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12. Kapitel.
Der erste Advent


Wieder schweben aus der Höhe
Licht und zart die ersten Flocken,
Des Adventschnees Silbersterne
Schimmern in des Kindleins Locken.
Heilige Zeit, mit deinem Frieden,
Deines Segens heil'ger Fülle,
Komm, ach komm, mit deinem Lichte
Mach viel tausend Herzen stille.

Es war am Nachmittag des ersten heiligen Adventssonntages, als Ilsabe, gefolgt von ihrem getreuen Odin, mit einem Korb am Arm von der Burg herab in die Stadt wanderte. Die beschneiten Dächer und Türme vergoldend ging die Abendsonne unter und umgab wie mit einem Heiligenschein die jungfräuliche Gestalt. Ein dunkelblaues Tuchgewand mit Pelz verbrämt umschloß knapp die schlanken Glieder, eine ebenfalls mit Pelz verzierte Kapuze umrahmte das frische, von der Abendkälte rosig angehauchte Gesicht. Sie trug den Korb in der Linken, in der Rechten einen Tannenzweig mit bunten Lichtern daran, den sollte die alte Kordula unten im Städtchen haben, weil sie lahm war und nicht zum Adventsgottesdienst konnte. Rasch schritt sie durch den funkelnden Schnee, hier und da tauchten einige Lichter in der Dämmerung auf und warfen ihren bläulichen Schein auf die verschneiten Gassen. Langsam schwebten die Flocken herab, und die zarten Sterne blieben in den Löckchen hängen, die sich aus der Kapuze herausgestohlen hatten.

Oben war's hell, leuchtend gingen die Sterne ihre Bahn, und die Flocken kamen vereinzelter. Sie sah empor, ob der Mond ihr den Rückweg erhellen werde, aber noch verbarg er sich hinter den Wolken. Eilig wanderte sie weiter. Still und glücklich war der Ausdruck in dem lieblichen Gesicht, in den halb geschlossenen Augen lag ein Friede und eine Freude, die nicht allein von Erdenliebe und Glück herstammen konnten. Der Adventskönig hatte bei ihr angeklopft, und sie hatte ihm geöffnet mit der seligen Gewißheit: Siehe, dein König kommt zu dir! Nun konnte sie's nicht lassen, einem unter seinen geringsten Brüdern eine Erquickung zu bringen, und wanderte leichten Schrittes und fröhlichen Herzens in die Hütte der alten Spinnerin.

Sie war am Ziel und klopfte. Eine schwache Stimme hieß sie eintreten.

Die Gicht hatte die arme Alte ins Bett getrieben. Kalt war's im Stübchen, ein mattes Öllämpchen stand am Lager, daneben ein kleines Gefäß mit Milch und ein Stück trockenes Brot. Neben dem Bett kauerte ein etwa zehnjähriges Mädchen, frierend in der dürftigsten Kleidung.

Die Alte hatte sich aufgerichtet, ein helles Leuchten ging über ihre mageren Züge, als die Jungfrau über die Schwelle trat. –

»Jungfrau Ilsabe!« rief sie erfreut, »den ganzen Tag hab' ich gedacht, ob Ihr am heiligen Advent der alten Kordula gedächtet – ich hab's gewußt, daß Ihr kämt!« schloß sie glücklich und zog Ilsabes Hand an die Lippen.

»Liesel, bring' dem Fräulein einen Stuhl,« gebot sie dann der Kleinen, die eilfertig gehorchte und den einzigen Stuhl mit zerbrochenem Geflecht herbeischleppte.

Ilsabe nickte dem Kinde freundlich zu, aber sie setzte sich nicht, sondern begann ihre Schätze auszukramen. Ein Brot machte den Anfang, ein Töpfchen mit Suppe stellte sie auf den Herd und fachte die erloschene Glut von neuem an. Dann kam noch ein Päckchen mit kräftigem Kräuterthee zum Vorschein, und für die Liesel einige rotbackige Äpfel.

»Die mußt du braten!« sagte sie, und das Kind griff mit leuchtenden Augen danach.

Die Suppe war warm, und Ilsabe brachte sie der Alten.

»Ihr seid zu gut,« sagte diese und hielt die kleine, zarte Hand in ihrer arbeitsharten, schwieligen – »Gott vergelt's Euch!«

Das Mädchen steckte nun die Lichter in den Tannenzweigen an, sodaß der kleine Raum hell erleuchtet ward.

»So, Mutter Kordula, jetzt wollen wir Advent feiern!« sagte sie fröhlich und setzte sich neben sie. Dann zog sie ein Büchlein aus der Tasche, in welches sie alle Sprüche, die sie bei Magister Tilenius gelernt, eingeschrieben hatte, und las der alten Frau die auf die Ankunft des Herrn weisenden vor. Die welken Finger auf der ärmlichen Bettdecke legten sich still in einander, und das Mägdlein, das Ilsabe zu Füßen saß, faltete die Hände; die Lichter flammten hell im dunklen Grün der Tanne – kein Laut störte die stille Adventsfeier. Die Augen der alten frommen Frau leuchteten auf, als sie die frohe Botschaft hörte, und im Geiste sah sie die lichte Gestalt dessen über ihre Schwelle treten, der den Ärmsten mit seinem Frieden reich macht. All ihre Not und Leiden waren vergessen in dem einen Gedanken, daß der Herr bei ihr Einkehr halten werde, und als Ilsabe geendet, sagte sie leise vor sich hin: »Hosianna dem Sohne Davids! Gelobt sei, der da kommt!«

Es war spät geworden, als Ilsabe aus der Hütte trat. Kalt wehte ihr der Nachtwind entgegen, und sie zog den Pelz fester um sich.

Der Mond beleuchtete fast taghell den weißen, glitzernden Pfad, der nach der Burg führte. Als sie etwa fünfzig Schritte weit gegangen war, schlich eine Gestalt in langen, dunklen Gewändern vom Fenster der alten Kordula fort und wanderte hinter dem Mädchen her, bis es in der Burg verschwunden war.

»Also diesen Weg nimmst du – wirst ihn wohl öfter wandern! Wenn der Liebste nicht daheim ist, bleibt ein Stündlein für Almosen und gute Werke übrig! Das verachten nicht einmal die Ketzer! Auf Wiedersehen, Jungfrau Ilsabe, auf der Fahrt ins Franziskanerkloster,« murmelte er dann zwischen den Zähnen und ging eilig durch den Schnee den Weg, den er gekommen, in die Stadt zurück.

Ilsabe hatte die dunkle Erscheinung nicht bemerkt und eilte frohen Herzens in ihr Gemach. Es war nur eine kleine, einfache Kammer, aber die Ordnung, die darin waltete, machte sie behaglich, ja anmutig. Hinter den roten Fenstervorhängen rankte ein Epheu, darunter entfaltete eine Rose dem Dezember zum Trotz eine Knospe zur Blüte, und daneben stand die Myrte, die die zarten Zweige verheißungsvoll zum Kranze verschlang. Das Lager verhüllten weiße Vorhänge, im Fenster stand das Spinnrad; ein Tisch mit buntgewirkter Leinendecke und dem Nähzeug, eine eichene Truhe und zwei Stühle bildeten den übrigen Hausrat. An der getäfelten Wand hing ein hölzernes Kruzifix, von einem Kranz roter Heide umgeben.

Der Mond warf sein volles, glänzendes Licht in den kleinen Raum und auf das Kreuzbild des Herrn an der Wand.

Sie legte den Pelz ab und blieb einen Augenblick im Gemach stehen, dann kniete sie nieder und legte ihr Haupt auf die gefalteten Hände. Lange verharrte sie in dieser Stellung, das Auge des dorngekrönten Heilandes blickte milde auf die Jungfrau herab, und ihr Antlitz ward stille im Gebet. Ihres Lebens Glück und Sehnen, ihr Leid und ihre Sünde legte sie vor ihm nieder, daß er sie heiligen und Advent bei ihr halten könne. Licht ward's in ihrer Seele; der Meister ging zu ihr ein und segnete sie und stärkte ihr Herz mit der Fülle seines Lebens und Friedens.

Draußen schimmerte das weiße Festgewand der alten Linde im Mondlicht – der erste heilige Advent ging zur Neige. –

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