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In mecklenburgischen Landen,
In des Sees Fluten, den hell'n,
Da spiegelt ein ehrwürdig Bildnis
Sich still in den schimmernden Well'n.
Des Doms gewaltige Gothik
Blickt ernst in das Wellenblau
– Es schläft unter seinen Steinen
Der Lande Herrin und Frau.
Es wehen die Sommerwinde
Ums altersgraue Gestein;
Die Ahne erzählt den Enkeln
Vom Pfalzgrafentöchterlein.
Wieder war's Sommer, leuchtender Sommer. Die Felder standen in goldenen Ähren, Wald und Flur prangten in der strahlenden Schönheit des ersten Augusttages. Satte, reiche Farbenpracht schmückte die Wiesen und Felder, die sich malerisch vom dunkeln Grün der Laubwälder abhoben. Wie ein Kleinod in grünen Sammet gefaßt, lag die alte Herzogstadt in ihrer lieblichen Umgebung da, auf allen Türmen Sonnenglanz, auf allen Zinnen Licht. Blauen Edelsteinen gleich umgaben schilfumrauschte Seen das alte Schwerin, dessen mächtige Kathedrale ihr ehrwürdig Bildnis in den Wellen abspiegelte. Eben warf die untergehende Sonne die letzten Strahlen auf die Stadt und vergoldete, Abschied nehmend, noch einmal Erker und Zinnen. Ein anmutig buntes Bild gaben die Straßen, welche in festlichem Schmuck prangten, denn ein fürstlich Kind hatte heute zum erstenmal die Heimat seines Gemahls begrüßt.
Herzog Albrecht der Schöne hatte zu Anfang des Jahres 1524 die Tochter des Kurfürsten Joachim I, Anna von Brandenburg, als sein Gemahl auf das Schloß zu Güstrow geführt, und nun hatte sie feierlich auf Niklots Burg ihren Einzug gehalten.
Auf dem Neubrandenburger Hausvertrage (7. Mai 1520) war zwischen den Brüdern ein »Mittelding zwischen Teilung und Gemeinschaft« zu stande gebracht. Herzog Albrecht hatte zwar auf territoriale Teilung gedrungen, aber das wollte der ältere Bruder nicht, und so entstand durch Vermittelung ihres Oheims Bogislav von Pommern die schon oben erwähnte Teilung, indem alle Schlösser, Städte, Dörfer und Flecken von Herzog Heinrich in zwei gleiche Hälften zerteilt wurden, und nur die Prälaten, der Adel, die Lehnsmänner und zwölf Städte freiblieben. Vier Jahre sollten diese beiden Landesteile so regiert werden, daß jeder der Fürsten zwei Jahre im einen Teil und zwei Jahre im andern allein herrschte. Nach Ablauf der vier Jahre aber war ihnen eine erbliche Teilung des ganzen Landes noch vorbehalten.
Albrecht drang indessen schon vor Ablauf der vier Jahre aufs neue auf territoriale Teilung und gedachte auch, durch seine Vermählung Verbindungen mit fremden Fürsten anzuknüpfen, und darin ein Mittel zur Beförderung seiner hochfliegenden Pläne zu finden. Trotzdem Kaiser Karl V. für die Sache interessiert war und später noch energische Schritte für Albrecht that, wurde die Angelegenheit schließlich beigelegt und die Erbteilung zwanzig Jahre verschoben. Albrechts ruheloser, ehrgeiziger Sinn hatte inzwischen andere Pläne aufgenommen, bekanntlich streckte er, freilich vergeblich, die Hand nach Schwedens Krone aus, und so waren die kleinen mecklenburgischen Angelegenheiten in den Hintergrund gedrängt, aber der Unfriede und die Unruhen, die er alle die Jahre hindurch über seinen Bruder und die Lande Mecklenburg gebracht, waren damit nicht ungeschehen gemacht.
Heute jedoch dachte niemand an Zank und Streit, und besonders Herzog Heinrich der Friedfertige machte seinem Namen Ehre und empfing das junge Geschwisterpaar mit brüderlicher Herzlichkeit. Ein anmutig Bild war's, als der Zug durch die bekränzten und beflaggten Straßen in den Schloßhof kam und vor der breiten Treppe im Hause Heinrichs des Friedfertigen hielt. Ernst und würdevoll blickte der ehrwürdige Obotritenbau auf den schimmernden Festzug; wie oft schon hatte er ein Fürstenkind im Brautschmuck oder Hermelin einziehen sehen, wie oft schon war eines hinausgetragen aus seinen Mauern, um seine letzte Ruhe drüben unter den Säulen des hohen Domes zu finden!
Immer bunter und prächtiger ward indessen das Bild unten am Portal. Beim wallenden Federschmuck der Helme wehten die luftigen, seidenen Schleier der Edelfrauen, die in sammetener Hoftracht und kostbarem Schmuck den glänzenden Mittelpunkt bildeten. Jungfrauen in hellen, seidenen Gewändern mit grünen Kränzen in den langen, geflochtenen Haaren gingen sittsam hinter den Frauen und senkten den züchtigen Blick vor den Augen der Ritter und Hofleute, welche, als der Zug sich auflöste, an ihnen vorüberkamen. Der Landadel und die Lehnsritter waren zahlreich vertreten, ebenso die Geistlichkeit mehrerer Städte. Die stolze, bürgerliche Würde stand selbstbewußt auf dem ihr gebührenden Platze, dem Adel gegenüber, und vergab sich kaum so viel, nach den adeligen Frauen hinüberzublicken, während mancher lebenslustige Hofjunker es nicht für unter seiner Würde hielt, einem schönen Bürgerkinde den Hof zu machen.
Alles war heute beisammen, und was sich nicht direkt dem Festzug anschloß, bildete Spalier, denn jeder wollte Herzog Albrecht und das Kurfürstenkind sehen.
In einem kostbaren Wagen saß die junge Herzogin neben dem Gemahl im weißen Damastgewande über dem schimmernden Brokatunterkleide und grüßte anmutig nach allen Seiten. Alles jubelte der bildhübschen, neunzehnjährigen Prinzessin zu, und Vieler Herzen schlugen ihr besonders warm als einer Bekennerin der neuen Lehre Der evangelisch erzogenen und unterrichteten Prinzessin folgte der Hofprediger Heinrich Möllens in die neue Heimat und verkündete in der Schloßkirche zu Schwerin seit dem Jahre 1524 die reine Lehre. entgegen. Ein brausender Jubelruf erklang, als sie sich jetzt erhob und von Herzog Heinrich begrüßt und die Stufen hinaufgeführt ward, wo seine Gemahlin die junge Prinzessin schwesterlich in die Arme schloß und willkommen hieß.
Dem ersten frohen Tage folgte ein Fest nach dem andern. Morgens zog unter den Tönen lustiger Hörner der fürstliche Jagdzug zur Reiherbeize aus, und wenn das Halali verklungen war, winkten schon die hellen Fenster des Schlosses zum festlichen Bankett, oder die rosengeschmückten Gondeln luden zu einer Fahrt auf den Seen an den vom Mondlicht zauberhaft beglänzten Ufern ein.
Es war am Abend des zweiten Tages. Die Gesellschaft war auf dem Wasser gewesen und näherte sich allmählich wieder dem Ufer. Taktmäßig klangen die Ruderschläge plätschernd durch die dunklen Wasser, langsam verhallte der Ruf der Uhr vom Turm der Schloßkapelle, die Mitternacht verkündend. Glühwürmchen durchschwärmten die stillen Laubengänge, und die Heimchen zirpten in den Gräsern. Rein und licht schwebten die Wasserrosen über der Tiefe, als käme ein Königskind von unten in der Stille der Sommernacht heraufgeschwommen, um etwas von dem Glanz des Festes da droben zu schauen, und höbe die weiße Schulter aus den dunklen Wellen. Langsam fuhr die letzte Gondel die betauten Ufer entlang, einsam klang ihr Ruderschlag übers Wasser. Am Steuer saß die zarte Gestalt eines jungen Hoffräuleins, welches einen großen Strauß Wasserrosen neben sich liegen hatte. Ein junger Mann in fürstlicher Kleidung führte das Ruder. Das Mondlicht flutete voll hernieder und breitete seinen Schimmer über das goldene Haar und das lange, weiße Atlasgewand der Jungfrau. Sie hatte die Wimpern halb geschlossen, leise hob und senkte sich der weiße, perlengeschmückte Hals, eine traumhafte Ruhe lag über der schönen Gestalt, die den schlanken Arm über den Rand des Kahnes gelegt hatte und die Finger durch die Wellen gleiten ließ. Der Nachtwind rauschte durch das Schilf und hob die kostbaren Spitzen an ihrem Gewande; sie schlang einen Schleier um die Schultern.
Jetzt landete die Gondel. Der Fürst zog die Ruder ein, stieg aus und bot dem Edelfräulein die Hand. Die Atlasschleppe über der Linken, reichte sie ihm die Fingerspitzen der rechten Hand und hüpfte leichten Fußes ans Ufer.
»Soll ich die Wasserrosen im Kahn lassen, Fürstliche Gnaden?« fragte sie, »ich denke, sie halten sich gut im Tau der Nacht.«
Er nickte und bot ihr sein Geleit an: »Gebt mir Euren Arm, es ist finster,« bat er.
Sie neigte das Haupt und legte ihren Arm in den ihres fürstlichen Begleiters. So wanderten sie zusammen durch den mondhellen Burggarten. Rings dufteten die Rosen in den Laubengängen und mächtige Farren wucherten in den tiefen Nischen und Erkern des alten Schlosses. Leise klang das Plätschern der Wellen herüber und mischte seinen murmelnden Gesang mit dem Reigen, der vom Bankettsaal, wo man im Kerzenschein die hellen Gestalten an den offenen Fenstern vorüberschweben sah, herabtönte.
Der Jüngling stand still und lauschte.
»Soll ich Euch hinaufgeleiten?« fragte er, »der Reigen hat begonnen.«
»Fürstliche Gnaden haben zu befehlen!« erwiderte das Mädchen.
»Ich habe zu befehlen?« sagte er lächelnd; »gut, dann bleiben wir noch einen Augenblick hier.«
Er sah im Mondlicht nicht die tiefe Blässe auf ihrem zarten Antlitz und wanderte weiter, einer einsamen Bank am Wasser zu. Dort setzten sie sich. Der Mond war inzwischen heraufgekommen und stand gerade über dem Hause Heinrichs des Friedfertigen, welches seine tiefen Schatten über den träumenden Garten warf. Ruhig lag der See; in der Ferne verklangen die Ruderschläge zur Nacht ausziehender Fischer. –
»Wie schön muß es sein, dies alles zu besitzen! Wird Euch das Herz nicht groß beim Anblick Eurer Heimatlande?« fragte die Jungfrau.
»Ja,« entgegnete er, »und doch sind damit meine tiefsten Wünsche und Hoffnungen nicht befriedigt. Denn was hab' ich an Glück? Ein einsames Leben ohne Erben! Meine ganze Jugend ist verkümmert durch das geistliche Kleid, worauf ich vor jeder Handlung, vor jedem Genuß blicken muß – und wie ein Stern winkt mir die Reformation mit ihrer evangelischen Freiheit! Kann sie nicht auch meine Ketten sprengen? –
Wohl darf es nur aus vollster, innerster Überzeugung geschehen – aber dann muß auch die Freiheit kommen! Jedes Menschenherz sehnt sich einmal im Leben aus tiefster Seele zu erfahren, was Glück ist – sollte das Herz eines Fürstenkindes davon ausgeschlossen sein?«
Er beugte sich zu ihr nieder und fuhr leise fort: »Sophie Dorothea, das ist der süßeste Name, den ich je auf Erden gehört – komm' an mein Herz, daß ich dich hinaufführe vor meines Vaters Thron!« Er hatte ihre Kniee umfaßt und schlug die dunklen Augen in leidenschaftlicher Liebe zu dem schönen Mädchen auf. Sie war totenbleich geworden und saß regungslos da, die Hände auf den Knieen gefaltet. »Sophie Dorothea!« flüsterte der Prinz.
Sie erhob sich mit stummem, flehendem Blick, die Hände abwehrend ausstreckend. Er aber sprang empor und zog die Widerstrebende an die Brust.
»Endlich! endlich!« jubelte er, ihr Stirn und Lippen küssend, »sag' nur das eine Wort, Geliebte, ob du mein sein willst!«
Halb bewußtlos ruhte sie an seinem Herzen, wie ein kurzer, seliger Traum war's über sie gekommen, einen Augenblick nur wollte sie ihn träumen, einen Augenblick nur an seiner Brust liegen und den Kuß seiner Liebe auf Stirn und Lippen fühlen, dann sollte alles, alles vorüber sein, dieser eine Augenblick mußte sie für das verlorene Glück ihres Lebens entschädigen – und doch – sie fuhr empor – dieser eine Augenblick war's ja, darin sie sündigte, wie durfte sie zu dem zum Bischof bestimmten Herzogsohn Minne im Herzen tragen, wie durfte sie, ohne zu widerstreben, an seinem Herzen liegen!
Sie hatte sich aufgerichtet und blickte ihn angstvoll an. »Laßt mich los, Fürstliche Gnaden,« flehte sie.
Er aber zog die Zitternde von neuem an sich und flüsterte: »Nur eins sag' mir, du süße, weiße Rose – hast du mich lieb?«
Er hob ihr schönes, blondes Haupt empor, die großen, traumhaften Augen öffneten sich und blickten ihn mit dem Ausdruck unnennbaren Schmerzes flehend an, die zarten Lippen bewegten sich zitternd, dann barg sie das Haupt schluchzend an seiner Schulter und flüsterte: »Ja, ich liebe dich, Magnus! Gott vergebe mir meine Sünde!«
Sie riß sich aus seinen Armen los und stürzte fort, dem Schlosse zu. Einen Augenblick war's ihm, als müsse er ihr nach, dann aber barg er das Haupt in den Händen und sank lautlos an der leeren Bank auf die Kniee. – –
Der Tag war angebrochen, als der junge Bischof von Schwerin sich erhob und langsam dem Schlosse seiner Väter zuwanderte. Überall war noch Licht, erstaunt sah er auf. Das Fest mußte ja lange zu Ende, und die Gäste fort oder zur Ruhe sein. Er hatte erwartet, alles in tiefem Schlaf zu finden, statt dessen schien das ganze Schloß in Unruhe und Erregung. Schließlich fragte er einen Edelknaben und erfuhr von ihm, daß seine Mutter plötzlich erkrankt aus dem Bankettsaal getragen sei. Augenblicklich schliefe sie etwas, aber die Ärzte hätten die Köpfe geschüttelt. Er stürmte weiter; sein Vater kam ihm gleich auf der Schwelle des Vorgemaches des Schlafzimmers entgegen. Herzog Albrecht und sein junges Gemahl saßen dort noch im vollen Festschmuck und hatten auf Heinrichs Kommen gewartet. Die Prinzessin durfte dem Schwager folgen und ging leise mit ihm hinein. Weinend saßen die jungen fürstlichen Fräulein in ihren langen, silbergestickten Festkleidern in der breiten Fensternische, Hofleute harrten schweigend in den Vorzimmern, und die Dienerschaft huschte leise über die Gänge oder stand flüsternd umher.
Die Sonne stand hoch am Himmel – noch immer lag die junge Herzogin in wirren Fieberträumen, vor Schmerzen stöhnend, auf dem Lager. Herzog Heinrich wich nicht von ihrer Seite und mußte trostlos die Leiden der geliebten Frau mit ansehen.
Die Kunst der Ärzte war zu Ende. Keiner war mit dem andern gleicher Ansicht, und alle vereinigten sich nur darin, daß sie vor einem Rätsel standen, welches sie nicht lösen konnten. Der Tag verging unter Angst und Sorgen. Herzog Magnus, der seine junge Stiefmutter besonders liebte, wich Tag und Nacht nicht von ihrem Lager und kühlte der Herzogin die brennende Stirn oder hielt beruhigend ihre Hand in der seinen.
Es war wenig Hoffnung mehr, aber sie war jetzt bei vollem Bewußtsein. Gegen Abend des vierten August empfing sie das Sakrament und verlangte bald darauf, daß ihre Kinder und dann die Hofleute und Dienerschaft an ihr Lager kämen. Ein großer Teil der letzteren war versammelt, schluchzend trat einer nach dem andern heran und küßte die Hand der sterbenden Herrin – aber noch fehlten welche, sie kannte ja jeden einzelnen und hatte für den Geringsten an ihrem Hofe ein warmes Herz. Fragend blickten die schönen Augen umher, dann fragte sie: »Ist Sophie Dorothea hier?«
Herzog Magnus hatte sich bei diesen Worten leise erhoben und das Gemach verlassen. Eilig lief er die Wendeltreppe hinab, die zu dem Gemach des Hoffräuleins führte, da sah er die schlanke Gestalt schon heraufkommen, während ein Diener ihr eine Meldung machte.
Der Herzog, welcher sah, wie sie bei seinem Erscheinen erbebte, bat sie leise, mit ihm zu kommen. Der Diener folgte. Als sie fast oben waren, huschte es den matt erleuchteten Gang entlang – ein irrer, markerschütternder Schrei kam von den Lippen des Hoffräuleins; mit dem Rufe: »das Petermännchen!« sank es ohnmächtig in Herzog Magnus' Arme.
Der Diener half ihm, die Jungfrau wieder ins Leben zu rufen; auch er sah bleich und verstört aus.
»Hast du den Geist gesehen?« fragte der Herzog.
»Jawohl, Fürstliche Gnaden, es war das Petermännchen,« flüsterte der alte Mann, nach allen Seiten um sich blickend, »ich erkannte es sofort an dem spitzen Hütchen und an seiner sonstigen Tracht Das »Petermännchen« soll als Vorbote des Todes eines Gliedes des Mecklenburger Herrscherhauses im Schlosse zu Schwerin erscheinen.. Als die selige Frau, die Herzogin Ursula, starb, hab' ich es auch gesehen!«
Er schwieg und Herzog Magnus dachte: »Muß der kleine, wunderbare Hausgeist immer nur kommen, um uns Not und Trauer zu bringen! Seltsames Ding um die Geister der Abgeschiedenen!« – ein Schauer überlief ihn.
Sophie Dorothea kam noch zur rechten Zeit in das stille Sterbezimmer, welches die übrigen Hofleute und das Gesinde wieder verlassen hatten. Nur der Herzog, die Kinder und Albrecht der Schöne mit seinem jungen Weibe umstanden das Lager.
Das stille, blonde Mägdlein aber, das jetzt an Herzog Magnus' Seite herein trat, störte niemand, Frau Helena hatte es ja wie ihr eigen Kind geliebt.
Der Tag ging zur Neige – ein ernster Bote klopfte an das Fürstenschloß und überbrachte den Befehl eines Herrn, dem alle Könige und Herrscher ihre Kronen und Zepter zu Füßen legen müssen. Der Bote war der Tod, sie sahen ihn alle, wie er ins Fenster blickte und winkte.
Ein saurer Abschied war's – in den Armen seines Gemahls lag das Pfalzgrafenkind, und der starke Mann wollt's nicht glauben, daß es schon Zeit sei zum Abschiednehmen. Aber der bleiche Bote draußen wartete nicht und pochte immer wieder ans Fenster, denn es war spät – schon blickten die Sterne ins Gemach, und vom Turm der Schloßkapelle schlug es Mitternacht; ein heller Ton nach dem andern klang durch die stille Stadt, elfmal nacheinander – da versagte das Schlagwerk – die Uhr war abgelaufen. Drinnen aber stand ein großes, edles Herz stille – Mecklenburg hatte seine Landesmutter verloren.
Die Uhr war abgelaufen und blieb stehen, bis der große Meister droben in der Ewigkeit sie wieder aufzog.
Vom Turm des Schweriner Schlosses wehte die Trauerflagge auf Halbmast. Unten in der Schloßkirche stand auf einem schwarzen Katafalk der Sarkophag der Herzogin.
Hunderte von Menschen drängten sich in den Schloßhof, um noch einmal das Antlitz im Tode zu sehen, das sie im Leben so oft holdselig gegrüßt – und so gingen sie denn nacheinander langsam an der Leiche vorüber.
Von Kerzen beleuchtet, in dem mit Purpur ausgeschlagenen, offenen Sarge lag Frau Helena von Mecklenburg im weißseidenen Kleide, den Hermelin um die Schultern. Wie ein schlummerndes Kind lag sie da, auf den schönen Zügen tiefen Frieden, die Hände über einem Kruzifix auf der Brust gefaltet.
Zwölf Herren der Ritterschaft standen rechts und links neben dem mit mecklenburgischen und pfälzischen Wappen geschmückten, offenen Sarge, die Totenwache haltend. Der Erste in ihrer Reihe war Herzog Magnus. Wie aus Erz gegossen stand die hohe Gestalt – keine Wimper zuckte in dem traurigen, jungen Antlitz – wie ein Mann, der einen gewaltigen Schmerz zu tragen hat, leistete er der geliebten Toten den letzten Ehrendienst.
Mehrere Tage stand die Leiche aufgebahrt in der stillen Kapelle. Tausende waren gekommen und hatten in das Antlitz voll Frieden geblickt, dann waren sie wieder gegangen, aber der Eindruck, den sie da drinnen an der Totenbahre empfangen, blieb ihnen bis in späte Tage, und mancher, der hier als Knabe gestanden, gedachte, als sein Haar erbleicht war, dieser Stunde und erzählte dem Enkelkinde auf seinen Knieen von dem süßen Frauenantlitz in der Schloßkapelle.
Der Tag der Beisetzung war gekommen. Viele fremde Fürsten und Herren waren in Schwerins Thore eingeritten, die Ritterschaft des ganzen Herzogtums, die Deputationen der Städte, die Landesgeistlichkeit, mehrere Bischöfe und Gesandte fremder Höfe waren herbeigeeilt, um der Pfalzgrafentochter die letzte Ehre zu erweisen. Ein langer Trauerzug war's, der vom Schlosse durch die mit dunklem Grün bedeckten Straßen über den Markt dem Dome zuschritt. Der Marschall mit dem Stabe, dem das fürstliche Hofgesinde folgte, ging dem von acht schwarzen Rossen gezogenen Leichenwagen voran. Dicht hinter demselben ging, tiefgebeugt, der fürstliche Witwer und die Herzöge Albrecht und Magnus, welcher das unmündige Söhnlein Helenas an der Hand führte. Dann folgten die Fürsten und Erzbischöfe und deren Gesandte, die Prälaten des Stiftes, die Ritterschaft, der Klerus und die Domherren. Zuletzt kamen die fürstlichen und adeligen Frauen, alle in gleicher Tracht mit langen, bis zur Erde niedergelassenen Schleiern und wie die Männer in Trauerkleidung. Nur die Bischöfe von Lübeck und Ratzeburg machten darin eine Ausnahme, indem ersterer einen roten »Halter« auf dem Haupt und letzterer einen lazurfarbenen Mantel trug. –
Die Kapelle des heiligen Bluts hatte sich geöffnet und wieder geschlossen. Die Beisetzungsfeierlichkeit war beendet. Erschütternd war's wie ein mahnender Weckruf des Gerichts und der Ewigkeit durch die hohe Kathedrale geklungen: »Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen,« – und der Angstschrei einer sündigen Menschenseele: »Heiliger Herre Gott, heiliger, starker Gott, heiliger, barmherziger Heiland, laß uns nicht versinken in des bitt'ren Todes Not« endete mit seinem Kyrieeleison die Totenfeier.
Der traurige Tag hatte sich geneigt und der Vollmond blickte durch die kunstvolle Glasmalerei der Blutskapelle und warf sein silbernes Licht auf die Purpurdecke des Sarges, in welchem Mecklenburgs Landstände ihre Herzogin zur letzten Ruhe getragen. Als wollten die lichten Strahlen die stille Frau, deren sterbliche Hülle dort unten beigesetzt war, grüßen, erhellten sie die blütengeschmückte Stätte ihrer Ruhe und küßten die weißen Rosenkränze, welche die Hände zurückgelassener Kinder gebunden.
Leuchtend hob sich Frau Helenas Sarkophag im Mondlicht ab von den übrigen Särgen der fürstlichen Totenkammer; wie ihr ganzes Leben, so war die Stätte ihres Todes ein Bild des Friedens.
Da klang noch einmal der Schlüssel im Schloß. Männerschritte nahten, Frauengewänder rauschten über den Estrich. Herzog Heinrich der Friedfertige betrat mit seinen Kindern die Blutskapelle zum stillen Gebet. Der vereinsamte Fürst kniete am Sarge seiner Gemahlin nieder, neben ihm Herzog Magnus mit dem kleinen Philipp und den jungen, tief verschleierten Prinzessinnen. Kein Laut störte die stille Totenfeier, nur hin und wieder erklang das Schluchzen der kleinen, so früh der Mutter beraubten Prinzessinnen; sie begriffen ja noch kaum, warum man sie hinausgetragen, und umsonst versuchten die älteren Schwestern sie damit zu trösten, daß die Mutter im Himmel sei. Der Herzog erhob sich; er war alt geworden an diesem Tage, silberne Fäden mischten sich unter das dunkle Haar des Dreiundvierzigjährigen. Schweigend trat er zu seinen Kindern, die sich über die Hand des Vaters beugten und sie küßten. Dann gingen sie hinaus. Der alte Schließer schloß die Kirchthür, und niemand störte mehr die stillen Toten.
Frau Helena aber blieb unvergessen im Gedächtnis ihres Volks. Jahrzehnte waren vergangen, der Mannesstamm Heinrichs des Friedfertigen war erloschen, und Albrechts des Schönen kinderreiches Geschlecht saß auf Mecklenburgs Thron, aber im Volksmunde war der Name der Pfalzgrafentochter lebendig geblieben, und abends unter der Linde erzählten die Alten, auf den Steintreppen der Hausthür sitzend, der Kinderschar von der schönen, jungen Herzogin, die drüben im Dom schlief, und manch einer ging in der Sonntagsfrühe nach dem Gottesdienst an der Kapelle des heiligen Bluts vorüber und hielt sein stilles Gebet an ihrem Sarkophag. Ein Epitaphium ward ihrem Gedächtnis errichtet und erinnert das junge Geschlecht an die Herzogin Helena.
Der berühmte Rotgießer Peter Vischer, der gefeierte Vollender des Sebaldusgrabes zu Nürnberg, war der Meister, aus dessen Hand auch dieses Werk hervorging. Das Denkmal bildet eine große Platte, und ist aus fünf kleineren zusammengenieteten Platten zusammengesetzt, anfangs dem Grabe gegenüber errichtet, später aber im südlichen Seitenschiff an dem Pfeiler rechts an der südlichen Chorpforte angebracht. Ein großes mecklenburgisch-pfälzisches Wappen schmückt die Haupttafel. Oben und unten stehen zwischen den Wappenschildern der Ahnentafel der Herzogin eine lateinische und eine deutsche Inschrift. Die obere Inschrift in deutscher Sprache lautet: »Nach Christi, unsres Herrn geburt 1524 am Donnerstag nach Pe / tri ad Vincula Ist die durchlauchtige, Hochgeborene Fürstynne und / Frawe Fraw Helena geborene Pfalzgräffyn Bay Rheine und Hertzogin zu / Mecklenburgk, Fürstin zu Wenden, Gräffyn zu Sweryn, Rostock und Stargardt der Lande Fraw verschayden und allhir begraben / Der selen der Almechtige Gott gennädig und Barmhertzig sein wolle.«
Die darunterstehende, lateinische Inschrift übersetzt Hederich in seiner Schwerinschen Chronik ›in deutscher Sprache ungefährlich dieser Meinung‹:
»Daß aus der Pfalz ich Helena
Eins Obotriten bin Gemahl,
Das hat die Landschaft so bedacht,
Darzu der Wille Gott's gemacht.
Ich hab' gethan, was ich gekundt,
Viel Ding hat mir der Tod mißgundt.
Was aber mir versagt ist nun,
Dasselb' mein Kinder werden thun;
Welcher das ein' noch jung und klein
Ich befehl' dem lieben Ehmann mein.
Daß meiner Gott erbarme sich,
O, güt'ger Leser, bitt' für mich!