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Ein Glaube – sonnenklar und lichtumwoben!
Ein jubelndes Bekenntnis für und für!
Der Gottesstab! die Leuchte unsrer Füße!
Die Kraft des Wandels und des Lebens Zier!
Der Felsengrund in Sturm und Ungewitter,
In Not und Ungemach der Freudenquell,
Das Band der Einigkeit, des sel'gen Friedens,
Der Seele Heil und Ziel: Immanuel!
Vom Franziskanerkloster zu Neubrandenburg schlug es Mitternacht, schweigend lag die schlafende Stadt, von ihren ehrwürdigen Türmen beschirmt, die einem uralten Wächter gleich das weiße Haupt erhoben, hellen Auges auf einsamer Wacht standen und in die Nacht hinausblickten, ob auf der Heerstraße Gefahr und Verrat nahten.
Unten in den Gassen war alles still. Die Lichter waren erloschen, nur hier und da glimmte eines hinterm Vorhang, wo die Kindlein mit gefalteten Händen schlummerten, oder ein Mägdlein die späte Stunde zu Hilfe nahm, um am Brautschatz zu nähen. Auch das Licht auf der Gasse brannte schon längst nicht mehr – wer nach zehn Uhr vom Glase Wein heimkehrte, mochte sich den Weg allein suchen, lautete die Bestimmung der ehrwürdigen Väter der Stadt.
Im Franziskanerkloster war noch Licht; durch die epheuumrankten Fenster der Kirche schimmerte der rote Schein der ewigen Lampe, und oben waren die Fenster des Priors hell.
Am Feuer saß wie sonst der Greis, der so lange als ein Mietling den Hirtenstab geführt – er war ein anderer geworden: ein Mann, der von der Sünde zerbrochen, mit ihr gebrochen hat. Neben ihm am Kamin stand die Jungfrau, die als Botin des Friedeus die Schwelle des Konvents überschritten. Den weißen Arm auf das Gesimse gelehnt, blickte sie, das Haupt in die Hand gestützt, in die Glut. Von vielem hatten sie mit einander geredet, viel Not und Sünde hatte der Greis vor ihr ausgeschüttet, manch' harten Kampf mit Zweifel und Anfechtung hatte sie in den Tagen ihres Hierseins mit ansehen müssen, manche bange Stunde des Ringens um Vergebung und Heilsgewißheit hatte sie mit durchkämpfen, immer wieder dem nach Gnade Schreienden zurufen müssen: Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde! – Ein gebrochener Mann war der einst so stolze Diener Roms. »Ich habe übel gethan, daß ich unschuldig Blut verraten habe!« war's wohl tausendmal mit der Macht eines zweischneidigen Schwertes durch seine Seele gegangen; aber Gottes Gnade bewahrte den Unglücklichen vor dem grauenhaften Ende jenes größten Verräters – in Buße und Glauben hielt er das Kreuz umklammert, den Blick auf den gerichtet, der in der letzten Stunde dem Schächer das königliche Wort der Vergebung und des Lebens zugerufen. Wie ein Engel vom Himmel war ihm Ilsabe erschienen mit ihrem Herzen voll vergebender Liebe und dem festen, fröhlichen Kinderglauben, der da hält, was er hat. Sehr nahe waren sie einander gekommen in den wenigen Tagen, so nahe, wie ein Christ dem andern kommen kann, der ihm das größte, was es giebt auf Erden – vergebende Liebe, angesichts der schwersten Sünde entgegenbringt.
Hätte er seine Sünde gut machen können – alles hätt' er daran gesetzt, gerade ihr gegenüber, aber er wußte nur zu gut, daß das einem sündigen Menschen versagt ist. Doch wo er konnte, erwies er der Jungfrau Liebes und fragte sie um Rat und zog sie in sein tiefstes Vertrauen. Auf ihren Arm gestützt, wanderte er in die finstern Kerker des Klosters hinab, wo Männer, Frauen und Jungfrauen in Ketten schmachteten oder die Tortur erlitten, und löste die Fesseln, die bleichen Träger derselben um Vergebung bittend. Die Gefängnisse wurden leer, mit gefalteten Händen und nassen Augen erblickten die Märtyrer der neuen Lehre das Licht der Sonne und der evangelischen Freiheit. Oben über dem finsteren Verließ stand der Prior am Fenster. Thräne auf Thräne rann ihm herab, als er sie vorüberziehen sah – fast kam's wie ein Gefühl des Neides über ihn beim Anblick derer, die Verfolgung erlitten um des Herrn willen, und seine Lippen flüsterten: »Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben! – Gott sei mir Sünder gnädig!«
Spät war's geworden, und noch immer redeten die beiden mit einander. Auch von ihrem Leben hatte Ilsabe berichten müssen, – mit viel Liebe hatte sie der Bewohner der Burg Penzlin gedacht und dann mit blassem Munde von ihrem um des Bekenntnisses willen aufgelösten Verlöbnis erzählt. Fast ehrerbietig blickten die Augen des Greises auf das Mägdlein, das sein Alles hingegeben hatte und nun doch noch still und froh seine steile Straße zog. Das war leuchtender Glaube! Unter ihr kämpften die schweren Wolken mit den Stürmen, aber über ihr leuchtete die Sonne, die nicht untergeht.
Mitternacht war vorüber; da hörte man dreimal den gewaltigen Schläger am Thor. Verwundert blickten die beiden hinab, aber es war dunkel, wolkenverhangen lag der Himmel über der schlafenden Stadt, und im Klosterhof rührte sich nichts. Da fiel noch einmal ein dröhnender Schlag – eine starke Faust mochte ihn geführt haben. Unten im Kloster ward's hell, und der Pförtner fragte verschlafen nach dem Begehr so später Gäste. Die Antwort hörte man nicht – ein Hin und Her folgte, das in lautem Wortwechsel und heftigem Begehr um Einlaß endete. Dann fiel ein heller Schein in den inneren Hof – der Pförtner hatte das Klosterthor geöffnet. Lebendig ward's unten; Waffen blinkten im Fackelschein, Morgensterne und Schilde bewegten sich in wirrem Gedränge. Dann hörte man schwere Schritte auf der Steintreppe, als käm' ein Mann im Stahlgewand die Stufen herauf. Eine Waffe schlug klirrend den Estrich. Gleich darauf trat ein Klosterbruder bleichen Angesichts in das Gemach des Priors und meldete die Ankunft eines Ritters, der Seine Hochwürden sofort zu sehen verlange.
Der Prior stand am Fenster und blickte hinab; als ihm die Meldung gemacht wurde, wandte er sich erschrocken um – wer umzingelte zur Nachtzeit sein stilles Kloster? Das Gemach hatte nur einen Ausgang – fragend blickte er auf Ilsabe.
»Ich bleibe bei Euch,« sagte sie ruhig und geleitete den alten Mann zu seinem Sitz am Kamin.
Der Mönch aber öffnete dem Fremden die Thür. Über die Schwelle trat ein Ritter im Stahlgewand – eine hohe, stolze Erscheinung – Ilsabe erbebte bei seinem Anblick; gewaltsam einen Schrei unterdrückend, faßte sie mit beiden Händen die Lehne des Stuhls, hinter dem sie stand. Mit raschem Schritt war er eingetreten, aber wie gebannt blieb er stehen. Was war hier vor sich gegangen?
Unten lag sein gewappnetes Volk, eine Schar Männer bis an die Zähne in Eisen harrte im Klosterhof seines Befehls, um die Mauern von St. Franziskus niederzureißen und die Thore seiner Gefängnisse zu sprengen. Mit verhängtem [Zaum] war er von der Burg seiner Ahnen gekommen, Todesangst in der Seele, das Liebste auf der Folter oder nicht mehr am Leben zu finden – denn widerrufen würde Ilsabe nie, und Ignatius Kruses Ausdauer in Dingen der heiligen Inquisition kannte er nur zu genau. Nichts von alledem fand er. Am Kamin saß ein Greis mit mildem Antlitz; an seinen Stuhl gelehnt aber stand sie, die er im Geist unten in feuchtem Kerker auf dem Rost liegen sah, zutraulich und ruhig wie ein Kind an der Seite des Vaters. Vor ihn hintreten hatte er wollen und sie von ihm fordern, lebend oder tot, mit Blut und Eisen wollte er sie erringen, und wenn er nur ihre Leiche gefunden hätte – keinen Schritt breit wär' er gewichen, um sein Kleinod zu erlangen. Wie anders war's gekommen! Mit erschütternder Kraft, mit einer Herrlichkeit, die vom Himmel kommt, ward ihm das Geheimnis des Glaubens bestätigt und besiegelt. Ein hell leuchtendes Licht ging in seiner Seele auf: Es gab noch Wunder auf Erden! Hier waltete nicht nur der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden, der Richter der Lebendigen und der Toten – hier führte die Liebe das Zepter, die den eingeborenen Sohn gab zur Erlösung der Welt, die Liebe, die am Kreuz gerufen: Vater, vergieb ihnen, sie wissen nicht, was sie thun! die in der Osterfrühe siegreich erstanden, ein Erstling derer, die da schlafen, den versunkensten Sünder aufweckt und ihm nachgeht, so lange es heute heißt. Ja – hier waltete der Geist dessen, der gen Himmel gefahren, mit seinem heiligen Zeugnis von dem, der da ist und der da war und der da kommt.
Welch' ein Anblick – ein Ignatius Kruse zu den Füßen des Kreuzes, einer der Stolzesten der Kirche Roms ein armer Sünder, der das Wort des Lebens aus dem Munde einer Jungfrau empfing. Mit mächtiger Gewalt trat ihm dies alles entgegen, eine Flut von Licht schien ihn zu überstrahlen und überwältigte sein suchendes, heilshungriges Herz. Mit erschütternder Kraft hatte das Wort eines Slüter ihn getroffen und ihn überführt, daß er auf verkehrtem Wege war, es hatte ihm in der Sylvesternacht die erbarmende Liebe dessen gezeigt, der den Versunkensten sucht und spricht: »Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.« Bis aufs Blut hatte er gestritten mit den finsteren Mächten, die sich zwischen ihn und das Kreuz drängten, aber noch kämpften die Zweifel mit dem Glauben, wie die Nebel mit dem Morgenrot – er konnte das Bild des dorngekrönten Heilands nicht voll erkennen und sich den Segen seiner blutigen Liebesarbeit nicht aneignen.
Die Heilsthatsachen blickten ihn noch immer nur als die wunderbare Lehre an, die ihm nicht in Fleisch und Blut übergehen wollte, sie brachten ihm noch kein Leben, keine Freude. Das Wort: »Für euch« mochte für alle anderen geschrieben sein – in seiner eignen Seele wollt' es nicht Wurzel fassen – die Zentnerlast ungesühnter Sünde lag erdrückend und überwältigend auf ihm und schien das erwachende Glaubensfünklein ersticken zu wollen. Hätte er gemordet oder gestohlen, es wär' ihm leichter geworden, Gottes Gnade zu erfassen – das Schuldbewußtsein der Verachtung des Heiligsten aber ließ ihn keine Ruhe finden. Wie ein Todesurteil war ihm das Wort des Ebräerbriefs auf die Seele gefallen: »Wenn jemand das Gesetz Moses bricht, der muß sterben ohne Barmherzigkeit durch zween oder drei Zeugen. Wie viel ärgere Strafe wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Testaments unrein achtet und den Geist der Gnaden schmähet?« (Ebr. 10, 28 und 29.) Er vergaß in seiner Not, daß dies Wort nicht dem bußfertigen, sondern dem verstockten Sünder gilt, und es brachte ihn in harte Bedrängnis. Als ein Suchender, voll Zweifel und banger Fragen, hatte er die Schwelle des Konvents überschritten, – als einer, der alles gefunden, sollte er sie verlassen. Der Aufgang aus der Höhe hatte ihm geleuchtet, die Liebe vom Himmel, die stärker ist, als Sünde und Tod, war ihm mit überwältigender Herrlichkeit entgegengetreten, sie hatte dem Kämpfenden heilige Waffen gereicht und ihm die Siegesbeute der Gotteskinder beschert: das Kleinod seines Heils, den Glauben an den dreieinigen Gott.
Als eine Gnadengabe vom Himmel empfing er diesen Schatz, und zu alledem legte ihm Gott der Herr noch ein unverdientes Geschenk für den Erdenweg in den Schoß. War's nicht zu viel für ein armes, sündiges Menschenherz? Alles vergessend, eilte er an dem Prior vorüber und beugte das Knie vor der Geliebten.
»Ilsabe,« klang's jauchzend von seinen Lippen, »ich glaube an den dreieinigen Gott!«
Da stürzten die Thränen aus den schwarzen Augen des Mägdleins, zitternd reichte sie ihm die Hände wie damals, als er zuerst um ihre Liebe geworben. Er aber hatte sich erhoben, zog sie an die Brust und preßte sehnsüchtig die Lippen auf ihren zarten Mund.
Sie hielt ihm still, als könnt's nicht anders sein, und die dunklen Augen versenkten sich in die blauen, als hätte sich nie eine große, tiefe Kluft zwischen sie gedrängt. All' ihr Leid, das harte, vergaß sie unter seinem Brautkuß, als sei es nie gewesen, lag sie an seinem Herzen – nur eins war seliger als früher: daß sie beide einen Herrn und Heiland liebten!
Endlich machte sich Ilsabe aus den Armen des Geliebten frei und neigte sich zu dem alten Mann, der still lächelnd ins Feuer blickte und ihr nun beide Hände entgegenstreckte.
Georg aber wandte sich zu ihm und bat: »Vergebt mir, Hochwürden, daß ich Euch bei Nacht überfallen und Euch in Angst und Schrecken versetzt habe. Aber die Sorge um Ilsabe überwand alles andere.« Und nun erzählte er von der Beichte des Mönchs, und wie er nach Penzlin gejagt sei, um mit den Gewappneten seines Vaters die Geliebte zu befreien.
»Ja, ein Wunder Gottes ist's,« sagte demütig der Greis, »daß Ihr sie lebend wiederfindet. Wie Wasserbäche lenkt er der Menschen Herzen. Wenn man's mir vor einem Jahr gesagt hätte, daß eine Jungfrau mir das Wort vom Kreuz verkünden sollte – gespottet hätt' ich, – und hätte man mir gesagt, ich würd's annehmen, ein Märlein wär's mir gewesen. Aber ich glaube auch kaum, daß irgend etwas mir so gezeigt hätte, wer ich war, wie die vergebende Liebe, die Eure Braut mir entgegenbrachte. Unendlich viel Dank schulde ich ihr, sie hat in meine dunkle Seele das Wort der Gnade und des Lebens getragen.« Die hellen Thränen rannen über das alte Gesicht – dankbar hob er den Blick zu der neben ihm stehenden Ilsabe.
Ernst sah sie zu ihm nieder. »Ihr habt mir nichts zu danken, Hochwürden,« sagte sie. »Der Herr hat Euch sein Heil kund gethan und wenn er ein armes, sündiges Menschenkind zu seinem Werke braucht, so ist es seine Gnade und Barmherzigkeit! Glaubt nicht, daß ich immer vergebend Eurer gedachte – der Haß wider den Mann, der meine Mutter der Inquisition überlieferte, hat meine Jugend vergiftet und hat in dem Kinde eine Leidenschaft entflammt, die der Jungfrau heiße Kämpfe verursacht hat. Erst als ich aus dem Munde Laurentius Tilenius' das reine Evangelium empfing, als ich sah, daß ich das Himmelreich nicht erben kann ohne ihn, der mich frei gemacht, erst als mir der Haß wider den Feind die Todsünde wurde, die allein durch Christi Blut gesühnt werden kann, da erst ward mir die volle Bedeutung der Bitte klar: ›Vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.‹ Weil der Herr mir viel vergeben hat, kann ich Euch Liebe und Vergebung entgegenbringen aus vollem Herzen!« schloß sie mit strahlenden Augen. »Und wenn sie heute unter uns träte, die uns vorangegangen ist, sie würde dem Beispiel ihres Heilandes folgen und Euch nichts als Liebe bringen!«
Wunderbar schön war sie, wie sie bebend vor tiefer, seelischer Erregung am Kamin stand, von den Flammen beleuchtet. Der junge Ritter gegenüber konnte den Blick nicht von ihr wenden. Welch' einen Schatz er empfing – erst jetzt, angesichts dieses Bekenntnisses war's ihm völlig klar geworden!
Der Tag brach an – noch immer saßen die drei oben im Gemache des Priors von St. Franziskus. Unten im Hofe war alles still; längst hatte der Junker seine treuen Mannen in die Herberge gesandt, um zur Ruhe zu gehen. Staunend hatten sie emporgeblickt, als er, das Fenster öffnend, den Befehl zum Wegzug gegeben und zum Schluß fröhlich hinzugefügt: »Morgen führe ich die Braut heim! Gute Nacht, ihr Getreuen!«
Und als dann die jungfräuliche Gestalt im weißen Gewande an der Seite des Ritters erschien und die alten, bekannten Gesichter grüßte, da klang brausender Jubelruf durch den stillen Konvent, so daß Georg schließlich Ruhe gebieten mußte, um die schlafenden Mönche nicht zu wecken und das Gewissen des Nachtwächters nicht zu beunruhigen.
Golden schimmerte die Morgensonne auf den Türmen und Dächern von Neubrandenburg, als Georg und Ilsabe aus dem Klosterthor ritten.
Ein stattlicher Zug war's – voran die ritterliche Erscheinung im Stahlgewand mit dem wallenden, lichtblauen Federschmuck auf dem Silberhelm – neben ihm das Mägdlein mit den leuchtenden Augen, die in strahlender Fröhlichkeit zu ihm hinüberblickten. Leicht und sicher lenkte sie neben dem stolzen Traber des Geliebten ihr schwarzes Rößlein, welches erhobenen Hauptes seine schöne Last trug. Langsam ritten sie an der Mauer entlang, die das Kloster umgab, noch einmal blickten sie nach dem alten, düsteren Hause hinüber, und Ilsabe sandte dem Mann in der Kutte, drüben am Fenster, ihr letztes Lebewohl.
Lange blickte er dem kleinen Zuge nach, der letzte der Mannen mit dem Weinstock im Schilde war vorübergezogen – er aber stand noch in Gedanken versunken und schaute in den klaren Wintertag hinaus, wo Ilsabes weißer Schleier im Morgendufte gewinkt. Eine Thräne im Auge verließ er endlich das Fenster und ging in seine Einsamkeit zurück. »Die Liebe höret nimmer auf,« sagte er leise vor sich hin, auf das Kruzifix an der Wand blickend – »auch für mich nicht! Soli deo gloria!«
Wenige Wochen darauf stand Magister Tilenius in der Burgkapelle zu Penzlin und segnete den Bund zwei treuer Herzen. Unter demselben Wort, das einst der Märtyrerin beim Scheiden geleuchtet: »Fürchte dich nicht – du bist mein!« waren sie hinausgezogen ins volle, blühende Leben. Der Brautzug hatte das Gotteshaus verlassen, der Orgelton war verklungen, Laurentius Tilenius war noch in der Kapelle geblieben; nun trat er ins Freie! Tief verschneit lag die alte Burg, düster blickten die öden Fenster des Hexenkellers in den Winterabend hinaus. Aber auf den spitzen Giebeldächern lag das Licht der untergehenden Sonne. Schweigend streckte die alte Linde die weißen Zweige in die kalte, klare Luft und redete die stille Sprache einer gewaltigen Vergangenheit. Ein Windhauch ging durch ihr zart Geäst; einige Flocken fielen auf den Mann im geistlichen Kleide herab, der einst in ihrem Schatten den Kampf um evangelische Freiheit gekämpft. Heut', wo er los und ledig hier stand, gedachte er der vergangenen Zeit, wo Frau Ilsabe ihren Schatz in der Linde verborgen, und die stillen Wipfel das Buch des böhmischen Glaubensboten beschirmt.
Seitdem war Gottes Reich mit Macht gewachsen, wohl war's durch Blut und Thränen, durch Kampf und Ringen gegangen, aber eine reiche, heilige Saat sproßte aus dem Blut der Zeugen Jesu Christi hervor – golden färbte sich das Feld zur Ernte.
Fröhlich blickte er hinauf – aus der Tiefe seines Herzens aber klang's in die stillen Lande hinaus: »Herr, dein Reich komme!«