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Siebenundsechszigstes Kapitel

Ralph beginnt sich einzurichten und stellt einen Reisehofmeister an – bereitet sich für eine Wanderung vor und klopft schüchtern an die Thüre einer alten Freundin, wo er zurückgewiesen wird. – Er erreicht endlich seinen Zweck, indem er seine Beglaubigungsbriefe vorzeigt, die übrigens fast wie eine Boxerei aussehen.

————

Am andern Tage war mein Arm so geschwollen und ich selbst so unwohl, daß ich das Bett nicht verlassen konnte. Mr. Pigtop besuchte mich und war sehr freundschaftlich in seinem Benehmen. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben, obschon es ihm entweder feine angeborene Bescheidenheit oder sein natürlicher Mangel an Beredtsamkeit unmöglich machte, sich des Druckes durch Worte zu entledigen. Ich vermuthete, er habe kein Geld und komme, um ein Anlehen von mir nachzusuchen. Hierin war ich jedoch im Irrthum, denn er wünschte mir ein Anerbieten zu machen, das in nichts Geringerem, als in seiner eigenen Person bestand. Ich brauche nicht zu sagen, daß mich derselbe Arzt fortbehandelte, und ich ersah die Gelegenheit, mich mit einigen Nothdürftigkeiten, wie auch mit einem Mantelsack zu versehen. In Ermangelung einer andern Person beauftragte ich das Stubenmädchen mit der Erfüllung meiner Wünsche – ein Geschäft, das sie auch mit vieler Mäßigung ausführte: denn sie nahm nur hundert Prozent Nutzen an den Einkäufen, was merkwürdig wohlfeil in Betreff der Achtbarkeit war, die ich in ihren und in der Kellner Augen hatte, weil ich jetzt nicht länger als der Gentleman ohne Gepäck erschien.

Am dritten Tage meines Hausarrests, als ich eben einsam in dem verlassenen Gastzimmer saß und meine bittern Gedanken wiederkäuete, machte mir Mr. Pigtop seine Aufwartung. Obgleich ich ihn als einen durchaus selbstsüchtigen Menschen kannte, so traute ich ihm doch jene verdrießliche Art von Ehrlichkeit zu, die man oft bei ganz gemeinen Seelen findet. Zur Zeit war mir jede Gesellschaft willkommen, weshalb ich seine Theilnahmebezeugungen sehr gnädig aufnahm und mit einer Einladung zum Diner erwiederte. Sie wurde mit Freuden angenommen, und die Zeit bis zum Mahle füllte er mit einer Beschreibung seines Lebens aus, das allerdings ein sehr gewöhnliches war. Als Sohn eines Schiffsunteroffiziers standen seine Erlebnisse durchaus in Beziehung zur See, nur daß er nicht gerade an Bord eines Kriegsschiffs geboren war. In einem Alter von fünfzehn Jahren war er unter die Midshipmen aufgenommen worden und hatte sich bis zu der Stellung eines Meistersmaten gehoben. Von nun an aber hatte es, allem Anschein nach, mit seiner Beförderung für immer ein Ende. Er stand bereits in den Vierzigen und hatte schon dreiundzwanzig Jahre gedient.

Da er sich in Betreff seiner Bedürfnisse rein auf seinen Sold beschränken mußte, so war sein Leben eine Kette von Entbehrungen und Unzufriedenheit gewesen. Sein Geld war beinahe zu Ende, ohne daß er sogar die Verbesserungen in seiner Garderobe hatte vornehmen lassen, welche durch Josua Dauntons Bosheit so nothwendig geworden waren. Er wünschte den Dienst zu verlassen und wollte jetzt lieber Alles sein, nur nicht mehr Meistersmate. Verwandte hatte er nicht – und noch weit weniger Freunde. Seine Aussichten waren ganz trostlos und seine Lage bitter – indeß fand er doch eine Erleichterung darin, daß er sich mir anvertrauen konnte.

Nachdem wir ein frugales Mal von Coteletten nebst einer einzigen Flasche Portwein zu uns genommen hatten, kehrte er wieder zu seinem Morgengespräche zurück und bat mich um meinen Rath in Betreff seines künftigen Verhaltens.

»Da solltet Ihr nicht zu mir kommen, Pigtop,« versetzte ich. »Ihr seid weit eher im Stande hier zu rathen, als ich, da Ihr um so viel länger in der Welt gelebt habt.«

»Eure Rechnung ist nicht richtig, denn obgleich ich mehr als zweimal die Zahl Eurer Jahre gelebt habe, so bin ich doch nie in der Welt gewesen. Am Lande bin ich wie ein Schwein, das in einem Waschzuber schwimmt. Rathet mir, was ich thun soll.«

»Habt Ihr keine Verwandte oder Freunde, die Euch unterstützen könnten?«

Das traurige Schütteln seines Kopfes war eine beredte Verneinung.

»Und doch wollt Ihr nicht wieder zu dem Leben zurückkehren, für das Ihr ausschließlich erzogen seid?«

»Nein! ich will und kann nicht.«

»Gut; so müßt Ihr Euch entweder an die Landstraße legen oder ein reiches Weib heirathen.«

»Betrachtet nur diesen Kopf – und diese Narbe. Nein – keine wird sich mit einem so ausgefaserten alten Taue splissen lassen wollen, wie Andrew Pigtop ist. Die Landstraße ist kein gentlemanisches Gewerbe mehr; ich habe daher im Sinne, ein Bedienter zu werden.«

»Ihr, Pigtop? – Ich bitte um Verzeihung, aber wer zum Teufel wird sich mit Euch belasten wollen?«

»Ich hoffe, Ihr werdet's thun – nein, lacht nicht: ich weiß, daß Ihr zum Gentleman geboren seid und daß Ihr jährlich hundert Pfund zu verzehren habt. Aus Andeutungen, die ich zusammengelesen, glaube ich, daß diese sich zu Tausenden steigern werden, sobald Ihr volljährig seid und Euch Euer Recht widerfährt. Wir verfolgen einen gemeinsamen Plan – nämlich jenen Schurken, den Daunton, an den Galgen zu bringen. Allerdings wünsche ich nicht, Eure Livree anzuziehen, wenn Ihr nicht bestimmt darauf besteht. Nennt mich daher Euern Sekretär oder was Ihr wollt – nur erlaubt, daß ich in Eurer Nähe bleibe als Euer Diener und Freund.«

Ich sah die Augen des armen Burschen glänzen und die Muskeln seines wetterbraunen Gesichts beben. Einen Blick auf seine schäbigte Uniform werfend, dachte ich an seine langen, unbelohnten Dienste, und obschon ich wohl wußte, daß ich ihn nie achten konnte, bemitleidete ich ihn doch sehr. Ich beschloß daher endlich, ihm beizustehen und ihn für eine Weile in meiner Nähe zu behalten.

»Gut, Pigtop,« sagte ich endlich; »wenn Ihr treu sein wollt – «

» Bis in's Grab – bis auf den letzten Blutstropfen. Steht mir jetzt bei in meinem Unglücke, und so lange ich Leib und Seele habe, sollen sie keine Gefahr scheuen, wenn es Eure Sicherheit gilt.«

»Pigtop, ich glaube Euch. Sprecht nicht mehr davon. Ihr sollt mein Reisehofmeister sein und Eure Belohnung erhalten, wenn ich majorenn werde – das heißt, im Falle ich zahlen kann. Wieviel an Geld habt Ihr zur Zeit?«

»Drei Pfund, fünfzehn Schilling und achthalb Pence – nicht genug, um mich nach dem Wachschiffe hinunterzubringen, nachdem ich meine Wirthshausrechnung bezahlt habe.«

»Dann geht hin, mein guter Freund und zahlt sie augenblicklich; sobald dies abgethan ist, kommt Ihr mit möglichster Eile wieder zurück.«

Der pünktliche Gehorsam, den er diesem meinem ersten Auftrage zollte, versprach gute Aussichten für die Zukunft.

Als er wieder zurückkehrte, redete ich ihn folgendermaßen an:

»Mein Freund, Ihr sollt bis auf den letzten Schilling mit mir theilen, aber glaubt mir, meine Lage ist eben so gefährlich als unnatürlich. Sie bietet mir Schwierigkeiten aller Art und verlangt nicht nur Gewandtheit, sondern auch Muth. Ich habe einen Vater, der mich entweder nicht anerkennen darf, oder aus irgend einem unseligen Beweggrunde nicht anerkennen will; auch fürchte ich, daß ich einen Halbbruder habe, der mich mit dem Messer des Meuchelmörders verfolgt, während ich ihm mit der Rache der Gesetze nachstelle. Ich muß entweder den Tod eines gehetzten Hundes, oder er den eines dem Schaffot verfallenen Verbrechers sterben. Der Ausgang liegt in Gottes Hand. Wir müssen wachsam sein, denn ich stehe in großer Gefahr. Mein unversöhnlicher Feind steht im Bunde mit Einigen aus dem heillosesten Gesindel in diesem weiten Sammelplatze der Büberei; er kennt alle Irrgewinde dieses Babels der Verdorbenheit, und ich habe in Mitte des geschäftigsten Gedränges den Stahl meines Bruders zu gewärtigen. Der Mensch hat irgend einen kräftigen Beweggrund, meinen Tod herbeizuführen und hintendrein meine Person vorzustellen. Bereits hat er mir meine Zeugnisse gestohlen; aber wie undurchdringlich auch das Geheimniß erscheint, sind doch die Anlässe, die ihn zu meinem Morde bewegen, augenfällig genug. Ich glaube, daß ich hier ziemlich sicher bin, obschon ich nicht zweifle, daß ich bewacht werde. Hier ist Geld. Geht jetzt und kauft zwei Paar gute Pistolen nebst einem Paar starker Stockdegen. Wir wollen uns auf's Schlimmste gefaßt machen. Natürlich werdet Ihr fortan hier schlafen und meinen Aufenthaltsort stets zudem Eurigen machen. Auf dem Rückwege sucht Ihr in irgend einer ruhigen Straße einen unscheinbaren Schneider auf, der keine große Werkstätte führt, und bringt ihn mit hieher. Jedenfalls muß ich Euch in Livree stecken.«

»Nun, wenn es sein muß, so sei es – ich will unverweilt aufbrechen.«

Philipp besorgte seine Aufträge gut, indem er bald sowohl mit den Waffen als mit dem Schneider zurückkehrte.

»Ich hoffe,« sagte er, »Ihr werdet nicht verlangen, daß ich die Livree lange trage?«

»Hoffentlich nicht lange. Mein Freund,« fuhr ich gegen den Mann des Ellenmaßes fort, »dieser Gentleman, der kürzlich noch in der Flotte war, hat in neuester Zeit eine entschiedene ernste Richtung genommen. Er bereut aus dem Grunde seines Herzens die Gottlosigkeit seines vergangenen Lebens – hat eine Berufung gehabt und derselben Folge gegeben. Möglich, daß er sich in Bälde die Erlaubniß auswirkt, zu predigen. Macht ihm einen dunkelfarbigen Anzug, nicht nach dem Schnitte der Welteitelkeiten – Euer eigener würde kein übles Modell abgeben. Ihr geht vermuthlich in die Versammlung?«

»Ich habe Gnade gefunden – meide das Haus mit dem Kirchthurme – und hole die gesparten Brosamen des Worts, die von den Lippen des Lichtes der Erlösung, dem ehrwürdigen Mr. Obadiah Langspinner, fallen.«

»Ohne Zweifel ein heiliger und gerechter Mann – wollte Gott, daß wir Alle ihm ähnlich wären! Aber unsere Zeit wird auch noch kommen – ja, unsere Zeit wird kommen. Wie der äußere Mensch des ehrwürdigen Mr. Obadiah Langspinner ist, so möchte auch mein Freund seinen äußeren Menschen aufgebaut haben – und in der That seinen inneren gleichfalls – zur Heiligkeit veredelt.«

Der fromme Schneider schnüffelte ein »Amen« und that was seines Amtes war.

Während Pigtops Kleider angefertigt wurden, durfte er selbst nicht müssig bleiben. Er schaffte alle Reiserequisiten bei und mußte sich außerdem nach der Wohnung der Brandons erkundigen. Die Kunde lautete, er sei vor einem Jahre nach Canada ausgewandert. Alles schien daher die Machinationen meines Feindes zu begünstigen und mich zu hindern, einen Schlüssel aufzufinden, durch welchen ich ihm oder dem Gegenstande meiner Nachforschungen auf die Spur kommen konnte. Nur Eine Aussicht blieb mir noch frei – eine Unterredung mit Mrs. Causand, jener Dame, die mir Josua so wohlwollend als Mutter bescheert hatte.

Nach drei Tagen, während welcher Zeit wir eine Privatwohnung bezogen hatten, sah der ehrwürdige Mr. Pigtop so sauer aus, wie nur irgend ein psalmodirender Methodist in Barebones Parlament, und hatte sich ganz mit der gesteiften Figur, die er vorstellte, versöhnt, obschon seine Reden in einem traurigen Einklange standen mit der Gesetztheit seiner Außenseite. Indeß war sein Anzug doch immerhin eine gute Reisemaske, die einem Unteroffizier, der seinen Urlaub auf eigene Faust verlängerte, sehr zu statten kam.

Sobald meine Gesundheit völlig hergestellt war, kleidete ich mich mit der größten Sorgfalt und trat mit klopfendem Herzen meinen Gang zu Mrs. Causand an. Auf ihr beruhten nun alle meine Hoffnungen. Ich wußte, daß sie mich, als ich noch ein Schulknabe war, sehr gerne gehabt hatte, wie ich denn auch meinerseits sie eben so sehr liebte, als bewunderte. Je näher ich ihrem Hause kam, desto mehr pochte mein Herz unter seltsamen Erregungen.

Ich hatte sie früher nie besucht und wußte daher durchaus nichts von der Art, wie sie zu leben gewöhnt war, obschon diese mehr als mittelmäßig sein mußte, wenn ich aus dem Aufwand, den sie zu machen pflegte, und aus der Pracht ihres Anzugs, wenn sie Mrs. Cherfeuil zu Stickenham besuchte, einen Schluß ziehen durfte. Das Haus, in welchem sie wohnte (denn ich hatte stets sorgfältig ihre Adresse bewahrt), war eines von denen, welche nach Hydepark hinausgehen, und es lief mir eiskalt durch die Adern, als ich der ruhigen, aristokratischen Außenseite ansichtig wurde. Die zweideutige Stellung, die ich in der Gesellschaft behauptete, und die Zurückweisung, die ich befürchtete, machten mich damals sehr ängstlich, mich überhaupt irgendwo einzudrängen. Ich mußte mir ihre weiße mit Juwelen geschmückte Hand, mit der sie mir durch die Haare fuhr, und die Liebkosungen, die sie an den Schulknaben verschwendete, in's Gedächtniß zurückrufen, um meinen Muth zu Erhebung des Klopfers zu steigern – ein Geschäft, dessen ich mich jedoch ehrenhaft genug entledigte. Die Thüre wurde nicht durch einen Portier, sondern durch einen sehr aufgeputzten Lakaien geöffnet.

»Ist Mrs. Causand zu Hause?« fragte ich bescheiden.

Der Mann musterte mich vom Wirbel bis zur Zehe, und ich fühlte, daß ich unter seinen forschenden Blicken erröthete. Nachdem er seine Untersuchung beendigt, antwortete er abgebrochen:

»Nein, Sir.«

Ich wollte mich eben im Schmerze der getäuschten Erwartung langsam von hinnen begeben, als eine prächtige Equipage vor der Thüre Halt machte. Die Tritte rasselten nieder und ein wohlgekleideter Gentleman von mittlerem Aller sprang heraus. Drei Stufen mit einem Schritte nehmend befand er sich im Nu an meiner Seite, während der unverschämte Lakai mich mit ausgebreiteten Armen auf die Seite drängte, um für den neuen Ankömmling Platz zu machen.

»Mrs. C – –?« sagte der Fremde.

»Im vorderen Besuchszimmer, Sir.«

Und der Besuch eilte fast mit Seiltänzer-Behändigkeit hinauf.

Nun war ich von Jugend aus stets ein sanfter Mensch gewesen – ein Fläschchen süßen Oels und Schießpulver, das Oel natürlich oben auf. Aber das Schießpulver fängt hin und wieder Feuer und alles Oel fliegt in das Gesicht des unbesonnenen Funkenlegers.

»Ihr lügnerischer Schurke!« sagte ich, den Kerl an seinem wollenen Bortenkragen fassend und den Puder aus seinen krausen Locken schüttelnd; »vor noch nicht einer Minute sagtet Ihr mir, Mrs. Causand sei nicht zu Hause!«

»Sir, sie ist nur zu Hause für ihre besonderen Freunde.«

»So wißt, Schlingel, daß ich ein ganz besonderer Freund von ihr bin, und daß ich dreitausend Meilen weit reiste, um sie zu sehen.«

Mein Ungestümm verschaffte mir weit mehr Achtung als meine Höflichkeit. Der Lakai wurde zahm und sagte mir, wenn ich in das anstoßende Zimmer spazieren und ihn mit meinem Namen begünstigen wolle, so werde er mich melden, sobald sie allein sei. Ich trat in das Gemach, das aufs Geschmackvollste ausgerüstet war, aber augenscheinlich nur zu Gelagen benutzt wurde. Hierüber begann ich nun sehr natürlich unterschiedliche Betrachtungen anzustellen, die weder für mich selbst sehr angenehm, noch sehr ehrenhaft für die Dame waren, die ich so ängstlich zu sprechen wünschte.

*

 


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