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Er ließ den Gewehrkolben auf den Boden fallen, daß es krachte. Jim und Tim stießen ebenso wie er ihre langen Büchsen nieder. Jim war dabei einen Schritt näher getreten und traf in Folge dessen – wohl mehr absichtlich als zufällig, den Fuß des Kreishauptmannes so kräftig, daß dieser einen lauten Schmerzensschrei ausstieß und einen Luftsprung machte, den ein Bajazzo gar nicht besser hätte fertig bringen können.
Nun riß der Rittmeister seine Thüre auf und stürzte hervor, grimmig fragend;
»Was ist denn das für ein Höllenspektakel? Hat man denn keine – – Donnerwetter! Wieder diese Kerls!«
»Ja, wir sind es wieder,« lachte Sam. »Hoffentlich sind wir willkommen?«
»Ihr? Was wollt Ihr abermals?«
»Dieses Mal kommen wir nicht wegen des Duells, sondern in einer rein militärischen Dienstangelegenheit.«
»Dazu ist jetzt keine Zeit. Jetzt wird nichts expedirt.«
»So! Wann denn? Des Nachts steckst Du im Feuerwerksgebäude und des Tages schläfst Du. Wann soll man da seine Angelegenheit erledigen? Ich sage Dir: Wenn Du uns nicht sofort anhörst, so geht ein Brief nach Irkutsk an den Gouverneur. Ich werde mir schon Gehör verschaffen!«
»Ihr seid ja soeben hier gewesen!«
»Thut nichts. Das war eine Privatsache; jetzt aber kommen wir dienstlich!«
»Ihr seid keine Soldaten. Dienstlich habe ich mit Euch gar nichts zu schaffen.«
»Aber wir mit Dir. Machen wir es kurz. Hast Du Zeit, oder soll ich den Brief schreiben?«
Das Auftreten des kleinen Dicken war so selbstbewußt und imponirend, daß der Rittmeister es nicht wagte, Nein zu sagen.
»Kommt herein!« befahl er.
In diesem Augenblicke ging eine andere Thür auf, aus welcher Gökala trat. Sam blieb unwillkürlich stehen, um sie zu betrachten. Sie war so gekleidet, daß man ihr ansah, sie wolle ausgehen. Der Dicke sagte sich, daß er noch niemals ein so herrliches Mädchen gesehen habe. Er ahnte sogleich, wer sie sei.
»Was willst Du, mein Töchterchen?« fragte sie der Kreishauptmann, dessen Gesicht noch immer schmerzlich verzogen war von dem Kolbenstoße, den er erhalten hatte.
»Ich gehe aus,« antwortete sie.
»Wohin?«
»Ich will Karparla, die Prinzessin der Tungusen besuchen.«
»Kennst Du sie denn?«
»Wir trafen uns heute früh draußen auf der Steppe. Sie hat mich eingeladen.«
»Du kannst nicht zu ihr.«
»Warum?«
»Der Graf hat es verboten. Du darfst das Haus nicht verlassen.« Sie blickte ihm hoheitsvoll in das Gesicht und antwortete:
»Mir hat Niemand Etwas zu befehlen, weder der Graf, noch Du. Ich gehe.«
Sie that einige Schritte vorwärts. Er aber stellte sich ihr in den Weg und antwortete:
»Ich bin gezwungen, die Befehle des Grafen auszuführen. Ich bitte Dich, in Dein Stübchen zurückzugehen, sonst muß ich Gewalt anwenden.«
Sie erbleichte vor innerer Erregung.
»So bin ich eine Gefangene?«
»Ja.«
»Dann bitte ich Dich, zu Karparla zu senden. Sie mag die Güte haben, zu mir zu kommen.«
»Auch das geht nicht an. Du darfst keine Besuche empfangen.«
»Ah! Also vollständig isolirt!«
»Ja.«
»Nun, so sage ich Dir, daß ich mich als frei betrachte und ganz nach meinem eigenen Ermessen handeln werde.«
»Ich mache Dich auf die Folgen aufmerksam. Ich habe Dich unter strenger Wacht zu halten und wundere mich, daß der Graf Dir nichts darüber mitgetheilt hat. Handelst Du unüberlegt, so hast Du die Folgen zu tragen. Gehe jetzt wieder in Dein Zimmer!«
Er öffnete die Thür desselben. Sie wendete sich mit einer stolzen Bewegung derselben zu, um einzutreten. Da aber stand auch schon Sam an ihrer Seite. Er fragte in deutscher Sprache, während bis jetzt natürlich nur russisch gesprochen worden war:
»Verzeihung! Ihr Name ist Gökala?«
Bei diesen Lauten machte sie eine Bewegung des größten Erstaunens.
»Welche Ueberraschung!« sagte sie, auch deutsch. »Sie sind ein Deutscher?«
»Ja.«
»Und kennen meinen Namen?«
»Wie Sie hören.«
»Woher?«
»Davon später! Bitte, gehen Sie einstweilen in Ihr Zimmer. Sie sollen Karparla sehen und auch sprechen.«
»Haben Sie hier solchen Einfluß?«
»Ich denke es.«
Da rief der Kreishauptmann:
»Was ist das für eine Sprache? Was habt Ihr mit einander zu verkehren und zu sprechen? Ich darf das nicht dulden.«
»Das war die Hottentottensprache,« lachte Sam. »Und die solltest Du doch kennen, alter Kaffer! Uebrigens kannst Du mit uns kommen. Es schadet nichts, was wir mit Deinem Sohne zu verhandeln haben.«
Gökala war in ihr Zimmer getreten. Der Kreishauptmann schloß die Thür desselben hinter ihr zu und folgte dann den Andern.
Im Zimmer des Rittmeisters angekommen, setzte Sam sich sofort nieder. Jim und Tim thaten dasselbe.
»Ihr habt zu warten, bis ich Euch die Erlaubniß zum Sitzen ertheile,« zürnte der Officier.
»Bitte, mein Junge,« antwortete Sam, »gieb Dir kein höheres Aussehen, als Du hast. Die Hosen, auf welche ich mich setze, gehören mir; also habe ich ganz allein zu bestimmen, in welcher Weise ich sie strapaziren will.«
»Und was wollen diese beiden Männer mit Euch?«
»Es sind Ratniki.«
»Das weiß ich. Ich kenne sie.«
»Freut mich! Da wird sich unser Geschäft vereinfachen. Sie wollen nämlich für zwei Andere eintreten. Darum kommen wir jetzt zu Dir.«
»So! Wer bezahlt?«
»Ich.«
»Ah! Bist Du hier so bekannt, daß Du zwei Kosaken freikaufen kannst?«
»Ja. Und hoffentlich werde ich auch noch bekannter werden. Ich bitte, die nöthigen Formalitäten vorzunehmen.«
»Wer sind Diejenigen, für welche diese Zwei eintreten wollen?«
»Bitte, sieh erst zu, ob sie als Ersatzmänner angenommen werden können.«
»Ich kenne sie. Sie sind tüchtig.«
»Du weisest sie also nicht zurück?«
»Ich könnte; aber damit Ihr seht, daß ich gefällig bin, will ich sie acceptiren. Aber ich hoffe, daß auch Ihr gefällig seid.«
»Gern. Welche Gefälligkeit erwartest Du von uns?«
»Schweigen über die Teufelsgeschichte.«
»Wenn Du nicht selbst uns die Veranlassung giebst, werden wir gern schweigen.«
»Ich weiß nicht, wie Ihr hinter diese Angelegenheit, gekommen seid. Habt Ihr Euch etwa gestern Abend im Feuerwerksgebäude befunden?«
»Wüßte nicht, was wir da zu suchen haben sollten.«
»Gut! Lassen wir also die ganze Angelegenheit für immer ruhen.«
»Ist das wirklich Dein Wille?«
»Ja.«
»Das ist mir sehr recht. Lassen wir sie also ruhen. Ich hoffe also, daß Du nicht selbst wieder davon anfängst.«
»Gut! Wir sind einig. Nun wollen wir die Stellvertretungscontracte ausfertigen. Sie sind von beiden Theilen zu unterschreiben und von mir zu bestätigen.«
Er entnahm einem Kasten zwei Formulare, griff zum Schreibzeuge und begann, die Rubriken auszufüllen. Dabei richtete er die dazu nöthigen Fragen an die beiden Ratniki. Bei der Erkundigung, für wen sie eintreten wollten, zeigte der Eine auf Sam und antwortete:
»Das wissen wir selbst noch nicht. Hier unser Väterchen wird es Dir sagen.«
Dabei schaute er auf den Dicken. Dieser antwortete:
»Die wirst Du selber wissen. Es sind die beiden Posten, welche heute Nacht am Feuerwerksgebäude gestanden haben.«
Da sprang der Rittmeister schnell auf.
»Diese!« rief er. »Das geht nicht!«
»So! Warum nicht?«
»Die kann ich nicht losgeben.«
»Aus welchem Grunde?«
»Weil sie frei sind, sobald ich diesen Contract unterzeichne.«
»Natürlich. Sie sollen ja eben frei sein.«
»Aber dann kann ich sie nicht bestrafen!«
»Sehr schön!«
»Und bestraft müssen sie werden. Ich habe Jedem von ihnen hundert Knutenhiebe zugesprochen.«
»Das ist sehr viel! Wofür willst Du sie denn eigentlich bestrafen?«
»Weil sie ganz allein schuld sind an dem, was heute Nacht geschehen ist.«
»Ah! Du wolltest doch nicht wieder davon sprechen!«
»Donnerwetter! Wer konnte denken, daß Du gerade diese Beiden meinst!«
»Ganz wie Du willst! Giebst Du sie frei?«
»Nein.«
»So soll ganz Platowa in einer halben Stunde wissen, wer die beiden Teufels gewesen sind, und auch der Gouverneur soll es erfahren!«
»Mensch, Du bist selbst auch ein Teufel!«
»Aber ein sehr guter! Ob ein Mann, der sich in dieser Weise blamirt hat, fernerhin noch Officier bleiben kann, das mag ein Ehrengericht entscheiden.«
»Sie müssen, müssen und müssen aber bestraft werden!«
»Ich habe gar nichts dagegen. Da behalte ich mein schönes Geld; Du aber verlierst ganz gewiß Deine Stelle!«
Der Rittmeister schritt erregt im Zimmer auf und ab. Er blieb endlich vor seinem Vater stehen und fragte:
»Was soll ich machen?«
»Thue, was Du willst!«
»Sollen die Kerls straflos ausgehen?«
»Sie haben die Knute verdient.«
»Aber soll ich mir selbst Unannehmlichkeiten bereiten?«
»Denke auch an das Duell!« warnte Sam. »Giebst Du die beiden Posten frei, so will ich so thun, als ob gar nichts geschehen sei. Es wird dann weder von heute Nacht, noch von dem Duell die Rede sein.«
Der Rittmeister besann sich. Er konnte lange zu keinem Entschlusse kommen, bis Sam endlich ungeduldig aufstand und in künstlichem Zorne sagte:
»So lange kann ich nicht warten. Entweder, oder! Zu was bist Du entschlossen?«
»Mag Dich der Teufel holen! Mit Dir ist nichts anzufangen!«
»Ganz recht! Darum wollen wir es lieber gleich beim richtigen Ende anfassen. Fertigst Du die Contracte aus?«
»Ja.«
»Und den beiden Posten geschieht nicht das Mindeste?«
»Nein.«
»Sie können ungehindert in ihre Heimath gehen?«
»Wohin sie wollen, am liebsten gleich in die Hölle!«
»Da dürfte es ihnen zu heiß sein. Eine solche Hitze ist ein sibirischer Kosak nicht gewöhnt. Sei so gut und laß sie rufen.«
»Das können wir kürzer haben. Sie stehen noch auf ihrem Posten und können mich sehen und hören.«
Er öffnete das Fenster und rief sie herbei. Sie kamen mit Zittern und Zagen, denn sie waren überzeugt, daß sie jetzt ihre Strafe empfangen würden. Als sie eintraten und den Dicken erblickten, dämmerte eine Spur von Hoffnung in ihnen auf.
»Kommt her, Ihr Hunde!« knurrte der Officier sie grimmig an. »Ich habe Euch die Knute versprochen, will aber Gnade für Recht ergehen lassen und sie Euch schenken!«
Da stürzten sie sich auf ihn und küßten knechtisch den Saum seines Rockes.
»Väterchen, ist's wahr?« sagte der Eine, während der Andere ganz wortlos vor Glück war. »Das mögen Dir sämmtliche Heiligen des Himmels danken.«
»Ihr seht, welch einen milden, nachsichtigen Officier Ihr habt. Ein Anderer würde Euch hauen lassen, bis – – –«
»Dummheit!« rief Sam dazwischen. »Schmücke Dich nicht mit falschen Federn! Dir haben sie die Straflosigkeit nicht zu danken. Wenn es auf Dich ankäme, so wären sie todte Männer. Mach, daß die Contracte fertig werden, und sage nicht mehr, als was auf Wahrheit beruht!«
Der Rittmeister würgte einen Fluch hinab. Hätte er den Dicken zerreißen können, er hätte es mit tausend Freuden gethan. So aber war er gezwungen, seinen Grimm zu verbergen. Er griff wieder zur Feder und schrieb weiter, hie und da die nothwendigen Fragen aussprechend.
Die beiden Kosaken hatten keine Ahnung, um was es sich handelte. Sie schwammen bereits in Seligkeit darüber, daß ihnen die Strafe erlassen war.
»So! Nun unterschreibt!« gebot der Officier. »Hier ist die Feder. Und welcher Hund nicht schreiben kann, der macht ein Kreuz anstatt seines Namens.«
Vom Schreibenkönnen war allerdings keine Rede, doch hatten sie unter großer Mühe gelernt, ihre Namen leidlich auf das Papier zu kritzeln. Sie thaten es, wobei ihnen vor Anstrengung der helle Schweiß auf die Stirnen trat. Der Rittmeister contrasignirte die beiden Documente und wendete sich dann an Sam:
»Fertig! Bist Du endlich nun zufrieden?«
»Bis jetzt, ja.«
»Nur bis jetzt? Hoffentlich hast Du weiter keine Schmerzen!«
»Gegenwärtig juckt mich noch nichts.«
»Ich meine, wir sind für immer mit einander fertig.«
Und sich an die Kosaken wendend, fragte er sie:
»Ihr wißt natürlich, was Ihr unterzeichnet habt?«
Sie schüttelten die Köpfe.
»So!« sagte er verwundert. »Ihr wißt nichts? Man hat Euch also noch gar nichts gesagt?«
»Väterchen,« antwortete der Eine, »wir haben keine Ahnung, was wir hier sollen. Du hast uns befohlen, unsere Namen zu schreiben, und wir haben das gethan, weil wir Dir Gehorsam schuldig sind.«
»Das ist stark! Ja, es ist wahr: Den Dummen schickt es der liebe Gott im Schlafe! Kerls, Ihr seit vom Militäre frei. Ihr braucht nicht weiter zu dienen!«
»Heilige Mutter Gottes von Kasan, ist das auch wahr?«
»Ja. Ich sage es Euch ja.«
»Wem hätten wir das zu verdanken?«
»Hier diesem Manne.«
Er zeigte dabei auf Sam.
Die Beiden blickten Sam eine Weile starr und ungläubig an. Sein Habitus war freilich gar nicht derjenige eines reichen Mannes, welcher Geld genug übrig hat, zwei ihm stockfremde Leute vom Militär loszukaufen.
»Du, Du bist es?« fragte der Enkel jener berühmten Großmutter, welche den Geisterfrosch zum ersten Male gesehen hatte.
»Ja,« lachte der Dicke. »Oder hast Du keine Lust, es zu glauben?«
»Das geht über mein Vermögen.«
»Nun, liebes Brüderchen, so viel Gehirn wirst Du doch haben, einzusehen, daß Du nun frei vom Militär bist. Hier habt Ihr Eure Freischeine, und so lange Ihr diese in den Händen haltet, könnt Ihr nicht wieder zum Dienste eingezogen werden!«
Als Sam diese Worte sagte und die beiden Kosaken ihre Freischeine fürsorglich in die Tasche steckten, machte der Rittmeister ein ganz eigenthümliches, schadenfrohes Gesicht dazu. Es sah ganz so aus, als ob er sagen wolle:
»Dummer Kerl, Du bist doch im Irrthume. Es kommt doch nur ganz auf mich an, ob diese Kerls ihre Freiheit genießen sollen oder nicht.«
Sam bemerkte das sofort. Seinen scharfen Augen konnte so Etwas nicht entgehen. Darum sagte er zu ihm:
»Jedenfalls giebst Du zu, daß ich mich da nicht irre?«
»Das werde ich mir überlegen!« lachte der Gefragte.
»Ja, Du hast wohl die Zeit zum Ueberlegen, aber ich nicht. Darum werde ich handeln. Ich sehe Dir an, daß Du gewisse Hintergedanken hegest; aber ich glaube, Du hast Dich verrechnet.«
»Ah! Welche Gedanken sollte ich hegen?«
»Du meinst, Du könntest mich und in Folge dessen diese braven Burschen betrügen, weil ich fremd bin und die hiesigen Gesetze nicht kenne.«
»Was! Du willst mich zu einen Betrüger stempeln!«
»Sei still! Ich stemple Dich nicht. Ich brauche aus Dir nicht Etwas zu machen, was Du bereits bist. Aber Du hast Dich in mir geirrt. Du wirst so freundlich sein, mir einige Fragen der Wahrheit gemäß zu beantworten.«
»Ich stehe aber nicht da, um Dir Auskunft zu geben.«
»Gut! Du kannst thun, was Dir beliebt. Dann aber rede ich auch, was ich will.«
»Donnerwetter! Du drohst schon wieder!«
»Ja. Wenn Dir das nicht gefüllt, so ist es sehr leicht für Dich, Dich sicher zu stellen. Du brauchst nur zu thun, was ich wünsche.«
»Nun, was willst Du wissen?«
»Ein Ratnik ist ein Freigelöster, welcher nicht activ zu dienen braucht, aber doch zur Reserve gehört?«
»Ja.«
»Als Reserve kann er eingezogen werden?«
»Natürlich.«
»Und wenn kann der Fall eintreten?«
»Wann er gebraucht wird?«
»Und wer hat darüber zu urtheilen, ob ein Reservemann gebraucht wird oder nicht?«
»Es geht natürlich nach dem Aufgebot und der Reihenfolge.«
»Aber diese Reihenfolge kann unterbrochen werden?«
»Ja, wenn der Oberst es will.«
»Schön! Und der Oberst will natürlich, wenn Du willst.«
»Was meinst Du damit?«
»Ich meine, daß diese beiden Kosaken jetzt frei sind; aber wenn es Dir beliebt, so machst Du dem Obersten die Sache plausibel und er zieht sie sofort als Reservemänner wieder ein.«
Der Rittmeister war kurzsichtig genug, diese Gelegenheit zu benutzen, mit seinem Einflusse zu prahlen.
»Ja, das kann ich thun,« antwortete er lachend. »Jetzt sind sie dienstfrei, aber wenn ich will, so werden sie wieder einberufen.«
»Und dann können sie natürlich auch wegen früherer Vergehen im Dienste bestraft werden?«
»Natürlich.«
»Hm! Brüderchen, ich durchschaue Dich. Du bist ein schlauer Patron, aber Du hast es leider mit einem Schlaukopfe zu thun, dem Du nicht gewachsen bist. Ich werde dafür sorgen, daß die guten Leute ruhig daheim bleiben können.«
»Wie willst Du das anfangen?«
»Zufälliger Weise weiß ich, daß die Ratniki in zwei Aufgebote eingetheilt werden. Zum ersten Aufgebote gehören die vier ersten Jahrgänge. Du wirst also so freundlich sein, jedem der Beiden eine Bescheinigung ausstellen, daß er zum zweiten Aufgebote gehört.«
»Ganz wie Du willst,« lachte Sam. »Dann rede ich aber, und das Duell findet statt.«
Der Rittmeister stieß einen grimmigen Fluch aus und sagte:
»Mann, mit Dir ist kein verständiges Wort zu reden!«
»Ja, mit dem geringen Maße Deines Verstandes kommst Du freilich bei mir nicht aus. Also wie wird es? Ja oder nein?«
Der Rittmeister besann sich, lachte dann grimmig vor sich hin und sagte:
»Gut! Sie sollen diese Bescheinigung haben.«
»Dann bitte, schnell!«
Der Officier setzte sich hin, schrieb die beiden Documente nieder, unterzeichnete sie, setzte das Siegel darauf und gab sie sodann dem Dicken.
»Da! Lies! Bist Du nun zufrieden?«
Der Dicke prüfte die Papiere, gab sie ihren Eigenthümern und antwortete:
»Ja, so weit bin ich nun vollständig zufrieden gestellt. Aber was machst Du da für ein schlaues Gesicht?«
»Schlau? Ich denke eben daran, daß Du Dich vorhin einen Schlaukopf genannt hast.«
»Und Du hältst mich nicht für einen solchen?«
»Nein.«
»Schau, mein Herzchen, da irrst Du Dich abermals. Oder solltest Du wirklich gescheidter sein als ich?«
»Das wird sich finden!«
»Ja, später, wenn ich fort bin. Nicht?«
»Das ist meine Sache!«
»Ganz richtig. Jetzt aber bin ich noch da. Und so lange ich hier bin, werde ich dafür sorgen, daß Deine große Schlauheit später keinen Schaden mehr anrichten kann.«
»Wie wolltest Du das anfangen?«
»Wirsts gleich sehen. Deine Gedanken kenne ich. Sie stehen Dir so deutlich auf der Stirn geschrieben, daß man sie sehr leicht errathen kann. Du kannst meine beiden Schützlinge nun zwar nicht sogleich einziehen; aber später können sie als zweites Aufgebot einbeordert werden, wenn Du die Sache richtig anfassest. Dann stehen sie wieder unter den militärischen Strafgesetzen und können für das büßen, was sie früher im Dienste verbrochen haben. Oder ist es nicht so?«
»Hm!« brummte der Rittmeister verlegen.
»Schau, ich sehe es Dir an, daß ich Dich errathen habe, und werde dafür sorgen, daß sie nicht in Schaden kommen. Du wirst Dich abermals an den Tisch setzen und zwei Zeugnisse schreiben.«
»Alle Teufel! Was für welche?«
»Du wirst bezeugen, daß sie sich tadellos geführt haben.«
»Das fällt mir nicht ein.«
»O doch! Du wirst mit Deiner Unterschrift und dem Siegel bescheinigen, daß sie sich so geführt haben, daß Du sie bei nächster Gelegenheit zum Avancement vorgeschlagen hättest.«
»Das sollte mir einfallen!«
»Na, zwingen werde ich Dich nicht.«
»Das brächtest Du auch nicht fertig.«
»Nein. Aber etwas Anderes bringe ich desto sicherer fertig.«
»So! Was?«
»Ich schieße Dich im Duell über den Haufen. Wer die Mütze trifft, der trifft auch den Kopf.«
»Ich schieße mich nicht mit Dir!«
»Papperlapapp! Werde Dich schon zwingen. Und sodann werde ich jetzt gleich aller Welt verkündigen, wer heut Nacht die Teufels gewesen sind. Es wird ein famoses Hallo geben, wenn der Gouverneur erfährt, was der Kreishauptmann und der Rittmeister für Streiche spielen.«
»Mensch!« brauste der Offizier auf.
»Bleib ruhig! Der Zorn hilft Dir gar nichts. Also, soll ich gehen, oder willst Du die Zeugnisse anfertigen?«
»Lauf zum Teufel!«
»Gut! Leb wohl, Brüderchen!«
Er stand vom Stuhle auf und that, als ob er sich entfernen wolle. Da bekam der Kreishauptmann Angst. Er sagte zu seinem Sohne:
»Iwan, schreib die Zeugnisse.«
»Nein!«
»Was liegt uns daran, ob die beiden Kerls straflos ausgehen oder nicht.«
»Sehr viel!«
»Nein, gar nichts. Wollen wir uns blamiren lassen? Schreib die paar Zeilen, so ist Alles gut.«
»Aber eine verdammte Geschichte ists! Soll ich mir von einem fremden Menschen Befehle ertheilen lassen!«
»Pah!« lachte Sam. »Wenn es mir einfällt, ertheile ich Dir noch ganz andere Befehle.«
»So! Bist Du etwa gar der Generalgouverneur oder gar der heilige Beherrscher von Moskau und Petersburg?«
»Ich bin Sam Barth aus Herlasgrün. Das genügt.«
»Wo liegt dieser Ort? Ich kenne ihn nicht.«
»Er liegt an der jenseitigen Grenze von China. Wenn Du unhöflich und ungefällig gegen mich bist, so kann Rußland in einen Krieg mit China verwickelt werden, und der Zaar wird es Dir dann natürlich Dank wissen.«
»Spotte nicht!«
»Was soll ich sonst mit Dir thun? Wer nicht einmal weiß, wo die gewaltige Haupt- und Residenzstadt Herlasgrün liegt, welche fast zwei Millionen Einwohner hat, dem ist überhaupt nicht zu helfen.«
»Liegt sie denn bei London?«
»Grad zwischen London und Paris. Diese beiden Orte sind nur Vorstädte von Herlasgrün.«
»Donnerwetter! Davon habe ich nichts gehört.«
»Du wirst noch Manches hören, was Dir bisher unbekannt gewesen ist. Also meine Zeit ist abgelaufen. Ich gehe. Lebt wohl!«
»Warte noch!«
»Wozu?«
»Ich werde die beiden Zeugnisse schreiben.«
»Dachte es mir!«
»Oho! Ich schreibe sie nicht etwa, weil Du mich zwingst, sondern weil es mir so beliebt. Zwingen lasse ich mich nicht.«
»Schön!« nickte Sam. »So schreibe sie also freiwillig. Mir ist das sehr egal.«
Der Rittmeister schrieb. Sam prüfte dann auch diese beiden Schriftstücke, gab sie den beiden Kosaken und sagte zu ihnen:
»Jetzt hat Jeder von Euch drei Papiere. Wißt Ihr denn auch, was jedes einzelne von ihnen zu bedeuten hat?«
»Ja, Brüderchen,« antwortete Einer.
»So merkt es Euch! Solltet Ihr es aber ja vergessen, so zeigt sie daheim Euerm frommen Popen vor und fragt ihn um guten Rath, falls dieser Herr Rittmeister Euch ja noch an den Kragen will. Der Pope wird Euch dann gern sagen, was Ihr zu thun habt. Wie weit habt Ihr nach Hause?«
»Einige Tagesritte.«
»Ritte? Habt Ihr Pferde?«
»Leider nein. Und es geht durch ganz unbewohnte Gegenden.«
»So müßt Ihr Euch Pferde kaufen und Fourage und Proviant, damit Ihr glücklich nach Hause kommt.«
»Väterchen, das kannst Du wohl sagen, aber thun können wir es nicht.«
»So! Warum nicht?«
»Weil wir kein Geld haben?«
»Das ist freilich schlimm. Könnt Ihr denn keins bekommen? Sagt es doch hier dem guten Herrn Rittmeister. Der muß Euch ja geben, was Ihr braucht!«
»Ja, das werde ich,« lachte dieser. »Sie werden laufen. In drei Tagen sind sie daheim, wenn sie sich beeilen. Darum will ich meiner Pflicht gemäß ihnen drei Tageslöhnungen und für drei Tage Kommisbrod geben lassen.«
»Weiter nichts?«
»Mehr haben sie nicht zu verlangen.«
»Das ist sehr väterlich für sie gesorgt. Da ist es freilich gut, daß der Frosch mehr Verstand gehabt hat.«
»Welcher Frosch?«
»Der Geist. Ihr wißt doch, wen ich meine?«
Diese Frage war an die beiden Kosaken gerichtet. Der Eine antwortete:
»Sprichst Du etwa von demjenigen Frosche, welcher den Schatz behütet?«
»Ja.«
»Dann, Väterchen, rede schnell! Was weißt Du von ihm?«
»Sehr wenig; aber das Wenige, was ich weiß, das will ich Euch sagen. Nämlich heut in der Nacht wurde es mir im Zelt zu warm und dunstig. Darum trat ich heraus und ging nach dem Flusse, wo eine bessere und frischere Luft war. Die Nacht war schön, und die Frösche quakten, indem sie die Köpfe aus dem Wasser steckten. Sobald ich aber einem nahe kam, tauchte er unter. Plötzlich aber vernahm ich ein so tiefes, kräftiges »Quaaaak«, wie ich es noch nie in meinem Leben gehört habe. Ich schritt darauf zu und gewahrte nun einen Frosch, welcher grad so groß und dick war, wie ich selbst.«
»Heilige Kathinka! War das etwa der Geisterfrosch?«
»Ja. Das wußte ich freilich nicht, jetzt aber weiß ich es.«
»Was that er?«
»Er klotzte mich zunächst mit großen Augen starr und steif an.«
»Hast Du Dich nicht gefürchtet?«
»Nein. Ich dachte, wenn ich recht höflich wäre, so würde er mir nichts thun. Darum entblößte ich mein Haupt, machte eine tiefe Verneigung und sagte: Guten Abend, mein liebes Väterchen. Wie geht es Dir?«
»Antwortete er?«
»Ja.«
»Was sagte er?«
»Er meinte: ›Guten Abend, mir geht es sehr schlecht.‹«
»Weiter!«
»Was nun weiter geschah, das ist so abenteuerlich, daß man es kaum glauben sollte. Ich muß es Euch erzählen. Ich fragte ihn natürlich sogleich:
»›Warum geht es Dir schlecht.‹
»›Weil ich mich geärgert habe.‹
»›Kann sich denn ein Frosch ärgern?‹
»›Und wie! Wenn man gern erlöst sein will und immer kommt eine so verdammte Störung darein, da könnte man gleich aus der Haut fahren.‹
»›Erlöst? Bist Du denn etwa gar ein verzauberter Frosch?‹
»›Natürlich,‹ antwortete er, indem er das breite Maul aufriß und einen Seufzer ausstieß, welcher klang, als ob die Räder eines Wagens nicht geschmiert sind. ›Ich bin ein verwünschter Prinz.‹
»›Ja, das sieht man Dir an. Wer hat Dich denn verzaubert?‹
»›Dem hiesigen Kreishauptmann seine Urgroßmutter. Die war eine Hexe. Nun sitze ich Tag und Nacht unter der Erde und habe einen Schatz zu bewachen.‹
»›Sapperment! Sage mir, wo er liegt, so will ich ihn heben.‹
»›Oho! Das geht nicht so schnell und leicht, wie Du denkst. Den Schatz, welchen ich bewache, dürfen nur Kosaken heben, und Du bist ja keiner.‹
»›So will ich es einigen Kosaken sagen, damit Du erlöst wirst.‹
»›Das thut auch nicht gut, denn die Nachkommen jener verfluchten Hexe kommen allemal dazu, um die Hebung des Schatzes zu hintertreiben. Vorhin haben sie es wieder gethan.‹
»›Wo denn?‹
»›Da drüben am Feuerwerkshaus. Da liegt der Schatz. Es waren zwei brave Burschen da, die ihn heben wollten. Ich erschien ihnen, um ihn ihnen zu zeigen, und sie begannen auch zu graben. Da aber kamen eben jene Abkömmlinge der Hexe und störten sie. Der Schatz sank wieder nieder bis in den Mittelpunkt der Erde, und nun muß ich wieder hundert Jahre warten, ehe ich Jemandem erscheinen darf. Ist das nicht gradezu zum Todtärgern?‹
»›Freilich! Das glaube ich wohl. Trink einen Wutki darauf!‹
»›Ja, wenn man einen hätte! Um meinen Aerger hinabzuspülen, sitze ich hier im Flusse und saufe Wasser. Die beiden guten Kosaken meinten es gut mit mir. Sie wollten mir einen Wutki bringen. Darum möchte ich ihnen gern eine Freude machen. Du scheinst mir ein guter Kerl zu sein. Willst Du mir einen Gefallen thun?«
»›Sehr gern, liebes Väterchen.‹
»›So warte einen Augenblick. Ich will nach dem Mittelpunkte der Erde hinabtauchen. Ich hole Etwas. Es dauert gar nicht lange. Ich komme gleich wieder.‹
»Er plumpste in das Wasser und verschwand. Fünf Minuten lang stand ich allein und dachte darüber nach, was für eine Strafe so einer Hexe gehöre, die einen braven Geist als Frosch erscheinen läßt. Dann fuhr er wieder empor.
»›Pfui Teufel!‹ sagte er, indem er sich schüttelte wie ein Pudel. ›Erst die glühende Hitze da drin in der Erde, und nun das kalte Flußwasser. Werda nicht ganz fest auf den Nerven ist, der kann sich den allerschönsten Schnupfen holen. Hast Du eine Prise?‹
»›Nein. Aber ein Prieschen Schießpulver thuts vielleicht auch.‹
»›Ja, mußts aber anbrennen.‹
»Ich schüttete ihm den ganzen Inhalt meines Pulverhornes in die beiden Nasenlöcher, hielt ein Streichholz daran, und als das Pulver aufzischte, nieste er einige Male und sagte dann:
»›Ich danke Dir! Jetzt wird mir wieder wohl. Man muß sich vorsehen, wenn man bei guter Gesundheit bleiben soll. Und nun komm her! Siehst Du, was ich da habe?‹
»›Das sind wohl Papiere?‹
»›Ja, aber was für welche. Ich bin unten beim Schatz gewesen und hab einen kleinen Griff hinein gethan, um den beiden Kosaken eine Freude zu machen.‹
»›Du, das freut mich von Dir! Du hast ein sehr gutes Herz!‹
»›Ja, das habe ich. Wir Geister wissen auch, was ein gutes Gemüth zu bedeuten hat. Schau, das sind lauter Fünfzigrubelscheine. Ich hoffe, daß Du ein ehrlicher Kerl bist.‹
»›Natürlich.«
»›So will ich sie Dir anvertrauen. Aber Du darfst mich nicht bemausen.‹
»›Fällt mir nicht ein!‹
»›Ich würde Dir alle Tage um Mitternacht erscheinen und Dir keine Ruhe lassen!‹
»›Das ist nicht nöthig. Eine solche Arbeit und Unbequemlichkeit will ich Dir nicht bereiten. Ich bin ehrlich. Sage mir nur, was ich mit den Scheinen beginnen soll?‹
»›Du suchst zwei kräftige Ratniki, welche für die Kosaken eintreten wollen, und bezahlst sie. Was dann übrig bleibt, das vertheilst Du unter die beiden guten Kerls, damit sie sich Pferde kaufen und heimreiten können, um dort ihre Mädels zu heirathen.‹
»›Prächtig! Das werde ich sehr gern thun. Hast Du sonst noch Etwas auszurichten?‹
»›Nein. Höchstens kannst Du ihnen sagen, daß sie sparsam sein und nicht zu viel Wutki trinken sollen. Wenn sie etwa meinen, daß sie das schöne Geld vertrinken können, so irren sie sich. Ich würde kommen und es mir wiederholen. Es würde verschwinden und sie wären so arm wie vorher.‹«
Sam war mit seiner Fabel zu Ende. Er hatte sie im größten Ernste vorgetragen. Der Kreishauptmann und der Rittmeister hatten ihn nicht unterbrochen. Ihre Augen ruhten befremdet auf ihm. Sie waren keineswegs frei vom Aberglauben; sie sahen seine ernste Miene und wußten nicht, was sie denken sollten.
Die Ratniki und Kosaken aber hingen mit ihren Blicken an seinem Munde. Besonders die letzteren Beiden waren ganz starr und unbeweglich vor Aufmerksamkeit. Jetzt, als er geendet hatte, sagte jener Enkel der mehrfach erwähnten Großmutter:
»O, Ihr Heiligen alle! Sollte das wirklich unser Frosch gewesen sein!«
»Jedenfalls!« nickte Sam ihm zu.
»Du redest doch die Wahrheit?«
»Natürlich! Du siehst ja, daß ich Euch losgekauft habe!«
»So hat er Dir wirklich Geld für uns mitgegeben?«
»Lauter Fünfzigrubelscheine. Dann stieß er wieder einen Seufzer aus, sagte ›gute Nacht‹ und tauchte in das Wasser zurück, um in das Innere der Erde niederzufahren.«
»Mein Himmel! Wie viel ist es?«
»Das werden wir gleich sehen. Aber da fällt mir noch Eins ein. Er machte nämlich eine Bedingung, die ich beinahe vergessen hätte.«
»Welche?«
»Ich selbst soll Euch die Pferde, den Proviant und die Fourage kaufen, damit Ihr nicht betrogen werdet.«
»Das ist ja sehr gut.«
»Und sodann sollt Ihr Euch keinen Augenblick hier aufhalten, sondern sofort aufbrechen.«
»O, wie gern werden wir das thun!«
»So kommt her an den Tisch und seht, wie viel ich Euch aufzähle!«
Er legte zunächst so viel hin, wie der Betrag für die beiden Ratniki war. Diese steckten das Geld schmunzelnd ein.
»So,« lachte Sam. »Ihr seid bezahlt. Euch hat der Frosch keine Bedingung gemacht. Ihr könnt also Wutki trinken und, wenn es Euch beliebt, das ganze Geld versaufen.«
Sie sahen sich an und dann ihn, blickten auf das Geld, lachten mit weit gezogenen Mäulern und dann sagte der Eine:
»Meinst Du, Väterchen, daß dieses Geld nicht verschwindet, wenn wir trinken?«
»O ja, das meine ich.«
»Der Frosch holt es?«
»Nein; aber ich befürchte, Ihr werdet so lange trinken, bis Ihr kein Geld mehr habt. Dann ist es natürlich verschwunden.«
»Heiliger Pablo! So ein Geld! Wie viel Wutki man dafür bekommt! Ganze Fässer voll! Willst Du nicht mit uns gehen?«
»Nein.«
»So gehen wir. Im Wirthshause sind wir zu finden.«
Sie sprangen schleunigst zur Thür hinaus. Wenn der Rittmeister sie nicht eher zur Einkleidung holen ließ, so hörten sie gewiß nicht eher auf zu trinken und dazwischen hinein die Räusche zu verschlafen, als bis das Geld alle sein werde.
Nun zählte Sam das weitere Geld in zwei gleichen Theilen auf, so daß es in Summa gerade so viel machte, wie er aus der Tasche des Kreishauptmannes genommen hatte. Er zählte es in kleineren Scheinen auf, denn hätte er einen Tausendrubelschein sehen lassen, so würde der Kreishauptmann wahrscheinlich Verdacht geschöpft haben. Uebrigens hatte der Letztere seinen Verlust noch gar nicht bemerkt.
»So. Hier liegt's,« sagte er. »Das ist Dein und das ist Dein. Nun zählt einmal nach! Jeder muß gleich viel haben.«
Die beiden Kosaken hingen mit trunkenen Blicken an den Scheinen. Sie fanden keine Worte für ihr Entzücken.
»Wir – wir – wir können – das ja gar nicht – zählen!« stammelte der Eine.
»Warum nicht! Seht es Euch nur richtig an.«
»Ja, wir sehen es. Aber so weit zu zählen, das haben wir gar nicht gelernt. Wie viel ist es denn?«
Sam nannte die Summe.
Beide stießen laute Rufe aus, sanken, vor ihm in die Kniee und ergriffen seine Hände, um sie zu küssen.
»Unsinn!« sagte er gerührt. »Steht auf! Ihr habt es doch nicht mir zu verdanken, sondern dem wackeren Frosch! Schmatzt doch dem die Pfoten!«
»Der ist doch nicht da. Und Dir haben wir es ja auch zu danken. Du hättest es doch behalten können.«
»Fällt mir nicht ein. Der Frosch wäre mir zu jeder Mitternacht erschienen.«
»Aber wenn Du nicht an den Fluß gegangen wärst, so hättest Du ihn nicht getroffen; also schulden wir Dir auf alle Fälle unseren Dank.«
»Na, meinswegen! Wenn Ihr danken wollt, so dankt mir dadurch, daß Ihr jetzt aufsteht und Euch verständig betragt. Steckt Euer Geld ein!«
»Dürfen wir denn?«
»Natürlich.«
»O Gott, welch ein Glück, welch ein Glück!«
Sie wollten zugreifen; da aber trat der Kreishauptmann schnell hinzu, schob sie zurück und sagte:
»Halt! So schnell geht das nicht. Hier habe auch ich ein Wort zu sprechen.«
»Wieso?« fragte Sam.
»Dieses Geld entstammt einem Schatze?«
»Ja«
»Welcher in der Nähe des Feuerwerksgebäudes begraben lag?«
»Ja.«
»So habt Ihr kein Recht darauf.«
»Ah! Wieso?«
»Alle Schätze gehören der Regierung.«
»Meinst Du?«
»Ja, dem Zaaren. Ich lege also Beschlag auf dieses Geld.«
Er wollte zugreifen; da aber legte Sam die Mündung seiner Büchse auf den Tisch und zog den Hahn auf.
»Pst!« meinte er. »Nimm Dich in Acht! Die Hand, welche ohne meine Erlaubniß einen dieser Scheine berührt, schieße ich entzwei!«
»Wage es!« rief der Kreishauptmann, indem er aber doch schnell zurücktrat.
»Da giebt es gar nichts zu wagen. Bestehlen lasse ich mich nicht.«
»Das ist kein Diebstahl, sondern meine Pflicht, welche ich thun muß.«
»Mache Dich nicht lächerlich! Du hast hier gar nichts zu befehlen und gar nichts zu confisciren oder in Beschlag zu nehmen!«
»Doch. Das Gesetz gebietet es mir.«
»Wie heißt denn dieses Gesetz?«
»Alles unter russischer Erde Vergrabene ist Eigenthum des Zaaren.«
»Schön. Also geht Dich dieses Geld gar nichts an und dem Zaaren auch nicht.«
»Es lag doch unter russischer Erde!«
»Beweise das!«
»Nun, wir befinden uns doch hier in Rußland?« fragte der Beamte erstaunt. »Oder ist Sibirien nicht ein russisches Reich?«
»Das ist es.«
»Nein, sondern Du hast Unrecht.«
»Das zu beweisen, wird Dir unmöglich sein!«
»Es ist sogar sehr leicht. Ein jedes Kind kann den Beweis führen.«
»Oho! Führe ihn doch einmal!«
»Mit Vergnügen! Freilich ist es für Dich keineswegs eine Ehre, daß ich Dir erst noch beweisen muß, daß ich Recht habe. Also sage mir, wo der Schatz gelegen hat?«
»Bei der Feuerwerkerei.«
»Nein.«
»Nicht? Du hast es ja vorhin selbst gesagt!«
»Du mußt mich nur richtig verstehen. Bei der Feuerwerkerei ist er zur Oberfläche der Erde gekommen. Eigentlich aber liegt er im Innern der Erde.«
»Das ist doch gerade unter uns, also russisch.«
»Hm! Welche Gestalt hat denn die Erde?«
»Sie ist eine Kugel.«
»Schön. Also haben alle Länder der Erde das gleiche Eigenthumsrecht am den Mittelpunkt derselben. Nicht?«
»Hm! Verdammt!«
»Nicht der Zaar allein darf als Eigenthum verlangen, was da unten liegt.«
»Ja. Aber der Geist hat es nach Sibirien gebracht!«
»Um es mir für diese beiden Männer zu geben. Der Schatz gehört dem Geiste. Er kann damit machen, was er will.«
»Höre. Dein Geist existirt gar nicht!«
»Meinst Du?«
»Ja. Es ist Schwindel.«
»Von wem sollte ich das Geld haben?«
»Wer weiß es!«
»Was ziehst Du für ein Gesicht? Meinst Du etwa, daß ich es gestohlen habe!«
»Nein. Ich – ich – ich denke, daß Du es aus Deiner eigenen Tasche genommen hast, um uns zum Aerger diese beiden Menschen loszukaufen.«
»Nun, wenn dies so wäre, so hättest Du noch viel weniger Recht, es zu confisciren. Uebrigens fällt es mir gar nicht ein, eine solche Summe auszugeben, nur um Euch zu ärgern. Wenn ich Euch ärgern will, so kann ich es thun, ohne eine solche Summe auszugeben.«
»So ist sie also nicht von Dir?«
»Nein.«
»Von wem denn?«
»Von dem Frosche.«
»Mensch, hältst Du uns denn wirklich für so alberne Kerle, daß wir das glauben?«
»Ja. Und es wäre gar nicht gut für Euch, wenn Ihr es nicht glaubtet! Ihr werdet wahrscheinlich heut von diesem Frosche noch viel mehr erfahren, was Euch gefährlich wäre, wenn es nicht nur das Gequake eines Frosches wäre.«
»Was denn?«
»Wartet es ab! Jetzt muß ich fort. Wir haben mehr zu thun, als uns darüber zu streiten, wem der Mittelpunkt der Erde gehört.«
»Fahre Du selbst hinab.«
»Danke! Ich kann kein Schießpulver schnupfen und könnte mich also leicht erkälten. Nehmt getrost Euer Geld und kommt mit mir!«
Diese Worte wurden an die beiden Kosaken gerichtet. Sie ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie griffen zu und im Nu waren die Scheine in ihren Taschen verschwunden. Der Kreishauptmann wagte es nicht mehr, dieses zu verhindern.
»So!« nickte Sam. »Nun sind wir fertig. Lebt wohl!«
»Lebt wohl!« knirschte der Beamte. »Ich hoffe, daß ich Euch nicht so bald wiedersehe.«
»Und ich denke, wir kommen heut noch einmal.«
»Für Euch bin ich nie mehr da.«
»Wird sich finden!«
Er schritt hinaus. Die Kosaken folgten. Jim und Tim standen auch langsam von ihren Stühlen auf.
»Good day, alter Schelm!« sagte der Erstere, indem er dem Kreishauptmann im Vorübergehen einen Rippenstoß versetzte.
»Fare well, Hallunke!« grinste der Letztere den Rittmeister an und fuhr ihm mit der Faust in die Seite.
Dann schloß die Thür sich hinter ihnen.
Die beiden Zurückbleibenden befanden sich in einer unbeschreiblichen Stimmung. Sie, die den ganzen Kreis fast verantwortungslos beherrscht hatten, mußten jetzt plötzlich so fremden, hergelaufenen Leuten zu Diensten sein.
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich diesem Kerl nicht noch Eins anhänge!« zürnte der Rittmeister, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug.
»Auf meine Beihilfe kannst Du rechnen,« stimmte sein Vater bei.
»Mich mit der Faust in die Seite zu stoßen! Welch eine Frechheit!«
»Der Eine von den langen Kerls stieß mich ebenfalls!«
»Und das Schlimmste ist, daß wir uns nicht zu wehren vermögen.«
»Eine verdammte Geschichte! Was sagst zu dem Gelde?«
»Wie es mit demselben zugeht, das weiß der Teufel.«
»Glaubst Du an Geister?«
»Hm!«
»Oder an Gespenster?«
»Es soll welche geben.«
»Ja, es giebt welche, und allemal ist auch ein Schatz dabei. Es wäre doch möglich –«
»Hier nicht. Das hat eine andere Bewandtniß.«
»Meinst Du? Es wäre doch möglich, daß es sich wirklich um einen vergrabenen Schatz handelt.«
»So? Aller wie viele Jahre darf der Geist wiederkommen, wie dieser verdammte Dicke sagte?«
»Aller hundert Jahre.«
»Wie lang also ist der Schatz wenigstens vergraben?«
»Wenigstens grad so lange Zeit, also hundert Jahre.«
»Gut! Hast Du Dir die Scheine angesehen?«
»Ja.«
»So hast Du doch wohl bemerkt, daß auch ganz neue dabei waren?«
»Gewiß.«
»Nun, können die von einem Schatze sein, der vor so langer Zeit vergraben worden ist?«
»Nein.«
»Also ist das mit dem Schatze ein Schwindel. Ich weiß, woran ich bin.«
»Nun, was denkst Du denn?«
»Das Gold ist aus des Dicken Tasche.«
»Er gab es doch nicht zu!«
»Natürlich! Er steckt mit den beiden Hunden von Kosaken unter einer Decke.«
»Denkst Du?«
»Ja; es ist nicht anders zu erklären.«
»Und ich halte die beiden Kerls für zu dumm, als daß sie dem Dicken von Nutzen sein könnten.«
»Pah! Es kommt nur darauf an, was von ihnen verlangt wird. Es giebt ja Tausenderlei, was selbst der dümmste Mensch ganz leicht zu Stande bringt, zum Beispiel das Schweigen.«
»Ich verstehe Dich nicht.«
»Das wundert mich, da Du doch sonst nicht so langsam von Begriffen bist. Ich meine, daß der Dicke mit seinen beiden langen Zaunslatten die Nummer Zehn befreit hat.«
»Ah! Dieser Gedanke ist nicht übel.«
»Ich treffe damit ganz gewiß das Richtige. Und die beiden Kosaken haben geholfen. Sie haben das Versprechen erhalten, daß sie losgekauft werden und auch noch Geld dazu erhalten.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Dazu sind sie denn doch zu pflichtgetreu.«
»Traue diesen Hunden nicht zu sehr! Ich sage, daß ein Hiesiger es nimmermehr gewagt hätte, in die Feuerwerkerei zu gehen, um den Gefangenen zu befreien.«
»Hm! Vielleicht doch.«
»Und sich in dieser Weise auch an uns zu vergreifen?«
»Da weiß ich allerdings Keinen, dem ich das zutrauen möchte!«
»Uns in Theer und Werg zu wickeln! Das kann nur solchen verfluchten Amerikanern einfallen.«
»Ich möchte wirklich annehmen, daß sie es gewesen sind. Woher weiß dieser dicke Kerl denn gar so genau, daß wir es gewesen sind! Aber wehe ihm!«
»Ich bin im Stande, sie alle Drei heimlich niederzuschießen.«
»Nur nicht zu hitzig! Wir rächen uns. Es wird sich schon eine Gelegenheit dazu finden. Die beiden losgekauften Kosaken aber sind unschuldig.«
»Unsinn!«
»Du meinst wirklich, daß sie erkauft sind? Das stelle ich entschieden in Abrede. Sie gruben so eifrig nach ihrem Schatze, daß man annehmen muß, sie haben es wirklich ernst damit gemeint.«
»Das schien freilich so.«
»Und vorhin die Freude, als sie das Geld sahen! War die etwa nur geheuchelt?«
»Nein, gewiß nicht.«
»Ihre Ueberraschung war ganz aufrichtig und natürlich. Man sah es ihnen deutlich an, daß sie vorher nicht das Mindeste gewußt hatten.«
»Nun, wenn sie nicht wissentlich Verbündete dieser Amerikaner waren, so sind sie es ohne ihr Wissen gewesen. Sie haben nicht aufgepaßt.«
»Es ist allerdings stark, sich vom Posten zu entfernen, um einen Schatz zu heben.«
»Ich bin überzeugt, daß der Amerikaner ihnen das Märchen von dem Schatze aufgebunden hat, um sie von dem Gefängnisse zu entfernen.«
»Warum aber zahlt er ihnen ein solches Geld, wenn er ihnen nichts versprochen hat?«
»Das weiß freilich nur der Teufel. Er hat auf alle Fälle dabei eine Absicht und wir wollen uns nur vor ihm in Acht nehmen. Er hat noch irgend Etwas gegen uns, da er vorhin sagte, er werde wahrscheinlich wiederkommen.«
»Der Frosch hätte ihm Etwas gesagt.«
»In die Hölle mit diesem verdammten kindischen Frosche! Es ist Etwas gegen uns im Werke. Daß ich diese zwei Kosaken frei lassen muß, das wurmt mich gewaltig.«
»Eigentlich ist mir das sehr gleichgiltig, aber es kann mich doch ärgern, daß sie anstatt der Strafe eine solche Summe Geldes erhalten haben.«
»Ich möchte sie ihnen doch noch abnehmen.«
»Wie und wo? Es giebt keinen rechtlichen Grund dazu.«
»Was thue ich mit rechtlichen Gründen! Ich nehme ganz einfach ein paar meiner Leute mit, laure die Beiden ab, wenn sie die Stadt verlassen und nehme ihnen Alles weg, das Geld und auch die Papiere, welche ich ihnen gezwungener Weise habe ausstellen müssen.«
»Das geht nicht!«
»Sogar sehr leicht. Ich bin ihr Vorgesetzter und werde leicht Mittel finden, mein Verhalten beim Obersten zu rechtfertigen.«
»O, das wäre das Wenigste. Aber dieser dicke Mensch aus – aus – wie hieß die große Stadt?«
»Her– Her– Herlas– weiter weiß ich es nicht; geht mich auch nichts an. Was ists denn mit ihm?«
»Wenn er erfährt, daß Du seinen Schützlingen Alles abgenommen hast, so kommt er uns wieder auf den Hals.«
»Muß er es denn erfahren?«
»Hm! Ja! Nothwendig ist es nicht.«
»Ich muß ja doch meine ganzen Leute aussenden, um nach den Spuren von Nummer Zehn zu suchen!«
»Was! Das hast Du noch nicht gethan?«
»Hatte ich bisher Zeit, um mich in eingehender Weise damit zu befassen? Ich war von heut Nacht so kaput, daß ich unbedingt schlafen mußte. Freilich ists mit dem Schlafe auch nichts geworden. Ich denke, die beiden Lieutenants werden an meiner Stelle bereits die nöthigen Maßregeln getroffen haben. Zwei Pferde zu kaufen, das dauert nicht lange. Dann sollen die Kerls sofort aufbrechen. Also könnte das in allerhöchstens zwei Stunden sein. Den Weg, welchen sie einschlagen, kenne ich auch. Ich kann sie sehr leicht draußen an dem Weidensteine ablauern. Und das werde ich thun. Dort müssen sie vorüber.«
»Es wäre freilich erwünscht, die Papiere zurückzuerhalten.«
»Und das Geld dazu. Der Dicke denkt, sie sind fort, und bekümmert sich nicht weiter um sie. Sobald er dann Platowa verlassen hat, lasse ich sie wiederkommen und sie erhalten die hundert Knutenhiebe, welche ich ihnen versprochen habe. So wird von mir ganz dasselbe erreicht, was Du mit dem Grafen erreicht hast.«
»Ja. Ich habe meine Papiere wieder und auch das Geld dazu.«
»Hast Dir doch Beides gut aufgehoben?«
»Ja. Eingeschlossen habe ich es nicht.«
»Sapperment! Warum nicht?«
»Konnte ich denn? Erst die Besprechung mit dem Grafen, dann mit seiner Gökala. Nachher überkam mich die Müdigkeit. Aber schlafen konnte ich nicht wegen diesen drei amerikanischen Hallunken, die uns ja keine Ruhe gelassen haben.«
»So muß es jetzt Dein Erstes sein. Alles gut aufzubewahren, daß es in keine falschen Hände kommt.«
»Unsinn, aufbewahren!«
»Etwa nicht?«
»Die Papiere nicht. Wozu soll ich sie aufheben? Was können sie mir noch nützen? Sie können mir nur schaden, wenn sie von Jemandem entdeckt werden. Ich muß sie einfach vernichten. Aber das Geld werde ich einschließen, denn wenn Deine Mutter es bemerkte, so hätte sie sofort tausenderlei Bedürfnisse, so daß es in einigen Tagen alle wäre.«
»Wo hast Du es denn? Etwas muß ich freilich auch davon bekommen.«
»Du? Wozu denn?«
»Meinst Du, daß ich ohne Geld leben kann?«
»Du verbrauchst zu viel.«
»Nicht weniger als Du, nämlich im Verhältnisse.«
»So! Hm! Wieviel willst Du?«
»Nun, wieviel giebst Du?«
»Das möchte ich lieber von Dir hören, und ich hoffe, daß Deine Forderung nicht allzusehr unbescheiden sein wird. Das Geld und die Papiere habe ich da in – – –«
Er schlug mit der Hand nach der Brusttasche seines Rockes. Als er da nichts fühlte, machte er ein höchst erschrockenes Gesicht.
»Was hast Du? Was ists?« fragte sein Sohn.
»Alle – – alle – Teu – – Teufel!«
»Donnerwetter! Was machst Du für ein Gesicht? Ich will doch nicht fürchten, daß Du das Geld – – –!«
»Es ist weg!«
»Unmöglich!«
»Weg, weg ist es!«
»So sieh doch nach!«
Der Kreishauptmann hatte voller Schreck beide Hände starr auf die Stelle seines Rockes gehalten, an welcher sich die Brusttasche befand. Er drückte und drückte darauf, aber er fühlte nichts darin.
»Hölle und Teufel! Es ist wirklich fort.«
»So greif doch nur hinein.«
»Ja – – ja – – –!«
Er öffnete den Rock und steckte die Hand in die Tasche. Sein Gesicht wurde länger und immer länger.
»Nun? So rede doch!«
»Leer – – leer!«
»Das ist doch unglaublich.«
»Da – da, greif herein!«
Der Rittmeister griff auch hinein und fand die Tasche leer.
»Himmeldonnerwetter!« fluchte er. »Das ist doch ganz und gar unmöglich. Du mußt Dich irren.«
»Nein, nein.«
»Hast Du vielleicht die Röcke gewechselt?«
»Habe gar keine Zeit dazu gehabt.«
»So hast Du diesen hier unten im Keller angezogen?«
»Freilich!«
»Und das Geld hineingesteckt?«
»Ja, das Geld und die Papiere.«
»Auch wirklich in diese Innentasche auf der Brust?«
»Ja, denn ich stecke niemals Geld oder Werthsachen in eine andere. Es war noch dazu – –ah, Sapperment! Da fällt mir ein: Ich hatte doch den Rock gleich zugeknöpft. Also habe ich das Geld nicht in diese Tasche stecken können. Er legte es mir hin, und ich nahm es und – – – oh, ich Esel, ich gewaltiger Esel!«
Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
»Was denn?«
»Erschrecke ich mich und Dich so unnöthiger Weise. Es ist nicht verloren; es ist ja da!«
»Wo denn?«
»Ich weiß es ganz genau. Ich nahm es und steckte es hier in diese Seitentasche. Da ist es noch.«
»Gott sei Dank, daß – – Himmelsakkerment! Etwa auch nicht?«
Der Alte war, vor Freude im ganzen Gesichte strahlend, mit der Hand in die Seitentasche gefahren. Jetzt ließ er die Hand drin und stierte dem Sohne ins Gesicht. Er war ein Bild des Schreckes. Er vergaß, zu antworten.
»Nun! Rede doch!« rief der Rittmeister.
»Auch da ists nicht!« stammelte der Kreishauptmann.
»Mensch! Vater! Du bist wohl toll!«
»Fort – fort – fort.«
»Oder irrst Du Dich?«
»Nein, gewiß nicht.«
»Hasts vielleicht in die Tasche auf der andern Seite gesteckt?«
»Nein. Jetzt weiß ich es ganz genau. Ich steckte es hier hüben hinein und nicht da drüben.«
»So sieh doch wenigstens nach.«
»Nützt nichts. Da, da hast Du.«
Er zog auf beiden Seiten das Futter aus den Taschen. Beide waren leer.
»Oder hast Du es in den Hosentaschen?«
»Nein. Will nachsehen.«
Seine Hände zitterten, so aufgeregt war er. Er suchte und suchte, fand aber nichts.
»Vater, es muß dennoch ein Irrthum vorliegen. Du hast das Geld wohl gar nicht eingesteckt!«
»Natürlich hab ichs eingesteckt.«
»Du täuschest Dich.«
»Nein. Ich weiß es sehr genau.«
»Es muß noch unten im Keller liegen. Sehen wir einmal nach.«
»Ja, sehen wir nach.«
Sie brannten eine Laterne an und gingen hinab. Trotz alles Suchens und trotzdem sie in jeden Winkel und hinter jedes Faß und Gefäß leuchteten, es war keine Spur des Verlorenen zu finden.
»Bei Gott! Es ist Alles weg!« rief der Rittmeister zornig.
»Ich – ich kanns – kanns nicht begreifen!« stammelte sein Vater.
»Ich noch viel weniger. Das schöne Geld und solche wichtige Papiere hebt man doch heilig auf.«
»Ich hab Alles eingesteckt. Alles! Hier ist es nicht aus meiner Tasche gekommen.«
»Wo aber denn?«
»Nur oben kann es geschehen sein.«
»So denke nach.«
»Ja, nachdenken.«
»Denke nach, wo Du überall gewesen bist.«
»Wo soll ich gewesen sein! Nur in der Wohnung. Aus dem Haus hinaus bin ich gar nicht gekommen.«
»Das weiß ich auch. Aber in welchen Stuben bist Du gewesen?«
»Bei Dir, bei mir und in derjenigen, welche Gökala erhalten hat.«
»So müssen wir dort suchen. Wir müssen auch die Mutter fragen.«
»So erfährt sie ja, daß ich Geld habe.«
»Wir fragen nur, ob sie nichts gefunden hat.«
Das geschah. Sie suchten und fragten überall. Selbst Gökala's Thür wurde wieder aufgeschlossen, um das Zimmer zu durchsuchen. Sie saß am kleinen Fenster und blickte traurig hinaus auf die an Abwechslung so arme Ebene. Als die Beiden eintraten, fragte der Kreishauptmann höflich:
»Töchterchen, ich war hier bei Dir und habe Etwas verloren. Hast Du es vielleicht gefunden?«
»Nein.«
»Sage mir die Wahrheit.«
Er blickte ihr mit angstvollen Augen in das Gesicht. Sie bemerkte das; darum antwortete sie:
»Du scheinst etwas sehr Wichtiges verloren zu haben, darum will ich Dir verzeihen, daß Du mich aufforderst, die Wahrheit zu sagen. Ich bin keine Diebin.«
»Das weiß ich, das weiß ich, das glaube ich gern. Du hast ja gar nicht nothwendig, zu stehlen. Der Herr Graf, der Dich so lieb hat, sorgt ja für Dich. Du hast Alles, was Dein Herz nur wünschen mag, aber – –«
Er hielt inne und blickte ihr forschend und sichtlich mißtrauisch in das Gesicht.
»Was aber?« fragte sie daher ernst.
»Verzeihe mir. Töchterchen! Du willst mich nicht bestehlen, ganz gewiß nicht; aber Du könntest es doch behalten haben.«
»Das wäre ja eben Diebstahl.«
»Nein. Du willst es gar nicht behalten. Du willst mich nur ein Weilchen erschrecken, aus Rache.«.
»Aus Rache? Wofür?«
»Daß ich Dich eingeschlossen habe.«
»Das wäre eine sehr niedrige Gesinnung. Ich bitte Dich sehr, anders von mir zu denken. Ich räche mich nie, und am Allerwenigsten an solchen Personen, wie Ihr seid.«
»So hast Du also wirklich nichts gefunden?«
»Nein. Das sage ich nun zum letzten Male.«
»Mein Gott! Welch ein großes, großes Unglück.«
Als er so fassungslos und jammernd vor ihr stand, fühlte sie trotz seiner Schlechtigkeit doch Mitleid mit ihm.
»Was hast Du denn verloren?« fragte sie ihn.
»Ein wichtiges Papier.«
»Was betraf es denn?«
»Es betraf – den – – den Grafen und mich.«
»Ah! Darf ich den Inhalt erfahren?«
»Nein, unmöglich.«
»So enthielt es den Beweis einer Schlechtigkeit, welche Ihr gemeinschaftlich begangen habt.«
»Nein, o nein! Du irrst. Und sodann war viel, viel Geld dabei.«
»Wohl in Scheinen?«
»Ja.«
»So hast Du es bei mir nicht verloren.«
»Nicht! Was soll ich thun! Auf Dich hatte ich meine letzte Hoffnung gesetzt. Ich war überzeugt, daß ich es hier bei Dir verloren hätte. Nun ist auch das vorbei.«
»Komm, Vater!« mahnte der Rittmeister, welcher still hinter ihm gestanden hatte.
»Ja, aber wohin?«
»Nur heraus jetzt.«
Sie traten hinaus und verschlossen die Thür wieder.
»Glaubst Du ihr?« fragte der Alte.
»Ja.«
»Sie lügt aber doch vielleicht.«
»Nein, die macht keine Lüge. Was sie sagte, das war die volle Wahrheit.«
»Das kannst Du doch nicht wissen.«
»O doch! Der sieht man es an, daß sie keiner Unwahrheit fähig ist. Und wenn sie eine Lüge sagte, so würde dieselbe deutlich auf ihrem Gesicht geschrieben stehen. Sie würde vor Scham über sich flammend erröthen.«
»Meinst Du? Ich traue keinem Menschen, einem Weibe am Allerwenigsten. Sie sind alle falsch und heuchlerisch. Aber, was thun wir nun?«
»Weiß ich es?«
»Weiter suchen!«
»Aber wo?«
»Ueberall!«
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