Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

8. Kapitel.
Ein Freund in der Not


Freund In Glückes Tagen
Will nicht viel sagen,
Im Leide treu
Ist edel und frei.
Freund hinterm Rücken,
Das läßt sich blicken,
In Schmach und Banden Freund
Ist wahrhaft treu gemeint.

Wäre Frau Ilsabe ein Königskind gewesen, hätte sie das goldene Krönlein im Haar, das Zepter in der Hand, auf ihres Vaters Thron gesessen – keine Macht der Welt hätte sie der heiligen Inquisition entziehen können, nicht den leisesten Widerstand hätte sie ihr entgegensetzen dürfen. Wie im Traum war sie gegangen, als man sie hinabführte; willenlos war sie gefolgt, warum man ihr die Hände gebunden, sie begriff es nicht, wie sollte ein schwaches Weib sich gegen diese Macht auflehnen! Sie wußte ja, daß sie, menschlicher Hilfe gegenüber, mit unlösbaren Ketten gefesselt war, daß eher die Erde ihre Bahnen nicht mehr wandern würde, als daß die heilige Inquisition sich eines Irrtums, geschweige einer Sünde werde überführen lassen. Und wie konnte sie es auch in diesem Falle? Ilsabe hatte ja alles bekannt und eingestanden und jeden Widerruf hartnäckig verweigert. Dafür war ihr alles genommen, alles Sichtbare, woran ein Menschenherz sich halten kann; nicht einmal den Pergamentstreifen des Mönches, den sie in ihrer Truhe verborgen, hatte man ihr gelassen.

Nun saß sie da in dem engen Gefängnis, das so klein war, daß man sich kaum darin rühren konnte. Die Thür füllte den für sie bestimmten Raum nicht ganz, und ein schwacher Lichtschimmer drang in das Loch, das kaum den Namen einer Gefängniszelle verdiente. Auf dem Boden stand ein Krug mit Wasser, daneben lag ein Stückchen trockenes Brot.

Frau Ilsabe saß regungslos in ihren Ketten – das Entsetzliche ihrer Lage war ihr erst in der Einsamkeit völlig klar geworden. Aber ebenso klar war ihr die völlige Nutzlosigkeit, den Gedanken irgend eines Widerstandes, oder den einer Hoffnung auf Menschenhilfe aufkommen zu lassen – sie wußte, daß sie in den Krallen eines Raubtieres lag, welches bei einem Hilferuf sie und ihre Retter zermalmen würde. Eine dumpfe Ergebung war nach dieser ersten Stunde des Leidens über die junge Frau gekommen. Geist und Körper forderten nach den furchtbaren Aufregungen der vergangenen Tage ihr Recht und versagten in völliger Ermattung und Abspannung ihre Dienste. Zum Tode erschöpft lehnte sie das Haupt an die kalte, feuchte Mauer, und war darauf fest eingeschlafen.

Ein Schlüssel drehte sich geräuschvoll im Schloß des äußeren Eingangsthores; nicht ahnend, wo sie sich befand, tastete sie, vom Schlaf erwachend, ängstlich an den dunklen Mauern. Da ließen sich die schweren Schritte des alten Thorwarts hören, noch einmal klirrte das Schlüsselbund nahe bei ihr, die Pforte ihrer engen Behausung öffnete sich und der ergraute Wächter des Hexenkellers stand vor ihr.

Er hob die Laterne und leuchtete der Gefangenen in das bleiche Antlitz. Ein Zug tiefen Schmerzes lag in dem alten, treuen Gesicht; er fuhr mit der Hand über die Augen, als wollte er Thränen verwischen, und sagte mit stockender Stimme: »Verzeiht, gnädige Herrin, daß ich Euch im Schlaf störe – aber, ich kann's nicht ertragen, daß Ihr hier in dem engen Loch sitzen sollt, der Herr würde mich in meinen alten Tagen aus dem Dienst jagen, wenn er's erführe, daß ich Euch darin gelassen. Ach ja – du lieber Gott – wäre er doch daheim! vielleicht hätt' er Euch retten können!«

Sie schüttelte traurig den Kopf: »Nein, Andreas,« sagte sie, »es ist gut, daß der Ritter nicht hier ist; heiße Kämpfe werden ihm erspart, denn schwer würde er's über sich gewinnen, mein Todesurteil zu unterschreiben, eine Weigerung seinerseits aber würde über ihn und sein Haus den Verdacht der Ketzerei bringen. Aus dieser Macht rettet uns keine Menschenhand, das kann nur der da droben, und wir müssen warten, ob es sein Wille ist!«

»Ich wollt', es wäre sein Wille und aller Heiligen Wille dazu!« stieß er grimmig hervor. »Ihr seid keine Ketzerin, und ich will nicht, daß Ihr in dem erbärmlichen Loche umkommt. Nicht einmal die Glieder kann man darin ausstrecken, das kann doch jeder Mensch verlangen. Kommt heraus in den Vorraum, ich hab' Euch ein Lager drin aufgeschlagen und Euch etwas Wein mitgebracht. Sie kommen morgen früh um zehn. Uhr wieder, wenn Ihr ein Viertelstündchen vorher wieder hineingeht, ist's früh genug. Ihr seid die einzige Gefangene, so erfährt niemand etwas davon, und außerdem ist mir's einerlei, ich kann das nicht mit ansehen!«

»Laßt mich lieber hier,« sagte sie, »wenn Ihr auch noch verdächtigt würdet, ich ertrug' es nicht.«

»Ach was,« rief der Alte rauh, während ihm die Hellen Thränen in den Bart rollten, »wenn die Herren vom heiligen Offizium aus der Thür sind, hat hier niemand ein Wort zu sagen, außer dem Kerkermeister, und damit Punktum!«

»Wie gut Ihr seid, Andreas,« sagte die Edelfrau gerührt und erhob sich aus der engen, in der Mauer angebrachten Nische, die wirklich gerade nur für einen Menschen Raum zum Sitzen bot. »Ja, es ist eine Wohlthat, aus diesem Zwang heraus zu kommen, ich bin ganz steif.«

Andreas betrachtete mitleidig das müde, blasse Gesicht und sagte: »Frau Scholastika hat einen reitenden Boten ausgesandt, um den Herrn einzuholen und einen direkten an die Herzöge. Die Mägde sagen, sie wiche nicht von der Wiege Eures Kindes.«

In Frau Ilsabes Augen schimmerte es feucht. »Ich kenne ihre Güte,« sagte sie, »aber es wird ihr nichts helfen, Alter. Der Inquisition gegenüber giebt's keine menschliche Macht. Könige und Fürsten müssen sich ihr beugen. Sie sollte ihren Gemahl meinetwegen nicht so in Sorge und Not bringen!«

Er schüttelte traurig den Kopf über das Elend auf Erden und beugte sich nieder zu Frau Ilsabe, die die erschöpften Glieder ausgestreckt hatte. Wie ein Kind deckte er sie zu und reichte ihr den kühlen Trunk. Sie drückte dankbar die Hände des alten Mannes. »Gott vergelt's Euch, Andreas, Ihr wißt: ›Wer einem seiner geringsten Brüder nur einen Becher kalten Wassers reicht im Namen des Herrn, der hat's dem gethan, der es nie vergißt‹ er wird's auch Euch nicht vergessen!«

Die Fassung des alten, treuen Dieners war zu Ende; laut schluchzend barg er das Gesicht in den Händen und rief: »Könnt' ich Euch doch retten, aber wie weit kommt Ihr in der einen Nacht – in ein paar Stunden sind sie Euch auf den Fersen, und dann geht's Euch desto schlimmer! Es hilft nichts!« schloß er verzweifelt, nahm seine Laterne und verließ, Frau Ilsabe eine gute Nacht wünschend, das Gefängnis.

Sie lag noch lange wach; der lange Tagesschlaf hatte sie erquickt und gestärkt, – nun kamen die Gedanken und stürmten auf ihr armes Herz ein. Wären sie doch zur Ruh' und das Erdenleid abgestreift wie im Alltagskleid, wäre sie doch so weit, daß sie sich nicht immer wieder ängstigte vor dem, was kommen sollte, daß die eine, große Hauptsache ihre Seele so ganz erfüllte, daß alles Irdische in den Hintergrund treten könnte.

Quälende Zweifel umringten sie in der Stille der Nacht, ob ihr Herz bereit sein werde, wenn der Herr sie rufe, und der Geist der alleinseligmachenden Kirche, in deren Schatten sie aufgewachsen war, pochte mit harter Hand bei ihr an und wollte seine Rechte an sie geltend machen. Alle Sünde, die sie gethan, alle Versäumnisse, ja, jeder Gedanke der Schuld, ob er auch nur einen Augenblick in ihrer Seele hatte rasten dürfen – sie schienen in dieser Nacht alle wieder zu erwachen und drohten ihr mit dem höllischen Feuer, wenn sie nicht alle Heiligen anriefe und eine gewisse Anzahl guter Werke vorweise. Bis in ihre Träume verfolgten sie sie, wild und ungestüm, wie ein Meer, das sich nicht stillen läßt. Aber mitten durch die finsteren Wolken der Sturmnacht blitzten die Sterne ewiger Verheißung; licht ward's in der dunklen Zelle, und sie erblickte im Traum das Angesicht dessen, den Stephanus' Auge zur Rechten geschaut. Der Auferstandene grüßte sie, die durchgrabenen Hände breitend, und sprach: »Ihr habt mich nicht erwählet, sondern ich habe euch erwählet und gesetzt, daß ihr hingehet und Frucht bringet und eure Frucht bleibe.« (Joh. 15, 10.)

Sie hielt diese Hände umklammert, und als der Tag graute, und die Sonne ihre Strahlen durch das vergitterte Fenster sandte, lag sie still auf ihrem Lager. Gottes Engel hatten ihr leuchtende Waffen gebracht; und der Fürst der Finsternis hatte sich mit seinen Scharen in ohnmächtigem Zorn zurückgezogen, denn er hatte nicht, wie er gewähnt, mit Fleisch und Blut gestritten – hinter der armen, gefesselten Erdenpilgerin stand der König, der seinen Kindern einen Sieg nach dem andern schenkt – der Herr, mächtig im Streit.

.


 << zurück weiter >>