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Als die Beiden eintraten, stand die Frau Kreishauptmann in der Mitte des Zimmers und empfing sie mit einer tiefen Verneigung. Dann aber, als sie das Gesicht wieder erhob, war es nicht etwa ein freudiger Blick, den sie auf die Ankömmlinge warf. Gökala machte eine sehr frostige Verneigung. Der Graf aber grüßte gar nicht, sondern er fixirte die Frau mit einem scharfen, stechenden Blicke, und dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht, dessen Bedeutung sehr schwer zu enträthseln war.
»Sie sind die Frau des Kreishauptmannes?« fragte er hochmüthig.
»Zu Ihrem Befehl,« antwortete sie, ihrerseits nun auch stolz.
»Ihr Name?«
»Rapnin.«
»Jedenfalls früher in Irkutsk?«
»Allerdings.«
»Wo ist Ihr Mann?«
»Er pflegt noch der Ruhe.«
»Und Ihr Sohn?«
»Ebenso.«
Der Graf hatte ganz die Miene und Haltung eines Examinators angenommen. Gökala, welche ihn mehr als genau kannte, sah es ihm an, daß er hier von etwas ganz Unerwartetem und für ihn Angenehmem überrascht worden sei, dies aber zu verbergen suchte. Er fuhr fort:
»Die Herren schlafen wohl immer so lange?«
»Sie schlafen natürlich, wenn es ihnen beliebt!« antwortete die Frau pikirt.
»Habe eigentlich auch nichts dagegen. Ich wollte mir für heut Ihre Gastfreundschaft erbitten und morgen früh weiterfahren, habe mich indessen anders entschlossen. Ich werde längere Zeit bei Ihnen wohnen.«
Die Frau machte ein Gesicht, in welchem der Ausdruck des Erstaunens sich mit demjenigen des Aergers stritt. Sie antwortete:
»Ich meine, daß dazu das Gasthaus vorhanden sei.«
»Ich ziehe das Ihrige vor.«
»Sind Sie in Ihrem Passe ermächtigt, Ihr Logis in den Regierungshäusern aufzuschlagen?«
»Nein, sondern ich thue das nur in Folge einer langjährigen Gewohnheit.«
»Auch wir haben unsere Gewohnheiten und Bequemlichkeiten, welche einem Fremden zu opfern wir nicht verpflichtet sind.«
»Das ist unhöflich, Madame!«
»Ihr Auftreten und Ihre Ansprüche sind nicht nur unhöflich, sondern mehr als das!«
»Wollen Sie immerhin das Wort aussprechen, welches Sie meinen?«
»Sie sind Graf. Ich schweige.«
»O, sprechen Sie immerhin! Ich will mich keineswegs unter den Schutz meines Ranges begeben.«
»Nun wohl. Ich finde Ihr Verhalten nicht nur unhöflich, sondern geradezu unverschämt.«
»Das nehme ich Ihnen nicht übel. Die Ansichten einer Frau Rapnin sind aber freilich nicht maßgebend.«
»Bitte, der Name meines Mannes ist Rapnin, aber er ist der Herr und ich bin also die Frau Kreishauptmann!«
»Ich zweifle nicht daran.«
»Sie scheinen mich nicht zu verstehen. Ich nenne Sie Graf und bitte mir meinen Titel auch aus. Uebrigens haben Sie sich noch nicht einmal als Graf legitimirt.«
»Und Sie sich ebenso wenig als Frau Rapnin!«
Die Augen des Grafen funkelten vor Vergnügen. Die Kreishauptmännin, deren Aerger immer größer wurde, fügte zornig hinzu:
»Bei mir bedarf es keiner Legitimation. Wir wohnen hier. Sie aber sind fremd. Es ist leicht, sich für einen Grafen auszugeben und dabei die Ansprüche eines Kaisers zu machen.«
»Vielleicht ist es ebenso leicht, sich für eine Frau Rapnin auszugeben und doch eigentlich eine Frau Saltikoff zu sein.«
Diese Worte waren mit einer geradezu beißenden Schärfe gesprochen, und die Wirkung, welche der Graf beabsichtigt hatte, trat augenblicklich ein. Die Frau fuhr zurück, maß den Grafen mit dem Blicke einer Schlange und fragte:
»Wie meinen Sie das? Ich verstehe Sie nicht.«
»Ich meine, daß es sich baldigst als sehr nothwendig erweisen könne, daß Sie sich wieder Frau Saltikoff nennen.«
Jetzt zog eine tiefe, leichenhafte Blässe über ihr Gesicht. Ihre Nase wurde zusehends spitz.
»Ich verstehe Sie noch immer nicht,« stammelte sie.
»Desto besser wird mich der jetzige Herr Kreishauptmann verstehen. Ich bitte dringend, ihn zu wecken. Sie können wenigstens ahnen, daß ich nicht nur zum Scherze mich zu Ihnen einlade.«
Jetzt knickte sie förmlich zusammen; doch raffte sie sich fester auf, verbeugte sich und sagte in plötzlich höchst freundlichem Tone:
»So nehmen Sie Platz! Mein Mann wird sogleich die Ehre haben, zu erscheinen.«
Sie verließ das Zimmer.
Der Graf strich sich in höhnischem Vergnügen den Schnurrbart und fragte:
»Wie gefiel Dir die Alte, Gökala?«
Die Gefragte antwortete nicht.
»Willst Du etwa auch Comödie mit mir spielen wie sie? Du würdest ganz denselben Mißerfolg haben. Also, wie gefällt sie Dir?«
»Immer noch besser als Sie!«
Gökala nannte den Grafen noch immer Sie, während er stets Du zu ihr gesagt hatte.
»Sehr hübsch ausgedrückt!« lachte er. »In kurzer Zeit werde ich Dir aber ausnehmend gut gefallen.«
»Schande über Sie, Schande!«
»Warum wohl?«
»Wer sich fremden Leuten in solcher Weise aufdringen kann, ist nicht werth, daß man nur ein Wort mit ihm spricht!«
»So schweig! Ganz nach Belieben.«
»Und hier soll ich mit wohnen! Welch eine Scham! Und als wen werden Sie mich wohl vorstellen?«
»Ich werde sehr rücksichtsvoll sein. Du bist eine Cousine von mir.«
»Da muß ich doch bestens danken. Wenn einmal gelogen sein soll, so geben Sie mich für Ihre Nichte aus.«
»Weil bei diesem Grade von Blutsverwandtschaft eine gewisse nähere Berührung weniger denkbar ist? Gut, ich bin wie immer. Du bist also meine Nichte, und ich junger Mensch bequeme mich, als Dein Oheim zu gelten. Aber ich hoffe, daß Du das dankbar anerkennst!«
Sie antwortete nicht, sondern trat an das Fenster und kehrte ihm den Rücken zu. Er zog das Etui aus der Tasche und brannte sich ungenirt eine Cigarre an, ganz so, als ob er sich in seiner eigenen Behausung befände.
Wohl über zehn Minuten vergingen, und weder kehrte die Frau zurück, noch kam ihr Mann herbei. Dafür aber wurden laute Stimmen und hin und her, auf und ab eilende Schritte hörbar. Endlich wurde die Thür aufgerissen, und die Frau trat herein. Sie hatte ein sehr echauffirtes, ja sogar erschrockenes Aussehen.
»Verzeihung!« sagte sie. »Soeben bemerken wir erst jetzt, daß weder mein Mann noch mein Sohn ihre Betten berührt haben. Sie sind nicht zu sehen und nicht zu finden. Es muß ein Unglück geschehen sein.«
»Ja,« lachte der Graf, »ein Unglück ist geschehen, ein sehr großes.«
»Herrgott, Sie wissen es? Welches, welches? Was ist geschehen?«
»Der Graf Alexei Polikeff ist angekommen.«
Sie blickte ihn verständnißlos an.
»Verstellen Sie sich nicht!« rief er.
»Verstellen? Es ist keine Rede davon, daß ich mich verstelle.«
»Pah! Mir machen Sie nichts vor! Ich durchschaue Sie!«
»Aber ich bitte ganz unterthänigst; es ist wirklich so, wie ich sage.«
»So? Nun, ich will mich herablassen, Sie über sich selbst aufzuklären. Ich komme ganz plötzlich und unerwartet zu Ihnen; Sie wissen, was ich will, und um sich der betreffenden Schlinge wenigstens für einstweilen zu entziehen, wird mir gemeldet, daß die beiden Herren nicht daheim sind. Inzwischen aber haben sie sich heimlich aus dem Staube gemacht.«
»Daran ist nicht zu denken. Was Sie von meinem Manne wollen, weiß ich nicht. Ich kenne Sie nicht und habe auch niemals Ihren Namen gehört. Ich weiß nur, daß Sie die beiden Namen Rapnin und Saltikoff genannt haben. Daraus läßt sich freilich vermuthen, daß Sie über eine unserer Familienangelegenheiten unterrichtet sind, aber einen Grund für meinen Mann und meinen Sohn, sich heimlich aus dem Staube zu machen, wie Sie sich auszudrücken beliebten, kenne ich nicht und kann auch keinen einsehen oder errathen!«
Es war ihr anzusehen, daß sie die Wahrheit sprach. Auch der Graf erkannte das. Er fragte in weniger strengem Tone:
»So sind Sie nicht mit in jenes Geheimniß gezogen worden?«
»Ich weiß nicht, von welchem Geheimnisse Sie sprechen.«
»Hm! Ich will annehmen, daß Sie sich unmöglich so meisterhaft verstellen können und daß Sie also jetzt die Wahrheit sagen. Wann sahen Sie die beiden Herren zum letzten Male?«
»Gestern Abend, als wir vom Abendvergnügen heimkamen, begaben Beide sich nach der Expedition meines Mannes. Ich aber ging zur Ruhe. Ich habe natürlich angenommen, daß sie dasselbe auch gethan haben. Da nun in den beiden Schlafzimmern keinerlei Bewegung wahrgenommen worden ist, haben wir geglaubt, daß sie noch schlafen. Erst auf Ihre Weisung hin wurden die Zimmer betreten. Sie waren leer und während der Nacht unbenutzt.«
»Eigenthümlich! Ich glaube an kein Unglück, sondern an einen Zufall, welcher sich bald aufklären wird. Werden Sie mir erlauben, die Schlafzimmer einmal zu betreten? Ich spreche diesen Wunsch in Ihrem eigenen Interesse aus.«
Diese Worte sprach er in einem höflicheren Tone als vorher. Dennoch gab sie nicht sogleich die gewünschte Antwort. Darum fuhr er fort:
»Ich müßte sonst wirklich denken, daß hier eine Absicht vorliege, mich zu täuschen.«
Das nahm sie als eine halbe Beleidigung auf. Sie erwiderte:
»Ich bin natürlich bereit, mich einer jeden berechtigten, das heißt obrigkeitlichen Haussuchung zu unterwerfen. Sie aber sind mir leider vollständig fremd.«
Er lächelte beinahe impertinent, machte ihr eine ironische Verbeugung und sagte:
»Ganz wie Sie wollen! Ich kann mich natürlich nicht ohne Ihre gütige Erlaubniß in Ihre Gemächer drängen, bin also auch nicht im Stande, den für Sie unangenehmen Ereignissen, vor denen wir stehen, eine friedliche Lösung zu geben. Sie stellen sich auf den Kriegsfuß zu mir; gut, so mag der Kampf beginnen. Ich weiß vorher, daß Sie die Unterliegende sein werden.«
Das machte sie freilich besorgt.
»Von einem Kampfe ist keine Rede,« erklärte sie. »Ich wünsche mit Allen, mit denen ich zu verkehren habe, in Frieden zu leben. Sie aber haben mir den Verkehr mit Ihnen aufgezwungen, also trage nicht ich die Schuld, wenn Sie hier anders empfangen wurden, als Sie es beanspruchen zu wollen scheinen.«
»Sie sagen, daß von einem Kampfe keine Rede sei, und dennoch befinden wir uns bereits im schönsten Plänkler- oder Vorpostengefechte. Sie sollen, wie bereits gesagt, Ihren Willen haben. Der Sieg wird mir gehören, und Sie werden ihn mit der Absetzung des Herrn Kreishauptmannes bezahlen.«
Das erschreckte sie natürlich sehr.
»Was sagen Sie?« fragte sie. »Mein Mann abgesetzt?«
»Ja, wenn nämlich Ihr Mann früher Saltikoff hieß und sich jetzt Rapuin nennt.«
»Das ist allerdings der Fall.«
»So befinde ich mich also an der richtigen Adresse. Dennoch bin ich galant genug, Ihnen meine Gegenwart nicht aufzuzwingen. Ich verzichte auf Ihre Gastfreundschaft und ziehe mich zurück. Im Gasthofe werde ich bereitwilligere Aufnahme finden als hier, und Sie werden dann auch keine Berechtigung besitzen, irgend eine Bereitwilligkeit von mir zu erwarten. Leben Sie wohl!«
Er that, als ob er gehen wolle. Da aber stellte sie sich ihm in den Weg und sagte:
»Bitte, Graf, warten Sie noch. Ich ängstige mich bereits über das unerklärliche Verschwinden meines Mannes und Sohnes, und Sie verzehnfachen diese Angst durch die Drohungen, welche Sie gegen mich aussprechen. Erlauben Sie mir einige kurze Fragen?«
»Gern!«
»Sie kennen meinen Mann?«
»Ja.«
»Haben Sie in geschäftlicher oder auch amtlicher Beziehung zu ihm gestanden?«
»Beides.«
»Hat er dabei einen Fehler begangen?«
»Einen sehr bedeutenden sogar.«
»Doch nicht einen strafbaren?«
»Einen solchen, welcher mit dem Tode oder wenigstens lebenslänglicher Zwangsarbeit in den Bergwerken von Nertschinsk bestraft wird.«
»Herr, mein Gott!« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Täuschen Sie mich nicht?«
»Ich sage Ihnen die Wahrheit.«
»Hängt das, wovon Sie sprechen, mit der Veränderung unseres früheren Namens zusammen?«
»Sehr innig sogar.«
»Und sind die Folgen dieses Fehlers nicht noch zu umgehen?«
»Nur ganz allein mit meiner Hilfe. Ich bin der Einzige, der Ihren Mann retten kann, so daß er sogar in seiner jetzigen amtlichen Stellung verbleibt.«
»Dann bitte ich Sie dringend, sich ja nicht nach dem Gasthofe zu begeben. Unser ganzes Haus steht Ihnen zur Verfügung. Sie werden sehen, daß Sie uns höchst willkommen sind. Ich hoffe, daß Sie mir meine bisherige Aufregung verzeihen!«
Sie war plötzlich ungeheuer liebenswürdig geworden. Er machte ihr eine zustimmende Verbeugung und antwortete:
»Ich bin viel zu versöhnlichen Gemüthes, als daß ich nicht auf Ihren freundschaftlichen Vorschlag eingehen sollte. Ich nehme also Ihre Gastfreundschaft an.«
»So bemühen Sie sich mit mir nach den Gemächern, welche ich Ihnen anweisen werde. Freilich befinden wir uns hier in Sibirien, und ich kann Ihnen also nicht den Comfort bieten, den Sie sicherlich gewöhnt sind.«
Sie wollte aus der Thür schreiten; da wurde an dieselbe geklopft und ein Lieutenant trat ein. Er hatte es so eilig, daß er den Gruß vergaß, und erkundigte sich!
»Der Herr Rittmeister?«
»Ist nicht hier,« antwortete die Kreishauptmännin.
»Oder der Kreishauptmann?«
»Auch nicht anwesend.«
»Alle Teufel! Da befinde ich mich in einer schauderhaften Verlegenheit. Da draußen am Gefängnisse stehen zwei Posten, welche ich nicht ablösen kann, ohne den Herrn Kreishauptmann und den Herrn Rittmeister um die Erlaubniß dazu gebeten zu haben. Die beiden Herren haben den Posten den strengen Befehl ertheilt, nicht von der Stelle zu gehen, bis sie wiederkommen.«
»Gott sei Dank! Das giebt eine Spur!« rief die Frau. »Wann ist es gewesen, daß mein Mann und Sohn mit den Posten gesprochen haben?«
»Das weiß der Teufel! Ich habe die beiden Kerls ausfragen wollen, aber keine Antwort erhalten. Sie stehen vor einem neu ausgegrabenen Loche und sprechen nur immer von einem großen Frosche.«
»Und wo sind die beiden Herren hingegangen?«
»Auch das kann ich nicht erfahren.«
»Sie sind nämlich seit gestern Abend fort, und ich befinde mich in großer Angst um sie.«
»So wird doch nicht etwa ein Unglück geschehen sein. Haben Sie keine Ahnung, wohin sie sich begeben haben können?«
»Nicht die mindeste.«
»So muß man suchen.«
»Ich bitte sehr, dies sofort zu thun, und mich über das Resultat schnell zu benachrichtigen.«
Der Offizier entfernte sich, und die Frau führte den Graf und Gökala nach den für sie bestimmten Gastzimmern.
Als der Lieutenant unten aus dem Hause trat, waren drei Männer grad im Begriff, zur Thür herein zu kommen. Er machte ein finsteres Gesicht, denn Sam, Jim und Tim waren es. Er war gestern mit auf dem Tanz gewesen und hatte also auch Alles mit gesehen und gehört, was geschehen war.
»Was wollen Sie?« fuhr er sie an.
Der dicke Sam blickte ihm lächelnd in das Gesicht und fragte nun seinerseits:
»Wohnen Sie in diesem Hause?«
»Nein. Antworten Sie!«
»Ich pflege nur solchen Leuten zu antworten, welche eine Berechtigung zu der Frage haben oder wenigstens mich höflich fragen.«
»Ich habe die Berechtigung.«
»Das bezweifle ich. Sie wohnen nicht hier, und so kann es Ihnen sehr gleichgiltig sein, was wir hier wollen.«
»Ich bin Offizier!«
»Ich auch!«
»Dies ist das Regierungsgebäude!«
»Das weiß ich.«
»Und ich bin Regierungsbeamter. Also habe ich zu fragen.«
»So fragen Sie meinetwegen, so viel Sie wollen! Thun Sie sich diese Güte; eine Antwort aber werden Sie nicht erhalten.«
»Wissen Sie, daß ich sie mir erzwingen kann!«
»Hm! Sind hier die Offiziere zugleich Polizisten und Nacht- und Tagewächter?«
»Das geht Sie nichts an! Also ich verlange Antwort!«
Da machte nun Sam auch ein ernstes Gesicht und fuhr ihn an:
»Mensch, denkst Du vielleicht, wir seien gekommen, uns von einem Kosaken schulmeistern zu lassen! Das bilde Dir ja nicht ein! Wenn Du noch ein einziges unhöfliches Wort sagst, so schreibe ich meinem Freunde, dem Gouverneur von Ostsibirien. Der wird dann dafür sorgen, daß Du höflicher wirst!«
Das war die richtige Art und Weise, sich in Respect zu setzen. Der sibirische Kosak will angeschnauzt sein.
»Verzeihung, Väterchen!« bat der Lieutenant sogleich. »Ich habe nicht gewußt, daß der mächtige Gouverneur Dein Freund sei!«
»Du sollst auch ohnedies höflich sein. Wir wollen zum Kreishauptmann.«
»Den kannst Du nicht antreffen, denn er ist verschwunden, und wir müssen ihn uns erst suchen.«
»So gehen wir zu seinem Sohne, dem Rittmeister.«
»Der ist bei seinem Vater.«
»Also auch verschwunden?«
»Ja.«
»Wohin denn?«
»Das weiß kein Mensch. Wir werden es aber bald erfahren.«
»Hm! Vielleicht weiß ich, warum der Rittmeister verschwunden ist.«
»So! Das würde mir vielleicht einen Anhalt bieten.«
»Ja. Du wirst wissen, daß er mich beleidigt hat, und ich forderte ihn auf Flinten in einer Entfernung von fünfhundert Schritten. Das Duell sollte jetzt in der Frühe stattfinden. Alle Bewohner der Lagers draußen sind begierig, diesem Duelle als Zuschauer beizuwohnen. Sie befinden sich an Ort und Stelle, und auch ich habe gewartet, aber der Rittmeister ist nicht gekommen. Sollte er sich vielleicht aus Angst versteckt haben?«
»Angst? Ein Offizier hat keine Angst!«
»So! Nun er aber nicht kommt, denken die Leute, er habe Angst. Also ist es in seinem Interesse, daß wir ihn suchen, damit er sich von seinem Verdachte reinigen kann.«
»Du brauchst nicht zu suchen. Du würdest ihn doch nicht finden, denn Du bist hier ja nicht bekannt.«
»Das thut nichts. Ein Fremder hat oft ein schärferes Auge als ein Einheimischer. Was sind denn das für zwei Kerls, welche da drüben so steif stehen, als ob sie Spazierstöcke verschlungen hätten?«
Man konnte nämlich hier von der Thür aus die beiden Schatzgräber stehen sehen.
»Das sind die Wachtposten vor dem Gefängnisse.«
»Seit wann stehen sie da?«
»Seit gestern Abend.«
»Wer hat sie hingestellt?«
»Der Rittmeister selbst.«
»Nun, so wissen sie vielleicht, wohin er sich begeben hat. Sie können ja ganz gut bis hierher sehen. Vielleicht haben sie ihn bemerkt, als er das Regierungsgebäude verließ.«
»Ich habe sie bereits gefragt. Sie wissen es nicht.«
»Vielleicht hast Du nicht richtig gefragt. Ich war einst ein hochgestellter Gerichtsbeamter und habe gelernt, die Fragen so zu stellen, daß die Antworten, welche ich haben will, unbedingt kommen müssen.«
»So wollen wir hingehen.«
Sein Respect vor dem kleinen Dicken war plötzlich außerordentlich gewachsen. Ein Freund des Gouverneurs, dazu hoher Gerichtsbeamter gewesen! Das war sehr viel für das kleine sibirische Städtchen. Er ließ also die Drei vorausschreiten und ging höflich hinter ihnen her. Als sie bei den Posten ankamen, fragte Sam:
»Meine lieben Söhnchens, wißt Ihr, wo der Herr Rittmeister steckt?«
»Nein,« antwortete der Eine.
»Das ist schlimm, denn wenn Ihr es nicht sagen könnt, werdet Ihr die Knute bekommen. Ich rathe Euch also, Eure Köpfchen anzustrengen. Wer hat Euch denn hier hergestellt?«
»Unser Väterchen, der Rittmeister.«
»Dann ging er fort?«
»Ja.«
»Ist er wiedergekommen und brachte er Jemanden mit?«
»Ja, unser Väterchen, der Kreishauptmann.«
»Was wollten sie da?«
»Wir wissen es nicht.«
»Sie haben doch mit Euch gesprochen?«
»Allerdings.«
»Was denn?«
»Das wissen wir nicht mehr.«
Die beiden Posten standen in Achtung vor dem Kleinen. Sie befanden sich in der größten Verlegenheit, denn sie wußten nicht, ob es besser sei, zu schweigen anstatt zu erzählen. Um dies unterscheiden zu können, dazu reichten ihre armen Verstandeskräfte nicht aus. Sam fragte weiter:
»Sie müssen doch irgend Etwas gesagt haben, was Ihr Euch habt merken können! Uebrigens, zeig doch einmal her! Deine Jacke hat eine Menge Striemen und Schwielen. Du hast also Prügel erhalten. Von wem denn wohl?«
»Von dem Väterchen, dem Rittmeister.«
»Wann?«
»Gestern Abend.«
»Also als er mit seinem Vater hier war?«
»Ja.«
»Gut! So wissen wir doch wenigstens Einiges von Dem, was sie mit Euch gesprochen haben. Warum haben sie denn die Knute reden lassen?«
»Wegen dem Frosch.«
»Welchen Frosch?«
»Dem dicken.«
»Kinderchens, so kommen wir nicht weiter. Ich muß Euch ein jedes Wort abkaufen, und das erfordert doch gar zu viele Zeit und Geduld. Ich werde die Sache einmal anders anfangen.«
Er nahm die Peitsche, welche er hier in Sibirien bei sich trug, aus dem Gürtel, hob sie drohend empor und fragte:
»Was wollte der Frosch?«
»Er wollte uns den Schatz zeigen.«
»Schön! Seht Ihrs, die Peitsche macht Euch gesprächiger. Also einen Schatz hat er Euch zeigen wollen. Der hat wohl hier an dieser Stelle gelegen?«
»Ja.«
»Ihr habt ihn ausgraben wollen?«
»Und da kamen wohl gar die beiden Väterchen dazu?«
»Sie kamen dazu. Dann befahl uns das junge Väterchen, diesen Ort nicht eher zu verlassen, als bis er zurückgekehrt sei und es uns erlaubt habe. Wir stehen noch hier.«
»Ja, das sehe ich freilich. Er ist also gar nicht wiedergekommen?«
»Nein.«
»Wo mag er also sein?«
»Dort, wo er hingegangen ist.«
»Wißt Ihr das nicht?«
»Nein.«
»Alle Teufel! Ihr müßt doch die Richtung kennen, in welche die beiden Väterchen gegangen sind. Habt Ihr ihnen denn nicht nachgeblickt?«
»Nein. Wir mußten ja grad so stehen bleiben, wie wir standen.«
Da konnte Sam sich nicht mehr halten. Er brach in ein wieherndes Gelächter aus. Die dummen Gesichter dieser beiden Kerls, das nicht viel intelligentere des Lieutenants, die ganze Situation,, das war doch viel zu lächerlich, als daß man dabei hätte ernst bleiben können! Das waren ächt russische Soldaten: reine Maschinen, welche nicht denken können und grad da stehen bleiben, wohin sie gestellt worden sind. Dort lassen sie sich niederschießen, ohne zu muxen. Diese beiden Kerls hatten mit dem Rücken nach dem Gefängnisse gerichtet gestanden, als der Rittmeister mit seinem Vater von ihnen gegangen war, und weil sie den Befehl erhalten hatten, hier stehen zu bleiben, so hatten sie die ganze Nacht wie angenagelt ausgehalten, ohne sich zu bewegen. Sie hatten sich nicht ein einziges Mal umgedreht und also gar nicht gesehen, daß ihre Vorgesetzten zur Leiter emporgestiegen waren.
Jetzt nun sehen Sie den Dicken in starrer Verwunderung an, denn sie konnten sich sein Lachen gar nicht erklären. Es war doch gar nichts Lustiges hier geschehen oder geredet worden. Ueber diese Gesichter aber mußte er wieder und, wieder lachen, so daß es eine ziemliche Weile dauerte, ehe er seine nächste Frage aussprechen konnte.
Uebrigens war der Platz nicht mehr leer. Es hatten sich Leute eingefunden, zumeist Kosaken, welche neugierig waren, was hier verhandelt werde. Sie bildeten einen Kreis um die kleine Gruppe.
»Ihr wißt also nicht, wohin die Väterchen gegangen sind,« fuhr Sam fort. »Aber vielleicht werdet Ihr es uns doch sagen können, ohne daß Ihr es wollt. Spazieren sind sie nicht gegangen. So viel ist gewiß. Sie müssen einen bestimmten Zweck verfolgt haben. Wer einen Zweck hat, der hat auch die Mittel. Hatten sie denn irgend Etwas bei sich?«
»Ja, die Knuten.«
»Weiter nichts?«
»Die Laterne.«
»Ah, schön! Das ist von großer Wichtigkeit. Wer eine Laterne hat, der geht damit nicht über Land, sondern er will sich in der Nähe umsehen, sicherlich in einem Gebäude. Welches Gebäude aber liegt hier in der Nähe?«
Diese Frage war an den Lieutenant gerichtet. Er antwortete:
»Das Gefängniß.«
»Sie haben also in das Gefängniß gewollt. Ist Jemand darinnen?«
»Kosak Nummer Zehn.«
»So haben sie zu ihm gewollt. Sie sind inspiciren gegangen. Aber sie sind nicht zurückgekehrt. Das ist sehr auffällig. Es wird ihnen doch nichts geschehen sein! Ist der Kosak ein böser Kerl?«
»Er ist gut; aber der Rittmeister hatte ihn nicht lieb.«
»Das klingt gefährlich. Es steigt ein Verdacht in mir auf.«
»Heilige Katharina! Er wird sie doch nicht ermordet haben!«
»Es ist Alles möglich. Man muß sofort hin, um nachzuschauen.«
»Das darf man nicht.«
»Warum nicht?«
»Der Rittmeister hat es verboten. Er hat sich vorbehalten, ganz allein zu dem Gefangenen zu gehen. Kein Anderer darf zu ihm.«
Das war jedenfalls in einer bestimmten Absicht geschehen. Er hatte den Kosaken quälen wollen, ohne einen Zeugen bei sich zu haben.
»Aber hinein muß doch Jemand!« meinte Sam. »Die Väterchen sind zu dem Gefangenen gegangen und nicht zurückgekehrt. Sie sind also noch bei ihm. Wer weiß, was geschehen ist. Wenn sie sich in Noth und Gefahr befinden, und es kommt Niemand zu ihrer Rettung, so kannst Du sehr leicht eine Strafe erhalten. Wenn der Rittmeister abwesend ist, muß Du das Commando übernehmen.«
Dies leuchtete dem Lieutenant ein. Aber er bequemte sich nur zögernd und widerwillig, einen Schritt zu thun.
»Allein gehe ich nicht hin!« erklärte er. »Willst Du nicht lieber mit? Du bist doch der Freund des Gouverneurs!«
»Ja, ich werde mitgehen, und meine beiden Kameraden auch.«
Sie setzten sich in Bewegung, die Menge der Zuschauer hinter ihnen her. An dem Feuerwerksgebäude hielten sie an. Der Offizier überlegte es sich noch einmal, ob er es wagen dürfe, selbstständig zu handeln. Sam redete ihm zu, und nun stieg der Lieutenant langsam die Leiter empor.
Man muß hier bedenken, daß ein sibirischer Kosakenlieutenant in keiner Beziehung mit einem deutschen Offizier gleichen Ranges verglichen werden kann. So ein Kosak zeichnet sich aus durch den Mangel aller und jeder Bildung. Hat er es zu einem nothdürftigen Lesen gebracht, so ist es schon sehr gut. Versteht er nun gar einige unleserliche Zeilen zu schreiben, so gilt er bereits für einen gescheidten und sehr brauchbaren Menschen. Nur die Stabsoffiziere müssen eine Schule besucht haben. Von ihnen verlangt man freilich mehr, gar zu viel aber auch nicht.
Die Zuschauer standen in lautloser Erwartung von ferne. Einmal interessirten sie sich Alle außerordentlich für den Kosaken Nummer Zehn, den die fürstliche Prinzessin gestern so ausgezeichnet hatte und der so muthig gegen den Rittmeister gewesen war. Und nun kam dazu das geheimnißvolle Verschwinden der beiden bedeutendsten Männer der Stadt. Man stand jetzt vor der Aufklärung dieses Geheimnisses und war begierig, Zeuge derselben zu sein.
Der Lieutenant zog, als er die sechs oder sieben Sprossen hinaufgestiegen war, den Vorstecker heraus und öffnete die Thür, aber höchst vorsichtig und langsam, um ja nicht von irgend einem Unglücke überrascht zu werden. Er blickte hinein.
»Alle Heiligen!« schrie er auf.
»Was giebts?« fragte Sam.
Anstatt der Antwort sprang der Offizier mit einem einzigen Satze von oben herunter. Sein Gesicht war kreideweiß geworden, und er zitterte am ganzen Körper.
»Nun, was ist denn los?« fragte Sam.
Der Lieutenant stammelte etwas Unverständliches, als ob der Schreck ihm die Sprache geraubt habe.
»Deutlicher, deutlicher!« sagte Sam.
»De – de – der Teu – teu – teufel!« brüllte jetzt der Gefragte.
Sam that, als ob er so ein Ereigniß gar nicht für unmöglich halte.
»Ists wahr?« fragte er.
»Ja ja ja! Da da da oben!«
Dabei deutete der tapfere Offizier mit zitternder Hand hinauf nach der offenstehenden Thür. Die Menge drängte sich näher, um Alles deutlich zu hören.
»Irrst Du Dich nicht?« fragte der Dicke.
»Nein, nein! Ich seh es ganz deutlich. Es ist der Teufel, das Väterchen, mit dem Mütterchen, seiner Großmutter!«
»O Himmel! Es sind Zwei?«
»Ja, er und sie!«
»Der Teufel, das Väterchen, und das Mütterchen, seine Großmutter!« ertönte es im Halbkreise der neugierigen Zuschauer, und sofort zogen sie sich weit zurück.
»Fast möchte ich es nicht glauben,« meinte Sam.
»Sie sinds, sie sinds! Ich kann sogleich einen Schwur ablegen, daß sie es sind!«
»Leibhaftig?«
»Ja, grad aus der Hölle heraus!«
»Alle guten Geister – – –!«
»Loben ihren Meister! Gott schütze uns vor dem Verderben und der Verdammniß!«
»Wo befinden Sie sich denn?«
»Sie lehnen ganz gemächlich an den beiden Balken und schauen nach der Thür.«
»Thaten oder machten sie Etwas?«
»Nein. Sie bewegten die scheußlichen Körper, als ob sie Leibschneiden hätten, waren aber ganz still dabei.«
»Warum kommen sie da nicht vor die Thür oder gar herab zu uns?«
»Das weiß ich nicht. Wir wollen es aber auch nicht wünschen.«
»Vielleicht ist es gar nicht der Teufel!«
»O, es giebt gar keinen Zweifel!«
»Wie sehen sie denn aus?«
»Gräßlich! Ihre Haut war mit langen, stinkigen Haaren bewachsen. Es war schrecklich, es zu sehen.«
»Und sie haben Dir nichts gethan?«
»Nein, sonst ständ ich nicht hier.«
»Ich möchte sie mir auch ansehen.«
»Thue das nicht, um Gotteswillen nicht,« warnte der Offizier. »Es hat nicht Jeder einen solchen Muth wie ich. Du könntest sehr leicht vor Schreck sterben.«
»O, ich habe ein sehr zähes Leben, und den Teufel habe ich schon einige Male gesehen.«
»Und er hat Dir nichts gethan?«
»Nein. Aber er stank allemal ganz gehörig.«
»Der da droben auch.«
»Nach was roch er denn?«
»Nach Höllenstank und Schwefelpfuhl.«
»Sapperment, das muß ich mir auch einmal anriechen!«
Er setzte den Fuß an die Leiter.
»Halt! Hüte Dich!« rief der Lieutenant erschrocken. »Willst Du Deine ewige Seligkeit auf das Spiel setzen!«
»Die kann er mir nicht nehmen, denn ich bin in der Christnacht geboren worden.«
»Ja, wenn das ist, so bist Du freilich gefeit gegen alle Angriffe der Hölle. Also steig hinauf und siehe ihn Dir an!«
Sam kletterte empor. Der Anblick, welcher sich ihm bot, war allerdings ein derartiger, daß auch ein Anderer als ein ungebildeter und abergläubischer Kosak sich über denselben hätte entsetzen können. Zu seiner Beruhigung bemerkte er, daß die Beiden sich bewegten. Sie machten krampfhafte Anstrengungen, von den Stricken loszukommen. Sie hatten also an Leib und Leben keinen Schaden genommen.
Der Dicke that natürlich auch ganz so, als ob er außerordentlich erschrocken sei. Er stieß einen lauten Schrei aus und sprang von der Leiter herab.
»Ist Alles in Ordnung?« fragte Jim, und zwar in englischer Sprache, um von dem Offizier nicht verstanden zu werden.
»Alles. Sie bewegen sich. Schaden genommen haben sie also nicht.«
»Ich kann das Russische nicht verstehen. Was meint denn dieser Kosakenoffizier dazu. Er macht doch ein Gesicht, als ob er den Teufel gesehen hätte.«
»Das denkt er auch. Er hält sie für den Teufel und seine Großmutter.«
»Nicht übel! Sehen sie denn gar so schrecklich aus?«
»Zum Anbeißen allerdings nicht.«
»Aber er muß sie doch gleich erkennen, wenn er genau hinsieht. Wir haben ihnen ja die Gesichter frei gelassen.«
»Das macht der Schreck. Ich habe sie sogleich erkannt, wenn die Gesichter auch nicht vor allzu großer Reinlichkeit erglänzten; Ihren Theil von dem Theer und Werg haben sie doch wegbekommen.«
»Ich möchte sie mir doch auch einmal betrachten. Du nicht auch, Tim?«
»Natürlich! Der Meister wird sich doch sein Werk besehen dürfen. Oder sollen wir es lieber lassen, Sam?«
»Schaut immerhin einmal hinauf. Aber Ihr müßt auch so thun, als ob Ihr erschrocken wäret.«
Beide stiegen nach einander hinauf und kamen mit allen Anzeichen eines heftigen Schreckes wieder herab.
»Deine Freunde sind ebenso muthig wie Du und ich,« sagte der Kosak. »Was meinen sie dazu?«
»Sie meinen auch, daß es der Teufel ist mit seiner Großmutter.«
»Du mußt sagen Väterchen und Mütterchen, denn das hören sie gern und bekommen gute Laune. Wer aber nicht höflich mit ihnen ist, dem werden sie gehässig und spielen ihm allerlei Schabernack. Was aber ist nun zu thun?«
»Das ist Deine Sache. Der Kreishauptmann fehlt, sein Sohn auch, und so bist Du wohl nun auch der Gebieter dieser Stadt.«
»Jawohl!« antwortete der Lieutenant stolz. »Ich bin aber bereit, Deinen Rath anzuhören.«
»Es fragt sich hier nur um Zweierlei: Willst Du sie drin lassen oder sollen sie heraus?«
»Am Besten ists, sie müssen fort.«
»Ja, das ist richtig. Aber wie willst Du das anfangen?«
»Darüber zerbreche ich mir den Kopf nicht. Ich laß den Popen kommen. Der ist der Geistliche und wird schon wissen, wie man dem Teufel einen Schreck einjagt.«
»Ja, Du hast sehr Recht. Wir sind Laien, und wenn wir uns auch selbst vor dem Teufel nicht fürchten, so wissen wir doch nicht, was wir mit ihm anfangen sollen. Wir könnten leicht einen Fehler machen, und dann hätten wir ihn für immer auf dem Halse. Also sende schnell nach dem Popen, und sage den guten Leuten hier, um was es sich handelt. Ist es wirklich der Satanas mit seiner Großmutter, so weiß ein Geistlicher am Allerbesten, wie er herauszubekommen ist und wie wir uns seiner entledigen können. Also schicke schnell fort, damit nicht indessen ein Unheil geschieht. Der Bote mag laufen, so schnell wie er kann.«
Dieser Vorschlag wurde angenommen und auch sofort ausgeführt. Der Kosakenunteroffizier mußte eiligst den Popen aufsuchen und ihm mittheilen, was geschehen war. Dann kehrte er zurück und meldete, daß der geistliche Herr sofort erscheinen werde.
Die Anwesenden erwarteten den Genannten mit ungeheurer Spannung. Die anwesenden Griechischkatholischen waren, wohl mit alleiniger Ausnahme des Grafen, wirklich überzeugt, daß es sich um den bösen Geist der Hölle handele. Viele von ihnen waren mit dem Boten fortgelaufen, doch nicht zum Popen, sondern um den Ihrigen und auch Anderen, die noch nichts von dem Vorkommnisse wußten, die große und ebenso erschreckende wie hochinteressante Nachricht zu bringen, daß der leibhaftige Satanas sich mit seiner ebenso leibhaftigen Großmutter im Feuerwerksgebäude befinde.
Diese Kunde wurde mit ungeheurer Schnelligkeit weiter getragen. Sie verbreitete sich auch rasch draußen auf dem Jahrmarktsplatze, und so kam es, daß Russen, Kosaken, Ostjaken, Wogulen, Samojeden, Tungusen, Sojoten, Kalmüken, Buräten, Tataren, Karakirgisen, Kirgiskaisaken, Bucharen, Jakuten, Tschuktschen, Korjäken, Giljaken, Jukahiren und wie die Völkerschaften, zu diese Leute gehörten, alle heißen mögen, in höchster Aufregung nach dem Platze vor dem Feuerwerksgebäude strömten, um bei der Teufelsbannung zugegen zu sein.
Da kam eine solche Menge Volkes zusammen, daß diese Leute Brust an Rücken gedrängt eng zusammen standen. Kein Apfel hätte zur Erde fallen können. Selbst diejenigen unter ihnen, welche keine Christen waren, obgleich sie officiel zum Christenthume gehörten, auch die Anhänger des Lamaismus und Buddhaismus, waren von einer heiligen Furcht erfüllt. Sie theilten sich ihre verschiedenen Ansichten darüber mit, was der Teufel thun werde. Höchst wahrscheinlich fuhr er in Einen von ihnen. Auch stand mit Gewißheit zu erwarten, daß seine Großmutter in eine der anwesenden alten Frauen fahren werde. Jeder aber dachte, daß er der Betreffende nicht sein werde, und so wurde die Ankunft des Popen zwar mit scheuer Spannung aber doch in frommer Ruhe erwartet.
Der geistliche Herr hatte es für nothwendig gehalten, zu dem schwierigen Werke gewisse ebenso nothwendige wie umfassende Vorbereitungen zu treffen. Er selbst hatte zwar während seiner ganzen langjährigen Amtsthätigkeit den Teufel noch nicht ein einziges Mal gesehen, aber in alten, vergilbten Büchern und Handschriften war er Anweisungen über das Austreiben und Bannen des Satanas begegnet. Jetzt schlug er nach und fand, was er suchte, eine kurze Anweisung, wie der Teufel zu zähmen sei wie ein wildes Thier, welches dein Bändiger Gehorsam leistet, obgleich diese Folgsamkeit ganz und gar gegen seine ursprüngliche Natur ist.
Er las diesen Aufsatz einige Male durch, steckte dann das Buch in die Tasche seines geistlichen Gewandes, griff zu Bibel und Crucifix und machte sich auf den Weg.
Gar sehr wohl zu Muthe war ihm freilich nicht. Wer kann sich auf den Teufel verlassen, zumal wenn derselbe seine Großmutter bei sich hat, von welcher in dem Buche gar nichts stand. Man kann dabei Leben und Seligkeit riskiren. Und darum nahm der Pope sich vor, mit der außerordentlichsten Vorsicht zu verfahren.
Als er auf dem Platze ankam und die Menschenmenge erblickte, welche ihm ehrfurchtsvoll Platz machte, hatte er das Gefühl, als ob er die Seekrankheit habe. Und je weiter er sich dem Feuerwerkshause näherte, desto schlimmer wurde es ihm im Sinne. Der Teufel hole den Teufel!
Seine Beine begannen zu zittern; es sauste ihm vor den Ohren, und vor den Augen war es ihm, als ob er lauter rothe Wolken sähe, durch welche stechende Blitze zuckten.
So kam er bei der Gruppe an, welche von dem Grafen, dem Offizier und den drei Prairiejägern gebildet wurden. Diese drei Letzteren hatten sich in einer kleinen Entfernung von den beiden Erstgenannten gehalten. Der Graf kam ihnen so wenig sympathisch vor, daß sie es für besser hielten, nicht mit ihm in ein Gespräch verwickelt zu werden.
Auch er hatte ihnen keine große Beachtung geschenkt, so schien es wenigstens. Jetzt trat er dem nahenden Popen entgegen, freilich nicht in der Art eines Mannes, welcher vor einem Geistlichen und dessen Amte große Ehrfurcht empfindet, und sagte in einem mehr strengen als höflichen Tone:
»Warum kommst Du so spät?«
Der Pope war gewohnt, hier mit größter Hochachtung behandelt zu werden. Er blickte den Frager erstaunt an und antwortete:
»Wer bist Du?«
»Einer, dem Du zu gehorchen hast.«
»Ich kenne Dich nicht.«
Da erklärte ihm der Lieutenant:
»Dieser hohe Herr ist der Graf von Polikoff, welcher die Liebe des Zaren genießt, den Gott segnen möge.«
Darauf entschuldigte sich der Pope, nachdem er eine tiefe Verneigung gemacht hatte:
»Verzeihung, mein hohes Väterchen! Das habe ich leider nicht gewußt.«
Der Graf nahm eine stolze, selbstbewußte Haltung an und meinte
»Dir soll für dieses Mal verziehen sein; aber wir haben bereits vor weit über drei Viertelstunden zu Dir gesandt, und ich will wissen, warum Du erst jetzt kommst.«
»Ich hatte noch Vorbereitungen zu treffen.«
»Du hattest Deinen Talar umzulegen, weiter nichts. Das konnte in fünf Minuten geschehen sein.«
»Meinst Du, daß der Teufel nur vor meinem Talare weicht?«
»Ich hoffe es.«
»O nein!«
»Er ist doch geweiht!«
»Das genügt nicht. Ich habe mich zu reinigen, um ohne Fehl vor ihm zu erscheinen.«
»Warst Du so schmutzig?«
Der Pope hatte freilich noch jetzt ganz das Aussehen, als ob er sich seit einigen Monaten nicht gewaschen habe. In Sibirien verhält man sich leider so, als ob das Wasser Gift sei und ein Pfund Seife eine ganze Million koste. Dennoch antwortete der Geistliche im Tone der tiefsten Kränkung:
»Wie kannst Du so fragen, Väterchen. Ich wasche mich täglich zu sieben Malen, denn sieben ist eine heilige Zahl.«
»Ja, das sieht man Dir an. Aber wann Du Dich so sehr oft wäschest, so konnte Deine jetzige Reinigung unmöglich eine so lange Zeit erfordern.«
»Ich hatte außerdem in alten Büchern nachzuschlagen, um die richtige Beschwörungsformel zu finden.«
»Hast Du sie denn nun?«
»Ja, ich habe sie!«
»Nun, so kannst Du ja beginnen.«
»Gleich. Aber wo befindet sich der Teufel mit seiner Großmutter? Wie sehen Beide aus, und wie haben sie sich bisher verhalten?«
Es wurde ihm Alles ausführlich mitgetheilt, und dann sagte der Graf:
»Du wirst ihn Dir natürlich erst einmal ansehen müssen.«
Der Pope machte eine schnelle Bewegung des Schreckes und der Abwehr.
»Welch ein Gedanke! Welch ein Gedanke! Das ist nicht nöthig; nein, das ist nicht nöthig!«
»Warum nicht?«
»Das weiß ich nicht, aber ebenso wenig weiß ich, warum es nothwendig sein sollte.«
»Weil man den Feind sehen muß, gegen den man kämpft.«
»O nein, nein! Ich mag ihn nicht sehen. Ich kann mir denken, daß er ein gräuliches Aussehen haben muß?«
»So fürchtest Du Dich?«
»Wer sollte sich nicht vor dem Teufel fürchten, Väterchen!«
»Ein Diener Gottes darf den Satan nicht scheuen, und wenn er ihn scheut, so ist er nicht würdig, sein Amt zu bekleiden!«
»Du sprichst zu streng.«
»Nein. Christus hat sich auch nicht gescheut, weder vor dem Tode noch vor dem Teufel. Er ist Euer Vorbild, dem Ihr nachzufolgen habt. Wenn Du Dich fürchtest, so werde ich Dich anzeigen. Der Protopope mag dann kommen, um Dich schimpflich Deines Amtes zu entsetzen.«
»Heiliger Martinius! Eine solche Strenge habe ich nicht verdient!«
»Lamentire nicht! Wirst Du Dir den Teufel ansehen oder nicht?«
»Zwinge mich nicht dazu! Er geht ja umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge, so steht es in dem Buche der Bücher geschrieben.«
»Und in den Verordnungen des Zaren steht nicht nur geschrieben, sondern sogar gedruckt, daß ein unwürdiger Diener seines Amtes enthoben werden muß!«
Dem Popen trat der Angstschweiß auf die Stirn. Der Offizier versuchte, ihm Muth zu machen, indem er in aufmunterndem Tone sagte:
»Fürchte Dich nicht, frommes Väterchen! Auch wir haben ihn uns angesehen.«
»Ohne Schaden zu nehmen an Eurem Leibe?«
»Er hat uns nichts gethan. Versuche es nur!«
»Ja, ich! Das ist etwas ganz Anderes. Ihr könnt ihm nichts anhaben. Darum hat er Euch gar nicht beachtet. Ich aber bin sein persönlicher Feind. Ich soll ihn bannen. Ich soll ihn in die Hölle zurücktreiben. Darum wird er sich gegen mich ganz anders verhalten als gegen Euch. Ihr habt gut reden!«
»Gut, so werden wir nicht mehr reden, sondern handeln,« sagte der Graf. »Mag also der Teufel in dem Hause bleiben. Wir wollen fortgehen; ich aber werde diesen ungetreuen Diener der christlichen Kirche sofort zur Anzeige bringen.«
Er wendete sich um, als ob er gehen wolle. Da wurde dem Popen angst. Er rief:
»Bleib, bleib, hohes Väterchen! Wenn Du denkst, daß es meine Pflicht ist, so werde ich ihn mir ansehen.«
»Natürlich ist es Deine Pflicht. Aber stelle meine Geduld nicht länger auf die Probe! Ich entferne mich, wenn Du nicht augenblicklich beginnst.«
»Ich gehe ja schon!«
Er nahm die lange Mütze vom Kopfe, um sich den Schweiß vom kahlen Schädel zu trocknen, setzte sie dann wieder auf und schritt langsam und zagend auf die Leiter zu.
Leise Gebete murmelnd trat er auf die erste Stufe. Es dauerte fast eine Minute, ehe er den Fuß auf die zweite setzte.
»Vorwärts! Schnell!« rief der Graf.
»Ich steige ja schon! Ich steige!«
»Aber rascher! Sonst helfe ich!«
Der Graf trat näher, und das trieb dem Popen eine solche Bangigkeit ein, daß er gleich mehrere Stufen emporstieg. Seine Stirn befand sich jetzt in gleicher Höhe mit der unteren Thürlinie. Jetzt hob er die Bibel empor, um sie dem Teufel zu zeigen.
»Siehst Du das heilige Buch?« fragte er.
Ein stöhnendes Röcheln antwortete.
»Es ist mein Schutz und Schirm. Denke nicht etwa, daß Du mir Etwas anhaben kannst, wenn ich die Bibel bei mir habe!«
Es grunzte drinnen, was er für eine zustimmende Antwort nahm. Das gab ihm so viel Muth, daß er noch eine Stufe höher stieg. Jetzt nun konnte er in das Innere des Raumes blicken. Er sah hinein erkannte die beiden Gestalten.
»Helft mir, Ihr Engel des Himmels, helft!«
Mit diesem lauten Angstschrei ließ er die Bibel fallen und rutschte von der Leiter herab, so daß er mit breit ausgestreckten Beinen auf den Erdboden zu sitzen kam.
»Memme!« rief der Graf.
»Schrecklich, schrecklich!« stöhnte der Pope.
»Du bist ein Hase!«
»Nein, ich bin ein muthiger Mann: aber so Etwas ist entsetzlich!«
»Wirst Du sofort wieder hinaufsteigen! Aber gleich!«
Da raffte sich der Pope vom Boden auf, ergriff die neben ihm liegende Bibel und antwortete in flehendem Tone:
»Verlange nicht zu viel von mir, Väterchen! Du hast mir befohlen, daß ich mir den Teufel ansehen soll, und das habe ich doch auch gethan!«
»Hat er auch Dich gesehen?«
»Ja.«
»Was sagte er?«
»Er macht mir eine höllische Grimasse, ließ einen infernalischen Gestank fahren und brummte mich drohend an.«
»Das hat er bei uns auch gethan. Damit kommen wir aber nicht weiter!«
»O doch! Ich werde ja nun meine Beschwörung beginnen.«
»So siehe zu, daß sie von gutem Erfolge sei, sonst helfe ich nach!«
Er trat mit den Anderen zurück.
Der Pope versuchte, sich zu fassen. Er nahm die Bibel unter den Arm und schlug das alte Zauberbuch auf. Halblaut aus demselben vorlesend, schritt er dreimal um das Haus und machte, so oft er an eine Ecke desselben kam, das Zeichen des Kreuzes. Gegenüber der offenen Thür aber schlug er drei Kreuze.
Als er dann nach der dritten Runde wieder vor der Treppe stand, begann er mit lauter Stimme die Beschwörungsformel zu sprechen.
Die anwesende Menge hörte mit frommem Schauder zu. Was würde nun geschehen? Der Pope hatte geendet.
»Komm heraus!« gebot er jetzt.
Aber er wich sehr vorsichtig eine ganze Strecke zurück. Der Teufel kam nicht, seine Großmutter noch weniger.
»Ich befehle Dir: Komme heraus!«
Auch dieser Ruf blieb ohne Erfolg.
»Ich befehle Dir zum dritten und letzten Male: Komme heraus!«
Es schien der höllischen Mutter sammt ihrem Sohne in dem Hause zu gefallen.
»Frommes Väterchen, warum soll er denn herauskommen?« fragte der Kosakenoffizier den Popen.
»Damit ich ihm dann befehlen kann, zu verschwinden.«
»Das kannst Du doch auch jetzt, ohne ihn vorher erscheinen zu lassen.«
»Es steht aber so in meinem Buche hier. Und schau – – Herrgott! Er gehorcht! Er kommt!«
Die beiden Gefangenen hatten natürlich eine geradezu entsetzliche Nacht gehabt. Als es Tag wurde, hofften sie, aus ihrer Lage befreit zu werden, doch vergebens. Dann später hörten sie endlich Leute kommen. Sie sahen Diejenigen, welche die Thür öffneten und hereinblickten. Aber diese verschwanden wieder, ohne Hilfe zu bringen.
Da bemächtigte sich des Rittmeisters eine fürchterliche Wuth. Er zerrte an seinen Fesseln, daß seine Flechsen und Muskeln zu zerreißen drohten. Die Stricke lockerten sich.
Da blickte der Pope herein, die Bibel in der Hand, stürzte aber auch vor Schreck von der Leiter herab. Jetzt wurde die Wuth des Rittmeisters zum fast wahnsinnigen Grimme. Er zerrte, zog und riß mit aller Gewalt – es gelang; er bekam doch wenigstens einen Arm frei.
Nun riß er sich vor allen Dingen den Knebel aus dem Munde, damit er athmen konnte. Die frische Luft gab ihm neue Lebenskraft. Er brachte auch den anderen Arm frei, und nun war es nicht sehr schwer, auch die anderen Stricke zu entfernen.
Er reckte und dehnte seine Glieder, die ihm in Folge der Fesselung wie gelähmt waren.
»Himmeldonnerwetter!« fluchte er. »Das war eine Nacht, eine – –«
Er hielt inne. Ein lautes Stöhnen machte ihn darauf aufmerksam, daß auch sein Vater frei sein wolle.
»Gleich, gleich!« sagte er.
Er begann, ihm die Fesseln zu lösen, nachdem er ihm den Knebel aus dem Munde gezogen hatte.
»Endlich, endlich!« stöhnte der Kreishauptmann. »Fast wäre ich erstickt!«
»Ich auch. Komm!«
Er ergriff ihn beim Arme.
»Wohin?«
»Nach Hause.«
»Das ist ja unmöglich.«
»Warum?«
»Man sieht uns ja!«
»Aber hier können wir auch nicht bleiben. Vielleicht giebt es nicht viel Menschen draußen.«
Er trat einige Schritte vor, um hinaus zu lugen, fuhr aber erschrocken zurück.
»Alle Millionen Teufel! Sind sie verrückt?«
»Wer?«
»Die ganzen Bewohner der Stadt und des Zeltdorfes stehen draußen.«
»Wer hat sie hergerufen?«
»Das weiß der Satan!«
»Ich werde ihnen befehlen, sich nach Hause zu scheeren.«
Er wollte vor an die Thür, aber sein Sohn hielt ihn zurück.
»Halt! Wo denkst Du hin! Da merken sie es ja, daß wir es sind.«
»Das werden sie auf jeden Fall erfahren.«
»Nein. Wenn wir es klug anfangen, können wir es vielleicht noch vertuschen.«
»Daran glaube ich nicht. Dieses verdammte Volk wird nicht eher von dannen weichen, als bis man weiß, wer wir sind.«
»Nein. Rufen wir einen Bekannten herauf!«
Er trat wieder vor, aber vorsichtig, von der Seite, um nicht gesehen zu werden. Da lugte er hinaus.
»Dort steht der Lieutenant,« sagte er, »neben den drei verfluchten Fremden und – – es ist noch ein Vierter dabei, der mir außerordentlich bekannt vorkommt. Alle Wetter! Ists möglich!«
»Was?« fragte sein Vater, indem er auch näher trat.
»Siehe den Herrn, welcher neben dem Lieutenant steht! Kennst Du ihn?«
Der Kreishauptmann blickte in die angedeutete Richtung.
»Der Graf!« sagte er erschrocken.
»Ja, es ist Polikeff.«
»Was will der hier?«
»Wer kann das wissen!«
»Gerad heut, in diesem Augenblicke! Er darf uns in einer solchen Lage nicht sehen!«
»Unmöglich.«
»Aber wie fortkommen! Durch diese Menschenmenge! Und keiner von diesen Hallunken wird sich entfernen, bevor er erfahren hat, wer wir sind!'«
»Wir bleiben am Besten hier bis – – ah, wer kommt da?«
»Der Pope.«
»Er bleibt stehen und macht drei Kreuze. Alle Teufel! Man hält uns für böse Geister!«
»Vielleicht gar für den Teufel selbst!«
»Natürlich! Daran ist gar kein Zweifel. Der Pope soll uns beschwören, also ist es gewiß, daß man uns für Höllengeister hält.«
»Wir sehen allerdings auch ganz darnach aus! Aber das bringt mich auf einen Gedanken.«
»Wenn es nur einer ist, der uns Hilfe giebt.«
»Ein solcher ist es allerdings.«
»Dann heraus damit!«
»Ich denke nämlich, wenn wir jetzt hinaussteigen und gerad auf das Volk losrennen, so reißt Alles aus.«
»Du, das ist möglich. Wollen wir?«
»Wenn Du denkst?«
»Es bleibt uns nichts Anderes übrig. Sind wir einmal daheim in unserem Hause, so können wir den Leuten ein X für ein U vormachen.«
»Schön! Also vorwärts?«
»So komm!«
Er trat vor, und der Andere folgte ihm.
Sie hatten geglaubt, während der Beobachtung, welche sie angestellt hatten, nicht bemerkt worden zu sein. Das war aber ein Irrthum. Der dicke Sam hatte doch den Theil des Gesichtes gesehen, welches ein Jeder, der um eine Ecke blicken will, bloß geben muß.
Ueberhaupt hatte er noch außerdem eine für ihn sehr wichtige Beobachtung gemacht. Der Lieutenant hatte dem Popen den Namen des Grafen gesagt, und Sam hatte das gehört.
»Der Kerl heißt Polikeff und ist ein Graf,« flüsterte er seinen beiden Gefährten zu. »Ist dieser Name Euch bekannt?«
»Hm!« antwortete Jim. »Gehört habe ich diesen Namen schon.«
»Ich auch,« meinte Tim.
»Aber wo?«
»Ich glaube, Steinbach hat ihn genannt.«
»Ja, ganz gewiß!« nickte Sam. »Ich erinnere mich, daß er mit Herrn Adlerhorst von Konstantinopel sprach. Da kam dieser Name vor.«
»Ganz richtig! Polikeff! Der Kerl hatte eine Gefangene bei sich. Wie war doch nur ihr Name?«
»Gökala, wenn ich mich nicht irre.«
»Ja, Gökala. Nena, der Indier, hat den Namen auch genannt. Sie soll eine Herzogstochter sein, und Steinbach sucht ja ihren Vater hier. Donner und Doria! Wenn das dieser Graf wäre! Das wäre ja ein Fund, der gar nicht werthvoller sein könnte!«
»Natürlich! Lassen wir den Kerl also nicht aus den Augen!«
»Er soll mir nicht entgehen. Aber schaut! Ich glaube, der Teufel hat sich seiner Fesseln entledigt. Da oben guckt er heimlich herab.«
»Wahrhaftig!«
»Ist mir lieb. Nun wird das Theater beginnen. Ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß die beiden Kerls herabkommen.«
»Werden sich hüten,« meinte Jim.
»Und Du wirst Dich irren.«
»Sie werden doch nicht so dumm sein und dieser Menschheit wissen lassen, wer sie sind!«
»Das wird man gerad dann erfahren, wenn sie oben bleiben. Kommen sie aber herab, so reißt voraussichtlich Alles aus. Ich wette – – – hm! Hört, ich will Euch Etwas sagen: Ich trolle mich fort.«
»Wohin.«
»Ins Regierungsgebäude.«
»Ich möchte wissen, wozu und weshalb.«
»Ich habe so meine eigenen Gedanken. Dort in diesem Gebäude wird das Theater zum Abschlusse kommen, und ich möchte das Ende belauschen. Die Anwesenheit dieses Grafen giebt mir zu denken.«
»Aber wie willst Du es anfangen, dort den Lauscher zu machen?«
»Das weiß ich noch nicht. Also, ich drücke mich.«
Gerad jetzt stellte sich der Pope vor die Treppe hin und gebot dem Teufel, zu erscheinen.
Sam schlich sich fort, um die dicht zusammengedrängte Menge herum und ging schnell nach dem Regierungsgebäude. Kein Mensch achtete auf ihn. Er gelangte ganz unbemerkt an sein Ziel.
Wenn seine Vermuthung richtig war, nämlich daß die beiden Teufels aus dem Feuerwerkshause kommen würden, so stand zu erwarten, daß sie ganz natürlich nach ihrer Wohnung laufen und da die Thür hinter sich verschließen würden, damit kein Unberufener hereindringen könne. Also galt es für Sam zunächst, im Hause einen Ort zu finden, an welchem er wenigstens vorerst nicht bemerkt werden konnte.
Als er eingetreten war, sah er sich um. Da gab es ihm zur Rechten eine Thür, an welcher das russische Wort für den deutschen Ausdruck ›Keller‹ zu lesen stand.
In diesem Augenblicke aber erhob sich auch bereits ein fürchterliches Geschrei draußen.
»Ah!« schmunzelte der Dicke. »Sie kommen. Meine Ansicht war also doch richtig. Ich habe nicht einmal Zeit, mich nach einem anderen Verstecke umzusehen. Ich muß in den Keller.«
Es steckte glücklicher Weise der Schlüssel im Schlosse. Er schloß auf und trat hinein. Eine Reihe Stufen führte hinab. Er blieb auf der ersten stehen und untersuchte das Schloß. Es bestand nur in einem eisernen Riegel, welcher durch den Schlüssel hin und her bewegt wurde. Man konnte also auch von innen aufschließen.
»Schön! Das ist beruhigend,« nickte er.
Er schob den Riegel zu und lauschte.
Das Geschrei schien sich zu nähern. Zugleich aber ertönten eilige Schritte, und die Hausthür wurde aufgerissen. Eine keuchende Stimme sagte:
»Schließ zu! Es darf kein Mensch herein!«
Der Riegel der Hausthür knarrte, und eine andere Stimme sagte:
»Aber hinauf in die Stube können wir doch auch nicht.«
»Warum?«
»In diesem Aufzuge! Das Gesinde darf uns ja nicht sehen.«
»Hast Recht. Ich muß die Mutter rufen.«
Er eilte nach der Treppe und rief:
»Natalia, Natalia!«
Der Ruf war oben gehört worden, denn es antwortete von oben:
»Was giebts?«
»Schnell herab! Ich bin es. Aber kein Gesinde darf kommen!«
»Gleich, gleich!«
Trotz des Lärmens, welcher draußen auf der Straße tobte, hörte Sam doch bald Schritte, welche zur Treppe herab nach dem Flur kamen. Dann ertönte ein Schrei des Schreckes.
»Alle heiligen Nothhelfer! Der Teufel!«
»Unsinn! Ich bin es. Ich und Iwan!«
»Mein Heiland! Ihr! Was ist mit Euch!«
»Wirst es nachher erfahren. Wir können uns so nicht sehen lassen. Wir müssen in den Keller.«
»Kommt doch herauf!«
»Das geht nicht. Den Theer bringen wir nur mit Petroleum oder Kienöl weg, und Beides befindet sich im Keller. Bring zwei andere Anzüge herab und Wasser, auch Licht. Aber lasse keinen Menschen ins Haus!«
»Auch den Grafen nicht? Er sucht Euch.«
»Der Teufel soll ihn holen!«
»Was habt Ihr mit ihm? Er sprach davon, daß er Dich absetzen lassen will.«
»Hat er denn eine Macht über Euch?«
»Nein. Aber weißt Du, es ist besser, Du bist höflich gegen ihn und lässest ihn herein. Aber ja nicht zu uns in den Keller. Also Licht, Wasser und Anzüge! Schnell! Wir warten hier! Hast Du uns denn nicht kommen sehen?«
»Nein. Ich war einen Augenblick lang in der Küche. Ich hörte freilich, daß der Teufel – – ah! Seid Ihr etwa diese Teufels gewesen?«
»Ja. Aber nun lauf, lauf!«
»Wartet! Ich komme gleich!«
Sie eilte wieder die Treppe empor.
»Alle Wetter!« dachte Sam. »Da sitze ich in der Patsche! Was thue ich? Na, vielleicht ists grad gut. Ich muß hinab. Ein Glück ists für mich, daß sie da warten wollen, bis die Lady zurückkehrt.«
Er tappte sich leise die Stufen des Kellers hinab. Unten angekommen, brannte er einige Hölzchen nach einander an, um sich zu orientiren.
Der Keller war nicht groß. Er enthielt eine Anzahl Fässer von verschiedener Größe, wahrscheinlich auch verschiedenen Inhaltes, mehrere andere Gegenstände, wie man sie im Keller aufzubewahren pflegt, und vorn, der Thüre gegenüber eine hölzerne Stellage, auf welcher Weinflaschen lagen.
Diese Stellage stand nicht direct an der Mauer, sondern quer vor der Ecke, in welcher ein kleines Fäßchen lag.
»Dort hinein!« lachte Sam. »Besser kann es ja gar nicht passen.«
Er huschte trotz seiner Dickheit hinter die Stellage und setzte sich auf das kleine Faß. Er konnte da gar nicht gesehen werden, außer wenn man geradezu in den Winkel kroch, um das Faß herausholen zu wollen.
Kaum hatte er dort Platz genommen, so wurde oben die Thür geöffnet. Der Kreishauptmann und der Rittmeister kamen herab, gefolgt von der Kreishauptmännin, welche ihnen leuchtete. Sie trug außerdem einen großen Wasserkrug, während die beiden Männer die verlangten Kleidungsstücke in den Armen hatten und auf die Fässer legten, als sie unten angekommen waren.
Sie setzte das Licht in eine Mauernische, den Krug auf den Boden und fragte:
»Aber was habt Ihr nur um Gotteswillen gemacht? Das ist ja fürchterlich!«
»Schweig jetzt!« gebot ihr Mann. »Du wirst es schon erfahren.«
»Wo habt Ihr seid gestern gesteckt?«
»Frag jetzt nicht. Geh lieber nach oben, und sorge dafür, daß wir hier nicht gestört werden. Marsch fort!«
Sie ging jammernd die Treppe hinan, die Thür oben verschließend.
Nun begannen die Beiden, sich ihrer stinkenden Hüllen zu entledigen, wobei es freilich nicht an Flüchen und Schimpfreden fehlte.
»Daß mir Das passiren muß!« sagte der Kreishauptmann. »Wenn man es erfährt, so bin ich blamirt in alle Ewigkeit!«
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