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16. Kapitel.
Um des Glaubens willen


Nur eines muß ich dich befragen,
Den meine ganze Seele liebt!
Darauf mußt du mir Antwort sagen,
Eh' dir mein Herz die Antwort giebt:
Ob er, der meiner Seele Heiland,
Auch deines Herzens König ist –
Dies eine muß ich dich befragen:
Ob du bekennest Jesum Christ!?

Sturm und Regen zogen über das Land. Die bekannten, wilden Gesellen waren es, die alljährlich gegen Ende des Märzmonats kommen und mit unerbittlicher Hand an der festen Burg König Winters rütteln, um ihm zu melden, daß der Lenz in der Nähe sei und er in Eile das Feld räumen müsse. Diesmal aber behandelten sie den alten Herrn gröber und ungestümer denn je, harte Schloßen sausten um sein schrumpfliges Gesicht, und als er sich unter seiner Kapuze verkroch und schimpfend den bösen Buben drohte, da ward es immer ärger mit ihrem Getobe, – sie bildeten einen Kreis um den armen Alten, warfen ihn hinaus und schlossen seinen Eispalast ab. »Übers Jahr! über's Jahr!« klang es kichernd hinter dem Fliehenden her, und ein Regen von Schloßen und Schneebällen umflog sein weißes Haupt. Dann wurde ganz rasch die Sonne bestellt, in einer Stunde rauschte ein helles, blaues Wasser an der Stelle, wo der Eispalast die starren Türme erhoben, die Stare wurden gerufen und das Veilchen geweckt. Mit tausend Küssen wurde das kleine Fräulein in der winterlichen Ruhe gestört; verwundert rieb es sich die Augen, aber als der März ihm sagte, der Frühling sei unterwegs, er habe ihn gesprochen, da wurde es ganz rot vor Freuden und schlüpfte schnell in das neue Kleidchen, das der Frühling ihm geschickt.

Auch um die Burg Penzlin stand alles in Duft. Die tannenumrauschten Höhen, vom ersten, hellen Grün der Buchen unterbrochen, umrahmten die klaren Seen. Den Waldboden deckte noch manch braunes Blatt aus dem vergangenen Jahr und mahnte das junge Geschlecht an des Lebens Vergänglichkeit. Aber überall brach es jung und grün durch, weite Flächen dufteten von Waldmeister und Primeln und die weiße Osterblume verkündete die Auferstehung des Herrn. Rein und licht blickte ihr zarter, eben erschlossener Kelch empor, ein lieblich Symbol der Seele, die sich gläubig dem Erlöser öffnet.

In ihrem Gemach saß Ilsabe am weit geöffneten Bogenfenster. Sie war etwas bleicher und schlanker geworden, seit sie Georg Maltzans Brautring trug; das Leid um die einzige Schwester des Geliebten hatte einen tiefen Schatten auf die Zeit geworfen, die so hell und klar begonnen. Aber auch sonst war manches an sie herangetreten, was ihr zu schaffen machte und ihr Herz beunruhigte. Ihre eigene Seele hatte das Heil fest erfaßt, in Bälde wollte sie öffentlich zu Luthers Lehre übertreten, und ihr Herz war froh und glückselig in dem, was es empfangen. Aber ihre Seele belastete die Sorge um den Glauben des Geliebten. Es würde sie nicht gedrückt haben, wenn er länger als sie am alten Bekenntnis festgehalten hätte, oder wenn dasselbe das Bekenntnis seiner Überzeugung geblieben wäre, obgleich sie schwer daran getragen haben würde, nicht dasselbe Gotteswort mit ihm zu hören, nicht dasselbe Sakrament mit ihm zu empfangen. Aber sie hätte es überwunden; das Bekenntnis ihrer Jugend blieb ihr heilig, und war nicht die Lehre, zu der sie sich jetzt bekannte, auf dein Grunde jenes alten, nicäischen Bekenntnisses erbaut? Wäre Ilsabe von klein auf in Luthers Lehre unterwiesen und darin erzogen worden, so würde sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht einem Gliede der Kirche Roms die Hand zum Ehebunde gereicht haben, aber so, wie die Dinge lagen, wäre sie mit reinem Gewissen dem Geliebten ihrer Jugend gefolgt, wenn ihr nicht eine dunkle Ahnung wieder und immer wieder gesagt hatte, daß sein Herz sich mehr und mehr vom Glauben löste. –

Schwermütig blickte sie hinaus. Sie wollte es ja nicht glauben, ihr Herz sträubte sich mit aller Gewalt dagegen und klammerte sich an Ungewißheiten, die sie halb beruhigten, halb ängstigten – und doch – der Gedanke drängte sich ihr immer wieder auf, von dem ersten Tage an, da sie zitternd von ihrem Bekenntnis zu ihm gesprochen, bis heute – immer wieder klopfte dieser unliebsame Gast bei ihr an. Aber heute mußte sie ihn verscheuchen, wie ein Unrecht kam's ihr vor, daß sie ihm so oft Einlaß gewährt.

Es war der Tag vor dem grünen Donnerstag, und die Burgbewohner bereiteten sich, das Sakrament zu empfangen. Pater Florian, der auf der Burg das Amt eines Seelsorgers bekleidete, schien eine wunderbare Geduld mit Ilsabe zu haben. Er hatte die junge Abtrünnige nach jenem Auftritt im Walde nicht, wie sie selbst es erwartet, exkommuniziert, sondern schien zu hoffen, das verlorene Schäflein durch Liebe und Erbarmen in den Schoß der allein seligmachenden Kirche zurückzubringen. Die lange Verzögerung ihres öffentlichen Bekenntnisses zur neuen Lehre mochte ja auch ein Zeichen langsamer Umkehr sein, und Pater Florian hatte gewiß Geduld, wenn es galt, eine Seele zu retten. Er ging sogar so weit, ihr die Ohrenbeichte stillschweigend zu erlassen, was ihm, wenn es herausgekommen, höheren Orts teuer zu stehen gekommen wäre. Ilsabe begriff seine plötzliche Freundlichkeit nicht und wanderte, weil sie derselben nicht traute, nie ohne den getreuen Odin aus den Thoren der Burg. Aber sie war froh, daß der sonst so harte Geistliche es ihr nicht wehrte, morgen mit dem Geliebten und seinen Eltern zu kommunizieren, obgleich seine Handlungsweise ihr rätselvoll war. Hoffte er wirklich auf ihre Umkehr? Dann war er tief im Irrtum! Das letzte Mal sollte es sein, daß sie das Abendmahl nach katholischem Ritus empfing.

Es war in der Frühe des grünen Donnerstages. Ilsabe kniete in ihrem Gemach und betete. Das Herz war ihr zum Zerspringen schwer, wenn sie ihrer Liebe gedachte, aber sie nahm sich heute von neuem vor, nicht zu zaghaft zu sein und das Heil des Geliebten glaubensvoll höheren Händen anzuvertrauen. Wollte er nicht heute ein Bekenntnis der Buße und des Glaubens mit ihr ablegen? Hatte sie überhaupt ein Recht, nur nach dem einen Gespräch, da er ihr statt einer Antwort auf ihr Bekenntnis mit dem Zeichen der Liebe die Lippen schloß, an seinem Glauben zu zweifeln? Seit dem heiligen Christfest hatte sie ihn nicht wieder gesehen, konnte nicht seine Seele sich befestigt haben in dieser Zeit? Es wogte und wankte in ihr, sie wagte kaum, ihren Gedanken eine bestimmte Gestalt zu geben und legte ihr Haupt seufzend auf das Betpult.

»Herr laß mich heute meiner Sünde gedenken, und schenke mir ein reines Herz, das dich von ganzer Seele liebt und deinen Willen thut!«

Schluchzend drückte sie das Antlitz einen Augenblick in die gefalteten Hände, wie ein heißes Ringen ging's durch ihren Körper. Draußen klopfte es. Sie erhob sich und öffnete. »Jürg! Geliebter!« Jauchzend rief sie's an seinem Halse. Leuchtenden Auges blickte er auf die zarte Gestalt, die im festlichen Schwarz so lieblich war, und küßte ihr stürmisch Stirn und Lippen. Sie hielt ihm glückselig still, dann fragte sie leise: »Sag', warum kommst du so spät? Wir glaubten, du kämst gestern mit dem Frühsten! In einer Stunde gehen wir zum heiligen Sakrament.«

»Ich weiß es,« sagte er, zerstreut mit den Löckchen an ihrer Stirn spielend, während ein leiser Schatten über sein männlich schönes Antlitz zog.

Sie sah mit plötzlicher, heißer Angst zu ihm auf. »Jürg,« fragte sie stotternd – »Jürg, sag' mir, was ist dir? wenn du mich lieb hast, nimm mir diese Ungewißheit.«

»Nichts ist mir,« sagte er heftig, »aber ich kann nicht mit euch zum Sakrament gehen. Es wird mir schwer, weil ich weiß, daß du daran hängst, und für Frauen und Kranke mag's ja auch von nöten sein, aber dem Manne, dem in des Lebens Wirren und Kämpfen das Herz und die Glieder eisern geworden, ist's unmöglich, sich religiösen Gefühlen hinzugeben. Ich habe auf der Universität zu tiefe Blicke gethan, um noch an dergleichen zu glauben, und außerdem geben Kirche und Klerus ein so abschreckendes Beispiel und fordern so unglaubliche Narrheiten, daß man's von keinem Menschen, der gesunden Verstand hat, verlangen kann, daß er mehr glaubt, als daß ein Gott im Himmel ist!«

»Jürg!«

Er blickte unwillkürlich auf den Mund, der seinen Namen sprach – das war nicht mehr die Jungfrau, die mit klopfendem Herzen den Geliebten empfängt, – hoch aufgerichtet stand sie vor ihm, das Weib, das mit dem Mute einer Löwin das heiligste Kleinod ihres Lebens schützt und alles, selbst eine tiefe, starke Liebe darum aufgiebt.

Er erschrak, als er sie ansah, und ein Gedanke, der ihn erzittern machte, durchfuhr blitzartig seine Seele. Leise näherte er sich ihr. Sie blieb regungslos stehen und sagte mit fester Stimme: »Glaubst du an Jesum Christ, Gottes einigen Sohn, als an deinen Herrn und Heiland, der dich von deinen Sünden zum ewigen Leben erlöst hat? Glaubst du an den heiligen Geist?«

»Ich glaube an Gott,« erwiderte er, mit einem Anflug von Trotz.

»Ich muß dich aber bitten, meine Frage so, wie ich sie stellte, zu beantworten,« erwiderte sie fest, »ob du an Jesum Christum, als an deinen Heiland, glaubst?«

»Ilsabe!« brauste er auf, »wer hat dich zum Richter meines Bekenntnisses gesetzt? Ich habe dir gesagt, daß ich an Gott glaube!«

Sie war totenbleich geworden und antwortete mit schwer erkämpfter Ruhe: »Dein und mein Richter ist droben, Jürg, aber die Jungfrau, die sich dir verlobte, hat die heilige Pflicht und das unantastbare Recht, den Mann, dem sie Herz und Hand schenkt, nach seinem Glauben zu fragen.«

Sie lehnte sich, wie nach Halt suchend, an die Wand und fuhr, das weiße Antlitz auf ihn gerichtet, fort: »Ich werde nicht dein Weib, wenn du nicht den, der dich und mich erlöst hat, als deinen Herrn und Gott erkennst!«

Ein irrer, wahnsinniger Schrei kam von seinen Lippen, gewaltsam umklammerte er die Geliebte: »Ilsabe, du hast mir dein Wort gegeben, noch nie brach eine Oertzen, was sie versprach.«

Sie rang nach Fassung. »Jürg, Jürg, sag' mir die Wahrheit! Ich kann nicht dein eigen sein, wenn du nicht an ihn glaubst!«

»Hältst du's für unrecht,« fragte er, »einem Manne anzugehören, der dein Bekenntnis nicht bis ins kleinste teilt? In der alten, lateinischen Bibel der Universität Rostock steht im ersten Korintherbrief im siebenten Kapitel, daß ein ungläubiger Mann und ein gläubiges Weib einander angehören dürfen – ich wiederhole dir, daß ich an Gott glaube, genügt dir das nicht?«

»Nein,« sagte sie, »es genügt mir nicht. Du hast als Kind den Heiland kennen gelernt und hast als Jüngling sein Evangelium gehört, freilich oft verfälscht und zersetzt von menschlicher Weisheit oder vielmehr Thorheit, aber du hast es gehört, und hast auch Gelegenheit gehabt, es rein und unverfälscht zu hören. Hättest du's nie besessen, nie gekannt, aber du hast es besessen, – denk' nur daran, wie du der kleinen Ilsabe vom Heiland erzähltest; hast du's damals auch nicht geglaubt?«

Er schwieg und senkte den finsteren Blick. Am Rande der Verzweiflung, das Liebste auf Erden zu verlieren, war er doch zu sehr Mann der Wahrheit, um auch nur die kleinste Unwahrheit zu seinen Gunsten zu sagen. Aber es kam ihn hart an.

»Jürg,« bat sie mit zitternder Stimme, und die schönen, dunklen Augen sahen mit voller Liebe flehend zu ihm auf, »sag' mir, könntest du's ertragen, wenn dein Weib das, was dir das Heiligste und Höchste ist, verachtet und verlästert?«

Er blickte sie erstaunt an. »Nein,« sagte er zögernd.

»Sieh',« fuhr sie fort, »umgekehrt ist's doch dasselbe. Glaubst du denn, daß es ein Glück in der Ehe giebt, wenn einer das Heiligtum des andern mit Füßen tritt?«

»Ilsabe!« fuhr er auf.

»Ich sage nicht zu viel,« fuhr sie mit glühenden Wangen fort. »Wer die Gottessohnschaft Jesu Christi leugnet und ihm nicht huldigt als dem Herrn, der uns frei gemacht, der tritt das Heiligste mit Füßen; und ob er ihn den Edelsten unter den Menschen nennt, es bleibt eine Lüge, die sich selbst ins Angesicht schlägt, denn entweder ist er Gottes Sohn, oder das Wort des Hohenpriesters: »Er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht!« bewahrheitete sich und zeichnete ihn als Gotteslästerer und Verbrecher! Und ob es keine Sünde ist, dem Manne zu gehören, der nicht an ihn glaubt – ich kann's dennoch nicht, weil ich mit Bestimmtheit weiß, daß ich ihn und er mich nicht glücklich machen kann, weil wir nicht auf einem Grunde stehen und keine gemeinsame Hoffnung haben. Bliebst du ein gläubiger Katholik, während ich mich zur neuen Lehre bekenne, so würd' ich die Deine, die Treue, die du dem alten Glauben hältst, ehrend, ob ich auch selber das, was ich als Kind besessen, mit dem, was ich heute als Wahrheit erkenne, vertausche; denn der Grund, darauf wir stehen, bleibt derselbe, wir stehen auf dem alten Bekenntnis der Heiligen, es ist eine Einigkeit im Geiste vorhanden, wir bekennen uns gemeinsam zu einem Herrn, wir haben einen Glauben, eine Taufe – aber diese Einigkeit im Geiste, diese Gemeinschaft hört auf, wo man die Gottessohnschaft des Herrn leugnet und frevelnd nach seiner Krone greift.« Sie schwieg einen Augenblick erschöpft. »Jürg,« bat sie dann mit zuckenden Lippen, »gieb mir die Antwort, ich ertrag's nicht länger! Glaubst du an den Heiland – oder – suchst du ihn?«

Ein harter Kampf tobte in seiner Seele, aber eine Lüge auszusprechen, wäre ihm unmöglich gewesen. »Nein!« sagte er fest.

Sie brach nicht zusammen, kein Laut kam von ihren Lippen. Todesbleichen Angesichts streifte sie den Brautring von der Linken und legte ihn auf den eichenen Tisch. Ein einziger Blick voll Jammer und Elend traf ihn. »Lebe wohl,« flüsterte sie und ging in das angrenzende Gemach, die Thür hinter sich schließend.

Wie versteinert blickte er ihr nach – dann fuhr er mit der Hand nach der Stirn – träumte oder wachte er? und stürmte die Treppen hinab. Kurze Zeit darauf hörte Ilsabe den Hufschlag seines Rosses über den Burghof schallen. Starren Auges stand sie am Fenster hinter dem Vorhang, ihre Hände griffen zitternd in den Seidenstoff.

»Lebe wohl, Jürg, mein Stolz!« Mit zuckenden Lippen sprach sie's, dann sank sie laut aufschluchzend in die Kniee.


Eine halbe Stunde war vergangen, seit Georg Maltzan die Burg verlassen, als es leise an Ilsabes Thür klopfte. Sie fuhr empor und öffnete. Frau Scholastika trat ein. Stumm und bleich blieb die Jungfrau vor der Mutter des Geliebten stehen, kein Wort wollte ihr von den Lippen. Hätte man sie hinausgestoßen, sie hätte es schweigend ertragen, ohne eine Klage oder Rechtfertigung hervorzubringen.

Aber Frau Scholastikas klares, wahres Herz hätte nie nach dem Schein geurteilt, selbst wenn derselbe gegen Ilsabe gezeugt hätte. Mit banger Sorge hatte die Edelfrau schon seit langer Zeit auf den Sohn geblickt, dessen scharfer, alles erforschender Verstand ihn in Gefahr brachte, seinen Glauben zu verlieren; hatte Georg der Mutter gegenüber doch schon vor längerer Zeit Ansichten entwickelt, die sie im Grunde ihrer Seele erzittern machten, Ansichten des natürlichen Menschen, der mit dem Widerspruchsgeist der Sünde das als nicht glaubwürdige Unmöglichkeit von sich weist, was im Grunde seiner Seele als Thatsache steht. Sie mußte es mit ansehen, daß ihr eigen Fleisch und Blut sich immer mehr in die Lüge des Unglaubens verstrickte, in die Lüge, die sich mit tausend Gründen zu entschuldigen sucht, die aber vor dem ewigen Richter das entsetzliche Endurteil empfangen wird: Du hast nicht gewollt!

Frau Scholastika hatte ihre traurige Beobachtung niemandem mitgeteilt, nicht einmal dem Gemahl, hoffte sie doch, daß Georg die Augen bald geöffnet würden und er umkehren möchte. Mutterliebe ist blind – sie sah es nicht, wie sehr er sich von dem abgewandt, was ihr das Heiligste und Liebste war.

Die Kniee zitterten ihr, als sie die steinerne Wendeltreppe, die in Ilsabes Stübchen führte, hinaufstieg, und sie bebte vor der Begegnung mit dem Kinde, das ihr in zwiefacher Weise teuer war. Nur flüchtig hatte Georg ihr mitgeteilt, daß es mit ihm und Ilsabe aus sei und daß eine Uneinigkeit im Bekenntnis den Grund gelegt hätte. So hatte sie den entscheidenden Schritt gethan, denn ihm galt ja sein Bekenntnis nichts mehr. Nagende Zweifel stiegen in ihrer Seele auf. Sie kannte Ilsabe zu genau, diesen ehernen Mädchencharakter, der nicht rechts noch links nachgab, wenn es sich um das Bekenntnis handelte, der ganz und voll dafür eintrat und mit der Ruhe eines starken Gewappneten den Angriffen des Feindes standhielt, keine Wunden und Schmerzen achtend. Konnte sie nicht zu weit gegangen sein? Frau Scholastika schien's, als grenze diese Festigkeit an Schroffheit und Unduldsamkeit. So innerlich kämpfend trat sie ein, aber kein Vorwurf wollte ihr über die Lippen, als sie in Ilsabes Antlitz sah. Marmorweiß stand sie trockenen Auges vor ihr; ein feiner roter Streifen säumte die Augenlider und sprach von rasch getrockneten Thränen, traumhaft ruhig blickte sie die Mutter des Geliebten an – eine plötzliche Angst durchfuhr Frau Scholastika – sollte der furchtbare Schlag die Jungfrau um den Verstand gebracht haben?

»Ilsabe, mein Kind!« Im Ton alter Liebe sprach sie's und breitete die Arme aus. Da sank sie fassungslos weinend vor ihr nieder und barg das Haupt an ihrer Brust. »Mutter, Mutter,« rief sie leidenschaftlich, »treibt mich hinaus und stoßt mich von Euch – ich konnte nicht anders! Hätt' er mir nur gesagt, daß er den Heiland suchen wollte, ich wär' ja mit ihm gegangen und hätt' mit ihm gesucht, aber so!? Sein Nein ging mir wie ein Schwert durchs Herz, und es ist mir klar: So darf ich nicht sein Eigen sein!« In Thränen gebadet, barg sie das Antlitz in den Händen, die zarte Gestalt bebte vor Schluchzen.

»Glaubst du nicht, er wäre dir zu Liebe umgekehrt?« sagte die Edelfrau sanft.

Da richtete die Jungfrau sich hoch auf und blickte sie voll an: »Nein, Mutter, das glaub' ich nicht und würd's auch nimmer wünschen. Einem Menschen zu Liebe kann man nicht den Heiland lieben, und ob man wähnt, man liebte ihn – eine bettelhafte Liebe wär's. Wenn wir's nicht selbst erkennen, welch' einen Schatz wir an ihm haben, der uns erlöst hat, wenn wir ihm nicht selbst unser Herz aufthun, seine Gnade zu empfangen, wie soll sie uns durch einen Dritten, einen sündigen Menschen zu teil werden? Und besonders eine Frau darf sich nicht dem Wahne hingeben, als ob ihre Liebe solch' zwingende Macht besäße. Gott kann uns Gnade geben, daß wir wandeln, wie sich's gebührt, aber ein Menschenherz ändern, das kann nur er! Vergieb mir, wenn ich dir widerspreche – es ist meine Überzeugung, ich muß nach meinem Gewissen handeln.«

Sanft strich die Edelfrau über den dunklen Scheitel des Mädchens und sagte: »Ich hab' es längst geahnt, mein armes Kind, aber ich wollte nicht zwischen euch treten. Daß du den geraden Weg gehen würdest, Ilsabe, das wußte ich. Es thut mir bitter weh, daß du solch Herzleid ertragen sollst, aber in Angst und Sorgen bin ich nur um ihn; denn du weißt, an wen du dich halten darfst, aber Georg weiß es nicht!« Sie schwieg; ihre Thränen tropften auf das dunkle Gelock an ihrer Brust. Fest und still hielten sie sich umfangen, eine trug der andern Leid.

Endlich richtete Ilsabe sich auf. »Mutter,« sagte sie zögernd, »hier kann ich ja nicht bleiben, laßt mich nach Schwerin gehen zu Magister Tilenius. Maria nimmt mich gern auf. Wenn ich zur neuen Lehre übergetreten bin, gehe ich nach Roggow, und kann ich dort nicht bleiben, so wird Gott weiter helfen.«

Frau Scholastika zögerte mit der Antwort, und Ilsabe fuhr leise fort: »Sieh', hier kann ich nicht bleiben, ich würde Georg die Heimat verschließen, und das darf nicht sein!«

»Du hast recht,« antwortete die Mutter, »und wir wollen dich nicht hindern, so schwer es uns wird, dich zu missen.«

Vom Turm der Burgkapelle rief das Glöcklein zum Sakrament.

»Kommst du mit uns hinab?« fragte Scholastika, »oder wird's dir heute zu schwer? Thu' ganz, wie du willst, mein Kind!«

»Laß mich mitkommen,« bat sie leise.

Einen Augenblick ruhte das Auge der Mutter fragend auf ihr. Sie staunte über die Stärke ihres Kindes. Schweigend küßte sie sie, und sie gingen miteinander hinab.

Der letzte gemeinsame Sakramentsgang war's – zwei Tage später stand Ilsabes Roß gesattelt am Thor, und die Eltern drückten unter heißen Abschiedsthränen die Langgeliebte ans Herz. Stumm und bleich zog sie aus, von treuen Mannen begleitet, immer wieder sich umwendend und die alte Heimat grüßend. Als der letzte Turm der Burg Penzlin hinter den Tannen verschwunden war, war's zu Ende mit ihrer Fassung – sie lehnte das Haupt an den Hals ihres Rosses und schluchzte wie ein Kind.

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