Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»So eilen Sie! Versäumen Sie keine Minute. Selbst eine Secunde kann unter solchen Verhältnissen kostbar sein.«
»Daß weiß ich gar wohl. Drum werde ich sofort meine Maßregeln treffen. Aber draussen wartet das Volk noch. Was soll ich sagen, Vater, wenn ich hinaus trete.«
»Das weiß ich nicht. Sinne Dir irgend eine Ausrede aus!«
»Ja, welche?«
»Strenge Deinen Kopf nur selbst an!«
»Das ist leicht gesagt. Nach der Ansicht dieser Dummköpfe ist der Teufel mit seiner Großmutter hier ins Haus herein. Wohin sind sie da?«
»Machen Sie ihnen doch Etwas weiß,« lachte der Graf. »Haben Sie keinen Schwefel in Ihrer Hauswirthschaft?«
»Schwefelfaden genug.«
»Nun, Sie wissen ja, daß der Teufel nach Schwefel stinkt!«
»So sagt man!«
»Brennen Sie in irgend einem Kamine oder vor einem Ofen Schwefel an, so daß es darnach stinkt. Dann sagen Sie, der Satan sei mit seiner Großmutter durch die Feueresse verschwunden.«
»Schön! Diese albernen Leute werden das ganz gern glauben. Aber soll ich das ganze Volk herein lasten, damit es sich überzeugen kann, daß es hier nach Schwefel riecht?«
»Das geht nicht. Ist vielleicht der Pope noch mit draußen?«
»Er steht ganz in der Nähe der Thür.«
»Nun, so holen Sie den herein. Wenn er es riecht und es glaubt, so glauben es die Andern auch. Also kommen Sie. Wir haben genug geschwätzt und müssen nun handeln. Ich muß mit Gökala sprechen, um ihr zu sagen, wie sie sich nach meiner Abreise zu verhalten hat. Und dann treffe ich meine Reisevorbereitungen. Sie aber mögen sich zunächst um Schwefel bekümmern.«
»Der ist droben in der Küche. Wir gehen hinauf.«
»So kommen Sie!«
Sie verließen die Kellerstufen, traten in den Hausflur und schlossen die Thür von draußen zu. Im Nu war Sam auf der obersten Stufe und lauschte. Er hörte deutlich, daß die hölzerne Treppe unter den Schritten dreier Männer knarrte.
Der Hausflur war leer. Sam schob den Riegel auf, trat hinaus und zog die Thür hinter sich zu, so daß der Riegel wieder einschnappte. Dann wendete er sich zur Flucht.
Aber wohin? Zur Hausthür hinaus konnte er nicht, denn da sah man ihn. Also nach der Hinterthür! Als er diese geöffnet hatte, befand er sich in einem kleinen, schmalen, von Planken eingefaßten Hof. Die Planken waren alt, aber über mannshoch. Schon dachte er daran, diesen Zaun zu überspringen oder einige Planken auszureißen, wobei er aber leicht gesehen oder gehört werden konnte, da bemerkte er glücklicher Weise eine Pforte in dem Zaune, und zwar ganz am Hause liegend, so daß er sich bis zu ihr an der Mauer hinschleichen konnte.
Das war ihm natürlich hoch willkommen. Er huschte hin zu ihr und öffnete. Er befand sich auf einem größeren freien Platze, welcher als Küchengarten benutzt wurde. Das war ihm außerordentlich willkommen.
Ein Rundblick, den er hielt, zeigte ihm links eine zweite Pforte, welche aus diesem Garten weiter führte. Wohin, das wußte er freilich nicht; aber es kam ihm vor allen Dingen darauf an, aus der Nähe des Hauses zu kommen. Darum schlich er sich an der andern Seite des Plankenzaunes nach dieser Pforte hin. Sie war nur mit einem hölzernen Riegel verschlossen. Er schob ihn zurück und lugte vorsichtig hinaus. Er befand sich in einer Art engen Gasse, welche von ähnlichen Plankeneinfassungen gebildet wurde. Kein Mensch war zu sehen.
»Gott sei Dank!« seufzte er erleichtert auf. »Das Abenteuer hat ein glückliches Ende gefunden!«
Jetzt eilte er weiter, bog um mehrere Ecken und Häuser und gelangte nun von einer ganz andern Seite auf den Platz, auf welchem das Publikum versammelt war, um zu erfahren, welch ein Unheil der Teufel im Regierungsgebäude angerichtet habe.
Bemerkt muß werden, daß Sam sich nie von seiner alten Büchse zu trennen pflegte. Er hatte sie auch jetzt mit gehabt, und dadurch war ihm die Ausführung seines Vorhabens nicht wenig erschwert worden.
Seitwärts standen einige Pfähle, zu irgend einem Zwecke in die Erde gerammt. An zweien derselben lehnten Jim und Tim, welche mit besorgten Mienen die Fronte des Regierungsgebäudes beobachteten. Sie wußten ihren Freund Sam im Innern desselben und glaubten ihn in einer Lage, in welcher er wahrscheinlich ihrer Hilfe bedurfte. Darum heiterten sich ihre Gesichter sofort auf, als sie ihn kommen sahen.
»Aber, alter Sam, wo kommst Du her?« fragte Jim. »Wir meinen. Du seist dort links in dem alten Wigwam des hiesigen Regenten, und da kommst Du von rechts her herbeigeschlichen. Wir haben beinahe Angst um Dich gehabt.«
»Angst? Was fällt Euch ein! Bin ich denn ein Grünschnabel, daß Ihr Euch um mich ängstigen müßt?«
»Das nicht. Du hast ja da drüben in der Prairie so oft gezeigt, welch ein verfluchter Junge Du bist. Aber hier sind wir weder im Urwalde noch in der Savanne, sondern in dem schönen Sibirien, wo man eine Sprache redet, die kein Teufel versteht und Alles so ganz anders ist. Wie ist es denn in dem Palaste?«
»Sehr gut! Sogar ausgezeichnet, sage ich Euch.«
»Das läßt sich hören!«
»Es ist so gut gegangen, daß ich sogar zwei solche Zettel mitbringe.«
Er zog sie heraus und zeigte sie ihnen.
»Was sind das für Liebesbriefe? Etwa gar Dollarsnoten?«
»Beinahe. Es sind zwei Tausendrubelscheine.«
»Heiliger Bimbam! Wie bist Du zu diesem vielen Gelde gekommen?«
»Wie jeder Spitzbube.«
»Alle Teufel! Hast Du sie etwa gemaust?«
»Ja.«
»Und wem denn?«
»Dem Herrn Kreishauptmann.«
»Doch nicht etwa direct aus seinem Geldkasten?«
»Nein, ein Einbrecher bin ich nicht, sondern ein grundehrlicher Kerl. Ich habe sie ihm nur aus der Tasche genommen.«
»Tim, hörst Du es?«
»Well!«
»Aus der Tasche genommen! Und da nennt sich dieser Mensch einen grundehrlichen Kerl! Aber, Sam, eine besondere Bewandtniß hat es mit dem Gelde. Nicht?«
»Natürlich.«
»Ein Spitzbube bist Du nicht; also denke ich, daß diese Banknoten Dir bei einer Gelegenheit in den Fingern kleben geblieben sind.«
»Hasts errathen.«
»Welche Gelegenheit war es?«
»Ich mauste etwas Anderes, und da steckten sie mit dabei.
»Also dennoch gemaust!«
»Ja. Wenn ein ehrlicher Kerl einmal auf das Zuchthaus lossteuert, so greift er gleich mit vollen Händen zu. Ich will lieber wegen einer Million als wegen lumpigen zwei Dollars bestraft werden.«
»Weiß Gott, der Kerl redet wie der reine Räuberhauptmann!«
»Bin es auch, und Ihr Beiden seid meine Räuberbande.«
»Danke für die Ehre! Habe keinen Appetit, eines schönen Tages am Galgen vorüber zu laufen und mich zu meinem großen Schrecke daran baumeln zu sehen.«
»So weit ist es noch nicht. Dazu sind wir zu klug. Erwischen lassen, das ist nicht unsere Gewohnheit. Freilich war ich jetzt nahe daran und bin froh, so heiler Haut davon gekommen zu sein.«
»Was gab es denn?«
»Allerlei, was ich Euch erzählen werde. Aber schaut, da wird die Thür geöffnet. Der Herr Rittmeister tritt heraus. Er hat wahrhaftig die Kosakenuniform an. Soeben war er noch in Civil.«
»Du meinst in Theer und Werg?«
»Nein, das hatte er sich mit Petroleum weggewaschen; dann zog er ganz gewöhnliches Zeug an, Rock, Hose und Weste. Er hat sich also, seit er aus dem Keller ist, in einen andern Gottfried Adam gesteckt.«
»Keller? War er im Keller?«
»Ja, er, zwei Andere und auch ich. Seht, er ruft den Popen hinein, diesen frommen Master Teufelsbanner. Er wird ihm eine famose Anecdote aufbinden.«
»Das weißt Du?«
»Ja. Ich habe Alles gehört. Er wird sagen: ›Sir, kommt einmal her und riecht an dieses Kamin! Stinkt es nicht nach Schwefel?‹« Und der gottselige Sir wird antworten:›Verdamm mich, wenns nicht so ist! Es stinkt ganz gewaltig nach Hölle und Schwefel!‹« Und darauf wird man ihm erklären: »›Das kommt davon, daß der Teufel mit seiner ehrwürdigen Großmutter hier durch diese Esse gefahren ist!‹« Das lügenhafte Volk hat nämlich Schwefelfäden angebrannt.«
»Ah! Um die guten Leute hier irre zu führen? Kein Indianer würde sich damit täuschen lassen.«
»Ja, aber diese Heiden hier haben alle ein solches Brett vor dem Kopfe, daß man sie bemitleiden möchte. Aber da schaut nur einmal nach rückwärts! Sind das nicht die beiden Posten, welchen wir gestern Abend einen so riesigen Frosch aufgebunden haben?«
»Ja. Die beiden armen Teufel stehen jetzt noch da.«
»Das ist ganz russisch. Der Rittmeister hat ihnen befohlen, Wache zu stehen, bis er selbst sie ablösen läßt. Und da er sie nicht hat ablösen lassen können, stehen sie jetzt noch da. In einem andern Lande kann so Etwas nicht vorkommen. Schaut, jetzt kommt der Pope wieder. Er wird das Volk zerstreuen. Horcht!«
Wirklich erhob der Pope seine Stimme. Jim und Tim verstanden zu wenig Russisch, als daß sie hätten wissen können, was er sagte. Sie fragten also Sam. Er antwortete:
»Ganz so, wie ich Euch prophezeite. Er sagt, der Teufel sei mit seiner Großmutter in Folge der glücklichen Beschwörung in das Regierungsgebäude geflohen und dort vor Angst zur Esse hinaus gefahren, und alle Gefahr sei vorüber. Man solle sich nun ruhig und getrost nach Hause begeben. Seht, die Leute schlagen drei Kreuze und trollen sich von dannen. So wird es in Sibirien gemacht. In Amerika würde der Pope todt geschlagen oder an den nächsten Laternenpfahl aufgehängt.«
»Gehn wir auch?«
»Nein. Der Herr Rittmeister wird gleich kommen. Wahrscheinlich geht er zunächst zu den beiden Posten. Ich möchte gern hören, was er sagt.«
»Warum?«
»Davon nachher!«
Er schritt mit seinen beiden Gefährten so nahe zu den Posten heran, daß er ein mit ihnen gehaltenes Gespräch belauschen konnte, ohne gradezu als Lauscher zu gelten, zumal er sich den Anschein gab, als ob er mit den beiden Andern in ein sehr angelegentliches Gespräch vertieft sei.
Er hatte ganz richtig gerechnet. Noch war die Menge nicht ganz verlaufen, so trat der Rittmeister wieder aus dem Hause. Er kam herbei und sah die drei Fremden stehen, welche ihm gestern Abend so viel Anlaß zu Aerger gegeben hatten. Sie waren ihm den verlangten Respect schuldig geblieben; darum glaubte er, sich jetzt bei ihnen in Respect setzen zu müssen. Aber da er sich an sie selbst nicht getraute, so bediente er sich zu diesem Zwecke der beiden Posten.
Er erhob die Peitsche, welche er als sibirischer Officier bei sich führte, zog sie jedem der beiden Kosaken einige Male über den Rücken herüber und schnauzte sie an:
»Da, Ihr Hunde, habt Ihr eine Abschlagszahlung! Anstatt Eure Pflicht zu thun, habt Ihr Allotria getrieben, und nun ist der Teufel mit seiner Großmutter gekommen und hat den Gefangenen befreit, der mit ihm im Bunde stand. Daran seid Ihr ganz allein schuld, und so sollt Ihr Eure Strafe haben!«
»Väterchen,« sagte einer der Beiden, »es war gestern der Tag, an welchem – – –«
Er wollte Etwas zu seiner Entschuldigung sagen, aber der Rittmeister versetzte ihm einen wuchtigen Hieb und schrie ihn an:
»Schweig, Bube! Willst Du Dein Maß noch voller machen! Eigentlich sollte ich Euch in Eisen legen lassen; aber das ist noch viel zu wenig. Ihr habt die ganze Nacht hier gestanden, und Ihr sollt noch bis gegen Abend hier stehen, ohne Essen und Trinken. Das ist schlimmer als Arrest. Und nachher erhält Jeder vor der Front hundert Knutenhiebe auf den nackten Rücken.«
»Väterchen, da müssen wir ja sterben,« sagte der Andere. »So lange stehen und dann hundert Hiebe, das hält Keiner aus.«
»Ihr sollt es auch gar nicht aushalten. Ich werde Euer verdammtes Fleisch dann den Wölfen vorwerfen lassen.«
»Väterchen, übe Gnade! Fünfzig sind auch genug!«
»Schweig, sonst gebe ich Euch noch extra eine Verschärfung und lasse Euch eine Stunde vor der Execution binden und dann Pfeffer in die Augen streuen.«
Das war eine fürchterliche Drohung. Sie schwiegen, und er schritt erhobenen Hauptes von dannen.
Als Sam den beiden Andern erklärte, was der Rittmeister gesagt hatte, meinte Tim voller Grimm:
»Hundert Knutenhiebe! Mein guter Sam, wie wäre es, wenn er sie selbst bekäme?«
»Wollen sehen!«
»Und Pfeffer in die Augen! Ich würde mich sehr freuen, wenn er einmal an sich selbst erführe, wie das thut.«
»Vielleicht läßt es sich machen, wenigstens so ähnlich. Ich will einmal hin zu den beiden armen Kerls.«
»Darfst Du denn mit ihnen reden?«
»Weiß es nicht, doch will ich es immerhin darauf ankommen lassen.«
Er ging langsam auf sie zu und fragte:
»Hört, Ihr guten Leute, darf man mit Euch sprechen, wenn Ihr auf Posten steht?«
»Nein.«
»Wenn ich Euch nun etwas Nothwendiges zu sagen oder zu fragen habe?«
»Das ist erlaubt. Zum Beispiel nach dem Wege fragen oder sonst um eine kurze Auskunft bitten, das darfst Du, aber eine lange Unterredung ist verboten. Die wird bestraft.«
»An Euch oder auch an mir?«
»An uns und an Dir.«
»Schade! Ich hätte Euch gern über Einiges gefragt, was sich nicht so schnell beantworten läßt.«
»So! Wir würden uns da nichts draus machen, denn wir werden ja so wie so gegen Abend todtgeschlagen. Aber auch Du würdest die Knute bekommen.«
»Ich fürchte mich nicht. Und es ist ja jetzt Niemand hier, der es sieht.«
»Nun, wenn Du die Strafe nicht fürchtest, so haben wir gar nichts dagegen, daß Du mit uns sprichst. Was willst Du denn von uns wissen, Väterchen?«
»Ich habe Alles gehört, was der Rittmeister zu Euch gesagt hat. Wird er das wirklich wahr machen?«
»Er wird es thun. Darauf kannst Du Dich verlassen.«
»Alle Teufel! Das ist ja Euer Tod!«
»Wir wissen das und müssen es uns doch gefallen lassen.«
»Ist denn die Charge eines Rittmeisters hoch genug, daß er Euch so mir nichts, Dir nichts das Todesurtheil sprechen darf?«
»Wer will ihn hindern?«
»Giebts denn kein Kriegsgericht?«
»Eigentlich, ja. Aber wenn wir ohne Kriegsgericht todtgepeitscht worden sind, so sind wir eben todt, und Niemand wird es wagen, ihn darüber zur Rede zu stellen.«
»Auch keiner seiner Vorgesetzten?«
»Es ist ja keiner hier. Er ist der Höchste hier in Platowa, und sein Vater ist der Kreishauptmann. Da ist nichts zu machen.«
»Mensch, das sagst Du so ruhig!«
»Soll ich etwa heulen? Das würde doch nichts ändern. Ich bin Soldat und weiß zu sterben.«
»Giebt es denn keinen Menschen, der um Euch weinen wird?«
Da nahm das Gesicht des Kosaken einen ganz andern, einen sehr betrübten Ausdruck an, und er antwortete:
»Ich habe ein altes, gutes Mütterchen daheim, die wird sich todt weinen. Und meine Marianka wird sterben vor lauter Herzeleid.«
»Marianka ist Deine Geliebte?«
»Ja. Ich bin nun zwei Jahre Soldat im activen Dienst. Ich hätte noch volle acht Jahre activ zu dienen gehabt, und so lange wollte Marianka warten. Dann wäre sie mein gutes Weibchen geworden. Nun ist das Alles aus. Ich werde erschlagen wie ein Wolf.
Auch der andere Kosak fuhr sich mit der Hand nach den Augen.
»Und Du?« fragte ihn Sam. »Hast Du auch ein Liebchen?«
»Ja,« nickte er. »Sie heißt Ruschinka und wollte auch auf mich warten. Sie ist arm und ernährt meine zwei kleinen Geschwister, weil meine Eltern gestorben sind.«
»So ist sie ein sehr braves und gutes Mädchen.«
»Sie ist besser als eine Seele. Mein Kamerad kennt sie, denn er und ich, wir sind aus einem und demselben Dorfe. Nun muß ich sterben, und sie wird den Waisen eine Mutter sein.«
Es war rührend, diese einfachen Menschen in dieser Weise reden zu hören. Ein heiliger Grimm erfaßte Sam. Er fragte:
»Aber warum wollt Ihr die Ausführung dieses ungerechten, unmenschlichen Urtheiles so widerstandslos über Euch ergehen lassen?«
»Was sollten wir dagegen thun?«
»Euch Eurer Haut wehren!«
»Väterchen, das geht ja nicht.«
»Warum nicht?«
»Wir sind Soldaten.
»Pah! Das ist kein Grund.«
»So bist Du wohl nicht Soldat gewesen?«
»Nein.«
»Siehst Du, das kann ich mir denken. Der Soldat muß gehorchen.«
»Aber die Vorgesetzten müssen die Gesetze achten!«
»Sie sind es ja, welche die Gesetze machen. Was sollte unser Väterchen in Petersburg, der Czar anfangen, wenn selbst seine Kosaken nicht mehr gehorchen wollten!«
»So sagt Ihr? Alle Wetter. Wenn mich ein solcher Kerl wie der Rittmeister todtpeitschen lassen wollte, so würde ich ihm eine Kugel durch den Kopf jagen.«
»So wärest Du ein Mörder!«
»Besser, ich tödte ihn als daß er mich ermordet!«
»Was hättest Du davon? Du würdest dann erst recht zu Tode geknutet.«
»Nein, denn ich würde fliehen.«
»Desertiren? Väterchen, das verstehst Du nicht. Man würde Dich wieder einfangen, und dann wäre Deine Lage schrecklicher noch als vorher.«
»Ihr seid verdammt ehrliche und treue Kerls. Ich wollte, ich könnte Euch helfen.«
»Das ist unmöglich.«
»Pah! Ich werde es doch versuchen.«
Der Kosak betrachtete ihn vom Kopfe bis zu den Füßen. Ein kleines Lächeln glitt über sein Angesicht, als er antwortete: »Verzeihe mir, Väterchen! Du siehst nicht so aus, als ob Du uns helfen könntest!«
»Meinst Du? Hm!«
»Ja. Bist Du denn etwa ein General?«
»Nein.«
»Oder wenigstens ein Oberst?«
»Auch nicht.«
»Dann kannst Du gar nichts für uns thun.«
»Möglich aber nicht wahrscheinlich. Wird denn ein Jeder bei Euch Soldat?«
»Nein. Nur Derjenige, den das Loos trifft. Und wer Geld besitzt, der kann einen Stellvertreter bezahlen.«
»Habt Ihr denn keins?«
»Väterchen, wie kannst Du so fragen! Ich habe einmal zehn Rubel in der Hand gehabt; das war die größte Summe, die ich zwischen meinen Fingern gefühlt habe, und diese Rubel waren – nicht einmal mein Eigenthum. Und mein Kamerad hier ist ebenso arm.«
»Wie viel würde Euch denn jetzt ein Stellvertreter kosten?«
»Das ist gar nicht mehr möglich, weil wir todtgeknutet werden.«
»Ich setze aber den Fall, daß der Rittmeister sein Urtheil zurücknimmt. Wie viel Geld müßtet Ihr haben?«
»Er nimmt es nicht zurück. Das ist gewiß. Aber weil Du so fragst, will ich Dir antworten. Für zweihundert Rubel fänden wir welche, für dreihundert Rubel aber so viele, daß man die Wahl hätte.«
»So billig!«
»Ist das billig, dreihundert Rubel?«
»Ja.«
»O, das ist doch ein richtiger Reichthum.«
»Mag sein, hier bei Euch zu Lande. Wie fängt man es denn an, wenn man einen Stellvertreter sucht?«
»Man sagt es dem Polizisten. Wenn man dem Polizisten von Platowa hier fünf Rubel schenkt, so bringt er in einer halben Stunde gleich zehn Ratniki.«
»Was sind das für Leute.«
»Das sind junge, militärtaugliche Männer, welche sich aber freigeloost haben.«
»Und bei wem würde der Stellvertretungscontract abgeschlossen?«
»Beim Rittmeister.«
»Wenn er nun die Ratniki zurückwiese?«
»Das kann er nicht, weil sie eben tauglich sind.«
»So! Ich danke Euch für die ertheilte Auskunft. Nun sagt mir noch Eure Namen. Ich will sie mir aufschreiben.«
»Warum?«
»Das werdet Ihr vor Eurem Tode noch erfahren.«
Sie nannten sie ihm. Er notirte sich dieselben und ging dann fort, während sie ihm kopfschüttelnd nach blickten. Eben als er bei den Gefährten anlangte, wurde der Seitenhof des Regierungsgebäudes geöffnet, und es kamen zwei gut bespannte Wagen hervor.
»Wer mag da verreisen?« fragte der lange Jim.
»Graf Polikeff.«
»Der? Ich denke, er bleibt hier.«
»Nein. Kommt! Laßt uns bei Seite treten, dort hinter jenen Plankenzaun Ich will Euch erzählen, was ich vorhin erlauscht habe.«
Sie folgten ihm nach dem angegebenen Orte, und als sie sich dort überzeugt hatten, daß sie unbeobachtet seien, erstattete er ihnen ausführlichen Bericht. Sie hörten ihm mit der größten Spannung zu, und als er geendet hatte, meinte Tim in ziemlicher Erregung:
»Also Kosak Nummer Zehn ist ein Adlerhorst; das wußten wir bereits. Aber der Vater von Gökala ist da, und der Graf will ihm nach! Das müssen wir natürlich verhüten.«
»Auf welche Weise.«
»Wir halten ihn fest.«
»Womit?«
»Dumme Frage! Wir lassen ihn einfach arretiren.«
»Etwa durch den Kreishauptmann?«
»Ja.«
»Dumme Ansicht! Der ist ja sein Verbündeter. Der würde uns betrügen.«
»So willst Du Dich also seiner Abreise gar nicht widersetzen?«
»Nicht im Geringsten.«
»Sam, das ist ein großer Fehler!«
»Ich glaube nicht.«
»Weißt Du denn, was geschehen kann, wenn er den Maharadscha erreicht. Sie sind Todfeinde, und er hat ja gesagt, daß er ihn im äußersten Falle tödten werde.«
»Pah! So schnell geht das nicht!«
»Und Nummer Zehn, nämlich Georg Adlerhorst, ist ganz desselben Weges geritten. Er hat Gisa, den Tungusen, als einzigen Begleiter bei sich. Wie nun, wenn der Graf diesen erreicht!«
»Das kann ich nicht hindern.«
»Es wird Mord und Todtschlag geben!«
»Schwerlich! Wir dürfen uns nicht von unsern augenblicklichen Gefühlen hinreißen lassen. Steinbach hat uns streng befohlen, nicht von Platowa fortzugehen, sondern ihn hier zu erwarten. Schon morgen trifft er hier ein. Das ist zeitig genug. Er mag dann selbst bestimmen, was geschehen soll.«
Jim und Tim waren zunächst nicht mit ihm einverstanden. Aber als er sich ihnen näher erklärte, gaben sie ihm doch noch Recht. Dann meinte der Erstere:
»Also dieser famose Kreishauptmann ist selbst ein Verbannter! Den werden wir beim Schopf nehmen?«
»Natürlich! Auch das überlassen wir unserm Steinbach. Der hat so eine eigene Art und Weise, mit solchen Leuten umzuspringen. Wir haben das Geschick gar nicht dazu. Aber ich werde ihnen doch bereits heut einen kleinen Vorgeschmack beibringen.«
»Was willst Du thun?«
»Das – werdet Ihr gleich sehen. Dort kommt grad Derjenige, den ich dazu brauche.«
»Wer ist das?«
»Ein Polizist, wie ich an der Kleidung sehe.«
»Was hast Du mit ihm?«
»Ihr werdet es hören. So viel Russisch versteht Ihr schon, um unser Gespräch leidlich zu verstehen.«
Der Polizist war aus einem nahen Hause getreten und kam so herbei, daß er an ihnen vorüber mußte. Er hatte eine echt russische Physiognomie, einen mächtigen Vollbart und ein kleines Stumpfnäschen, welches höchst naiv unter den beiden treuherzigen Augen hervor blickte. Dieses Näschen hatte eine intensive blaurothe Farbe, vielleicht weniger davon, daß es einmal erfroren worden war, sondern davon, daß der Besitzer einen guten Wutky liebte.
Er grüßte und wollte vorüber.
»Halt, Väterchen!« sagte Sam. »Hast Du Zeit, um mir eine Frage zu beantworten?«
Der Mann blieb stehen, betrachtete den Dicken eine Weile, fühlte ihm dann an die beiden Seitentaschen und antwortete:
»Hast Du ein Fläschchen bei Dir, Väterchen?«
»Was für ein Fläschchen?«
»Nun, aus welchem man trinkt.«
»Nein.«
»So habe ich auch keine Zeit!«
Er wendete sich um und wollte weiter. Sam aber erwischte ihn noch am Arme und sagte:
»Du hast wohl Appetit auf einen Schluck?«
»Stets.«
»Den sollst Du haben.«
»Wann und wo?«
»Wann und wo es Dir beliebt.«
»So komm mit mir!«
Er wollte abermals fort, aber Sam hatte ihn fest, griff in die Tasche, hielt ihm einen Rubel entgegen und fragte:
»Wie viel Wutky wirst Du wohl dafür bekommen?«
»Heilige Katinka! Mehr als ich in einer ganzen Stunde zu trinken vermag.«
»Hier! Er ist Dein.«
Der Wächter des Gesetzes griff schnell nach dem Geldstück, versenkte es in seine weite Hosentasche und sagte:
»Väterchen, Du bist ein Prachtkerlchen. Womit kann ich Dir ein Vergnügen machen?«
»Damit, daß Du mir einen Auftrag ausrichtest.«
»Sehr gern. Aber welchen?«
»Sind hier Ratniki zu finden?«
»Genug. Es giebt Viele, welche sich freigeloost haben, und ich kenne sie alle.«
»Sind unter ihnen welche, die man als Stellvertreter ankaufen könnte?«
»Jawohl! Willst Du fünf oder zehn oder zwanzig?«
»Nur zwei.«
»Doch nicht etwa für Dich oder diese beiden langen Väterchens?«
»Nein, sondern für zwei Bekannte von mir.«
»Wie lange haben diese noch zu dienen?«
»Acht Jahre. Wie viel hätte ich da für die Stellvertretung zu bezahlen?«
»Wenn Du sehr nobel sein willst, so zahlst Du zweihundertundfünfzig Rubel.«
»Die will ich gern bezahlen.«
»So kann ich Dir die zwei tüchtigsten aussuchen. Soll ich zu ihnen gehen?«
»Ich bitte Dich darum.«
»Gut. Aber soll ich auch gleich gehen?«
»Natürlich!«
»Das kann ich nicht.«
»Warum?«
»Weil Du die Hauptsache vergessen hast.«
»Die Hauptsache? Was wäre das?«
Der Polizist machte ein sehr würdevolles Gesicht, zeigte mit dem Spitzfinger gegen sich selbst und antwortete:
»Mich!«
»Ja, Du hast Recht,« lachte Sam. »Du bist die Hauptsache oder vielmehr der Hauptkerl dabei. Wieviel verlangst Du, vorausgesetzt, daß der Handel zu Stande kommt?«
»Er kommt zu Stande, denn ich bin dabei!«
»Schön! Also wie viel?«
»Du bist ein nobles Väterchen, und so will auch ich nobel sein. Du bezahlst mir für den Mann drei Rubel, zusammen also sechs.«
»Die gebe ich nicht.«
»Ist es Dir zu viel? Du bist wohl aus einer weiten Fremde gekommen und kennst die Verhältnisse nicht.«
»Nein, es ist mir nicht zu viel sondern zu wenig. Ich gebe Dir für den Mann fünf, zusammen also zehn Rubel.«
Da ergriff der Polizist Sams Hand, küßte sie inbrünstig und rief:
»Ja, ja, Väterchen, ich dachte es gleich. Du bist ein coulanter Herr. Ich werde Dich fein bedienen.«
»Und außerdem bezahle ich noch, was Du mit den beiden Stellvertretern heut trinken wirst.«
Der Mann sperrte das Maul weit auf, starrte dem Dicken eine Weile in das lächelnde Gesicht und fragte dann:
»Ist das Dein Ernst?«
»Ja.«
»Aber ich bin ein ehrlicher Mann und muß Dich also fragen: Weißt Du, wie viel drei solche Männer, wie ich bin, trinken können?«
»Ich kann es mir denken.«
»Nun, wie viel denkst Du denn?«
»Ich denke, Ihr trinkt so viel, bis Ihr unter dem Tische liegt.«
»Siehst Du, daß Du es nicht weißt! Wir trinken auch unter dem Tische noch.«
»Das soll mich freuen.«
»Und Du willst das wirklich bezahlen?«
»Ja.«
Da breitete der Polizist voller Entzücken seine Arme aus, zog den Dicken an seine Brust, schmatzte ihn, daß es laut klatschte, und schrie:
»Väterchen, Herzchen, Liebchen, Du bist ein Engel unter den Menschen, ein Erlöser aus aller Trübsal, ein Tröster der Traurigen, ein Retter aller –«
»Schon gut, schon gut!« beschwichtigte Sam den Wonnetrunkenen, indem er sich von ihm losriß. »Ich zahle, und damit Punktum! Aber ich mache eine Bedingung.«
»Sage mir nur, welche! Ich hoffe, daß ich auf dieselbe eingehen kann.«
»Ganz leicht. Ihr trinkt nicht eher einen Schluck, als bis wir beim Rittmeister gewesen sind und den Vertrag zu Ende gebracht haben.«
»Das nennst Du sehr leicht?« fragte der Mann im Tone größten Erstaunens.
»Natürlich!«
»O nein! Das ist vielmehr schwer, sehr schwer. Das wird wohl kaum auszuhalten sein!«
»Ich muß aber darauf bestehen!«
»Wenn Du es befiehlst, so müssen wir freilich gehorchen. Aber mir wirst Du doch erlauben, vorher meinen Rubel zu vertrinken?«
»Nein. Du könntest mir betrunken werden.«
Da zog der Polizist ein betrübtes Gesicht und klagte in vorwurfsvollem Tone:
»Väterchen, wie beleidigst Du mich! Für einen Rubel bekomme ich nur fünf Flaschen voll Wutky. Wie kann ich davon betrunken werden! Das ist ja kaum genug, den Durst eines Säuglings zu stillen.«
»Donnerwetter! Ihr scheint da allerliebste Säuglings zu haben.«
»Bekommen Sie bei Dir daheim keinen Schnaps?«
»Nein.«
»Die armen Kinder!«
»Es ist sogar gesetzlich verboten.«
»Welch eine Regierung. Nicht wahr, der Zaar regiert nicht bei Euch?«
»Nein.«
»Das kann ich mir denken. Er würde Mitleid mit den armen Würmchen haben, die ja massenhaft sterben müssen, wenn sie keinen Wutky bekommen! Also ich darf den Rubel vertrinken?«
»Nein. Du würdest die Zeit versäumen, welche mir kostbar ist.«
»Du irrst. Ich brauche nur eine Viertelstunde dazu.«
»Herr meines Lebens! Fünf Flaschen Wutky in einer Viertelstunde! Mensch, bist Du denn bei Troste?«
»Bei Trost? Dann noch lange nicht. Wenn ich ganz voll Trost sein soll, so mußt Du verschiedene Rubels bezahlen.«
»Bitte, zeig mir mal den Deinigen her!«
»Den Du mir soeben gegeben hast?«
»Ja. Hast Du noch anderes Geld bei Dir?«
»Keine Kopeke. Hier ist er. Warum willst Du ihn noch einmal sehen?«
Er zog den Rubel aus der Tasche und hielt ihn dem Dicken hin. Dieser nahm ihn schnell weg, steckte ihn ein und antworteten
»Weil ich ihn doch lieber behalten will.«
»Väterchen, was machst Du! Willst Du mich betrügen?«
»Nein; ich bin ein ehrlicher Mann; aber ich liebe Nüchternheit beim Geschäft. Bringe zwei Ratniki, und dann kannst Du meinetwegen saufen, daß Dir der Wutky aus allen Poren läuft.«
»Ist das wahr? Wirst Du mir dann den Rubel wiedergeben?«
»Natürlich. Ich halte Wort.«
»So will ich Dir glauben. Aber wohin soll ich die Ratniki bringen?«
»Bringe sie nach dem Gasthofe. Ich werde in einer halben Stunde dort sein.«
»Gut, Väterchen, ich eile!«
»Halt! Noch eine Frage! Wirst Du denn Deine Pflicht nicht versäumen, wenn Du nachher so viel trinkst?«
»Nein. Wenn ich trinke, bin ich nicht mehr Polizist.«
»Aber wenn Du gebraucht wirst!«
»Das ist unmöglich, denn dann bin ich zu nichts Anderem zu gebrauchen.«
»Das glaube ich! Also vorwärts!«
»Ja, ich eile.«
Er ging schnell fort, blieb aber dann stehen, wendete sich um, kam zurück und fragte:
»Also nur ich und die beiden Ratniki dürfen trinken, so viel wir wollen?«
»Ja.«
Er eilte, aber nur einige Schritte weit, dann kehrte er abermals um und sagte:
»Verzeihe, Väterchen! Ich habe ein Weibchen, ein gutes, folgsames Weibchen. Sie liebt den Wutky sehr. Darf sie nicht mittrinken? Ich möchte sie gern mitbringen.«
»Meinetwegen!«
»So viel sie will?«
»Ja.«
»Ich danke Dir! Du bist die Sonne der Gnade und Freigebigkeit. Jetzt eile ich!«
Aber er kam abermals zurück.
»Mein gutes Väterchen. Dein gutes Herz wird nicht wollen, daß eine Unschuldige leer ausgehe. Ich habe ein Töchterchen. Ihre Wangen sind wie Syrup und ihre Augen wie wilde Schlehen so rund. Darf sie auch mittrinken?«
»Wie alt ist sie?«
»Fünfzehn Sommer und sechzehn Winter.«
»Trinkt sie etwa für jeden Sommer eine Flasche und auch für jeden Winter eine?«
»Wenn sie Durst hat, mag sie es fertig bringen.«
»Alle Wetter! Aber ich sehe, man muß sehr vorsichtig sein. Erst Du, dann die Frau; nachher die Tochter! Hast Du etwa noch eine Person, welche eine so durstige Leber hat.«
»Noch eine.«
»Wirklich noch eine nur?«
»Ja, dann weiter Niemand.«
»Wer ist diese Einzige?«
»Meine Schwiegermutter, die Mutter meines Weibchens.«
»Nicht übel! Kann sie das Trinken?«
»O die trinkt mich unter den Tisch.«
»Saubere Brut! Na, bring die Beiden mit, nämlich die Tochter und die Schwiegermutter. Für die Frau hast Du meine Erlaubniß bereits.«
»Väterchen, mir fehlt die Sprache, Dir zu sagen, wie lieb ich Dich habe!«
»Schon gut!«
»Meine Frau wird Dich achten – – –«
»Sehr schön!«
»Meine Tochter Dich lieben – –«
»Noch schöner!«
»Und meine Schwiegermutter an Deinem Halse hängen – – –«
»Alle Wetter! Das will ich mir verbitten! Mach Dich von dannen! Wenn Du noch einmal umkehrst, so ziehe ich meinen Auftrag zurück, und es wird aus der ganzen Sache nichts!«
»Das mögen alle achthundert Heiligen verhüten. Ich laufe, ich eile, ich renne! In einer halben Stunde ist Alles besorgt.«
Er rannte davon, als ob er um sein Leben zu rennen habe.
»Habt Ihrs verstanden?« fragte Sam lachend die beiden Freunde.
»Ja, wenn auch nicht jedes Wort,« antwortete Tim. »Donnerwetter, was ist das hier für eine Gesellschaft!««
»O ich habe gelesen, daß die Russen, als sie im Napoleonischen Kriege nach Deutschland kamen, allerorts im Nu den sämmtlichen Branntwein weggetrunken hatten. Und als dann keiner mehr vorhanden war, erstürmten sie die Apotheken und tranken verdünntes Scheidewasser, in welches sie noch extra Pfeffer thaten.«
»Das geht ja über alle Begriffe!«
»Ja. Wir müssen uns den Spaß machen und die Sippschaft besuchen, wenn sie bei den Flaschen sitzt.«
»Aber zahlen wirst Du müssen!«
»Das kann ich. Ich habe ja Geld, sehr billiges Geld – zweitausend Rubel!«
»Willst Du das wirklich als Dein Eigenthum betrachten?«
»Nun, wem gehört es denn eigentlich?«
»Dem Grafen.«
»Der hat es ja weggegeben.«
»Dem Kreishauptmann?«
»Nein, denn er hat es erhalten für ein Vergehen, welches er begangen hat.«
»So hat es gar keinen rechtmäßigen Herrn!«
»Allerdings nicht.«
»Was willst Du aber denn damit machen?«
»Ich will diesen zwei Scheinen zwei rechtmäßige Herren verschaffen. Ahnt Ihr denn noch nicht, was ich vorhabe?«
»Hm! Die beiden Ratniki – – –?«
»Die sind nur Stellvertreter und erhalten ja ihre zweihundertfünfzig Rubel.«
»Kannst nicht rathen, alter Tim!« meinte Jim. »Ich weiß, wer die Rubel erhalten soll. Der Sam ist ein Schlaukopf und ein seelensguter Kerl. Die beiden Posten dort am Feuerwerksgebäude sollen losgekauft werden. Habe ich recht, Dicker?«
»Hast getroffen.«
»Aber sie sollen doch erschlagen werden!«
»Das will ich mir verbitten. Ich werde mit dem Herrn Rittmeister ein Wort sprechen, daß ihm die Haare zu Berge stehen sollen. Er wird mir – horch, Wagengerassel! Da müssen wir nachschauen!«
Sie traten um die Ecke und zwar noch zur rechten Zeit, um zu sehen, daß der Graf mit seinen zwei Wagen abfuhr, begleitet von zehn gut berittenen Kosaken. Die Wagen enthielten die Requisiten, welche er zu dieser Reise für nothwendig gehalten hatte. Bei seiner Ankunft hatte er, wie bereits erwähnt, drei Wagen gehabt. Den dritten hatte er zurückgelassen, einestheils weil er ihn nicht brauchte und anderntheils weil es derjenige war, dessen sich Gökala bediente. Er war nicht für Männer eingerichtet.
»Da ist er also fort,« sagte Jim. »Weißt Du, wohin?«
»Ja,« antwortete Sam. »Wir werden später noch darüber sprechen. Jetzt aber wollen wir zu diesem Herrn Rittmeister gehen.«
»Wir alle Drei?«
»Natürlich.«
»Wohl wegen dieses famosen Duelles?«
»Ich. Ich werde es ihm natürlich nicht schenken.«
»Du, Dicker, ist das nicht vielleicht etwas zu übermüthig?«
»Pah! Meinst Du, daß ich mich vor ihm fürchten soll?«
»Das nicht. Furcht ist ja weder Deine noch auch unsere Schwäche. Aber er ist Offizier, und es steht zu erwarten, daß er schießen kann.«
»Na, ein Kosakenoffizier in Sibirien und zum Beispiel ein deutscher Lieutenant, das ist ein himmelweiter Unterschied. Ich lasse mich auffressen, wenn dieser Rittmeister etwas Anderes schießen kann als nur ein Loch in die Luft.«
»Möglich; aber weißt Du, alter Sam, daß zuweilen auch der Dumme etwas Gescheidtes thut, freilich ohne es zu wissen?«
»Ja, das habe ich an Euch beobachtet.«
»Pfui, Teufel! Beleidige Deine besten Freunde nicht! Wenn Du Dich mit diesem Kosaken duellirst, so kann es doch passiren, daß er Dich ausnahmsweise trifft, grad weil er albern zielt.«
»Wird sich finden. Ich hoffe, daß er mir in diesem Falle ein Loch, welches sich bald wieder verstopfen läßt, durch den Leib schießt. Ich habe so eine Ahnung, daß er eher sich selbst treffen wird als mich. Ihm aber werde ich eine heilsame Lehre ertheilen.«
»Willst Du ihn verwunden?«
»Natürlich!«
»Wo?«
»Hm! Darüber bin ich mir noch nicht klar. Es soll auf sein Verhalten ankommen. Zeigt er sich so, daß er eine Züchtigung verdient, so mache ich ihn einfach unschädlich für seine Untergebenen, indem ich dafür sorge, daß er dienstuntauglich wird. Also kommt!«
Die drei Männer schritten langsam und gravitätisch dem Regierungsgebäude zu. Waren sie schon anderwärts, drüben in Amerika, geeignet, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wie viel mehr erst hier im Osten von Sibirien. Sie, der kleine Dicke mit den zwei baumlangen, dünnen Beinen stachen von aller Welt so sehr ab, daß sie die Blicke aller ihnen Begegnenden auf sich zogen. Sie machten sich nicht nur nichts daraus, sondern fanden sogar ein sehr großes Vergnügen daran.
Als sie die Thür des Gebäudes erreicht hatten, trat ihnen ein Bediensteter entgegen und fragte sie nach ihrem Begehr.
»Ich möchte den Rittmeister sprechen,« antwortete Sam.
»Den Herrn Rittmeister, meinst Du wohl!«
»Meinetwegen.«
»Was willst Du von ihm?«
»Etwas, was Du nicht zu wissen brauchst, mein Brüderchen.«
»So melde ich Dich nicht.«
»Das magst Du machen, ganz wie es Dir beliebt; aber ich werde doch zu ihm gehen.«
»Unangemeldet darfst Du das nicht.«
»Wer will es mir verbieten?«
»Ich.«
»So! Nun, so verbiete es mir doch einmal.«
»Das will ich hiermit gethan haben.«
»Schön! So kannst Du nun abtreten.«
Er nahm ihn und warf ihn zur Thür hinaus, so daß er sich draußen niedersetzte. Dann ging er mit den beiden Anderen nach der Treppe und stieg dieselbe empor.
Der Diener raffte sich auf und kam ihnen nach. Er faßte Sam beim Arme und rief:
»Halt! Ihr bleibt!«
»Natürlich bleiben wir hier. Du aber kannst Dich fort machen, sonst thust Du noch einen solchen Sprung wie soeben.«
»Du hast Dich an mir vergriffen.«
»Und Du vergreifst Dich eben jetzt an mir. Laß mich los, sonst passirt Etwas.«
»Ich darf Dich nicht hinauf lassen.«
»So lasse ich Dich hinunter. Da!«
Er gab ihm einen Stoß, so daß er die Treppe hinunterflog. Der Mann fiel zu Boden, stand aber wieder auf und kam ihnen nach, wagte es aber nicht wieder, Sam zu berühren, erhob aber dafür ein überlautes Geschrei.
Droben wurde eine Thür aufgerissen. Der Kreishauptmann trat heraus.
»Was giebts denn zu lärmen?« fragte er zornig.
»Diese Männer wollen zum Herrn Rittmeister,« antwortete der Diener.
»Der ist nicht zu sprechen.«
»Das habe ich den Herren auch schon gesagt. Sie aber haben mich dafür erst zur Thür hinaus- und sodann auch zur Treppe heruntergeworfen.«
»Donnerwetter! Das wagt man in meinem eigenen Hause!«
»Rede keinen Unsinn, theures Väterchen!« lachte Sam. »Das ist gar nicht Dein Haus.«
»So! Wessen denn?«
»Das gehört dem guten Czaren, und wenn Du Deine Pflicht nicht thust, so wirst Du ganz ebenso an die Luft gesetzt, wie ich diesen braven Mann hinausgesetzt habe. Also Dein Sohn ist nicht zu sprechen?«
»Nein.«
»Er hat keine Zeit.«
»So werde ich ihm gleich Zeit machen. Wo befindet er sich?«
»Das geht Euch nichts an.«
Sam hatte seine alte Prairiebüchse im Arme. Jetzt ließ er sie fallen, so daß ihr Kolben dröhnend auf den Fußboden schlug.
»Mensch, ich frage, wo er ist.«
Der Dicke rief ihm diese Worte so drohend ins Gesicht, daß der Beamte ganz erschrocken zurückfuhr.
»In seiner Stube,« antwortete er.
»Zeige sie uns.«
»Kommt!«
Er wagte nicht, noch einmal zu widersprechen, sondern öffnete eine Thür und trat mit ihnen ein. Der Rittmeister saß, eine Cigarette rauchend, behaglich auf dem Sopha.
»Ah!« sagte Sam. »Man sieht, daß er keine Zeit hat. Guten Morgen, Herr Rittmeister.«
Der Genannte stand auf, musterte ihn mit zornigen Blicken und fragte, ohne ihren Gruß zu erwidern:
»Hat man Euch nicht gesagt, daß ich keine Zeit habe?«
»Allerdings.«
»Warum drängt Ihr Euch trotzdem herein?«
»Weil auch wir keine Zeit haben. Wir müssen mit Dir reden.«
»Kommt später wieder.«
»Das geht nicht, denn die Angelegenheit erleidet keinen Aufschub.«
»Was ists?«
»Das Duell.«
»Donnerwetter! Geht zum Teufel!«
»Auch dazu haben wir keine Zeit. Aber wenn Du meinst, daß der Teufel Gesellschaft braucht, so werde ich Dich zu ihm senden.«
»Ich duellire mich nicht.«
»So! Ist das Dein Ernst?«
»Ja.«
»So nimmst Du die Beleidigung ruhig hin?«
»Ihr könnt mich nicht beleidigen.«
»Bist Du ein so vornehmer Herr? Das hätte ich Dir wirklich nicht angesehen. Na, Du magst es halten wie Du willst; aber Du hast auch uns beleidigt, und das lassen wir nicht auf uns sitzen. Schau Dich also nach einem Secundanten um.«
»Fällt mir nicht ein!«
»So zwinge ich Dich.«
»Versucht es!«
»Pah! Wir können das gleich hier machen. Versucht wird es gar nicht erst. Es geht auch ohne alle Vorbereitung.«
»Wenn Du mir die Genugthuung verweigerst, so bist Du ein ehrloser Kerl, und ich behandle Dich als solchen. Wo und wann ich Dich sehe, bekommst Du Ohrfeigen.«
Der Rittmeister erbleichte.
»So lasse ich Euch knuten!« rief er aus.
»Pah! Wir sind nicht Unterthanen des Czaren. Wir stehen unter dem Schutze des amerikanischen Gesandten und haben weder Dich noch Deine Knute zu fürchten. Also entschließe Dich. Schießest Du Dich mit mir?«
»Nein.«
»So bist Du ein ehrloser Bube und mußt als ein solcher gezüchtigt werden. Da!«
Er holte aus und gab ihn, eine solche Ohrfeige, daß der Getroffene gegen die Wand flog. Sein Vater wollte zur Thür hinaus, um nach Beistand zu rufen; aber Jim und Tim hielten ihn fest.
Der Rittmeister war zunächst wie sprachlos. Er hielt sich mit der Hand die getroffene Backe; dann stieß er einen Schrei der Wuth aus, griff nach der Knute, welche auf dem Tische lag und holte zum Schlage aus. Sam aber stieß ihm den Kolben des Gewehres an den Leib, daß er zurücktaumelte und sagte lachend:
»Laß die Peitsche, mein Brüderchen! Sobald Du mich mit derselben zu berühren wagst, schieße ich Dir eine Portion Blei ins Gehirn. Mir bist Du nicht gewachsen.«
»Vater, Vater, laß sie einsperren, und zwar sofort, sofort!« schrie der Rittmeister.
»Laß Dich doch nicht auslachen,« antwortete Sam. »Uns einsperren! Dazu seid Ihr alle Beide die Kerls nicht.«
»Meinst Du, daß wir Euch nicht bändigen?« brüllte der Offizier.
»Ja, das meine ich.«
»Vergiß nicht, daß ich der Commandant der hiesigen Militärmacht bin.«
»Na, diese Macht gleicht ganz ihrem Commandanten. Versuche es doch einmal mit ihr gegen uns.«
»Das soll sogleich geschehen.«
Er trat an das Fenster.
»Halt!« gebot Sam. »Was willst Du?«
»Meine Leute rufen.
»Sobald Du das Fenster öffnest, schieße ich Dir eine Kugel durch den Kopf.«
Er legte das Gewehr an. Der Rittmeister fuhr angstvoll zurück und rief:
»Bist Du toll!«
»Nein. Aber bei mir heißt es: Wie es in den Wald schallt, so schallt es wieder heraus. Ich bin ganz so gegen Euch, wie Ihr es verdient.«
»Poche ja nicht so viel auf Deinen Consul.«
»Ein anderer Kerl ist er als Du. Verstanden! Du hast keine Ehre. Wo ich Dich sehe, werde ich Dich durch Ohrfeigen zwingen. Dich mit mir zu schießen. Das merke Dir. Und dann sollen auch Alle erfahren, wer vorhin er Teufel und wer seine Großmutter gewesen ist.«
»Ah! Wer denn?«
»Ihr Beide.«
»Ah! Wer sagt das?«
»Ich.«
»Wer hat Dir diese Lüge aufgehängt?«
»Lüge? Glaubt Ihr, daß wir Amerikaner so dumme Kerls find wie Eure Tungusen?«
»Wie können wir es gewesen sein?«
»Wir haben Euch erkannt.«
»Das ist unmöglich. Wir waren daheim.«
»So! Und der Graf hat Euch hier so ganz vergeblich gesucht.«
»Was weißt Du von dem Grafen!«
»Mehr als Ihr. Wer sich in Werg wickeln und mit Theer beschmieren läßt, mit dem machen wir kein langes Federlesen. Also merkt Euch, was ich gesagt habe. Jetzt gehen wir; aber sobald Du Dich vor mir sehen lässest, erhältst Du die versprochenen Ohrfeigen. Ich halte Wort.«
»Und ich lasse Dich einstecken und prügeln.«
»Ihr habt unsere Legitimationen gesehen. Wagt es. Der Gouverneur soll es erfahren, was für einen Militaircommandanten er hier in Platowa hat.«
Er ging. Jim und Tim folgten ihm. Die beiden Russen blickten sich an. Sie waren ganz rathlos.
»Schreckliche Kerls!« stieß der Vater hervor, indem er mit der Faust drohte.
»Mich zu ohrfeigen!«
»Und noch ohrfeigen zu wollen!«
»In Deiner Gegenwart!«
»Ich bin ganz überzeugt, daß dieser Kerl seine Drohung ausführt.«
»Aber, müssen wir es uns denn so ruhig gefallen lassen?«
»Was wollen wir machen!«
»Sie arretiren.«
»Das geht nicht. Nach den Regeln der Ehre hast Du Dich mit ihm zu schießen.«
»Fällt mir nicht ein!«
»Warum nicht?«
»Ich werde in den sichern Tod rennen.«
»Ist das so ausgemacht?«
»Ganz gewiß. Der Mensch schießt wie ein Teufel.«
»Du kannst ihn aber auch treffen.«
»Er hat den ersten Schuß.«
»Sapperment! Das wäre freilich schlimm. Am Allerbesten ist es, Du lässest Dich, so lange sie hier sind, gar nicht sehen.«
»Eine verdammt langweilige Geschichte!«
»Vielleicht reisen sie bald wieder ab.«
»Was wollen sie eigentlich hier?«
»Jenen geheimnißvollen Steinbach erwarten. Wenn Der uns nur nicht auch noch Unannehmlichkeiten bringt!«
»Woher wissen sie es, daß wir die Teufels gewesen sind!«
»Das frage ich auch.«
»Vielleicht liegt die Antwort sehr nahe. Ich habe meine Gedanken.«
»Wie?«
»Sollten – – sollten sie es sein, welche die Nummer Zehn befreit haben?«
»Donnerwetter!«
»Zu vermuthen ist es. Sie haben sich schon gestern seiner angenommen. Sie sind äußerst gewaltthätige Leute. Kennst Du irgend einen hiesigen Menschen, dem es zuzutrauen ist, uns in dieser Weise zu behandeln?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Und das Theeren eines Menschen ist eine ganz amerikanische Manipulation. Ich wette, sie sind es gewesen.«
»Wenn ich das gewiß wüßte – –!«
»Was würdest Du da thun?«
»Da würde ich sie allerdings arretiren lassen. Sie stehen zwar unter dem Schutze ihres Gesandten; aber wenn sie sich gegen unsere Gesetze vergehen, so sind sie strafbar.«
»Aber da käme es sicher heraus, was für eine klägliche Rolle wir gespielt haben.«
»Leider! Eine ganz verdammte Geschichte!«
»Und wer ist schuld daran? Die Nummer Zehn und die beiden Kosaken, welche Posten standen. Ich habe ihnen hundert Knutenhiebe versprochen.«
»Sie sollen sie erhalten!«
»Auf alle Fälle. Jetzt aber laß mich in Ruhe. Ich muß ein Wenig schlafen. Ich habe natürlich während der ganzen Nacht kein Auge zugethan.«
»Ich ebensowenig. Auch ich lege mich nieder.«
Er ging. Beide sollten indeß die gewünschte Ruhe nicht lange genießen.
Sam war nämlich mit den beiden Brüdern nach dem Wirthshause gegangen. Dort saß der Polizist mit zwei jungen, kräftigen Kerlen. Zwei Frauenzimmer, eine jüngere und eine ältere waren dabei. Jedenfalls war daß seine Frau und Tochter, welche auf den versprochenen Schnaps wartete.
Als er die Eintretenden erblickte, stand er auf, kam ihnen entgegen und sagte:
»Väterchen, hier sind die beiden Männer, die ich Dir versorgt habe. Du wirst mit ihnen und also auch mit mir sehr zufrieden sein.«
»Wollen sehen. Haben sie ihre Freischeine mitgebracht?«
»Ja. Sie müssen Dir doch beweisen, daß sie wirklich Ratniki sind.«
»Zeigt einmal her!«
Sie gaben ihm die Scheine, und er überzeugte sich, daß Alles stimmte. Sie wurden handelseins. Er versprach ihnen einen anständigen Preis und forderte sie auf, sich sofort mit ihm nach dem Rittmeister zu verfügen.
»Aber, Väterchen,« meinte der Polizist. »Wie steht es denn mit dem Wutky, den Du uns versprochen hast?«
»Den erhaltet Ihr.«
»Und auch mein Geld?«
»Ja«
»So gieb es und bestelle den Branntwein.«
»O, so haben wir doch nicht gehandelt. Noch weiß ich nicht, ob der Herr Rittmeister diese beiden Ratniki annimmt.«
»Was soll er gegen sie haben?«
»Vielleicht sehr viel. Zahlen werde ich erst dann, wenn die Sache in Ordnung ist.«
»Du hast Recht. Aber wir dürsten. Sollen wir so lange warten. Das können wir nicht aushalten.«
»So laßt Euch einstweilen eine Flasche geben!«
»Eine – eine einzige?«
Er machte dabei ein Gesicht, als ob er die größte Unbegreiflichkeit der Welt gehört habe.
»Ja, eine.«
»Soll mein Weib verdursten und meine Tochter mit ihr!«
»Ich denke, Ihr habt genug, bis wir wiederkommen. Die Flaschen sind ja groß.«
Er deutete nach einem Tische, auf welchem eine ganze Anzahl gefüllter Bouteillen stand.
»Groß!« rief der Polizist. »Soll ich Dir einmal zeigen, wie groß sie sind?«
»Ja.«
»Du bezahlst sie?«
»Natürlich.«
Er nahm eine der Flaschen vom Tisch, entkorkte sie, setzte sie an den Mund und trank sie vollständig leer. Dann schnalzte er mit der Zunge, verdrehte die Augen und rief:
»Das ist ein Trank. Zwanzig solcher Flaschen in einer Stunde! Das wäre grad, als ob man sich im Himmel befände!«
»Ja, selig würdest Du wohl dann sein. Aber ich will nicht grausam gegen Euch sein. Nimm Dir noch eine Flasche und gieb auch Deiner Frau und Tochter jeder eine!«
Das ließ sich der Mann nicht zweimal sagen. Die Flaschen waren im Augenblick entkorkt. Er leerte seine zweite. Die beiden Frauenzimmer nahmen sich mehr Zeit; aber sie hatten auch ein solches Gefälle, daß sie voraussichtlich 'n fünf Minuten keinen Tropfen mehr hatten.
Sam machte sich mit den Ratniki und Jim und Tim auf den Weg.
Im Regierungsgebäude angekommen, sahen sie denselben Diener wieder Er saß auf einer der Treppenstufen und aß Knoblauch. Als er sie erblickte, stand er auf. Ihnen einen haßerfüllten Blick zuwerfend, fragte er:
»Was wollt Ihr schon wieder?«
»Dir eine Ohrfeige geben.«
Bei diesen Worten holte Sam aus. Der Mann that einige Sprünge und verschwand durch die Hinterthür. Er hatte erfahren, daß mit diesen fremden Männern nicht zu scherzen sei.
Das Kommen derselben wurde doch anderweit bemerkt. Die Frau des Kreishauptmannes trat eben zufälliger Weise aus ihrem Zimmer. Sie sah die Männer und erfuhr auf ihre Frage von denselben, daß sie zu ihrem Sohne wollten.
»Der ist nicht zu sprechen,« sagte sie.
»Ist er fort?«
»Nein. Er schläft.«
»So bitte ich, ihn zu wecken.«
Sie war ganz entrüstet über diese Zumuthung. Den Militärcommandanten wecken, falls er schlief! Das klang ja geradezu wie Hochverrath!
»Ihn wecken!« sagte sie im Tone des tiefsten Erstaunens. »Weißt Du vielleicht auch, was Du sagst?«
»Sehr gut, liebes Mütterchen.«
»Du verlangst das Unmögliche.«
»Ich habe noch nie gehört, daß es unmöglich sei, einen Menschen zu wecken.«
»In diesem Falle, ja. Ich darf es nicht wagen. Bedenke, einen Rittmeister im Schlafe zu stören, was das zu bedeuten hat!«
»Nun, was hat es zu bedeuten?«
Sie blickte ihm so verblüfft in das Gesicht, daß er sie fast ausgelacht hätte.
»Das weißt Du nicht?« fragte sie.
»Freilich weiß ich es. Es bedeutet, daß er aufstehen soll.«
»Das wird er aber nicht thun.«
»Ich glaube doch. Wenn Du nicht den Muth hast, ihn zu wecken, so werde ich es selbst thun.«
Er wendete sich nach der Seite, in welcher die Stube des Rittmeister lag. Da ergriff sie ihn beim Arme und rief:
»Halt! Das darfst Du nicht! Was fällt Dir ein. Er würde Dich bestrafen.«
»Pah! Das soll er versuchen.«
»Komm später wieder!«
»Fällt mir gar nicht ein! Ich bin einmal da und kann nicht eher wieder gehen, als bis ich mit dem Herrn Rittmeister gesprochen habe. Also muß ich sehr bitten, ihn sofort aus den Federn zu holen.«
Er liegt nicht im Bette, sondern auf dem Sopha. Dennoch aber darf ich es unmöglich wagen, ihn zu stören. Er würde mich – –«
»Was denn?« donnerte er sie an. »Etwa fressen? Dazu siehst Du mir doch nicht appetitlich genug aus.«
So Etwas war ihr noch niemals passirt! Das mußte gerochen werden. Sie stemmte beide Hände in die Hüften, pflanzte sich vor ihm auf und öffnete die Schleußen ihrer Beredtsamkeit. Ihre Strafrede floß so laut und ununterbrochen wie ein Platzregen. Die drei Männer lachten aus vollem Halse. Das verzehnfachte ihren Grimm und verwandelte den Platzregen in ein schauerliches Hagelwetter. Das prasselte, dröhnte, zischte, schnatterte, kreischte und donnerte so laut auf, daß es durch das ganze Haus zu hören war. Daher war es nicht zu verwundern, daß eine Thür aufgerissen wurde, aus welcher der Kreishauptmann ganz erschrocken hervorstürzte.
»Was – was ist denn las!« rief er. »Das ist ja ein – – ah, diese Drei wieder!«
Er machte Augen, als ob er sie mit einem einzigen Blicke erstechen wolle. Der dicke Sam aber sagte, laut lachend:
»Höre, Väterchen, giebt es vielleicht einen tüchtigen Arzt hier in Platowa?«
»Wa – rum?«
»Schicke sofort zu ihm. Es ist Deinem Mütterchen auf die Sprache gefallen. Wenn Du nicht schleunige Hilfe holst, wird sie nie wieder reden können.«
Das war zu viel. Die Schleußen öffneten sich abermals. Der Beamte aber unterbrach seine Frau, indem er ihr Ruhe gebot und schrie voller Wuth den Dicken an:
»Eine solche Frechheit ist geradezu unerhört! Was wollt Ihr denn wieder bei mir?«
»Bei Dir? O, auf Dich haben wir es dieses Mal gar nicht abgesehen; das kommt später. Wir wollen zu Deinem Sohne.«
»Der ist für Euch nicht zu sprechen.«
»Das sagte auch Dein Weibchen; aber wir glauben es nicht.«
»Er schläft.«
»Na, wenn er bei diesem Skandale schlafen kann, so muß ihn die Teufelsgeschichte heute Nacht sehr kaput gemacht haben! Er schläft da so fest, daß zu befürchten ist, er werde gar nie wieder aufwachen. Darum muß er augenblicklich geweckt werden.«
Er schritt auf die betreffende Thür zu; aber der Kreishauptmann hielt ihn fest und rief:
»Halt! Keinen Schritt weiter. Ihr macht Euch schleunigst fort, sonst –!«
»Sonst –?« fuhr Sam ihn drohend an. »Was ist sonst?«
»Sonst weiß ich, was ich zu thun habe!«
»Gott sei Dank! Endlich weißt Du einmal Etwas. Du siehst nämlich ganz so aus, als ob Du ganz und gar nichts wissest. Und bisher habe ich gefunden, daß sich das bestätigt.«
»Willst Du mich beleidigen?«
»Dich? Du bist gar nicht der Kerl, mit dem ich mir die Mühe geben möchte, ihn extra zu beleidigen. Mach, daß Du mir aus dem Wege kommst!«
*