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»Sofort!«
»Das habe ich nicht nöthig. Nach abgeschlossenem Geschäfte wird bezahlt. Wer da fragt, ob ich zahlungsfähig bin, der beleidigt mich.«
»Nun, so muß ich Dich freilich sehr beleidigen, denn ich traue Dir nicht einmal tausend Kopeken, viel weniger tausend Rubel zu.«
»Da irrst Du Dich freilich sehr in uns.«
»O nein. Wenn man den Räuberhauptmann spielt, um zwei armen Kosaken ihr Geld abzunehmen, so muß es mit der Kasse schlecht stehen. Nicht?«
»Das ist nicht des Geldes wegen geschehen, sondern um den Leuten die Macht zu zeigen, vor der sie sich zu beugen haben.«
»Nun, es hat sich ja gezeigt, wer die Macht hatte und wer sich beugen mußte, um die Knute zu empfangen!«
Der Rittmeister rasselte mit dem Säbel, wagte aber nicht, ein zorniges Wort zu sagen. Darum bemerkte sein Vater:
»Was Du da gethan hast, könnte Dich um den Kopf bringen, wenn wir wollen!«
»So bitte ich Euch, doch einmal zu wollen! Mein Kopf ist ein ganz verfluchter Kerl. Er allein ist es ja, der das Alles ausgeheckt hat. Ich glaube, es würde Demjenigen, der ihn mir nehmen wollte, nicht gut ergehen. Bei mir gilt der Wahlspruch: Kopf gegen Kopf. Darum trage ich hier mein Gewehr zu jeder Zeit mit mir herum.«
»Schweigen wir darüber und sprechen wir lieber von unserm Handel! Wieviel willst Du eigentlich haben?«
»Mehr, viel mehr, als Du bietest, überhaupt wohl viel mehr, als Du bezahlen kannst.«
»Bist Du denn gar so unersättlich?«
»Das nicht. Nur pflege ich mit ganz anderen Ziffern zu rechnen als Ihr, denn ich bin sehr reich. Und sodann bin ich ja gezwungen, das Geld, welches ich von Euch erhalte, in drei Theile zu theilen.«
»Warum denn?«
»Weil meine beiden Gefährten auch Alles wissen. Sie wollen also ebenso bezahlt sein wie ich.«
»Donnerwetter! Wer hat es ihnen denn gesagt?«
»Ich natürlich.«
»Bist Du so ein Schwätzer?«
»O nein. Ich bin im Gegentheile sehr verschwiegen. Aber wenn mir diese Beiden helfen sollen, so muß ich ihnen natürlich sagen, was sie wissen müssen.«
»Werden sie denn schweigen, wenn man sie bezahlt?«
»Ja.«
»Nun, so sage, wieviel Du verlangst!«
»Für Jeden fünftausend Rubel, in Summa also fünfzehntausend Rubel.«
»Heiliges Wetter!« schrie der Rittmeister. »Du bist verrückt!«
Er fuhr vom Sopha empor, fiel aber stöhnend wieder zurück. Sein Vater zeigte sich keineswegs so erschrocken über diese hohe Forderung. Er sagte in aller Ruhe:
»Billig seid Ihr nicht.«
»Habens auch nicht nöthig.«
»So ein Heidengeld habe ich freilich nicht daliegen.«
»Habs mir gedacht. Versuche nur, ob Du es beschaffen kannst.«
»Hoffentlich geht Ihr mit Eurer Forderung noch Etwas zurück?«
»Keine Kopeke!«
»Nun, was mich betrifft, so bin ich gar nicht abgeneigt. Euch diese Summe zu bezahlen; aber Du wirst wohl zugeben, daß ich es nicht allein auf mich nehmen kann.«
»Meinst Du den Grafen?«
»Ja. Mit ihm muß ich natürlich erst sprechen.«
»Das sehe ich freilich ein.«
»Du wirst also seine Rückkehr erwarten müssen.«
»Ich bin bereit dazu.«
»Schön! So sind wir also so weit einig?«
»Ja. Und nun will ich gehen, um Karparla zu holen.«
»Warte nur! Sie wird wohl kommen.«
»Du willst nicht haben, daß ich sie bei Gökala hole? Fürchtest Du Dich davor, daß ich mit dieser Letzteren spreche?«
»Wenigstens nöthig hast Du das nicht.«
»Nein. Aber wenn Du mich nicht zu ihr lässest, so ist das ein Beweis, daß Du mir trotz unserer jetzigen Abmachung feindlich gesinnt bist. Meinst Du, daß mich das gefügiger gegen Euch macht?«
»Nein. Gehe meinetwegen zu ihr.«
»Schön! So ist es recht!«
Er ging.
Draußen sah er, daß die Nebenthür offen stand. Es war die Thür der Schlafstube. Schnell huschte er hinein und zog die Thür hinter sich zu. In der Küche klirrte das Geschirr. Die Kreishauptmännin war also beschäftigt. Von ihr hatte er wohl keine Störung zu erwarten.
Eine Seitenthür führte von hier aus nach der Wohnstube, in welcher sich Vater und Sohn befanden. Er hatte dieselbe schon vorhin von drüben aus bemerkt. Er schlich sich zu derselben hin und horchte. Er hörte die Stimme des Rittmeisters:
»Und Du erschrakst nicht einmal über diese Unverschämtheit! Fünfzehntausend Rubel!«
»Erschrecken? Fällt mir gar nicht ein!«
»So! Sind Dir fünfzehntausend Rubel eine solche Kleinigkeit?«
»Nein; aber dennoch war mir gerade das willkommen, daß sie so viel verlangten.«
»Das begreife ich nicht.«
»Weil Du nicht schlau genug bist.«
»Hätten sie nur einige Hundert verlangt, so hätten sie natürlich sofortige Zahlung beansprucht. Bei dieser Höhe der Summe aber mußte ich sie auf den Grafen verweisen. Dadurch haben wir Zeit gewonnen.«
»Wird uns nicht viel nützen.«
»O, sehr viel.«
»Der Graf zahlt das nicht. Und wenn er sich doch dazu bereit finden lassen sollte, so wird er uns dann das nicht geben, was er uns versprochen hat.«
»Er wird uns bezahlen, und sie bekommen keinen Pfennig.«
»Wieso?«
»Dummkopf! Wir brauchen unser Geld selbst so nothwendig, daß es mir gar nicht einfallen kann, auch nur eine einzige Kopeke für Etwas auszugeben, was ich ganz umsonst erlangen kann.«
»Umsonst erlangst Du ihr Schweigen aber keineswegs.«
»Ganz umsonst.«
»So? Wie willst Du das anfangen?«
»Sehr einfach. Meinst Du überhaupt, daß diese drei Menschen wirklich einen ehrlichen Handel beabsichtigen? Ich bin ganz vom Gegentheile überzeugt.«
»Ich freilich auch.«
»Sie werden das Geld einstecken und uns nachher dennoch verrathen.«
»Fast möchte ich darauf schwören.«
»Du würdest keinen Meineid thun. Denke an Das, was sie bereits gegen uns unternommen haben! Denke nur an die Knutenhiebe, die Du erhalten hast.«
»Alle Teufel! Ich werde mich rächen.«
»Natürlich. Wir nehmen Rache und richten diese der Art ein, daß wir uns dabei ihres ewigen Schweigens versichern.«
»Du meinst –?«
»Ja, das meine ich.«
»Sie müssen sterben?«
»Ja. Es bleibt uns nichts Anderes übrig.«
»Das soll mir ein Gaudium sein. Aber wie fangen wir das an?«
»Ich habe es bereits gesagt, daß es sehr einfach ist. Wir haben doch die Flasche mit dem Schnaps von Fliegenpilzen.«
»Hm! Der wirkt in drei Minuten ganz sicher tödtlich.«
»Den müssen sie trinken.«
»Aber wann und wo? Wir müssen es natürlich so einrichten, daß wir nicht in Verdacht kommen.«
»Versteht sich ganz von selbst. Der Dicke wird mit den beiden Andern ausreiten. Er hat noch nicht Abschied von uns genommen und kommt also, bevor er sich mit Karparla entfernt, jedenfalls noch einmal herein. Wir sind da sehr freundlich mit ihm und suchen zu erfahren, welche Richtung sie einschlagen werden. Dann begegnen wir ihnen draußen in der Steppe.«
»Ich auch mit? Ich soll reiten? Bei meinem Zustande!«
»Es geht nicht anders. Du darfst Dich nicht ausschließen. Schmiere Dich mit Schnaps ein und lege ein Kissen auf den Sattel. Da wirst Du es wohl aushalten können».«
»Nun, versuchen will ich es wenigstens. Aber Du stellst Dir die Sache so leicht vor.«
»O nein, gar nicht.«
»Doch! Wenn wir ihnen begegnen, können wir ihnen doch nicht so mir nichts Dir nichts, so ohne weiteres die Giftflasche anbieten.«
»Wer hat denn das gesagt! Wir reiten ein Stück mit ihnen. Da giebt es schon Gelegenheit zu einem Trunke.«
»Sie werden sich aber hüten, allein zu trinken. Wir müssen auch einen Schluck nehmen.«
»Natürlich.«
»So meinst Du, daß auch wir Gift saufen sollen!«
»Kerl, was fällt Dir ein. Wir nehmen noch eine andere, ganz gleiche Flasche mit, welche guten Wutki enthält. Von dieser trinken wir Beide. Ich stecke sie wieder ein. Das siehst Du und machst mich darauf aufmerksam, daß ich ganz unhöflich gegen die Drei gewesen sei, da ich ihnen nicht einen Schluck angeboten habe. Daraufhin nehme ich die Giftflasche heraus und gebe sie ihnen.«
»Sapperment, so wird es gehen!«
»Und zwar sehr leicht.«
»Und was dann?«
»Sobald sie getrunken haben, müssen wir uns natürlich schleunigst verabschieden. Denn wenn wir bei ihnen bleiben wollen, bis das Gift beginnt, in ihren Eingeweiden zu wühlen, so bin ich gewiß, daß sie uns über den Haufen schießen werden.«
»Natürlich! Das würden sie sicher thun. Aber wenn es ihnen nun gelänge, noch vor ihrem Tode im Galoppe die Stadt zu erreichen und uns anzuzeigen!«
»Bei wem denn? Bei mir selbst?«
»Oder beim Kreissekretär. Er ist zwar verreist, wollte aber heute wieder zurück sein.«
»Er ist mein Untergebener und würde über eine solche Anzeige doch nur lachen.«
»Das fragt sich sehr. Ich traue ihm nicht. Der Kerl ist viel zu ehrlich. Er will avanciren. Ihm käme die Anzeige gerade recht.«
»Ich habe gar keine Sorge. Wir müssen uns mit den Fremden eben so weit von der Stadt entfernen, daß es ihnen unmöglich ist, sie in den drei Minuten, nach denen sie der sichere Tod erfaßt, zu erreichen.«
»Gelingt uns das, so sind wir allerdings vollständig des Gelingens sicher.«
Sam hatte genug gehört. Uebrigens war das Risico, welches er auf sich genommen hatte, als Lauscher ertappt zu werden, ein ziemlich großes gewesen. Er brauchte weiter nichts zu erfahren und konnte nun seinen Posten verlassen.
Er ging aus dem Schlafzimmer – – aber doch nur bis zur Thür, denn ihm fiel ein, was er für heute vor hatte. Er blickte sich daher noch einmal genauer um. Dort links gab es eine Thür, gleich neben dem Bette, welches also voraussichtlich dasjenige des Kreishauptmannes war. Ueber demselben befand sich ein kleines Schränkchen. Es hing an einem Nagel und konnte abgenommen werden.
Sam huschte schnell hin. Das Schränkchen war nicht verschlossen. Er machte die Thür auf. Es enthielt verschiedene kleine, unwichtige Gegenstände, einige Fläschchen und dergleichen; aber dabei hing an einem Häkchen ein Schlüssel. War dies der gesuchte?
Sam nahm ihn und steckte ihn in das Schloß der Thür. Der Schlüssel paßte ganz genau, und Sam öffnete. Er sah einen nicht sehr kleinen, zweifenstrigen Raum vor sich. Die Fenster waren mit Läden verschlossen, doch drang durch die geöffnete Thür genug Licht hinein, um sehen zu können, was der Raum enthielt.
Eine nicht unbedeutende Anzahl kleiner Fässer enthielten jedenfalls Pulver. Ungefähr ein Dutzend leicht gezimmerter Kisten schienen Patronen oder Patronenhülsen zu enthalten. Zündhütchenschachteln und Kugelformen waren vorhanden, und neue Gewehre, an der Zahl vielleicht zweihundert, füllten fast die Hälfte des ganzes Raumes.
Das war es, was Sam hatte sehen wollen. Er schloß die Thür wieder zu und hing den Schlüssel in das Schränkchen zurück. Selbst wenn dieses Letztere heute Abend von dem Kreishauptmanne verschlossen werden sollte, konnte es sehr leicht durch das Aufsprengen seiner hinteren Wand, welche aus dünnem Holze bestand, geöffnet werden. Es war also nicht schwer, des Schlüssels habhaft zu werden.
Jetzt nun endlich konnte Sam die Schlafstube verlassen. Sein Lauschen und die Untersuchung des Schränkchens und der Vorrathskammer hatten ihm mehr eingebracht, als er vorher hatte denken können. Er wendete sich nun nach der Thür, aus welcher er heute hatte Gökala treten sehen. Er mußte natürlich annehmen, daß sich da ihre Wohnung befinde.
Sie war von Dem, was sie von dem Kreishauptmanne erfahren hatte, nämlich daß sie wie eine Gefangene behandelt werden solle, sehr niedergeschlagen gewesen, wenn sie es sich auch nicht hatte merken lassen. Von den Worten Sams, welche derselbe gegen den Willen des Hausherrn, und zwar in deutscher Sprache, an sie gerichtet hatte, war sie einigermaßen getröstet und wieder aufgerichtet worden.
Sam war ihr natürlich ein Räthsel. Ein Deutscher hier in Sibirien! Der ihren Namen kannte und auch noch Weiteres von ihr zu wissen schien, das war ihr etwas ganz Unbegreifliches.
Er hatte ihr die Vermuthung gegeben, daß sie noch mehr von ihm hören werde, und so war es kein Wunder, daß sie eine große Wißbegierde hegte, zu erfahren, wer dieser Mann sei, und was er von ihr wolle.
Sie hatte die Zeit bisher ganz allein in ihrem Zimmer verbracht. Die Kreishauptmännin war zwar auf einige Minuten bei ihr gewesen, um ihr Thee und Gebäck zu bringen, von ihr aber so kurz und zurückhaltend behandelt worden, daß sie keine Lust gespürt hatte, länger als unumgänglich nöthig zu verweilen.
Da klopfte es leise an ihre Thür.
»Herein!« sagte sie in ziemlich mürrischem Tone, da sie annehmen mußte, daß der Klopfende eine der zur Familie des Kreishauptmannes gehörigen Personen sei.
Der Thürdrücker wurde bewegt, aber die Thür öffnete sich nicht.
»Ich kann ja nicht hinein,« sagte draußen eine weibliche Stimme.
Das konnte nur eine Person sein, welche nicht im Hause wohnte.
»Wer ist denn draußen?« fragte Gökala.
»Ich bin es, Karparla.«
Also die Prinzessin der Tungusen, welche Gokala nicht hatte besuchen dürfen! Wie kam das? Gökala eilte an die Thür und sagte:
»Ich bin eingeschlossen. Schließ auf; dann kannst Du herein.«
Jetzt schloß Karparla auf. Sie zog dann von außen den Schlüssel ab und kam herein. Die Beiden begrüßten sich auf das Herzlichste. Sie hatten sich nur erst einmal und zwar auf so kurze Zeit gesehen; aber sie fühlten bereits so freundschaftliche Gefühle für einander, als ob ihre Bekanntschaft bereits eine sehr langjährige sei.
»Willkommen, herzlich willkommen!« sagte Gökala, indem sie das schöne Mädchen herzlich umarmte. »Das hätte ich nicht erwartet.«
»Karparla küßte sie schwesterlich auf den Mund und antwortete:
»Weil man Dich gefangen hält, nicht wahr, meine liebe Gökala?«
»Ja. Hast Du das gewußt?«
»Gewiß.«
»Auch daß Niemand mich besuchen darf?«
»Auch das hat man mir gesagt.«
»Und dennoch bist Du zu mir gekommen!«
»Ja. Sam hat nur versprochen, daß ich dennoch mit Dir reden darf.«
»Wer ist das, dieser Sam?«
»Ein Fremder, von welchem wir wohl noch sprechen werden. Jetzt vor allen Dingen nimm diesen Schlüssel. Ich habe ihn abgezogen.«
»Warum?«
»Damit man Dich nicht wieder einschließen kann. Wenn Du den Schlüssel bei Dir hast, bist doch Du die Herrin der Wohnung. Du kannst Dich einschließen und brauchst Niemanden, den Du nicht sehen willst, zu Dir zu lassen. Auch kannst Du öffnen und fortgehen, wenn und wann es Dir beliebt.«
»Fortgehen werde ich trotzdem nicht können, denn man wird mich bewachen und es zu verhindern wissen.«
»So wende Dich nur an diesen Sam. Er wird es nicht dulden, daß man Dich noch länger Deiner Freiheit beraubt.«
»Das klingt ja ganz so, als ob er ein ganz mächtiger Mann sei!«
»Das ist er auch.«
»So bin ich sehr begierig, Näheres über ihn zu erfahren. Komm, setze Dich. Wir werden uns wohl viel zu erzählen haben.«
»Ja, ich möchte gar viel von Dir wissen. Aber schließe vorher die Thür zu, damit Niemand herein kann. Auch wollen mir uns hüten, laut zu sprechen. Es ist leicht möglich, daß man herbei schleicht, um uns zu belauschen.«
»Weiß man denn, daß Du bei mir bist?«
»Natürlich.«
»Und ich wurde bedeutet, daß Niemand zu mir kommen dürfe.«
»Auch ich nicht?«
»Sogar Du nicht. Darum wundere ich mich sehr, Dich nun dennoch bei mir zu sehen.«
Sie verschloß, die Thür von innen, setzte sich dann zu Karparla und nahm deren Hand in die ihrige. Die junge Tungusin blickte liebevoll und bewundernd zu ihrer Freundin auf, welche eine bedeutend höhere Gestalt besaß.
»Wie schön Du bist!« flüsterte sie zärtlich.
»Das hast Du mir bereits einmal gesagt,« lächelte Gökala.
»Ja, aber nun, da Du nicht mehr so verhüllt bist wie im Wagen, sehe ich es noch viel deutlicher als vorher. Du bist nicht nur sehr schlau, sondern auch – auch – auch – –«
Sie sann über den Ausdruck nach, den sie in Anwendung bringen wollte.
»Nun?« fragte Gökala. »Was bin ich denn noch?«
»Ich finde das richtige Wort gar nicht. Du hast auch noch ein so – so – so vornehmes Aussehen.«
»Wirklich?«
»Ja. So habe ich mir immer eine Königin vorgestellt, oder die Kaiserin, die Frau des gewaltigen Zaaren von Rußland.«
»Das sagst Du doch nur aus Freundschaft und Zuneigung zu mir!« meinte Gökala, indem sie Karparla mit freundlichem Blicke musterte, so wie eine erfahrene, weltgewandte Dame ein gutes, schönes, junges Mädchen anblickt, welches in überquellender Bewunderung eine nicht salonfähige aber schmeichelhafte Wahrheit ausspricht.
»O nein!« widersprach Karparla schnell. »Es ist nicht die Freundschaft, die mir diese Worte in den Mund legt. Du hast so ein Etwas an Dir, in Folge dessen man doppelt glücklich ist, in Deiner Nähe sein zu dürfen.«
»Nun,« antwortete Gökala, sie an sich drückend, »Du bist nicht weniger schön. Und zudem strahlt aus Deinen Augen eine Herzensgüte, welche einen Jeden, der Dir begegnet, sofort für Dich gewinnen muß.«
»O, so sehr gut bin ich doch nicht!« lachte die Tungusin. »Lerne mich nur erst näher kennen. Da wirst Du dann wohl ganz anders über mich urtheilen.«
»Das befürchte ich nicht.«
»O doch! Ich bin ein gar tolles und muthwilliges Geschöpfchen.«
»Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht, nun, das ist nichts Schlimmes. In Deinen Jahren ist es gern erlaubt, ein Wenig muthwillig zu sein.«
»So sehr muthwillig wie ich? Das glaube ich nicht. Ich bin zuweilen eine gar grausame Tyrannin. Wenn die Eltern nicht so sehr gut wären, so könnte es mir zuweilen sehr bös ergehen.«
»Du entwirfst ja ein ganz erschreckliches Bild von Dir.«
»Es ist aber sehr zutreffend. Weißt Du, wenn Du meine Eltern erblickst, so wirst Du mich sofort beneiden.«
»Das nicht. Ich gönne es Dir, daß Du so gute Eltern besitzest.«
»Ich meine nämlich. Du wirst sehen, daß mein Vater sehr, sehr dick ist, und meine gute Mutter ist noch viel, viel dicker. Und weißt Du, Eltern, welche so dick sind, das sind stets sehr nachsichtige und liebevolle Eltern.«
»Du scheinst in dieser Beziehung viel Erfahrung gesammelt zu haben.«
»Ich habe es an Andern beobachtet.«
»Leider befürchte ich, Deinen Vater und Deine Mutter gar nicht kennen zu lernen.«
»Warum?«
»Weil es mir ja verboten ist, dieses Haus zu verlassen. Da werde ich also nicht zu ihnen gehen können. Oder meinst Du, daß sie zu mir kommen dürfen, so wie Du jetzt?«
»Ja, das dürfen sie jedenfalls, und sie würden sich sehr freuen, Dich besuchen zu dürfen, aber das ist ja gar nicht nöthig, da Du zu ihnen gehen darfst.«
»Ich darf? Wer hat das gesagt?«
»Der Kreishauptmann.«
»Und mir verbot er doch, das Haus zu verlassen!«
»Er ist ja gezwungen worden, diesen Entschluß zu ändern.«
»Von wem?«
»Eben von diesem Sam, von welchem wir bereits gesprochen haben.«
»Wie? Dieser Mann hat es so weit gebracht, nicht nur daß Du zu mir kommen darfst, sondern auch, daß ich hinaus zu Euch gehen kann?«
»Ja. Ich kam hierher, um den Kreishauptmann mit den Seinen für heute Abend zu uns einzuladen. Ich bat sie, auch Dich mitzubringen, aber diese Bitte wurde mir abgeschlagen. Da kam Sam dazu und brachte es schnell so weit, daß sie mir erfüllt werden mußte.«
»Das ist herrlich, herrlich!«
»So kommst Du gern zu uns?«
»Wie gern, wie sehr gern. Erstens ists ja schon Deinetwegen, daß ich diesen Abend gern bei Euch bin, und zweitens bin ich so lange Zeit meiner Freiheit verlustig gewesen, daß ich mich ganz glücklich fühle, einmal Herr meiner selbst zu sein. Dieser Sam muß ein außerordentlicher Mann sein.«
»Ja, er sieht aber gar nicht so aus.«
»Allerdings nicht.«
»Hast Du ihn denn schon gesehen?«
»Ja, heute, bevor der Kreishauptmann mich hier einschloß. Da kam er her und sprach einige Worte zu mir. Er ist eine kleine, dicke Person.«
»Und trägt sich so eigenartig gekleidet. Waren seine beiden Genossen dabei?«
»Ob sie seine Genossen waren, das weiß ich nicht, aber es waren zwei lange, hagere Personen bei ihm, welche beinahe ein noch fremdartigeres Aussehen hatten als er.«
»Das sind sie. Sie heißen Jim und Tim und haben mit geholfen, meinen – meinen –«
Sie hielt erröthend inne.
»Nun, was haben sie mitgeholfen?«
»Meinen Kosaken zu befreien.«
»Ah, Deinen Jurgi, von welchem Du mir bereits erzählt hast?«
»Ja. Die Drei haben ihn heute in der Nacht aus seinem Gefängnisse geholt.«
»Da möchte ich doch gern wissen, wie das zugegangen ist.«
»Soll ich es Dir erzählen?«
»Ich bitte Dich sehr darum.«
Jetzt erzählte Karparla, was seit gestern, seit der Ankunft der drei Amerikaner geschehen war. Natürlich erwähnte sie dabei, daß sie eigentlich die Verlobte des Rittmeisters sei, daß er sie damals beinahe habe ertrinken lassen und daß der Kosak Nummer Zehn sie vom Tode errettet habe. Sie malte das in den ihr eigenthümlichen, hellen Farben, so daß ihr Abscheu gegen den Rittmeister und ihre Zuneigung zu dem verbannten Kosaken aus einem jeden ihrer Worte leuchtete.
»So hast Du diesen Unglücklichen wohl recht sehr lieb?« fragte Gökala, als sie geendet hatte.
»O, so sehr!«
»Aber, Du armes Kind, diese Liebe ist keine glückliche zu nennen.«
»Warum?«
»Du wirst ihn niemals besitzen können.«
»Leider. Aber daran mag ich noch gar nicht denken. Unglücklich zu sein, dazu habe ich später genugsam Zeit. Jetzt muß ich nur dafür leben, ihn zu retten.«
»Und so ist er nach dem Mückenflusse?«
»Ja.«
»Da wird ihn vielleicht der Graf treffen.«
»Dein Graf? Ist der hin?«
»Ja. Er sagte es mir, bevor er abreiste.«
»Hat denn der Flüchtige diesen Grafen zu fürchten?«
»Vielleicht. Zwar kennen sie einander nicht, sie gehen einander gar nichts an, aber der Graf ist des Kreishauptmannes und des Rittmeisters Freund. Wenn er den Kosaken trifft und ihn als den Flüchtling erkennt, so wird er ihn sofort festnehmen.«
»O, mein Geliebter wird sich vertheidigen.«
»Bedenke, daß der Graf zehn Kosaken mitgenommen hat!«
»Ja, das ist wahr. Mein Gott, was ist da zu thun?«
»Nichts, gar nichts. Du mußt einstweilen die Dinge gehen lassen, wie sie eben gehen wollen.«
»Nein, das werde ich nicht thun. Ich werde eine Schaar meiner Tungusen nachsenden.«
»Vielleicht wäre gerade dies ein sehr großer Fehler, den Du begehen würdest.«
»In wiefern denn?«
»Weil Du durch diese Maßregel die Kosaken erst recht auf ihn aufmerksam machen würdest.«
»Das wäre nicht schlimm. Meine Leute würden mit dem Grafen und seinen Kosaken kämpfen.«
»Und sich dadurch die Rache der russischen Behörde zuziehen!«
»Das ist wahr. Aber was soll ich thun?«
»Was ich Dir gesagt habe – abwarten.«
»Das kann ich nicht. Ich würde vor Angst um Jurgi vergehen. Oder – ah, da fällt mir Etwas ein! Ich werde mit Sam sprechen.«
»Meinst Du denn, daß sein Einfluß sogar bis zum Mückenflusse reicht?«
»Sein Auftreten ist ganz darnach.«
»Hm. So versuche es. Erzähle ihm Alles und höre dann, was er sagen wird.«
»So muß ich gleich zu ihm. Es ist keine Zeit zu verlieren.«
Sie wollte aufstehen, wurde aber von Gökala zurückgehalten.
»Nicht so schnell, liebe Karparla,« bat diese. »Dein Sam befindet sich jetzt wohl noch beim Kreishauptmann?«
»Ja.«
»Nun, dort kannst Du ja gar nicht mit ihm über diese Angelegenheit sprechen. Also ist es besser, wenn – horch!«
»Es hat geklopft.«
Gökala begab sich hin nach der Thür.
»Wer ist da?« erkundigte sie sich.
»Ist Karparla noch da?« fragte die Stimme des Dicken von außen.
»Ja.«
»Dann erlaube mir, einzutreten!«
»Wer bist Du?«
»Sam ists, Sam!« antwortete Karparla anstatt seiner. »Ich kenne seine Stimme. Laß ihn herein!«
Gökala öffnete die Thür und der Dicke trat herein. Er sah auf den ersten Blick, daß der Schlüssel innen steckte und verschloß die Thür, bevor er noch grüßte. Sodann zog er seinen alten Hut vom Kopfe, lehnte das Gewehr an die Wand und sagte, natürlich in russischer Sprache, da sein Deutsch von Karparla nicht verstanden worden wäre:
»Gott grüße Dich, Gökala! Nimmst Du es mir übel, daß ich hier eingetreten bin?«
»Nein, gar nicht. Du bist mir im Gegentheile sehr willkommen.«
»Ja, Du kommst eben gerade zur richtigen Zeit,« fügte Karparla hinzu. »Ich wollte zu Dir.«
»Du? Du wolltest zu mir, um nach Hause zu gehen?«
»Nein. Ich wollte Dir etwas sagen.«
»Ah!« lächelte er. »So laß hören!«
»Setze Dich nur erst!«
Sie ergriff ihn beim Arme und führte ihn zu einem Stuhle. Erst als er sich niedergelassen hatte, erklärte sie ihm:
»Jurgi befindet sich nämlich in der allergrößten Gefahr.«
»Ah! Wieso denn?«
»Der Graf ist ihm nach.«
»Das glaube ich nicht. Sie wissen vielleicht gar nichts von einander. Der Graf ist aus einem ganz anderen Grunde nach dem Mückenflusse.«
»Aber wenn er Jurgi dort trifft, so ist dieser verloren.«
»Hm! Das glaube ich nicht.«
»Wirst es schon glauben lernen. Ich will Tungusen nachsenden.«
Er schüttelte, überlegen lächelnd, den Kopf.
»Ist nicht nothwendig,« meinte er.
»Warum nicht?«
»Weil ich morgen selbst hin reite.«
»Wirklich? Gewiß?« fragte sie erfreut. »Was willst Du denn dort?«
»Ich will Dir Deinen Jurgi wiederholen.«
»Um Gotteswillen! Der darf sich hier ja gar nicht sehen lassen.«
»Oho! Ich möchte den Mann sehen, vor dem er sich zu scheuen hätte!«
»Vor Allen! Er ist ja Deserteur!«
»Das ist ja gar nicht so schlimm, wie Du denkst!«
»So kennst Du die hiesigen Verhältnisse nicht. Wenn man ihn ergreift, so wird er zu Tode geknutet.«
»Pah! Wer soll ihn knuten lassen?«
»Der Rittmeister.«
»Nun, Du weißt ja, daß ich diesem Menschen heute selbst die Knute habe geben lassen. Ich möchte ihm nicht rathen, seine Hand an den Kosaken zu legen, obgleich auch der Graf tausend Rubel auf die Wiederhabhaftwerdung desselben gesetzt hat.«
»Der Graf! Und zu uns sagtest Du vorhin, daß dieser ihn gar nicht kennt!«
»Er hat ihn allerdings noch nicht gesehen, aber es giebt Verhältnisse, die es ihm als wünschenswerth erscheinen lassen, daß der Kosak wieder ergriffen wird. Doch brauchst Du keine Sorge zu haben. Selbst wenn man den Flüchtigen erwischt, kann man ihm doch nichts thun. Er steht unter einem sehr mächtigen Schutze.«
»Unter dem Deinigen?«
Sam machte ein eigenthümliches Gesicht, nickte aber und antwortete:
»Ja. Meinst Du vielleicht, daß mein Schutz nicht ausreichend sei?«
»Nach Allem, was ich von Dir gesehen und erfahren habe, genügt Dein Schutz vollständig. Aber Du wirst nicht zugegen sein, wenn Jurgi ergriffen wird.«
»Das ist auch nicht nöthig. Hoffentlich aber werde ich dabei sein, wenn dieser Fall in Wirklichkeit eintreten sollte. Komme es, wie es wolle, so viel ist gewiß, daß sie ihm nichts thun werden.«
»Das sagest Du wohl nur, um mich zu trösten?«
»Nein. Einen Officier knutet man nicht zu Tode!«
»Er ist keiner mehr!«
»Er war einer, und ein Edelmann dazu.«
»Ein Edelmann? Weißt Du das genau?«
»Sehr genau. Ich kenne sogar seine ganze Familie. Er nannte sich Orzeltschasta, war aber eigentlich ein Deutscher und hieß Georg von Adlerhorst.«
Er legte einen besonderen Nachdruck auf diesen Namen, wobei er seinen Grund hatte. Er wußte, daß Steinbach Gökala in Constantinopel getroffen hatte, aber es war ihm unbekannt, ob zwischen diesen Beiden von Adlerhorst gesprochen worden war oder nicht. War es geschehen, so mußte jetzt Gökala von diesem Namen überrascht werden. Aber als er sie jetzt anblickte, zeigte sich nur ein ganz gewöhnliches Erstaunen. Sie fragte:
»Wie? Ein Deutscher ist dieser unglückliche Kosak?«
»Ja, ein deutscher Edelmann.«
»Das ist doch kaum denkbar? Wie kann ein Deutscher, der sogar von Adel ist, als Verbannter nach Sibirien geschafft werden?«
»Er hat in russischen Diensten gestanden.«
»Ach so! Dann ist es freilich möglich. Und Sie kennen seine Familie?«
»Alle Glieder derselben. Es ist ein ganz eigenartiges Unglück, welches auf dieser Familie ruht. Die Mutter war mit einem Bruder und einer Schwester in Amerika gefangen und die andere Schwester ward als Sclavin nach Constantinopel an Ibrahim Pascha verkauft.«
»Ibrahim Pascha! Ah! Kennst Du diesen?«
»Nein.«
»Aber Du weißt von ihm?«
»Ja. Ich hatte einen Bekannten, welcher ihn gekannt hat und sie aus seinen Händen rettete.«
Jetzt wurde ihr Gesicht bleich.
»Wie hieß dieser Bekannte?« fragte sie.
»Oskar Steinbach.«
Sie griff sich mit beiden Händen nach dem Herzen, als ob sie dort einen Stich, einen Schmerz empfunden hätte..
»Steinbach! Oskar Steinbach!« sagte sie. »Ob er es ist?«
»Wer?« fragte Sam, sie scharf beobachtend.
Sie versuchte, eine gleichgiltige Miene zu zeigen, doch zitterte ihre Stimme, als sie jetzt antwortete:
»Ich kannte einen Mann dieses Namens.«
»Vielleicht ists derselbe. War er ein Deutscher?«
»Ja. Kannst Du mir seine Gestalt beschreiben?«
»Sehr gut.«
Er that es und fügte die Bemerkung hinzu:
»Er war damals in Constantinopel, um, glaube ich, mit einer Tochter des Sultans zu sprechen.«
»Das stimmt. Das stimmt! Er ists, er ist es!«
Sie stand auf und that einige Schritte vorwärts. Er machte ein überraschtes Gesicht und sagte:
»Es ist wirklich wunderbar, was für Menschen man in der Fremde trifft. Wer hatte denken sollen, daß ich hier im fernen Sibirien mit einer Dame zusammenkommen würde, welche meinen Herrn Steinbach kennt!«
»Gott führt die Menschen wunderbar!«
»Und an welche er stets, stets und immer denkt!«
»Woher weißt Du das?«
»Ich bin monatelang mit ihm beisammen gewesen und weiß, daß er eine Dame mit Namen Gökala kennen gelernt hat, welche er im Leben nie vergessen kann.«
»Sagt er das selbst?«
»Nein, seine Begleiter sprachen davon, welche damals mit ihm in Egypten gewesen sind.«
»Auch von Egypten weißt Du?«
»Nur oberflächlich.«
»Und wo hast Du ihn getroffen?«
»Das zu erzählen, dazu brauchte ich Wochen. Ich kann nur sagen, daß ich ihn zum ersten Male in Amerika sah.«
»Was that er dort?«
»Er wollte jene drei Personen befreien, von denen ich vorhin sagte, daß sie in Amerika gefangen gewesen seien.«
»Ist ihm das gelungen?«
»Ja.«
»Wo ist er jetzt?«
»Hm! Wer weiß das! Von Amerika ging er nach Indien.«
Sie blickte schnell auf.
»Was wollte er dort?« fragte sie.
»Ich glaube, er wollte einen dortigen Fürsten suchen, welcher vor langer Zeit verschwunden sein soll.«
»Weißt Du, wie dieser Fürst heißt?«
»Er heißt Banda und war Maharadscha von Nubrida.«
»Herrgott! Meinen – den, den will er suchen! Was kann er denn von ihm wissen? Wie kann er diesen Namen erfahren haben?«
»Von einem Diener jenes Maharadschah.«
»Weißt Du, wie dieser Diener hieß?«
»Nena war sein Name.«
Auf ihrem Gesicht wechselte die glühendste Röthe mit der tiefsten Blässe. Sie erkundigte sich mit beinahe heiserer Stimme:
»Wie hat er denn diesen kennen gelernt?«
»Er hat ihn in Egypten gefunden.«
»Wunderbar, wunderbar!«
Er schüttelte den Kopf, betrachtete sie mit erstauntem Blicke und sagte:
»Verzeihe mir! Du selbst kommst mir wunderbar vor. Weißt Du vielleicht Etwas von jenem Nena und von seinem Herrn, dem Maharadscha?«
Sie zwang sich, gleichgiltig zu erscheinen, und antwortete:
»Ich habe einmal über das Schicksal des Maharadscha sprechen hören. Erzähle mir doch von jenem Steinbach!«
»Dazu giebt es leider jetzt keine Zeit. Aber heute Abend, wenn Du in dem Zelte des Tungusen bist, da werde ich Dir erzählen.«
»Aber gewiß!«
»Jawohl.«
»Und ganz ausführlich!«
»So ausführlich, wie Du es nur zu wünschen vermagst.«
»So meinst Du also, daß er jetzt in Indien ist?«
»Sagen kann ich es nicht. Ich vermuthe es nur. Er sucht den Maharadscha.«
»Das ist vergebliche Mühe. Dieser Fürst ist verschwunden und wird verschwunden bleiben für alle Zeit.«
»Das glaube ich nicht,« meinte Sam, indem er ein listiges Lächeln zeigte.
»So? Hast Du einen Grund zu dieser Annahme?«
»Ja. Dieser Grund heißt eben – Steinbach. Was dieser Mann will, das bringt er auch fertig. Er hat jene Tochter der Adlerhorst's in Constantinopel gesucht – er fand sie. Er suchte sodann die drei anderen zu dieser Familie gehörigen Personen in Amerika – er fand sie. Er gab mir den Auftrag, nach Sibirien zu gehen, um den letzten noch fehlenden Adlerhorst zu suchen – ich habe ihn hier gefunden. Er ist nach Indien gegangen, um den Maharadscha zu suchen – er wird ihn finden, und zwar so sicher, wie ich Sam Barth heiße.«
»Was sagst Du! Du bist in seinem Auftrage hier?«
»Ja.«
»Wo sollst Du ihn treffen?«
»Allüberall, wo es mir beliebt.«
»Was soll das heißen?«
»Wir haben einen Ort ausgemacht, nach welchem wir uns gegenseitig unsere Briefe oder Depeschen schicken. Dahin telegraphire ich sofort, wenn ich hier Georg Adlerhorst fest habe. Die Depesche wird ihm dort, wo man seinen gegenwärtigen Aufenthalt kennt, nachgesandt und er bestimmt sodann, wohin ich den Adlerhorst bringen soll.«
»Aha, so ist die Sache.«
Sie setzte sich wieder nieder, aber so schwer, als ob sie jetzt gegen vorher ein doppeltes Gewicht besitze. Da sie aber ihre große, innere Erregung nicht bemerken lassen wollte, so führte sie die Rede von dem Thema, für welches sie sich eigentlich interessirte, auf eine andere Person hinüber:
»Ist denn dieser Steinbach mit der Familie Adlerhorst verwandt?«
»O nein,« antwortete Sam sehr ernsthaft. »Er ist ja nicht von Adel.«
»Nicht? Wenn er aber mit Missionen betraut ist, wie diejenige in Constantinopel, so sollte man vermuthen, daß –«
»Daß – Was? Gerade zu solchen Heimlichkeiten werden gewöhnlich Männer genommen, welche sonst keine hervorragende Bedeutung haben.«
»Möglich. Du hast also wirklich im Sinne, Dich dieses Georg Adlerhorst anzunehmen?«
»Auf alle Fälle. Ich werde ihm morgen nach dem Mückenflusse nachreiten.«
Karparla hatte sich natürlich an dem letzteren Theile des Gespräches nicht betheiligt. Jetzt aber, da von dem Flüchtlinge die Rede war, fiel sie ein:
»Gehen Deine beiden Gefährten mit?«
»Ja.«
»So kannst Du doch auch einen Trupp unserer Tungusen mitnehmen!«
»Wollen sehen. Ich kann Dir für jetzt die feste und bestimmte Versicherung geben, daß Nummer Zehn nichts zu befürchten hat. Nun aber ist unsere Zeit hier abgelaufen.«
Er erhob sich von seinem Sitze.
»Bleibe noch!« bat Gökala.
»Es geht nicht. Wenn ich so lange Zeit hier verweile, wird der Kreishauptmann mißtrauisch, und das möchte ich verhüten. Wollen überhaupt einmal sehen, ob wir nicht vielleicht belauscht werden.«
Er schlich ganz leise zur Thür, drehte ebenso leise den Schlüssel um und schob dann die Thür mit aller Gewalt auf. Es gab einen ganz gehörigen Prall.
»Au! Donnerwetter!« schrie draußen Einer.
Sam trat hinaus. Draußen stand der Kreishauptmann mit seinem Sohne. Der Letztere war von der Thür getroffen worden. Er hielt sich mit beiden Händen den Kopf.
»Ah,« lachte Sam. »So geht es, wenn man horcht!«
»Wir haben nicht gehorcht,« erklärte der Vater.
»So! Was sonst?«
»Wir gingen nur zufällig vorüber.«
»Ach so! Warum hat da die Thüre gerade blos den Kopf getroffen! Uebrigens, wer Heimlichkeiten erlauschen will, der muß es gescheidter anfangen als Ihr. Ihr habt da kein Geschick dazu. Komm, Karparla, wir wollen gehen.«
Die Tungusin verabschiedete sich von ihrer neuen Freundin und forderte sie auf, heute ja zu kommen. Gökala sagte bestimmt zu und Sam bemerkte, um ganz sicher zu sein, daß sie kommen werde:
»Wenn Du nicht kommst, so hole ich Dich. Und jetzt nun lebe wohl!«
Er stieg mit Karparla die Treppe hinab. Der Kreishauptmann that, als ob er sie aus Höflichkeit begleite. Unten vor der Thür angekommen, war er Karparla behilflich, in den Sattel zu steigen und sagte dann, als sie fortritt, zu dem nun noch allein dastehenden Sam:
»Also Ihr seid heute Abend nicht mit in dem Zelte?«
»Nein.«
»Das ist schade!«
»Warum?«
»Ich hätte Euch so gern dabei gesehen.«
»Wie kommt das? Bisher hast Du gar nicht bewiesen, daß Du uns so gern hast.«
»Ihr habt uns nur falsch verstanden. Heute Abend hättest Du Dich überzeugen können, daß wir Dir nicht feindlich gesinnt sind.«
»So! Dann thut es mir wirklich leid, daß wir nicht dabei sein können. Vielleicht aber seid Ihr noch da, wenn wir zurückkehren.«
»Wann werdet Ihr kommen?«
»Vor Mitternacht nicht.«
»Das ist zu spät. Da sind wir wohl nicht mehr da. Wo reitet Ihr denn eigentlich hin?«
»Einmal gerade nach Ost in die Steppe hinein. Wir wollen die Abendeinsamkeit derselben genießen.«
»Und wann brecht Ihr auf?«
»Jetzt sogleich. Der Tag ist ja vergangen und in einer halben Stunde wird es schon Abend sein. Lebewohl.«
Er ging.
Der Kreishauptmann theilte seinem Sohne das Ergebniß dieser Erkundigung mit. Sie ließen satteln, steckten die beiden Flaschen ein und stiegen auf. Dann ritten sie heimlich aus dem Orte hinaus, um hinter einem Gebüsche die Reiter aufzulauern und ihnen dann zu folgen.
Sam war inzwischen zu Fuße nach dem Lager zurückgekehrt. Er theilte den zwei Freunden zunächst mit, daß er den Kreishauptmann gezwungen habe, Karparla zu Willen zu sein. Jim lachte und sagte dann:
»Der Kerl wird Dich außerordentlich lieb haben.«
»Und Euch natürlich mit!«
»Er mag beginnen, was er will, so sind wir ihm im Wege. Er muß eine ganz beispiellose Wuth gegen uns empfinden.«
»Das versteht sich. Ich habe den Beweis.«
»Die Grobheit, deren er sich gegen Dich bedient hat?«
»O nein. Wenn es nur das wäre! Er will uns an den Kragen.«
»Oho! Doch nicht etwa so!«
Er machte die Pantomime des Schießens.
»Erschießen? Nein. Dazu haben diese beiden Kerls weder den Muth, noch das Geschick. Vergiften wollen sie uns.«
»Sam, das glaube ich Dir doch nicht.«
»So erstick an Deinem Zweifel! Dann ists freilich nicht nöthig, daß Sie Dir Gift geben.«
»Das wäre doch gar zu toll!«
»Fragen solche Kerls nach der Tollheit?«
»Nein. Das ist freilich wahr.«
»Ich habe es ja mit diesen meinen eigenen Ohren erlauscht.«
»So erzähls!«
Sam erzählte. Die beiden Brüder blickten einander ganz ernsthaft und mit großen Augen an und brachen sodann in ein lautes Gelächter aus.
»Uns vergiften!«
»Mit Fliegenpilzen! Als ob wir Fliegen oder Mücken wären!«
»Lacht nicht!« meinte Sam. »Ich habe nicht nur gehört, sondern auch gelesen, was für ein fürchterliches Gift das ist.«
»So schlimm kann es doch nicht sein. Die halb wilden Völkerschaften hier essen ja den Fliegenschwamm und trinken den Absud davon, um sich zu berauschen.«
»Ja, die sind das Zeug gewöhnt, grad wie der Tabakraucher das Nikotin.«
»Wenn auch. Tödten kann uns das Zeug doch nicht, wenn wir nur einen einzigen kleinen Schluck nehmen.«
»Da irrst Du. Dieser Branntwein ist mit außerordentlicher Sorgfalt bereitet, und außer dem Fliegenpilze sind auch noch andere giftige Stoffe dabei.«
»Hm! Wenn das ist, dann wäre es freilich, so bald wir tränken, Matthäi am Letzten mit uns. Eine ganz verfluchte Geschichte! Wenn Du nicht gelauscht hättest, so wäre es um uns geschehen!«
»Wohl noch nicht.«
»Wie so?«
»Hättet Ihr denn getrunken?«
»Doch vielleicht.«
»Ich aber nicht. Darauf könnt Ihr Euch verlassen. Ich traue diesen beiden Kerls viel zu wenig, als daß ich einen Schluck Branntwein von ihnen nehmen möchte.«
»Und wenn auch! Ein Mordversuch bleibt es doch jedenfalls. Was thun wir mit diesen Kerls?«
»Lynchen!« sagte Tim kurz.
»Ist hier nicht Mode,« lachte Sam.
»Was denn? Geben wir ihnen eine Kugel?«
»Nein.«
»Einen Messerstich, oder hauen wir ihnen den Kolben über die Schädel!«
»Keins von den Allen.«
»Willst Du ihnen vielleicht gar eine Extragratification dafür geben, daß sie uns kalt machen wollen?«
»Ja, aber nicht von uns sollen sie dieselbe erhalten, sondern von Steinbach.«
»Hm! Hast vielleicht auch Recht.«
»Auf alle Fälle. Wir drei alte Burschen sind zwar drüben in der Prairie an unseren richtigen Platze, hier aber können wir grad dann, wenn wir am Klügsten zu sein vermeinen, die allergrößten Dummheiten begehen. Hier können wir, ohne es zu ahnen, ins Zappeln gerathen wie der Karpfen im Syrup, für den er doch nicht geschaffen ist. Darum ist es am Allerbesten, der Nachtwächter giebt sich gar nicht mit der Diplomatie ab.«
»Ganz richtig, denn Nachtwächter sind wir jetzt hier.«
»Wie so?«
»Wir haben verschiedene Personen in Obacht zu nehmen. Wir halten das Netz über sie, damit es Steinbach dann später zuziehen kann.«
»Hast wirklich Recht, alter Bursch! Hätte Dir einen solchen Modus wirklich kaum zugetraut. Also wir lassen die beiden Kerls für dieses Mal noch entschlüpfen.«
»Ja. Aber Eins sage ich Dir: So ganz mit einem blauen Auge, wie Du denkst, dürfen sie nicht davon kommen.«
»So! Einverstanden, wenn Du einen guten Vorschlag machen kannst.«
»Vorschlag? Vorgeschlagen wird da gar nicht, sondern vielmehr tüchtig zugeschlagen.«
»Ach so! Du willst ihnen die Knute geben?«
»Natürlich. Wir haben ja unsere Peitschen hier am Gürtel hängen. Wozu wären dieselben da? Als Zahnstocher können wir sie nicht gebrauchen.«
»Der Rittmeister hat aber schon seine tüchtige Portion bekommen.«
»Er soll noch zehn Hiebe aus dem ff erhalten und dann sein Alter das gleiche Maß wie er, also dreißig. Wenn sie heut im Tungusenzelte sitzen, sollen sie vor Wonne hin und her rutschen und Gesichter schneiden wie die Nußknacker. Uns vergiften zu wollen! Dieser Gedanke ist so verrückt, daß man ihn gar nicht für möglich halten sollte. Wenn sich diese Kerl einbilden, wir seien so dumm, uns von ihnen wie schmutzige Ratten vergiften zu lassen, so müssen sie eben bestraft werden, und zwar durch eine ganz gehörige Tracht Prügel. Nicht die Gerechtigkeit für ihren Mordversuch, sondern die Bestrafung für ihre Einbildung erfordert das.«
»Ja,« stimmte Sam bei. »Drei solchen alten, erfahrenen Prairieläufern, wie wir sind, noch dazu nachdem ich ihnen in allen Stücken den Rang abgelaufen habe, wie räudige Hunde vom Leben zum Tode bringen zu wollen, ohne uns zuzutrauen, daß wir den vergifteten Köder riechen, das ist freilich stark!«
»Darum Prügel! Nicht wahr, alter Jim? Habe ich Recht?«
»Ja, Haue müssen sie haben, daß die Schwarte knackt!« stimmte Jim bei.
»Nun gut! Das ist also abgemacht. Jetzt aber, Sam, wie packen wir sie eigentlich?«
»Das ist sehr einfach. Ich wette, daß sie schon jetzt zu Pferde sitzen und irgendwo stecken, um aufzupassen, wenn wir aufbrechen. Wir reiten fort, ohne uns um sie zu bekümmern. Sie werden uns schon folgen. Draußen auf der ebenen Steppe werden sie zu uns stoßen. Da sind wir natürlich sehr freundlich mit ihnen. Sie bieten uns den Trunk an, und mir nehmen ihn. Das laßt nur mir über. Dann aber machen wir kurzen Proceß. Wir streiten uns gar nicht lange mit ihnen. Wir halten ihnen keine langen Reden, sondern mir werfen ihnen unsere Lasso über, so daß sie sich nicht bewegen können und zählen ihnen das Einmaleins mit der Knute auf. Dann mögen sie weiter spazieren reiten, wohin sie wollen.«
»Schön! Also steigen wir nun in den Sattel.«
Sie ritten fort. Als sie das Lager hinter sich hatten, ließ Sam seine scharfen, kleinen Aeuglein umher schweifen. Es war nicht vergeblich, denn bereits nach kurzer Zeit sagte er:
»Schaut ja nicht hinüber, damit sie nicht denken, daß wir sie bemerkt haben! Aber da rechts im Gebüsch stecken sie. Ich will mich erst fressen und dann auch noch räuchern und braten lassen, wenn ich mich irre.«
Er hatte ganz Recht. Sie steckten drin. Die Drei gaben ihren Pferden die Sporen und ließen sie zunächst derb ausgreifen. Aber bald fielen sie wieder in langsameren Gang, um den Beiden Zeit zu lassen, ihnen nachzukommen.
Dieses Manöver hatte den beabsichtigten Erfolg. Eben als es dunkelte, kamen von rechts her zwei Reiter.
»Sie sind es,« meinte Sam.
»Ja,« stimmte Tim bei. »Sie haben einen Umweg gemacht, ganz natürlich, damit wir nicht denken sollen, daß sie es auf uns abgesehen haben. Sie werden irgend eine Ausrede machen, irgend einen Grund sagen, wegen dessen sie so schnell, ohne es vorher zu wissen, ausreiten mußten.«
Der Kreishauptmann kam mit seinem Sohne schnell näher. Sie ritten Galopp. Als sie fast heran gekommen waren, parirten sie ihre Pferde und der Erstere rief:
»Ah, Ihr seid hier? Hier in unserer Richtung? Wer hätte das gedacht!«
»Habe ich Dir nicht gesagt, daß wir grad nach Osten reiten wollten?« antwortete Sam.
»Nein, nach Westen sagtest Du!«
Das war eine Lüge; aber der Dicke sagte:
»So! Da habe ich mich freilich versprochen und das grade Gegentheil gesagt.«
»Kehrt Ihr nicht mit in das Lager zurück?«
»Nein. Unser Ritt beginnt erst jetzt.«
»Ist Euch nicht zu verdenken. Die Luft ist mild, wie selten hier. Sie thut der Lunge ordentlich wohl. Erlaubt Ihr uns, einige Minuten mit Euch zu reiten?«
»Ich denke, Ihr wollt nach der Stadt.«
»Eine Minute Versäumniß ist ja wie nichts. Das holen wir rasch wieder ein.«
»Aber Ihr seid geladen!«
»Erst für später. Oder ists Euch nicht lieb, daß wir Euch noch ein oder zwei Werst begleiten?«
»Nicht lieb? Warum? Wir sehen das im Gegentheile ganz gern. Wir könnest da sehen, wer bessere Pferde hat, wir oder Ihr.«
»Schön! Lassen wir sie laufen.«
Das Rennen begann. Der dicke Sam gewann bald die Spitze und behielt dieselbe, bis er nach zehn Minuten freiwillig hielt und, zurück nach Westen deutend, sagten
»Mit diesem Spaße verderben wir uns ein viel größeres Vergnügen. Da haben wir den Sonnenuntergang versäumt. Seht, das herrliche Abendroth!«
Die Anderen hielten neben ihm und blickten ganz so wie er nach Westen. Verschiedene Fragen und Antworten wurden ausgesprochen. Da zog der Kreishauptmann die Flasche aus der Satteltasche und sagten:
»So ein Abendroth muß jetzt begossen werden, sonst bringt es später Regen. Prosit, Iwan!«
Er trank.
»Prosit!« antwortete sein Sohn und trank auch. Dann gab er die Flasche zurück.
»Jetzt!« flüsterte Sam seinen beiden Gefährten zu.
Der Alte steckte die Flasche wieder in die Satteltasche. Der Junge aber bemerkte in vorwurfsvollem Tone:
»Aber, Vater! Sind wir denn allein?«
»Was denn?« sagte der Erstere, als ob er nicht verstehe, was sein Sohn wolle.
»Du bist doch sonst nicht so unhöflich und rücksichtslos. Du trinkst allein!«
»Ach so! Na, die Herren werden mir verzeihen, daß ich in Gedanken vergaß, meine Pflicht zu thun. Ihr trinkt doch auch einen Schluck Wutki mit?«
»Nein, danke!« antwortete Sam.
»Warum nicht?«
»Wir sind Besseres gewöhnt.«
»Was denn?«
»Einen guten, tüchtigen Brandy, der Leib und Seele beisammen hält.«
»O, das thut dieser Wutki auch.«
»Wohl schwerlich!«
»Er ist wirklich vortrefflich. Versucht es nur einmal!«
Er hatte natürlich nun die andere Flasche hervorgezogen, welche den Giftschnaps enthielt, und streckte sie dem Dicken entgegen.
»Habe ihn bereits versucht,« antwortete dieser.
»Wo?«
»Im Gasthause.«
»Ach, dort! Da taugt er freilich ganz und gar nichts. Nehmt nur einmal von diesem hier, aber einen tüchtigen Schluck. Ihr werdet es nicht bereuen!«
»Die Lasso los!« raunte Sam seinen Gefährten zu.
Diese gehorchten sofort und legten die bereit gehaltenen Lassos in wurffertige Schlingen. Zum Kreishauptmann aber sagte er laut:
»Du machst uns wirklich Appetit!«
»Ist mir lieb, wenn Ihr welchen bekommt. Bessern Wutki giebts im ganzen heiligen Rußland nicht. Also, trinkt in Gottes Namen. Es ist kein Fusel.«
»Na, so gieb mal her!« Er nahm die Flasche aus den Händen des Kreishauptmannes. Dieser fragte, auf die Lassos zeigende:
»Was sind das für Riemen?«
»Sie werden Lasso genannt.««
»Wozu dienen sie?«
»Um wilde Kanaillen zu fangen, Pferde, Ochsen, Wölfe, Giftmischer und anderes Raubzeug.«
»Giftmischer? Was für Thiere sind das? Ich habe diesen Namen noch niemals für ein Thier anwenden hören.«
»Das glaube ich wohl. Es ist auch nicht von Thieren, sondern von Menschen die Rede. Ein Thier, selbst das grimmigste und wildeste, besitzt nicht genug Schlechtigkeit, ein Lebensgeschöpf durch Gift aus der Well zu bringen.«
»O doch!«
»So! Welches Thier denn?«
»Die Schlange.«
»Auch diese nicht. Die Schlange ist keine Giftmischerin. Sie kennt nichts vom Gift, denn der für andere Geschöpfe tödtliche Saft, den sie besitzt, ist kein Gift für sie. Giftmischer können nur Menschen sein. Meist findet man sie unter Beamten und Officieren.«
»Was? Unter Beamten und Officieren?!«
»Du verstehst mich nicht? So muß ich es freilich deutlicher sagen. Meist findet man die Giftmischer unter Kreishauptmännern und Rittmeistern.«
»Ich verstehe Dich nicht.
»Desto besser habe ich Dich verstanden. Gebt ihnen die Lassos!«
Kaum waren diese Worte ausgesprochen, so sausten die beiden Riemen der langen Brüder durch die Luft und schlangen sich um die zwei Russen. Ein Aufbäumen der Pferde Jims und Tims – und die Gefesselten wurden von ihren Pferden gerissen. Sie stießen laute Schreie des Schreckes aus.
Im gleichen Augenblicke standen Jim und Tim neben ihnen und schlangen die Lassos noch mehr und fester um sie, so daß sie sich nicht zu rühren vermochten.
Sam seinerseits stieg gemächlicher aus dem Sattel.
»So!« sagte er. »Die haben wir.«
»Donnerwetter! Was fällt Euch ein!« rief der Kreishauptmann. »Dürft Ihr Männer, wie wir sind, in dieser Weise behandeln!«
»Ja, grad so und nicht anders dürfen solche Leute behandelt werden!«
»Wenn das etwa nur ein dummer Witz ist, so will ich ihn mir streng verbitten!«
»Ein Witz ist es allerdings, aber ein so guter, daß wir ihn uns gar nicht verbitten lassen können. Ich hoffe, daß Du noch lange Zeit recht herzlich über ihn lachen wirst.«
»Laß uns augenblicklich los?«
»Nur Geduld, Brüderchen! So schnell geht das nicht. Los werdet Ihr gelassen, aber erst dann, wenn Ihr die Knute gekostet habt.«
»Die Knute? Was fällt Dir ein.«
»Hm! Der Einfall ist jedenfalls gar nicht so übel, wie Du meinst. Dein Söhnchen hat heut bereits zwanzig Hiebe erhalten. Er soll jetzt nur noch zehn bekommen. Es ist wegen Auffrischung der Schwielen, die sonst zu schnell verheilen würden.«
»Hiebe! Weshalb!«
»Das fragst Du noch!«
»Natürlich muß ich fragen!«
»Nun, ich will höflich sein und es Dir sagen, obgleich ich das gar nicht nothwendig hätte. Was ist denn da in dieser Flasche?«
»Wutki.«
»Solcher, wie Du getrunken hast?«
»Ja.«
»Natürlich hast Du ganz aus derselben Flasche getrunken?«
»Das versteht sich ganz von selbst! Aus welcher sonst? Denkt Ihr denn, ich habe mehrere Bouteillen mit?«
»Ja.«
»Ich bin kein Süffel!«
»Aber ein Giftmischer, und solche Leute kommen zuweilen in die Lage, zwei verschiedene Bouteillen gebrauchen zu müssen.«
Der Kreishauptmann erschrak. Das klang ja ganz so, als ob sein Anschlag verrathen worden sei.
»Ich weiß nicht was Du meinst,« sagte er.
»Ich meine, daß Du noch eine andere Flasche mit hast, in welcher sich wirklicher und unschädlicher Wutki befindet. Aus der habt Ihr getrunken.«
»Nein.«
»So! Da paß mal auf!«
Er trat zum Pferde, welches der Kreishauptmann geritten hatte, griff in die Satteltasche und zog die Flasche heraus.
»Nun, habe ich Recht?« sagte er.
»Ah! Von der habe ich gar nichts gewußt,« erklärte der gefesselte Beamte.
»So! Sonderbar!«
»Die steckt noch vom vorigen Ritte drin.«
»Und Du hast sie nicht gefühlt, als Du die Andere vorhin herausnahmst?«
»Nein. Sie steckte wohl tiefer als die Andere.«
»Kann sein. Ich würde mich ärgern, wenn ich Dich in einem unberechtigten Verdachte hätte. Also hier in dieser ist Wutki?«
»Ja.«
»Wirklich? Bedenke Deine Antwort wohl!«
»Was sollte sonst drin sein!«
»Gift.«
»Was Du da sagst, das ist der reine Wahnsinn. Wir haben ja vorhin Beide aus derselben getrunken.«
»Nein, aus der Andern.«
»Nein, aus dieser.«
»Schön! Kannst Du es mir beweisen?«
»Auf welche Weise könnte ich es?«
»Auf eine sehr einfache. Paß auf!«
Er kniete zu ihm nieder, öffnete den Kork der Giftflasche, hielt ihm dieselbe nahe an den Mund und sagte:
»Trink, Brüderchen, trink!«
Der Gefesselte antwortete erschrocken:
»Was fällt Dir ein!«
»Daß ich nicht eher trinken werde, als bis Du vorher getrunken hast.«
»Ich danke!«
»Ah! Warum?«
»Weil ich schon getrunken habe. Ich habe keinen Appetit mehr.«
»Ein Russe hat immer Appetit.«
»Aber ich nicht. Ich habe Dir bereits gesagt, daß ich kein Süffel bin.«
»Trotzdem kannst Du noch einen Schluck hier trinken.«
»Nein.«
»So ist also Gift darinnen!«
»Es ist Wutki!«
»Nun, versuchen wir es einmal bei Deinem lieben Söhnchen.«
Er hielt auch diesem die Flasche hin. Der Rittmeister hatte bis jetzt kein Wort gesprochen; jetzt aber schrie er auf:
»Fort! Komm mir nicht zu nahe!«
»Warum nicht, mein Brüderchen?«
»Ich mag nicht mehr.«
»Sonderbar! Gestern Abend im Saale habt Ihr saufen können wie die Bürstenbinder, und heut bringt Ihr keinen Schluck über die Lippen. Habt Ihr etwa ein frommes Gelübde gethan?«
»Ja,« antwortete der Kreishauptmann schnell.
»Was denn für eins?«
»Davon darf man ja nicht sprechen.«
»Warum nicht?«
»Weil man von einem Gelübde nichts verrathen darf.«
»Ach so! Aber auf das Schnapstrinken bezieht es sich doch. Nicht wahr?«
»Und dennoch habt Ihr vorhin getrunken!«
»Einen Schluck. Einmal des Tages zu trinken, ist uns erlaubt.«
»Schön! So werdet Ihr also morgen aus dieser Flasche trinken.«
»Fällt uns gar nicht ein. Wir trinken, was und wann es uns beliebt.«
»Ganz recht. Fliegenpilz zum Beispiel trinkt Ihr nicht?«
»Kann uns nicht einfallen!«
»Wir aber sollen ihn trinken, Ihr Himmelhunde!«
»Schimpfe nicht! Kein Mensch wird Dich zwingen, Fliegenschwammthee zu trinken wie ein Jakuze oder Ostjake.«
»Ihr aber habt uns so lange zugeredet, bis ich die Flasche nahm.«
»Das war die Wutkiflasche.«
»Glaubt nur nicht, daß Ihr uns täuschen könnt. Wir wissen Alles ganz genau.«
»Was könntet Ihr wissen! Gar nichts.«
»Oho! Was habt Ihr denn heut mit einander gesprochen, als ich von Euch fort und zu Gökala gegangen bin?«
»Nichts.«
»So! Da habt Ihr stumm in der Stube gesessen?«
»Wir haben von so ganz und gar gleichgiltigen Dingen gesprochen, daß ich es ganz vergessen habe, was es eigentlich gewesen ist.«
»Ist ein dreifacher Mord hier in Eurer Gegend eine so gleichgiltige Sache?«
»Ich weiß nicht, wie Du von Mord sprechen kannst.«
»Du bist wirklich sehr unwissend. Einmal hast Du vergessen, wovon Ihr gesprochen habt, und wenn ich es Dir sodann in das Gedächtniß zurückrufe, so begreifst Du nicht, wie ich davon sprechen kann. Ich werde Deiner Denkkraft ein Wenig zu Hilfe kommen.«
Er zog die Knute aus der Tasche.
»Schlagen willst Du?« schrie der Kreishauptmann auf.
»Ja.«
»Wage es!«
»Da giebts nichts zu wagen.«
»Ich bin hier der oberste Beamte!«
»Pah!«
»Das Organ der Regierung!«
»Mir sehr egal!«
»Wer mich beleidigt, der beleidigt auch den Czar.«
»Rede nicht so albern! Glaubst Du, daß Du Kinder vor Dir hast? Willst Du leugnen, daß Du mit Deinem Sohne ausgemacht hast, uns zu vergiften?«
»Ich weiß kein Wort, keinen Laut davon.«
»Du wolltest zwei Flaschen mitnehmen.«
*