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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Gibt Zeugniß von Master Ralphs gutem Geschmack. – Eifersucht führt zur Rache und Rache zur Vergeltung, die er auf's Gesicht des Umerlehrers zu schreiben genöthigt ist. Welche Strafe daraus folgt.

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So oft Mrs. Causand nach Stickenham kam, machte sie eigentlich Furore. Mit dem geordneten Gang des Schullebens hatte es ein Ende, und Riprapton richtete sich fast in reiner Leinwand, Parfümerieen und Windsorseife zu Grunde. Karten und Musik belebten jeden Abend, und Mrs. Causand, die sehr hoch spielte, war unaufhörlich im Gewinn. Ihr Uebergewicht über Mrs. Cherfeuil war vollständig, denn obgleich sie dieselbe augenscheinlich mit viel Liebe behandelte, geschah es doch mit der Miene einer Gönnerin. Ich glaube nicht, daß ihr die schöne Schulmeisterin Geld abgeborgt hatte, da sie dessen wohl kaum benöthigt war; dennoch bin ich aber überzeugt, daß ihre ganze Habe zur Verfügung der Fremden stand. Der Grund dieser Ehrfurcht lag nahe – Mrs. Causand kannte ihr Geheimniß.

Mein guter, alter Freund entdeckte dies mit seinem gewöhnlichen Scharfsinn augenblicklich, und begann, der Fremden gleichfalls den Hof zu machen, nicht um ihres Herzens, sondern um ihres Geheimnisses willen. Doch sie selbst war ein vollkommenes Geheimniß – ich erfuhr bis zu ihrem Tode nie, wer sie war. Wo sie sonst gewohnt, kam nie zur Sprache, und ich glaube nicht, daß Jemand darum wußte, als die Dame des Hauses und ich selbst, denn Mrs. Causand theilte mir's am Abende vor meinem Abgang auf die See mit. Sie kam, ohne gemeldet zu sein, blieb, so lange es ihr gutdünkte, und schied mit eben so geringer Rücksicht aus Förmlichkeiten.

Sie liebte mich eigentlich närrisch, und konnte mich stundenlang auf ihren Knieen halten, dabei jeden Zug meines Gesichtes erforschend, als ob sie mich, wie Ophelia von Hamlet sagt, zeichnen wollte. Dann lächelte sie, machte wieder ein ernstes Gesicht, seufzte und lachte. Und ich kleiner Thor schrieb alle diese Symptome von Verstörtheit auf Rechnung meiner eigenen, gelbschnäbeligen Anziehungskräfte, da sie oft auszurufen pflegte: »so ganz ihm ähnlich – so ganz ihm ähnlich.« Ich weiß nicht, ob ich der Sache erwähnen sollte, denn es ist eine splitterrichterliche Welt; da ich aber nicht in die Gefühle einer schönen Dame von fünfunddreißig eingehen kann, einen fünfzehnjährigen Jungen liebkost, so habe ich ein Recht für die Annahme, daß alle derartige Zärtlichkeitsdemonstrationen höchst tugendhaft und rein mütterlich sind. Ich nahm alle ihre kleinen Liebkosungen mit bescheidenem Vergnügen entgegen, denn da ich sah, in welch' hoher Achtung sie allgemein gehalten wurde, so betrachtete ich diese Belege von Zuneigung als eine große Ehre, suchte sie mit Eifer, und war ihrer dankbar eingedenk. Angenehme Manieren sind vielleicht noch verführerischer, als bloße Schönheit, aber wo Beides zusammentrifft, ist der Zauber unwiderstehlich. Diese Vereinigung war im vollkommensten Grade bei Mrs. Causand zu finden. Sie kleidete sich auf's Modischste, besaß viele kostbare Pretiosen, und da sie stets mit Extrapost zu uns kam, so schloß ich daraus, daß sie in sehr gemächlichen Verhältnissen lebte.

Ueber den Umfang ihrer geistigen Vorzüge kann ich nicht sprechen, da ihre Oberfläche so blank und blendend war, daß das Auge nicht tiefer in sie eindringen konnte, oder es überhaupt nur wünschte. Ich glaube, sie besaß keine andere Vollkommenheit, als jenen prächtigen Mantel für alle Mängel – ihre unnachahmlichen Manieren. Ihre Bemerkungen waren stets voll Sinn, ihre Sprache gewählt, der Styl ihrer Unterhaltung wechselnd, und bisweilen von jener Heiterkeit, welche auf die Zuhörer die Wirkung des Witzes übt; hin und wieder konnte sie auch wirklich energisch sein. Freilich ist dies nur eine sehr unvollkommene Schilderung der Person, welche das Geschäft auf sich nahm, meine Manieren zu glätten, die Bemühungen meines Tanzmeisters in Betreff meines Ganges zu korrigiren, und mir die Außenseite eines Gentlemans zu geben.

Mrs. Causand zerstörte Ripraptons Gleichmuth ganz und gar. Während ihrer drei oder vier ersten Versuche war er voll Hoffnung und Leben. Sie gestattete ihm, wie jedem Andern, so weit bloße Worte zur Sprache kommen, sich so tief in sie zu verlieben, als er nur wollte, aber weiter konnte ihn sogar seine kecke Zuversicht nicht führen. Seine Hoffnungsfülle machte daher allmählig der Ungewißheit und dem Verdrusse Platz, bis er endlich vermöge eines sehr natürlichen Uebergangs in Neid und Eifersucht gerieth. Obgleich ich nur fünfzehn zählte, war ich doch zuverlässig größer als der Mann, welcher mir die Ehre zu Theil werden ließ, mich für seinen Nebenbuhler zu betrachten. Obschon seinerseits die Angelegenheiten in dem gleich ungenügenden Zustand verblieben, hatte er doch aus gewissen, sehr gewichtigen Gründen nicht für gut gesunden, seine Galle gegen mich auszulassen; aber diese Verzögerung wirklicher Feindseligkeiten erreichte in folgender Weise ihr Ende.

Mrs. Causand und ich standen an einem schönen Abende Seite an Seite in dem Sommerhause, das im Grunde des Gartens gegen den Fluß vorsprang. Mr. Riprapton stand gewaschen, gekämmt und parfümirt (denn die Schulobliegenheiten des Tages waren vorüber) unmittelbar vor uns, und spielte sehr eifrig den Angenehmen, obgleich er in Mitte seiner komplimentirenden Grimassen sich eines sardonischen Grinsens und des bittergelben Neides nicht erwehren konnte. Mrs. Causand und ich betrachteten die ruhige, schöne Landschaft, und versuchten, von der Person vor uns so wenig als möglich zu sehen. Einer ihrer schönen Arme hing nachlässig über meine Schulter; sie zog mich bald mit einem innigen Drucke an ihre Seite, bald spielte ihre zarte Hand mit den Locken meiner Stirne oder drückte sie ihre sammtweichen Finger auf meine glühenden Wangen, die zuverlässig mehr von Lust als von Verschämtheit brannten. Ich kann nicht sagen, daß der Unterlehrer alles dies sehr stoisch ertrug, obschon er seinen Verdruß nur durch Mienen zu erkennen gab, denn seine Sprache war so geschmeidig, als je. Die Heimsuchung war jedoch für ihn noch nicht vorüber. Aus eine sehr thörichte Bemerkung von meiner Seite, druckte die heitere Wittwe ein halb Dutzend Küsse auf die Wange, die so nah neben der ihrigen glühte. Dies machte Riprapton kühn, denn in der irrthümlichen Meinung, er habe blos eine üppige Buhlerin vor sich, setzte er sich neben sie und suchte sich ihrer Hand zu bemächtigen.

Gesicht, Nacken und Arme erglühten in einem entrüsteten Scharlach – der Erguß des ungekünstelten Zornes, den ich je erblickt habe. Sie wich schaudernd zurück, als sei sie plötzlich mit etwas Kaltem, Todtem oder Unnatürlichem in Berührung gekommen.

»Mr. Riprapton,« rief sie nach einer Pause der Erregung, »ich habe noch nie einem Gentleman Ohrfeigen gegeben; wärt Ihr aber einer, so würde ich meine weibliche Würde gewiß so weit vergessen haben, um Euch meine tiefe Entrüstung durch einen Schlag bemerklich zu machen; aber ich kann nichts so Gemeines berühren. So lange Ihr Eure Verfolgung auf Worte beschränktet, habe ich sie mir gefallen lassen; wenn ich jedoch meine Gefühle zum Maßstab nehmen kann, so muß ein Frauenzimmer, das Eure Berührung ohne Widerstreben duldet, längst alle Weiblichkeit verloren haben. Nun wir übrigens eben von der Sache sprechen, will ich Euch einen kleinen freundschaftlichen Rath ertheilen. Wenn man Euch gestattet, mit Damen an derselben Tafel zu sitzen, und Ihr vermittelst Eurer Füße einen geheimen Verkehr herzustellen sucht, so Nehmt Euch in Zukunft in Acht, daß Ihr Euch zu diesem Zwecke nicht Eures hölzernen Beines bedient, denn Frauenzimmer könnten an ihren Zehen leicht empfindlicher sein, als in ihren Herzen. Ihr könnt jetzt gehen, Sir; laßt Euch übrigens meine Worte gesagt sein, wenn Ihr Euren Posten in diesem Hause beibehalten wollt. Falls Ihr Euch wie ein Gentleman benehmt, soll Euch dieser Titel zugestanden sein; sobald Ihr Euch jedoch ein Betragen erlaubt, das sich mit diesem Prädikate nicht verträgt, so wird Eure Umgebung nicht vergessen, daß Ihr das Brod des Hauses eßt und nur um einen einzigen Grad über dem Miethling steht. Da, Ralph,« fuhr sie fort, indem sie mir die beleidigte Hand reichte, »reinigt sie von der Entweihung dieses Menschen.«

Ich brachte sie sehr galant an meine Lippen und bedeckte sie mit Küssen.

Zum erstenmale sah ich meinen Freund nicht nur verdutzt, sondern eigentlich stumm vor Bestürzung. Sein weißes Gesicht wurde sogar in den Tiefen seiner Pockennarben purpurn, und eine Erregung sprach sich in seinen Zügen aus, die man nichts weniger als liebenswürdig nennen konnte. Er entfernte sich nicht mit seiner gewöhnlichen Anmuth, sondern zog ab wie ein ganz ordinärer stelzbeiniger Mensch. Was Mrs. Causand und ich nachher über den Vorgang sprachen, als erstere in dem Sommerhause Platz nahm, um sich von ihrer Aufregung zu erholen, würde zuverlässig hinreichend Stoff für zwölf dickleibige, moralische Abhandlungen geben; unglücklicher Weise habe ich aber Alles vergessen, mit Ausnahme des Umstandes, daß wir blieben, bis der Thau aus die Blüthen und die Schatten des Abends aus den Thau gefallen waren.

Da mein Aufenthalt in der Schule nur noch kurz sein sollte, wurde ich eher wie ein vertrauter Freund, denn als ein Zögling behandelt. Ich nahm meinen Thee und mein Nachtessen mit der Familie ein. Rip kam am Abende nach diesem Vorfalle nicht zum Vorschein, sondern zog sich nach seinem Gemache zurück und ließ sich krank melden. Während Mrs. Causand zu Besuche da war, frühstückte ich stets mit ihr tête à tête in dem kleinen Stübchen, dessen französische Fenster nach dem Garten hinausgingen, und bei solchen Gelegenheiten fand ich sie besonders unterhaltlich. Sie verstund sich auf Alles, was mit dem fashionablen Leben zusammenhing, und konnte von jeder adeligen Familie eine Menge sehr pikanter (wie ich zweifle auch richtiger) Anekdoten erzählen. Dies beschränkte sich jedoch nicht allein auf den Adel, denn sie mußte mehr von dem Ton und Treiben einiger Prinzen von Geblüt, als irgend eine andere lebende Person, und konnte davon Dinge erzählen, die nicht einmal in den Familienkreisen derselben bekannt waren. Wahrhaftig, sie wäre im Stande gewesen, mit ihren Materialien zwölf fashionable Novellenschreiber reich zu machen.

Ich habe mir hin und wieder Mühe gegeben, mich einiger von ihren morceaux zu erinnern; es ist mir jedoch nur so unvollkommen gelungen, daß ich mich nicht berechtigt fühle, sie zu veröffentlichen. An dem geeigneten Platze lasse ich mich vielleicht versuchen, das Geheimniß in Betreff der verstorbenen Majestät zu verletzen, um so mehr, da in dem eigentümlichen Falle, den ich im Sinne habe, der Charakter des Königs eine Feuerprobe von nicht gewöhnlichen Verlockungen bestand und sich durch die schwierigsten, gefährlichsten Umstände durchschlagen mußte, die ihm als Menschen und als Gentleman gleich hohe Ehre machen. Die Schmähsucht hat sich eines Mannes bemächtigt, der eher einen Panegyrikus verdiente; aber man liebt es so sehr, das Erhabene in den Staub zu ziehen, wenn man es nicht nachahmen kann.

Am Morgen nach Rips Niederlage frühstückte ich mit Mrs. Causand und begab mich dann nach dem Schulzimmer um meinen Studien obzuliegen. Bei dieser Gelegenheit traf ich zum erstenmal wieder mit meinem Lehrer zusammen. Mr. Cherfeuil war noch nicht an seinem Pulte erschienen. Als ich an dem Hülfslehrer vorbeiging, der mir so wenig in meinen Studien half, begrüßte ich ihn wie gewöhnlich mit einem Lächeln; aber statt es gutmüthig zu erwiedern, war sein Gesicht so dunkel, wie es böse Leidenschaften nur machen konnten. Ich schenkte übrigens dieser unfreundlichen Demonstration nur wenig Aufmerksamkeit, nahm meinen Sitz ein und begann mein langhergebrachtes Privilegium zu benützen, indem ich mit meinem Nachbar plauderte.

»Stille!« rief der Mann der Autorität.

Ich plauderte fort.

»Stille, sage ich.«

Nicht glaubend, daß ich in diesen gebieterischen Befehl eingeschlossen sei, oder mich wenigstens daran kehrend, fühlte ich keine Lust, die Anwendung meiner konservationellen Gaben einzustellen. Nachdem der Ruf zum Drittenmale wiederholt worden, verließ der extemporirte Schüler des Hippokrates, das Rohr in der Hand, seinen Sitz, kam, ohne daß ich mir eine solche Verwegenheit von seiner Seite träumen ließ, hinter mir her und versetzte mir einen der kräftigsten con amore-Hiebe, die nur je eine Strieme zurückgelassen haben, auf die Schulter, indem er dabei ausrief:

»Stille, Master Rattlin!«

Das war eine grausame Herabwürdigung eines Menschen, der sich schon als Offizier auf dem Halbdeck einer von Seiner Majestät Fregatten sah. Ich nahm mir jedoch keine Zeit, über die Kränkung lange nachzudenken, sondern ergriff eine große Schiefertafel, wandte mich rasch um und schleuderte sie ihm zischend in die Zähne. Wollte Gott, der Wurf hätte ihm einige derselben ausgeschlagen – ich wünschte es damals glühend, und so boshaft dieser Wunsch auch sein mag, habe ich ihn doch nie bereut. Er war eine Zeit lang damit beschäftigt, die Hand an seinen Mund zu halten und rasch eine peinliche Untersuchung über die Ausdehnung des Schadens anzustellen. Als er einen freien Augenblick für mich fand, war er ebenso wenig zufrieden mit dem Ausdrucke meines Gesichtes, als mit der Veränderung in dem seinigen, weshalb er, während ihm das Blut zwischen den Fingern hervorströmte, zu Mr. Cherfeuil hinunterstelzte, um sich über mich zu beklagen. Ich hatte jedoch zwei zuverlässige Advokaten unten, so daß er durch seinen Antrag nichts weiter als ein gefülltes Waschbecken gewann. Nachdem er ein paar Stunden weggeblieben war, kam er mit geschwollenem Gesicht wieder heraus; seine Zähne hatten jedoch keinen Schaden genommen.

An jenem Morgen hielt Mr. Cherfeuil in ganz ausgezeichnet schlechtem Englisch eine höchst nachdrückliche Rede, deren Inhalt darauf hinauslief: hätte ich nicht mir selbst Recht verschafft, so würde er zuverlässig Mr. Riprapton entlassen haben, da er seine Gewalt überschritten; weil übrigens auch mein Benehmen durchaus nicht rechtfertigbar sei, so solle ich zur Strafe das ganze erste Buch der Aenëide abschreiben. Vor dem Diner hatten meine Schulkameraden die Hälfte der Aufgabe abgebeten und beim Diner wurde mir auf Mrs. Cherfeuils Vorwort auch noch die Hälfte des Restes geschenkt. Nachdem die Sache so weit gekommen war, legte sich Mrs. Causand in's Mittel und beantragte eine Umänderung der Strafe, um so mehr, da sie glaubte, bei einem so schlimmen Vergehen müsse man ein Exempel statuiren. Da sie dies mit sehr ernster Miene vorbrachte, schmiegte sich der gutmüthige Franzose in ihre Wünsche und überließ es ihr, die Strafe zu bestimmen, welche nun dahin lautete: »Ich sollte gehalten sein, ein Extraglas Portwein zu trinken, weil ich dem Elenden nicht wenigstens einen seiner Zähne ausgeschlagen habe.« Sie erstattete dann über Rips Benehmen einen genügenden Bericht, um Mr. Cherfeuil zu der gleichen Ansicht zu bringen.

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