Fritz Mauthner
Aus dem Märchenbuch der Wahrheit
Fritz Mauthner

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Der Mann ohne Uniform

Zwei große Heere lagerten einander gegenüber. Ein einsamer Mensch nur schloß sich keinem der Führer an; denn er besaß keine Uniform. Aber er befand sich nicht wohl in seiner Freiheit. Bald glaubte er sich hoch über den beiden Heeren; dann fror er und wünschte sich aus der Sonnenhöhe hinab auf die Erde. Bald glaubte er sich tief im Erdinnern warm gebettet und sicher geborgen; dann aber roch er Grabesmoder und sehnte sich hinauf an das Licht. Gewöhnlich aber schwebte er über den Berggipfeln zur Rechten oder zur Linken der Walstatt und sehnte sich hinab zu einem der Heere, einerlei zu welchem, nur hinab unter Menschen.

Eines Abends trug er es nicht länger. Er wanderte hinab und trat unter den Troß, der hinter dem einen Heere kochte und tanzte und lachte.

»Die Parole!« rief man ihm zu.

Er schwieg.

Da hatte eine der liederlichsten von den Troßdirnen Mitleid mit ihm:

»Ruf du nur: Hie Hinz und Blau! Dann gehörst schon zu uns und kannst lustig sein. Siehst bis jetzt nicht danach aus. Willst essen? Willst mit mir gehn? So sag mal: Hie Hinz und Blau!«

Heiser brachte der einsame Mensch hervor:

»Hie Hinz und Blau!«

Dann tanzte er mit der Dirne. Aber er mochte nicht essen und auch nicht mit ihr gehen. Er stahl sich hinweg vom Troß und drang weiter nach vorne vor. Bei jeder Abteilung wurde er nach der Parole gefragt. Immer mühsamer, immer heiserer brachte er es hervor: »Hie Hinz und Blau!«

Er kannte den Hinz gar nicht persönlich. Und Blau war ihm nicht lieber als eine andere Farbe.

So gelangte er bis an die Vorwacht des Heeres. Es war Nacht geworden und das Feld hallte wider von Hinz und Blau. Da schlich sich der einsame Mensch durch die Wachen hindurch, um vielleicht bei dem anderen Heere zu bleiben und zu kämpfen.

Als er etwa auf halbem Wege zwischen den beiden Lagern war und nur noch leise den Ruf vernahm: »Hie Hinz und Blau!« – da drang auch der Kriegsruf des zweiten Heeres herüber:

»Hie Kunz und Rot!«

Der Mann ohne Uniform blieb stehen. Er kannte auch den Kunz nicht persönlich. Und auch Rot war ihm nicht lieber als eine andere Farbe.

Wo er von beiden Lagern gleich weit entfernt war, blieb er stehen; da führte ein Feldrain. Am Feldrain stand ein Holzkreuz. Der Mann ohne Uniform lehnte sich müde an das Kreuz; aber er reckte die beiden Arme aus und legte sie auf das Querholz und wartete. Die ganze Nacht.

Von beiden Seiten tönten die Schlachtrufe herüber. Von beiden Seiten stiegen Leuchtkugeln auf, die das Heer des Gegners beleuchteten, und von beiden Seiten sausten Granaten, welche das feindliche Lager anzünden sollten. Leuchtkugeln und Brandgranaten flogen hoch über dem Kopfe des einsamen Mannes hin. Die beiden Lager waren erhellt, von Brand und Feuerwerk, aber immer doch hell. Am Feldrain war das Dunkel. Da schien dem Manne der Krieg mit Brand und Mord lustiger, als sein Friede. Und die ganze Nacht beneidete er die Soldaten um ihre Parole und um ihre lustigen Uniformen.

Als der Morgen graute, rückten die Heere gegeneinander los. Von beiden Seiten wurde er zusammengeschossen.

Wieder wurde es Abend und man suchte das Feld nach den Gefallenen ab. Die Toten beider Heere wurden in eine große Grube geworfen. Sie sahen im Tode alle zornig oder lustig aus, oder auch ruhig. Nur einem Toten las man Verzweiflung vom Gesicht. Er lag an einem Holzkreuz und trug allein keine Uniform. Er wurde besonders begraben. Unter dem Holzkreuz.


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