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»Am Kaukasus. Er stand in russischen Diensten und bekleidete den Rang eines Hauptmanns.«
»Wie lange Zeit ist das her?«
»Fünf Jahre.«
»Thut nichts, thut nichts! Und wenn es zehn Jahre wären, die Spur ist nun da und Steinbach wird ihn nun ganz sicher finden. Wer hätte das gedacht, hier in Sibirien auf die Fährte des Gesuchten zu gerathen! Wie wird Steinbach sich freuen, wenn er es erfährt.«
»Wo ist dieser Steinbach?«
»Er ist noch in Irkutsk, wird aber sehr bald nachkommen.«
»Und wer ist er?«
»Das weiß der Kuckuck. Er nennt sich Steinbach, aber ich will gleich gelyncht sein, wenn er nicht ein ganz vornehmer Kerl ist. Und unermeßlich reich muß er auch sein. Wäre uns der verdammte Derwisch nicht entschlüpft, so wären wir längst fertig.«
»Welcher Derwisch?«
»Hm, ich vergesse, daß Sie ja von alledem gar nichts wissen. Dieser Derwisch hat sich nämlich unter den verschiedensten Namen in der Welt herumgedrückt. Er ist von Steinbach oft verfolgt worden, aber allemal glücklich entronnen. Er heißt eigentlich Florin und war Diener der Familie Adlerhorst.«
»Florin! Florin!«
Er rief diesen Namen laut in die Nacht hinaus, so aufgeregt war er.
»Leise, leise!« warnte Sam. »Bedenken Sie, daß Sie Flüchtling sind. Ist Ihnen denn dieser Name bekannt?^«
»O, nur zu gut.«
»Woher?«
»Jener Georg Adlerhorst hat ihn mir genannt.«
»Ah so! Sonderbarer Weise glaubte heute mein alter Tim, den Kerl gesehen zu haben.«
»Wo?«
»Hier zwischen den Zelten. Das ist aber doch gar nicht möglich.«
»Warum nicht? Es giebt bei Gott keine Unmöglichkeit.«
»Das ist wohl wahr. Aber was wollte der Kerl hier in Sibirien?^
»Was wollen Sie hier? Ebenso wie es zu verwundern ist, daß Sie sich hier befinden, kann sich seine Gegenwart auch erklären lassen.«
»Freilich, freilich. Vielleicht ist er es doch gewesen. Das wäre eine ganz verteufelte Geschichte, wenn er uns entkommen wäre. In seinen Händen liegt nämlich der Schlüssel zu den Geheimnissen der Familie Adlerhorst. Wenn wir ihn ergreifen könnten, so wäre es mit aller Noth zu Ende.«
»So muß und soll er ergriffen werden. Er ist nämlich wirklich hier.«
»Was? Was?« rief Sam, indem nun auch er aufsprang.
»Ja.«
»Kennen Sie ihn denn?«
»Persönlich sogar.«
Er hielt inne, trat nahe an den Kosaken heran, legte ihm die Hand auf die Achsel und sagte:
»Herr – Herr Georg, wollen Sie aufrichtig mit mir sein?«
»Was soll ich sagen?«
»Daß Sie – ja, daß Sie jener Georg von Adlerhorst sind!«
Der Gefragte zögerte einige Augenblicke, dann antwortete er:
»Dieser Name sollte nie wieder über meine Lippen kommen. Da es aber so steht, wie Sie mir sagen, so sollen Sie die Wahrheit hören: Ja, ich bin es.«
Da holte Sam tief, tief Athem und seufzte:
»Gott sei Dank! Wahrhaftig, es geschehen noch immer Zeichen und Wunder! Georg Adlerhorst als Verbannter in Sibirien! Und ich finde ihn, ich, Sam Barth aus Herlasgrün! Herr, hier, nehmen Sie meine Hand. Für Sie hat alle, alle Noth ein Ende.«
»Wenn mir die Flucht gelingt, ja.«
»Auch ohne dies. Verstecken Sie sich nur so lange, bis Steinbach kommt. Dann brauchen Sie gar nicht zu fliehen.«
»Sie denken viel zu sanguinisch. Ich bin ohne Untersuchung und Urtheil, nur allein auf den Befehl des Kaisers verbannt worden. Das kann Ihr Steinbach nicht rückgängig machen, selbst wenn er so ein vornehmer Herr ist, wie Sie denken.«
»Wessen waren Sie beschuldigt?«
»Davon später. Jetzt vor allen Dingen möchte ich von den Meinigen erfahren; das können Sie sich denken. Also erzählen Sie mir, aber nur ganz kurz und in Umrissen. Zu einem ausführlichen Berichte haben wir keine Zeit.«
Er setzte sich wieder nieder. Sam that dasselbe und berichtete nun in weiten Conturen, was er wußte. Er war damit noch nicht zu Ende, als sich Pferdegetrappel vernehmen ließ. Die Pferde wurden in der Nähe angehalten, und sodann kamen zwei menschliche Gestalten heran. Karparla war es mit einem Tungusen.
»Du bist frei,« sagte sie, als er ihr entgegentrat. »Ich erfuhr es von den beiden fremden Männern. Vater sendet mich. Er will Dir wohl, mag aber nicht selbst kommen, da der Kreishauptmann dies erfahren könnte. Er ist der Treueste unter unsern Männern. Er wird Dich an einen Ort bringen, wo Du von keinem Verfolger gefunden werden kannst. Später kommen wir nach und führen Dich über die Grenze.
Er reichte ihr die Hand und antwortete:
»Ich danke Dir! Vielleicht mache ich Gebrauch von Deiner Güte, vielleicht auch nicht. Setze Dich eine kurze Zeit zu uns her! Dieser Fremdling hat mir noch Etwas zu erzählen. Wenn er fertig ist, werde ich Dir sagen können, was ich thue.«
Sie folgte schweigend seiner Aufforderung, und Sam brachte nun seinen Bericht vollends zu Ende.
»Was werden Sie nun thun?« fragte er sodann.
»Fort gehe ich, in die Heimath, zu den Meinen. Etwas Anderes giebt es nicht. Mein Herz treibt mich mit aller Macht zu ihnen.«
»Aber Karparla?«
»Fragen Sie nicht! Diese Frage geht mir wie ein tödtlicher Stich in die Seele. Die Liebe zu diesem Mädchen hält mich mit allen Banden hier fest; aber die Meinen haben größere und heiligere Ansprüche auf mich. Weiß ich denn überhaupt, ob sie meine Liebe jemals erwidern würde? Und wenn sie mich liebte, müßte ich sie nicht dennoch aufgeben? Ich bin ein Flüchtling, geächtet und vogelfrei. Hier könnte ich auf keinen Fall bleiben.«
»Sie haben Recht. Nehmen Sie also das Anerbieten des Mädchens an. Bleiben Sie in dem Ihnen von ihr gebotenen Asyle, bis Steinbach kommt. Dieser wird diejenigen Maßregeln ergreifen, welche am geeignetsten sind, Ihnen die Heimkehr zu ermöglichen.«
»Und Florin, der Derwisch?«
»Der geht Sie jetzt nichts an.«
»Und doch. Soll er abermals entkommen?«
»Steinbach wird ihn zu finden wissen.«
»Aber wo?«
»Hier. Der Mensch wird sich doch wohl noch einige Zeit hier aufhalten.«
»Glauben Sie das nicht. So wie Ihr Kamerad ihn gesehen hat, ebenso gut kann er auch Sie gesehen haben. In diesem Falle ist er bereits fort, und wir müssen wissen, wohin er sich gewendet hat. Er ist jedenfalls im Wirthshause abgestiegen. Dort bleibt man heut wegen des Marktes und Tanzes die ganze Nacht wach. Wir müssen uns sofort nach ihm erkundigen.«
»Sie mögen Recht haben; aber das darf doch an Ihrem Entschlusse nichts ändern.«
»Vielleicht doch. Ich werde hier den Tungusen hinschicken. Er mag den Wirth fragen.«
»Das ist mir nicht sicher genug. Lieber gehe ich selbst.«
»Aber wissen Sie, wie er sich hier genannt hat?«
»Nein.«
»Er war beim Kreishauptmanne, wo ich ihn mir genau betrachtet habe. Ich will ihn Ihnen beschreiben, und darnach kann Ihnen der Wirth Auskunft geben.«
Er beschrieb den einstigen Derwisch ganz genau, und dann eilte Sam fort. Er hatte nur fünf Minuten bis an das Wirthshaus zu gehen.
Nun saß der Kosak mit Karparla beisammen. Der Tunguse hatte sich discret zurückgezogen.
»Wo ist der Ort, nach welchem Du mich bringen lassen willst?« fragte er.
»Er liegt am Mückenflusse zwischen Felsen, in welche ein Unbekannter keinen Weg findet. Der Fluß heißt so wegen den vielen Mücken, die zur Zeit des Frühjahres dort so schrecklich sind, daß sich kein Rennthier da aufzuhalten vermag. Jetzt aber zur Herbstzeit giebt es keine dort.«
»Wie weit ist es bis dorthin?«
»Man reitet zwei Tage lang. In einigen Tagen kommen wir nach.«
»Ich werde mich sehr freuen, Dich dort zu sehen, und dennoch wird mich Dein Anblick schmerzen.«
»Warum?«
»Du wirst als die Braut des Rittmeisters kommen.«
Sie senkte das Köpfchen und antwortete nicht. Darum fragte er:
»Habe ich nicht Recht?«
Anstatt ihm direct mit Ja oder Nein zu antworten, sagte sie:
»Das würde Dich also schmerzen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil ich überzeugt bin, daß Du an der Seite dieses Mannes sehr unglücklich sein würdest.«
»Wer den Eltern gehorcht, wird stets glücklich.«
»Nicht immer. Die Eltern haben nur dann Gehorsam zu verlangen, wenn sie für das Wohl ihres Kindes bedacht sind. Warum wünschen die Deinigen, daß Du die Frau dieses Russen werden sollst?«
»Weil der Schamane es ihnen geboten hat.«
»Aus welchem Grunde aber hat er dieses Gebot ausgesprochen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hast Du denn den Rittmeister lieb?«
»O nein. Ich hasse ihn. Er hat mich heute sogar schlagen wollen.«
»So bitte Deinen Vater, daß er mit dem Schamanen reden möge!«
»Er hat es bereits versucht; aber der Schamane bleibt bei seinem Befehle.«
»Und Du wirst gehorchen?«
»Noch weiß ich es nicht. Aber wenn man mich zwingt, so wird der Rittmeister mich ganz anders finden, als er jetzt denkt. Ich werde sein Weib sein, aber berühren dürfen wird er mich nie.«
»Sollte das wahr sein?«
»Ja. Ich kann es beschwören.«
»Aber er ist stärker als Du. Er wird Dich zwingen.«
»Das kann er nicht. Ich bin die Tochter eines Fürsten. Ich trage meine Waffen. Wollte er mich zwingen, so wäre es sein Tod. Berühren darf mich nur Derjenige, den ich liebe.«
»Und wer ist das?«
Sie antwortete nicht. Er fuhr fort:
»Du bist ja bereits berührt worden von Einem, den Du nicht liebst.«
»Nein, nie!«
»O doch!«
»Wer soll das sein? Wie kannst Du das sagen? Weißt Du nicht, daß dies eine große Schande für mich sein würde.«
»U»d doch ist es so!«
»Wer Dir das gesagt hat, der ist ein sehr großer Lügner.«
»O nein; er ist ein Mann, welcher niemals eine Unwahrheit sagt. Du warst in das Wasser gefallen, weil das Eis unter Deinen Füßen und unter den Hufen Deines Pferdes zerborst. Da holte Dich Einer heraus. Du hattest das Bewußtsein verloren. Weißt Du das noch?«
»Ja,« antwortete sie mit leiser Stimme.
»Er legte Dich am Ufer nieder und nahm Dich an seine Brust. Du warst so unendlich schön, so schön selbst im Scheintode, so daß es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt erfaßte. Er küßte Dich. Habe ich also nicht Recht? Ist es eine Lüge, was ich vorhin sagte?«
»Es ist nicht die richtige Wahrheit. Ich war ja ohne Besinnung. Ich konnte mich nicht wehren, als ich in Deinen Armen lag.«
»Ja, das ist wahr. Aber wenn Du das Bewußtsein gehabt hättest, hättest Du Dich da auch gewehrt?«
»Ja,« antwortete sie, aber erst nach einer Pause des Nachsinnens und in einem halb und halb neckischen Tone.
»Ist das wahr, Karparla?«
»Ja, Du kannst es glauben; ich hätte mich gewehrt.«
»Aber wie lange?« fragte er, seinerseits nun auch in scherzendem Tone.
»So lange, wie es nöthig gewesen wäre.«
»Das wäre sehr unrecht und grausam von Dir gewesen. Also zürnest Du mir wohl, daß ich Dich damals ohne Deine Erlaubniß geküßt habe?«
»Nein. Du hattest mir ja das Leben gerettet. Da hast Du Dir den Lohn gleich selbst genommen, und nun bin ich Dir nichts mehr schuldig.«
»Darüber freust Du Dich wohl sehr?«
»Ja. Eine Fürstin soll keinem Menschen Etwas schuldig sein.«
Diese kindlich neckische Hin- und Gegenrede wurde gestört. Sam kehrte zurück.
»Nun, haben Sie Etwas erfahren?« fragte der Kosak.
»Ja. Er ist dort abgestiegen, aber er befindet sich nicht mehr hier in Platowa. Er nennt sich Peter Lomonow, Kaufmann aus Orenburg, und ist gekommen eines Jagdunternehmens wegen. Er hat eine Gesellschaft Zobeljäger engagirt und ist bereits heut mit ihnen aufgebrochen.«
»Wohin?«
»Der berühmte Zobeljäger Nummer Fünf ist der Anführer der Gesellschaft. Er ist kurz vor dem Aufbruche bei dem Wirthe gewesen und hat diesem mitgetheilt, daß der Zug zunächst nach dem Mückenflusse gehe.«
»Dorthin? Das ist mir ungeheuer lieb, denn dorthin führt mich auch mein Weg.«
»Wirklich? Das wäre ja ein überaus günstiger Zufall. Der Derwisch, kennt Sie natürlich?«
»Nein. Ich bin so viel älter geworden und habe mich so viel verändert, daß ich nicht glaube, daß er mich erkannt hat.«
»Wenn das der Fall wäre, so könnten Sie sich und uns einen sehr großen Gefallen thun.«
»Recht gern, natürlich. Welchen Gefallen meinen Sie aber?«
»Sie könnten jene Jagdgesellschaft unter irgend welchen Vorwänden verhindern, den Mückenfluß zu verlassen, damit Steinbach den Derwisch dort antrifft.«
»Sie meinen, daß er hinkommen werde?«
»Unbedingt. Es muß ihm ja Alles, Alles daran liegen, diesen gefährlichen Menschen zu ergreifen. Freilich, wenn nur eine Ahnung vorhanden wäre, daß der Derwisch weiß, wer Sie find, so müßten Sie sich hüten, sich von ihm sehen zu lassen.«
»Ich bin überzeugt, daß er nicht weiß, wer ich bin.«
»Seien Sie trotzdem äußerst vorsichtig. Dieser Mensch hat sich ganz außerordentlich in der Gewalt. Er wird nur selten merken lassen, was er denkt.«
»Kommen Sie auch mit?«
»Auf alle Fälle. Ich würde gleich jetzt mit Ihnen reiten, aber ich habe die strengste Weisung von Steinbach, ihn hier zu erwarten.«
»Dieser Weisung müssen Sie natürlich Folge leisten.«
»Aber Sie reiten ohne allen Schutz.«
»Es fragt sich, ob Sie, wenn Sie mich begleiten würden, mir Schutz gewähren könnten.«
»Hm!« lächelte der Dicke. »Ich möchte mich rühmen, daß meine Begleitung noch keinem Menschen Etwas geschadet hat.«
»Das glaube ich sehr gern. Unter Umständen aber ist es zuweilen vortheilhafter, man reist nicht in zu großer Anzahl. Und meine gegenwärtige Lage ist vielleicht eine solche, für welche dieser Ausspruch paßt.«
»Mag sein. Im Uebrigen beruhigt mich der Umstand, daß Sie doch nicht ganz allein sind. Sie haben ja einen Tungusen bei sich.«
»Und zwar einen treuen, wie Karparla mir sagte. Ich kann Ihnen mittheilen, daß diese Tungusen zwar sehr friedlich gesinnte Leute sind, aber wenn es nöthig ist, so stellen sie ihren Mann. Sie glauben also, daß Steinbach mir nachfolgen werde?«
»Ich bin vollständig überzeugt davon.«
»So wünsche ich, daß er recht bald hier eintreffen möge. Nur fragt es sich, ob er mich auch finden wird.«
»Warum sollte er nicht?«
»Ich werde also am Mückenflusse sein. Das ist eine so allgemeine und unsichere Ortsbezeichnung, daß es ja fast unmöglich ist, mich auf dieselbe hin aufzusuchen.«
Der dicke Sam stieß ein lustiges Lachen aus und antwortete:
»Mein lieber Freund, ich will Ihnen sagen, daß Sie keine Ahnung von dem Spür- und Scharfsinne eines Prairiejägers haben. Reiten Sie jetzt nach dem Mückenflusse und geben Sie sich Mühe, sich dort zu verstecken. Ich komme in einer Woche nach und werde Sie doch ganz sicher auffinden. Und Steinbach ist ein noch ganz anderer Kerl als ich. Uebrigens können Sie ja dazu beitragen, daß wir Ihre Spur leicht finden. Sie brauchen uns doch nur ein Zeichen zurückzulassen.«
»Welches?«
»Legen Sie heimlich, so daß es von Niemandem bemerkt wird, überall, wo Sie sich befinden und so oft es Ihnen paßt, zwei Steine über einander und daneben einen dritten in derjenigen Richtung, in welcher Sie den Ritt fortsetzen.«
»Das wird doch auffallen, besonders dem einstigen Derwisch, der ja auch in Amerika gewesen ist und also diese Jägergebräuche kennt.«
»Pah! Sie denken wohl, wenn ich von Steinen spreche, so müssen es Mauerquadern sein?«
»Groß genug müssen sie doch jedenfalls sein, damit sie leicht bemerkt werden.«
»Es genügt, wenn sie die Größe eines Pfennigs haben.«
»Wirklich?«
»Ja. Zwei über einander und einer daneben, das ist für ein Prairieauge vollständig hinreichend.«
»Schön! Aber da, wo es keine Steine giebt?«
»Da stecken Sie drei Aestchens in die Erde. Dorthin, wohin die Spitzen zeigen, sind Sie geritten. Haben Sie noch eine Frage, eine Erkundigung?«
»Nein.«
»So brechen Sie auf. Mit Allem, was wir heut gethan und gesprochen haben, ist die Nacht beinahe vergangen. Bald wird der Morgen grauen, und Sie müssen doch einen genügenden Vorsprung vor etwaigen Verfolgern haben.«
»Die fürchte ich nicht. Der Fürst hat jedenfalls zwei der schnellsten Pferde für uns ausgesucht. Und meine Flucht wird wohl erst spät entdeckt werden. Ein einziger Umstand macht mir Bedenken. Ich bin nämlich ohne alle Waffen. Und deren bedarf ich doch auf alle Fälle.«
»Das ist freilich beklagenswerth. Ich kann Ihnen da nicht helfen. Und in die Kaserne können Sie sich nicht wagen?«
»Auf keinen Fall.«
»Vielleicht helfen Ihnen die Tungusen aus.«
»Ich werde Karparla fragen.«
Als er diese Frage aussprach, antwortete das Mädchen:
»Ich habe für Alles gesorgt, denn ich wußte, daß Du keine Waffen hattest und sie doch brauchen würdest. Dort am Sattel findest Du eine gute Flinte, und in der Tasche steckt ein Messer und auch Munition. Mundvorrath für viele Tage liegt hinter dem Sattel quer über das Pferd.«
Sam verstand diese in russischer Sprache gesagten Worte. Er dachte sich, daß der Kosak vielleicht noch einen Augenblick mit dem schönen Mädchen allein zu sein wünsche, darum meinte er:
»So sind Sie ja mit allem Nöthigen versehen, und wir können uns verabschieden. Ich will nicht mit Karparla nach dem Lager gehen. Man braucht uns nicht bei einander zu sehen. Es würde das Veranlassung zu dem Verdachte geben, daß wir an Ihrer Flucht betheiligt seien. Also leben Sie wohl! Reiten Sie glücklich, und seien Sie überzeugt, daß wir uns bald wiedersehen werden! Aber nehmen Sie sich vor diesem sogenannten Peter Lomonow, dem angeblichen Kaufmanne aus Orenburg, in Acht. Er ist nicht nur gewaltthätig, sondern auch schlau. Ihn zu täuschen, dazu gehört viel.«
»Haben Sie keine Sorge! Ich fürchte ihn nicht.«
»Und noch Eins, woran ich soeben denke. Machen Sie da ja keinen Fehler! Was sagen Sie, wenn er Sie fragt, was Sie bei ihm wollen?«
»Hm! Darüber muß ich vorher nachdenken.«
»Sie müssen sich bald klar werden, denn Sie können von einem jeden Begegnenden gefragt werden.«
»Leider trage ich die Uniform und muß also eingestehen, daß ich Kosak bin.«
»Vielleicht ist dieser Umstand grad mehr von Vortheil als von Nachtheil.«
»Schwerlich. Trüge ich einen Civilanzug, so hätte ich weniger zu befürchten.«
»Nun, können Sie nicht zum Beispiel sagen, daß Sie mit Andern ausgeschickt worden seien, um den verborgenen Aufenthalt eines entflohenen Verbannten auszukundschaften?«
»Da haben Sie sehr Recht. Das ist eine sehr gute Erklärung. Wenn ich dies vorgebe, so ist ein Jeder geradezu verpflichtet, mir alle mögliche Unterstützung angedeihen zu lassen.«
»Freut mich, Sie bemerken also bereits jetzt, daß so ein alter Prairiejäger kein übler Junge ist. Könnte ich bei Ihnen sein, so würde ich für Sie nicht das Allermindeste befürchten. Nun jetzt ein Lebewohl!«
»Adieu, und baldiges Wiedersehen!«
Sam schritt von dannen. Der Kosak wendete sich an Karparla:
»Wann werdet Ihr nach dem Mückenflusse kommen?«
»Wir bleiben hier, bis der Markt zu Ende ist. Ich würde gern noch eher aufbrechen, aber das könnte auffallen. Man wird uns so im Verdacht haben, Dir bei Deiner Flucht behilflich gewesen zu sein.«
»Hoffentlich bereitet man Dir keine Unannehmlichkeiten. Ich würde das sehr beklagen.«
»Ich fürchte mich nicht. Ich werde mir alle Mühe geben, die Verfolger irre zu leiten.«
»So freue ich mich auf die Stunde, an welcher ich Dich wiedersehen werde.«
»Freust Du Dich wirklich auf dieselbe?«
»Du darfst nicht daran zweifeln.«
»Aber dieses Wiedersehen wird ein sehr kurzes sein, denn sobald wir kommen, werden Dich einige unserer Leute über die Grenze schaffen. Dann gehst Du in Deine Heimath und kehrst dann wieder.«
Sie sagte das in traurigem Tone, so daß er ihre Hand ergriff und sie fragte:
»Thut Dir das Scheiden denn leid?«
»Ja, von ganzem Herzen leid. Du bist ja mein Retter. Den Ring, welchen ich Dir gegeben habe, hat Dir der Rittmeister abgenommen. Nun hast Du nicht einmal ein Andenken an mich.«
»Du ja auch keins an mich!«
»O doch. Ich werde immer an Dich denken. Du hast mir das verlorene Leben zurückgegeben. Ist das nicht genug? Ist das nicht das werthvollste Andenken, was man sich zu geben vermag? Ich möchte Dir gern einen anderen Ring geben, wenn ich wüßte, daß Du ihn annehmen würdest.«
»So sind zwei Ringe für Dich verloren.«
»Das ist mir gleich. Du weißt ja, daß wir reich sind. Darf ich?«
»Ja, aber unter einer Bedingung.«
»Sage sie. Wenn ich kann, werde ich sie erfüllen.«
»Laß Dir den ersten Ring von dem Rittmeister zurückgeben.«
»Das werde ich thun. Noch heut muß er ihn mir wiedergeben.«
»Wird er es thun?«
»Er muß. Wenn ich es will, so setze ich es auch durch. Er soll einen Ring, den ich für Dich bestimmt habe, nicht tragen dürfen. Und nun nimm diesen hier!«
Sie zog ihn vom Finger und gab ihn dem Kosaken hin. Dieser steckte ihn an, zog ihre Hand an sein Herz und sagte:
»Karparla, es mag kommen, was da wolle, dieses Andenken werde ich so heilig halten wie kein zweites. Du sagst, daß Du oft an mich denken werdest, und ich versichere, daß mein Sinnen gar nicht von Dir lassen wird.«
»So sagst Du jetzt. Ich wohne auf der weiten, stillen einsamen Ebene; da stört mich nichts an Dich zu denken. Du aber gehst in ein Land, wo es ganz anders ist als hier. Da wirst Du bald keine Zeit haben, Dich an Karparla zu erinnern, und gar bald wird es geschehen sein, daß Du mich vergessen hast.«
»Nie, nie werde ich Deiner vergessen.«
»Wenn Dein Heimathland doch nicht gar so weit von hier läge, so daß man einmal hinreiten könnte!«
»Würdest Du kommen?«
»Ganz gewiß. Wie lang müßte man reiten, um es zu erreichen?«
»Viele, viele Monate lang.«
»Das ist traurig. So kann ich nicht zu Dir, und Du kannst nicht zu mir. Warum mußt Du fort von hier?«
Sie sagte das in wirklich aufrichtiger Trauer. Es überwallte ihn heiß. Er antwortete:
»Wir würden uns täglich sehen.«
»Meinst Du, daß uns das erfreuen könnte? Du wärst das Weib des Rittmeisters. So oft ich Dich erblickte, würde mich der Grimm übermannen.«
»Nein, ich wäre nicht sein Weib. Wenn Du hier bliebst, würde ich ihn abweisen.«
»Aber weil ich fortgehe, wirst Du ihm seinen Wunsch erfüllen.«
Sie entzog ihm ihre Hand, drückte dieselbe gegen ihr klopfendes Herz und sagte:
»Ich habe bis jetzt es für möglich gehalten, daß ich ihm angehören kann, in diesem Augenblicke aber fühle ich es, daß das ganz und gar unmöglich ist.«
»Darf ich das glauben?«
»Ich sage es Dir, und so ist es wahr. Ich werde lieber sterben, als daß ich ihm nur einen freundlichen Blick gebe.«
Da beugte er sich zu ihr nieder und fragte:
»Warum merkst Du es erst jetzt, in diesem Augenblicke?«
»Warum? Das weiß ich nicht. Ich fühle es deutlich; aber woher diese Erkenntniß kommt, das kann ich nicht sagen. Ich möchte – ich möchte am Liebsten – –«
Sie hielt inne. Es klang, als ob sie mit Thränen kämpfe.
»Was möchtest Du? Sage es!« bat er in innigem Tone.
»Das darf ich nicht.«
»Du darfst es! Warum wolltest Du Dich scheuen, es zu sagen?«
»Weil – weil – – weil Du wohl gar darüber lachen würdest.«
»Ich darüber lachen. Karparla, wie kannst Du mir mit diesen Worten so wehe thun!«
»Wenn es Dir wirklich wehe thut, so könnte ich es doch vielleicht sagen.«
»Ja, theile es mir mit! Ich bitte Dich recht herzlich darum.«
»Ich wollte sagen: Wenn der Vater nicht wäre und die Mutter nicht, – so –«
»Nun? Weiter, bitte, bitte!«
»So möchte ich am Allerliebsten mit Dir fortgehen in Deine Heimath.«
Sie sagte das langsam, traurig; er hörte es ihr an, daß es ihr Ernst mit diesen Worten sei.
»Mit mir gehen? Und dort bleiben?«
»Ja«
»Für immer? Nie wieder nach hier zurückkehren?«
»Nie wieder. Wo Du wärst, da würde ich gern bleiben.«
Da legte er seinen Arm um sie und zog sie leise, leise an sich. Sie duldete es, aber nicht ganz. Sie hielt ihre Arme so, daß dieselben sich zwischen ihnen befanden.
»Wenn Du wüßtest, wie glücklich Du mich durch diese Worte machst!« flüsterte er.
»Freut es Dich wirklich?«
»Unendlich. Es hat mich, so lange ich lebe, noch nichts so sehr gefreut wie das.«
»So denke daran, wenn Du daheim bist. Du wirst Dir dann sagen können, wie traurig ich sein werde.«
»Du wirst doch bald Trost finden.«
»Nein. Es giebt da keinen Trost.«
»Du wirst einen Mann haben, mit welchem Du glücklich bist.«
»Ich werde allein bleiben, so lange ich lebe, und mir nie einen Mann nehmen. Das weiß ich nun.«
»Wenn ich nun kein Verbannter wäre und dafür reich und vornehm, und ich bät um Deine Hand bei Deinem Vater, würdest Du da Ja sagen, Karparla?«
»Ich würde Ja sagen, wenn Du auch nicht reich und vornehm wärst.«
»Aber ein Verbannter!«
»Du bist trotzdem besser als alle Andern. Ich fürchte mich nicht, das Weib eines solchen Verbannten zu werden.«
»Karparla, ist das wahr!«
»Soll ich es Dir beweisen?«
»Wie könntest Du das?«
»Bleib hier, so werde ich Deine Frau!«
»Ich bin ein Flüchtling!«
»Ich fliehe mit, an einen Ort, wo Niemand Dich findet. Aber nicht so weit fort, wo ich den Vater und die Mutter nicht mehr sehen kann.«
»Du liebes, liebes Mädchen! Es treibt mich mit aller Gewalt, Dir diesen Wunsch zu erfüllen. Welche Seligkeit wäre es, Dich besitzen zu dürfen! Und doch ist es unmöglich.«
»Warum?«
»Weil es ein Verbrechen an Dir wäre, wenn ich Dein ganzes, bisher so lichtes und ungetrübtes Dasein an das Leben eines Verfehmten binden wollte, der sich vor Niemand sehen lassen darf.«
»Wir Beide würden uns ja sehen, und dies wäre genug, um glücklich zu sein.«
»Das denkst Du jetzt, weil Du das Leben nicht kennst. Bald würde das Unglück die gierigen Krallen nach uns ausstrecken, ohne daß wir uns zu wehren vermöchten. Du wirst erst später einsehen, wie Recht ich jetzt habe.«
»Ich glaube, daß Du Recht hast, denn Du sagst nur die Wahrheit und bist klüger als ich.«
»Mich würden bittere Vorwürfe peinigen, welche ich Dir verbergen müßte. Ich hätte Dich um eine schöne Zukunft gebracht und die Sehnsucht nicht gestillt, welche die Meinigen nach mir empfinden.«
»Hast Du Viele, die Dich erwarten?«
»Eine Mutter und mehrere Brüder und Schwestern. Wir sind seit langen Jahren getrennt gewesen, und erst heut habe ich erfahren, daß die Anderen nun vereinigt sind und heißes Verlangen nach mir empfinden.«
»Dann darfst Du sie nicht warten lassen, wenn diese Trennung, auch eine so traurige für mich ist. Ich möchte nicht von meinen Eltern fort. Wie könnte ich da verlangen, daß Du bei mir bleiben sollst.«
»Ja, wir müssen scheiden, auf ewig und auf immerdar. Aber nicht schon heut. Wir sehen uns erst noch wieder. Jetzt aber will ich aufsteigen. Mein Begleiter sitzt schon im Sattel. Damit will er mich mahnen.«
»Ja, Du mußt fort. Im Osten beginnt schon der Horizont sich zu lichten. Vertraue diesem Begleiter. Er ist ein Mann, auf den Du Dich verlassen kannst.«
»Wie heißt er?«
»Gisa. Er gehört zu den Tapfersten und Klügsten unseres Stammes.«
»So laß uns scheiden, Karparla. Nicht wahr. Du hast mich lieb?«
Sie blickte still vor sich nieder und zögerte mit der Antwort. Sie hatte ihm so aufrichtig gesagt, daß sie ihm angehören möchte, trotzdem er ein Verbannter sei, daß sie mit in seine Heimath gehen würde, wenn ihre Eltern nicht wären, und nun er diese directe Frage an sie richtete, fiel es ihr schwer, das erwartete Wort zu sagen.
»Magst Du mir nicht antworten?« fragte er zärtlich.
»Warum soll ich das? Muß es sein?«
»Nein. Ich weiß, daß Deine Seele mir gehört, aber es erhöht das Glück, von Deinen Lippen zu hören, daß Du mich lieb habest.«
»So meinst Du, daß das, was ich fühle, die Liebe ist?«
»Ganz gewiß.«
»O, dann ist die Liebe freilich etwas unbeschreiblich Herrliches. Wenn meine Freundinnen davon sprachen, so hörte ich ihnen zu, ohne es begreifen zu können. Wenn ich einen Mann erblickte, blieb mein Herz so ruhig wie vorher. Ich konnte mir gar nicht denken, daß die Liebe etwas so Außerordentliches sei, bis – bis – bis –«
»Sprich weiter, sprich weiter!« bat er.
»Bis ich damals die Augen öffnete,« fuhr sie leise fort.
»Und –?«
»Und ich an Deinem Herzen lag.«
»Das war wohl sehr bös und schlimm?«
»O nein, nein!«
»Aber ich war Dir fremd. Du kanntest mich doch gar nicht. Fürchtetest Du Dich denn nicht vor mir?«
»Gar nicht. Es war mir gar nicht so, als ob ich mich in den Armen eines fremden Mannes befände. Deine Augen hatten mich so – so – so gut angeblickt. Ich kann es nicht sagen, wie das in meinem Herzen war.«
»Und da mußte dieser Rittmeister dazwischen kommen. Eben wollte ich Dich wieder küssen, als er hinzutrat. Er schlug mich mit der Peitsche, daß ich die Schwiele noch lange Zeit im Gesicht trug.«
»Du Armer, Lieber, Guter!«
Sie schlang die Arme um ihn und drückte sich innig an seine Brust. Das Mitleid siegte über die mädchenhafte Scheu, mit welcher sie vorhin seine Umarmung zu einer nur halben gemacht hatte.
»Wohl war und bin ich ein Armer!« seufzte er tief, tief auf. »Karparla. Du hast keine Ahnung von den Leiden, welche ich zu tragen gehabt habe. Nur wenn Du mein Weib werden und mit mir in meine Heimath ziehen könntest, würdest Du nach und nach begreifen können, was es bedeutet, ein Verbannter zu sein, ohne Recht, ohne Willen, ohne Namen und ohne Schutz.«
»Wie oft bist Du geschlagen worden!«
»Das ist nicht das Allerschlimmste. Was den Körper schmerzt, das ist leicht zu ertragen; aber es giebt Seelenqualen, welche unbeschreiblich sind. Doch fort mit solchen finstern Gedanken! Jetzt habe ich Dich, Dich, Dich, Du Liebe, Du Einzige. Dieser Augenblick macht Vieles, Vieles wieder gut.«
»Ich wollte, ich könnte Alles, Alles von Dir nehmen und an Deiner Statt tragen.«
»Das wolle Gott verhüten, daß Du jemals nur eine einzige Stunde erlebst, wie ich tausende hinter mir habe. Doch schau, Gisa reitet fort, langsam zwar, aber doch so beredt, daß ich ihn verstehe. Leb wohl, meine liebe, liebe Karparla!«
»Leb wohl, mein lieber, lieber –«
Sie sagte das, indem sie ihr Köpfchen fest und innig an seine Brust drückte; nun aber blickte sie schnell zu ihm auf und fuhr fort:
»Wie soll ich Dich nennen?«
»Nummer Zehn!« antwortete er in plötzlich überquellender Bitterkeit.
»Nein, nicht bei diesem häßlichen Wort.«
»Ich habe ja keinen Namen mehr?«
»Auch für mich nicht, für Deine Karparla nicht. Du Böser?«
»O ja. Du sollst mich so rufen, wie Vater und Mutter und Brüder und Schwestern mich genannt haben. Ich heiße Georg.«
»Georgi heißt es bei uns. Georgi – Georgi – Georgi – –
Sie sagte den Namen in einer Weise hin, als ob sie kosten und schmecken wolle, ob er ihr angenehm sei oder nicht.
»Gefällt er Dir nicht?« fragte er.
»Er gefällt mir sehr. An Dir gefällt mir ja Alles, Alles. Nun werde ich Dich nennen können, wenn ich an Dich denke.«
»Bisher hast Du keinen Namen für mich gehabt.«
»O doch, einen hatte ich, und zwar einen sehr schönen.«
»Darf ich ihn erfahren?«
»Ja. Oft, wenn ich allein war und an Dich dachte, wie Dein Auge damals in das meinige geleuchtet hatte, da habe ich die Arme ausgebreitet und gerufen: Mein Retter, komm, komm, mein Retter! Ist dies nicht auch ein schöner Name?«
»Ja, ein sehr schöner.«
»Aber Georgi ist mir noch lieber. Ich werde, wenn ich mich nach Dir sehne. Dich sehr oft bei demselben rufen.«
»So nimm an, daß ich in demselben Augenblicke auch an Dich denke. Jetzt leb nochmals wohl, meine herrliche Karparla!«
Er zog sie an sich und küßte sie. Sie hielt ihm ihre frischen, vollen Lippen still entgegen und duldete es, daß er seinen Mund wieder und immer wieder auf dieselben legte. Dann aber ließ er sie plötzlich los, eilte zum Pferde und sprang in den Sattel.
»Auf Wiedersehen, mein Leben!«
Er wandte sein Pferd herum und jagte davon, dem vorausgerittenen Gisa nach.
»Auf Wiedersehen, mein Georgi, mein – lieber – lieber – Georgi!«
Sie rief er laut und breitete dabei die Arme aus, wie sie vorhin es beschrieben hatte. Dann ließ sie dieselben sinken und blickte ihm nach, so lange es die beginnende Morgendämmerung gestattete. Als er verschwunden war, ging sie langsam nach dem Lager.
Dort lagen die Schläfer noch auf ihren Filzdecken, aber nicht mehr lange. Hunde bellten bereits, und Pferde wieherten. Das Leben begann zu erwachen.
Als sie das väterliche Zelt erreichte, öffnete sich dasselbe und ihre Mutter trat heraus. Die gute, dicke Kalyna sah ein Wenig übernächtig aus. Sie pflegte, ebenso wie ihr Mann, der Fürst, zur frühen Stunde schlafen zu gehen. Die vergangene Nacht aber war so sehr unruhig gewesen.
»Ist er fort?« fragte sie leise.
»Ja. Soeben.«
»Und Du warst bei ihm?«
»Ja.«
»Eine so lange Zeit. Was habt Ihr da gethan und gesprochen.«
Karparla erröthete zwar, antwortete aber der Wahrheit gemäß:
»Das haben wir gethan.«
Dabei umschlang sie die Mutter und küßte sie. Freilich eine regelrechte Umarmung und ein richtiger Kuß war das nicht. Selbst der mit den längsten Armen begabte Mann hätte nicht vermocht, die Taille der Tungusenfürstin zu umspannen. Und der Kuß kam anstatt auf den Mund auf den untern Theil der Wange zu sitzen. Die Mama war selbst für die Tochter unnahbar, wenigstens in Beziehung auf solche körperliche Zärtlichkeiten.
Sie schlug die festen Hände zusammen, daß es schallte, blickte ihre Tochter fast fassungslos an und sagte:
»Das – das habt Ihr gemacht?«
Ja.«
»Geküßt habt Ihr Euch?«
»Du ihn oder er Dich?«
»Ich ihn und er mich. Beide zugleich.«
»Kind, Kind, was fällt Dir ein! Das ist ja verboten!«
»War es dem Vater auch verboten?«
»Nein, denn ich war keinem Andern versprochen. Du aber wirst die Frau des Rittmeisters.«
»Nein, die werde ich nicht!«
Sie sagte das in einem so bestimmten Tone, daß ihre Mutter ganz bestürzt zurücktrat.
»Nicht? Hast Du Dich denn anders besonnen?«
»Nein. Ich bin gleich erst so gesonnen gewesen wie jetzt.«
»Aber wir haben es ihm versprochen!«
»Ich nicht.«
»Denke an den Schamanen!«
»Gebt ihm ein Geschenk, so giebt er Euch Euer Wort zurück.«
»Was denkst Du! Ein Schamane thut für Geschenke nichts, gar nichts.«
Das glaubte die gute Fürstin in Wahrheit, obgleich jeder Schamane Geschenke nehmen muß, wenn er nicht verhungern will. Ja, es ist grad das Schamanenthum durch die Raffineri berüchtigt, mit welcher seine Angehörigen die Laien auszubeuten wissen.
»So behaltet die Geschenke, und ich thue doch, was ich will!« antwortete die Tochter.
»Was höre ich! Du bist plötzlich eine ganz Andere geworden. Dich kenne ich gar nicht mehr wieder.«
»Ja, ich weiß, daß ich anders geworden bin, plötzlich, in einem einzigen Augenblick! Weißt Du wer daran schuld ist?«
»Wer denn?«
»Die Liebe.«
Die Fürstin riß die Augen weit auf und vermochte dabei auch nicht, den Mund geschlossen zu halten.
»Die – Liebe!« stöhnte sie förmlich. »Was ist das? Was verstehst. Du von der Liebe, Du kleines Mädchen!«
»O, ich kenne sie, ich kenne sie!«
Wie kam es doch nur, daß die Tochter so ohne alle Zurückhaltung zu ihrer Mutter sprach. Eine »civilisirte« Tochter hätte das für höchst unweiblich, ja noch für viel schlimmer gehalten. Dieses Naturkind aber sagte, was es fühlte und dachte.
Zur Seite der Zeltjurte lagen mehrere Sattels auf einander, eine Art Bank bildend. Darauf setzte sich die Fürstin. Die Gute war von Dem, was sie sah und hörte, ganz schwach geworden, so schwach, daß sie nicht mehr stehen konnte.
»Du kennst sie? Du kennst sie?« fragte sie, höchst nachhaltig den Kopf schüttelnd. »Wie ist sie denn eigentlich?«
»So süß, so köstlich, so – ich kann es gar nicht sagen.«
»Die Heiligen alle mit einander mögen Dir gnädig beistehen. Du willst etwas verstehen, was Deine Mutter nicht kennt!«
»Du, Du kennst die Liebe nicht?«
»Nein. Ich habe niemals Etwas davon gefühlt.«
»Aber Du hast doch einen Mann!«
»Was hat das bei der Liebe zu thun?«
»Man muß ihn doch lieben?«
»Das verstehst Du nicht. Gehorchen muß man ihm. Speise und Trank bereiten muß man ihm. Angenehm muß man sich ihm machen. Und widersprechen darf man ihm nicht. Trotzdem kann man hinter seinem Rücken machen, was man will. Das ist die Liebe, die richtige Liebe.«
»O, Mutter, wie falsch denkst Du!«
Bei diesen Worten leuchteten die Augen des schönen Mädchens vor lauter Glück und Wonne auf. Die Mutter machte ein möglichst noch erstaunteres Gesicht als vorher.
»Willst Du klüger sein als ich?« fragte sie.
»Nein. Du bist viel klüger als ich. Aber vielleicht ist grad Deine Klugheit daran schuld, daß Du die wirkliche Liebe nicht kennen gelernt hast.«
»Die meinige ist die wirkliche.«
»So? Könntest Du für den Vater sterben?«
»Ja, wenn die Todesstunde einmal nahe gekommen ist, so hilft kein Weigern.«
»Das meine ich nicht; ich meine, ob Du Dein Leben mitten in vollster Gesundheit hingeben könntest, wenn es zum Wohle des Vaters diente?«
»Kind, wie redest Du! Das würde ich gewiß niemals thun. Es kann doch unmöglich zu seinem Wohle dienen, wenn ich sterbe. Vielmehr, je länger ich lebe, desto besser ist es für ihn.«
»So hast Du die richtige Liebe nicht. Ich könnte mich für Georgi gleich jetzt tödten lassen.«
»Herrgott! Gleich jetzt! Du hast doch nicht etwa Etwas vor! Kind, sei aufrichtig mit Deiner Mutter, denn Du hast keine andere. Willst Du Dich ermorden?«
»O nein, das fällt mir gar nicht ein!« lachte Karparla laut auf.
»Gott sei Dank! Welch einen Schreck hast Du mir eingejagt! Den werde ich nur sehr schwer überwinden. Du wolltest Dich doch jetzt gleich tödten lassen für diesen, diesen – wie nanntest Du ihn?«
»Georgi. Ist das nicht ein wunderschöner, ein einziger Name?«
»Ich finde, daß er grad ebenso klingt wie ein jeder andere auch. Aber wer heißt denn so?«
»Das weißt Du noch nicht?«
Sie fragte das wirklich im Tone des größten Erstaunens. In den wenigen Minuten war der Name ihr so vertraut geworden, als ob er ihr bereits seit Jahren geläufig gewesen sei.
»Ich weiß es nicht. Mir ist kein einziger Georgi bekannt.«
»Nun, Er heißt doch so!«
»Er? Welcher Er?«
»Georgi! Ach so, da weißt Du es ja noch immer nicht. Den Kosaken meine ich.«
»Bei mir nicht mehr. Er hat mir seinen Namen anvertraut; denke Dir, seinen Namen!«
»Das ist wohl etwas sehr Großes?«
»Ja, denn einer Anderen hätte er ihn gewiß nicht gesagt.«
»Vielleicht hat er ihn schon Vielen mitgetheilt.«
»Keiner Einzigen! Da kennst Du meinen Georgi schlecht! Du darfst mir meinen Georgi nicht verleumden! Ich dulde das nicht.«
»Deinen – Deinen Georgi! Kind, mit Dir ist Etwas geschehen, was ich gar nicht begreifen kann. Ich weiß nur, daß Ihr Euch geküßt habt und daß Du ihn lieb haben willst. Laß ja Deinem Vater davon nichts merken. Du wirst den Rittmeister zum Mann erhalten, und da ist es verboten. Einen zu haben, den man meinen Georgi nennt!«
»Den Rittmeister mag ich nicht!«
»Rede nicht so unverständig! Er wird Dein Mann, und Denjenigen, welcher der Mann wird, den muß man doch nehmen!«
»Er wirds ja aber nicht!«
»So? Wer sagt es denn?«
»Ich!«
»Da siehst Du, daß Du die richtige Liebe doch nicht kennst. Man darf seinem Manne niemals widersprechen; Du aber widerstehst dem Rittmeister, noch ehe er Dein Mann ist! Wie soll das erst später werden?«
»Ich mag ihn nicht; ich nehme ihn nicht, und folglich kann ich ihm ungehorsam sein.«
»So, ach so meinst Du es! Jetzt verstehe ich Dich endlich! Dem Georgi aber würdest Du wohl gehorchen?«
»Ja, gern und allezeit.«
»Wunder über Wunder! So soll wohl gar er Dein Mann werden?«
»Das wäre mein größtes Glück, und ich wollte mir weiter gar nichts wünschen. Aber er kann mein Mann nicht werden.«
»Gott sei Dank! Jetzt wird sie wieder vernünftig. Ich hatte wirklich eine ganz entsetzliche Angst in mir, als ich Dich so reden hörte. Der Kosak ist fort, und das, was Du Liebe nennst, wird auch bald fort sein. Komm herein und trinke Deinen Thee.«
»Heut nicht. Ich habe keine Ruhe. Ich muß hinaus, fort, fort. Geh weg!«
Sie schob ihre Mutter von dem Sitze empor, nahm einen der Sättel weg und begann ihr Pferd, welches neben der Jurte angebunden war, zu zäumen und zu satteln. Dann stieg sie auf.
»Fort willst Du?« fragte die Mutter. »Mir wird schon wieder Angst! Du hast vom Sterben gesprochen. Du willst Dir doch kein Leid anthun?«
»Daran ist nicht zu denken. Sehe ich etwa wie Eine aus, welche sterben will?«
»Nein. Du siehst viel eher wie Eine aus, welche Fliegenpilzwasser getrunken hat. Du wirst mir doch nicht etwa krank werden?«
»Nein. Ich will nur einen tüchtigen Ritt machen, dann komme ich wieder.«
Sie ritt davon und trieb, als sie das Lager hinter sich hatte, ihr Thier zur größten, fast halsbrechenden Schnelligkeit an. Sie war eine echte Jakutin. Der inneren Erregung mußte durch etwas Aeußerliches das Gleichgewicht gehalten werde», und dazu war ein kühner Ritt am Allertauglichsten.
Die ersten Strahlen der Sonne umflutheten den östlichen Horizont und kamen in glühenden Garben über die weite Ebene herbeigeschossen. Als sie die Reiterin mit klarem, warmem Golde umwebten, breitete diese die Arme aus und rief jubelnd:
»Georgi, mein Georgi – Georgi!«
Drüben, vom Süden her, näherten sich einige kleine Punkte. Karparla bemerkte dieselben und lenkte nach dieser Richtung hin. Je näher sie ihnen kam, desto deutlicher sah sie, daß es vier Wagen waren, welche in scharfem Trabe auf Platowa zuhielten. Die beiden vorderen waren Troika's, mit drei Pferden bespannt, deren mittelstes, zugleich das größte und kräftigste, einen Bogen über dem Kopfe trug, an welchem ein Glöckchen hing. Die beiden anderen Wagen waren leichte Kibitken, nur mit zwei Pferden bespannt.
In der vorderen Troika saß ein Herr, in der zweiten eine verschleierte Dame. Die beiden Kibitken waren mit Gepäck gefüllt, welches von einem Diener und einer Dienerin bewacht wurde.
Die Wagen flogen ganz – eng hinter einander her. In ihrer rosigen Stimmung war Karparla zu einem Scherze geneigt, wie er eben nur einer Jakutin oder Tungusin in den Sinn kommen kann. Sie trieb ihr Pferd zu noch größerer Eile an, ritt rechtwinklich auf die Wagen ein und schoß im Carriére zwischen dem ersten und zweiten hindurch, obgleich der Zwischenraum zwischen der vorderen Troika und den Pferden des zweiten Wagens kaum eine Elle betrug.
Ein lauter Angstschrei erscholl aus dem Munde der Dame. Karparla hatte ihn gehört. Sie riß ihr Pferd auf den Hachsen herum und dirigirte es zu der erschrockenen Reisenden, welche ihre Troika hatte anhalten lassen.
»Bist Du über mich erschrocken, mein Schwesterchen?« fragte sie, am ganzen Gesicht lachend und dabei ihre köstlichen Zähnchen zeigend.
»Sehr,« ertönte die Antwort von einer sonoren Stimme.
»Verzeihe mir! Ich thue es nicht wieder.«
»Das möchte ich Dir rathen. Du kannst doch einmal zu Falle kommen!«
»O nein; das ist ja ganz unmöglich! Wie sollte das geschehen?«
»Wenn Du nun am Wagen oder an meinen Pferden hängen geblieben wärest!«
»Auch das war unmöglich. Ich sah doch, daß ich durchkommen konnte, sonst wäre ich über Deine Pferde weggeritten.«
»Hilf Himmel! Bist Du toll!«
»O nein! Wir reiten hier gern so!«
»Ich reite auch; aber so Etwas würde ich doch niemals wagen.«
»So bist Du keine Tungusin?«
»Nein.«
»Wo bist Du her?«
»Ich komme aus weiter Ferne, aus Indien.«
»Und wohin willst Du?«
»Nach Irkutsk wollen wir. Vorher aber werden wir einen Tag in Platowa rasten.«
»Hast Du da Bekannte?«
»Nein.«
»So bitte ich Dich, bei uns abzusteigen. Du wirst uns sehr willkommen sein. Mein Vater ist Bula, der Fürst der Tungusen.«
»Ich danke Dir! Es ist bereits beschlossen, daß wir bei dem Kreishauptmann bleiben.«
»Schade, sehr schade! Aber wenn Ihr bei diesem bleibt, so seid Ihr wohl sehr vornehme Leute?«
»Der dort ist ein Graf.«
Sie deutete dabei nach der vorderen Troika, welche nicht angehalten, sondern ihren Weg fortgesetzt hatte. Dann befahl sie dem Kutscher, die Fahrt fortzusetzen. Als der Wagen wieder in den früheren scharfen Trab gekommen war, blieb Karparla an der Seite desselben, als ob sich das ganz von selbst verstehe.
»Ein Graf?« sagte sie. »Da bin ich doch noch vornehmer. Nicht?«
»Ja, wenn Du eine Fürstentochter bist, eine Tungusenprinzessin, so hast Du Recht.«
»Geh! Was bedeutet bei Euch ein Tunguse! Gar nichts! Ich weiß das wohl; ich habe es gehört und auch gesehen. Dein Graf aber ist wohl ein Russe?«
»Ja.«
»Da steht er, obgleich er nur Graf ist, viel, viel höher als mein Vater, und Du bist eine vornehmere Dame als ich. Da möchte ich gar gern einmal Dein Gesicht sehen.«
»Das sollst Du gern.«
Die im Wagen Sitzende legte den Schleier zurück. Karparla machte eine ganz unwillkürliche Bewegung des Erstaunens. Ein Paar solcher Augen, wie ihr jetzt in diesem Augenblicke entgegenstrahlten, so mild und doch so mächtig, hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen.
»Wie schön bist Du! Wie wunderbar schön!« entfuhr es ihr.
»Du scherzest!«
»O nein! Du bist schöner noch als ein Engel!«
»Nun, Du bist wohl nicht minder schön als ich. Das kannst Du mir glauben.«
»Meinst Du wirklich?«
»Ja. Wie glücklich wird Derjenige sein, welchem Du Dein Herz schenkst!«
»O, er hat es bereits!« antwortete die Tungusin, indem sie über das ganze Gesicht lachte.
»Liebt er Dich sehr?«
»Unendlich!«
»Das gönne ich Dir. Bitte, wie ist Dein Name?«
»Karparla.«
»Das heißt, die wie Schnee Glänzende. Du trägst ihn mit vollem Rechte. Du gleichst dem Schnee, auf welchem das Morgenlicht seinen leisen, zarten Purpur wirft. Es ist oft wunderbar, wie genau der Name zur Person paßt.«
»Wie ist der Deinige?«
»Gökala.«
»Das heißt, die Himmelblaue. Auch Du trägst ihn mit vollem Rechte. Ob es wohl noch ein zweites Paar so herrlich blauer Augen giebt, wie die Deinigen sind? Ich glaube es nicht.«
»Wie es scheint, finden wir Wohlgefallen an einander,« lächelte die Dame.
»Ja, ich habe Dich bereits sehr lieb. Wenn Du mich auch ein Wenig leiden könntest, so hätte ich große Freude. Dann könntest Du mich in unserem Lager besuchen, welches vor der Stadt liegt.«
»Oder Du könntest auch zu mir kommen.«
»Nein; das ist unmöglich.«
»Warum?«
»Weil Du beim Kreishauptmann wohnen wirst. Zu diesem komme ich nicht.«
»Warum nicht? Bist Du ihm feindlich gesinnt? Hat er Dich etwa beleidigt?«
»Ja, ganz entsetzlich!«
Sie machte dabei ein so grimmiges Gesicht, daß Gökala ein Lachen vernehmen ließ.
»Du lachst mich aus!« sagte Karparla. »Ich habe allen Grund, ihn zu hassen!«
»Ist die Beleidigung denn gar so groß?«
»Die größte, welche es geben kann. Willst Du es errathen?«
»Ich bitte Dich, es mir lieber zu sagen.«
»Denke Dir, er will mich zwingen, seinen Sohn zu heirathen!«
»Und Du magst ihn nicht?«
»Nein.«
»Das ist allerdings eine ganz ungeheure, eine eigentlich ganz undenkbare Beleidigung,« stimmte Gökala bei, indem sie sich Mühe gab, ein verrätherisches Lächeln zu verbergen. »Aber er kann Dich doch nicht zwingen!«
»Er hat meine Eltern auf seine Seite gebracht.«
»O wehe! Was ist denn sein Sohn?«
»Blos Rittmeister. Weiter gar nichts.«
»Nicht schön?«
»Pfui!«
Sie machte eine sehr sprechende Bewegung des Abscheues.
»Wohl auch nicht sehr klug?«
»Sehr dumm sogar.«
»Aber tapfer?«
»Höchst feig. Nur seine Untergebenen prügelt er. An Andere wagt er sich nicht.«
»So ist er aber doch wohl reich?«
»Auch nicht. Er ist meinem Vater bereits sehr viel schuldig!«
»So nehme ich es Dir gar nicht übel, daß Du ihn nicht lieben kannst und daß Du Dein Herz weiter verschenkt hast.«
»Ja. Weißt Du, wann ich es verschenkt habe?«
»Natürlich nicht.«
»Erst heute.«
»So früh am Tage?«
»Je früher, desto besser! Und weißt Du, wie er heißt?«
»Da ich fremd bin, ist es mir unmöglich, es zu wissen.«
»Georgi. Wie gefällt Dir dieser Name?«
»Er ist nicht übel.«
»Nicht wahr? Wir Beide passen sehr gut zusammen. Schade, daß Du nur einen Tag hier bleiben willst. Du solltest länger verweilen. Dann könnte ich Dir vielleicht einmal meinen Georgi zeigen.«
»Er ist wohl ganz das gerade Gegentheil von dem Rittmeister?«
»Ganz und gar.«
»Sehr reich?«
»Blutarm.«
»Nun, das ist kein Gegentheil. Klug aber?«
»O, ungeheuer!«
»Hübsch und liebenswürdig?«
»Natürlich! Sonst würde ich ihn nicht lieben.«
»Hochgestellt und vornehm?«
»Beileibe nicht! Er ist ein – Verbannter.«
Sie sagte dieses letzte Wort mit gesenkter Stimme und nickte Gökala traurig zu.
»Ein Verbannter?« sagte diese. »Armes, armes Kind! Ist er denn wenigstens in einer guten Situation?«
»Gar nicht. Er war gemeiner Kosak und hat gestern Abend den Rittmeister geohrfeigt. Nun ist er auf der Flucht.«
»Mein Himmel! Kind, Du bist unglücklich!«
»Ach ja! Ich bekomme ihn nur noch ein einziges Mal zu sehen; dann geht er in seine Heimath.«
»Oder man greift ihn auf, und dann ist sein Schicksal ein sehr trauriges.«
»Aufgegriffen wird er nicht, denn er steht unter meinem Schutze,« sagte sie, indem sie sich stolz im Sattel emporrichtete.
»So bist Du ihm zur Flucht behilflich gewesen?«
»Ja, und ich werde ihn über die chinesische Grenze bringen.«
»Um Gotteswillen, sage das keinem Andern! So aufrichtig darf man mit keiner unbekannten Person sein. Wie nun, wenn ich Dir schaden wollte?«
»Du mir? Das kannst Du ja gar nicht!«
»Meinst Du? Du könntest Dich da doch sehr leicht getäuscht haben.«
»Gewiß nicht! In Deinen Augen und Deinen Zügen ist nicht eine Spur von Unwahrheit oder Hartherzigkeit zu lesen.«
»Gut, ich danke Dir! Aber wie nun, wenn ich die Frau eines Beamten wäre?«
»Um Gotteswillen! Das bist Du doch nicht etwa?«
»Glücklicher Weise nein. Hast Du schon Anderen davon erzählt?«
»Kein Wort.«
»So schweig auch fernerhin darüber. Du kannst sonst nicht nur Dich und Deine Familie, sondern Deinen ganzen Stamm in Schaden bringen. Weiß vielleicht der Rittmeister, daß Du diesen armen Georgi liebst?«
»Vielleicht denkt er es sich, denn gestern habe ich dem Rittmeister den Tanz abgeschlagen und dann Georgi selbst aufgefordert.«
»Karparla! Das hättest Du gethan?«
»Ja.«
»Wie kühn!«
»O, ich fürchte mich nicht!«
»Aber auch ebenso unvorsichtig. Ich nehme an, daß Du grad dadurch Deinen Geliebten zur Flucht getrieben hast.«
»Meinst Du?«
»Ich möchte es behaupten.«
Die Tungusin blickte vor sich auf den Sattelknopf nieder und sagte dann kleinlaut:
»Du hast wohl Recht. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ja, ich bin sehr, sehr unvorsichtig gewesen, und nun hat er es zu tragen.«
»Schau, nun kannst Du es an ihm gut machen. Was ist er denn ursprünglich?«
»Bevor er dem Rittmeister die Ohrfeige gab, warnte er ihn und sagte, er sei auch Officier und Edelmann.«
»Und woher ist er?«
»Nicht aus Rußland, sondern aus einem anderen Lande, viel weiter als Rußland.«
»Wie heißt dieses Land?«
»Ich weiß es nicht.«
»Er hat es Dir nicht sagen wollen?«
»Ich habe ihn gar nicht gefragt.«
»Wieder unvorsichtig!«
»Und Du hast wieder Recht. Aber ich komme ja noch einmal mit ihm zusammen, und da werde ich ihn fragen.«
»Dann kann es Dir auch nichts mehr nützen. Dein Schicksal interessirt mich sehr. Wir werden heut noch mehr mit einander sprechen. Eine unglückliche Liebe ist das Schlimmste und Schwerste, was dem Menschenherzen auferlegt werden kann.«
Sie zeigte während dieser Worte ein sehr ernsthaftes Gesicht. Karparla warf einen forschenden Blick auf sie und fragte:
»Hast Du das selbst auch erfahren?«
»Zur Genüge, mein liebes Kind.«
»Und bist die Frau eines Grafen! So bist Du wohl unglücklich verheirathet?«
»Nein. Ich bin nicht seine Frau. Ich reise nur unter seinem Schutze. Ich habe Niemand auf der weiten Welt, der sich in Liebe meiner annehmen darf. Und Diejenigen, mit denen zu verkehren ich gezwungen bin, sind meine ärgsten Feinde.«
»Jage sie doch fort!«
»Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Darüber darf ich nicht sprechen.«
»So bist Du ebenso unglücklich wie ich. Laß diesen Grafen allein weiter reisen und bleibe bei mir. Wenn Du das wolltest, so solltest Du es sehr gut haben, und wir könnten den ganzen Tag von meinem Georgi reden. Das wäre doch schön! Nicht?«
»Ja,« antwortete Gökala, indem sie ein Lächeln unterdrückte. »Hat denn der Kreishauptmann eine Frau?«
»Ja.«
»Was ist das für eine Dame?«
»Sie ist die Schlimmste von Allen, hochmüthig, giftig; ich mag nicht mit ihr sprechen.«
»So habe ich ja die Gastfreundschaft einer sehr interessanten Familie zu genießen. Ist das Platowa?«
»Ja, links die Stadt und rechts unser Lager. Es ist eben Markt hier.«
Sie waren in der Nähe der Stadt angekommen, und der Graf hatte seinen Wagen langsamer fahren lassen, damit die drei anderen ihn einholen möchten.
»Soll ich Euch führen?« fragte Karparla ihre neue Freundin.
»Ich danke Dir! Der Graf wird die Wohnung des Kreishauptmanns schon selbst finden. Uebrigens gehst Du doch nicht gern hin.«
»Ja freilich. Wie aber kommen wir da zusammen?«
»Ich komme zu Euch oder sende Dir, wenn ich verhindert sein sollte, einen Boten.«
»Das ist mir lieb, sehr lieb. So laß uns nun scheiden. Ich freue mich außerordentlich. Dich kennen gelernt zu haben, meine liebe, prächtige Gökala!«
»Und ich verschweige Dir nicht, daß ich Dich in den wenigen Minuten bereits recht lieb gewonnen habe, meine gute Karparla. Lebe wohl, wir sehen uns also wieder!«
Die Tungusin ritt nach rechts hinüber und wendete sich aber einige Male um, um grüßend mit der Hand zu winken. Gökala dankte auf dieselbe Weise. Der Graf, welcher das bemerkte, machte ein sehr finsteres Gesicht dazu.
Er fragte keinen Menschen nach der Wohnung des Ortsoberhauptes. Er war bereits früher in Platowa gewesen, und wenn damals auch das Regierungsgebäude noch nicht gestanden hatte, so verstand es sich doch ganz von selbst, daß der Kreishauptmann in dem ansehnlichsten Hause des Ortes wohnen müsse. –
Als er vor dem Eingange halten ließ, kam ein Untergebener herbei.
»Der Kreishauptmann wohnt hier?« fragte er in hochmüthigem Tone.
»Wie Du befiehlst, Väterchen.«
»Ist er zu sprechen?«
»Er wird wohl noch schlafen.«
»Wecke ihn und führe uns einstweilen nach der Expedition!«
»Das darf ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Es ist mir verboten. Du mußt warten, bis er aufgestanden ist. Du wirst doch wohl im Gasthause wohnen. Fahre hin. Ich werde Dich benachrichtigen, wenn er ausgeschlafen hat.«
»So! Hat er Familie?«
»Ja. Eine Frau, unser Mütterchen, und einen Sohn, unseren Rittmeister.«
»So ist der Rittmeister wenigstens zu sprechen, wie ich vermuthe?«
»Nein. Auch dieser schläft.«
»Donnerwetter! So schläft ja die ganze Familie! Die Frau wohl auch.«
»Nein. Das Mütterchen ist wach. Ich habe ihr vorhin den Thee vorsetzen müssen.«
»So lauf zu ihr und melde uns!«
»Das darf ich nicht.«
»So! Nun werde auch ich Dir bald mittheilen, was Du darfst und was nicht. Wenn Du nicht augenblicklich gehorchest, lasse ich Dich peitschen! Sage diesem guten Mütterchen, der Graf Alexei Polikeff wünsche, sich ihr vorzustellen, und habe keine Zeit, lange auf Bescheid zu warten!«
Jetzt rannte der Diener davon. Der Graf reichte Zykyma seinen Arm und führte sie in das Gebäude. Ein kurzer Blick über den Flur belehrte den Grafen, wo die Wohngemächer zu suchen seien. Sein Scharfsinn führte ihn ganz richtig, und eben, als er an der betreffenden Thür angekommen war, trat der Diener heraus und wendete sich sogleich wieder rückwärts, um ihn anzumelden.
*