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76

Sie kletterten und stiegen abwärts. Es ging sehr steil hinunter, und das Gestein war loskörnig und locker. Dennoch löste sich nicht ein einziges Steinchen unter ihren Stiefeln, um zur Tiefe zu kollern und ihre Anwesenheit zu verrathen.

Andere Personen hätten eine ganze Lawine von Steinen hinabgetreten. Diese drei Prairiejäger aber verstanden es vortrefflich, auf jeder Art von Boden so zu gehen, daß sie sich nicht verrathen konnten.

Endlich kamen sie unten an. Sie standen eng an einander gedrängt an einem ganz dünnen Felsenstück, welches eine, kaum eine Elle dicke und vielleicht acht Ellen hohe Wand bildete, auf deren anderer Seite sich der Rittmeister mit seinen Leuten befand. Wie Sam vorausgesagt hatte, konnte man jedes Wort der Stegreifritter hören.

Einer der Kosaken war so weit vorgeritten, daß er die Ebene überblicken konnte, anstatt selbst gesehen zu werden.

»Nun, wie weit noch?« fragte ihn der Rittmeister.

»Halbe Werst,« lautete die Antwort.

»Schön! Ich steige wieder ab. Es ist viel besser, die Sache hier zu erledigen als draußen auf der Ebene. Sobald sie kommen, umringt Ihr sie und bringt sie hierher zu mir. Aber, wenn Ihr sie etwa entkommen laßt, so erwartet Euch die Knute, Ihr Hunde!«

»Der Schuft!« flüsterte Sam. »Sogar gegen diese Zwei sendet er nur seine Leute.«

»Wird sich fürchten!« wisperte Jim.

»Natürlich! Die Beiden könnten sich doch wehren und ihm ein Haar krümmen. Na, warte Bursche.«

»Jetzt still! Es wird gleich losgehen.«

Es dauerte kaum noch eine Minute, dann ertönte jenseits des Steines Pferdegetrappel. Einige Flüche wurden laut, ein Schrei, dann kamen die Pferde zurück.

»Sie haben sie!« flüsterte Tim.

»Pst, still! Wir müssen nun Alles hören,« warnte Sam.

Drüben ertönte die Stimme des Rittmeisters:

»Herunter von den Pferden, Ihr Hunde!«

»Aber, Väterchen, warum denn? Warum hältst Du uns hier auf?« fragte der Eine der Angefallenen in höflichem Tone.

»Still! Herab vom Pferde, oder ich helfe nach.«

»Wir haben ja nichts begangen!«

Der Hieb der Peitsche war zu hören.

»Da, das hast Du für das Schwatzen, Kerl! Also herab, sonst setzt es Hiebe.«

»Wir müssen gehorchen, Väterchen – – –«

»Das versteht sich ganz von selber.«

»Weil Du es befiehlst und weil Ihr in der Mehrzahl seid.«

»Ah! Sonst würdest Du wohl nicht gehorchen?«

»Nein.«

»Warum?«

»Ich bin jetzt nicht mehr im Dienst, und Niemand hat mir Etwas zu sagen.«

»Schön! Ich werde Dir zeigen, ob und wer Dir Etwas zu sagen hat. Zählt ihm Zehne auf, aber kräftig!«

Man hörte, daß der Mann ergriffen wurde.

»Wollen wir das dulden?« fragte Jim leise.

»Warum nicht?« meinte Sam.

»Der arme Bursche!«

»Pah! Zehn Knutenhiebe thun einem Kosaken nichts. Desto hübscher sitzt er dann zu Pferde. Uebrigens bekommt der Rittmeister sie zurück. Horcht!«

Drüben erklang die Stimme des Offiziers:

»Eins, zwei, drei, vier – sechs – acht – zehn! Gut für jetzt! Für jedes widersetzliche Wort aber setzt es abermals zehn.«

»Väterchen,« sagte der Geschlagene, »das dürfte der Fremde wissen.«

»Welcher, Du Hund?«

»Der kleine Dicke.«

»Was wäre da?«

»Ich weiß nicht, was er thun würde, aber er würde uns in seinen Schutz nehmen.«

»Meinst Du? Für dieses Wort bekommst Du nachher Zwanzig. Jetzt aber gieb einmal die Papiere heraus, welche ich Dir heut ausgestellt habe!«

»Die gehören ja mir, mein gutes Väterchen!«

»Schweig, Hund! Heraus damit, oder ich lasse Dich schlagen, bis Du sie giebst.«

»Da gebe ich sie doch lieber her. Hier sind sie.«

»So! Und nun das Geld!«

»Väterchen, das habe doch ich geschenkt bekommen.«

»Habe ich nicht bereits heut gesagt, daß es dem Czaren gehört?«

»Das sagte Dein Vater.«

»Ganz gleich!«

»Aber der gute, dicke Fremde hat es doch bewiesen, daß es uns gehört.«

»Schweig! Heraus, oder – – –«

»Nun, wenn Du mich zwingst, so muß ich es geben. Hier!«

Der Rittmeister schien zu zählen, denn erst nach einer Weile sagte er:

»So! Und nun zu dem Andern. Aber damit er gleich von vorn herein gefügig ist, zählt ihm auch Zehne auf.«

Man hörte die Peitsche knallen und den Offizier bis Zehn zählen wie vorher. Dann sagte er:

»Also gieb auch Du das Geld und die Papiere heraus.«

»Mein liebes Väterchen, laß es mir doch. Es ist ja Beides mein Eigenthum.«

»Will der verfluchte Hallunke etwa auch Widerstand leisten. So soll er Zwanzig erhalten. Also, rasch.«

»Aber wie soll ich leben und mir ein Weibchen nehmen, wenn ich kein Geld und keinen Freischein habe.«

»Heirathe Du des Teufels Großmutter. Dann kannst Du Pech und Schwefel fressen. Her mit dem Gelde und den Papieren. Ich gebiete Dir zum letzten Male!«

Er sagte das in so drohendem Tone, daß der Bedrängte willig antwortete:

»So muß ich es geben. Hier, Väterchen, mag es Dir mehr Segen bringen als mir. Mir hat es nur Prügel eingebracht.«

»O, die sind noch nicht zu Ende. So, da seid Ihr nun wieder leer. Ihr Kanaillen freutet Euch wohl gewaltig, als ich diesem fremden Schufte scheinbar nachgab. Nun müßt Ihr einsehen, daß doch ich es bin, der zu befehlen hat. Jetzt sollt Ihr heimreiten dürfen; aber zum Lohne für Eure Freundschaft mit diesem dicken, fremden Fasse erhaltet Ihr vorher ein Kommisbrod und zwanzig Knutenhiebe dazu, damit es besser schmeckt. Und in zwei Wochen werdet Ihr wieder eingezogen, habt diese Pferde mitzubringen und erhaltet die hundert Hiebe, welche ich Euch heut früh zugesprochen habe.«

»Väterchen, wir sind frei. Es ist ja für uns bezahlt worden.«

»Beweist es doch.«

»Es steht auf den Papieren, welche Du uns abgenommen hast.«

»Nun, die gehören mir aber nicht Euch. Jetzt aber werft sie nieder und zählt die Hiebe auf, zwanzig für Jeden. Sie sollen vor Schmerz quacken wie der Riesenfrosch, der ihnen das Geld geschickt hat.«

»Und Du wirst es ihnen erst einmal vormachen!« erklang es hinter ihm.

Er fuhr herum. Da standen Sam, Jim und Tim, alle Drei auf ihre Büchsen gestützt und die gespannten Revolver in den rechten Händen.

»Donnerwetter!« fluchte er, todtesbleich werdend.

»Schau, schau!« höhnte Sam. »Das ist ja eine saubere Geschichte! Ganz so, wie der Geisterfrosch es mir heut Nacht vorhergesagt hat. Dem trifft doch wirklich Alles zu. Darum muß ich nun auch die Befehle ausführen, welche er mir gegeben hat.«

Die Kosaken wußten nicht, wie ihnen geschah und wie sie sich zu verhalten hatten. Sie richteten ihre Augen fragend auf den Rittmeister. Sam aber bedeutete sie:

»Steigt ab, Kinderchens, von den Pferden, aber etwas rasch, sonst helfe ich!«

Bei diesem Tone und dem Anblicke des Revolvers sprangen sie von den Pferden.

»So, meine Lieblinge. Und nun setzt Euch da auf den Stein.«

Auch jetzt gehorchten sie augenblicklich.

»Schön, ich sehe, Ihr seid gehorsam und gutwillig. Darum soll Euch auch gar nichts geschehen, wenn Ihr ruhig sitzen bleibt und kein Wort sprecht und kein Glied bewegt. Sonst aber erhaltet Ihr sofort die Kugel. Es wird Euch wehe gethan haben, daß Eure guten Kameraden so beraubt und noch dazu geprügelt worden sind. Nun sollt Ihr auch Zeuge sein, daß ihnen ihr Recht zugesprochen wird.«

Der Rittmeister stand noch ganz fassungslos da. Er konnte es nicht begreifen, sondern er hielt es geradezu für ein Wunder, daß diese drei Menschen sich hier befanden.

Er hatte den Säbel umgeschnallt und eine Pistole im Gurt, sonst weiter keine Waffen. Jetzt legte er die Hand an die Pistole und schrie:

»Was wollt Ihr hier! Hier bin ich der Gebieter. Weg mit Euch, oder –«

Er wollte die Pistole ziehen.

»Du,« meinte Sam, »laß dieses Ding stecken, es könnte sonst losgehen, und ich dulde so Etwas nicht.«

»Frecher Hund! Ich schieße – – –!«

Er hatte die Pistole gezogen, erhielt aber von Sam einen so blitzschnellen Kolbenschlag auf den Arm, daß dieser herabsank und die Pistole seiner Hand entfiel.

»Was willst Du sein? Herr hier und Gebieter? Lump und Schurke bist Du! Ein Wegelagerer und Straßenräuber! Heraus mit dem Raube!«

»Das Alles, gehört mir!« schrie der Rittmeister erbost.

Er war kein Held, aber er wollte sich vor seinen Leuten denn doch nicht gar so sehr blamiren, und das, was er sagte, war mehr ein Produkt der Angst als des Muthes und der Tapferkeit.

»Wem es gehört, darüber werden wir jetzt berathen. Dabei werden wir uns ganz nach Deinem eigenen Verfahren richten. Du hast diesen beiden guten Menschen Jedem zehn Hiebe geben lassen, um sie von vorn herein gefügig zu machen. Das Mittel ist, wie wir gehört und gesehen hatten, probat. Wir werden es nun bei Dir versuchen. Ehe wir die interessante Verhandlung beginnen, erhältst Du grad so viel Hiebe aufgezählt, wie Du selbst vorhin dictirt hast, zweimal zehn, macht zwanzig.«

Der Rittmeister wurde bleich wie Kalk.

»Wagt es einmal!« knirschte er.

»O, da giebt es nichts zu wagen!«

»Ich trage den Rock des Czaren!«

»Du bist ein Räuber. Was geht mich Dein Rock an. Schnalle den Säbel ab. Er könnte während der Execution Schaden erleiden.«

Jetzt sah der Rittmeister ein, daß es dem Dicken wirklich Ernst mit dem Prügeln war.

»Mensch,« schrie er auf, »wage es nicht, mir um einen Schritt näher zu treten.«

»So. Was würde denn geschehen, wenn ich es wagte?«

»Meine Leute hier würden Euch auf der Stelle niederschießen.«

Sam lachte laut auf.

»Diese guten Leute werden es nicht wagen, mit uns anzubinden. Sie sehen, daß wir nicht mit uns scherzen lassen. Und im Inneren werden sie sich herzlich freuen, daß ihr sauberer, grausamer und gefühlloser Rittmeister endlich einmal an den rechten Mann gekommen ist. Also, den Säbel ab!«

Der Offizier gehorchte nicht.

»Willst nicht? Nun, so müssen wir nachhelfen. Jim! Tim!«

Er hatte die beiden Namen kaum ausgesprochen, so befand sich der Rittmeister auch bereits zwischen den langen, muskulösen Armen Jims, die ihn umspannten wie ein Schraubstock, so daß er sich nicht rühren konnte. Tim schnallte ihm den Säbel ab und wickelte ihm dann das Lasso so um die fest an den Leib gedrückten Arme und um die Beine, daß er sich nicht zu bewegen vermochte.

»So recht, Kinderchens,« lachte Sam. »Legt ihn herum, so daß die Claviatur, auf welcher wir ihm sein Ständchen spielen wollen, nach oben kommt!«

Das wurde gethan. Dann zogen Jim und Tim ihre Knuten aus dem Gürtel, spuckten sich in die Hände und standen nun, Sam's Commando erwartend, rechts und links neben dem Gefesselten.

»Seht, Brüderchens,« wendete Sam sich an die Untergebenen des Offiziers »so kommt Jeder einmal an die Reihe. Ich würde ihn nicht knuten lassen, aber er hat sich aus Angst nicht mit mir duellirt; er ist also ehrlos, und so soll er fühlen, wie die Knute thut. Ihr Alle habt das bereits gefühlt und werdet es ihm gönnen.«

Der Rittmeister schrie und tobte wie ein Verrückter. Er erging sich in allen Schimpfworten, die ihm geläufig waren.

»Mann, sei still!« rief Sam. »Sonst bekommst Du Vierzig anstatt Zwanzig. Jetzt, Jim und Tim, wollen wir beginnen. Macht es ordentlich und gefühlvoll und legt die richtige Melodie hinein. Also eins – – –!«

Jims Hieb sauste nieder – ein Schrei erscholl – Tims Hieb – abermals ein Schrei – – dann war der Executirte still. Er hatte die Zähne zusammengebissen und strengte alle seine Kräfte an, nicht mehr zu schreien.

Natürlich waren die Streiche der beiden Amerikaner von richtigem Gewicht. Als der zwanzigste Hieb gefallen war, sagte Sam:

»So, nun nehmt ihm die Fessel wieder ab und schießt die Ladung aus seinem Pistol, damit er keinen Unfug mit demselben treiben kann.«

Das geschah. Der Rittmeister stand starr vor Schmerz und Grimm. Er blickte auf keine der anwesenden Personen, sondern in die Weite hinaus.

»Jetzt ist die Einleitung vorbei,« sagte Sam. »Die Verhandlung kann beginnen. Vielleicht ist sie in kurzer Zeit vorüber. Das wäre nur gut für ihn. Zeig mal das Geld und die Papiere her!«

Er trat an ihn heran, öffnete die Knöpfe der Uniform und untersuchte die Taschen. Er fand, was er suchte, zählte das Geld durch und prüfte die Papiere. Es war Alles unbeschädigt, und die beiden Kosaken erhielten ihr Eigenthum zurück.

»So!« lachte Sam, sich wieder an den Rittmeister wendend. »Wir sind nun fertig, und ich wünsche, daß Dir der Spazierritt wohl bekommen möge. Schnalle den Säbel wieder um, und stecke die Pistole ein. Du kannst nach Hause reiten.«

Der Rittmeister that, als hörte er es nicht. Mochte er etwa denken, daß die drei Männer sich nun entfernen würden? Dann wehe den Kosaken.

»Nun, vorwärts, schnell!« gebot Sam.

Auch das hatte keinen Erfolg. Da zog der Dicke seine Knute, hieb sie ihm über den Rücken und sagte:

»Dich mache ich schon lebendig. Zur Bildsäule sollst Du mir hier nicht werden!«

Da griff der Rittmeister nieder. Gedankenschnell riß er den Degen auf und schnallte ihn um, steckte die Pistole in den Gürtel, eilte zu seinem Pferde, sprang in den Sattel, drückte dem Thiere die Sporen in die Weichen und sprengte wie ein Rasender davon.

»Der hat genug!« lachte Jim.

»Aber nun die Rache!« meinte Tim.

»Wir könnens abwarten und ruhig mit ansehen,« sagte Sam.

Die beiden Kosaken, welche auf so ungewöhnliche Weise von und dann wieder zu ihrem Eigenthume gekommen waren, bedankten sich mit fast kriechender Demuth bei den Dreien und ritten sodann davon. Die Anderen erhielten von Sam ein Geldgeschenk für Wutki und kehrten heim. Es war ganz so, wie der Dicke gesagt hatte. Sie freuten sich über die wohlverdiente Züchtigung, welche ihr Peiniger erhalten hatte.

Die Exekutoren kehrten zu ihren Pferden zurück. Auf dem Heimwege theilte Sam ihnen mit, was er heut Abend vor habe. Das war ihnen eben recht. Je mehr Abenteuer desto besser. Sie erklärten sich mit Freuden bereit, die Pulverkammer auszuräumen.

Als dann die Häuser der Stadt und besonders das Regierungsgebäude vor ihren Blicken auftauchte, meinte Jim:

»Da drin sitzt er nun und zählt die Schwielen. Bin wirklich neugierig, ob er heut der Einladung folgen wird.«

»Auf alle Fälle!« antwortete Sam.

»Meinst Du?«

»Ja. Er brennt ja vor Verlangen, der Mann der Tungisin zu werden. Da wird der Schmerz der Schwielen leicht überwunden.«

»Verdammt! Das ist nun auch ein Offizier.«

»Ists am längsten gewesen.«

»Natürlich! Und jetzt willst Du nun sogleich zu seinem Vater?«

»Ja.«

»Dicker, wagst Du nicht zu viel?«

»Pah! Solchem Volke gegenüber wagt man eher zu wenig als zu viel.«

»Bin neugierig, wie es ablaufen wird.«

Als sie im Lager ankamen, hatte Karparla schon längst auf Sams Rückkehr gewartet. Sie fragte ihn, wo er gewesen sei, und er erzählte ihr ganz aufrichtig und ausführlich das Abenteuer.

»Das ist recht!« belobte sie ihn. »Aber es wird Dir großen Schaden bereiten!«

»Nicht die Spur!«

»Ich will es hoffen und wünschen. Aber getraust Du Dich denn auch jetzt noch zum Kreishauptmanne?«

»Nun erst recht.«

»Sein Sohn darf mir die Einladung nicht abschlagen. Er muß mitkommen. Da ist er gezwungen, mit seinen Schwielen still zu sitzen und wird entsetzliche Schmerzen leiden, ohne sich dieselben merken lassen zu dürfen. Ich reite.«

»Und ich komme gleich nach. Ich werde mich so stellen, daß ich Dich am Fenster deutlich sehen kann.«

Die Prinzessin stieg in den Sattel und ritt nach der Stadt. Vor dem Regierungsgebäude sprang sie ab, band das Pferd an einen dazu angebrachten Pfahl und trat ins Haus.

Sie kannte das Innere desselben genau. Sie stieg die Treppe hinan und ging nach dem Wohnzimmer des Kreishauptmannes. Die drei Familienglieder befanden sich darin. Sie hörte ihre Stimmen.

»Blutige Rache! Tod, Tod!« schrie der Rittmeister. »Noch heute, spätestens morgen.«

»Das ist entsetzlich! So ein Wagniß gegen uns!« erklang die Stimme seines Vaters.

Und seine Mutter klagte:

»Welche Schmerzen mußt Du leiden! Geh doch in Dein Zimmer und entkleide Dich. Ich will Schnaps und Salbe besorgen.«

Da klopfte Karparla laut an. Man hörte es drinnen. Das Mädchen vernahm jenes Streichen, Rücken und Rascheln, welches man gewöhnlich hört, wenn eine von einem Besuche überraschte Familie sich schnell zum Empfange desselben ordnen muß.

Sie klopfte abermals.

»Herein!« erklang nun erst die Stimme des Kreishauptmannes.

Sie trat ein. Ihr Kommen erregte die größte Ueberraschung, die ganz gewiß eine freudige war.

Der Rittmeister wollte sich stramm von dem Sopha erheben, auf welches er sich seitlich hingehaucht hatte, sank aber mit einem nur halb unterdrücken Schmerzenslaute wieder zurück. Er halte nicht in Betracht gezogen, daß die Beinkleider an den Schwielen klebten.

»Karparla!« sagte der Kreishauptmann. »Wer hätte das vermuthen können!«

»Karparla!« rief seine Frau. »Willkommen, tausendmal willkommen!«

»Hast wohl lange klopfen müssen, ehe wir es gehört haben?«

»O nein. Du kennst ja mein Klopfen. Ich bediene mich dabei der Reitpeitsche. Es ist so kräftig, daß es sofort gehört wird.«

»Und Du, Rittmeister, sagst gar nichts? Bin ich Dir denn nicht auch willkommen?«

Sie lächelte ihn freundlich an. Das ließ ihm alle Schmerzen vergessen. Er stand langsam auf und ergriff ihre Hand, zog aber, da es ihm einen plötzlichen Stich in den Schwielen gab, eine schmerzliche Grimasse.

»Was hast Du? Was fehlt Dir?« fragte sie. »Hast Du Schmerz?«

»O nichts, gar nichts, nur ein Wenig Zahnschmerz,« antwortete er. »Natürlich bist Du mir auch willkommen, wenigstens eben so sehr wie den Anderen.«

»Allen gleich, ganz gleich willkommen!« erklärte seine Mutter, indem sie der schönen Besucherin einen Stuhl hinschob.

Karparla setzte sich, ließ ihren lächelnden Blick heiter von einer Person auf die andere schweifen und sagte sodann:

»Wollt Ihr nicht einmal rathen, weshalb ich jetzt zu Euch komme?«

»Wer sollte das rathen?« sagte die Frau.

»Ich komme, Euch einzuladen, um einen Abend heut bei uns gesellig zu verbringen. Mir werden dieses Mal nicht so lange hier bleiben, wie wir uns eigentlich vorgenommen hatten, und wollen doch gern so viel wie möglich mit Euch beisammen sein. Darum habe ich mich ausgemacht, um Euch diese Einladung zu bringen.«

Die Augen des Rittmeisters leuchteten vergnügt auf.

»Karparla!« rief er. »Von wem ist – – o Du Himmeldonnerwetter!«

Er hatte in seiner Freude eine schnelle, unvorsichtige Bewegung gemacht. Die Hose spannte fest an dem von der Knute getroffenem Theile und bereitete ihm einen solchen Schmerz, daß er seine Frage nicht ganz aussprach den kräftigen Fluch ausstieß.

Sie kannte gar wohl den Grund dieses Verhaltens. Sie hatte beinahe aufgelacht; aber sie bezwang sich doch und fragte in ernstem, verwundertem Tone:

»Was? Was wolltest Du fragen? Warum fluchest Du mich an?«

»Meine – meine Zahnschmerzen! O Himmelelement!«

Er zog ein höchst schmerzliches Gesicht.

»Zahnschmerzen?« lachte sie. »Das ist doch gar nichts!«

»Wie? Gar nichts? Ich möchte Dir, wenn dieses nicht zu unhöflich wäre, wünschen, welche zu haben.«

»Ich habe auch zuweilen Zahnschmerzen!«

»Du? Bei Deinen gesunden Zähnen?«

»Die Deinigen sind, doch auch gut. Wenigstens sehen sie ganz so aus.«

»O sie sind hohl.«

»Ach so!«

»Also wenn Du auch zuweilen Zahnweh hast, so wirst Du wissen, wie da« thut.«

.

»Angenehm ist das freilich nicht; aber ich lasse es mir nie merken. Man muß sich beherrschen. Ich halte es für unmännlich, zu jammern, besonders von einem Offizier, zu dessen Berufe es doch unbedingt gehört, Schmerzen ertragen zu können. Also, was wolltest Du mich fragen?«

»Ich wollte gern wissen, von wem Deine Einladung ausgeht.«

»Nun, natürlich von uns Allen.«

»Und wer hat die eigentliche, die Veranlassung dazu gegeben?«

»Ich.«

»Wie bist Du darauf gekommen?«

»Sonderbare Frage! Ich bin darauf gekommen, wie man überhaupt auf Etwas kommt, was man gern thut oder gern hat.«

»So hast Du uns also gern bei Dir?«

»Natürlich.

Das heißt, meine Eltern!«

Sein Blick ruhte mit Spannung auf ihn. Sie antwortete lächelnd:

»Warum nur Deine Eltern?«

»Also auch mich hast Du gern bei Dir?«

»Gewiß.«

»Das – das kann mich ungeheuer freuen. Ich sage Dir, ich möchte vor Freude Dir gleich mittheilen das – – alle Teufel!«

.

Er zog wieder eins seiner Gesichter.

»Was hast Du?«

»Diese – verteufelten Zahnschmerzen!«

Er hielt die Hand an die Wange, um ihr glaubhaft zu machen, daß wirklich einer seiner Zähne schmerze.

»Mache Dich doch nicht lächerlich!« sagte sie. »So ein kräftiger Mann wie Du, ein Rittmeister, wird sich doch nicht von einem Zahne bewältigen lassen!«

»Es ist aber zu schlimm. Es giebt mir solche plötzliche Stiche.«

»So kannst Du mir freilich leid thun. Ists denn ein Backzahn?«

»Ja, da hier, auf der linken Seite.«

»Zeig doch mal her!«

Sie stand auf und trat zu ihm. Er wich zurück und hielt ihr beide Hände abwehrend entgegen.

»Nein, nein! Ich kann ihn Dir nicht zeigen.«

»Warum nicht?«

»Ich kann mir doch nicht von einer Dame in den Mund sehen lassen.«

»Ach Unsinn! Erstens bin ich keine Dame nach Euern Begriffen, und zweitens brauchen doch grad wir Beiden uns nicht in dieser Weise vor einander zu geniren!«

Er lachte wieder im ganzen Gesichte.

»Warum grad wir Beide?«

»Nun,« meinte sie in gut gespielter mädchenhafter Verlegenheit, »Du weißt es doch.«

»Was denn?«

»Wenn wir bald Frau und Mann sein wollen, so ist so eine Zurückhaltung doch nicht am rechten Platze.«

»Mann und Frau! Ich denke, Du willst nicht?«

»Ach so! Hm! Hast Du noch nicht gehört, daß die jungen Mädchens zuweilen nur aus Muthwillen gleichgiltig thun?«

Da rief er ganz glücklich:

»Karparla! Du gestehst also, daß auch in Deinem Herzens ein – heiliges Donnerwetter!«

Er fuhr sich mit beiden Händen nach dem betreffenden Körpertheile, zog sie aber schnell wieder zurück und griff an die Wange, um sich nicht zu verrathen.

Sie machte sehr erstaunte Augen, schüttelte den Kopf und sagte:

»Was soll ich in meinem Herzen haben? Ein heiliges Donnerwetter! Danke sehr. Ein solches Gewitter im Herzen! Davon habe ich noch nie Etwas gespürt oder gehört.«

»Ach geh! Es war eben wieder nur mein armseliges Zahnweh.«

»Wenn es so armselig ist, so unbedeutend, so brauchst Du seiner doch gar nicht zu achten. Ich bin wirklich neugierig, diesen schlimmen Zahn einmal zu sehen. Zeig doch her!«

»Nein, nein!«

»Sei nicht so zurückhaltend! Du thust ja, als ob wir uns ganz fremd seien.«

»Das sind wir jetzt auch noch, nämlich so zu sagen.«

»Aber ich denke, wir sollen so bald zu einander gehören. Wenn das der Fall ist, so kann ich nicht dulden, daß Du Dich genirst. Also her damit. Ich will den Zahn sehen!«

»Höre,« lachte er, »Du entwickelst da eine Energie, die ich Dir nicht zugetraut hätte!«

»Ja, meinen Willen habe ich auch. Also her mit dem Zahne! Mach den Mund auf!«

Sie faßte ihn bei den Achseln und gab ihm eine solche Stellung, daß er grad vor einem Holzstuhle zu stehen kam.

»Laß doch, laß!« wehrte er ab.

»Nein, ich will ihn sehen. Also zeig her!«

»Na, wenn Du nicht anders willst! Da, guck ihn Dir an!«

Er machte den Mund halb auf.

»Weiter!« befahl sie.

Er öffnete ihn ein Wenig mehr.

»Immer weiter!«

Die Eltern hatten ihre Freude an dieser Scene. Sie nahmen dieselbe als Beweis, daß das schöne Mädchen sich doch viel mehr für ihren Sohn interessire, als bisher anzunehmen gewesen war. Sie warfen sich verstohlene Blicke der Befriedigung zu und lachten im Stillen darüber, daß Karparla nach einem Zahn suchte, welcher doch nicht krank war.

Der Rittmeister öffnete den Mund noch weiter, aber immer nicht weit genug.

»Mußt weiter aufsperren!« sagte sie. »Wie kann ich so nach den Backzähnen sehen!«

Jetzt riß er die Kinnladen möglichst weit auseinander.

»So ist's recht!« lachte sie.

Sic blickte ihm in den Mund, that, als ob sie vergebens suche, und sagte dann:

»Ich bin kleiner als Du. Du bist mir viel zu lang. Ich kann also nicht hinter sehen. Setze Dich doch einmal!«

Bei diesen Worten faßte sie ihn fest an und drückte ihn plötzlich und aus allen Kräften auf den Stuhl nieder. Das kam ihn, so unerwartet, daß er einen ganz tüchtigen Plumps auf den harten Holzsitz that.

»O heiliges Element!« brüllte er auf. »Das – das – das halte der Teufel aus!«

Er sprang ebenso schnell, wie er auf den Stuhl gekommen war, von demselben wieder auf, hielt die beiden Hände auf die beiden, hinteren Erdkugeln und sprang rund in der Stube herum.

»Was – was giebts denn?« fragte sie.

»Meine – meine Zahnschmerzen!« wimmerte er.

»Zahnschmerzen? Hast Du denn die Zähne hinten anstatt vorn?«

»Nein, nein! Aber bei diesem Zahnweh thut Einem eben Alles weh.«

»So, so! Man sollte gar nicht glauben, daß der Schmerz von hier aus – –«

Sie hatte, wie eine jede Tungusin, stets die Reitpeitsche mit, sobald sie zu Pferde war. Sie hatte dieselbe noch gar nicht aus der Hand gelegt. Jetzt war sie zu dem Rittmeister heran getreten und zeigte bei den Worten »von hier aus« mit der Peitsche auf seinen Mund und fuhr fort: »von hier aus bis hierher gehen kann.«

Bei den Worten »bis hierher« gab sie ihm einen freundlich sein sollenden, aber ziemlich derb ausfallenden Peitschenhieb auf die bereits erwähnte sehr empfindliche Himmelsgegend.

Er that einen Satz in die Luft, fuhr mit beiden Händen abermals nach hinten und schrie:

»Au! Teufel! Du schlägst mich ja!«

»Pah! Nur eine Liebkosung!«

»Verflucht! Solche Liebkosungen – – oh, wehe, o wehe!«

»Aber, Iwan!« meinte sie in schmollendem Tone.

Iwan! Noch niemals hatte sie ihn bei diesem seinen Vornamen genannt. Er war ganz entzückt davon.

»Karparla!« flötete er, die Hände noch immer hinten.

»Du nennst das schlagen! Ich habe Dich doch nur ganz leise berührt!«

»Ja, leise, ganz leise!« nickte er.

»Und Du thust, als ob ich Dich förmlich geknutet hätte.«

»Nein, gar nicht!«

»O doch! Sieh nur mal in den Spiegel, was für ein Gesicht Du machst!«

»Eben nur wegen diesen niederträchtigen Zahnschmerzen!«

»Und da hältst Du die Hände noch immer hinten drauf?«

Sofort nahm er sie wieder nach vorn.

»Das – das – ist nur so eine alte, dumme Angewohnheit von mir,« versuchte er sich zu entschuldigen.

»Das mußt Du Dir abgewöhnen. Man denkt sonst wirklich, daß Du die Schmerzen gar nicht im Munde, sondern ganz anders wo hast. Setze Dich doch!«

Sie ergriff seinen Arm und wollte ihn zu dem harten Holzstuhle ziehen.

»Bitte, nein!« wehrte er ab. »Ich setze mich lieber hier auf das Kanapee.«

Er setzte sich. Natürlich mußte er sich dabei beugen. Die Hosen spannten und verursachten ihm die peinlichsten Schmerzen; aber er biß die Zähne zusammen und versuchte, sie zu überwinden.

»Hier auf dem Stuhle hättest Du neben mir gesessen!« schmollte sie.

»Aber hier sitze ich Dir gegenüber und kann Dich viel besser sehen,« vertheidigte er sich in zärtlichem Tone.

»Ach so! Da mag es geschehen. Deine Zahnschmerzen müssen wirklich bedeutend sein.«

»Warum denkst Du das?«

»Weil sie Dir einen förmlichen Angstschweiß austreiben. Die Tropfen stehen Dir auf der Stirn.«

»Ja, ich habe noch niemals so heftige Schmerzen gehabt. Aber wir sind ganz von unserm ursprünglichen Thema abgekommen.«

»Ja, wovon sprachen wir eigentlich?«

»Von der Einladung.«

»Richtig! Ihr kommt doch?«

»Gern, sehr gern! Ich freue mich – – oh, da denke ich aber doch daran, das es wohl nicht gehen wird.«

»Nicht? Warum?«

»Weil – hm – wegen diesen drei fremden Kerls.«

»O, die können Dich doch nicht stören.«

»Im Gegentheile stören sie mich sehr. Du weißt ja, wie sie mich gestern beleidigt haben.«

»Ganz recht. Es sollte doch ein Duell stattfinden. Oder nicht?«

»Ja freilich,« antwortete er verlegen.

»Nein.«

»Nun? Ist das bereits ausgefochten?«

»Warum nicht?«

»Weil – weil – ich kann es Dir eigentlich gar nicht sagen.«

»So? Nicht sagen? Mir, die ich doch Deine Frau werden will, und die eigentlich die Ursache dieses Duelles ist?«

»Das ist ganz richtig. Du bist schuld. Hättest Du nicht mit diesem verdammten Kosaken getanzt, so wäre das Alles nicht vorgekommen. Nimm es mir nicht übel, aber ich kann Dich nicht begreifen.«

»Es war so ein schneller Gedanke, der mich überkam.«

»Hast Du oft solche schnelle Gedanken?«

»Nicht oft, sondern nur zuweilen.«

»So muß ich Dich bitten. Dir das abzugewöhnen! Ein Duell ist kein Kinderspiel!«

»Das weiß ich wohl. Darum habe ich mir später die größten Vorwürfe gemacht, und darum möchte ich so gern wissen, wann es stattfinden soll.«

»Es findet gar nicht statt.«

»Das freut mich natürlich ungemein. Aber warum wird es nicht abgehalten?«

»Weil – weil – na, ich will es Dir sagen – weil der dicke Kerl heut früh bei mir war.«

»So! Was wollte er?«

»Er bat mich um Verzeihung und gab gute Worte, daß das Duell nicht stattfinden solle.«

»Ah! Wirklich? Er sieht doch so beherzt aus.«

»Pah, beherzt! Solche Menschen renommiren blos. Denke doch daran, daß ich Offizier bin! Wie will so ein Mensch sich mit mir schießen! Sein Tod wäre gewiß!«

»Und ich habe mich so sehr um Dich geängstigt, Iwan!«

»Das war sehr überflüssig, liebe Karparla. Um ihn hättest Du Dich ängstigen sollen, nicht um mich!«

»Warum um ihn? Er geht mich doch gar nichts an; ich habe ja nur Dich lieb.«

»Wirklich, wirklich mich?«

»Das fragst Du noch? Also gute Worte hat er gegeben? Das muß ich ihm vorhalten, damit er sich schämt. Ich werde ihn auslachen.«

»Das darfst Du nicht!« sagte er schnell.

»Warum nicht?«

»Er hat mich um Verschwiegenheit gebeten, und ich mußte ihm mein Ehrenwort geben, nichts zu sagen.«

»Und trotz dieses Ehrenwortes sagst Du es mir!«

»Das ist etwas Anderes. Wir Zwei, Du und ich, wir sind ja wie Eins. Du wirst doch meine Frau. Also darum wird das Duell nicht stattfinden.«

»So bin ich beruhigt. Ich habe wirklich geglaubt, daß es bereis stattgefunden. habe und daß Du dabei verwundet worden seiest.«

»Warum dachtest Du das?«

»Weil es ganz so aussieht, als ob Du einen Schuß, eine Kugel bekommen hättest.«

»Ich? Wohin?«

»Hinten. Du hast, trotzdem Du sitzest, schon wieder beide Hände dort.«

Er zog die Hände sofort vor.

»Unsinn,« lachte er verlegen. »Aber, was ich sagen wollte, ich habe dem Kerl zwar großmüthig vergeben und auch verzichtet, ihn zu bestrafen, aber daß ich wieder in seine Hände kommen soll, das kann doch Niemand von mir verlangen.«

»Wer verlangt es denn?«

»Du.«

»Dessen bin ich mir nicht bewußt.«

»Und doch. Du ladest uns ja zu Euch ein!«

»Aber nicht zu ihm.«

»Er ist doch Euer Gast!«

»Was thut das?«

»Er wird heut Abend zugegen sein.«

»Nein. Er will mit seinen beiden Gefährten einen weiten Spazierritt machen, von welchem sie erst spät Abends, vielleicht gar erst in der Nacht, zurückkehren.«

»Wenn das so ist, so komme ich.«

»Und die Eltern natürlich mit?«

»Ja, ja, wir kommen ganz gewiß,« nickte der Kreishauptmann eifrig.

»So verlasse ich mich darauf und kann nun wieder gehen.«

»Willst Du denn nicht noch ein Stündchen bleiben, liebes Kind?«

»Habe keine Zeit dazu. Ihr wißt es ja, wenn man Gäste zu erwarten hat, so giebt es vorher gar Mancherlei zu thun.«

Es wurden noch einige höfliche Redensarten gewechselt; dann nahm Karparla einen beinahe herzlichen Abschied und wendete sich nach der Thür.

Der Rittmeister beeilte sich, ihr dieselbe zu öffnen. Dabei gab es wieder einige höchst schmerzhafte Bewegungen; er verbiß aber die Empfindung, welche sie ihm verursachten.

Bereits stand Karparla unter der Thür, da wendete sie sich wieder zurück und sagte:

»Da hätte ich beinahe eine Hauptsache vergessen. Ich muß wieder umkehren.«

Sie zog die Thür hinter sich wieder zu.

»Was hast Du noch, Kind?« fragte der Kreishauptmann.

»Ihr bringt heut Abend doch auf alle Fälle auch Euern Gast mit?«

»Gast? Wer ist das?«

»Nun, Gökala.«

Er erschrak.

»Gökala? Kennst Du sie?«

»Ich traf sie kurz vor ihrer Ankunft hier.«

»So! Das habe ich allerdings gehört.«

»Von ihr? Hat sie von mir gesprochen?«

»Ja.«

»Was sagte sie?«

»Sie wollte zu Dir.«

»Aber sie war nicht bei mir.«

»Ganz recht. Sie durfte nicht fort.«

»Durfte? Wer verbietet es ihr?«

»Ihr Herr, mit dem sie gekommen ist.«

»Der ist ihr Herr? Und doch hat sie mir gesagt, daß sie vollständig frei sei.«

»Das ist eine Unwahrheit. Sie hat ihm zu gehorchen, und weil er es ihr verboten hat, auszugehen, so konnte sie natürlich auch nicht zu Dir kommen.«

»Sie darf also nicht ausgehen?«

»Es ist ihr verboten, das Haus zu verlassen.«

»Das ist hart. So werde ich also jetzt einmal zu ihr gehen.«

»Auch das geht nicht. Sie darf auch keine Besuche empfangen.«

»Auch das nicht! Aber warum denn?«

Sie trat bei diesen Worten an das Fenster und sie sah, daß er sich sofort in der Richtung nach der Hausthür in Bewegung setzte.

»Warum, das kann ich freilich nicht sagen,« antwortete der Kreishauptmann. »Ihr Begleiter hat alle Veranlassung, sie unter strenger Controlle zu halten. Vielleicht ist sie eine Verbannte. Ich darf keinen Menschen zu ihr lassen.«

»Aber doch wohl mich!«

»Leider auch Dich nicht. Es ist mir sehr streng anbefohlen worden, ja keine einzige Ausnahme zu machen.«

»Aber ich habe ja gar nichts Verdächtiges mit ihr vor.«

»Das ändert nichts an dem Verbote.«

»Du kannst mitgehen und Alles hören, was ich zu ihr spreche. Ich will sie nur begrüßen.«

»Auch das darf ich nicht.«

»O ich habe immer gedacht, daß Du gut und höflich mit mir seiest!«

»Das bin ich auch, so weit ich darf. Meine Pflicht aber darf ich nicht verletzen.«

Da klopfte es an die Thür. Der Kreishauptmann ging hin, um nachzusehen, wer draußen sei. Er öffnete, fuhr aber sofort ganz erstaunt zurück – Sam trat ein.

»Du wieder!« rief der Beamte zornig.

»Ja,« lachte Sam. »Ich habe Euch ja bereits gesagt, daß ich heut wohl noch einmal kommen werde.«

Der Rittmeister streckte den Arm gebieterisch aus, nach der Thür zeigend.

»Hinaus!« schrie er.

»Hinaus willst Du?« fragte Sam freundlich. »Na, so geh doch!«

»Nein, Du!«

»Ich? Ich komme ja soeben erst herein.«

»Aber hinaus packest Du Dich augenblicklich wieder!«

»Nein, mein Brüderchen. Wenn ich einmal gekommen bin, so will ich auch sagen, weshalb ich komme.«

»Wir mögen nichts wissen. Fort mit Dir!«

Da zog Sam die Stirn in Falten und antwortete:

»Du! Soll ich etwa sprechen? Soll ich erzählen, was da draußen bei den Weidensteinen geschehen ist?«

»Willst Du auch noch drohen?«

»Nein. Aber ich will nicht hinausgewiesen sein. Ich dächte, Ihr wüßtet es nun beinahe, daß ich mich nicht in's Bockshorn jagen lasse.«

Es lag nicht in der Absicht des Kreishauptmanns, in Gegenwart Karparla's seinen Sohn blamiren zu lassen. Darum sagte er zu Sam:

»Wenn Du mit mir reden willst, so komm!«

Er wendete sich nach der Thür.

»Wohin?«

»In mein Zimmer.«

»Warum? Ich kann auch hier mit Dir reden.«

»Amtliche Angelegenheiten habe ich in meiner Expedition auszumachen.«

»Wer hat denn gesagt, daß ich in einer amtlichen Angelegenheit komme!«

»Jedenfalls ist es doch so. Familiär haben wir ja nichts mit einander zu thun.«

»Und grad etwas Familiäres oder wenigstens Privates ist es. Das können wir hier abmachen.«

»So rede.«

»Ich komme einfach auf Besuch.«

»Donnerwetter! Doch nicht etwa zu uns?«

»Nein, sondern zu Gökala.«

Der Kreishauptmann trat einige Schritte zurück und fragte im Tone der Bestürzung:

»Kennst Du sie?«

»Ja.«

»Woher?«

»Nur dem Namen nach.«

»Sie geht Dich nichts an.«

»Mehr als Dich. Wo wohnt sie?«

»Bei mir.«

»Das weiß ich natürlich. Ich will aber das Zimmer wissen.«

»Das erfährst Du nicht.«

»Oho! Ist sie etwa Deine Gefangene?«

»Ja.«

»Auf wessen Befehl?«

»Das geht Dich nichts an.«

»Wenn Du wüßtest, wie sehr mich das angeht, so würdest Du ganz anders reden. Du hast kein Recht, irgend Jemand der berechtigten Freiheit zu berauben.«

»Der berechtigten, ja. Aber ihr ist mit vollem Rechte ihre Freiheit abgesprochen worden.«

»So ist sie verurtheilt?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Natürlich vom Gerichte.«

»Das ist eine Lüge.«

»Frecher Kerl!« schrie der Rittmeister voller Wuth.

Er wollte sich vom Kanapee erheben, sank aber wieder zurück und stieß ein schmerzliches Stöhnen aus.

»Bleib ruhig sitzen!« warnte Sam. »Es thut so wehe, wenn die Schwielen aufplatzen.«

»Schweig!« herrschte ihn der Officier an. »Gökala ist unsere Gefangene, und Du hast darüber Dir gar kein Urtheil anzumaßen!«

»Sie ist nicht Eure Gefangene. Kein Richter hat sie verurtheilt.«

»So! Wer denn?« fragte der Kreishauptmann höhnisch.

»Nur allein der Graf.«

»Welchen Grafen meinst Du?«

»Graf Alexei von Polikeff.«

»Donnerwetter!« entfuhr es dem bestürzten Beamten.

»Meinst Du etwa, ich kenne ihn nicht?« lachte der Dicke.

»Woher kennst Du ihn?«

»Das kann Dir sehr gleichgiltig sein. Ich sage Dir nur, daß ich ihn kenne; das genügt. Und Gökala habe ich zwar noch nicht gesehen, aber desto mehr habe ich von ihr gehört. Ich muß mit ihr sprechen.«

»Das geht nicht.«

»Es muß gehen!«

»Muß! Was muß! Redest Du in diesem Tone mit mir!«

»Pah! Ich habe in noch keinem anderen Tone mit Euch gesprochen, und vielleicht wird mein Ton noch ganz anders. Wenn Du mir nicht sagst, wo Gökala sich befindet, so suche ich sie mir.«

»Wage es!«

»Wagen? Pah! Bei Euch ist nichts zu wagen. Jedenfalls bewohnt sie das Zimmer, aus welchem ich sie treten sah, als ich vorhin zum letzten Male bei Euch war. Dahin werde ich also jetzt gehen.«

Er wollte gehen.

»Du bleibst!« gebot der Kreishauptmann.

Sam blickte ihn mit großen Augen geringschätzend an.

»Pah, gar nichts!«

»Das denke ja nicht. Ich habe bisher Deine Frechheiten mit Geduld ertragen; aber nun wird es mir denn doch zu toll!«

Da sagte Karparla, scheinbar in begütigendem Tone, zu Sam:

»Beruhige Dich! Du wirst nicht mit ihr reden dürfen. Ich wollte sie zu mir einladen; aber es ist mir auch abgeschlagen morden.«

»Einladen? Wozu?«

»Uns heute Abend zu besuchen. Diese drei lieben Leute werden heute Abend zu uns kommen. Sie sollten Gökala mitbringen; aber sie können nicht; es ist unmöglich. Darum wirst auch Du Dich fügen müssen.«

»Niemand braucht sich zu fügen, ich nicht und Du auch nicht!«

»Warum?«

»Weil ich ganz genau weiß, was ich will und was ich sage. Wenn Du wünschest, heute Abend Gökala bei Dir zu sehen, so soll Dir Dieser Wunsch in Erfüllung gehen.«

»Du thust ja, als ob Du hier bei uns zu gebieten hättest!« rief der Kreishauptmann.

»Zu gebieten habe ich nicht, aber erwarten darf ich, daß meine Wünsche erfüllt werden, wenn sie auf gesetzlichem Wege zu erfüllen sind, und das ist hier der Fall.«

»Nein.«

»Ja! Ich verlange, daß Gökala heute Abend Karparla mit Euch besuchen darf. Zwar werde ich abwesend sein und voraussichtlich nicht sehen, ob sie mitkommt; aber erfahren werde ich es. Wehe dann Euch, wenn der Wunsch Karparlas nicht erfüllt wird!«

Das war freilich stark. Der Kreishauptmann blickte seinen Sohn an und dieser ihn. Sie befanden sich einigermaßen in den Händen des Dicken; aber hätten sie sich denn wirklich gar so viel gefallen zu lassen?

Am meisten ergrimmt war der Rittmeister. Er erhob sich mühsam vom Kanapee und sagte:

»Wehe uns? Hältst Du uns denn für gar so armselige Geschöpfe, daß Du uns in dieser Weise zu drohen wagst? Du pochst auf einige kleine Vortheile, welche Du über uns erlangt hast. Es wäre sehr klug von Dir, Dich mit dem Bisherigen zu begnügen. Wenn Du aber den Bogen zu straff anspannst, so zerreißt die Schnur. Nimm Dich in Acht!«

»Ich habe mich nicht in Acht zu nehmen. Ich weiß, was! ich will!«

»Nein, Du weißt es nicht. Du übertreibst Deine Frechheit. Du meinst, daß wir uns Alles gefallen lassen sollen aus Angst, daß Du erzählen werdest, was heute Nacht geschehen ist. Bisher haben wir auch wirklich darauf Rücksicht genommen; nun aber hört es auf. Erzähle meinetwegen von uns, was Du willst. Kein Mensch aber wird es Dir glauben!«

»Keiner?« fragte Sam. »Alle, Alle werden es glauben!«

»Nicht Einer!«

»Ich beweise es!«

»Das sollte Dir schwer werden!«

»Federleicht!«

»So versuche es! Jetzt aber sind wir fertig. Mache Dich hinaus!«

»Du, nimm Dich in Acht! Wenn ich einmal hinausgehe, so folgt Ihr auch bald nach.«

»Was soll das heißen?«

»Daß dann Eure Rolle hier ausgespielt ist.«

Er sagte das so leicht hin, als ob er von etwas höchst Einfachem spreche, was sich ganz von selbst verstehe. Das empörte den Officier noch mehr. Nicht nur die Worte waren es, die ihn beleidigten, sondern in noch viel höherem Maße der Ton, in welchem sie gesprochen wurden. Er schlug mit der Hand an den Griff seines Säbels und rief:

»Hinaus, hinaus, oder – – –!«

»Was denn? Oder – –?« fragte Sam, zwei Schritte vortretend.

»Oder ich gebe meinem Befehle Nachdruck.«

»Womit?«

»Mit diesem da!«

Er schlug abermals an den Säbel.

»Du, da machst Du Dich doch nur lächerlich. Dieser Degen würde dabei ganz dieselbe Rolle spielen wie draußen an den Weidensteinen: Ich würde ihn Dir abschnallen.«

»Hund, weißt Du, mit wem Du sprichst?«

»Ja.«

»Nein, Du weißt es nicht. Ich will es Dir sagen. Ich bin der Rittmeister Iwan Rapnin, Commandant von Platowa!«

Sam schüttelte den Kopf und antwortete:

»Iwan Rapnin? Ja, wenn Du der wirklich wärst, so wäre das etwas ganz Anderes.«

Der Rittmeister konnte diese Worte nicht begreifen. Er war beinahe das, was man verduzt nennt.

»Was?« sagte er. »Ich wäre es nicht?«

»Nein.«

»So sage mir doch einmal, wer ich bin?«

»Sehr gern. Rittmeister bist Du und Commandant auch. Aber Rapnin, Rapnin? Das stimmt nicht.«

»Wieso?«

»Dein Name ist doch Iwan Saltikoff.«

Die Kreishauptmännin stieß einen Schrei des Schreckes aus. Ihr Mann machte eine Bewegung des Entsetzens, und der Rittmeister fuhr auch erschrocken zurück. Doch war er schnell wieder gefaßt. Er zwang sich zu einem lauten Lachen und sagte:

»Dieser Mensch träumt bei offenen Augen, und was er träumt, das hält er für Wahrheit und plaudert es aus!«

»Ja, wenn es nur ein Traum wäre, so würdet Ihr froh sein. Rapnin! Das kenne ich besser!«

»Nichts, gar nichts kennst Du!«

»Oho! Ich kenne sogar Saltikoff.«

»Nun, was ist er?«

»Nichts. Frage lieber, wer er war! Er war ein Verbrecher, ein Verbannter. Da kam Graf Polikeff und gab ihm den Rath, seinen Namen umzuändern und den Namen Saltikoff zu verschenken.«

»Ah! Wahnsinn.«

»Nein, Wahrheit! Der Name Saltikoff ward verschenkt, oder vielmehr, er wurde Einem aufgezwungen. Und weißt Du vielleicht wem?«

»Nein,« antwortete der Officier.

Er war leichenblaß geworden und zitterte am ganzen Leibe.

»So will ich es Dir sagen. Der Name Saltikoff wurde aufgezwungen dem Maharadscha Banda von Nubrida. Damals –«

»Halt!« gebot der Kreishauptmann, der sich in einer Verlegenheit befand wie noch niemals im ganzen Leben. »Halte auf! Wir wollen nichts mehr hören.«

»Das glaube ich wohl! Aber wenn ich das nicht erzählen soll, so will ich wenigstens eine Frage aussprechen: Wird Gökala heute mit in das Zelt Karparlas kommen?«

»Ja,« erklang es zögernd und gedrückt.

»Schön! Und zwar verlange ich, daß Karparla jetzt zu Gökala geht, um sie selbst einzuladen. Darf sie?«

»Ja. Aber ich muß dabei sein.«

»Nein. Du wirst hier bleiben. Karparla geht allein. Sie braucht keinen Begleiter, der sie beaufsichtigt. Ich werde mich hier niedersetzen und warten, bis sie wiederkommt. Dann begleite ich sie heim.«

Niemand widersprach ihm.

»Darf ich?« fragte das Mädchen, von dem Einen zum Andern blickend.

Weder der Kreishauptmann noch sein Sohn antwortete. Darum sagte Sam:

»Geh getrost! Kein Mensch hat Etwas dagegen.«

»Wie lange darf ich bleiben?«

»So lange es Dir beliebt. Ich habe Zeit.«

Sie ging.

Sam hatte sich auf einen Stuhl gesetzt. Er machte es sich bequem auf demselben, zog eine Cigarre heraus und brannte sie an.

»Geh in die Küche!« befahl der Beamte seiner Frau.

Sie ging. Sie war ganz voller. Angst. Dieser schreckliche Mensch, der Dicke, hatte ganz gewiß etwas sehr Gefährliches vor.

Der Rittmeister hatte sich wieder auf das Sopha niedergelassen. Er starrte fassungslos vor sich hin. Sein Geheimniß in den Händen dieses Mannes, dieses Menschen, der sich ihm bis jetzt nur gefährlich gezeigt hatte. Der Kreishauptmann schritt im Zimmer auf und ab. Er wußte nicht, was er denken und sagen solle. Er war der festen Ueberzeugung gewesen, daß außer ihm selbst und seinem Sohne nur der Graf der Rittmeister sei, und nun trat dieser fremde Kerl hier auf und zeigte, daß er vollständig eingeweiht sei.

Sam selbst that, als ob gar nichts vorgefallen sei. Er blies kunstvolle Ringeln aus dem Munde und gab sich dieser Beschäftigung mit einem Eifer hin, als ob es gelte, bei derselben eine Million zu verdienen.

Da endlich blieb der Kreishauptmann vor ihm stehen, schlug die Hände über der Brust zusammen und fragte:

»Wer bist Du eigentlich?«

Sam schnippste die Asche von der Cigarre und antwortete:

»Ein ehrlicher Kerl.«

»Unsinn! Darnach habe ich nicht gefragt. Wie ist Dein Name?«

»Samuel Barth. Du hast ihn ja bereits gelesen.«

»Was bist Du?«

»Knopfmacher.«

»Das ist nicht wahr!«

»So? Nun, dann brauchst Du es nicht zu glauben. Ich zwinge meine Meinung Keinem auf.«

»Du bist etwas Anderes!«

»Auch möglich!«

»Was denn?«

»Höre, mein lieber Freund, schiebe mir nicht solche unnütze Fragen unter die Nase! Ich bin da sehr kitzlich und könnte Dich etwas derb annießen! Stimmt etwa meine Legitimation nicht?«

»Sie ist richtig.«

»So laß mich in Ruhe!«

»Aber ich muß wissen, wie Du dazu kommst, uns von jenem Saltikoff zu erzählen.«

»Ja, ein Unsinn ist es eigentlich von mir gewesen. Da Du selbst jener Saltikoff bist, so hatte ich gar nicht nöthig, eine Geschichte zu erzählen, die Du doch auf alle Fälle viel besser weißt als ich.«

»Du befindest Dich in einem großen Irrthum.«

Sam legte das eine Bein über das andere und antwortete lächelnd:

»So würde ich Dir sehr dankbar sein, wenn Du mir den Gefallen thun wolltest, mich eines Besseren zu belehren.«

»Ich bin nicht Saltikoff. Ich habe niemals einen Menschen dieses Namens gekannt.«

»Wunderbar.«

»Dabei giebt es gar nichts Wunderbares.«

»O doch! Ein Mensch, der sich selbst nicht kennt und niemals Etwas von sich gehört hat, das ist doch wunderbar!«

»Beweise mir doch, daß ich Saltikoff bin!«

»Pah! Beweise es mir doch, daß Du es nicht bist.«

»Das kann ich dadurch beweisen, daß ich den Beweis führe, daß ich Rapnin bin.«

»Sehr schön! Aber ich würde mir dann sofort das Vergnügen machen, zu beweisen, daß Du Saltikoff bist.«

»Wie wolltest Du diesen Beweis führen?«

»Mündlich und auch schriftlich, ganz wie es verlangt wird.«

Da lachte der Kreishauptmann laut auf und sagte:

»Jetzt hast Du Dich verraten. Ich weiß ganz genau, daß über jene Angelegenheit gar nichts Schriftliches existirt. Wie willst Du also einen schriftlichen Beweis bringen!«

Sam blickte ihm mit fast übermüthig schlauem Ausdruck in das Gesicht.

»So? Ich habe mich verrathen? Ist das nicht eine Täuschung?«

»Nein.«

»O doch! Du selbst hast Dich verrathen, nicht ich. Wenn Du so genau weißt, daß über jene Angelegenheit nichts Schriftliches existirt, so muß sie Dir doch näher bekannt sein.«

Jetzt sah der Kreishauptmann ein, daß er sich vergallopirt habe. Er wurde verlegen und versuchte, sich durch eine Lüge aus der Schlinge zu befreien.

»Ich hörte davon sprechen.«

»So! Die Sache wurde heimlich abgemacht, nur zwischen dem Grafen und Saltikoff. Beide haben alle Veranlassung, nicht von ihr zu sprechen. Wenn Du also davon weißt, so bist Du entweder der Graf, oder Saltikoff. Der Graf bist Du nicht, folglich bist Du Saltikoff.«

»Dein Schluß ist ganz falsch.«

»Oho, mein Brüderchen!«

»Ja. Du weißt doch auch von dieser Angelegenheit, wie Du sagst!«

»Ja.«

»Also könntest Du ebenso gut Saltikoff sein wie ich.«

»Höre, dieser Einwand ist gar nicht so albern. Ich habe wirklich nicht gedacht, daß Du so klug bist, denn aufrichtig gestanden, Dein Gesicht ist kein sehr geistreiches. Aber wie nun, wenn der Graf mir Alles mitgetheilt hätte?«

»Das hat er nicht!« !

»Nun, hast Du etwa Etwas verrathen?«

»Nein.«

»Also muß doch er es mir gesagt haben!«

»Allerdings. Das ist richtig. Niemand hat es weiter gewußt als er und ich.«

Der Rittmeister hustete stark, um seinen Vater auf die Dummheit aufmerksam zu machen, die er jetzt gesagt hatte. Sam aber brach in ein herzliches Gelächter aus und rief lustig:

»Das war nun nicht so schlau wie vorher. Jetzt hast Du zugegeben, daß nur der Graf und Du allein die Wisser gewesen sind, folglich bist Du Saltikoff.«

»Donnerwetter!«

Er schlug sich vor den Kopf.

»Na, zu ohrfeigen brauchst Du Dich deshalb nicht. Du wärst auch ohne dieses Zugeständnisses gar nicht weit gekommen. Ich weiß sogar, daß Du dem Grafen eine Unterschrift, sagen wir, einen Revers gegeben hast.«

»Wer sagt das?«

»Der Graf.«

»Er lügt!«

»Nein.«

»Er mag diesen Revers vorzeigen!«

»Hat er ihn vielleicht verloren?«

»Er kann ihn nicht verlieren, da er gar keinen hat!«

»Hm! Werde ihn fragen lassen.«

»Durch wen?«

»Durch das Gericht.«

»Das Gericht wird sich hüten, einen so hochgestellten Herrn zu beleidigen.«

»Meinst Du? Wenn nun gerade ich vom Gerichte den Auftrag hätte, mir Auskunft von ihm geben zu lassen?«

»Bist Du ein verkappter Polizist?«

»Das wollen wir einstweilen dahingestellt sein lassen.«

»Er ist viel zu stolz, Dir Antwort zu geben.«

»O, was seinen Stolz betrifft, so macht mir derselbe keine Sorge. Ich habe schon manchen Stolzen demüthig gemacht.«

»Nur keine Solchen!«

»Noch ganz andere Kerle. Mein ganzes hiesiges Auftreten muß Dir beweisen, daß ich nicht mit mir spielen lasse. Ihr Beide habt das ja zur Genüge erfahren.«

»Du wirst den Grafen nicht finden.«

»Meinst Du?«

»Ja. Wo ist er denn?«

»Am Mückenflusse, wo er den Nummer Fünf, den Maharadscha, aufsuchen will.«

»Alle Teufel! Woher weißt Du das.«

»Ich weiß eben Alles.«

»Du bist falsch berichtet!«

»So? In diesem Falle werde ich dennoch den Grafen finden. Ich brauche ja nur hier zu bleiben. Er kommt ja zurück, um Gökala zu holen.«

Der Kreishauptmann sah ein, daß er nichts Stichhaltiges vorbringen konnte. Seine Verlegenheit wuchs von Sekunde zu Sekunde. Er begann, wieder im Zimmer hin und her zu laufen.

Sam folgte ihm mit den Augen und lächelndem Blicke. Er fuhr fort:

»Nun wirst Du wohl einsehen, daß es sehr fraglich ist, wer der Herr Kreishauptmann hier ist.«

»Ich! Und ich bleibe es auch!«

»Und wer der Herr Rittmeister und Commandant ist.«

»Der bin ich!« sagte der Officier in stolzem Tone. »Und ich will Den sehen, der das ändern will!«

»Na, ich nicht. Mich geht Ihr gar nichts an. Mir soll es ganz gleichgiltig sein, ob hier zwei Saltikoffs oder zwei Rapnins ihr Wesen treiben. Aber wenn sie mir das Leben sauer machen, dann freilich haben sie es mit mir zu thun. Das mögt Ihr Euch gütigst hinter die Ohren schreiben!«

Da blieb der Kreishauptmann wieder vor ihm stehen.

»Also Du sagst, daß Dir die Sache ganz gleichgiltig sei?« fragte er.

»Ja.«

»Du hast also eigentlich gar keine Ursache, feindlich gegen uns aufzutreten?«

»Nein.«

»Warum thust Du es dennoch?«

»Weil Ihr Euch so brutal gegen mich benommen habt.«

»Das ist nicht wahr. Du selbst bist es, welcher angefangen hat.«

»Da muß ich Dir bemerken, daß, wenn Ihr einen Schützling von mir beleidigt, es ganz genau so ist, als ob Ihr mich selbst beleidigt hättet. Ich lasse mir das eben nicht gefallen.«

»Du nimmst die Sache zu streng. Wenn Du uns besser kanntest, so würdest Du ganz anders von uns denken.«

»Ich glaube das nicht.«

»Ich will es Dir beweisen.«

»Dieser Beweis wird Dir wohl nicht gar zu leicht werden!«

»Sehr leicht. Du brauchst Dich nur einigermaßen gutwillig zu zeigen.«

»Inwiefern?«

»Insofern, als Du den Vorschlag annimmst, den ich Dir machen werde.«

»So laß ihn hören.«

»Du kennst unser Geheimniß. Ich kaufe es Dir ab.«

»Hm! Nicht übel!«

»Nicht wahr? Machst Du mit?«

»Wenn Du gut zahlen könntest, so wäre ich vielleicht bereit dazu.«

»Ich zahle fein.«

»Laß hören!«

»Wieviel verlangst Du?«

»Wieviel bietest Du?«

»Fünfhundert Rubel.«

»So! Fünfhundert Rubel für ein Geheimniß, dessen Enthüllung Dich und Deinen Sohn zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in den Bergwerken von Nertschinsk bringt, wo ihr unter die Erde geschafft werdet und das Tageslicht niemals wieder zu sehen bekommt? Bist Du gescheidt?«

»Also tausend?«

»Tausend Rubel? Das ist eine solche Bagatelle, daß ich sie gar nicht in den Mund nehme.«

»Donnerwetter! Ich dächte, daß tausend Rubel eine schöne Summe seien.«

»Für Euch vielleicht.«

»Für Jedermann hier.«

»Gut, aber ich bin eben nicht so ein Jedermann. Und nun sage mir doch vor allen Dingen, wie Du tausend Rubel bezahlen willst.«

*


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