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Zeigt in methodischer Weise, wie man einen Glauben finden und alle Religion verlieren kann; desgleichen auch, wie eine Berufung durch Personen von verschiedenen Berufen erzielt wird.
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Wie bereits berichtet, war ich in meinen Leidenschaftsausbrüchen ermuthigt und systematisch in die Streitsucht eingeführt worden. Mein Geist sollte sich nun höheren Spekulationen aufschließen, und eine religiöse Furcht, mit allen Schreckbildern des Aberglaubens in ihrem Gefolge, kam wie ein Schwarm von Banditen auf mich los, zuerst meine Seele in die Fesseln der Betäubung schlagend, bis sich zuletzt die Bande lösten und mein Geist in seiner ganzen kindischen Wildheit durch die grausen Reiche beängstigender Träume und wacher Visionen wanderte. Ich modelte mich zu einem Poeten.
Meine Pflegemutter war stets ein wenig fromm; sie ging nach der nächsten Kapelle oder Kirche, kniete mit aller Demuth nieder, betete und fand Trost, indem sie sich begnügte, das Wort Gottes zu hören, ohne sich mit den Spitzfindigkeiten irgend eines besondern Dogmas zu beunruhigen, das sie doch nicht verstanden haben würde. Der alte Ford dagegen war ein wüthender Methodist; er gab zu, daß er sich nie bekehren könne, und während er täglich den Becher der Sünde bis auf die Hefe leerte, versuchte er lange Gebete als Gegenmittel anzuwenden. Die Salbung, mit welcher er an seine Brust schlug und ausrief: »o ich elender Sünder!« konnte nur durch die Wahrheit dieser Behauptung übertreffen werden. Mrs. Brandon schloß sich seinen Versammlungen in unserm Hause nur an, wenn er vollkommen nüchtern war – also nicht oft, während Brandon sich nie dabei zeigte. So lange Letzterer die Stulpstiefel trug, war er ein Optimist und ein völliger Epikuräer in seiner Philosophie – natürlich im modernen Sinne dieses Wortes. Als er noch achtzig Pfund jährlich und keine eigene Familie hatte, war kein Mensch fideler oder glücklicher, und er setzte das vollkommenste Vertrauen auf die Vorsehung. Er that sich etwas darauf zu gut, zur Landeskirche zu gehören, weil dies respektabel und er ein Freund der Orgel war. Indeß besuchte er nie den Vormittagsgottesdienst, weil er nicht rasirt war; Nachmittags konnte er sich sein Schläfchen nicht versagen, und Abends sah man nur die dienenden Klassen in der Kirche. Ueber das demüthige Gebet seiner Gattin und über die fanatische Gluth seines Miethmanns machte er sich lustig. Er war ein Hochkirchler und damit Punktum. Sobald aber die Zunahme seiner Familie und die Schmälerung seines Einkommens ihn nöthigten, vom Morgen bis in die Nacht zu arbeiten, wurde er mürrisch und sehr flau in seinem Glauben.
Die französische Revolution war damals in ihrem wildesten Toben, und man redete allgemein der Gleichheit in religiösen, wie in politischen Dingen das Wort. Die Aufregung der Zeiten erstreckte sich sogar bis zu der Sägegrube. Brandon betrank sich an einem Sonnabende mit einem Häuflein Demagogen, und als er am nächsten Sonntag Morgen – es war ein schöner Sommertag – erwachte, machte er plötzlich die Entdeckung, daß er nach einem Glauben suchen mußte. Er begann sofort seine Sonntagspilgerfahrten und streifte, seinen Sohn Ralph an der Hand, durch die ganze weite Hauptstadt und ihre ausgebreiteten Umgebungen von einer Congregation zur andern. Ich glaube nicht, daß wir auch nur einen einzigen, der Gottesverehrung geweihten Platz unbesucht ließen. Ich kann mich noch gut erinnern, daß der katholische Gottesdienst einen bedeutenden Eindruck auf ihn machte. Wir wiederholten unsere Besuche drei- oder viermal in der katholischen Kapelle, eine Achtung, die er noch keiner andern gezollt hatte. Das Resultat läßt sich leicht denken. Wenn ein aufgeregter Geist nach Nahrung sucht, begnügt er sich auch mit dem Abfalle, vorausgesetzt, daß er nur berauscht. Wir trafen endlich auf eine kleine Bande toller Methodisten, die noch unheimlicher und ausschließlicher war, als sogar Fords Sekte: die Congregation bestand aus Leuten der niedrigsten Volksklasse, etwa zwölf oder dreizehn ausgenommen, die positiv verrückt waren. Der Pastor war ein schlauer Spitzbube, der sich an der Verirrung seiner Gemeindemitglieder mästete. Sie hielten an der Lehre von der sich sichtlichen Erwählung, die sich durch eine Berufung zu erkennen gab – das heißt, durch eine direkte Heimsuchung von dem heiligen Geiste, welche darin bestand, daß man in Zuckungen niederfiel – ein noch zuverlässigeres Zeugniß, wenn dies in voller Versammlung stattfand. Die Erwählten konnten nie wieder fallen: die Sünden, welche sie nachher begingen, waren nicht die ihrigen, sondern nur die Wirkung des bösen Geistes in ihrem Innern, den sie hinauswerfen konnten, wenn sie wollten, um sodann wieder so rein zu sein, wie zuvor. Alle übrigen, welche keine Berufung hatten, befanden sich in einem Zustande von Unterworfenheit und gingen auf der Hochstraße der Verdammniß dahin.
Alles dies konnte ich natürlich erst lange nachher fassen, aber unglücklicherweise verstand ich doch (oder glaubte es wenigstens) die schrecklichen Bilder von den ewigen Qualen, und die Gewißheit, daß sie bald über mich hereinbrechen würden. Anfangs machten diese Verkündigungen – sei es aus Unachtsamkeit oder Mangel an Fassungsgabe – nur einen unbedeutenden Eindruck auf mich. Aber die schrecklichen Schilderungen nahmen allmälig eine sichtbarere und strengere Gestalt an, bis sie Wirkungen hervorbrachten, die nichts weniger als günstig waren.
Die Lehrsätze der Caterianer sagten ganz der Einsicht und den ungestümen Leidenschaften Brandons zu. Die Sekte nannte sich die der Caterianer, weil ihr ehrwürdiger Geistlicher Cate hieß. Mein Pflegevater kehrte nach dem zweiten Sonntagsgottesdienste zurück und brachte sein Haus in Ordnung. Der heiße Schinken wurde aufgegeben, der Spaziergang auf's Land eingestellt und viermal des Tags ein Meeting gehalten. Sogar Ford wollte dies nicht gefallen. Brandon arbeitete an seiner Berufung und rang mit Heftigkeit um das Privilegium, ungestraft sündigen zu können. Mr. Cate hatte ihm gesagt, daß er sich auf einem verzweifelten Wege befinde. Brandon that daher Alles, was er konnte, aber die Berufung wollte nicht auf den Ruf kommen. Früher war dies bei Mrs. Brandon der Fall, sofern die äußeren Erscheinungen zur Sprache kamen, obschon sie die Ehre der innern Berufung ablehnte. Meine gute Pflegemutier war nämlich guter Hoffnung, und Mr. Cate hatte sie mit einer lebhaften Schilderung der Qualen eines neugebornen Kindes, welches die Strafe der Hölle erleide, weil es als unerwählt gestorben sei, – in die absolut nöthigen Zuckungen versetzt. Brandon begann jedoch des langen Wartens und Betens, vielleicht auch der nun allzuhäufigen Besuche seines Seelenhirten, müde zu werden. Er hatte nun abwechselnd seine Anfälle von zügelloser Unmäßigkeit und religiöser Verzweiflung. Eines Sonntag Morgens weckte er mich vor sieben Uhr, und ich meinte, er wolle mich wie gewöhnlich zu einem Morgenmeeting mitnehmen. Wir begaben uns nach dem Saale, der als Kapelle diente, und hatten denselben beinahe erreicht, als die halboffene Thüre eines nahegelegenen Wirthshauses das schnöde Gemisch ekler Dünste in die balsamische Sabbathluft ausgoß. Mein Führer zögerte – er bewegte sich gegen das Versammlungshaus hin, aber sein Kopf war in eine andere Richtung gedreht – er machte Halt.
»Ralph,« sagte er, »hast du nicht Mr. Ford in das Wirthshaus gehen sehen?«
»Nein, Vater« versetzte ich; »ich glaube nicht, daß er droben ist.«
»Auf alle Fälle ist's besser, wenn wir hingehen und nachsehen, denn ich darf nicht zugeben, daß er einem ehrbaren Haus die Schande anthut, am Sonntag Morgen in einer Branntweinschenke zu zechen.«
Wir traten ein.
Wir fanden daselbst einige von seinen Kameraden. Eine Pinte Wermuthbier nach der andern mußte aufgesetzt werden, und endlich wurde eine Gallone starken Ale's auf den Tisch gestellt, ein Quart Wachholderbranntwein darein gegossen, und das Ganze mit einem rothglühenden Schüreisen erwärmt. Ich erhielt nun die Weisung, zu lügen, und mußte versprechen, daß ich der Mutter erzählen wolle, wie es in der fremden Kapelle zugegangen sei; dagegen machte ich übrigens auch meine Bedingungen, indem ich von ihm verlangte, daß er die Mutter nicht mehr schlagen dürfe. Es war fast Kirchenzeit, als der Wirth uns zu einer Hinterthüre hinausließ. Die betrunkenen Burschen wankten nach Hause, während Brandon, der mich bei der Hand ergriff, sich alle Mühe gab, nüchtern zu erscheinen, was ihm auch beinahe gelang.
Nach einem hastigen Flühstück begaben wir uns zu dem Meeting. Mein Pflegevater sah ungemein verstört aus. Mr. Cate raste eben in der Mitte eines extemporirten Gebetes, als man in der Kapelle einen schweren Fall vernahm. Der Geistliche stieg von seinem Pulte herunter, kam herzu und betete über dem hingestreckten Opfer der Trunkenheit, oder vielleicht der Epilepsie, indem er zugleich verkündigte, daß Bruder Brandon seine Berufung erhalten habe, und jetzt unzweifelhaft unter die Auserwählten gehöre. Er kam nicht so bald wieder zu sich, als man erwartete; sein Stöhnen betrachtete man als Merkmal von dem Wirken des Geistes, und als er sich endlich so weit erholt hatte, um von zweien der Congregation nach Hause geführt werden zu können, ergoß sich der Prediger über die Bekehrung des Brettschneiders, indem er das Kapitel von der Bekehrung Sauli zum Texte wählte und die beiderseitigen Fälle mit einander verglich. Mögen die Gegner der Staatskirche spotten, wie sie wollen – ähnliche schandbare Scenen sind wenigstens nie in ihren zur Zeit noch verehrten Mauern vorgefallen.
Als wir zum Diner zurückkehrten, fanden wir, daß Brandon sich soweit gesammelt hatte, um sehr hungrig, sehr stolz und sehr pharisäisch fromm zu sein. Mr. Cate speiste bei uns. Er war voll heiliger Glückwünsche über das wunderbare Ereigniß. Der Brettschneider nahm sie in demüthiger Selbstzufriedenheit als unmittelbare Aussprüche der Wahrheit hin, und schien ganz zu vergessen, daß es Dinge wie Wermuthbier und rothglühende Schüreisen gebe. War er ein vollendeter Heuchler, oder nur in einer Selbsttäuschung befangen? Wer kann das Menschenherz erforschen? Indeß übte »diese Berufung« die Wirkung, den »Berufenen« zu einem vollendeten Sünder zu machen, und das Maaß der Schändlichkeit, die er gegen seine arme Frau übte, zu füllen.
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