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75

»Dazu habe ich keine Zeit. Wie man eine solche Summe und solche wichtige Papiere verlieren kann, das ist mir gradezu unfaßbar. Du bist doch kein kleines Kind mehr! Und sollte es Altersschwäche sein!«

»Keins von Beiden! Ich weiß ganz genau, daß ich es gut eingesteckt habe.«

»So wäre es doch da!«

»Es ist mir gestohlen worden!«

»Pah! Von wem denn?«

»Das weiß der Teufel, ich aber nicht. Jemand hat es mir aus der Tasche genommen. Es ist nicht anders möglich.«

»Ist Dir denn Jemand so nahe gekommen?«

»Weiß nicht.«

»Sinne nach. Einer, der Dich auf solche Weise bestiehlt, muß doch ganz nahe bei Dir gestanden haben.«

»Natürlich.«

»Und es darf Niemand dabei gewesen sein, der den Diebstahl hätte bemerken können.«

»Das ist sehr richtig.«

»Nun, so besinne Dich! Wer könnte das gewesen sein?«

»Hm!«

Indem er diesen Brummlaut ausstieß, nahm sein Gesicht einen Ausdruck eigenartiger, höhnischer Spannung an.

»Wer hat so nahe und ganz allein bei Dir gestanden?« wiederholte der Rittmeister.

»Nur Einer, ein Einziger.«

»Na, wer denn?«

»Du.«

»Ich – – –?« rief der Offizier, indem er seinen Vater erstaunt ansah.

»Ja, Du!«

»Was willst Du damit sagen?«

»Deine Frage will ich beantworten.«

Der Offizier errieth die Gedanken seines Vaters.

»Du denkst doch nicht etwa – – –?«

»Was?«

»Daß ich Dich bestohlen habe!«

Jetzt war auf dem Gesichte des Alten das deutlichste Mißtrauen zu lesen. Sein Blick wurde stechender und seine Miene finsterer, als er fragte:

»Wie kommst Du auf diesen Gedanken?«

»Dein Verhalten ist grade so, als ob Du mir mißtrauest.«

»Ich habe ja gar kein Wort gesagt.«

»Aber es steht Dir klar und deutlich im Gesicht geschrieben!«

»Das denkst Du nur, das böse Gewissen macht mißtrauisch.«

»Vater!« brauste der Rittmeister auf.

»Iwan!« donnerte der Alte noch stärker.

»Ich – Dich bestehlen!«

»Warum nicht?«

»Das ist Wahnsinn!«

»Pah! Du selbst bringst mich auf diesen Gedanken!«

»Aber er ist ein ganz und gar verrückter.«

»Wohl nicht!«

»Vater, ich verbitte mir denn doch allen Ernstes eine solche Beleidigung!«

»Spiele nicht Komödie! Zwischen Vater und Sohn kann keine Beleidigung fallen. Bist Du etwa ein solcher Engel, daß man Dir so Etwas nicht zutrauen dürfte?«

»Ein Engel bin ich nicht, aber auch kein Dieb!«

»Lächerlich.«

»Nu ja! Aber Dich werde ich nicht bestehlen.«

»Pah! Denke zurück, wie oft Du mir über mein Casse gegangen bist!«

»Das waren nur Bagatellen, hundert Rubel, zuweilen auch zweihundert höchstens, mehr aber nie!«

»Die Summe beträgt doch Tausend.«

»Aber Tausend auf einmal, das habe ich niemals gethan!«

»Bisher. Aber heut hast Du es wohl einmal versucht!«

»Himmeldonnerwetter! Vater, bringe mich nicht auf!«

»Nein, sondern bleiben wir ruhig. Du befindest Dich in Noth. Du brauchst Geld!– – –!«

»Was soll das?«

»Wer Geld braucht, hilft sich leicht auf eine ungesetzliche Weise. Und den Vater zu bestehlen, daß ist doch eine Handlung, welche das Strafgesetzbuch nicht direct bedroht.«

»Ja, nur auf Antrag des Vaters wird der Sohn bestraft. Das ist sehr richtig. Also bitte ich, diesen Antrag gegen mich zu stellen.«

Er drehte sich scharf auf dem Absätze um und ging fort

»Iwan!« rief sein Vater.

Er erhielt keine Antwort.

»Iwan!«

»Was?« fragte der Sohn, stehen bleibend.

»Wo will Du hin?«

»Fort, um die beiden, Kosaken aufzulauern.

»Das ist jetzt Nebensache.«

»Nein, sondern Hauptsache!«

»Wir müssen über dieses Geld sprechen!«

»Ich bin fertig mit dem, was ich darüber zu sagen habe.«

»Also, aufrichtig! Ich verspreche Dir, nicht zu zürnen. Hast Du es?«

»Nein.«

»Wirklich nicht?«

»Donnerwetter! Mach mir es nicht zu bunt! Ich habe es nicht, und damit pasta!«

Der Alte hatte wirklich Hoffnung gehabt, daß der Rittmeister es heimlich zu sich gesteckt habe. Jetzt verschwand auch diese seine letzte Hoffnung.

»Daß Gott erbarm!« seufzte er tief und schmerzlich auf. »Also verloren, wirklich verloren!«

Da legte der Rittmeister dem Vater die Hand auf die Achsel und fragte:

»Du, spielst Du etwa Komödie mit mir?«

»Komödie? Wieso?«

»Wieso? Das brauchst Du gar nicht zu fragen. Du wirst mich schon verstehen.«

»Keine Ahnung!«

»Du thust nur so, als ob das Geld verloren sei.«

»Was? Ich thue nur so?«

»Ja, um mir nichts davon geben zu brauchen. Verstanden!«

»Himmel! Wenn ich es nur hätte, Du solltest sofort Deinen Theil erhalten.«

»So! Nun, ich will glauben, daß Du es verloren hast; glaube Du aber auch, daß ich es nicht gefunden habe! Wir können nichts thun, als nur suchen.«

»Das ist vergeblich.«

»Fang dennoch von vorn an, und such das ganze Gebäude durch! Ich will indessen dafür sorgen, daß wir Geld bekommen.«

»Ach, ja! Wir brauchen es!«

»Und zwar höchst nothwendig. Wenn das Deinige wirklich verloren ist, was ich aber gar nicht begreifen kann, so ist es desto nöthiger, uns anderes zu verschaffen. Und da muß ich schnell machen. Es ist bereits zu viel Zeit vergangen.«

Er stand während dieser Worte am Fenster und warf einen Blick hinaus.

»Siehst Du, wie Recht ich habe!« sagte er. »Da vor dem Gasthofe stehen zwei Pferde. Kennst Du sie?«

Der Alte trat herbei, blickte auch hinaus und antwortete:

»Die Schwarzen des Gastwirthes.«

»Er hat sie den Kosaken verkauft.«

»Woher weißt Du das?«

»Ich vermuthe es. Schau! Da tritt der Dicke aus der Thür. Er betrachtet die Pferde! Es ist gewiß, daß sie jetzt den Kosaken gehören. Die werden bald aufbrechen, und ich muß ihnen doch zuvorkommen.«

Er eilte fort, hinüber nach den Pferdestellen, ließ schnell satteln und ritt nach kaum einer Viertelstunde mit noch sechs Kosaken davon – unbemerkt, wie er meinte.

Aber er wurde nur gar zu wohl bemerkt. Sam Barth hatte scharfe Augen.

Dieser Letztere war mit den beiden frei gewordenen Kosaken nach dem Gasthofe gegangen. Der Wirth desselben hatte, wie sie ihm sagten, zwei kleine, schwarze, kräftige Steppenpferde zu verkaufen.

Als sie dort eintraten, bot sich ihnen ein sehr unpoetischer Anblick dar.

Der Polizist lag unter dem Tische und schnarchte wie eine Lokomotive. An diesem Tische aber saßen die beiden Ratniki; der Eine hatte die Frau und der Andere die Tochter des Polizisten auf dem Schooße. Sie herzten und küßten sich und gossen sich dabei große Gläser von Wutki ein und tranken.

Die fünf Eintretenden wurden von Ihnen mit Jubel bewillkommnet. Sie sollten sich gleich zu ihnen setzen. Sam aber schlug es ab, es gab mehr zu thun.

Vor Allem mußten die beiden Kosaken fort. Kamen die einmal zum Schnapstrinken, so gab es sicher sobald kein Aufhören. Darum mußte der Wirth gleich seine Pferde vorführen. Sie gefielen und wurden billig gekauft.

Proviant und Anderes, was nöthig war, wurde auch sogleich vom Wirthe besorgt. Als die Thiere dann vor dem Gasthof geführt worden waren, trat Sam einmal hinaus, um sie nochmals zu betrachten. Da gewahrte er den Rittmeister, welcher eiligen Schrittes aus dem Regierungsgebäude kam und nach den Stallungen ging. Er warf dabei einige so eigenthümliche Blicke nach den beiden Pferden, daß Sam aufmerksam wurde.

Eine einzige kleine, ganz unscheinbare Bewegung, ein einziger Blick kann die innerste, verborgenste Absicht eines Menschen verrathen. Sam war ein Menschenkenner.

»Sapperment!« sagte er sich. »Das sah gefährlich aus! Fast, als ob es auf uns abgesehen sei. Werde mal aufpassen lassen.«

Er ging weiter hinein und sandte die beiden Kosaken heraus. Sie sollten heimlich spähen, wohin der Rittmeister sich wenden werde.

Bereits nach ziemlich kurzer Zeit kamen sie wieder zurück. Der Eine von ihnen war stets schweigsam; der Andere hatte bisher immer den Sprecher gemacht. Er meldete auch jetzt:

»Väterchen, der Rittmeister ist fort.«

»Wohin?«

»Nach Westen, in die Steppe hinein.«

»Wohin geht Euer Weg?«

»Auch dorthin.«

»So! Hm!«

Er redete einige Worte in englischer Sprache mit Jim und Tim und frug dann weiter:

»Traut Ihr dem Rittmeister?«

»Warum sollten wir ihm jetzt trauen oder nicht? Er geht uns nichts mehr an. Wir sind frei.«

»Ja, einstweilen. Wie nun, wenn er Euch vorangeritten ist, um Euch Euer Geld abzunehmen?«

»Heiliger Himmel. Du erschreckst mich!«

»Und Eure kostbaren Papiere!«

»Das wäre doch Unrecht.«

»Ja, aber er hat sich nie vor dem Unrecht gefürchtet. Ihr hättet kein Geld und könntet nicht fort, denn vielleicht nähme er Euch gar auch die Pferde.«

»Das wolle die heilige Jungfrau verhüten!«

»Die kommt nicht vom Himmel herab, um es zu verhüten.«

»O ja, Väterchen. Die Gottesmutter kommt, wenn man sie nur recht inbrünstig bittet.«

»Wenn sie aber doch nicht kommt?«

»So hat sie nicht gewollt.«

»Sehr gut! Ich denke, sie wird bereits von vornherein nicht wollen. Ihr selbst müßt wollen, aber nicht nur wollen, sondern auch handeln. Nimmt Euch der Rittmeister die Papiere ab, so werdet Ihr wieder eingezogen und erhaltet die Knute.«

»Herr, behüte uns vor allem Uebel.«

»Ja. Aber Ihr selbst müßt Euch zunächst behüten. Kennt Ihr die Gegend genau, in welche Ihr reiten müßt?«

»Ja.«

»Wie ist sie? Bergig?«

»Nein, sondern ganz eben.«

»Giebt es nicht eine Unterbrechung?«

»Keinen Wald und gar nichts. Nur eine gute Stunde von hier liegen viele Felsen wirr durch einander. Es ist eine feuchte Gegend; darum wachsen zahlreiche Weiden dort. Aus diesem Grunde heißen die Steine die Weidensteine.«

»Sind die Weiden Bäume oder Büsche?«

»Beides.«

»Haben die Felsen einen großen Umfang?«

»Man reitet wohl zehn Minuten, ehe man an ihnen vorüberkommt.«

»Wie hoch sind sie?«

»Es sieht aus, als ob ein großes Gebäude, in welchem Riesen gewohnt hätten, eingestürzt wäre. Es giebt Haufen, welche hoch sind wie ein Thurm; andere aber sind niedriger.«

»Wer sich dort befindet, kann einen Jeden sehen, der von der Stadt her kommt?«

»Nein. Wenn Du dort bist, so kannst Du mich nicht sehen, wenn ich hier durch die Furth reite und einen Bogen nach rechts schlage, so daß ich dann anstatt von hier aus von Norden nach den Weidensteinen komme.«

»Das ist sehr gut, sehr gut. Diese Richtung werde ich einschlagen.«

»Wie? Willst Du nach den Felsen hin, Väterchen?«

»Ja, mein Söhnchen.«

»Warum? Willst Du uns vielleicht eine Strecke begleiten?«

»O nein. Das fällt mir gar nicht ein. Das wäre die größte Dummheit, welche ich in meinem Leben gemacht hätte.«

»Warum willst Du denn aber hin?«

»Um Euch zu beschützen.«

»Gegen wen?«

»Gegen den Rittmeister.«

»So denkst Du wirklich, daß er uns aufhalten wird?«

»Ja, und zwar dort bei den Weidensteinen. Er ist ja Offizier und muß als solcher wissen, daß sich dieser Ort zur Ausführung seines Planes am allerbesten eignet. Also ich schlage den erwähnten Bogen, und meine zwei Gefährten begleiten mich. Ihr Beide aber reitet einige Minuten nach uns von hier fort und grad auf die Weidensteine zu, aber langsam, nur im Schritt, wie man reitet, wenn man viel Zeit übrig hat.«

Es gab einen sehr triftigen Grund, diese Männer zum langsamen Reiten zu veranlassen. Während z. B. der Indianer das Pferd nur dann anstrengt, wenn die Veranlassung dazu vorhanden ist, strengt der Orientale es ohne alle Noth so an, daß es sehr schnell altert und zu Schanden wird. Das Pferd des Indianers ist dessen Gefährte, dessen Leben von seinem Thiere abhängt; das Pferd des Asiaten aber ist sein Sclave. Wie wunderlich Sams Weisung den Beiden vorkam, zeigte gleich die außerordentlich verwunderte Frage:

»Wie? Langsam sollen wir reiten? Im Schritt?«

»Ja.«

»Warum denn?«

»Weil Ihr sonst eher hinkommt als wir, die wir einen bedeutenden Umweg zu machen haben. Und doch müssen wir eher dort sein als Ihr!«

»Was schadet es, wenn wir eher hinkommen als Ihr?«

»Sehr viel. Ihr werdet von dem Rittmeister angehalten, ohne daß wir Euch dann beistehen können.«

»Ach so! Wir werden also thun, was Du uns sagst.«

»Gut! So wartet jetzt bis ich unsere Pferde geholt habe.«

Er ging hinaus in das Zeltdorf, wo in der Nähe vom Zelte des Tungusenfürsten sein Pferd nebst den Thieren Jims und Tims weideten.

Karparla stand vor der Thür. Als sie ihn kommen sah, kam sie ihm entgegen. Sie fragte ihn:

»Mann, wirst Du Dich mit dem Rittmeister schießen?«

»Jetzt nicht und vielleicht gar nicht.«

»Warum nicht.«

»Er fürchtet sich.«

»O, das ist sehr gut!«

»Warum?«

»Weil er Dich treffen könnte.«

»So! Das soll er wohl nicht?«

»Nein. Du bist mein Freund, und ich müßte bitterlich weinen, wenn Du verwundet würdest. Woher kommst Du jetzt?«

»Vom Kreishauptmanne.«

»Ach! Kannst Du mir sagen, ob ein Besuch bei ihm ist?«

»Ja. Die Dame, welche Du heut getroffen hast.«

»Wer sagte das?«

»Sie selbst.«

»Sie wollte zu mir kommen.«

»Sie kommt nicht.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Sie darf nicht. Der Mann, mit welchem Sie angekommen ist, hat es ihr verboten.«

»Weißt Du vielleicht, aus welchem Grunde?«

»Ich weiß es, doch ist die Zeit zu kurz, es Dir zu erklären.«

»Sie braucht sich aber doch an dieses Gebot gar nicht zu kehren, denn er ist nicht mehr da.«

»Das weißt Du?«

»Ja. Er ist mit zehn Kosaken fort nach dem Mückenflusse.«

»Das weißt Du also auch und zwar gewiß?«

»Ja. Sie mußten hier bei uns vorüber, und einer der Kosaken hat es einem unserer Leute gesagt.«

»Sie muß ihm dennoch gehorchen, denn der Herr hat dem Kreishauptmann den Befehl ertheilt, sie in strenger Wacht zu erhalten.«

»Mein Gott! So ist sie ja ganz und gar wie eine Gefangene!«

»Leider ja!«

»Nun gut! Wenn Sie nicht zu mir darf, so gehe ich zu ihr. Wir haben das so mit einander verabredet.«

»Auch das ist verboten. Es darf kein Mensch zu ihr.«

»Sam, lieber Sam, was ist da zu thun? Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen, aber ich habe sie bereits so lieb gewonnen, als ob sie meine Schwester sei. Ich vermuthe, daß sie zu einem Manne in einem Verhältnisse stehe, welches sie sehr unglücklich macht.«

»Das ist freilich der Fall.«

»So muß ich ihr helfen!«

Sie sagte das in sehr energischem Ausdrucke. Sam überflog das schöne gute Mädchen mit einem wohlgefälligen Blicke und antwortete:

»Du? Du willst ihr Hilfe bringen?^«

»Ja, ich! Ich muß!«

»Wie willst Du das anfangen?«

»Wie? Das weiß ich freilich noch nicht. Ich werde mit Vater und Mutter darüber sprechen.«

»Die werden auch keinen Rath wissen, denn um ihr helfen zu können, muß man natürlich mit ihren Verhältnissen vertraut sein.«

»So werde ich mich nach denselben erkundigen?.«

»Bei wem?«

»Bei – bei – ja, das weiß ich freilich auch nicht.«

»Schau, da wirst Du Dich doch wieder einmal auf einen verlassen müssen, dem es ein großes Vergnügen ist, Dir einen Gefallen zu erweisen.«

»Wer ist denn das?«

»Der alte, gute, dicke Sam.«

»Du, Du also! Ja, Du bist ein Mann, der alles fertig bringt, wie es scheint. Zu Dir habe ich das allergrößte Vertrauen. Du hast gleich gestern, als Du kamst und dann auch am Abende, gezeigt, daß Du den Rittmeister und auch den Kreishauptmann nicht fürchtest. Du hast dann den Nummer zehn befreit. Ich glaube, Dir müßte es auch gelingen, es möglich zu machen, daß ich Gökala besuchen darf.«

»Wenn Du es befiehlst, so werde ich es freilich möglich machen.«

»Befehlen, befehlen werde ich es nicht, aber ich bitte Dich recht dringend darum.«

Sie reichte ihm ihr kleines, volles, quatscheliges Händchen hin. Er drückte es an seine Lippen und antwortete:

»Na, diese Bitte soll ganz gewiß erfüllt werden, schon um dieses Händchens willen. Weißt Du, liebe Karparla, es ist für so einen alten Esel, wie ich bin, eine wahre Wonne, so ein appetitliches Händchen küssen zu dürfen. Und weil Du mir diese Seligkeit bereitet hast, so sollst Du mit Gökala reden dürfen.«

»Ich danke Dir! Aber wenn? Doch sogleich?«

»Sachte, sachte! So schnell geht das nicht, denn ich möchte Dir sogar die Freude machen, daß Sie Dich besuchen darf.«

»So viel Macht traust Du Dir zu?«

»Ja.«

Sie blickte ihn mit Erstaunen an.

»Höre, so bist Du ein viel vornehmerer Herr als es scheint.«

»Meinst Du? Ja, es steckt etwas dahinter! Oder vielmehr, es steckt inwendig in mir, und darum bin ich auch so dick. Habe nur ein Wenig Geduld. Ich muß erst einen Ritt machen, doch werde ich in zwei Stunden wieder hier sein.«

»Wohin willst Du?«

»Hinaus in die Steppe. Der Rittmeister hat, wie es scheint, eine Schlechtigkeit vor, und diese will ich verhüten.«

»Sam, Du bist wirklich ein Held, ein ganz gewaltiger Held!«

»Na, es giebt noch ganz andere Helden! Morgen zum Beispiel kommt Einer hier an, der ist noch ein ganz anderer Kerl als ich. Gegen den bin ich, was ein dummer Ochse gegen ein Vollblutpferd ist.«

»Wer ist er?«

»Das wirst Du später erfahren. Er kommt auch wegen Nummer Zehn.«

»Wirklich?«

»Ja. Er will ihn befreien.«

.

»Das ist gut! Das ist sehr schön! Ich habe solche Angst, Nummer Zehn will nach dem Mückenflusse. Jener Herr, mit welchem Gökala gekommen ist, will auch hin, und denke Dir, der Oberlieutenant ist auch mit zwanzig Mann bereits nach dort unterwegs.«

»Donnerwetter! Der Oberlieutenant? Was fällt dem ein?«

»Ich bin so sehr erschrocken, als ich es erfuhr. Es ist heut früh, nachdem Du fort warst, ein jakutischer Händler hier angekommen, welcher sehr oft hier ist und die Nummer Zehn sehr gut kennt. Beide sind einander begegnet. Der Jakute hat hier erfahren, daß Nummer Zehn gesucht wird, weil er entflohen ist, und ist sofort zum Oberlieutenant gelaufen, um ihm zu sagen, daß der Flüchtling die Richtung nach dem Mückenflusse eingeschlagen hat. Darum ist dieser Offizier mit zwanzig Mann schleunigst hinterher.«

»Davon weiß ich doch gar nichts, obgleich ich zweimal beim Rittmeister war, welchem doch so Etwas gemeldet werden muß!«

»Du kennst die Verhältnisse nicht. Der Oberlieutenant ist der eigentliche Commandant. Der Rittmeister ist zu träge und zu feig. Er trachtet nur darnach, den Rang zu besitzen. Der Oberlieutenant läßt sich von ihm auch nicht viel sagen.«

»So, so! Das hätte ich wissen sollen.«

»Du kannst Dir also denken, welche Angst ich habe.«

»Nun, beruhige Dich, mein Kind. Angst brauchst Du nicht zu haben. Ich bin auch noch da.«

»Ja. Du bist da. Das ist freilich wahr, aber das ist eben auch der Fehler. Du solltest am Mückenflusse sein.«

»Dort werde ich auch sein!«

»So! Wirklich? Wann?«

»Morgen geht es hin.«

»Gewiß?«

»Ja. Ich erwarte nur die Ankunft jenes Helden, den ich vorhin erwähnte.«

»Aber das ist zu spät. Der Oberlieutenant kommt einen ganzen Tag eher dort an.«

»Das ist gleichgültig. Ich komme doch noch zur rechten Zeit. Und übrigens weißt Du gar nicht, was für Reiter wir sind. Wir werden an einem Tage wenigstens achtzig Werst zurücklegen.«

»Das ist unmöglich!«

»Nein.«

»Unsere besten Reiter bringen das nicht fertig, und die haben doch von Kind auf im Sattel gesessen.«

»Ja, die sind auch keine Prairiejäger.«

»Was sind das für Leute?«

»Davon ein anderes Mal. Auch haben wir Pferde – ah, Pferde!«

Er schnippste mit den Fingern, als ob er an etwas ganz Außerordentliches denke.

»Nun,« lächelte sie, die sollen wohl so ganz seltene Exemplare sein?« Dabei deutete sie auf die drei Thiere, welche Sam, Jim und Tim gehörten.

»Ja.«

»Sie sehen aber nicht darnach aus. Sie scheinen sogar halb verhungert zu sein.«

»Denkst Du, daß man mit einem solchen Bauche, wie ich habe, gut laufen kann?«

»Nein. Du bist jedenfalls ein sehr schlechter Läufer.«

»O, wenn es sich nur um zehn Minuten oder eine Viertelstunde handelt, so nehme ich es wohl mit einem Jeden auf. Zu einem Dauerlauf aber habe ich kein Geschick.«

»Und das Reiten hältst Du aus?«

»Das ist meine Wonne. Also habe keine Angst um Nummer Zehn. Er ist so gut wie in Sicherheit.«

»Du machst mir das Herz sehr leicht. Ich vertraue ganz auf Dich.«

»Du wirst Dich sicherlich nicht täuschen.«

Ich glaube es, und darum – – –« .

Sie blickte vor sich hin. In ihrem Gesichtchen war eine gewisse Verlegenheit zu erkennen.

»Was wolltest Du sagen?« fragte er.

»Etwas, was ich doch nicht wagen darf.«

»Mir gegenüber darfst Du Alles.«

»O nein. Es ist zu viel verlangt. Du hast bereits so viel gethan und noch zu thun.«

»Darum eben bin ich ganz der richtige Mann, auch Anderes zu übernehmen. Also sage mir Deinen Wunsch!«

»Jetzt nicht. Erst muß ich wissen, wie Du über die Sache denkst.«

»Ganz wie Du.«

»Du weißt doch noch gar nicht, wovon ich sprechen will.«

»Das freilich! Aber wenn ich Dir in das Gesicht und in die Augen gucke, so kann ich gar keine andere Meinung als die Deinige haben.«

»Wenn das auch wahr wäre!«

»Du kannst es glauben.«

»Nun, so sage einmal, wie Du über die armen Verbannten denkst.«

»Eben grad so wie Du!«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Grad so wie ich? Du weißt doch meine Gedanken gar nicht.«

»O, ich kenne sie sehr gut.«

»Woher?«

»Du hast sie mir ja mitgetheilt.«

»Wann denn?«

»Soeben, jetzt.«

»Ich weiß kein Wort davon!«

»Hast Du nicht gesagt, die ›armen‹ Verbannten?«

»Ja.«

»Du bedauerst sie also; Du fühlst Mitleid mit ihnen. Ist das nicht so?«

»Ja, wenn Du so scharfsinnig bist, so habe ich Dir allerdings meine Ansicht mitgetheilt. Du bemitleidest sie also auch?«

»Ja.«

»Es sind arme, gute, bedauernswerthe Menschenkinder?«

»Hm! Es mag wohl auch viele sehr schlimme Subjecte darunter geben; aber im Großen und Ganzen habe ich Sympathie für sie. Genügt Dir das?«

»Ja. Und nun sage mir, ob Du vielleicht einmal von dem Engel der Verbannten gehört hast.«

»Ja, und zwar erst in den letzten Tagen. In Irkutsk wurde von ihm gesprochen und unterwegs auch.«

»Weiß man, wer er ist?«

»Nein.«

»Und wo er sich befindet?«

»Auch nicht. Man ergeht sich da in verschiedenen Vermuthungen. Die Ungebildeten glauben, es sei wirklich ein Engel, der vom Himmel herabkommt oder wenigstens ein guter Geist, eine Fee oder so etwas Aehnliches. Die Klügeren wissen natürlich, daß es ein Mensch ist, sind aber nicht einig darüber, ob er männlichen oder weiblichen Geschlechtes ist.«

»So! Und was sagt man von ihm?«

»Daß er jeden Verbannten befreit, welcher in seine Nähe kommt, nämlich, wenn der Mann der Hilfe werth ist. Unwürdige liefert der Engel sogar an die Behörden zurück.«

»Ja, das ist wahr.«

»Das weißt auch Du?«

»Ja,« nickte sie.

»Woher?«

»Nun, man spricht doch überall davon. Eine gewisse Röthe der Verlegenheit hatte sich über ihr Gesicht verbreitet. Er bemerkte dies, sagte aber kein Wort darüber, sondern meinte:

»Für gar Manchen mag ein solcher Engel wirklich als ein Himmelsbote erscheinen. Es giebt wohl viele, viele Verbannte, welche ihr trauriges Loos nicht verdient haben.«

»O, Hunderte, Tausende!« rief sie schnell und in begeistertem Tone. »Eben darum hat der Engel es sich zur Aufgabe gestellt, einen jeden Würdigen sicher über die Grenze zu geleiten.«

»Man sagt, daß das Militair sehr dahinter ist, ihn einmal kennen zu lernen.«

»O, das wird nie geschehen.«

»Meinst Du?«

»Ja. Nur die eigenen Leute kennen ihn und würden lieber sterben als ihn verrathen.«

»Nur die eigenen Leute? Hm! Ich weiß einen sehr fremden Menschen, der diesen Engel ganz genau kennt.«

»Das ist unmöglich!«

»O doch!«

»Nein, nein! Ein Fremder kann ihn nicht kennen.«

»Wollen wir wetten?«

»Ja.«

»Um was?«

»Sage Du es. Ich weiß mit voller Gewißheit, daß ich gewinnen werde, darum sollst Du den Preis unserer Wette bestimmen.«

Man sah es ihr an, daß sie ihrer Sache sicher war. Es war ein Blick liebenswürdiger Ueberlegenheit, mit welchem sie die Gestalt Sams überflog. Dieser begegnete diesem Blicke seinerseits auch mit einem selbstbewußten Lächeln und antwortete:

»Aber Du mußt auch darauf eingehen, wenn ich den Preis nenne.«

»Ja, wenn ich kann.«

»Du kannst.«

»Nun, so sage ihn!«

»Wir wetten um einen Kuß. Gewinne ich, giebst Du mir einen, und verliere ich, bekommst Du von mir einen.«

Sie lachte lustig auf.

»Auf diese Weise gewinnst Du natürlich allemal.«

»Warum?«

»Ob Du den Kuß von mir bekommst oder ihn mir giebst, es ist doch immer ein Kuß.«

»Natürlich! Was weiter?«

»Also ein – ein – Glück für Dich.«

»Sapperment! Und da soll ich es sein, der auf alle Fälle am Besten wegkommt?«

»Ja.«

»O nein. Du bist es!«

»Wieso?«

»Ob Du mir den Kuß giebst oder ob Du ihn von mir empfängst, es ist doch immer und immer ein Kuß von mir. Denke Dir! Ein Kuß von dem dicken Sam! Tausende von Mädchens und Frauen würden viel für diese Seligkeit geben, nach der sie bisher vergebens gelechzt haben.«

»Du bist ein Spaßvogel!«

»Es ist mein völliger Ernst. Also, machst Du mit?«

»Nein. Ich will diesen tausend Frauen das Glück, nach welchem sie sich so sehr sehnen, nicht verkümmern.«

»Donnerwetter! Und grad Dich hätte ich am Allerliebsten einmal glücklich gemacht. So wird also aus unserer Wette nichts?«

»Nein.«

»Schade! Ich hätte sie ganz sicher gewonnen.«

»Im Gegentheile, ich!«

»Du irrst Dich.«

»O, ich weiß ganz genau, daß Du den Engel der Verbannten nicht kennen kannst.«

Sie sagte das außerordentlich eifrig. Sams Lächeln wurde immer siegesgewisser. Er sagte:

»Nichts weißt Du, gar nichts weißt Du, mein Töchterchen.«

Da stampfe sie in ihrem Eifer mit dem Füßchen auf und antwortete:

»Ich wüßte nichts? Grad ich, grad ich muß es am Allerbesten wissen!«

»So! Aber ich kann es Dir ja beweisen, daß ich den Engel kenne.«

»Nun, so beweise es!«

»Schön! Er ist weiblichen Geschlechtes. Ist das richtig?«

»Ja.«

»Er ist unverheirathet, also ein Mädchen.«

»Auch richtig.«

»Er ist kein gewöhnliches Mädchen, sondern die Tochter eines sehr angesehenen Anführers.«

»Ja.«

»Er hat auch einen sehr hübschen Namen.«

»Wie lautet der?«

»Karparla.«

Sie trat um einige Schritte zurück.

»Kar – – –! Wen meinst Du?«

»Dich natürlich.«

»Mich? Du denkst, ich sei der Engel der Verbannten?« fragte sie im Tone des größten Erstaunens.

»Ja, mein Herzchen.«

»Woher weißt Du das?«

»Von Dir selbst.«

»Kein Wort habe ich Dir gesagt.«

»O doch!«

»Keine Silbe!«

»Ausführlich, ganz ausführlich hast Du es mir eingestanden.«

»Wenn denn?«

»Während unserer Unterhaltung. Hast Du nicht bereits vorhin meinen Scharfsinn anerkannt? Hörbare Worte hast Du allerdings darüber nicht gesprochen, aber Dein Verhalten, Deine Ausdrucksweise war sprechend. Du hast Dich eben verrathen.«

»Sam, Du bist ein gefährlicher Mensch!«

»O nein. Ich bin ein selensguter Kerl.«

»Alles, Alles kannst Du errathen.«

»Ja, errathen, das thue ich gern; aber verrathen, das thue ich niemals. Also sage mir, habe ich Recht?«

Sie antwortete nicht sogleich.

»Oder traust Du mir nicht?«

»Sam, Dir traue ich. Du wirst es nicht weiter sagen.«

»Eher beiße ich mir den Kopf ab!«

»Ja, ich bin Diejenige, die man so nennt.

»Siehst Du, Kindchen. Na, hier nimm meine Hand. Dein Geheimniß ist bei mir sehr gut aufgehoben. Ich will Dir ehrlich sagen, daß ich ganz erstaunt über Dich bin.«

»Warum?«

»Dieser Engel der Verbannten zu sein, dazu gehört ein außerordentlicher Muth. Und den habe ich Dir nicht zugetraut.«

Sie nickte leise vor sich hin und antwortete:

»Ja, wir Frauen haben einen anderen Muth als Ihr. Ihr habt den Muth der Vernichtung und wir den Muth der Errettung, der Befreiung.«

Ihr Gesicht hatte einen tiefernsten Ausdruck angenommen. Sie schien jetzt eine ganz Andere geworden zu sein. Um den weichen, vollen Mund ging ein kurzes, energisches Zucken, und aus den Augen blitzte eine Entschlossenheit, der man schon etwas Ungewöhnliches zutrauen konnte.

»Karparla, ich erstaune nicht nur, sondern ich bewundere Dich,« sagte Sam. »Du kannst doch keinen Gefangenen befreien, ohne Dich in die eigene, größte Gefahr zu begeben.«

»Ja, gefährlich ist es,« lächelte sie.

»Und ich habe Dich für ein Wesen gehalten, welches vor so Etwas zurückschreckt.«

»Nun, gar so schlimm ist es freilich mit meinem Muthe nicht. Du müßt nämlich wissen, daß ich viele, viele Verbündete habe. Alle Stämme der Tungusen helfen mir.«

»Ah, ist es so!«

»Ja. Wir nehmen die entflohenen Verbannten bei uns auf, verbergen sie einzeln an verschiedenen Orten und holen sie dann zusammen, wenn wir nach der Grenze ziehen. Sie sind dann als Tungusen verkleidet und können nicht erkannt werden.«

»Hm! Das ist kein Lob für die hiesige Polizei.«

»Aber weißt Du, so ganz leicht ist es dennoch nicht. Wir begegnen sehr oft Militair, welches sich auf einem Streifzuge nach Geflohenen befindet. Da ist es oft sehr schwierig, der Entdeckung zu entgehen.«

»So wissen auch Deine Eltern um die Sache?«

»Natürlich. Das ganze Volk weiß es. Ich sollte ja grad aus diesem Grunde die Frau des Rittmeisters werden.

»Ah! Wie hängt das zusammen?«

»Das ist so: Mein Vater und der Schamane haben einst verschuldet, daß ein großer Trupp von Flüchtlingen, welcher sich bereits ganz nahe an der chinesischen Grenze befand, vom Militair umzingelt wurde. Die Aermsten beschlossen, sich nicht zu ergeben, sondern lieber zu sterben. Sie stürzten sich in das Wasser des Flusses und ertranken Alle.«

»Schrecklich!«

»Ja. Dies hat einen solchen Eindruck auf die Beiden gemacht, daß sie das Gelübde ablegten, fortan einen jeden würdigen Flüchtling zu retten. Seit jener Zeit sind von ihnen Hunderte glücklich über die Grenze gebracht worden. Jetzt nun vor einiger Zeit kam der Schamane auf den Gedanken, daß das Alles für uns leichter sein würde, wenn ich die Frau eines russischen Offiziers wäre, und so mußte mein Vater ihm versprechen, daß ich das Weib des Rittmeisters werden solle, um Alles, was gegen die Verbannten unternommen wird, sofort zu erfahren.«

»Wie kurzsichtig!«

»Meinst Du?«

»Ja. Es fragt sich, ob Dein Mann Dich in seine dienstlichen Geheimnisse und Angelegenheiten eingeweiht hätte. Es fragt sich, ob er selbst bei seinen Vorgesetzten ein solches Vertrauen besessen hätte, daß ihm Alles eröffnet worden wäre. Und endlich wärst Du ja für immer an seine Person gefesselt gewesen und hättest direct nichts mehr für Deine Schützlinge thun können.«

»Das ist wahr.«

»Und wenn es einmal entdeckt worden wäre, daß Du die verächtliche Rolle einer Spionin, einer Verrätherin gespielt hättest, was wäre Dein Loos und dasjenige Deines Mannes geworden? Lebenslängliche, unterirdische Arbeit in den Bergwerken von Nertschinsk.«

Sie schauderte.

»Ich? Eine Fürstentochter?«

»Pah! Diese Würde gilt nichts mehr, sobald Du die Frau eines russischen Soldaten wirst. Du wärst Frau Rittmeister gewesen, weiter nichts.«

»So ists wahrhaftig ein großes Glück, daß ich mich so gegen diesen Plan gesträubt habe.«

»Ganz gewiß. Du wärst einem Elende verfallen, aus welchem es keine Rettung gegeben hätte. Jetzt kannst Du für die Unglücklichen viel mehr thun als wenn Du die Frau dieses brutalen, feigen, ordinären Menschen wärst.«

»Ja, ich gebe Dir Recht. Grad jetzt haben wir einen Zug nach der Grenze vor. Aber es fehlt uns Etwas, was wir uns hier holen wollten. Leider aber bekommen wir es nicht.«

»Was?«

»Das möchte ich Dir lieber nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht weiß, wie Du darüber denkst.«

»O, wie vorhin: ganz wie Du!« lachte er.

»Hier vielleicht nicht.«

»O, ganz gewiß.«

»Nein, nein; das ist ja etwas ganz Anderes.«

Da ergriff er ihre Hand und versicherte ihr in überzeugendem Tone:

»Kindchen, ich habe Dich lieb. Dir zu Gefallen kann ich Alles thun.«

»Wirklich Alles?«

»Ja, Alles!«

»Auch – – auch stehlen?«

»Ja stehlen, das – das – hm, das ist nun eigentlich nicht meine Passion.«

»Siehst Du, daß ich ganz richtig zweifelte!«

»Hm! Es kommt auf die Verhältnisse an. Aufrichtig gestanden, halte ich Dich für keine Diebin.«

»Die bin ich nicht.

»Also muß es sich um einen Diebstahl handeln, zu dem es Veranlassung und Entschuldigung giebt.«

»Wir bekommen einen sehr großen Trupp Flüchtlinge zusammen. Wir können nicht länger warten; wir müssen nach der Grenze, weil wir die Unglücklichen in solcher Anzahl nicht mehr verbergen können. Aber zugleich haben wir gehört, daß grad jetzt die Grenze scharf und eng besetzt ist und daß dort zahlreiche Truppen herumschweifen. Es wird sicher zum Kampfe kommen, und uns fehlen die Waffen.«

»Sapperment! Das ist dumm! Aber ich habe geglaubt, daß Ihr gut bewaffnet seid!«

»Mit Pfeil und Bogen, Schild und Lanze, ja. Viele haben auch Flinten, aber es fehlt Pulver und Blei.«

»So kauft Euch welches!«

»Wo?«

»Ah, ja! Munition kann man hier ja nur von der Regierung erhalten.«

»Und die sorgt natürlich in ihrem eigenen Interesse dafür, daß wir nichts erhalten. Und sodann denk an die armen Flüchtigen. Für sie ist es ja die Hauptsache, daß sie bewaffnet sind. Sie müssen sich mit Hilfe der Waffen ihrer Verfolger erwehren und ihre Nahrung schießen. Ohne Waffen sind sie dem Hungertode preisgegeben. Wir brauchen also Flinten für sie und Pulver und Blei für sie und auch uns.«

»Ich könnt das Alles nicht im Kauf bekommen.«

»Man verweigert es uns.«

»So wollt Ihr es Euch stehlen?«

»Ja.«

»Nicht übel! Das Ding kann mir gefallen. Die Geschichte fängt an, mich zu interessiren.«

»Das freut mich, lieber Sam!«

»Natürlich, denn ich soll Euch mit mausen helfen.«

»O, das ists, was ich Dir nicht gut sagen konnte. Nun hast Du es selbst errathen.«

»Prächtig! Höre, Karparla, habe ich denn wirklich so ein fürchterliches Spitzbubengesicht?«

»O nein, eben gar nicht! Du hast das ehrlichste Gesicht, welches mir jemals vorgekommen ist.«

»Donnerwetter! Und dennoch muthet Ihr mir zu, daß ich mit Euch mausen soll!«

»Ja,« lachte sie.

»Vielleicht gar einbrechen!«

»Einbrechen müssen wir, ganz richtig, sonst kommen wir nicht dazu.«

»Na, Ihr seid mir ein schönes Volk!«

»Ihr? Wen meinst Du?«

»Euch Tungusen, Euch alle, die Ihr daran denkt, mich mit in diese famose Spitzbüberei zu verwickeln.«

»O, das ist ja nur eine einzige, allereinzige Person, die das thut. Sonst weiß Niemand Etwas davon.«

»Also Du allein?«

»Ja.«

»Weiter weiß kein Mensch Etwas davon?«

»Nein. Ich habe ein so unendliches Vertrauen zu Dir, daß – – –«

»Ja,« unterbrach er sie, »ein so unendliches Vertrauen, daß ich ein ganz verfluchter Einbrecher bin! Danke sehr!«

Er sagte das aber keineswegs in einem zornigen Tone. Sie sah es ihm an, daß er gar nicht abgeneigt war, ihr auch hierin zu helfen.

»Sam, lieber Sam!« bat sie.

»Karparla, liebe Karparla! Ich will es thun; ich will einbrechen und stehlen; aber nur unter einer Bedingung!«

»Gut, gut! Welche ists?«

»Du mußt meine Frau werden!«

»O, Sam, was wolltest Du mit mir anfangen!«

»Oder Du mit mir! Einbrechen thäten wir!«

»Das können wir auch, wenn wir ledig bleiben. Aber sprechen wir im Ernste! Kein Mensch weiß von meinem Plane Etwas. Ich allein habe daran gedacht, und ich bin es auch, die sich an Dich wendet, ohne daß ein Anderer eine Ahnung davon hat.«

»Hm! Warum grad an mich?«

»Eben meines Vertrauens wegen.«

»Hm! Giebt es denn unter Deinen lieben Tungusen keine Spitzbuben?«

»Genug.«

»Nun also!«

»Aber die sind zu dumm, einen solchen Streich auszuführen. Und – und – dann möchte ich auch nicht, daß ein Verdacht auf uns fiele.«

»Ja, auf mich soll er aber fallen!«

»O, Du bist viel zu klug dazu!«

»Verdammt zweifelhaftes Lob!«

»Also, bitte, bitte, willst Du?«

»Kind, wie soll ich diese Frage beantworten? Ich weiß doch noch gar nicht, um was es sich handelt.«

»Nicht? Habe ich es Dir denn noch gar nicht gesagt?«

»Kein Wort.«

»Nun, der Kreishauptmann hat Pulver und Blei in Menge.«

»Das läßt sich denken, von wegen der Garnison.«

»Und auch Gewehre.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja, ganz neue, mit passenden Formen zum Gießen der Kugeln.«

»So! Wo befindet sich denn die Niederlage?«

»Im Regierungsgebäude, neben seiner Schlafstube.«

»Sapperment! Da schläft er also neben dem Pulvermagazin! Wie gefährlich!«

»O nein! Es darf kein Mensch hinein, nicht einmal seine Frau. Und er geht natürlich nur am Tage hinein, nicht des Abends, wenn er Licht brauchen würde.«

»Hm! Ueberdies mag er die Sachen auch aus Vorsicht gleich neben seinem Bette aufbewahren. Es kann da kein Spitzbube dazu.«

»Das sagte er auch.«

»Nicht wahr? Ja, der Kerl ist schlau. Und Du meinst, mein Liebchen, daß ich da in das Cabinet einbrechen soll?«

»Ja.«

»Und Alles ausräumen?«

»Ja, möglichst Alles.«

»Sapperment! Ich muß doch ein verfluchter Einbrecher sein! Mir zuzumuthen, ein ganzes Gewehrcabinet nebst Pulverkammer auszuräumen, woneben der Kreishauptmann schläft! Netter Kerl, der dicke Sam!«

»O, Du bringst es fertig. Du mit Deinen beiden Freunden.«

»Also die haben auch solche Galgengesichter?«

»Scherze nicht! Willst Du, Sam? Du rettest dadurch viele Verbannte vom Untergange.«

»Hm! Wenn das Steinbach wüßte!«

»Wer ist das?«

»Der Mann, welcher morgen kommen wird.«

»O, der würde Dir zureden!«

»Da irrst Du Dich sehr! Er kommt in halb officieller Eigenschaft. Da darf er nichts thun, was gegen die Gesetze verstößt. Grad er würde mir auf das Strengste verbieten, mich in so eine Spitzbubengeschichte einzulassen.«

»So darfst Du ihm um Gotteswillen nichts sagen! Hörst! Du?«

»Ich höre schon.«

»Aber wenn er da ist, so ist es mir unmöglich, die Sache zu Stande zu bringen. Und morgen kommt er bereits. Es müßte also bereits heute geschehen.«

»Um so besser! Also, willst Du?«

»Wetterhexe! Ja, ich will für Dich zum Spitzbuben, Schinderhannes und bayrischen Hiesel werden. Ich will!«

»Du guter, lieber Sam!«

Sie drückte ihm die Hand mit inniger Dankbarkeit. Er aber sagte:

»Kind, Du bist ein ganz gefährliches Geschöpfchen. Jetzt lasse ich die Bedingung, welche ich vorhin machte, mit Freuden fallen. Ich mag Dich nicht zur Frau.«

»Warum?«

»Weil Du aus Einem Alles machen kannst. Zuletzt würde man Dir zu Liebe gar noch morden und plündern.«

»So schlimm ist es nicht. Das verlange ich nicht.«

»Nicht? Wie nun, wenn ich erwischt würde?«

»O, das ist nicht der Fall. Dazu bist Du eben viel zu klug.«

»Oho! Auch der Gescheidteste ist nicht sicher. Also ich setze den Fall, daß ich erwischt würde. Denkst Du, daß ich mich ergreifen ließe?«

»Nein.«

»Ich würde mich wehren.«

»Natürlich!«

»Von meinen Waffen unter Umständen Gebrauch machen. Also ist es doch sehr leicht möglich, daß ich um Deinetwillen zum Mörder werden kann.«

»Ich halte Dich eben für viel zu schlau, als daß Du Dich erwischen lässest. Und selbst dann, wenn man Dich entdeckte, würdest Du in Deiner Klugheit Mittel und Wege finden, zu entkommen ohne Mörder zu werden.«

»Du hast wirklich ein Vertrauen zu mir, welches belohnt werden muß! Also heut wird im Regierungsgebäude eingebrochen! Aber, es hat nur einen Haken, einen sehr dummen Haken.«

»Welchen?«

»Man wird den Einbruch natürlich entdecken, da wir Gewalt anwenden müssen. Dann wird sofort gesucht werden. Wie leicht kann das gestohlene Gut bei Euch gefunden werden.«

»Es wird ja gleich fortgeschafft.«

»Das kann herauskommen.«

»O nein!«

»O ja! Man darf kein gar zu großes Vertrauen haben. Auch Vorsicht ist von Nöthen. Ja, wenn wir die Sachen durch List herausbrächten, ohne daß der Kreishauptmann es merkt! Wenn man die Schlüssels zum Beispiel hätte!«

»O, wo der Schlüssel zur Pulverkammer steckt, das weiß ich.«

»So? Wo?«

»Ueber dem Bette des Kreishauptmanns hängt ein hölzerner Kasten. Da drinnen liegt der Schlüssel.«

»Woher weißt Du das?«

»Er zeigte mir und dem Vater einmal die neuen Gewehre. Da nahm er den Schlüssel heraus.«

»Hm! Da weiß man aber doch nicht, ob dieser Schlüssel sich immer an dem angegebenen Orte befindet.«

»Wahrscheinlich doch!«

»Ja, zu vermuthen ist es, da das Kästchen sich über dem Bette befindet. Aber wie gelangt man in die Schlafstube. Sie ist doch verschlossen.«

»Nein. Man kommt durch die Wohnstube, aber diese Letztere ist verschlossen, wenn die Leute schlafen und wenn sie ausgehen.«

»Verfluchte Geschichte. Der Schlüssel wird also mitgenommen, und die Fenster sind zu eng und niedrig zum Einsteigen. Hm! Aber da fällt mir ein: Ich habe gestern Abend während des Concertes gesehen, daß die Kreishauptmännin einen Pompadour bei sich hatte.«

»Was ist das?«

»Ein kleiner Sack oder Beutel, mit Verzierungen versehen, den man am Arme oder in der Hand trägt, um allerlei Sachen darinnen aufzubewahren.«

»O, diesen Beutel kenne ich. Sie hat, wenn sie des Abends fortgeht, immer auch die Schlüssels darin.«

»Famos! Da könnte es sich machen!«

»Wieso?«

»Weißt Du, wir müssen das Volk aus dem Hause locken.«

»Herrlich! Aber wie?«

»Deine Eltern müssen den Kreishauptmann nebst Frau und Sohn einladen und sie heut Abend möglichst lange festhalten. Wird das gehen?«

»Sehr leicht. Wenn ich mit dem Rittmeister ein Wenig freundlich thue, so sind alle Drei so entzückt, daß sie ganz sicher das Nachhausegehen vergessen.«

»Gut. Während ihrer Abwesenheit wird der Einbruch ausgeführt. Wenn wir nur das Volk los werden könnten, welches noch im Regierungsgebäude wohnt, die Diener.«

»Das sind nur drei. Das wird mir auch leicht werden. Ich sende zwei meiner Tungusen hin, welche sie nach dem Wirthshause holen müssen. Die Drei werden denken, daß sie auch einen Wutki trinken können, wenn ihre Herrschaften sich in unserm Lager lustig machen.«

»Schön! So weit wäre Alles recht gut und schön. Nun handelt es sich nur noch um die Schlüssels.«

»Das ist das Schwierigste.«

»Freilich! Ja, wenn man wüßte, daß sie sich wirklich im dem Beutel befänden!«

»Ganz gewiß. So oft ich hier in Platowa gewesen bin, sind die Glieder der Familie Abende lang unsere Gäste gewesen, und stets hat die Frau die Schlüssels in dem Beutel gehabt.«

»Schön! So werden wir sie ihr heut Abend herausnehmen.«

»Aber wie? Das ist ungeheuer schwer!«

»O nein, gar nicht. Die Alte wird doch den Beutel nicht stets in der Hand behalten!«

»Nein. Sie legt ihn gleich weg oder hängt ihn auf.«

»Nun gut! Da ist uns ja geholfen. Du thust, wenn sie kommt, sehr diensteifrig mit ihr und nimmst ihr Alles ab, was sie von sich legen will, das Tuch, die Haube, den Beutel. Den Letzteren hängst Du aber nicht etwa an einen Zeltpflocke auf, sondern Du legst ihn ganz nahe an der Zeltwand auf eine Decke oder einen Teppich, welchen wir dorthin gelegt haben.«

»Warum?«

»Daß ich zu ihm kann.«

»Bist Du denn mit in dem Zelte?«

»O nein. Erstens würde man es doch bemerken, daß ich mir mit dem Beutel zu schaffen mache, und zweitens wollen wir uns gar nicht sehen lassen.«

»Aber Ihr seid unsere Gäste. Ihr müßt doch mit dabei sein!«

»Wir thun, als hätten wir einen Ritt unternommen. Darum müssen unsere Pferde so weit vom Zelte fortgeschafft werden, daß sie nicht gesehen werden können. Wenn der Einbruch gelingt, so kommen wir heim und thun ganz so, als ob wir soeben von dem Ritte zurückkehrten.«

»Aber wie willst Du zu dem Beutel kommen?«

»Auf die leichteste Weise von der Welt. Es kommt dabei ganz darauf an, daß Du klug handelst. Die Stelle, an welcher Du den Beutel niederlegst, muß schon vorher ganz genau bestimmt sein. Dort lockern wir die Zeltwand unten am Boden, so daß ich unten hereingreifen kann.«

»Ach so! Wie klug!«

»Du setzest die drei Gäste natürlich so, daß keiner von ihnen direkt nach der betreffenden Stelle blicken kann. Dann, wenn der geeignete Augenblick gekommen ist, giebst Du mir ein Zeichen, welches wir genau verabreden.«

»Ich werde eine Melodie trällern.«

»Gut! Sobald Du das thust, greife ich herein und ziehe den Beutel hinaus.«

»So befindest Du Dich draußen vor dem Zelte?«

»Natürlich. Und es ist ja Alles finster, so daß Niemand sehen kann, was ich thue.«

»O, alle unsere Leute, alle Tungusen dürfen es sehen. Keiner wird Dich verrathen.«

»Gut! Aber dennoch ist es mir lieber, wenn Niemand mich beobachtet. Es ist mir überhaupt erwünscht, wenn keiner von Euren Leuten es weiß, daß ich und meine Gefährten die Hand im Spiele haben.«

»Das geht nicht.«

»Warum?«

»Ihr müßt ihnen doch, falls Alles gelingt, die Sachen übergeben.«

»Nein. Höre nur! Natürlich ladest Du die Drei nur erst für den Abend ein. Sie werden es Dir doch nicht abschlagen?«

»Auf keinen Fall. Sie sind froh, wenn ich sie einlade, denn sie denken, daß ich meine Gesinnung gegen den Rittmeister geändert habe. Sie brauchen mein Vermögen, denn sie sind ärmer als Bettler, da sie nichts als Schulden haben und doch nicht betteln dürfen.«

»Es wird sehr bald dafür gesorgt werden, daß sie ihr regelmäßiges Unterkommen finden, ohne betteln zu müssen.«

»Wieso? Willst Du ihnen zu etwas Besserem behilflich sein?«

»Behilflich, ja, aber zu etwas Besserem freilich nicht. Noth werden sie nicht leiden, denn jeder Gefangene bekommt, was er zum Leben bedarf.«

»Gott! Ins Gefängniß sollen sie?«

»Ja.«

»Was haben sie verbrochen?«

»Davon später! Also ich ziehe den Beutel hervor und nehme die Schlüssel heraus. Dann schiebe ich ihn wieder an seine Stelle zurück und eile mit Jim und Tim nach dem Regierungsgebäude.«

»Aber wenn nun die Frau indessen den Beutel braucht? Dann würde sie entdecken, daß die Schlüssel fehlen.«

»So mußt Du gewandt sein. Bedarf sie zum Beispiele des Taschentuches, welches sich wohl auch im Beutel befindet, so mußt Du dienstfertig eilen, es ihr zu holen. Da bekommt sie den Pompadour gar nicht in die Hand.«

»Ja, so wird es gehen. Ich werde meine Sache sehr gut machen.«

»Nun nehme ich an, daß Alles gelingt, so schaffen wir die Waffen und die Munition hinten nach den Garten hinaus, wo eine Plankenthür nach der Gasse führt. Wir kehren dann, nachdem wir Alles gehörig wieder verschlossen haben, nach hier zurück, und ich stecke die Schlüssel heimlich in den Beutel. Dann suchen wir unsere Pferde auf und kehren von unserem Spazierritte heim. Bei der Verwirrung, welche dadurch im Zelte hervorgerufen wird, ist es Dir leicht, hinaus zu gehen und den Deinigen einen Wink zu geben. Sie verfügen sich mit Packpferden nach der Plankenthür und laden Alles auf.«

»Dann können sie sofort aufbrechen und die Sachen in Sicherheit schaffen.«

»Wohin?«

»Ich habe einen sehr sicheren Ort, den Du auch noch kennen lernen wirst.«

»Schön! Wenn also Deine Leute an die Planke kommen, so finden sie Alles dort, ohne zu wissen, wer es hingelegt hat. Das wünsche ich.«

»Werden sie nicht bemerkt werden?«

»Es giebt nur Zäune und Gärten dort. Kein Mensch wohnt in der Nähe. Ich bin heut bereits dort gewesen, ohne daß mich Jemand gesehen hat. Und im Hause selbst, da befindet sich auch Niemand, da Du die Diener fortlocken willst. Also ist Alles so sicher, daß – – – ah, und doch ist Jemand da! Donnerwetter!«

»Wer?«

»Gökala.«

»Die wird Dich nicht verrathen.«

»Nein, ganz gewiß nicht. Aber für mich und vor allen Dingen auch für sie selbst wäre es besser, wann sie sich nicht im Hause befände.«

»Ja, wenn sie eingeschlossen ist, so kann sie nicht fort.«

»Hm! Sie wird dennoch fortgehen.«

»So? Wohin?«

»Mit dem Kreishauptmann zu Euch.«

»Das wäre herrlich, prächtig! Aber wie wolltest Du das so weit bringen?«

»Das laß nur meine Sache sein! Du wirst es sehen. Jetzt nun denke ich, ist Alles besprochen. Hast Du noch einen Wunsch oder eine Bemerkung?«

»Nein. Uebrigens, falls mir noch Etwas einfällt, so sehen wir uns doch vorher noch einmal?«

»Natürlich. Jetzt reiten wir fort. Wenn wir zurückkehren, steigst Du zu Pferde, reitest nach dem Regierungsgebäude, ladest den Kreishauptmann nebst Familie ein und begehrst, Gökala zu sehen, um auch sie mit einzuladen.«

»Das wird man mir verwehren.«

»Ja. Ich bin indessen zu Fuße nachgekommen, und Du trittst ganz wie zufällig an das Fenster, damit ich sehe, daß der Augenblick da ist, an welchem man Dir verweigert hat, Gökala zu sehen. Dann komme ich hinauf.«

»Wozu?«

»Um sie zu zwingen, Gökala Dir zu zeigen und Abends mitzubringen.«

»Mann, Sam, wie willst Du sie zwingen? Welche Macht hast Du über sie?«

»Hm! Auch davon später. Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Man wartet auf mich, und ich habe hier eine bereits zu lange Weile verplaudert.«

Karparla trat in das Zelt, und Sam sattelte die drei Pferde.

Obgleich diese Unterredung ziemlich lang gewährt und vor den Augen so vieler Leute stattgefunden hatte, war sie doch Niemandem aufgefallen. Der Fremde konnte natürlich mit der Tochter seines Gastfreundes reden, und Beide thaten dabei, als ob es sich um etwas ganz Gewöhnliches und Unverfängliches handle.

Dann bestieg Sam sein Pferd, nahm die beiden anderen am Zügel und ritt nach dem Gasthofe, wo er schon längst mit Ungeduld erwartet worden war.

»Wo steckst Du denn?« fragte Jim. »Schau uns an! Wir sind vor langer Weile noch einmal so lang geworden, als wir vorher waren. Da ist es kein Wunder, daß wir dünner werden.«

»Gebt Euch nur zufrieden. Es gab etwas Wichtiges, was ich Euch unterwegs erzählen werde. Steigt auf, damit wir vorwärts kommen!«

Sam befahl den beiden Kosaken, nun auch aufzubrechen, aber so langsam zu reiten, wie er ihnen bereits angerathen hatte. Dann brachen die Drei auf.

Bis über die Furth hinüber ritten sie im Schritt, sodann gingen sie in Trab über und endlich in gestreckten Galopp.

Die Gegend war eben und die Luft so rein und frei von Dunst, daß man sehr weit sehen konnte.

Nach der vorausgesehenen Zeit wurden zu ihrer Linken Dunstwolken sichtbar.

»Obs dort ist?« fragte Jim.

»Jedenfalls,« antwortete Sam. »Wo es Weiden giebt, da giebt es Feuchtigkeit, und wo es Feuchtigkeit giebt, da giebt es Dunst. Folglich haben wir nun die Weidensteine fast erreicht. Lenken wir darauf zu!«

»Diese Dunst ist sehr vortheilhaft für uns, denn wir können von dem Rittmeister nicht gesehen werden.«

»Dafür sehen aber auch wir ihn und seine Leute nicht.«

»Hat nichts zu sagen. So alte Savannenmänner wie wir werden seine Fährte schon zu finden wissen.«

Jetzt hatten sie die Weiden von Norden her erreicht. Es gab da Busch- und Baumformen. Sie ritten ein Stück hinein und banden dann ihre Pferde an die Bäume. Abgestiegen, nahmen sie ihre Waffen in die Hand und schlichen sich leise vorwärts.

.

Vor ihnen stiegen wirre Steinmassen in die Höhe. Weidengestrüpp und zahlreiche Wasserlachen hinderten sie am schnellen Vorwärtskommen. Endlich erreichten sie die zerbröckelte Felsmasse. Sie sahen, wie lang dieselbe war und daß sie sich gerad in der Mitte der Ausdehnungslinie befanden.

»Das ist sehr gut,« sagte Sam. »Jenseits hält der Rittmeister mit seinen Leuten, um den beiden Kosaken aufzulauern. Jedenfalls hat er sich hinter Felsen versteckt. Steigen wir hinauf und drüben wieder hinab. Aber nehmen wir uns in Acht, daß wir nicht von ihm bemerkt werden können!«

Jetzt kletterten sie empor, doch nur in den Ruinen, die sich ihnen boten. Sie gelangten oben an. Sogleich bemerkten sie einen Kosaken, welcher drunten in der Steppe stand und die nach der Stadt sich erstreckende Ebene musterte.

»Das ist der Wachtposten,« meinte Tim. »Da wird der Rittmeister nicht weit davon sein.«

»Sehe ihn schon,« sagte Sam.

»Wo?«

»Links da unten, hinter dem großen, viereckigen Quader sitzt er mit den Andern. Seht Ihr ihn?«

»Ja, deutlich. Die Pferde stehen dabei.«

»Also habe ich mich doch nicht getäuscht. Er will den beiden armen Teufels an den Leib, soll sich aber verrechnet haben!«

»Steigen wir auch hinab?«

»Natürlich. Hier rechts führt eine Rinne hinab. Da können wir nicht gesehen werden und kommen doch so nahe, daß wir nachher wahrscheinlich jedes Wort hören werden. Und schaut! Seht Ihr den Punkt da draußen?«

Er deutete in der Richtung nach der Stadt.

»Ja,« meinte Jim. »Das sind nun unsere Kosaken.«

»In zwei Minuten werden aus diesem einen Punkte zwei, und in fünf Minuten sind die Beiden da. Schaut, der Posten hat sie auch bereits bemerkt. Er kommt herbei, es zu melden, und nun steigen sie zu Pferde, um wie Strauchdiebe aus ihrem Hinterhalte hervorzubrechen. Famoses Land, dieses Sibirien, und allerliebste Verhältnisse! Aber nun rasch hinab! Je eher wir unten sind, desto besser ist es.«

*


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