Fritz Mauthner
Aus dem Märchenbuch der Wahrheit
Fritz Mauthner

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Havana

Ein spanischer Lord fuhr mit seinem Lustdampfer auf hoher See. Weib und Kinder hatte er an der Küste zurückgelassen, seine Lieblingssklavin nur hatte er mitgenommen, die sechzehnjährige braune Havana. Ihre Lippen waren rot und rosenfarben die Knospen ihrer Brüste. Schwarz lachten die Augen aus den weißen Augäpfeln, und weiß war das wirre lockige Haar. Nicht weiß wie das Haar eines Greises, nicht weiß wie der Schnee, weiß wie Mondlicht im Traum.

Eines Mittags ging der spanische Lord hinunter in den Maschinenraum und bewunderte den Verstand, der die Maschine erdacht hatte. Dann faßte er die große Eisenwelle und zerbrach sie.

Er ging auf Deck und sagte dem Steuermann seine Befehle. Er setzte sich im Speisesaal nieder und ließ auftragen. Er genoß die seltenen Speisen, bis er satt war. Dann warf er den Koch und die Küchenjungen ins Meer und nickte, als die Haifische sie verschlangen.

Die Matrosen murrten, weil die Dampfmaschine nicht mehr für sie arbeiten konnte, und auch wegen der Köche. Da warf der spanische Lord auch die Matrosen ins Meer und rief die schwarze Kaffeesiederin um eine Schale Mokka. Er fand das Gebräu stark und heiß und süß und stieß die Schwarze über Bord.

Der Steuermann trat auf ihn zu und sagte:

»Herr, wie sollen wir weiter segeln? Die Eisenwelle hast du zerbrochen und die Matrosen ins Meer geworfen. Ich allein kann das Schiff nicht halten gegen Wind und Wellen.«

Der spanische Lord lächelte und sprach:

»Gegen Wind und Wellen brauchen wir Kräfte, brauchen wir Hilfe, brauchen wir Freunde. Ich aber habe beschlossen, mit dem Strom zu fahren. Allein.«

Und er hob den Steuermann an dem bunten Gürtel seines Gewandes, schwang ihn dreimal in der Luft und warf ihn weit über Bord ins Meer, weit über den Meeresstrom hinaus.

Das Schiff aber trieb in dem Strome über den Ozean hin nach der Seite, wo es bergab geht und woher kein Schiff zurückkommen kann.

Der spanische Lord lag auf seinem Diwan; da kroch Havana zu ihm heran, leise, wie eine Schlange. Sie war splitternackt bis auf ein Räuchlein, das sie umgehängt hatte. Wie eine Schlange kroch sie über ihren Herrn hin, bis die Knospen ihrer Brust seine Hand berührten und dann ihre Lippen seinen Mund. Sie küßte ihn lange und innig, bis er die Augen schloß. Dann kicherte sie und fragte:

»Willst du mich auch über Bord werfen?«

Der spanische Lord blinzelte kraftlos:

»Spiel mir was vor!« sagte er endlich leise. »Komödie.«

Havana kroch in ihr Räuchlein zurück, und dann saß eine stumme Sphinx vor dem Diwan, eine Sphinx mit Kinderaugen, Mutterbrüsten und Löwentatzen. Das Räuchlein zog blaue Ringe um das Untier, immer enger und enger, bis es verschwand, und dann verzog sich das Räuchlein, und ein Weißer Engel kniete vor dem Diwan, sang ein himmlisches Lied und bewegte lautlos die veilchenblauen Flügel auf und nieder. Das Räuchlein umhüllte den Engel und verzog sich, und vor dem Diwan saß ein gelber Inder, deß grauer Bart reichte bis zum Nabel, und der Inder blickte mit beiden Augen an der Nasenspitze vorüber fest auf den Nabel und dachte und suchte ein Wort für sein Denken. Und das Räuchlein sank und stieg, und Havana schmiegte sich wieder an den Herrn.

»Sind das all deine Gestalten und Namen?« fragte der spanische Lord verächtlich.

Havana setzte sich aufrecht auf den Diwan, zog mit der Hand das linke Bein über das rechte Knie, blies kleine Rauchringelchen über ihre feinen braunen Schultern fort und sagte nach einer Weile:

»Da hab' ich mich jüngst von einem Gymnasiasten abküssen lassen. Der dumme Junge nannte mich Lethe. Aber mir ist immer, als ob ich schon einmal ebenso genannt worden wäre, auch von Gymnasiasten.«

Und Havana schlug ihr Räuchlein wie einen Mantel um den spanischen Lord, und er kuschelte sich an ihren Busen.

Das Schiff jedoch war im Strom unter eine ungeheure schwarzrote Wölbung gelangt, wo es bergab ging. Und es verschwand mit dem spanischen Lord und seiner Havana in der Finsternis der schwarzroten Wölbung.


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