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15. Kapitel.
Bis zum Tode getreu


Dereinst, wenn Leid und Not der Zeit
Im ew'gen Licht vergehen werden,
Dann sag' ich dir von meiner Lieb',
Der Lieb', die nickt von dieser Erden.

Ein kalter, sonnenheller Januarmorgen war's, als ein kleiner, vornehmer Zug an den Ufern des Ivenacker Sees, unter den alten Eichen, durch den tief verschneiten, winterlichen Forst ritt, voran die kräftige Gestalt eines kaum dem Jünglingsalter entwachsenen Mannes im geistlichen Kleide – Herzog Magnus von Mecklenburg war's, der zum Bischof von Schwerin bestimmte Sohn Heinrichs des Friedfertigen.

Klar war die Luft, blau die Ferne, leuchtende Helle lag über der Flur, die die schimmernden Wipfel gen Himmel hob. Grünes, durchsichtiges Eis deckte den See, vorsichtig wanderte der Wasservogel über die leichte Decke, mißtrauisch mit den klugen, schwarzen Äuglein Ausschau haltend, ob Gefahr zu erwarten stehe. Drüben im Morgenduft blickte aus dem verschneiten Klostergarten der ehrwürdige Bau Reimbern von Stoves Gründer des Klosters.. Malerisch grüßten die alten, zur Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts erbauten Türme über den See. Der junge Herzog sah ernsten Blickes auf die Schönheit winterlicher Einsamkeit, um die dunkeln Augen lagerte ein Zug alten Leides, das unvergessen den Fürstensohn durchs Leben zu geleiten schien.

Er hatte die Fahrt nach Ivenack auf Befehl seines Vaters, der bis zu seiner Volljährigkeit das Bistum Schwerin verwaltete, unternommen, wie schon manche andere, denn Heinrich hielt es für gut, daß sein Sohn, ob er geistliche oder weltliche Ämter verwalten würde, das Land, das seine Heimat war, kennen, und besonders alles unter das Kirchenregiment Gehörende verstehen und beurteilen lernte.

Näher und näher kam er dem alten Kloster, nicht ahnend, daß es sein Liebstes barg. Seinem kleinen Gefolge gebot er, sich in der nahen Herberge aufzuhalten; sein Besuch in der Abtei sollte nicht lange währen, noch am selben Tage gedachte er nach dem Städtchen Stavenhagen weiter zu reisen. Nur ein Knappe folgte ihm, um ihm das Roß abzunehmen.

An der festlich geschmückten Pforte stand eine hohe, vornehme Frauengestalt, das goldene Kreuz der Priorissa auf dem weißen Ordenskleide, und öffnete dem Sohn ihres Landesherrn das Klosterthor. Ehrerbietig grüßte der Fürst die Nonne, die ihm bescheiden, aber doch mit der vollen Würde der Frau im geistlichen Kleide entgegentrat und ihn in den Mauern des Konvents willkommen hieß.

»Ein lang gehegter Wunsch, hochwürdige Frau,« wandte er sich nach der ersten Begrüßung an die Nonne, »ist mir durch den Befehl meines Herrn Vaters erfüllt worden. Die Sehnsucht, das Kloster zu Ivenack mit seinen grünen Wassern kennen zu lernen, lebte schon in der Seele des Knaben – dem Manne wird sie erfüllt! Freilich nicht, wie das Kind es erträumt, im Schmuck ersten Grüns, aber trotz der Fesseln des Winters grüßt's mich, ein Bild der Schönheit!«

Lächelnd hörte sie das Lob ihrer Heimat und antwortete: »Auch mir wird heute nach langer Zeit ein Wunsch erfüllt. Fürstliche Gnaden. Zum erstenmal, seit ich Priorissa bin, betritt ein Sproß Eures erlauchten Hauses die Schwelle des Konvents. Wohl durfte ich als junge Pförtnerin Herzog Heinrich dem Friedfertigen das Klosterthor öffnen, aber seit Felicitas von Bülow gestorben ist und ich ihren Platz eingenommen, hat keines Mannes Fuß unsere Schwelle betreten – und niemand kann mir als erster Gast im Kloster willkommener sein, als Herzog Heinrichs Sohn! Gott segne Euren Eingang, Fürstliche Gnaden!«

Mit einer anmutigen Handbewegung lud die noch jugendliche Mutter des Hauses den hohen Gast ein, die Halle zu betreten. Er folgte ihrem Wink, blieb aber wie gebannt auf der Schwelle stehen. Vor ihm stand die junge, des Pförtneramts wartende Nonne. Eine zarte, schlanke Erscheinung war's, die großen Augen von den langen, seidenen Wimpern traumhaft beschattet, das liebliche Gesicht so weiß, wie das Ordenskleid, das sie trug. Wie aus Marmor gemeißelt, die Ruhe des Todes im Ausdruck, stand sie hoch aufgerichtet am Eingang, die feine Hand auf dem eisernen Drücker, und wartete schweigend ihres Amtes.

»Sophie Dorothea!« – Von seinen Lippen klang's, ehe er's hindern konnte, und in den zwei Worten lag der tiefste Jammer und das höchste Glück. Alles vergessend, stürzte er zu ihren Füßen und umklammerte gewaltsam den Leib der Jungfrau. Die großen Augen, die noch eben so traumhaft ruhig den hohen Gast empfangen, blitzten ihn zornig an.

»Zurück, Herzog Magnus,« kam's von den weißen Lippen, »Ihr habt kein Recht an mich!«

In abgerissenen Worten war's gesprochen, heftig zuckte der zarte Mund, ihr Haupt sank zurück, Blut färbte den Estrich – sie brach lautlos zusammen. An Herzog Magnus Brust gelehnt, lag sie regungslos am Boden, von den Lippen rann das Blut auf das weiße Gewand. Vor ihr kniete die Priorissa und versuchte, es zu stillen. Sprachlos hatte sie dem merkwürdigen Auftritt beigewohnt, eben hatte sie mit strafendem Wort demselben ein Ende machen wollen, als sie sah, welch' ernsten Ausgang die Sache nahm. Alles andere für den Augenblick beiseite setzend, bemühte sie sich in der liebevollsten Weise um die ihrer Obhut Anvertraute und suchte die Bewußtlose ins Leben zurückzurufen. Mehrere Nonnen waren zu Hilfe geeilt, vorsichtig trugen sie die junge Genossin in ihre Zelle und legten sie auf das Lager. Sie war inzwischen erwacht, totenbleich und still lag sie da, die großen Augen blickten suchend umher, dann schloß sie sie, todmüde.

Im Gemache der Priorissa saß Herzog Magnus, das Haupt in den Händen vergraben, und schluchzte wie ein Kind. Vor ihm stand die Priorissa; ihre feine Hand lag auf seinem Haupte, während sie liebevoll zu ihm redete. Alles hatte er ihr gesagt, wie er zum erstenmal das Mägdlein im goldenen Haar an seines Vaters Hof erblickt, wie sie zusammen gespielt und gelacht, und wie er der zur Jungfrau Erblühten seine Liebe gestanden und sie ans Herz genommen und geküßt; wie sie dann gegangen ohne Abschied – »und nun,« schloß er seine Beichte, »trägt sie den Schleier, und meine Liebe hat sie krank gemacht zum Tode.«

Ernst und liebreich blickte das edle Antlitz der Nonne auf den jungen Fürsten, der einen der bittersten Kämpfe ausfechten sollte. Sie redete nicht viel, aber ihre sanfte Ruhe und die wenigen Worte, die sie sprach, stärkten und erquickten ihn.

»Ich kann mir's denken, wie Euch ums Herz ist, Fürstliche Gnaden,« sagte sie einfach, »weiß ich doch, wie's ist, wenn ein junges Lieben so jäh zerbrochen wird, wie's ist, wenn die Gedanken kommen, tue sich untereinander verklagen und wieder entschuldigen. Und ich darf Euch nicht freisprechen von Schuld. Ihr durftet die Tochter des Vasallen nicht minnen, ob Ihr das geistliche Kleid tragt oder nicht. Doch dürft Ihr nicht vergessen, daß es eine Versöhnung giebt unter dem Kreuz des Hochgelobten, und daß die heilige Jungfrau für einen bußfertigen Sünder Fürbitte thut. Sophie Dorothea wird nicht mehr lange unter uns sein, ich muß es Euch sagen – schenke der Herr euch beiden den Frieden.«

Eine Nonne trat ein und machte der Priorissa leise eine Meldung.

»Es geht zu Ende,« wandte sich diese an den Herzog, »ich muß hinüber.«

»Laßt mich mit,« bat er flehend.

Sie zögerte einen Augenblick, dann antwortete sie: »Es sei, Ihr tragt das geistliche Kleid – so kommt!«

Der letzte Strahl der untergehenden Wintersonne fiel in die Zelle, in der Sophie Dorothea lag. Ein zweiter Blutsturz hatte sie so geschwächt, daß eine Besserung ausgeschlossen schien. Leise traten sie ein. Todesbleich, mit halbgeschlossenen Augen lag sie da; als sie die Kommenden hörte, öffnete sie sie, und ein schwaches Lächeln glitt über ihre Züge, als sie den Geliebten erkannte. Tief ergriffen näherte er sich dem Lager und kniete nieder.

»Sophie Dorothea,« flüsterte er mit stockender Stimme, »kannst du mir vergeben?«

Ein helles Leuchten zog über ihr blasses Gesicht, und die sterbenden Augen sahen ihn mit dem Lebensblick der Liebe an, die den Tod überdauert.

»Ich habe dir nichts zu vergeben, Magnus,« sagte sie leise, »die Stunde, da ich deine Liebe empfangen, war die seligste meines Lebens. Der Hochgelobte trennte uns, drum ist's das Beste so für dich und mich, Geliebter!« Ihre Stimme stockte, der Atem ging rasch, aber die schönen Augen ruhten noch immer unverwandt auf dem Antlitz, das sie im Leben so sehr geliebt. Er hielt ihre gefalteten Hände in den seinen und betete. Am Fußende des Lagers stand die Priorissa, in der erhobenen Rechten das Kreuz. Der letzte Sonnenstrahl fiel vergoldend darauf, schwächer und schwächer werdend – die Sonne ging unter und hinterließ scheidend das Abendrot auf den Höhen.

Drinnen aber kämpfte ein junges Leben den letzten Kampf; ein hartes, bitteres Losreißen war's von Erdenliebe und Glück, und es währte lange, bis der Meister kam und die müde Seele heimholte. Aber endlich ward es licht. Die Augen leuchtend hinaufgerichtet, streckte sie sehnsuchtsvoll die Arme aus und sank mit dem Ruf: »Komm', Herr Jesu!« zurück.

Kein Laut ging durch die stille Kammer. Jeder spürte die Nähe des erhöhten Herrn, der eine Seele, die ihre Lampe geschmückt, heimgeführt in die Stadt mit den goldenen Gassen. Alle verharrten in stillem Gebet, dann gingen sie leise hinaus. Nur Herzog Magnus lag noch auf den Knieen und rang um Barmherzigkeit für ihre und seine Seele. Endlich erhob er sich, beugte sich über die Leiche und küßte die Lippen, die ihm das Leben versagt hatte. Der Tod hatte die letzten Schranken niedergebrochen.

Noch einmal blickte er in das Antlitz voll Frieden, das ihm im Tode fast noch schöner erschien, als in den hellen, sonnigen Stunden daheim in seines Vaters Schloß. Dann ging er still hinaus.

Als es Abend geworden, läutete die Sterbeglocke im Kloster zu Ivenack; unten in der Kapelle aber las der Bischof von Schwerin die Seelenmesse für Ritter Berendt Maltzans einziges Töchterlein.

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