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68

»Bei Gott, der Hund schießt!« rief der Lieutenant. »Bist Du verwundet?«

»Getroffen wurde ich irgendwo.«

»Ah, hier in den Kalpak. Die Agraffe mit der Feder ist verschwunden.«

Da ertönte es in sehr gebrochenem Russisch von drüben herüber:

»Der erste Schuß in die Mütze zur Warnung, der zweite aber sicher in den Kopf.«

»Hund, wer bist Du?« brüllte der Rittmeister voller Wuth hinüber.

»Sam Barth ist mein Name. Lauf, mein Junge, sonst treffe ich Dich!«

Er erhob das Gewehr zum zweiten Male.

»Komm, komm!« warnte der Lieutenant. »Er schießt ganz gewiß!«

Er zog den Rittmeister schleunigst mit sich fort, hin zu den Pferden. Während sie diese bestiegen und schnell davonritten, polterte der Genannte:

»Auf mich zu schießen. Nicht blind, sondern mit einer wirklichen Kugel. Hast Du den Namen auch verstanden?«

»Ja.«

»Der Kerl war also noch frech genug, uns zu sagen, wie er heißt!«

»Wenn er nicht einen falschen Namen gesagt hat.«

»Selbst in diesem Falle ist er leicht zu finden. So dick wie er, giebt es hier Niemand, meine zukünftigen Schwiegereltern ausgenommen.«

»Der Sprache nach war er kein Russe.«

»Nein. Sam Barth. Barth ist deutsch.«

»Sam aber Englisch oder Amerikanisch. Die beiden Anderen waren echte Yankeegestalten. Reiten wir, um über die Furth zu kommen. Dann können wir diese drei Gesellen sofort empfangen und arretiren.«

Sie drückten den Pferden die Sporen in die Weichen und jagten der Stadt entgegen.

Karparla war natürlich sehr erschrocken, als sie den Schuß hörte und aus demselben erkannte, daß sie sich nicht allein an dieser einsamen Stelle befinde. Dann, als der Dicke seine Drohung herüber rief, hörte sie aus seinen Worten, daß sie vom linken Ufer aus belauscht worden sei. Und wer dieser freche Mensch gewesen war, das hörte sie aus dem Rufe des Rittmeisters, dessen Stimme sie sofort erkannte.

Sie war gleich bei dem Schusse so weit untergetaucht, daß nur der Kopf aus dem Wasser hervorblickte. Jetzt war es ihr, als ob sie Pferdegetrappel höre, welches sich entfernte. Und vom rechten Ufer herunter ertönte dieselbe Stimme, welche sie vorher gehört hatte:

»Töchterchen, wir haben uns so gestellt, daß wir Dich nicht sehen können. Hörst Du uns?«

»Ja,« rief sie beherzt zurück.

»Steig in Gottes Namen aus. Sie sind fort.«

»Aber Du?«

»Wir sind drei fremde Männer und wollen unsere Pferde tränken. Wir sitzen mit dem Rücken gegen den Fluß und werden uns nicht umdrehen, bis Du es uns erlaubst.«

»Ist das wahr?«

»Wir geben Dir unser Ehrenwort!«

Der Fluß war nicht sehr breit, so daß sich die Sprechenden sehr leicht verstehen konnten.

»So haltet Wort!«

Im Vertrauen auf die Ehrlichkeit dieser Fremden, stieg sie an das Ufer. Ein schneller Blick nach hinüber überzeugte sie, daß der Mann die Wahrheit gesagt hatte. Die drei Männer saßen unbeweglich, mit dem Rücken dem diesseitigen Ufer zugewandt. Sie kleidete sich schnell an. Dann rief sie:

»Jetzt könnt Ihr Euch umdrehen.«

Die Fremden thaten es.

»Wer seid Ihr?« fragte sie, nun auch ihren Schmuck mit mehr Muße anlegend.

»Ich bin ein Deutscher, meine Kameraden aber sind Amerikaner.«

»Habt Ihr Denjenigen gesehen, welcher mich belauschte?«

»Ja; ich habe ihm dafür eine Kugel durch die Mütze geschossen. Es waren Mehrere. Zwei Offiziere und ein Diener.«

»Hat auch der Diener mich gesehen?«

»Nein. Er war so weit zurückgeblieben, daß dies unmöglich war.«

»Der Brave! Aber Euch wird es schlimm ergehen.«

»Warum?«

»Der, nach welchem Du geschossen hast, ist der Sohn des Kreishauptmannes.«

»Welch ein vornehmer Kerl!«

»Ja. Er wird davon geritten sein, um Euch sofort arretiren zu lassen.«

»Wunderschön!«

»Spotte nicht! Er ist mächtig hier. Man wird Euch wegen Mordes anklagen.«

»Wegen des Mordes einer Mütze.«

»Du hast auf ihn geschossen; das ist genug. Ich aber will Euch retten.«

»Du? Wieso?«

»Tränkt Eure Pferde nicht. Ihr dürft keine Zeit verlieren. Reitet im Galopp nach dem Jahrmarktslager und fragt nach dem Fürsten der Tungusen, welcher Bula heißt. Kommt Ihr dort vor den Offizieren an, so wird er Euch nicht ausliefern.«

»Kennt er Dich denn?«

»Ich bin seine Tochter.«

»Ich danke Dir! Du meinst es gut, aber wir fürchten uns nicht vor einem Kosaken.«

»Ihr sollt Euch aber fürchten, mir zu Liebe!«

»Dir zu Liebe? Alle Wetter, ja. Dir zu Liebe wollen wir uns gern einmal fürchten.«

»So reitet also schnell! Ich komme gleich nach. Ich will versuchen, die Offiziere zu überholen.«

»Gut, mein Töchterchen. Auf Wiedersehen!«

Die Drei stiegen auf und trabten davon. Karparla war jetzt auch fertig. Sie setzte sich auf und jagte im Carrière dem diesseitigen Ufer entlang, der Stadt entgegen. Ihr Pferd war weit besser als diejenigen der Offiziere. Aus diesem Grunde holte sie die Letzteren an der Furth ein. Sie trieb ihr Pferd in einem weiten Sprunge in das Wasser.

»Plutja, Lejdak – Schuft, Schurke!« rief sie dem Rittmeister zu, an ihm vorüberschießend, so daß seine ganze Gestalt mit Wasser bespritzt wurde.

Er antwortete nicht, hieb aber sein Pferd auf das Aeußerste an, ohne sie jedoch einholen zu können.

Als sie das Lager erreichte, waren die Drei noch nicht da. Ihre Eltern waren bereits wieder von dem Isprawnik zurückgekehrt und befanden sich in ihrer großen, sehr geräumigen Jurte. Sie stieg gar nicht ab, rief ihnen nur einige erläuternde Worte zu und eilte weiter, den Erwarteten entgegen.

Sie fand dieselben schon nach wenigen Secunden, sich nach dem Zelte des Fürsten erkundigend. Sie brachte sie zu demselben, noch ehe der Rittmeister eingetroffen war.

»Steigt schnell ab und geht hinein!« gebot sie.

Selbst auch abspringend, führte sie die Drei in das Innere des Zeltes. Kaum war dies geschehen, so kamen auch die Offiziere angeritten. Sie warfen sich von den Pferden und betraten das Zelt. Der Rittmeister vergaß, zu grüßen. Er erblickte den Dicken und sagte:

»Da ist er! Mensch, Du bist mein Gefangener!«

»Oder Du der meinige!« lachte Sam in seinem gebrochenen Russisch.

Wie er das erlernt hatte, wird man später hören.

»Ich der Deinige?« rief der Offizier erstaunt.

»Ja, denn ich habe Dich und Du hast mich. Oder vielmehr, es hat noch Keiner den Anderen.«

»Keine Frechheit! Ich dulde sie nicht! Ich bin der Sohn des Kreishauptmannes von Platowa!«

»Und ich der Sohn des Knopfmachers von Herlasgrün!«

»Ich bin der Befehlshaber der hiesigen Militärmacht!«

»Und ich bin der Oberstcommandirende dieser beiden Armee-Corps!«

Er deutete dabei auf Jim und Tim, welche zu seiner Rechten und Linken standen.

»Du scheinst wahnsinnig zu sein!«

»Und Du nicht recht gescheidt! Ich befinde mich unter dem Schutze eines tungusischen Fürsten!«

»Aber auf russischem Boden! Er muß Dich an uns ausliefern.«

Da sagte Karparla in festem Tone:

»Er ist mein Gast und wird nicht ausgeliefert.«

»So hole ich meine Kosaken!«

»Hole sie. Es sind fünfmal mehr Tungusen bei uns. Sie werden es nicht dulden, daß Du ihre Prinzessen entehrst und deren Beschützer beschimpfest und arretirst.«

»So wird es zum Kampfe kommen!«

»Jawohl! Waffe gegen Waffe!«

»Bedenke, was Du thust!«

»Hast Du bedacht, was Du thatest?«

»Du bist meine Braut und hast mir zu gehorchen.«

Der Fürst und die Fürstin saßen auf ihren Polstern. Sie befanden sich in einer ziemlich heiklen Lage und hielten es für das Beste, weder für ihre Tochter, noch für den Offizier Partei zu nehmen. Das lag so in ihrem friedlichen Character und langsamen Naturell.

Sam bemerkte das gar wohl. Er kannte die einschlagenden Verhältnisse gar nicht, aber sein Scharfblick brachte ihn auf das Alleinrichtige. Er fürchtete den Kosaken nicht und hatte auch nicht die Absicht, die braven Tungusen in Schaden zu bringen. Darum sagte er jetzt:

»Zankt Euch nicht, Kinder. Wir werden freiwillig mit zu dem Kreishauptmann reiten.«

»Freiwillig?« meinte der Rittmeister. »Ihr müßt. Ihr seid meine Gefangenen. Ich werde Euch binden lassen und in das Gefängniß bringen.«

»Nein,« lachte Sam; »das wirst Du bleiben lassen, mein Söhnchen.«

»Wer will es mir verbieten?«

»Wir Drei. Wir würden einen Jeden erschießen, welcher es wagen sollte, uns anzurühren. Aber wir werden jetzt unsere Pferde besteigen und freiwillig dem Isprawnik, Deinem Vater, unseren Besuch machen.«

»Das klingt lustig!«

»Es ist auch lustig. Laß es ja dabei, sonst wird es Ernst! Siehe her!«

Er zog zwei Revolver hervor, hielt sie drohend vor sich hin und schritt dem Zeltausgange zu. Jim und Tim folgten, ebenso bewaffnet. Die Offiziere wichen zur Seite.

»Ich verlasse Euch nicht. Ich reite mit Euch,« sagte Karparla und stieg in den Sattel.

Es hatte sich vor dem Zelte eine große Menge Volkes versammelt, besonders Tungusen vom Stamme des Fürsten. Karparla erklärte ihnen mit lauter Stimme:

»Hört, Ihr Krieger! Diese beiden Offiziere haben sich nicht gescheut, mich zu belauschen, als ich vorhin im Flusse badete. Diese wackeren Fremden kamen dazu und haben sie vertrieben. Dafür sollen sie in das Gefängniß geworfen werden. Duldet Ihr diese Beschimpfung Eurer Herrscherin und ihrer Beschützer?«

»Nein, nein!« erklang es rund umher. »Bestraft die Kosaken und belohnt die Fremden!«

Den Offizieren, welche sich inmitten der Menge befanden, wurde es ziemlich schwül. Karparla wollte jetzt keine Gewaltthätigkeit. Darum mahnte sie:

»Ich werde diese drei Freunde der Tungusen zum Kreishauptmann begleiten. Wartet meine Rückkehr ab. Dann wird sich finden, was zu thun ist.«

Die gehorsamen Leute machten Platz, so daß die sechs Personen das Zeltlager verlassen konnten. An ein formelles Arretiren der drei Fremden dachten die Offiziere unter diesen Umständen nun allerdings nicht mehr.

Es ging im Galopp der Stadt entgegen. Vor dem Regierungsgebäude wurde abgestiegen. Der Rittmeister flüsterte dem Lieutenant einige Worte zu und dieser ging, um die Ausgänge des Gebäudes von seinen Kosaken besetzen zu lassen.

Karparla mußte mit ihren drei Schützlingen im Vorzimmer warten. Der Rittmeister ging allein zu seinem Vater, um diesem vorher Bericht zu erstatten. Bald trat er unter die Thür, um die Anderen herein zu rufen.

»Ich bleibe hier,« sagte das Mädchen. »Ich habe mit Euch nichts zu schaffen. Ich will nur erfahren, was Ihr mit diesen Männern thun werdet.«

»Sie werden eingesteckt und nach Irkutsk transportirt, wo man ihnen zeigen wird, was es heißt, auf einen Offizier zu schießen.«

»Das wird sich finden, mein Liebling!« lachte Sam, indem er ihn zur Seite schob, um eintreten zu können.

Der gestrenge Herr Kreisrichter empfing die drei Delinquenten mit seinem finstersten Blicke.

»Du hast auf diesen Offizier geschossen?« herrschte er Sam an.

»Nein.«

»Leugne nicht!«

»Ich sage die Wahrheit!«

»Er behauptet es!«

»So lügt er.«

»Mensch, wahre Deine Zunge, sonst lasse ich Dir die Knute geben.«

Da stellte sich Sam in Positur und antwortete:

»Du? Mir die Knute? Mir? Du wärst mir der richtige Kerl dazu. Wenn Du es noch einmal wagst, die Knute zu erwähnen, so haue ich Dir ein Dutzend Ohrfeigen herunter, daß Du denken sollst, unter Deinem alten Schädel ritten zehn Millionen Kirgisen spazieren! Ich weiß ganz genau, was des Kaisers Rock bedeutet; ich würde nie mich an einem braven Offizier vergreifen, aber kann ich einen Menschen, der sich hinter die Büsche steckt, um ein badendes Mädchen zu belauschen, für einen Offizier halten? Ein Flegel ist er, ein neugieriger Affe und unverschämter Bengel! Wenn Du das nicht zugiebst, so mag der Generalgouverneur von Sibirien und der Zaar darüber entscheiden!«

»Du hast hier zu schwei–«

»Halte das Maul!« brüllte Sam ihn nun erst recht an. »Jetzt rede ich, und dann kommst erst Du daran! Du bist der Isprawnik von Platowa, ich aber bin Samuel Barth aus Herlasgrün! Kennst Du das?«

»Nein,« entfuhr es dem Eingeschüchterten.

»So rede auch nicht drein, wenn ich Dir die Ehre gebe, mit Dir zu reden! Wenn Du Deinem famosen Sohne helfen willst, so bist Du noch famoser als er selbst, Du – Du – Du Isprawnikel Du! Du scheinst überhaupt gar nicht zu wissen, daß man sich erst erkundigt, was für Leute man vor sich hat. Der heilige Zaar in Petersburg wird sich freuen, wenn er von mir erfährt, was es hier für Hornissen giebt. Da hast Du meinen Paß. Siehe Dir ihn an! Und kannst Du nicht lesen, so will ich Dir das ABC mit Kreide auf den Stuhl schreiben; wenn Du Dich drauf setzest, so hast Du es an den Hosen kleben und es wird dann gehen!«

Er zog seine Brieftasche hervor, nahm den Paß heraus und legte denselben dem Isprawnik vor. Er hatte seine Rede so schnell und in einem Kauderwelsch vorgebracht, daß der Beamte wohl nicht viel mehr als die Hälfte der Höflichkeiten, welche sie enthielt, verstand. Es wäre dem guten Sam aber ebenso lieb gewesen, wenn Alles verstanden worden wäre. Furcht kannte er ja gar nicht.

Der Isprawnik öffnete den Paß, las ihn langsam durch, rieb sich die Augen und begann wieder von vorn. Sein Gesicht wurde immer länger. Auf einen Wink Sam's legten auch Jim und Tim ihre Legitimationen vor, welche ebenfalls von dem Beamten geprüft wurden.

Diesem Letzteren begann es zu schwitzen. Sein Sohn bemerkte seinen Zustand, trat hinzu und nahm auch Einsicht in die Pässe. Da meinte Sam:

»Diese Pässe sind eigentlich nicht ausgestellt, um von Leuten geprüft zu werden, welche solche Jugendstreiche begehen. Ich befinde mich aber gegenwärtig in guter Stimmung und will es erlauben, daß vier Augen hinein sehen, anstatt nur zwei.«

Weder Vater noch Sohn gaben eine Antwort. Der Erstere legte die Documente sorgfältig wieder zusammen und stellte sie den Eigenthümern wieder zurück.

»Und nun?« fragte Sam.

»Ihr seid frei!«

»Frei? Das sind wir bis jetzt gewesen. Ich hoffe, eine andere Antwort zu erhalten.«

»Was geschehen ist, beruht auf Mißverständnissen –«

»Oho! Ich habe auf die Mütze gezielt und sie auch getroffen; das ist kein Mißverständniß. Dein Sohn hat ein badendes Mädchen sehen wollen und es auch gesehen; ist da etwa ein Mißverständniß vorhanden?«

»Du hast kein Recht zu schießen!«

»Und er kein Recht, zu lauschen. Dennoch hat er mich arretiren wollen. Ich hoffe, daß er sich entschuldigt, sonst melde ich es dem Gouvernement, was mich veranlaßt hat, eine Kugel nach einer Mütze zu senden.

Sam stand erwartungsvoll da. Vater und Sohn blickten einander an. Da drehte sich der Letztere mit einem gewaltsamen Ruck zu dem Dicken um und sagte:

»Ich gebe zu, daß ich zu schnell handelte.«

»Und? Weiter –«

»Und bitte um Entschuldigung!«

»So ist es recht, mein Söhnchen! Wer den Muth hat, Fehler zu begehen, muß auch den Muth haben, sie einzugestehen. Hoffentlich giebt es keine ferneren Mißverständnisse. Eigentlich hatten wir die Absicht, hier im Gebäude um Gastfreundschaft zu bitten –«

»Gern, sehr gern sind wir bereit!« beeilte sich der Kreishauptmann zu bemerken.

»Danke! Wir sind nun bereits Gäste des Tungusenfürsten und werden ihm treu bleiben. Leb wohl, Väterchen! Leb wohl, Brüderchen! Wir wollen den Tag nicht vergessen, an welchem wir uns so schön kennen gelernt haben!«

Er trat mit Jim und Tim ab.

Die Zurückbleibenden blieben noch eine ganze Weile stumm. Dann brach der Vater los:

»Welch eine Blamage!«

»Oder vielmehr, welch ein Aerger!«

»Nein, es ist Blamage. Und nur Du bist daran schuld.«

»Ich? Nur ganz allein Nummer Zehn ist schuld. Wäre ich nicht mit ihm ausgeritten, so – so – aber er soll seine Strafe finden. Aber konnte man das diesen drei Kerls ansehen!«

»Ihrem Aeußeren war nichts davon zu entnehmen. Eigenhändig vom Zaaren unterzeichnet, ebenso von dem Großfürsten-Thronfolger als obersten Hetman der sibirischen Kosaken.«

»Und ihnen auf Verlangen sogar militärische Hilfe zur Verfügung stellen!« »Ja, wenn es diesem dicken Barth beliebte, Dich noch heute mit Deinen Kosaken in die Sümpfe zu schicken –«

»So müßte ich gehorchen!«

»Also vorsichtiger in Zukunft sein! Es ist ja bei solchem Verhalten wohl gar möglich, daß Du die reiche, schöne Braut verlierst. Und Du kennst unsere finanziellen Calamitäten.«

»Pah! Die verlieren! Dazu sind ihre Alten zu gutmüthig und pflichtgetreu. Die werden ihr Wort niemals brechen.« –

Es war eine Art Triumphzug, als Karparla mit ihren Gästen zurückkehrte. Als sie ihren Eltern erzählte, daß sich diese selbst vertheidigt hätten, ohne eines anderen Schutzes zu bedürfen, wuchs die Achtung des dicken Fürstenpaares bis in das Unendliche.

Der Tungusenherrscher reichte den Dreien seine Hände dar und sagte:

»Erst jetzt ist es mir vergönnt, Euch bei mir willkommen zu heißen. Vorher war keine Zeit dazu. Sagt mir, bei welchem Namen ich Euch nennen soll!«

»Ich heiße Sam Barth. Dieser ist Jim Snaker und Jener Tim Snaker.«

»Ich – Dieser – Jener! Samahrt – Jimscheker – Timscheker! Das ist zu schwer für meine alte Zunge, meine lieben Brüderchens. Erlaubt, daß ich Euch mit bekannteren Worten nenne, wie es mir beliebt!«

»Thue es!«

»So wird Dein Name Tjikwa sein.«

»Sapperment! Das heißt Kürbis, wohl weil ich so ein rundes Bäuchlein habe.«

»Und die beiden anderen Brüderchen werde ich Planka und Rogatjina nennen.«

»Was heißt das?« fragte Jim.

»Latte und Stange,« erklärte Sam.

»Da bin ich nicht einverstanden!«

»Ich auch nicht,« stimmte Tim bei.

In Folge dessen wurde es dem dicken Tungusen klar gemacht, daß er die Familiennamen weglassen könne und nur die drei einsylbigen Worte Sam, Jim und Tim zu merken habe. Das leuchtete ihm mehr ein. Von Familiennamen ist bei jenen Völkern nicht die Rede.

Jetzt bewirthete der Fürst seine Gäste, wobei die schöne Tochter dieselben bediente. Sam ließ das Auge nur selten von ihr und flüsterte den beiden langen Brüdern wiederholt zu:

»Beinahe noch schöner als meine Auguste!«

Dann wurde ausgegangen, um den Markt zu besehen und Einkäufe zu machen. Dabei stieß Jim Sam plötzlich so kräftig an, daß der Dicke beinahe auf die Erde gekollert wäre.

»Was giebt es denn?«

»Bill Newton!

»Unsinn!«

»Freilich, er war es.«

»Wie sollte der hierher nach Sibirien kommen!«

»Wer kann das sagen. Komm schnell!«

Er zog Sam zwischen mehreren Zelten hindurch, blickte nach allen Seiten, konnte die betreffende Persönlichkeit aber nicht wieder entdecken.

»Es hat Jemand dem früheren Derwisch ähnlich gesehen, das ist Alles,« meinte Sam.

»Und ich möchte fast darauf schwören, daß er es gewesen ist. Er hatte das ganze Gesicht voller Bart; das war der einzige Unterschied.«

Und er hatte Recht. Bill Newton war es gewesen. Als dieser in die Expedition des Kreishauptmannes getreten war, hatte dieser ihn ebenso ausgefragt wie die beiden Unterbeamten vorher:

»Was willst Du?«

»Meinen Paß vorzeigen.«

Bei diesen Worten legte er ihn hin. Der Beamte nahm das Document, legte es, nachdem er es durchgesehen hatte, zur Seite und sagte:

»Zwanzig Rubel!«

»Herr, ich habe bereits zweimal bezahlt!«

»Mir nicht. Zahlst Du nicht, so erhältst Du den Paß nicht zurück.«

Er bezahlte also mit stillem Ingrimme.

»Willst Du noch Etwas?«

»Darf ich im Wirthshause wohnen?«

»Ja. Kostet acht Rubel.«

»Bei dem Wirthe doch?«

»Bei mir. Der Wirth mag für sich selbst verlangen. Ich bin sein Diener nicht.«

»Noch ein Anliegen?« fragte der Kreishauptmann, als die acht Rubel auch auf dem Tische lagen.

»Ich möchte mir eine Anzahl Zobeljäger engagiren. Darf ich?«

»Kostet sechzehn Rubel.«

»Ein- für allemal?«

»Ja. Ich nehme es nicht in Raten.«

Er bezahlte auch diese Summe und erhielt dann den Paß zurück. Da fragte er:

»Herr, bedarf es eines Contractes, wenn ich mir die Pelzjäger engagire?«

»Nein.«

»Ich denke, Du hast ihn zu unterschreiben!«

»Nein. Eure Sache ist Eure Sache, aber nicht die meinige.«

»So hätte ich wohl auch ganz gut im Gasthofe wohnen können, ohne Dich zu belästigen?«

»Ja.«

»Und habe doch dreimal bezahlen müssen! Ich war am Ende auch nicht gezwungen, meinen Paß vorzuzeigen?«

»Auch nicht. Ich habe nicht die Zeit, um mich um die Reiseangelegenheiten aller Welt zu bekümmern.«

»Und doch habe ich an Dich, den Gemeindeältesten und seinen Beisitzer nun in Summa siebenundsiebzig Rubel bezahlt, ohne das Geringste dafür zu erhalten!«

»Ja, aber Du mußt Dich trösten. Die Siebenundsiebzig ist stets eine unglückliche Zahl.«

»Der Wirth hat mich zu Dir gewiesen. Das war gar nicht nöthig.«

»Das war sehr nöthig. Meinst Du, daß ich von der Luft leben kann! Wenn er Niemand zu mir sendet, so verdiene ich nichts – er aber auch nicht! Verstanden! Damit Du aber das Geld nicht allzu sehr bereust, will ich Dir das Blanket eines Contractes ausfertigen. Es hat doch vielleicht mehr Gewicht, wenn ich mich mit unterzeichne.«

»Vielleicht!« Der Derwisch hätte diesen Mann am Liebsten beohrfeigen können.

Ehe der Kreishauptmann den Bogen fand und unterzeichnete, kam dessen Sohn aus einem inneren Gemache zu ihm herein und holte nachher, als der Derwisch ging, die fürstliche Tunjusenfamilie aus dem Vorzimmer herbei, wie bereits erwähnt worden ist.

Der Derwisch, oder vielmehr Peter Lomonow, wie er sich jetzt nannte, begab sich zunächst nach dem Gasthofe, wo er aß und dem Wirthe einige Grobheiten dafür sagte, daß dieser ihn zu dem Kreishauptmann geschickt hatte.

Sodann begab er sich nach dem Markte, wo er so glücklich war, den berühmten Jäger Nummer Fünf sehr bald anzutreffen. Dieser war, da Lomonow sehr gute Preise bot, bereit, aus den Vorschlag einzugehen und machte sich sogleich daran, Gefährten zu einer Gesellschaft zu vereinigen, was ihm bei dem Rufe, in welchem er stand, in kürzester Frist gelang. Nun waren nur noch die nöthigen Einkäufe zu machen.

Während dies geschah, spielte sich die Scene mit Sam, Jim und Tim vor dem Zelte des Tungusen ab. Da sich dort viele Neugierige versammelten, wurde Lomonow auch mit dorthin gezogen. Zu seinem Erstaunen oder vielmehr gradezu zu seinem Entsetzen erkannte er die drei Jäger, denen er in dem Thale des Todes mit so großer Mühe und noch größerem Glücke entgangen war. Er glaubte natürlich nicht anders, als daß sie von jenem Tage an auf seiner Spur geblieben seien, und beschloß die schleunigste Abreise.

Die Einkäufe waren gemacht und verpackt. Ein gutes Geldgeschenk machte den Jägern die schnelle Abreise plausibel, und so wurde aufgebrochen. Grad als Lomonow sich nach dem Versammlungsplatz begeben wollte, wurde er von Jim gesehen, den er glücklicher Weise selbst auch erblickt hatte. Er wand sich schlau zwischen mehreren Zelten hindurch und entkam, herzlichst froh, Platowa, wo er hatte länger verweilen wollen, so rasch hinter sich zu haben. Jetzt senkte sich die Dämmerung hernieder, und der Abend brach herein. In dem Tanzsaale der Schankwirthschaft wurden die wenigen Lampen angebrannt, denn es verstand sich ganz von selbst, daß es heut am ersten Tage des großen Marktes einen Ball gab.

Im hintern Theile des Saales wurde durch eine bretterne Scheidewand ein separater Raum abgeschlossen, welcher für die »Herrschaften« bestimmt war. Es herrschte der Gebrauch, daß diese Honorationen jeden zehnten Tanz für sich allein hatten.

Kaum hatte eine alte Trompete das Zeichen gegeben, so strömten die Tanzlustigen in Menge herbei. Der Ball begann. Die ersten »Herrschaftstänze« fielen aus, weil die »Herrschaften« noch nicht eingetroffen waren. Bald aber stellten sie sich ein.

Den obersten Platz nahm natürlich der Kreishauptmann mit seinem Sohne ein; dann folgten die anderen Offiziere, der Pope und die Unteroffiziere. Nach nicht gar langer Zeit gesellten sich angesehene Häuptlinge der umwohnenden Völker hinzu, und endlich kam auch der Vornehmste derselben, Fürst Bula mit seiner Frau und seiner Tochter.

Sein Erscheinen erregte allgemeines Aufsehen, nicht allein der Schönheit seiner Tochter wegen, sondern weil Sam und Jim und Tim sich bei ihm befanden. Sie waren die Helden des Tages geworden. Daß Sam nach dem Rittmeister geschossen hatte und doch die Freiheit genoß, verlieh ihm in den Augen dieser einfachen Leute ein außerordentliches Relief.

Der Rittmeister, sein Vater und die Offiziere erhoben sich, um Karparla Platz zu machen. Als sie sich setzen wollten, machten sie die verblüfftesten Gesichter, welche man sich nur denken kann. Ihre Sitze waren nicht mehr leer. Sam saß auf des Kreishauptmanns, Jim auf des Rittmeisters und Tim auf des Oberlieutenants Platz. Und dabei machten sie Mienen, als ob dies so ganz und gar selbstverständlich sei.

»Unverschämt!« brummte der Jsprawnik.

Sein Sohn stimmte bei. Sam hörte es ziemlich deutlich, nickte dem Ersteren freundlich zu und sagte gelassen:

»Nenne es nicht unverschämt, daß man uns keine Kissen hergelegt hat. Wir verzichten gern darauf und sind zufrieden, daß Du uns unsere Plätze bis zu unserm Kommen bewahrt hast. Ich wünsche, daß Karparla sich zwischen mich und Jim und Kalyna, die Fürstin, sich zwischen mich und Tim setzt. Mein Freund Bula, der tapfere Fürst der Tungusen, wird dann zwischen Jim und Dir sitzen, liebes Väterchen.«

Der einstige Knopfmachergeselle machte dabei ein Gesicht, als ob er in seinem ganzen Leben nur Hofrangslisten studiert habe. Innerlich thaten sich die drei Jäger freilich eine außerordentliche Güte.

Zu essen gab es nichts, zu trinken nur Thee, Schnaps, Mehltrank und saure Milch. Die Musik wurde erzeugt von einer Trompete, einer alten Guittarre mit nur drei Seiten und einer Posaune, deren einst so grade und einfache Züge jetzt verwickelt waren wie ein Kalbsgekröse. Es war, wie der Dichter sagt, ein Concert, welches Steine erweichen und Menschen rasend machen kann.

Den Vorzug hatten nationale Tänze, wie Balalaika und ähnliche. Trotz des schlechten Getränkes und der noch schlechteren Musik begann sich bald eine ausnehmende Fröhlichkeit zu entwickeln, selbst auf dem Herrschaftsplatze.

Der Rittmeister war finster und wortkarg. Er erhielt von Karparla nicht einen einzigen Blick. Da, während eines Herrentanzes, stand er auf und trat zu ihr, um sie zu engagiren. Sie schüttelte den Kopf, ohne ihn nur anzusehen.

»Du tanzest nicht?« fragte er.

»Nein.«

»Heut gar nicht?«

»Weiß noch nicht.«

»Oder nur mit mir nicht?«

»Niemals!«

Er wurde bleich wie der Tod. Aller Blicke hatten an ihm gehangen; er war öffentlich blamirt.

»Wohl mit der Nummer Zehn etwa!« zischelte er ihr ergrimmt in das Ohr.

»Vielleicht.«

Natürlich nahm er diese Antwort des schönen Mädchens nicht für Ernst. Es schien ja eine Unmöglichkeit zu sein, daß die Tochter eines reichen Anführers mit einem armen Kosaken, der noch dazu ein Verbannter war, tanzen könne. Dennoch warf er einen wüthenden Blick über die Schranken hinweg, dorthin, wo im niedern Range der Kosak an der Mauer lehnte und dem Tanze zuzusehen schien, heimlich aber mit dem Blicke an Karparla hing.

Später verkündigte ein Trompetenstoß wieder einen Herrschaftstanz. Da stand Karparla auf, ging hinaus in den vorderen Raum und reichte dem Kosaken die Hand.

»Komm, tanze mit mir!«

Er fuhr bei diesen Worten zusammen, als ob ihn ein Hieb getroffen habe. Aber rasch richtete er sich hoch auf. Seine Augen leuchteten, und seine Wangen glühten. Er hatte gar wohl, bemerkt, daß der Rittmeister von ihr abgewiesen worden war. Jetzt kam sie, die Tänzerin zu ihm! Er machte sich auch augenblicklich die möglichen Folgen dieses ihres Schrittes klar; doch kümmerten ihn dieselben in diesem Augenblicke sehr wenig. Er legte ihr kleines, weißes Händchen auf seinen Arm und führte sie in die Mitte des Saales.

Ein allgemeines »Ah!« des Staunens war erschollen. Jetzt richteten sich aller Augen auf den Rittmeister. Die Farbe seines Gesichtes glich derjenigen einer getünchten Wand.

Die Musik begann. Nur dieses eine Paar tanzte. Die Untergeordneten durften nicht theilnehmen, und die »Herrschaften« wollten sich nicht blamiren, neben einem Deportirten sich zu drehen. Dieser aber schien an nichts zu denken, als an seine Tänzerin. Den Arm um ihre herrliche Taille geschlungen, dirigirte er sie in leichten, zierlichen Windungen hin und zurück. Sie gab sich ihm hin, den schönen Kopf leise an seine Schulter gelehnt. Ihre Augen waren halb geschlossen; ihr Gesicht hatte einen innigen Ausdruck angenommen. Zwischen den leise geöffneten Lippen glänzten die Zähnchen küßlich hervor. Wegen der Kürze und Enge des Zobelröckchens konnte man den rythmischen Bewegungen ihres Körpers in allen seinen Theilen verfolgen. Die prächtige Tungusin war ein Bild der Reinheit, Unberührtheit und doch wollustathmend zugleich.

Ihre Eltern schienen den Schritt, den sie gethan hatte, nicht übel zu deuten, denn sie blickten dem Paare fröhlich und unbefangen zu.

Jetzt war der Tanz zu Ende.

»Komm!« sagte Karparla.

Sie wollte ihn dorthin zurückführen, wo er vorhin gestanden hatte.

»Nein,« flüsterte er, »Du bist die Dame. Ich führe Dich.«

»Darfst Du denn hinauf?«

»Ich will sehen, wer es mir verbieten möchte. Ich will nicht oben bleiben, sondern nur Dich zurückbringen. Wer da mich beleidigen wollte, würde auch Dich beleidigen.«

Sie waren während dieser leisen Reden langsam bis an die Scheidewand gekommen und traten nun in den abgegrenzten Raum. Da schnellte der Rittmeister von seinem Sitze empor.

Hatten seine Augen vorher die Tanzenden mit glühendem Blicke verfolgt, so sprühten sie jetzt förmlich Feuer. Er trat auf die Beiden zu. Der Kosak that, als ob er ihn gar nicht bemerke; er aber stellte sich ihm in den Weg und rief so laut, daß seine Worte von allen im Saale Anwesenden deutlich verstanden werden konnten:

»Du wagst es, hierher zu kommen, Hund! Was willst Du da?«

Der Angeredete antwortete furchtlos und in ruhigem Tone:

»Meine Dame an ihren Platz führen. Dann aber gehe ich wieder.«

» Deine Dame? Welch eine unerhörte Frechheit. Wie kann die Prinzessin die Dame eines hundsgemeinen Verbrechers sein! Sie ist meine Verlobte. Packe Dich! Sonst werfe ich Dich hinaus und lasse Dir die Knute geben und Dich dann krumm schließen.«

Er griff nach der Knute, welche er wie gewöhnlich an seiner Seite hängen hatte.

Ein lautloses Schweigen herrschte rund umher. Alle waren gespannt, was der Kosak thun würde. Die meisten, natürlich gewöhnliche, Leute glaubten, er werde in tiefster Demuth und Unterwürfigkeit dem an ihn gerichteten Befehle Gehorsam leisten. Niemand sprach vor Erwartung ein Wort. Nur Einer, nämlich der dicke Sam, flüsterte Jim leise zu:

»Das ist stark. Wir werden uns des armen Teufels von Kosaken annehmen.«

Dieser Letztere, nämlich der Kosak, zeigte aber weder Demuth noch Unterwürfigkeit. Aufrecht vor dem Offizier stehend, antwortete er, allerdings in einem gemessen höflichen Tone:

»Ich werde thun, was die Dame mir befiehlt.«

Er blickte Karparla fragend an. Diese fürchtete ihrerseits den Rittmeister nicht. Sie glaubte, dem Kosaken eine Ehrenrettung schuldig zu sein. Darum legte sie ihren Arm fester in den seinigen und sagte:

»Du hast mit mir getanzt, darum mußt Du mich nach meinem Platze bringen. Dann kannst Du ja wieder zu Deinem Orte zurückkehren.«

»So komm!«

Er wollte mit ihr weiter. Da aber hielt der Rittmeister ihn beim Arme fest und rief:

»Halt! Laß sie augenblicklich los!«

»Du siehst, daß sie nicht will. Wenn sie wirklich Deine Verlobte ist, so solltest Du ihr Deine Achtung dadurch beweisen, daß Du sie nicht beleidigest indem Du mich blamirst.«

»Räudiger Hund! Gehorchst Du oder nicht!«

Er erhob den Arm mit der Knute. Der Kosak entgegnete furchtlos:

»Ich bin weder ein Hund noch ein hundsgemeiner Verbrecher, wie Du mich vorhin nanntest. Ich bin wegen eines politischen Verbrechens angeklagt und ohne Untersuchung nach Sibirien gesandt worden. Uebrigens bin ich ebenso wie Du Offizier und außerdem ein Edelmann. Ich traue Dir den Verstand zu, zu überlegen, ehe Du handelst. Ein Mann wie ich läßt sich nicht die Knute geben!«

»Nicht? Ah, Schurke, da hast Du sie!«

Er holte mit dem bereits erhobenen Arme zum Schlage aus, konnte aber den Hieb nicht ausführen. Sam war herbeigetreten, ergriff seinen Arm und sagte in freundlichem Tone:

»Beruhige Dich, Brüderchen! Wir sind hier, um uns zu freuen, nicht aber, um Zank zu hören.«

Der wüthende Rittmeister aber brüllte ihn an:

»Hast etwa Du mir Etwas zu befehlen?«

»Diese Frage will ich nicht beantworten; bisher habe ich nicht befohlen, sondern nur gebeten. Achte Deine Verlobte, indem Du es schweigend geschehen lässest, daß ihr Tänzer die Pflicht der Höflichkeit gegen sie erfüllt! Es kann Dir ganz gleichgiltig sein, daß er für einen Augenblick hierher kommt!«

»Nein, es ist mir nicht gleichgiltig! Er darf nicht dahin, wo ich bin!«

»Schön! So darf er aber dahin, wo ich bin. Ich bin der Gast des Fürsten, und ich will sehen, ob Du mich auch beleidigst, indem Du mir versagst, was ich thun will!«

Und sich zu dem Kosaken wendend, sagte er:

»Brüderchen, führe Deine Dame an ihren Platz und trinke mit mir ein Gläschen auf ihr Wohl. Dann kannst Du wieder gehen!«

Er trat an den Tisch, um die Gläser zu füllen; also mußte er den Arm des Offiziers wieder fahren lassen. Dieser Letztere benutzte diese Gelegenheit. Abermals zum Hiebe ausholend, rief er aus:

»Zurück! Fort mit Dir, Kerl! Sonst zeichne ich Dich für das ganze Leben!«

Sam wollte schnell wieder Einrede erheben; aber der Anblick, welchen der Kosak jetzt bot, ließ ihn nicht zu Worte kommen. Stolz wie ein Fürst richtete sich der Verbannte vor dem Rittmeister empor. Sein Blick funkelte wie derjenige eines Löwen, den ein armseliger Schakal anzukläffen wagt. Er sagte nur zwei Worte:

»Versuche es!«

Das rief er nicht laut und drohend; er sprach es beinahe freundlich aus; aber seine Stimme klang belegt und zitterte leicht.

»Jawohl thue ich es! Da!«

Bei diesen Worten wollte der Rittmeister zuschlagen. Bereits sauste die Knute durch die Luft. Da aber ließ der Verbannte Karparla's Arm, den er selbst jetzt noch festgehalten hatte, fahren und griff blitzschnell nach der Faust des Offiziers, in welcher dieser die Knute hielt. Ein Ruck, und er hatte sie ihm entrissen. Dann aber donnerte er ihm zu:

»So! Und nun laß es aber genug sein. Ich schone Dich nicht mehr! Setze Dich, und gieb Ruhe!«

Da fuhr der Offizier einen Schritt zurück. Er fand für den Augenblick gar keine Worte für seinen Grimm. Dann aber brüllte er pfeifend:

»Wie! Du gebietest mir Ruhe. Du entreißest mir die Peitsche! Her damit, daß ich Dich haue, bis die Fetzen fliegen!«

Er sprang auf den Verbannten ein; dieser aber trat schnell zur Seite und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige, so kräftig, daß der Rittmeister an die Barriere flog und, diese umreißend, mit ihr in den Saal stürzte. Freilich raffte er sich sofort wieder auf, um den Gegner zu fassen; dieser aber packte ihn noch schneller, hob ihn empor und schleuderte ihn so gegen die Wand, daß er an derselben zusammen knickte und da für einige Secunden am Boden liegen blieb.

Das war so schnell geschehen, daß es keinem Menschen möglich gewesen war, es zu verhindern. Jetzt nun bot der Kosak der schönen Fürstentochter die Hand und sagte so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei:

»Bitte, komm zu Deinem Platze!«

Er führte sie hin. Sie ließ sich nieder. Sie war blaß wie eine Leiche; sie konnte kein Wort sagen; auch alle Anderen schwiegen. Nur der Verbannte wandte sich zu Sam:

»Brüderchen, wolltest Du nicht ein Gläschen mit mir auf ihr Wohl trinken?«

»Ja, komm! Bei Gott, Du bist ein tüchtiger Kerl. Es ist mir ein Vergnügen, mit Dir anzustoßen! Komm!«

Er goß ein, war aber noch nicht fertig damit, so ertönte des Rittmeisters Stimme durch den Saal:

»Auf! Hin! Arretirt ihn! Augenblicklich!«

Er hatte sich wieder aufgerafft und bot ein Bild ungezügelten Grimmes. Sein Gesicht war dunkelroth, und die Adern seiner Stirn schienen zerspringe zu wollen. Natürlich war kein Mensch sitzen geblieben. Auch in dem Herrschaftsraume hatten Alle sich erhoben. Es waren zahlreiche Kosaken vorhanden, welche natürlich meinten, ihrem Vorgesetzten gehorchen zu müssen. Sie thaten dies freilich nicht gern, vielmehr gönnten Alle ihm die erhaltene Züchtigung von Herzen, aber doch befolgten sie sein Gebot, indem sie sich dem Verbannten näherten, freilich langsam und zögernd.

»Schnell, schnell, Ihr Canaillen!« donnerte der Rittmeister.

Da tippste Jim dem dicken Sam in die Seite und fragte ihn in seinem amerikanischen Englisch:

»Wollen wir das dulden? Wollen wir nicht vielleicht diesen Rittmeister ein wenig lynchen?«

»Ja, wir wollen ihn theeren oder federn!« fügte Tim hinzu.

»Wartet es ab!« antwortete Sam.

Er näherte sich dem Verbannten. Dieser erkannte die wohlwollende Absicht, machte aber eine abwehrende Handbewegung und sagte:

»Keine Unvorsichtigkeit, Brüderchen! Es giebt hier Gesetze, welche Du als Ausländer doppelt respectiren mußt.«

Das sah Sam freilich ein. Er flüsterte Jim zu:

»Wollen es einstweilen gehen lassen. Schleiche Dich immer vorher hinaus, um zu erfahren, wohin sie ihn schaffen.«

»Warum Du nicht?«

»Weil ich ein kleines Wörtchen mit diesem Herrn Offizier reden will.«

»Ein Wörtchen? Pah! Mit solchen Leuten redet man am Besten mit der Faust. Schreibe ihm mit den zehn Fingern das chinesische A B C in das Gesicht; das wird ihm bester bekommen, als alle Worte!«

Er ging, ohne daß seine Entfernung auffiel, da die Aufmerksamkeit Aller auf den Kosaken gerichtet war, welcher die Knute, die er seinem Vorgesetzten abgenommen hatte, von sich warf und seinen Kameraden entgegen ging.

»Hier habt Ihr mich,« sagte er. »Euch leiste ich keinen Widerstand.«

»Bindet ihn! Fesselt ihn! Legt ihn in Ketten!« gebot der Offizier.

Es war nur ein einziger Kosakenunteroffizier anwesend, welcher als nächster Vorgesetzter des Verbannten die Arretur vorzunehmen hatte. Dieser zupfte ganz verlegen an den silbernen Tressen seiner blauen Jacke und meinte zu dem Offizier:

»Binden? In Ketten legen?«

»Ja.«

»Womit, Väterchen? Hast Du einen Strick? Hast Du vielleicht Ketten?«

»Der Wirth hat Stricke!«

Da gebot der Unteroffizier einem seiner Leute:

»Lauf, Brüderchen, laß Dir vom Wirthe Stricke geben, etwa zwanzig oder dreißig! Wir wollen diesen Kerl fesseln, daß ihm das Blut aus allen Adern spritzt!«

Zu dem Arrestanten aber sagte er leise:

»Glaube es nicht! Habe keine Sorge! Ich binde Dich so, daß Du denken sollst, ich hätte Dich in Watte eingeschlagen. Mach aber ja ein recht schlimmes Gesicht dazu!«

Und laut fragte er wieder den Rittmeister:

»Wohin schaffen wir ihn?«

»Auf die Hauptwache, in das Verließ der allerschlimmsten Verbrecher.«

Der fortgesandte Kosak kam zurück, mit allen Stricken, welche er vorgefunden hatte, beladen. Sie hätten ausgereicht, ein halbes Schock wild gewordener Stiere zu fesseln. Man umschlang den Verbannten so damit, daß er unmöglich entfliehen konnte. Dann wurde er fortgeführt.

Karparla hatte das mit angesehen. Sie hatte sich vom Stuhle erheben wollen, um Fürbitte für ihn einzulegen; aber Sam war ihr rasch mit den Worten zuvorgekommen:

»Was willst Du thun. Töchterchen? Etwa diesem Menschen gute Worte geben? Das wird Dir doch nicht einfallen!«

»Ich muß doch! Ich bin schuld an Allem!«

»Grad deshalb mußt Du schweigen. Hast Du den Muth gehabt, mit dem Verbannten zu tanzen, nicht aber mit dem Rittmeister, so darfst Du Dich nun nicht erniedrigen, indem Du zu dem Letzteren als Bittende kommst.«

»Aber es wird dem armen Teufel schlecht ergehen!«

»Das hättest Du Dir vorhin sagen sollen, bevor Du ihn zum Tanze einludest. Uebrigens braucht es Dir gar nicht sehr angst um ihn zu sein.«

»Wenn Du das sagst, so kennst Du den Rittmeister und die Gesetze nicht.«

»O, die Gesetze gehen mich nicht viel an, und den Rittmeister brauche ich nicht zu kennen. Er soll vielmehr ja nicht wünschen, mich kennen zu lernen.«

»Man wird den Kosaken schlitzen.«

Um schwere Verbrecher zu zeichnen, damit ihnen die Flucht erschwert werde, pflegt man sie nämlich an der Nase zu schlitzen; das heißt, man schneidet ihnen rechts und links aus jedem Nasenflügel ein Stückchen heraus.

»Wer das wagt, den schlitze ich auch, und wie!«

»Und ihn in die Bergwerke stecken.«

»So weit kommt es nicht.«

»Nein, so weit dürfen wir es gar nicht kommen lassen. Er muß fliehen.«

»Das soll aber außerordentlich schwierig sein!«

»O, ich helfe ihm!«

»Ist Dir das möglich?«

»Keiner kann entfliehen ohne unsere Hilfe. Wenn ich will, daß er entkommen soll, so werden ihn alle Tungusen unterstützen. Es fragt sich nur, wie wir ihn aus dem Gefängnisse bringen.«

»Na, das wird nicht so sehr schwer sein. Ich bin bereit, ihm und Dir beizustehen. Aber jetzt still davon! Der Rittmeister kommt.«

Der Genannte war mit bis zur Saalthür gegangen, um sich zu überzeugen, daß die Arretur in gehöriger Weise vor sich gehe. Jetzt kehrte er an seinen Platz zurück, konnte aber, noch ehe er sich setzte, es nicht unterlassen, Sam einen wüthenden Blick zuzuwerfen und dabei zu sagen:

»Der Kerl hat das Leben verwirkt. Ein Kriegsgericht wird ihm den Prozeß machen. Wie aber ein Fremder es wagen kann, ihn in Schutz zu nehmen, das begreife ich nicht; das ist nur dadurch zu erklären, daß dieser Fremde wahnsinnig ist.«

»Meinst Du mich, Väterchen?« fragte Sam.

»Ja.«

»Und Du denkst, ich bin verrückt?«

»Ich denke es nicht nur, sondern Du bist es ganz gewiß. Das behaupte ich.«

»Nun, Du giebst doch zu, daß es eine sehr große Beleidigung ist. Jemand verrückt zu nennen?«

»Einen Verrückten kann man nicht beleidigen.«

»Bis jetzt ist es noch nicht erwiesen, daß ich wirklich wahnsinnig bin. Du wirst also die Güte haben, mich jetzt noch als einen Mann zu behandeln, welcher bei vollem Verstände ist. Ich habe vorhin mit dem Kosaken trinken wollen. Das hast Du nicht zugegeben. Auch das ist eine Beleidigung. Weißt Du vielleicht, wie man solche Beleidigungen beantwortet, mein Brüderchen?«

»Verklage mich!«

»Pah! Das fällt mir nicht ein. Ein Mann muß für das, was er sagt und thut, mit der Waffe einstehen können.«

»Heiliger Andreas! Meinst Du ein Duell?«

»Ja.«

Sam sagte das sehr ernst. Der Rittmeister aber stieß ein schallendes Gelächter aus und antwortete:

»Schau, das ist der Beweis, daß Du verrückt bist. Ich – und mich mit Dir duelliren!«

»Nun, warum denn nicht?«

»Donnerwetter! Ich bin Offizier! Ich bin sogar Rittmeister! Verstanden!«

»Rittmeister, das ist auch etwas Rechtes!«

»Bist Du etwa mehr?«

»Jedenfalls.«

»Was denn?«

»Knopfmacher aus Herlasgrün!«

»Hole Dich der Teufel!«

»Ich danke! Hoffentlich hält er Dich für schmackhafter als mich.«

Die Scene war sehr ernst geworden. Der Kreishauptmann hatte bisher geschwiegen, selbst zu der Züchtigung, welche sein Sohn erhalten hatte. Innerlich aber kochte die Wuth. Er war Willens, an dem Verbannten ein Exempel statuiren zu lassen. Sein Grimm wurde durch das Verhalten Sams gesteigert. Es war ihm unmöglich, länger zu schweigen. Darum wendete er sich an den Dicken:

»Ich befehle Dir, zu schweigen! Du hast hier gar nicht zu sprechen!«

Sam lachte ihm ganz freundlich in das Gesicht und antwortete:

»Aber Du wohl?«

»Ja. Ich bin der Kreishauptmann!«

»Na, da bist Du nicht etwa ein sehr großes Thier. Es giebt noch viel bedeutenderes Viehzeug.«

»Was sagst Du? mit einem Thiere vergleichest Du mich.«

»Ich bin bereit. Dich mit jedem Vieh zu vergleichen, welches Dir gefällig ist. Du bist hier anwesend, ich bin es auch. Ich habe hier grad so viel oder so wenig zu sprechen wie Du. Du hast in Deiner Amtsstube vor mir die Flagge gestrichen; hier im Saale, wo ein Jeder gleiches Recht mit dem Andern hat, lasse ich mir von Dir den Mund erst recht nicht schließen. Ich sage Dir vielmehr, liebes Väterchen, Du bist ein ganz bedeutender Dummkopf, und Dein Sohn ist ein rücksichtsloser, grober Flegel, dem es gar nichts schadet, wenn er tüchtige Hiebe bekommt!«

Da fuhren die beiden Genannten von ihren Sitzen empor, die anwesenden Offiziere mit ihnen.

»Mensch!« rief der Kreishauptmann. »Ach, lassen wir ihn! Er ist wirklich verrückt!«

»Höre Väterchen, laß Dich warnen! Ich bin ein ganz gemüthlicher Kerl und kann wochenlang Sauerkraut mit Dir essen, ohne daß ich Dich dabei verschlinge. Wenn Du es mir aber zu dumm treibst, so verschlinge ich Dich mit Haut und Haar! Den Bauch habe ich dazu: Schau her! Dein Sohn hat mich beleidigt. Ich verlange Genugthuung. Und wenn er sie mir verweigert, so ist er ein Feigling. Verstanden?«

Einige blickten ihn vor Erstaunen steif an; den Andern wurde angst und bange. Im Saale war Alles mäuschenstill. Die Musikanten hatten noch gar nicht wieder begonnen. Tim saß auf seinem Platze, lächelte vergnügt vor sich hin und streckte die langen, dürren Beine aus, um mit freundlichen Fußstößen Sam aufzumuntern, sich ja nichts gefallen zu lassen.

Was dieser Letztere gesagt hatte, war dem Kreishauptmann noch nie gesagt worden. Darum gebot er in seinem strengsten Tone:

»Ich befehle Dir, zu schweigen. Wenn Du nicht gehorchst, so wirst auch Du arretirt!«

»Ach! Von wem?«

»Von mir!«

»Hoffentlich hast Du noch nicht vergessen, was in meinem Passe steht.«

»Nein; ich weiß noch jedes Wort genau. Aber steht etwa darinnen, daß wir zu Deinen Grobheiten schweigen sollen?«

»Nun, steht etwa darinnen, daß ich mich von dem ersten besten Kosakenrittmeister beleidigen lassen muß? Er hat mich zweimal beleidigt, und ich fordere ihn!«

»Er schlägt sich nicht mit Dir. Und selbst wenn er es wollte, würde ich es ihm verbieten.«

»Warum?«

»Du bist ihm nicht ebenbürtig und kein Offizier.«

»Donnerwetter! Das ist stark. Denkst Du denn, ich wisse nicht, welche Offiziere man hier bei Euch anstellt? Frage an, ob man Dein Söhnchen bei der Linie oder gar bei der Garde dulden würde. Keinen Augenblick. Ebenbürtig! Wenn er zur ebenen Erde geboren ist, so darf er sich gar nichts einbilden. Ich bin in einem Luftballon zur Welt gekommen, und der Chimporasso und der Dawalagiri haben bei mir Pathe gestanden; der Mond ist mein Onkel und die Sonne meine Tante. Nun zeigt mir einmal Eure Verwandtschaft! Uebrigens ist vor einigen Tagen ein kaiserlicher Kurier hier durchgekommen. Oder nicht?«

Der Kreishauptmann machte bei dieser letzteren Frage sofort ein ganz anderes Gesicht.

»Was weißt Du von einem Kurier?«

»Alles, Alles weiß ich!«

»Er war ja geheim!«

»Und doch redest Du von ihm? Du giebst zu, daß er da war? Du verräthst sogar, daß er ein geheimer Kurier war? Das muß ich dem Zaar erzählen, wenn ich mit ihm wieder einmal Kaffee trinke und Scat spiele.«

Aller Augen richteten sich mit fragendem Ausdrucke auf den Sprecher, welcher seine Worte im größten Ernste vorbrachte.

»Kaffee? Scat? Du mit dem Zaar?«

»Ja, ich! Du freilich nicht! Und da sagst Du, ich sei Euch Preußelbeerkreaturen nicht ebenbürtig! Ist der Kurier nicht dagewesen, um Dir zu melden, daß ein sehr vornehmer Herr kommen werde, welcher einstweilen nur bei dem Namen Steinbach genannt werden will?«

Da machte der Kreishauptmann eine Bewegung des größten Erstaunens.

»Ja, das ist so,« stieß er stotternd hervor.

»Ihr sollt ihm die Ehre eines Ministers, eines Freundes des Zaaren erweisen?«

»Herr, das weißt Du?«

Der Beamte zeigte ein vollständig verblüfftes Gesicht, und die anderen Anwesenden beeilten sich, den Ausdruck der Hochachtung in ihre Mienen zu legen.

»Natürlich weiß ich es!«

»So kennst Du ihn?«

»Ja. Ich bin sein Secretair!«

»Mein Gott! Ist das wahr, Blagorodië

Dieses Wort bedeutet Ew. Hochwohlgeboren.

»Ich bin sogar sein Geheimsecretair!«

»Das wußte ich nicht, Wasche Wysoko Blagorodië

Das heißt Ew. Sehrhochgeboren.

»Oder vielmehr, ich bin eigentlich sein geheimer, sein ganz und gar geheimer Haus-, Hof- und Leibsecretair!«

»Warum hast Du mir das denn nicht schon längst gesagt, Prewoskoditelstvo

Dieses russische Wort heißt so viel wie Ew. Excellenz. Während der Höflichkeitssteigerung Hochwohlgeboren, Sehrhochgeboren und Ew. Excellenz hatte sich die Gestalt des Kreishauptmannes immer strammer emporgerichtet. Zuletzt machte er nun eine tiefe, tiefe Verneigung, als ob er ein gekröntes Haupt vor sich sehe.

»Warum ich es Dir nicht gesagt habe?« fragte Sam. »Weil es mir so gefällig war. Unsereiner thut nur das, was Einem beliebt, nicht aber das, was Andern erwünscht ist. Du wirst uns schon noch besser kennen lernen. Und nun frage ich Dich, ob ich Dir und Deinem Sohne ebenbürtig bin?«

»O verzeihe! Du stehst hoch über uns.«

»Jawohl! Es ist eine große Ehre für ihn, daß ich ihn fordere.«

»Darum meine ich, daß Du nicht auf Deiner Forderung bestehen wirst.«

»Warum nicht? Wohl weil er Angst hat?«

»O nein. Er ist sehr tapfer. Du könntest Schaden davon haben.«

»Donnerwetter! Meinst Du etwa, daß ich nicht auch tapfer bin?«

»O nein, o nein! Dir ist ja die größte Tapferkeit anzusehen. Aber einer Kugel gegenüber hilft alle Tapferkeit nichts.«

»Pah! Auch ich verstehe es, mit Kugeln umzugehen. Das habe ich heute bewiesen, als ich ihm ein Loch in seine Pelzmütze schoß.«

»Aber der Säbel ist noch gefährlicher!«

»Für mich nicht. Er ist hager; ich zerhaue ihm beim ersten Hiebe einige Knochen, die er dann nicht wieder zusammenbringt. Ich aber bin fett. Er kann mir höchstens eine Fleischwunde machen – ein Bischen Heftpflaster darauf, und es ist gut!«

Dem Beamten war es angst geworden. Er machte noch einen Versuch, indem er meinte:

»Könnte es Dir nicht in Deiner Stellung schaden, wenn Du Dich bei einem Duell betheiligtest?«

»Nein. Ich befinde mich doch im Auslande und kann also nicht bestraft werden. Uebrigens ist der hohe Herr, dessen Liebling ich bin, selbst ein sehr großer Freund des Duells. Er hat an jedem Monate wenigstens eins auszufechten und geht allemal als Sieger hervor. Nein, Schaden kann ich gar nicht haben; denn wenn ich Deinen Sohn tödte, so kräht kein Hahn nach ihm; wenn er aber mich auch nur leicht verwundet, so mag er sehen, wo er bleibt. Ich stehe unter dem ganz besondern Schutz des Zaaren.«

Der Kreishauptmann blickte seinen Sohn an und dieser ihn. Die Offiziere sahen vor sich nieder. Keiner wollte in diese Angelegenheit verwickelt werden. Sie sehnten sich weit fort, um die Aufforderung, Secundant zu sein, vermeiden zu können. Da hielt der Rittmeister es für gerathen, ein Wort zu sagen:

»Ich hoffe demnach um Deinetwillen, daß Du nur Scherz gemacht hast.«

»Warum?«

»Ich bin ein Meister im Gebrauche aller möglichen Waffen.«

»Grad das ist mir außerordentlich lieb. Mit einem Stümber duellire ich mich nie. Es bleibt dabei. Ich fordere Dich!«

Der Offizier antwortete nicht. Er war sehr blaß geworden.

»Nun? Weigerst Du Dich etwa?«

»Nein. Ich bin Offizier und muß es annehmen.«

»Gut. Machen wir es kurz. Hier mein Freund, welcher mich immer mit dem Fuße stößt, wird mein Secundant sein. Er stößt mich, weil er darauf brennt, einige Maaß Blut fließen zu sehen. Wer bestimmt die Waffen?«

»Der Beleidigte.«

»Also ich. Schießen wir uns mit Büchse auf fünfhundert Schritte!«

Der Rittmeister athmete ein Wenig auf. Fünfhundert Schritte ist doch immerhin eine Entfernung. Sam bemerkte das und fügte schnell hinzu:

»Oder wollen wir sagen tausend Schritte? Ich schieße nämlich noch auf fünfzehnhundert Schritte ganz gut eine Fliege von der Nase weg.«

»Wie Du willst!« stieß der Geängstigte hervor.

»Lassen wir es bei Fünfhundert. Der Schuß ist doch sicherer, und es ist besser, man ist sofort gleich todt, als wenn man sich noch eine Stunde oder zwei mit dem Tode plagen muß. Morgen früh sechs Uhr draußen vor dem Jahrmarktsplatze auf der Grasebene.«

»Herr, warum so öffentlich?«

»Weil doch wohl ein Jeder gern einmal ein Duell sehen will. Die guten Leute werden noch lange Zeit von uns erzählen; das giebt mir Spaß. So! Jetzt ist das geordnet. Und nun will ich nur noch bemerken, daß ich mich in sehr guter Stimmung befinde. Es sollte mich herzlich freuen, wenn ich noch Einen oder Einige für morgen früh fordern könnte. Vielleicht geben sich die Herren Offiziere Mühe, mir eine kleine Veranlassung dazu zu bieten; sie braucht nicht so gar groß zu sein. Also lustig! Die Musikanten mögen nun endlich wieder beginnen!«

Der Kreishauptmann gab das Zeichen, und der Tanz fing von Neuem an. In der Herrschaftsabtheilung wollte die Musik keine erheiternde Wirkung hervorbringen. Der Kreishauptmann sprach kein Wort. Verlegenheit, Angst um das Leben seines Sohnes und verborgener Grimm nagten in ihm. Der Rittmeister sprach kein Wort. Seine Kameraden machten einige kurze Bemerkungen und fielen dann immer wieder in ihr Schweigen zurück.

Nur Sam und Jim und Tim waren bei guter Laune. Jim war nämlich wieder zurückgekehrt. Er konnte nicht viel berichten. Auf Sams Frage antwortete er:

»Er ist in einem eigenthümlichen Gebäude untergebracht worden, welches hinter den Wohnungen der Kosaken liegt. Es ist auf sechs Pfählen errichtet und hat ein Dach aus Schilf. Ich konnte natürlich nicht nahe heran, und viele Menschen liefen mit, welche mir die Aussicht nahmen.«

»Wird er bewacht?«

»Ja; es stehen zwei Posten dort.«

»Hoffentlich bleiben sie auch stehen, wenn er davonläuft.«

»Holen wir ihn dann heraus?«

»Ja.«

»Eigentlich geht er uns gar nichts an!«

»Nein. Aber unserer Karparla zu Gefallen und diesem Rittmeister zu Liebe müssen wir ihm zur Freiheit verhelfen. Oder habt Ihr keine Lust? So thue ich es allein.«

»Pah! Wir sind allemal dabei!«

Drei Personen gab es, welche nicht wußten, ob sie sich freuen oder sich ärgern sollten: Karparla und ihre Eltern.

Das schöne Mädchen hatte selbst keine Ahnung von dem, was in seinem Herzen vorging. Ihr Inneres war engagirt; darum war sie äußerlich still. Ihre Eltern ärgerten sich über das ganze Vorkommniß, freuten sich aber auch wieder über den braven Sam. Außerdem nahmen sie es für eine außerordentliche Ehre, einen solchen Gast zu haben.

Bereits nach kurzer Zeit brach der Kreishauptmann auf. Sein Sohn begleitete ihn ganz natürlich, und seine Kameraden folgten bald. Nun konnten die Andern ungestört und unbeobachtet sprechen.

»Brüderchen,« fragte der Fürst, »bist Du wirklich der Haus-, Hof- und Leibsecretair eines so hohen Herrn?«

»Ja. Und ich bin noch viel mehr.«

»So sei der Tag gesegnet, welcher Dich in unsere Jurte geführt hat. Bemitleidest Du diesen guten Kosaken nicht auch?«

»Natürlich. Das hast Du doch gemerkt.«

»Ja. Du wirst Dich sogar seinetwegen duelliren. Das würde ich nicht thun.«

»Warum?«

»Eine Kugel ist ein sehr überflüssiges Ding, wenn sie in den Körper fliegt.«

»Das ist sehr richtig, mein Brüderchen.«

»Und es sollte mir sehr leid thun, wenn Du erschossen würdest.«

»Da sei nur nicht bange. Ich werde morgen um die jetzige Abendzeit wenigstens ebenso munter sein wie heut.«

»Das will ich herzlich wünschen. Was meinst Du wohl, was sie mit dem Kosaken machen werden?«

»Nach Vorschrift und Gesetz werden sie ihn nach Irkutsk transportiren, wo er vor ein Kriegsgericht gestellt wird.«

»Und wie wird seine Strafe lauten?«

»Erschossen oder einige hundert Hiebe mit der Knute, was ganz dasselbe ist.«

Da fiel Karparla schnell ein:

»Das darf nicht sein!«

»Was können wir dagegen thun?« fragte ihr Vater.

»Wir retten ihn.«

»Wie denn?«

»Wir bringen ihn über die Grenze.«

»Ja, das können wir; aber er steckt ja in dem Gefängnisse!«

»Da holen wir ihn heraus.«

»Das ist unmöglich.

»Warum denn?«

»Erstens müßte es noch heut geschehen.«

»Natürlich!«

»Da haben wir keine Gelegenheit. Er wird bewacht. Und bedenke, mein Kind, was ich für Folgen zu tragen hätte, wenn es ruchbar würde, daß ich einen Gefangenen befreit hätte. Mein Väterchen, der Zaar, würde sehr bös auf mich werden. Ueber die Grenze kann ich Jemanden bringen; dabei ist nicht viel gewagt. Aber in das hiesige Gefängniß dringen, das ist etwas ganz Anderes.«

»Ja, das geht nicht,« meinte auch Kalyna, die dicke Fürstin, bedächtig.

»Aber, Mütterchen, er ist doch mein Retter!«

»Leider, mein Töchterchen!«

»Er hat mich aus dem Wasser geholt!«

»Ja, das hat er gethan, das gute Söhnchen.«

»So müssen wir ihn aus dem Gefängnisse holen.«

»Mein Liebling, das Gefängniß ist kein Wasser. Retten wir ihn; aber es darf nicht gefährlich sein und keine große Mühe machen.«

Die gute Frau legte die Arme gemächlich in einander und blickte um sich wie Eine, welche mit Gott und der Welt zufrieden ist und sich in ihrem Glücke nicht stören lassen will.

»Rathe Du uns, Väterchen!« bat Karparla, zu Sam gewendet.

»Kindchen,« antwortete er, »ich kann Dir da wirklich nicht rathen.«

»Nicht? Ich hatte auf Dich gerechnet. Gut! Wenn Ihr Alle mich verlaßt, so handle ich allein!«

Der zornige Trotz kleidete ihr schönes Gesichtchen ganz vorzüglich. Es war ihr anzusehen, daß sie wirklich Etwas unternehmen werde.

»Allein?« sagte Sam. »Nein; das geben wir Drei nicht zu. Wir helfen.«

»Du wolltest ja nicht!«

»Einen Rath geben wollte ich nicht. Mit einer That aber ist es ein ganz anderes Ding. Also Ihr haltet es für möglich, ihn über die Grenze zu bringen?«

»Ja, nach China hinein. Er muß sich die Haare scheeren, damit man ihn für einen Kirgisen hält. Aber vorher muß er doch aus dem Gefängnisse!«

»Das wird er auch.«

»Wie denn?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht, mein Töchterchen. Dir braucht das indeß keine Sorge zu machen. Wir Drei werden ihn holen.«

»Aber es wird ungeheuer schwer sein!«

»Für uns nicht so sehr, wie Du denkst.«

»Ja, Ihr seid ganz andere Männer als diejenigen, welche ich bisher kennen gelernt habe – einen Einzigen ausgenommen.«

»Welchen?«

»Den Kosaken. Er stürzte sich sofort in die Fluthen, um mich zu retten. Wenn Ihr ihn befreit, werde ich Euch sehr dankbar sein.«

»So? Was wirst Du uns denn geben?«

»Was Du verlangst – wenn ich es habe.«

»Du hast es, mein Kindchen.«

»Was denn?«

»Einen recht herzlichen Händedruck.«

»Den sollst Du jetzt schon haben. Hier! Aber sag, wann Du ihn befreien willst?«

»Du hast es sehr eilig!«

»Ja. Man darf reine Zeit versäumen.«

*


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