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Ralph wird außerordentlich bescheiden, obschon er sich über die Maaßen viel einbildet, bis er von einem Manne ausgestochen wird, der mit einem Fuße bereits im Grabe steht. Einige rührende Großthaten von Seiten des Fußlosen.
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Ich befinde mich in einem Dilemma. Meine Bescheidenheit (?) steht im Widerspruche mit meiner Liebe zur Wahrheit. Oh, wie unbequem ist nicht das kleine Fürwort Ich! Wenn ich doch gleich anfangs das schlaue Benehmen des kahlköpfigen Eindringlings in Britannien nachgeahmt hätte – wie selbstgefällig hätte ich dann in der Einleitung prunken, in der Mitte Schneckenwindungen machen und am Schlüsse dieser Selbstbiographie prahlen können! Welch' ein ungeheuerliches Stück Großsprecherei wären nicht Cäsars Kommentarien, wenn er statt der dritten Person des Singularis die erste gewählt hätte! Wie unverträglich müßten nicht seine Thrasoniaden sein. »Ich habe die Helvetier besiegt – ich habe die Germanier unterjocht – ich habe die Gallier fast gänzlich ausgerottet – ich habe die gemalten Briten geschlagen!« Und mit wie vielem Anstände, wie sinnreich hätte nicht ich (denn ich liebe es, Helden Seite an Seite zu stellen) schreiben können: »Ralph Rattlin schlug dem Master Simpkin das linke Auge blau – Ralph Rattlin war der Führer bei dem Angriffe auf Farmer Russels Obstgarten und Ralph Rattlin focht drei Gänge mit nicht beträchtlichem Nachtheil gegen den langbeinigten Pastetenmann. Leider kann ich mich nicht einmal durch den Nebel des peremtorischen Wir schützen. Ich beging einen großen Fehler, habe aber doch, gemeinschaftlich mit andern großen Männern, den Trost, daß durch unsere Irrthümer die Oeffentlichkeit mehr leidet, als wir. Manches auserlesene Abenteuer, in welchem ich der Held war, muß nun unterdrückt werden. Als ›ich‹ müßte ich mich eigentlich schwarz schämen, wenn ich sagen wollte, was › er‹ mit ganz ruhigem, selbstzufriedenen Lächeln berichten könnte. Ein Leid hintendrein ist übrigens ganz unnütz, wenn man nicht wie der Leichenbestatter dafür bezahlt wird; ich will daher mit dem französischen Soldaten, der seinen langen militärischen Zopf in den Händen eines nachsetzenden englischen Matrosen fand, ausrufen: »Ritterlichkeit geht über Alles, toujours en avant.«
Habe ich wohl schon zu lange bei meinen Schultagen geweilt? Ach, nein! Sind nicht die Lenzblüthen die frischesten? Sind nicht die Wasser eines Flusses um so reiner, je näher wir seiner Quelle kommen? Selbst die herrliche Sonne wird bei ihrem Aufgange mit dem größten Entzücken begrüßt. Wie bei allen Dingen muß man auch bei dem Leben den Anfang mit der größten Freude betrachten, denn obgleich er keine Entwürfe des Ehrgeizes, der Größe oder der Habsucht bietet, so birgt er doch die größten Elemente des Glücks in ihrem Entstehen und in ihrem Verlaufe.
Das letzte jubelnde Herzklopfen über ein erreichtes Ziel ist zugleich auch der sichere Vorbote der Uebersättigung. Der Schlußchor des Genusses läuft stets auf den Spruch hinaus: »Alles ist eitel und leer.« Dies ist der Refrain der Welt, der Zeit und der Sterblichkeit. Kehren wir daher zurück zu den frühen und frischen Tagen des jungen Lebens, zu der Springfluth eines frohen Daseins, und welcher Leser, der durch die Welt nicht abgestumpft wurde, wird uns nicht mit Freuden begleiten.
Bisher habe ich einen elenden Schulknaben geschildert; wollen wir nun auch einen glücklichen in's Auge fassen. Es ist ein schöner lustiger Sommermorgen und die Sonne ungefähr eine Stunde alt. Seht ihr jenen langen Burschen über das Gartengeländer springen? Das Thor ist nur durch eine Klinke geschlossen, aber die Kraft der Gesundheit verschmäht es, sie aufzudrücken. Vor ihm liegt eine weite, von hohen Bergen begrenzte Haide, hinten ein endloses Wiesenland; rechts befindet sich ein lieblicher See, der sich in den duftigen Winden kräuselt, und links nistet unter dem Blätterwerke tausendjähriger Eichen und majestätischer Ulmen in ländlicher Ruhe das Dorf. Er hält für einen Augenblick auf dem grünen Rasen und seine Augen haften auf den goldenen Basreliefs des Himmels. Aus den glühenden Wangen könnt ihr den Strom des Entzückens entnehmen, das seine Brust erfüllt, und in seinen schönen Augen leuchtet eine stumme Andacht. Vielleicht ist seine Träumerei zu frohsinnig, das schwellende Gefühl in seinem Innern zu überwältigend, denn seht – mit einem Sprunge, gleich dem eines erschreckten Hirsches, ist er von hinnen. Er eilt dahin auf den Fittigen der Winde und beginnt einen Wettlauf mit den unsichtbaren Boten, die mit ihrem raschen Flügelschlage Gesundheit bringen. Kein anderer Zweck scheint ihn zu leiten, als die Freude an schneller Bewegung. Jubelnd hüpft er über Busch und Bach, und während wir ihm bewundernd nachsehen, ist er schon weit unten im Thale.
Die trillernde Lerche steigt aus dem bethauten Grase auf; er hält und läßt unwillkürlich seine Stimme in lautem, nachahmendem Entzücken ausbrechen. Anfangs besteht sein Selbstgespräch bloß in abgebrochenen Wonnerufen, aber allmälig nehmen seine Gefühlsergüsse eine geregelte Form an. Er geht langsamer, und eh' er auf dem Rückwege den See wieder erreicht, hat er eine Dankeshymne an den liebevollen Geber alles Guten angestimmt, der das prächtige Himmelsdach über ihn wölbte und den bunten, duftenden Teppich unter seinen Füßen ausbreitete. Er glaubt nicht belauscht zu sein und jubelt sein Lied in ehrlicher Freude. Jetzt stürzt er in den See, taucht unter, schwimmt und spielt mit den leichten Wellen. Er ist eine Personifikation der Lebensgeister – wild in der süßen, unschuldigen Trunkenheit, welche die Schönheit der Natur erzeugt. Es schlägt sechs und er hört die Glocke, die ihn zu seinen Morgenstudien ruft. Der Ton weckt in ihm kein Grauen, denn er hat sich auf seine griechischen und lateinischen Aufgaben vorbereitet, so daß er wohl weiß, die Stunde der Examination werde zugleich eine Stunde seines Triumphes sein. Er blickt umher und sieht seinen Lehrer, der stolz auf ihn und seine Talente ist. Alle seine Schulkameraden begrüßen ihn nicht mit feiler Liebe und zollen ihm aufrichtige Bewunderung. Ist nicht alles dies entzückend? – Ein Entzücken, das ich selbst empfinden durfte! Ach, mein lieber Freund – wie gallsüchtig jetzt auch dein Blick, wie aufgeworfen dein Mund sein mag – ein Aehnliches durchzuckte vor Zeiten auch dein Inneres. Mögen auch gestern die Fonds gefallen sein, weckt nicht diese Schilderung ein Wiederaufleben deiner eigenen Jugend – die heilige Gluth früherer Gefühle, die du noch in einem stillen Winkel deines bedrückten Herzens geborgen hast? Oh, gewiß, es muß so sein – denn ich bin fast geneigt, mit den Hebräern zu glauben, daß, wenn auch der übrige Körper zu Grunde geht, doch ein kleiner unzerstörlicher Theil in uns ist, eine Art Herz des Herzens, das ewig währen und die Erinnerung unserer edlen Gefühle, des Aufschwungs unserer Jugend für immer bewahren wird. Es altert nie, obgleich man es im Alter vergißt. Möge es deßhalb mir vorbehalten sein, da und dort die weltlichen Menschen daran zu erinnern, daß sie diesen unerschöpflichen Vorrath von Glück in ihrem Innern tragen.
Ich fing nun an, mich viel mit Versen zu versündigen, und erregte deshalb in dem benachbarten Dorfe große Aufmerksamkeit. Kein züchtigender Schlag, ja nicht einmal ein Wort des Vorwurfes ward mir zu Theil. Man nährte meinen Geist mit Lob und mein Herz mit Liebkosungen. In der Schule hatte ich nicht meines Gleichen, und meine Eitelkeit flüsterte mir zu, daß dies auch außerhalb derselben der Fall sei. Doch ließ ich diese meine thörichte Einbildung nicht blicken, denn ich war demüthig aus übermäßigem Stolze. Es gibt zwei Dinge, die fast mit Sicherheit darauf zählen dürfen, verdorben zu werden – ein sehr schöner, junger Mann und der »Hahn in der Schule«. Da mir nun ohne Frage das letztere Prädikat zukam, so entging ich dem Geschick, ein völliger und ausgezeichneter Esel zu werden, nur durch die Ankunft des abgefeimtesten, unverschämtesten und angenehmsten spitzbübischen Schuftes, der je in der Gestalt eines stelzbeinigen Unterlehrers Männer betrog, oder Weiber täuschte. Er war der Nachfolger meines würdigen Freundes mit der Guitarre, des Mr. Sigismund Pontifex. Er hieß Riprapton und hätte nur des unbedeutenden Requisits gewöhnlicher Ehrlichkeit bedurft, um in jeder Gesellschaft, in die ihn das Geschick werfen mochte, der erste Mann zu sein – und es beliebte dem Geschicke wirklich, ihn in recht viele zu stoßen. Er war ein kleiner, kräftig und ebenmäßig gebauter Mann, mit einem tief von Pocken gefurchten Gesichte, aber in jeder Narbe lauerte ein gottloser, kleiner Schalk. Seine Augen waren so dreiste und unauslöschbare Lichter der Unverschämtheit, daß sie selbst das irische sang froid aus der Fassung bringen konnten. Und dann jenes unnachahmliche hölzerne Bein! Es war die Anmuth selber, und in der Art, wie er es behandelte, ganz unwiderstehlich. Sein Gang war nicht elend, gemein, hüpfend oder hinkend, denn obgleich der Mann von der Mitte seines rechten Dickbeins an abwärts hölzern war, so konnte man doch sein Einherschreiten fast die Poesie der Bewegung nennen. Kein festes Auftreten, sondern er stahl sich mit einer Glissade dahin, welche den Neid und die Bewunderung – ich will nicht gerade sagen der Nationen, aber doch jedes Tanzmeisters, geweckt haben würde. Es war eine schöne Studie, ihn gehen zu sehen, und ich gab mich eifrig damit ab. Das linke Bein war sonder Gleichen gebildet – die Wade vielleicht ein wenig zu rund und hybernisch, was übrigens in den Augen des schönen Geschlechts als ein anmuthiger Fehler erscheint; Knöchel und Unterfuß hatten eine äußerst kleine und zarte Form; auch trug er natürlich stets Kniehosen mit Strümpfen von steckenloser weißer Baumwolle oder Seide.
Ich will die beiden Beine nicht durch die Ausdrücke todt und lebend bezeichnen, da ich dadurch dem geschnitzten sowohl, als dem mit natürlicher Wade versehenen, großes Unrecht thun würde; denn das Erstere hatte ein anmuthiges Leben sui generis. Bezeichnen wir daher das eine als das pulsirende, das andere als das kreisende Bein, und fahren wir nun fort, zu beschreiben, wie sie Mr. Ripraptons lebenden Tabernakel in so bezaubernder Weise dahintrugen. Der Pulsator machte mit der ausgereckten Zehe und zartgedrehten Wade im Gehen eine gerade Linie, aber wie die Sohle den Boden berührte, hob sich auch die Ferse leicht, fiel dann, und während man stumm und unbeobachtet die wellenförmige Anmuth des Pulsators bewunderte, war der Gyrator verstohlen vorgetreten und hatte wirklich den pas seines fünfzehigen Bruders angenommen. Das eine Bein ging und das andere schwamm in schönstmöglichem Halbkreise. Wenn er Halt machte, war die Schwenkung des Gyrators in der That unaussprechlich. Der Trommelschlägel in der Hand des großen, schwarzen Tambours vom ersten Fußgarderegiment war nichts dagegen. So oft sich Riprapton verbeugte (und er that dies stets), so bildete diese Schwenkung sowohl den Eingang, als den Schluß zu der grüßenden Verneigung.
Schon oftmals war ihm sowohl von Damen als Herren ein Korkbein angeboten worden – aber er wußte das besser; hätte er die verrätherische Gabe angenommen, so wäre er nur wie ein hinkender Mensch mit zwei Beinen erschienen, während er so ein vollkommener Adonis mit einem war. Ich glaube wahrhaftig, Cupido bediente sich, wenn er ihm Freunde zu machen wünschte, oft seines hölzernen Anhängsels statt des eigenen Pfeils, denn Mr. Riprapton war bei den Damen ungemein beliebt.
Sobald sich mein Freund in der Schule festgesetzt hatte, kam die Zeit der Demüthigung über mich. Er machte meine Verse lächerlich, verachtete meine Zeichnungen, traf mich beim Fechten durch meine beste Parade, und stach mich im Tanzen aus, obschon ich den Vortheil zweier Beine hatte. Auch im Prahlen und Lügen that er mir's unendlich zuvor. Vom Lateinischen oder Griechischen wollte er nichts wissen, da dies Sprachen seien, die nur für Geistliche und Pedanten, nimmermehr aber für einen Gentleman paßten; auch war er zu patriotisch, um an's Französische auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Da er für das arithmetische und mathematische Departement angestellt worden war, so würde es vielleicht nicht übel gewesen sein, wenn er ein wenig von der Algebra und dem Euklid verstanden hätte; so aber gab er mir von dem ersten Tage an, an welchem er mich mit seiner vertrauten, obgleich patronisirenden Freundschaft beehrte, zu verstehen, daß wir uns in diesen Zweig der Wissenschaft theilen sollten. Es sei ganz hinreichend, wenn Einer von uns Beiden etwas von der Sache wisse, und außerdem sei er der Ansicht, daß es mir sehr förderlich werden müsse, wenn ich die Probleme und die arithmetischen Kalkulationen meiner Schulkameraden prüfe.
Mit diesem Manne maß ich ohne Unterlaß meine Kräfte, und da ich finden mußte, daß mir, ihm gegenüber, unendlich viel fehle, so wurde er ein treffliches, moralisches Sedativ für meine sonst allzu üppig wuchernde Eitelkeit. In der That gab es nur wenige Personen, die sich unter dem sengenden Sarkasmus seiner unerträglichen Unverschämtheit gemächlich fühlen konnten. Mehr zum allgemeinen Erstaunen, als zur Belehrung, pflegte er, namentlich wenn Damen zugegen waren, ganz kaltblütig Mängel an dem Gottesdienste des Pfarrers, an der Arzneigelehrtheit des Doktors und an den Rechtskenntnissen des Attorney zu finden – und dies noch obendrein mit einer so entschiedenen Miene von Untrüglichkeit, daß, mit Ausnahme seiner Gegner, Alles überzeugt wurde.
Bei einer sehr großen Abendgesellschaft hörte ich ihn einmal starrsinnig und sehr triumphirend gegen den alten Kapitän eines Kauffahrers, welcher mit Cook die Welt umschifft hatte, behaupten, daß die Längengrade über die ganze Welt gleich groß seien (in Details ließ er sich nämlich nie ein), und daß es um so heißer werde, je weiter man gegen Süden segle, obgleich der würdige alte Seemann auf den Ueberrest seiner Nase deutete, die ihm in der Kälte der antarktischen Regionen erfroren war. Riprapton schwenkte in Mitte einer glänzenden Peroration seinen hölzernen Index und erklärte, der ehrliche Seemann könne in seinen Behauptungen auf nichts fußen, worauf alle Damen und auch einige der Herren einmüthig ausriefen: »O pfui, Kapitän Headman, seid doch nicht so starrsinnig – zuverlässig seid Ihr ganz im Irrthum.« und der Erzmeister der Unverschämtheit blickte mit bescheidener Leutseligkeit umher, seinem Nachbar vernehmlich in's Ohr flüsternd, Kapitän Headmans Argument in Betreff des zerstörten Proposcis könne für nichts gelten, denn es gebe noch andere Ursachen, welche eben so gut als Kälte und Frost einen Gentleman um seine Nase bringen könnten.
In der Folge hatte mich dieser gelehrte Lehrer in der Seefahrerkunst zu unterrichten. Nichts war für ihn zu hoch oder zu niedrig, und hätte Jemand Unterricht in der Astrologie zu nehmen gewünscht, so würde Mr. Riprapton den Zögling nicht zurückgewiesen haben. Die Unwissenheit, wenn sie sich angenehm zu machen versteht, hat keinen schweren Stand, linkische Gelehrsamkeit aus dem Felde zu schlagen, wenn, was in der Regel der Fall ist, die Masse des Auditoriums aus Unwissenden zusammengesetzt ist.
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