihn denn?«
»Ich habe ihn noch niemals gesehen. Aber die Glieder dieser Familie haben eine solche Aehnlichkeit unter einander, daß man sich gar nicht irren kann. Haben Sie eine Ahnung, wohin er ist!«
»Nein.«
»Aber Sie haben bereits Maßregeln zu seiner Ergreifung getroffen?«
»Auch nicht.«
»Donnerwetter! Warum nicht? Das ist doch Ihre Pflicht.«
»Das weiß ich auch. Aber sagen Sie mir gefälligst, wenn ich diese Maßregel, hätte treffen können.«
»Natürlich sofort nach seiner Flucht.«
»Da steckte ich doch angebunden in diesem verteufelten Feuerwerksgebäude.«
»Ah ja! Richtig!«
»Und bin erst jetzt wieder frei und dispositionsfähig.«
»Bitte um Entschuldigung! Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Ueberhaupt habe ich mich noch gar nicht überzeugen können, ob er auch wirklich fort ist.«
»Na, hier geblieben wird er nicht sein.«
»Das denke ich auch. Er sollte in eine härtere Klasse versetzt und heut früh forttransportirt werden.«
»Hat er das gewußt?«
»Schwerlich. Aber er konnte es sich gar wohl denken.«
»So ist er fort.«
»Ich werde mich sofort überzeugen.«
»Schön! Thun Sie das aber schnell, noch ehe ich abreise, damit ich das Resultat erfahre.«
»Dieses kann ich Ihnen sagen. Ich wette, daß er echappirt ist.«
»Sie werden ihn aber verfolgen lassen?«
»Das versteht sich doch ganz von selbst. Es ist meine Pflicht, wie Sie vorhin sagten. Uebrigens hat er mich tödtlich beleidigt und ich werde schon aus diesem Grunde, ja ganz besonders aus diesem Grunde nicht eher ruhen, als bis ich ihn ergriffen habe.«
»Es frägt sich, ob er sich mit Hilfsmitteln versehen hat.«
»Was verstehen Sie darunter?«
»Nun, Proviant, Munition, ein Pferd und so weiter.«
»Das kann ich sehr leicht erfahren.«
»Rapportiren Sie mir auch das. Ich verlange es nicht umsonst. Ergreifen Sie ihn, und ich finde, daß er der betreffende Georg Adlerhorst ist, so zahle ich Ihnen freiwillig eine Prämie von tausend Rubeln.«
»Heiliger Bastian! Wirklich?«
»Ja, ich halte Wort.«
»Nun, so lasse ich alle Mienen springen, und es ist bereits jetzt so gut, als ob er schon wieder eingefangen sei.«
»Nur nicht zu sanguinisch!«
»Pah! Ich kenne mich und meine Leute. Aus Pflicht, aus Haß und Rache und um tausend Rubel zu verdienen, werde ich alle Kräfte anstrengen.«
*