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Neunundzwanzigstes Kapitel

Ralph schifft sich ein, kömmt auf ein Holk und fühlt sich höchst unwohl. – Ein dunkler Raum und ein schwarzer Diener. – Schneiderhöflichkeit und ein verliebter Meistersmate, der nicht weiß, daß er ausgestochen ist.

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Ich fand die Eos ganz aufgetakelt und stark in der Brise, nicht sehr angenehm duftend nach dem Arom des Dock-Yard-Anstrichs. Die Schiffsmannschaft war jedoch nicht an Bord, sondern holkte auf dem Pegasus. Nachdem ich mich den Offizieren der Wache in aller Kürze vorgestellt hatte, wurde ich mit meiner Seekiste, meinem Koffer, meinem Quadranten, meinem Schiffshut und so weiter in die Midshipmansback des Holks hinunter gewiesen. Einer von der Hinterwache versah für mich das Amt eines Ceremonienmeisters. Es war ein düsterer, nebeliger, frostiger Tag, und die feuchte Atmosphäre mischte sich mit den rauchenden animalischen Dünsten, die fast zum Greifen dick aus dem schmutzigen Receptakel von zusammengedrängten Hunderten aufstiegen. Als ich in die Finsterniß hinabstieg, fühlte ich mich beinahe überwältigt durch das Gemisch schnöder Gerüche, und es war mir gar nicht wohl zu Muthe. Mein Führer erhob endlich die Ecke eines Stücks schmutziger Leinwand, die einen ungefähr sechs Fuß im Geviert haltenden Raum von der übrigen Schiffsmannschaft abschloß. Dies, wurde mir zu verstehen gegeben, sei das Quartier der jungen Gentlemen, ihre Wohnstätte und ihr Speisegemach. Ich war noch nicht ausgewachsen, konnte aber nicht einmal ausrecht in diesem zierlichen Salon stehen. Ich berichte blos buchstäbliche Thatsachen. Aus einem eichenen Tische, noch schmieriger als die schmierigen Decken, auf denen ich während meinem Gange zu dieser Höhle alle Augenblicke ausgeglitten war, flackerte eine tiefgelbe Kerze von sehr schmalen Dimensionen, die in dem Halse einer schwarzen Quartflasche stack. Daneben stand ein zerbeulter Brodkorb, der einige Brocken Zwieback enthielt, und ein Stück schändlich riechenden Käses, der auszeichnungshalber den Namen des Zahlmeisters trug, leistete ihm Gesellschaft. Dazu kam noch eine alte, mit Blut befleckte, abgenützte Zahnbürste und ein niedriges Zinnwaschbecken, das mit abscheulich schmutzigem Wasser gefüllt war. Statt der Sitze standen mehrere Kisten von unterschiedlichen Dimensionen um den Tisch her. Von einer so schmutzigen Armseligkeit, wie ich sie nun mit Augen schauen mußte, hatte ich zwar wohl schon gelesen, mir übrigens nie eingebildet, daß ich dereinst genöthigt sein dürfte, sie mitmachen zu müssen. Trotz des beschränkten Raumes war dieses Loch doch ungemein kalt und keine Seele vorhanden, um mich willkommen zu heißen, denn die jungen Offiziere hatten Dienst in dem Dock-Yard. Es mochte zehn Uhr gewesen sein, als ich zum erstenmal in jene düstere Region der Kälte und der bösen Dünste eingeführt wurde. Ich setzte mich in meinem Ueberrocke auf eine Kiste, schlug die vor Kälte starren Hände vor mir zusammen und war fast bis zu Thränen betrübt. Wie sehnte ich mich damals nach der frischen Luft der Haide, wo ich erst kürzlich noch gehüpft und gelacht hatte! Wie ich so da saß, versank ich in ein tiefes, traumartiges Brüten. Ich konnte mich nach einer Pause nicht überzeugen, daß Alles, was ich sah, wirklich sei. Das Licht der einzigen, ungenutzten Kerze wurde immer trüber und rauchiger. Ich fing an zu glauben, mein Geist sei in die Vorhalle des Schattenreichs eingetreten, und wünschte mich zu überzeugen, ob mein Körper nicht weit, weit weg sei, schlafend in einer reinen Atmosphäre und unter einem freundlichen Dache. Von Minute zu Minute sank seine Last schwerer nieder, wie ebenso viele Bleikugeln auf mein krankes Gehirn. Ich wurde verwirrt – vielleicht war ich in Folge des plötzlichen Uebergangs in die schlechte Luft einer Ohnmacht nahe. Ich fühlte, daß ich toll sein müsse, wenn Alles um mich her nicht wirklich sei, und fürchtete, es zu werden, wenn der Schauplatz keine Illusion war. Endlich fühlte ich meine Betäubtheit so zunehmen, daß ich aufsprang und rief: »Dies ist die Hölle – und – und – da ist der Teufel!« Ich bemerkte nämlich ein garstiges glänzendes schwarzes Gesicht, welches unheimlich über den Schirm hereingrinste und mir eine Reihe von weißen Zähnen wies, die mich an ebenso viele Miniaturgrabsteine erinnerte, welche sich neben einander über einen dunkeln Kirchhof hinzogen.

»Kein Teiffel, Sär – mein Nam, Sär, Lillythau. – Was beliebt zu woll, Sär? – Steward für die jungen Gentlemen, Sär. Will jung Massa haben ein wenig weich weiß Brod, Sär – ihm einen Soldat braten, Sär? – Bumboot an Schiffsseite – kann frisch Höring Hab' zum Imbiß, Sär.«

»Ich will nur ein wenig frische Luft – nehmt mich die Treppe hinauf.«

»Oh, Gemminny! hi, hi, hi! – jung Gentleman Massa Johnny Neukomm. Hieher, Sär.«

Von diesem Engel der Finsterniß geführt, gelangte ich wieder auf das Deck und an's Tageslicht, wo ich bald den Ekel und den Kopfschmerz wieder verlor. Ich stellte nun Betrachtungen an und kam zu dem Schlusse, was immer für Ruhm auch ein Flottenoffizier erringen möge, so habe er ihn reichlich verdient, wenn er die Ordalien durchzumachen habe, die ich eben erst versucht. Der Kapitän und einige von den übrigen Offizieren kamen nun an Bord. Ich wurde den meisten vorgestellt, und der Kapitän vergnügte sich mit einem Bericht über mein kürzliches Abenteuer mit dem Meistersmaten, der, zum überzeugenden Beweise von der Wahrheit der Geschichte, noch immer auf dem Mastkorbe saß und eine halbe Meile höher auf dem Medway deutlich gesehen werden konnte.

Ich ließ mich nun mit einem der jungen Gentlemen, welche für so lange Zeit meine Tischgenossen sein sollten, in ein Gespräch ein und sagte ihm, daß mich die Luft unten tödten werde. Er gab zu, daß sie schlimm genug sei, einen Hund umzubringen, ein Reffer aber könne sie schon aushalten. Auch rieth er mir, meine Uniformen, nicht durch den Schiffsschneider ändern zu lassen, da dieser sie mir nur verpfuschen würde; ich solle mir lieber Urlaub an's Land erbitten, wo er mich bei einem sehr ehrlichen Kleiderkünstler einführen wolle, der meiner Kundschaft Gerechtigkeit widerfahren lassen werde. Ich drückte in sehr trockener Weise meine Hoffnung gegen ihn aus, er werde doch nicht zu dem Regimente der berittenen Seemiliz gehören, was er, da er mich wohl verstand, mit seinem Ehrenworte in Abrede zog; es gehe Alles ehrlich und ganz offen zu, erklärte er und fügte noch eine Empfehlung bei, die er für ganz unwiderstehlich halten mochte – daß nämlich dieser Schneider eine sehr hübsche Tochter mit dem Namen Jemima habe.

Da die letztere Mittheilung ein sehr befriedigender Beleg für die Geschicklichkeit und Ehrlichkeit des Schneides war, so konnte ich mich nicht eines solchen non sequitur schuldig machen, um nicht zu versprechen, daß ich ihm meine Kundschaft zuwenden wolle. Ich sagte daher zu dem jungen Gentleman, daß er sich beeilen und mit mir an's Land gehen solle. Da empfand ich nun zum erstenmal peinlich, daß für Erfüllung meiner Wünsche eine kleine Ceremonie nöthig war, sintemal meine lokomotiven Kräfte nicht länger unter meiner freien Leitung standen, sobald sie einen Raum von ungefähr hundertundfünfundzwanzig Fuß Länge und etwa fünfunddreißig Fuß Breite überschreiten wollten. Als ich mich nach dem Steuerbord des Halbdecks begab, um mir Urlaub zu erbitten, redete mich der Kapitän an und erwies mir die Ehre, mich zum Diner an seiner Tafel zu laden. Da ich ihn in so guter Stimmung traf, so brachte ich mein Gesuch vor, mich am Lande aufhalten zu dürfen, bis das Schiff absegle. Er lächelte über die Naivetät meines Ansinnens und fragte mich, was mich dazu bewege, worauf ich ihm offen erwiederte, daß mich der Schmutz und der üble Geruch meines Quartiers schrecke; auch möchte ich mich nicht an Bord sehen lassen, bis meine Uniformen fertig wären.

»Es ist ein Original,« sagte der Kapitän zu dem ersten Lieutenant, »aber es liegt doch einiger Verstand in seiner Bitte. Vermuthlich habt Ihr nichts dagegen, Mr. Farmer. Junger Herr,« fuhr er gegen mich fort, »Ihr müßt in Zukunft stets den ersten Lieutenant um Urlaub bitten. Wohl gemerkt, kommt nicht später als vier Uhr.«

Mein Tischgenosse brachte nun in aller Demuth gleichfalls sein Anliegen vor, welches zugestanden wurde; wir begaben uns sodann nach meiner Kiste hinunter, machten alle Kleider, die einer Aenderung bedurften, in ein Bündel zusammen, setzten uns damit in ein Boot und traten den Weg zum Schneider an. Dort wurde ich der liebenswürdigen Jemima vorgestellt. Sie sah aus wie eine sehr hübsche Puppe, aus Krumen von Weißbrod modellirt – war auch eben so weich, so weiß und so nichtssagend. Nachdem ich meinen Auftrag ertheilt hatte, wagte der Schöpfer meines äußeren Menschen einige Fragen, die er in einem so freundlichen und verbindlichen Tone vorbrachte, daß ich ihre Unverschämtheit ganz übersah. Als er vernahm, daß ich Erlaubniß erhalten habe, am Land zu bleiben, und daß mein Taschenbuch gar nicht übel ausgestattet sei, so erging er sich sehr gefühlvoll über die Erpressungen in den Wirthshäusern und bot mir ein Bett gratis an, wenn ich nur mein Frühstück bezahlen und ihm meine Kundschaft erhalten wolle; auch versicherte er, er wolle Allem aufbieten, um mir's recht gemächlich zu machen. Da dieses Gespräch in dem kleinen Stübchen hinter der Schneiderwerkstatt vorfiel, so schlich sich Jemima – Miß Jemima – welche anwesend war und mein Zaudern bemerkte, in herziger Unschuld an meine Seite, drückte mir einladend die Hand und warf einen flüchtigen, schwimmenden Blick voll seltsamen Ausdrucks auf mich. Dieses Zwischenspiel entschied die Sache. Die Uebereinkunft wurde geschlossen und der Kontrakt ganz Mr. Tapes überlassen.

Meinen ungebührlichen Anzug mit meinem blauen Ueberrocke verhüllend, war ich eben im Begriff, mit meinem Tischgenossen auszugehen, als die junge Dame zu ihrem Vater sagte:

»Vielleicht möchte Mr. Rattlin sein Zimmer sehen, ehe er ausgeht?«

»Das eben nicht.«

»Oh, Ihr müßt. Ihr könntet zurückkommen, wenn ich und die Magd nicht zu Hause sind. Kommt nur – Ihr müßt. – Mr. Pridhomme, Eure Stiefeln sind so abscheulich schmutzig. Da, ist es nicht ein allerliebstes Zimmer – Ihr hübscher, hübscher Junge,« sagte sie, indem sie an mir hin aufsprang und mir einen langen Kuß gab, der mir fast den Athem benahm. »Sagt nur dem alten Lederbein nichts davon, und ich will Euch so gar sehr lieben.«

»Wer ist das alte Lederbein – Euer Vater?«

»Du mein Himmel, nein, um den brauchen wir uns nicht zu kümmern. Ich meine Euren Kameraden, den Mr. Pridhomme.«

Ich trete ins Leben, dachte ich, als ich die Treppe hinunterging, aber mit nicht sehr gemessenen Schritten.

»Was haltet Ihr von Jemima?« fragte Mr. Pridhomme, als wir Arm in Arm nach dem Walle gingen.

»Sie ist hübsch.«

»Nur hübsch? – Ei, sie ist ein Engel! Wenn es je einen Engel auf Erden gegeben hat, so kann man dies von Jemima Tapes sagen. Doch was ist bloße Schönheit? In Vergleichung mit Offenheit und Unschuld nichts – und sie ist ganz Unschuld und Offenheit.«

»Freut mich, daß Ihr dies glaubt.«

»Daß ich es glaube? – Seht sie nur an! Sie ist die Unschuld selber und würde sich nicht einmal von ihrem Vater küssen lassen.«

»Warum?«

»Sie sagt, es sei so unzart.«

»Wie kann sie wissen, was zart oder unzart ist?«

»Zum Teufel, junger Herr, Ihr könnt einen Heiligen zum Fluchen bringen. Sie versichert mich, es laufe ihr ein kalter Schauer über den ganzen Körper, wenn sie genöthigt sei, einem erwachsenen Manne die Hand zu geben. Ich glaube nicht, daß sie irgend Jemanden geküßt hat, als ihre Mutter, und die ist schon vor Jahren gestorben.«

»Vielleicht kann sie's nicht.«

»Da mögt Ihr Recht haben. Wenn ich reich wäre, so würde ich sie morgen heirathen; aber ich fürchte nur, daß sie zu bescheiden ist.«

»Eure Furcht ist sehr löblich. Stehen die Damen von Chatham überhaupt im Rufe der Bescheidenheit?«

»Nein – und das ist's eben, was Jemima so einzig macht.«

Ich mache gerne Unglückliche glücklich und mag denen, welche sich in ihrem Glücke selbst täuschen, ihren süßen Wahn nicht rauben. Deshalb ermuthigte ich Mr. Pridhomme, all sein Entzücken in ein vermeintlich Beifall zollendes Ohr zu gießen, und Jemima was das Thema unseres Gesprächs, bis er mich an der Thüre des Gasthofs verließ, in welchem ich mit Kapitän Reud speisen sollte. Was auch der Leser von Jemima halten mag, so war ich doch zu jener Periode völlig unschuldig, obgleich nicht ganz unwissend. Miß Jemima's Küssekunst würde ich für die bloße Wirkung heiterer Laune und possenhafter Neckerei gehalten haben, wenn sie nicht gegen meinen Tischgenossen die Heuchlerin gespielt hätte. Ich hatte an der Schule den Gil Blas übersetzt und hielt sie deshalb für eine kecke Kokette, wenn nicht gar für une franche aventurière. Dennoch bemitleidete ich Mr. Pridhomme, und dies war der Grund, warum mir mein Diner nicht recht schmecken wollte.

An diesem Tage gefiel mir mein kleiner, safranfarbiger Kapitän viel besser. Er zeigte sich als einen sehr angenehmen Wirth, examinirte mich über meine Kenntnisse, so weit er es wagen durfte, ohne seine eigene Unwissenheit bloß zu stellen, und schien eine plötzliche Achtung gegen mich zu gewinnen, als er fand, daß ich über alle seine Erwartung gut beschlagen war. Der Ton seiner Unterhaltung war anständiger, als am vorigen Abende; er ertheilte mir unterschiedliche nautische Rathschläge, empfahl mich in's Besondere dem Schutze des ersten und zweiten Lieutenants, welche gleichfalls seine Gäste waren, billigte meinen Plan, in dem Hause des Schneiders zu wohnen, und entließ mich sehr früh, ohne Zweifel froh, sich einen lästigen Zwang vom Halse geschafft zu haben, denn als ich das Gemach verließ, hörte ich ihn eben noch die Worte sagen:

»Das gibt mit der Zeit so einen verdammten Seegelehrten.«

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