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Ich trage dich durch den sonn'gen Wald
Auf hellen, lauschigen Wegen!
Jede Blume, die dich im Lenz gegrüßt,
Will ich zu Füßen dir legen.
Und bin ich groß und ein Rittersmann,
Dann kehre ich heim, wie heute –
Dann trag' ich dich durch den sonnigen Wald
Im schimmernden Brautgeschmeide.
Es war an einem klaren Herbsttage im Jahre des Heils 1517. Rings schimmerten die Wälder in goldbraunem Schmuck, und hie und da unterbrach ein blutrot Gezweig das satte Gelb der Fluren. Wunderbar schön waren die Lande Mecklenburg im Herbstgewande. Wie ein zarter, duftiger Schleier lagen die Frühnebel auf den Wiesen, in den Büschen und Gräsern hingen schimmernde Tropfen, als hätten die Englein beim Sonnenaufgang gesessen und dem himmlischen Kinde ein leuchtend Gewand gewebt.
Mächtige Tannen umrauschten die Seen, an denen jene Gegend Mecklenburgs so reich ist, und bildeten einen merkwürdigen Kontrast zu der strahlenden Schönheit der Laubwälder. Stolz und kühn erhoben sie die zarten Spitzen zum wolkenlosen Himmel, als riefen sie den Genossen im goldenen Kleide zu: »Euer Gewand fällt ab, wie die Blume des Grases, wir aber bleiben dieselben, bis uns ein Wetter die Kronen zerbricht!« – – –
Am Rande einer sonnigen, von Buchen umgebenen Wiese saß auf einer mächtigen Baumwurzel ein etwa sechzehnjähriger Knabe. Ein dunkelbraunes Tuchgewand umschloß die schlanke, vornehme Gestalt, im Gurt steckte ein Hirschfänger, neben ihm lag ein Barett mit blauen Straußenfedern. Lichthelles, lockiges Haar umrahmte das frische Gesicht, aus dem ein Paar große, blaue Augen klug und fröhlich in die Welt hinausblickten. Auf seinen Knieen saß ein kleines, liebliches Geschöpf, ein vielleicht achtjähriges Mägdlein. Das Kind hatte das Köpfchen mit dem langen, schwarzen Haar zutraulich an die Brust des Jünglings gelehnt, und die großen, dunklen Augen hingen gespannt an seinen Lippen. Das weiße, wollene Gewand mit feiner Seidenstickerei an den Säumen, die ganze, anmutige kleine Erscheinung verrieten die edle Herkunft des Kindes. Eben hatte er dem Mägdlein ein Waldmärchen erzählt, und die Kleine glaubte nun ganz fest, daß unter den alten Baumwurzeln die Waldgeister säßen und in den spitzen Kapuzen und grauen Röckchen Schätze ausgrüben aus den Tiefen der Erde.
»Ich möchte so gern einmal in der Nacht Herkommen, wenn die Elfen tanzen, Georg! Geht das nicht? bitte, nimm mich einmal mit! Ich möchte zu gern die Elfen sehen!«
»Aber Ilsabe, es ist ja viel zu kalt! Die Elfen kommen nur in den Sommernächten, denn sie haben nur ganz dünne Kleidchen von Blumenblättern an und Schleier von Spinngeweben. Wenn die Leuchtkäfer fliegen, kommen die Wichte und Gnomen und Elfen alle schön geschmückt zusammen, und zuletzt kommt die Elfenkönigin, die ist die Allerschönste; dann winken sie mit den weißen Schleiern, ihre Königin zu begrüßen, und wenn sie ihr Vergißmeinnichtzepter geneigt hat, beginnt der Ringeltanz. Aber zusehen können wir nicht – es ist ja nur ein Märchen!«
»Das sagst du immer, Georg,« rief das kleine Edelfräulein entrüstet, »immer, wenn du mir etwas Hübsches erzählst, heißt es: Es ist nur ein Märchen, und ich möchte doch viel lieber, daß es wahr ist! Elfen giebt es doch, weißt du, neulich rauschte es so hinter einer Glockenblume, und als ich hinsah, hing da gerade solch ein weißer Schleier! Den hat doch ganz sicher eine Elfe verloren.«
»Aber, Liebling, es war ja ein Spinngewebe.«
»Nein, es war ein Schleier, ich habe es ganz genau gesehen! Bitte Georg, fang' mir doch eine Elfe, ich will sie auch sehr lieb haben und ihr gleich einen Kuß geben.«
»Dann stirbt sie sofort,« sagte der Unerbittliche ruhig, Elfen können keine Menschenküsse vertragen, dazu sind sie viel zu zart. Denke mal, wenn jetzt ein Riese käme und dich küssen wollte, was würdest du dann machen?«
»Dann würde ich auf deinen Schoß klettern,« erwiderte sie.
Er lachte. »Ja, das ist alles sehr schön und gut, aber eine Elfe kann ich dir nicht fangen!«
Sie seufzte tief: »Niemals?«
»Nein.«
»Dann will ich keine Märchen wieder hören,« sagte sie und rutschte wie ein gereiztes Eichhörnchen von seinen Knieen. »Weißt du keine wahren Geschichten?«
»Ja, ich weiß wohl welche, aber heute ist es zu spät, morgen vielleicht!«
Ein zweiter Stoßseufzer über die Enttäuschungen im Erdenleben kam von den Lippen des Kindes, es legte die Hand in die seines Begleiters und wanderte mit ihm den Waldweg entlang. Das Laub fing schon an, von den Bäumen zu fallen, und die kleinen Füße huschten hindurch, wo am meisten lag, daß die Blätter wie lauter gelbe Falter um das Kind herumflogen. Plötzlich blieb es erschrocken stehen und klammerte sich angstvoll an ihn. Er folgte ihrem Blick mit den Augen und sah zwischen den grauen Stämmen ein braunes Franziskanerkleid näher kommen.
»Aber Ilsabe, was hast du denn, du fürchtest dich doch nicht vor Pater Florian?« fragte er die Kleine.
Sie hielt sich noch fester an seinem Gewande und barg das Köpfchen an seiner Schulter.
»Ich will Pater Florian nicht Guten Morgen sagen, niemals wieder!« rief sie trotzig. »Ich mag ihn überhaupt gar nicht sehen, denn er hat gesagt, die Mutter sei eine Ketzerin gewesen, und das muß etwas sehr Schlimmes sein, denn er machte ganz abscheuliche, große Augen dabei und sagte, Ketzer kämen nicht in den Himmel. Es ist aber nicht wahr, er hat gelogen, meine Mutter ist doch im Himmel, und das darf er nicht sagen!« schluchzte das Kind leidenschaftlich.
»Komm, Ilsabe, sei ruhig,« bat der Knabe, der besorgte, der Mönch möchte Zeuge dieser Unterredung werden. »Du mußt Pater Florian freundlich Guten Tag sagen, wenn er kommt, sonst bist du kein gutes Kind, und die lieben Heiligen sind traurig.«
»Ich will es aber nicht,« sagte sie heftig, mit dem Fuße stampfend. »Er kommt auch nicht in den Himmel, wenn er so ist.«
»Aber, Ilsabe,« sagte er, »glaubst du denn, daß du in den Himmel kommst, wenn du so bist? Ich habe noch nie gehört, daß die Englein mit den Füßen stampfen, was würde auch der liebe Gott für ein Gesicht dazu machen – und er sieht es gerade so gut, wenn die Kinder auf Erden ungehorsam sind.«
Ilsabe schlug die Augen nieder. Sie war ein gutes, folgsames Kind, aber ihr klarer Verstand wollte sie manchmal am Gehorsam hindern. Sie kämpfte mit den aufsteigenden Thränen, denn schon kam der Verhaßte näher und näher. Gleich darauf grüßte Georg ehrerbietig den Mönch, und das kleine Mädchen ging eilig auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte: »Guten Tag, Pater Florian.«
Der Mönch hatte diese freundliche Behandlung von seiten des kleinen Fräuleins wohl nicht erwartet; er bückte sich zu dem Kinde nieder und nahm es auf den Arm.
Das war zu viel für Ilsabe. Die dunklen Augen blitzten den Kleriker zornig an, sie machte sich aus seinen Armen frei und rief: »Laß mich los, Pater Florian.« Dann lief sie, so schnell die Füßchen sie tragen konnten, davon.
»Das heiße, aufbegehrende Blut seiner unglücklichen Mutter wird dem armen Kinde noch viel zu schaffen machen,« sagte salbungsvoll der Franziskaner.
Georg sah ihn schweigend an. Alles bebte in seinem Innern, und er hielt ein scharfes Wort nur in dem Gedanken an seine Jugend und aus Ehrerbietung vor dem Träger des geistlichen Kleides zurück.
Der Mönch aber fuhr fort: »Nun, junger Herr, was schweigt Ihr? Seid Ihr anderer Ansicht?«
»Da Ihr mich um meine Meinung befragt,« sagte Georg fest und bescheiden, »so sollt Ihr sie vernehmen. Es ist mir leid, daß Ilsabe von dem Bekenntnis ihrer Mutter durch Euch erfuhr, denn Weh und Haß zogen damit in die Kindesseele ein.«
Der Mönch warf ihm einen bösen Blick zu. »Nächstens schwebt wohl der Heiligenschein um Frau Ilsabes Haupt, oder wie kommt Ihr zu diesem Ausspruch!?« rief er mit lauerndem Blick.
»Ich habe weder die Ketzerei beschönigt, noch irgend etwas zu gunsten Frau Ilsabes gesagt,« antwortete er, scheinbar ruhig, »und nur auf Eure eigene Anfrage hin erlaubte ich mir, mein Urteil über die Behandlung eines armen, verwaisten Kindes auszusprechen. Ihr habt es hören wollen, ich habe es Euch nicht aufgedrängt, aber wenn ich gefragt werde, pflege ich allerdings die Wahrheit zu reden,« schloß er kalt, nahm grüßend das Barett vom Kopf und ging davon.
»Hoho, Bürschchen, nicht so eilig!« rief ihm der Kleriker nach, »was ist Euch in die Krone gefahren! Immer hübsch klein und bescheiden in jungen Jahren! Werdet Euch die Hörner noch gründlich ablaufen müssen, der liebe Herrgott hat noch immer dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Außerdem möchte ich Euch anraten, nicht ganz zu vergessen, daß ich Euer Beichtvater bin.«
Georg Maltzan wandte sich um und sah dem Geistlichen fest ins Auge.
»Ich bin mir nicht bewußt, Euch ein unehrerbietiges Wort gesagt zu haben,« sagte er mit unterdrückter Erregung. »Dünkt es Euch anders, so sagt mir's, daß ich's Euch abbitten kann.«
Der Mönch biß sich auf die Lippen und schwieg.
Georg blieb einen Augenblick in abwartender Haltung stehen, dann ging er von dannen. Er wußte, daß er es mit dem Pater für alle Zeiten verdorben hatte – aber anders zu handeln, wäre ihm unmöglich gewesen, so peinlich die Folgen dieser Unterredung sein mochten – denn lügen konnte er nicht. Seine Augen spähten ringsumher – wo war seine kleine Schutzbefohlene geblieben? Sie konnte doch unmöglich den weiten Weg allein nach Hause laufen wollen! Ähnlich gesehen hätte es dem leidenschaftlichen, leicht erregten Kinde.
»Ilsabe,« rief er laut in den Wald hinein – keine Antwort. Eine namenlose Angst erfaßte ihn – wie, wenn der fanatische Pater das Kind fände, dann hörte jede Berechnung auf. Hastig strich er durch die Büsche, quer durch den Wald, immer wieder ihren Namen rufend – doch vergeblich.
Da – endlich, als er an eine lichte Stelle kam, wo ein Bächlein plätschernd durch die Farrenkräuter eilte, sah er ein weißes Gewand schimmern. Unter einem mächtigen Königsfarren saß die kleine Ilsabe, das Gesicht in den Händen vergraben, bitterlich weinend. Er näherte sich ihr und legte den Arm um die zarte Gestalt. Da schlang sie die Arme um seinen Hals und lehnte das Köpfchen an seine Brust.
»Bitte, verzeih' es mir, Georg,« schluchzte sie, »ich wollte ja ganz gewiß gehorsam sein, und habe dem Pater ja auch Guten Tag gesagt, aber ich kann es nicht aushalten, wenn er mich anfaßt – nein, ich kann es wirklich nicht, Georg – er hat ja gelogen!«
»Komm, Ilsabe, jetzt gehen wir heim, wir kommen sonst zu spät, und die Eltern ängstigen sich,« sagte der Knabe, das kleine Mädchen auf den Arm nehmend.
»So ist's recht, trockne deine Thränen, nun denken wir gar nicht mehr an den Pater, nicht wahr? Du mußt ein anderes Mal nicht so bange sein, er wollte dir ja nichts thun.«
»Seine Augen stachen aber so!« sagte sie.
»Ja,« antwortete er, »aber ich glaube, er meint es nicht so schlimm.«
Er wußte nicht, was er dem Kinde sagen sollte, sein eigenes Herz suchte umsonst nach Entschuldigungsgründen.
»Er sagt aber, die Mutter sei eine Ketzerin,« schmollte Ilsabe.
»Das sollst du ganz wieder vergessen, Liebling,« sagte er ernst. »Der Heiland hat gesagt, wir sollen es vergeben, wenn uns jemand gekränkt, das hat er auch von dir und Pater Florian gemeint.«
»Hat er das damals schon gewußt?«
»Ja.«
»Wie sonderbar!«
»Das ist nicht sonderbar, Ilsabe. Der Heiland weist immer alles vorher, ob's auch erst in tausend Jahren geschieht. Und nun wollen wir gehen, und ein anderes Mal bist du lieb gegen Pater Florian, nicht wahr?«
Das kleine Mädchen machte einen dicken Mund, der dem süßen Gesichtchen nicht gerade zur Verschönerung diente.
»Ilsabe!« sagte er, ihr vorwurfsvoll in die schwarzen. Augen blickend.
Da schlang sie die Arme um seinen Nacken und rief: »Ich will es versuchen, Georg, aber so lieb wie dich und Vater und Mutter kann ich Pater Florian nicht haben. Ist der liebe Gott dann sehr böse?« setzte sie ängstlich hinzu.
»Versuch's nur erst einmal,« sagte er, »du bist jetzt müde, und ich trage dich heim! Morgen früh aber wollen wir fischen und jagen. Wenn du müde wirst, trage ich dich, und wenn ich fort muß, behalte ich dich lieb, so lieb, wie niemand auf der Welt. Wenn du dann groß bist, kleine Ilsabe, komme ich wieder und trage die Schleife, die du mir geschenkt. Willst du mich nicht vergessen bis dahin?«
»Nein,« sagte sie, durch Thränen lächelnd.
»Das ist recht,« sagte er, sie küssend, »nun bist du wieder mein Sonnenschein! Wir wollen jetzt schnell nach Hause, weißt du schon, daß es heute mittag Klöße giebt?«
Sie lachte nun wirklich und er trug seine zarte Last fröhlich heim durch den sonnigen Wald. Eine süße Ahnung zog durch die Seele des Knaben, seine Gedanken schweiften in die Ferne, im Geiste sah er einen jungen Ritter heimkommen in seines Vaters Haus. Auf der Schwelle aber stand ein Mägdlein, dem blickte er tief in die schwarzen Augen; ein goldenes Ringlein trug's am Finger, das hatte der Ritter Georg an die kleine, weiße Hand gesteckt, als sie zusammen durch den knospenden Wald gingen. Er beugte sich nieder und sah auf das Köpfchen an seiner Schulter, das Mägdlein war eingeschlafen. Fröhlich trug er es heim, den schimmernden Abhang hinab. Durch, die herbstlich bunten Wipfel ging ein Flüstern von Auferstehen und Frühlingsherrlichkeit, und das Bächlein murmelte das uralte Lied von zwei Menschenkindern, die sich so lieb hatten, daß sie nicht wieder von einander lassen konnten und sich zwei feste, goldene Ringe gaben, die bedeuteten Treue bis in den Tod. – – –
Georg Maltzan kam noch rechtzeitig zur Mittagsmahlzeit heim. Die Turmuhr hatte noch nicht zwei geschlagen, und im Burggarten sah er seinen Bruder, den jungen Ritter Joachim, wandern, eine hochgewachsene, blonde Frau am Arm. Georg sah bewundernd auf das schöne, junge Ehepaar und freute sich an dem aufblühenden Glück des Bruders.
Im Lenz des Jahres 1517 war Ritter Joachim Maltzan, der sich im Kriegsdienste König Franz I. ausgezeichnet und sich einen hochgeachteten Namen erworben, in die mecklenburgische Heimat zurückgekehrt und hatte den Herzögen das Schreiben eines der letzten politischen Repräsentanten der weißen Rose in England, des geflüchteten Herzogs von Suffolk, Grafen von Pembroke, überbracht; Siehe Raabe, Vaterlandskunde. über die Schwelle der väterlichen Burg aber hatte er das Kleinod getragen, das er erworben. –
Sabine Kreuzwendedich von dem Borne hatte alle andern Freier abgewiesen und gewartet, bis der geliebte mecklenburgische Junker gekommen. Nun war sie seit einem Mond sein Gemahl, und die schöne Frau nahm es sehr übel, wenn man sie statt Sabine Maltzan Sabine von dem Borne nennen wollte. Augenblicklich war das junge Paar in Penzlin zum Besuch der Eltern.
Jetzt wandte sie sich um und sah ihren Schwager mit dem schlafenden Kinde durch den Garten kommen.
»Endlich,« rief sie, lachend stehen bleibend, »kommen die Landstreicher heim! Arme kleine Ilsabe, so müde hast du sie gemacht, warte, du böser Georg! Wenn du mit uns auswanderst, laufen wir, bis du am Wege liegen bleibst, nicht wahr, Joachim?«
»Es ist für diesmal nicht so schlimm, Frau Schwägerin,« sagte Georg, »wir sind nicht weit gewesen, aber Ilsabe ist Pater Florian begegnet, der die Thorheit begangen hat, dem Kinde von dem Bekenntnis Frau Ilsabes zu erzählen und sie eine Ketzerin zu heißen. Es ist ebenso unverständig wie grausam, denn Ilsabe ist viel zu klug und daneben zu leidenschaftlich, um diesen Ausspruch nicht zu verstehen und darunter zu leiden! Nun hat das arme, kleine Ding sich natürlich müde geweint.«
»Pater Florian ist ein rechter Esel!« fuhr Joachim auf. »Seine Handlungsweise ist geradezu unverantwortlich und eine große Thorheit, die ich dem sonst so schlauen Kleriker nicht zugetraut hätte! Aber ich kann mir seine Gründe denken. Seine Seele' ist so sehr von Ignatius Kruse, oder sagen wir lieber gleich vom Teufel beeinflußt, daß es ihm eine Freude ist, ein armes, unschuldiges Kind zu plagen. Wenn wir den verdammten Kerl nur erst los wären, aber wir werden wohl die Ehre haben, ihn bis an sein seliges Ende zu füttern.«
Eine kleine, weiße Hand legte sich sanft auf seinen Arm, und zwei dunkelblaue Augen sahen ihn bittend an. »Wir sind dicht an der Landstraße, und das Schelten nützt dir nichts, Geliebter!« sagte schelmisch Frau Sabine zu dem Gemahl.
»So, du weise Frau – ja, Vorsicht ist zu allen Dingen nütze!« Er schien zum erstenmal im Leben das entzückend schöne Gesicht an seiner Seite zu erblicken und sich für heute das Studium desselben vorgenommen zu haben – jedenfalls war der Pater in den Hintergrund gedrängt.
Langsam gingen sie Arm in Arm dem Hause zu, und Georg, der hinter ihnen her wanderte, dachte darüber nach, ob schwarzes oder goldenes Haar schöner sei, bis er zu dem Entschluß kam, daß seine Zukünftige jedenfalls schwarze Haare aufweisen müsse. Frau Sabines langes, goldblondes Gelock war ja wunderschön – aber schwarzes Haar und schwarze Wimpern – sie wollten ihm doch noch tausendmal. besser gefallen. Leise küßte er die Stirn der kleinen Schläferin und trug sie in das Gemach seiner Mutter.
»Aber, Georg, was hast du mit Ilsabe angestellt? Du weißt doch, daß das zarte Kind nicht übermüdet werden darf!« sagte Frau Scholastika, aus dem angrenzenden Gemach kommend.
»Sie ist nicht übermüdet, liebe Mutter,« antwortete er, die Arme um den Hals der Burgherrin legend und ihr die nötige Erklärung gebend.
»Warum hat Pater Florian das gethan,« sagte sie, halb erstaunt, halb unwillig – »was weiß ein achtjährig Kind von Ketzerei? Daß sie nur nicht mehr davon erfährt, Georg, bei Ilsabes Gaben und ihrem heißen Temperament sind die Folgen gar nicht zu ermessen.« Er sah ernst vor sich hin. »Sie muß möglichst ruhig gehalten werden und darf nicht zu viel die Ansichten Erwachsener hören.«
»Das ist leichter gesagt, als gethan,« seufzte sie; »zudem kennst du des Vaters rasche, lebhafte Weise, und weißt, wie er alles gleich ausspricht im Familienkreise, ob die Kinder dabei sind oder nicht. Jetzt sind's die Dinge in Wittenberg, die ihn beschäftigen – ich wollte, sie erregten ihn weniger. Aber er spricht schon nichts anderes mehr, als Martin Luther und seine Thesen. Dabei darf man den Namen dieses Mönchs von Gottes und Rechtes wegen gar nicht in den Mund nehmen, es kann doch nicht recht sein, daß er das Volk so in Aufruhr bringt.«
»Das weiß Gott, Mutter,« sagte er, »so, wie unsere Kirche heute ist, kann sie nicht bleiben! Es fragt sich nur, ob er der Mann ist, der dies Werk beginnen kann.« Sie sah ihn fragend an. »Ja,« fuhr er fort, »kein Mensch kann vom anderen mehr Glauben erwarten, wenn er einen Geistlichen gesehen hat wie Pater Florian. Es dreht sich einem alles um bei dem Gedanken, daß das Christentum sein soll – und so sind sie mit wenigen Ausnahmen alle. Wenn der Klerus solch ein Beispiel giebt, ist's kein Wunder, wenn die Laien es nachmachen und den Glauben an das Heilige verlieren. Ich darf mir ja noch gar kein Urteil bilden, aber es soll mich Wunder nehmen, was für Ansichten über Menschen und Verhältnisse, über Kirche, Bekenntnis und Staat einem auf den Universitäten eingepflanzt werden, und was man als eigene Ansicht und Überzeugung mit nach Hause nimmt.«
»Gott erhalle dich in unserm allerheiligsten Glauben,« sagte seine Mutter. »Blicke nicht zuviel nach rechts und links in deinem Urteil über die Schäden unserer Kirche, die ja nicht ganz zu leugnen sind, frage nicht zuviel, wo diese Sekte irrt und jener Kleriker fehlt, die Hauptsache, mein Kind, ist, daß der alte, einfache Christenglaube dein eigen bleibt. Dann wirst du auch vor Ketzerei bewahrt bleiben.«
Frau Scholastika war sich, wie viele zu ihrer Zeit, über die Bedeutung dieses Wortes nicht klar. Sie verwechselte die »römische« mit der »katholischen oder allgemeinen« Kirche, und würde es entrüstet von sich gewiesen haben, wenn man sie beschuldigt hätte, der ersteren untreu geworden zu sein. Sie betete zu den Heiligen, aber den Ablaßhandel betrachtete sie als ein ihrer Kirche unwürdiges Mittel. Sie gab es zu, daß die Kirche Schäden an sich, trug, aber sie war weit davon entfernt, die Tiefen dieser Schäden in ihrem ganzen Umfang zu erkennen und Gefahren darin zu erblicken. Scholastika war eben, wie schon erwähnt, die getreue Katholikin, die Katholikin im edelsten Sinne des Wortes, und die Streitfragen, die ihr Bekenntnis umtobten, der Schutt, der das edle Kleinod verbergen sollte, störten das einfältige Gotteskind weniger, als den Weisen auf dem Lehrstuhl. Ihres Gemahls schlichter, gerader Sinn hatte sie noch in ihrem Kinderglauben bestärkt, denn sie war eine Frau, die sich von geliebter Hand zum Guten leiten ließ und das, was sie einmal empfangen, ganz und mit vollem Herzen als ihr Eigentum besaß. –